Der erste Plewka

Zum ersten Mal lernte ich Jan Plewka am 27. Januar 2006 kennen. Da war er noch als Solokünstler unterwegs, an eine Reunion von Selig nicht zu denken. Ich berichtete für die WAZ Mülheim über den Abend „Plewka singt Reiser“ mit Jan Plewka und der „Schwarz-Roten Heilsarmee“. Davor führte ich mein erstes von bisher vier Interviews mit Jan Plewka.

Dieser Text erschien in der Mülheimer WAZ:

Ein Traum vom Hafen übers Meers der Scherben
Jan Plewka bot eine Konzert-Performance
Dieser Moment ist bei jedem Konzert magisch. Das Licht geht aus – spannende Erwartungen. Jan Plewka, Ex-Sänger von Selig, trägt im Schuppen Rio-Reiser-Lieder vor. Was verbirgt sich dahinter?
Es ist dunkel. Kein Musiker steht auf der Bühne. Plötzlich eine Stimme. „Stiller Raum, stille Nacht, alles schläft, ich bin wach“, singt Plewka. Ohne Instrumente. Nur jeweils ein Lautsprecher ist eingeschaltet. Spiel mit Stereo. Stiller Raum.

Es ist der atemberaubende Auftakt für 300 Zuschauer, die sich sofort verzaubern lassen. Die kein Konzert erleben, sondern eine manchmal anstrengende Konzert-Performance. Plewka und seine Band „Schwarz-Rote Heilsarmee“ bieten ein Instrument-Feuerwerk, mit Akustik-, E- und Bassgitarre, Geige, Klavier, Schlagzeug, Blasinstrumenten und mehr – herrlich. Jeder Song ist ein eigenes Theaterstück. Bei Ton Steine Scherbens „Rauchhaus-Song“ verbreitet die Band Lagerfeuer-Romantik, sitzt im Halbkreis auf der Bühne, spielt unplugged. Einen Song später („Der Turm stürzt ein“) marschiert die Band durch die Reihen, begrüßt die faszinierten Zuschauer. Lied acht auf der Setlist ist „Unten am Hafen“. Plewka legt sich allein auf die rote Couch, nur mit Akkordeon in der Hand. Augen schließen und an die See denken.

Es ist ein Streifzug durch Rio Reisers Biografie. Zwölf der 23 Songs sind aus der Ton-Steine-Scherben-Zeit, von „Keine Macht für niemand“ über „Die letzte Schlacht gewinnen wir“ bis zum fantastischen „Der Traum ist aus“. Plewka redet zwischendurch ganz wenig. Die Textzeilen genügen. In „Land in Sicht“ heißt es: „Und die Tränen von gestern wird die Sonne trocknen“. Für ein Poesiealbum fast verschenkt.

Still ist am Ende nichts mehr. Nach 110 Minuten gibt’s Ovationen. Zu Recht.

„Guten Morgen“ heißt die einspaltige Notiz auf der Lokalteil-Titelseite, die jeden Tag erscheint und redaktionsintern „Spitze“ genannt wird! Jeder darf seinen Senf dazu beitragen! Der Inhalt? Ganz kleine Alltagsgeschichte plus Pointe…

GUTEN MORGEN
Idole
Eine halbe Stunde noch bis zum Konzert. Jan Plewka sitzt mit seiner Band in der ersten Etage des Schuppens, isst etwas Leichtes vom Buffet. Ein kurzes Gespräch hat er erlaubt. Warum singt er Rio-Reiser-Lieder? „Er war mein Mentor“, sagt Plewka. „Am Lagerfeuer haben wir Rio-Lieder gespielt.“ Wie war die Zeit mit Selig, seiner großen Band: „Vier Jahre totaler Wahnsinn. Wie ein Surfer auf der großen Welle. Kurz bevor wir wieder am Strand waren, haben wir aufgehört.“ Hat er Rio Reiser persönlich kennengelernt? „Ich hätte, hatte aber Angst. Du weißt ja: Never meet your idols.“ Treffe niemals deine Idole. Mist. Ich hab‘ eins interviewt.

Das Interview:

Am Nachmittag hatte der Kollege der Mülheimer NRZ um ein Pressegespräch gebeten – mit Erfolg. Um 19.30 Uhr – 30 Minuten vor Konzertbeginn – trafen wir im Ringlokschuppen ein und wurden in die erste Etage des Restaurantteils geführt. Dort saßen Plewka und seine Band „Schwarz-Rote Heilsarmee“ und verspeisten noch eine Kleinigkeit. Plewka gewährte uns ein kurzes, aber spannendes Interview, das gekürzt in etwa so lief:

Frage: Vielen Dank, dass Du Dir Zeit nimmst. Du bist 1970 geboren – also noch relativ jung. Wie bist Du auf Rio Reiser gekommen?
Jan Plewka: Durch meine Jugend. Rio Reiser war mein Mentor, am Strand, am Lagerfeuer haben wir Rio-Lieder gesungen.
Frage: Hast Du Rio Reiser selbst auch mal live gesehen?
Plewka: Live gesehen ja, ich hätte ihn auch mal treffen können, (überlegt) aber ich hatte Angst davor, meinen Helden zu treffen, weil er sich als etwas Anderes hätte entpuppen können. Du weißt ja: Never meet your idols.
Frage: Wie denkst Du an die Zeit bei Selig zurück?
Plewka: Das war eine Superzeit, vier Jahre totaler Wahnsinn. Aber das hat dann weder der Körper noch der Geist mitgemacht. Wir waren wie ein Surfer auf einer großen Welle. Kurz bevor wir wieder am Strand angekommen sind, haben wir aufgehört.
Frage: Hören wir heute auch Lieder aus der Ton Steine Scherben-Zeit von Rio Reiser?
Plewka: Ja, wir hören sogar mehr Lieder aus der Scherben-Zeit.
Frage: Im Selig-Lied „Ohne Dich“ gibt es die Zeile „Wer auch immer Dir jetzt den Regen schenkt, ich hoffe es geht ihm schlecht“. Wie bist Du darauf gekommen?
Plewka:(überlegt) Mit meiner damaligen Freundin bin ich nach Hamburg-Barmbek gezogen und abends spazieren gegangen. Als es dann anfing zu schneien, habe ich – wie man das macht – „Diesen Schnee schenke ich Dir“ gesagt. Dann war Schluss mit der Freundin und ich habe das Lied geschrieben. „Schnee“ habe ich gegen „Regen“ getauscht, weil das ja auch Kokain sein könnte…
Schlusssatz: Vielen Dank für das Gespräch.
Plewka: Bleibt Ihr auch hier?
Antwort: Was für eine Frage! Wir haben uns um den Termin gerissen.
Plewka: Dann viel Spaß!

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