Wo das Licht wärmer scheint

Am 6. Oktober 2007 arbeitete ich schon seit drei Monaten nicht mehr in Mülheim. Einen Text durfte ich dann aber doch noch für die WAZ-Lokalredaktion schreiben – im Rahmen der Serie „Mülheim gastronomisch“ wurde ein Aufmacher über einen Abend in meiner Stammkneipe „Zum Schrägen Eck“ in Mülheim-Eppinghofen verlangt.

Ich wurde – zugegeben – sehr romantisch…

„Ein normaler Dienstagabend, kurz vor neun. Fußball läuft. Champions League, Stuttgart gegen Barcelona. Zu Hause gucken ist unmöglich, kommt nur im Pay-TV. Wird Zeit für einen Besuch in der Stammkneipe. Die Tür aufdrücken, ganz sanft. Hier ist es, das „Schräge Eck“ an der Klopstockstraße, eine ganz normale Eckkneipe, wie sie immer seltener werden in Mülheim. Das Schräge Eck: Dat is Eppinghofen pur.

„Psst“, sagt jemand, „Bazza greift an.“ Bazza heißt Barcelona. Warum richtig aussprechen, wenn’s auch einfach geht!? In einer Kneipe leise: haha und drauf gepfiffen! Erst die Leute begrüßen. Die Stammgäste, die in den letzten Jahren zu Würfelfreunden geworden sind. Zu Dartkumpanen. Zu Billard-Kontrahenten. Der erste Weg führt zum Wirt, der im „Schrägen Eck“ Zarko Pulic heißt. Manche sprechen ihn richtig aus, also „Dscharrko“, manche einfach „Jacko“. „Hallo Dscharrrko“. Der antwortet stets: „Hallo mein lieber Freund.“ Das passende Getränk steht bereit. Er kennt seine Stammgäste.
Lust auf Fußball gucken, aber auch Lust auf Billard. Ein Euro gleich ein Spiel. „Hier wird nach Zarkos Regeln gespielt.“ „Ach so“, sagt Micha, der Gegner. Hier ist die Vornamen-Welt. Nachnamen interessieren nicht. „Where everybody knows your name“, heißt es im Titelsong der US-Serie „Cheers“. Passt.

Micha erkundigt sich, wie Zarkos Regeln sind und stößt. Klick und Klack macht’s auf dem Tisch. Dieser Geräuschpegel. . . Billardkugeln hier, die Dudelei des Dartautomaten dort, die Stimme des Kommentators im Hintergrund. Am Nebentisch wird gar nicht geredet. Doch, halt, jetzt ganz kurz. „Pik Solo“, sagt Conny – keine Ahnung, wie sein richtiger Vorname lautet. Ach sooo, hier wird Skat gekloppt.

Halbzeit im Fußball, ein Billardspiel vorbei. An der Theke hocken Wanna und Bernd. „Wir“, sagt Wanna jedem, der an der Theke vorbei zum Klo geht, „wir haben zusammen auf dem Schulhof gespielt.“ Dann deutet er auf Bernd. „Und heute hier nach zehn Jahren wiedergetroffen.“ Die Tür geht auf, jemand brüllt laut „TAXIIII!“ Wanna steht auf, nimmt seine Jacke, bezahlt seinen Deckel und geht. „Tschüss Wanna, mein lieber Freund“, sagt Zarko, der Wirt. Der Kommentator analysiert „Bazza spielt sehr, sehr provokant, sehr, sehr lässig.“ Dann fällt das erste Tor, das zweite, 2:0. Für Bazza. „Maaaan“, heißt’s laut. Eigentlich gibt es hier nur Gladbach-, Schalke-, BVB- und Bochum-Fans. Heute sind alle für Stuttgart. Vergeblich.

Das Spiel ist vorbei, eine Minute später betritt Kläusken den Raum. Zarko stellt den Fernsehton leise, erfüllt nun jeden Musikwunsch. „Another brick in the wall“ von Pink Floyd ist der erste. Ja, das weckt Erinnerungen. Jede Altersgruppe ist vertreten, von 18 bis 70. Die Skatrunde kloppt weiter. „Jacko, machze ‚ma noch n‘ Ründken“, brüllt Conny quer durch den Raum. Und Jacko zapft vier Pils.

Die 70er sind angesagt, zum Beispiel „Bobby Brown“ von Frank Zappa. Dann die 80er. „Sex Bomb“ von Tom Jones. „Kläusken, sie spielen dein Lied“, brüllt Micha aus dem Hintergrund. Gelächter an der Theke. Kläusken, 67, schmunzelt mit, flüstert dann aber lieber: „Spiel doch ‚mal Musik für ’nen alten Mann.“ Zarko weiß genau, was sein Stammgast hören will und wenige Sekunden später ertönt „For the good times“ von Kenny Rogers aus den Lautsprechern. Kläusken singt leise mit, haucht den Refrain „Lay your head on my pillow. . .“ Er schließt seine Augen, zieht an einer Zigarette, pustet den Rauch in die Luft, nimmt einen Schluck aus seinem Bierglas und haucht weiter: „Hear the whisper of the raindrops, beating soft against the window.“ Alle lauschen andächtig. Kneipen-Romantik.

Kurz nach zwölf ist es inzwischen, wieder so ein Eckkneipen-Abend, der ruck, zuck vorbei geht. Kurz nach Mitternacht schmettert John Denver „All my bags are packed. . .“, den Rest kennt jeder. „I’m leaaaaving on a jetplane“, brüllen alle, ob 18 oder 70. Und Zarko mittendrin!

Auf die Uhr schauen. Ups, kurz vor eins. „Gute Nacht Freunde“ in die Runde brüllen. Wie hat Reinhard Mey noch gedichtet: „. . . dass man von draußen meint, dass in euren Fenstern das Licht wärmer scheint.“ Sieben Euro auf dem Deckel, einmal Billard für einen Euro. Das ist doch billig.

Die einen schunkeln nach Hause. Treffen Lutz und Wilfried vor der Tür. Die kommen gerade. Um eins. Die Nacht in der Eckkneipe hat begonnen.

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