Meine Kirmes, Teil zwei

Für die WAZ/WR Castrop-Rauxel entwickelte ich das Blog “Mein Castrop-Rauxel”, das – damals einmalig auf waz.de (Vorgängerportal von DerWesten) – unter dem Motto “Mein Castrop-Rauxel” stand. Ich berichtete täglich über meine Erlebnisse in der “Europastadt im Grünen” – Teile davon erschienen (mit meinem Foto) auch in der Print-Ausgabe.

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Dieser Eintrag ist vom 20. September 2007:

18 Tage nicht in Castrop-Rauxel – dann komm’ ich wieder und was sehe ich? Die Herbstkirmes in der Altstadt! Lecker, lecker, lecker!

„Komisch. Es ist wie das Gefühl, nach einem dreiwöchigen Urlaub die heimische Wohnung zu betreten. Oder nach der Sommerpause das erste Bundesligaspiel des VfL Bochum zu besuchen. 18 Tage betrat ich nicht mehr Castrop-Rauxel. Mehr als die tägliche Lektüre der WAZ-Ausgabe bekam ich nicht mit vom Leben in der Stadt, die mir ans Herz gewachsen ist. Den Weg über die Autobahn finde ich noch, weiß sogar noch, wo die Blitzer stehen. Ich könnte zum Dichter werden und Verse unter dem Titel „Coming home” oder „Zu Hause” kreieren, Musik: Blues.
Was ist passiert in Castrop-Rauxel, was geschieht heute, wo darf ich hin? Diese Entscheidung fällt schnell: Herbstkirmes! Habe noch keinen Blick in die Altstadt gewagt am heutigen Tag. Dann wär’s mir sofort aufgefallen. Lese noch schnell meinen Blog-Eintrag über die Castroper Gastronomie-Familie Wachsmann auf der Cranger Kirmes. . . okaaaay, fertig! Und los. Ja jetzt bin ich aber richtig gespannt!
Laufe die Obere Münsterstraße entlang, sonst nur, um belegte Brötchen und Schoko-Croissants zu holen. Süß ist auch das, was sich jetzt hier abspielt. „Schlemmerhaus” heißt das erste Gebäude, das verdammt nach Kirmes aussieht. Wow, es geht also schon hier los. Ich dachte, dass sich die Kirmes auf den Marktplatz beschränkt. Könnte jetzt schon so viel in mich reinwuchten. Bratwurst, Zuckerwatte, Currywurst, Schokobanane, Backfisch. Hurra, eine Crepe-Bude. „Einmal mit weißer Schokolade bitte.” Zweifuffzig kostet der Spaß. Schmeckt. Gut.

Stehe mitten auf dem Marktplatz. Sonst parken hier Autos, jetzt blicke ich mich um, sehe viele Buden, aber mittags um drei noch nicht viele Besucher. Die meisten stehen – welch Wunder – am Breakdance No. 2, der Klassiker unter allen Mir-wird-übel-ich-hätte-gerade-doch-noch-nichts-essen-sollen-Geräten. „Der Renner, auch in diesem Jahr”, haben mich die Kollegen schon vorgewarnt. Mein Kirmesherz schlägt höher, auch wenn es natüürlich nur ein Rummel im Miniminiformat ist. Eine Formulierung fällt mir ein, ich hebe sie für den Zeitungstext auf. „Die Herbstkirmes hat so viel mit Crange zu tun wie. . .” Lest selbst nach!

Crepe zu Ende gegessen, der Losverkäufer langweilt sich, Auto-Scooter fahren will auch noch niemand. „Es läuft wie immer”, sagt der Verkäufer. Ach, was hat mir dieser Geräuschpegel gefehlt. Jugendliche flüstern, schreien und lachen an der einen Ecke, Familien werfen Dosen, die Breakdance-Gondeln sausen im Orkantempo vorbei – und überall der Kirmes-Techno, vornehmlich Pop-Schlager a´ la „Das rote Pferd” oder Techno a´ la Scooter. Scooter, immer wieder Scooter. Utzutzutzutz, gebrannte Mandeln kitzeln die Nase. Leeecker.

Marktplatz, war das etwa schon alles? Nein, in Richtung Stadtgarten stehen auch noch ein paar Buden. Die Herbstkirmes ist klein, aber größer, als ich dachte. 2007 fehlen – erfahre ich von einem Verkäufer – sogar noch zwei Fahrgeschäfte. „Glücksreis” nennt sich ein Stand. Auf einem Schild auf dem Tisch steht „Ihr Name auf einem Reiskorn”. Aha. Der Renner sind Simpsons-Plüschfiguren. Homer und Bart fürs Regal. Beim Dosenwerfen kosten drei Wurf zwei Euro. Teuer. Das letzte klassische Fahrgeschäft heißt „New York Höllentaxi” und klack-klackert wie eine U-Bahn. Nenas „99 Luftballons” dröhnen aus dem Lautsprecher. Hast Du etwas Zeit für mich, dann schreibe ich einen Text für Dich! Der Kirmes-Biergarten wirbt mit Altbierbowle, Berliner Weiße und Weißbier.

Ich zweifle, kämpfe, will zuschlagen – und doch kann mich keine Versuchung besiegen. Gemütlich schlendere ich zurück zur Redaktion, vorbei an Wiener Mandeln und frisch gehackten Kokosnüssen. Mir fallen viele Sachen ein, die fehlen, von der Achterbahn bis zum Riesenrad, dem Kirmesboxen und dem Kamelrennen. Erfahrene Cranger könnten die Liste wahllos ergänzen.

Sammeln. Und telefonieren. So richtig unumstritten ist die Herbstkirmes bei aller Tradition nicht. Die Einzelhändler der Altstadt sind strikt dagegen. Erzählen, dass der Umsatz sinkt, dass die Herbstkirmes keinen Stellenwert mehr hat. Die Kirmesbesucher wünschen sich mehr Geräte, halten sie aber für „besser als nichts”. Der Organisator der Stadt betrachtet die Kirmes als Erfolg, die Schausteller sind mehrheitlich zufrieden. Einen alternativen Standort gibt es laut Organisator nicht.
Alle prallen aufeinander. Die Texte werden schön. Kirmes schreibt sich wie von allein.

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