6. Tag – Mit dem „Coast Starlight“ nach Seattle – 14. November 2018

Als ich aufwache geht gerade die Sonne auf in Oregon.

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Der Upper Klamath Lake in Oregon.

Der Upper Klamath Lake in Oregon.

Ich könnte ganze Seiten vollschreiben oder auch nicht. Ich könnte Euch vorschwärmen, wie schön das hier ist, oder einfach nur schweigen. Es passiert eigentlich nichts, da ich nur im Zug sitze, und doch sehr viel, weil ich die Faszination der ganzen Pazifikküste aufsaugen kann.

*

Geschlafen habe ich angesichts der schwierigen Bedingungen ganz ordentlich, nicht mehr, aber auch nicht weniger, danke der Nachfrage. Meine Film-Wahl fiel auf „Interstellar“, siehe Blog-Eintrag zum zweiten Tag, ich wollte nicht bis zum Rückflug warten.

Da bin ich aufgewacht.

Da bin ich aufgewacht.

Doch schon nach 25 Minuten war klar: Das wird nichts mehr – so wie mit dem 49ers/Giants-Spiel in Santa Barbara. Sofort rumdrehen, schlafen, um drei Uhr wachwerden, anziehen, Treppe runter, auf Toilette gehen, zurück, ausziehen, Schlafklamotten an, weiterratzen. Sehr kompliziert. Um kurz vor sechs war dann aber Schluss mit Schlaf – passend zum Sonnenaufgang um 6.15 Uhr.

Oregon Coast Range

Oregon Coast Range

Wir haben gerade Dunsmuir hinter uns gelassen, unseren letzte Haltepunkt in Kalifornien, und die Bundesgrenze zu Oregon überschritten. Es geht in die Trinity Mountains auf eine Höhe von 1000 bis 1500 Meter, einige Berggipfel am Horizont sind von Schnee überdeckt und mir wird bewusst: Ich fahre vom Sommer in den Spätherbst. Schnell krame ich aus dem Koffer meinen Hoodie hervor.

Beim Frühstück entscheide ich mich für das „Continental Breakfast“ mit Special-K-Cornflakes, einem großen Croissant, Kaffee, griechischem Joghurt und eine Schale mit frischem Obst. Ich muss aber regelmäßig aus dem Fenster sehen. Auf die Wälder, die Kühe am Wegesrand, auch mal einen bei einem früheren Waldbrand zerstörten Abhang.

Der Bahnhof von Portland, der Hauptstadt des Bundesstaates Oregon.

Der Bahnhof von Portland, Oregon.

In Klamath Falls, beim nächsten Halt, will ich mir kurz die Füße vertreten. Ganz theatralisch, um den Boden Oregons zu betreten und einen Bundesstaat-Punkt zu sammeln, aber auch, um endlich frische Luft zu schnappen. Frische, amerikanische Bergluft nach der Lungenzerstörung in Santa Monica. Ich steige aus und … und … kippe fast um. Alter! Kalt! Gerade einmal ein Grad sind’s hier, nach zwei Minuten steige ich wieder ein.

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Wie gestern bereits angedeutet, ist diese Fahrt herrlich geeignet, um mit Amerikanern ins Gespräch zu kommen. Vor allem beim Essen.

Beim Abendessen saß ich mit einem Familienvater und seinen beiden Kids an einem Tisch, die Legoland in San Diego besucht haben und nun nach Hause Richtung Portland, Oregon, düsen. Vorgestellt haben sie sich, die Namen habe ich mir aber nicht gemerkt. Shit. Auch er kam schnell aufs Thema Politik – europäische Armee, Merkel, Macron, Trump. Auch er: ein strammer Trump-Gegner. Hätte mich gern länger mit ihm unterhalten, doch nachdem die Kids ihren Teller mit Pasta beiseite geschoben hatten und anfangen wollten, den Tisch zu bemalen, zog er von dannen.

Zug Nr. 14!

Zug Nr. 14!

Wo sind denn hier die Trump-Wähler? Einen finde ich am Tag darauf beim Frühstück. Ich sitze einem Pärchen gegenüber, beide 79 Jahre alt. Schnell erfahre ich die Lebensgeschichte, sie wohnen fünf Stunden Autofahrt westlich von Eugene, Oregon, entfernt, im Bundesstaat Idaho. Fünf Stunden, das ist einmal Mülheim/Augsburg, nur hier völlig normal. In ihrem Kleinstädtchen, sagen sie, liegen zehn Zentimeter Schnee, sie zeigen mir Bilder.

Beide finden meine Geschichte ganz wunderbar, ein junger Mann, ein Deutscher, und dann noch im Zug! Gibt‘s ja gar nicht. Aber auch sie interessieren sich sehr für Politik – sage noch einer, die Amerikaner wollen nichts darüber hören oder wären nur oberflächlich.

Der Fahrplan!

Der Fahrplan!

„Wir sind da unterschiedlicher Meinung“, sagt Mary und zeigt auf ihren Mann Bob, der nicht mehr so gut hören kann. „Gut, er müsste häufiger seinen Mund halten und sich bei Twitter abmelden – aber er ist ein Macher! Er packt die Dinge an!“, sagt Bob und nickt zufrieden, während Mary den Kopf schüttelt. Bob hinterfragt nichts von dem, was Trump tut, getan hat – und ich fange damit auch nicht an.

Am Ende schenkt er mir eine sehr seltene Zwei-Dollar-Banknote. „Hüte die gut“, sagt Bob und verabschiedet sich. Ich stehe ebenfalls auf und treffe auf dem Rückweg zu meinem „Roomette“ das Pärchen von gestern, die ich nach dem Namen fragen wollte. Sie fragen mich, ob ich mit Ihnen frühstücken möchte.

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Was sind eigentlich die Highlights dieser Tour? Drei will ich nennen.

Da ist die Fahrt an der Pazifikküste entlang – etwa von Los Angeles drei Stunden bis San Luis Obispo. Und selbst, wer auf der „falschen“ Seite des Zuges sitzt – es gibt Panoramawagen, die Lounge oder das „Dining Car“, da ist immer was frei.

Da ist der Upper Klamath Lake, kurz hinter Klamath Falls in Oregon, der zum ersten Mal mit der kalifornischen Küste und später der Ödnis bricht.

Und da sind die Oregon Coast Range, eine Gebirgskette – nahezu ohne Straße, nur mit Schienen.

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Doch jetzt, 300 Kilometer vor Seattle, wird es zäh, öde, langweilig, bäh – bei den Mahlzeiten habe ich auch keine Lust mehr, irgendwen kennenzulernen. Allen geht das so. Ich will mich bewegen, laut iPhone waren es bisher 600 Schritte heute statt sonst 5.000 bis 7.000 am Tag – oder 25.000 wie in L.A.. Stattdessen schließe ich die Tür zu meinem Mini-Abteil, schließe die Vorhänge, nee, will jetzt keinen sehen.

Der erste Blick in Seattle!

Der erste Blick in Seattle!

31 Stunden auf vier Quadratmetern, kein TV-Gerät, extrem wackeliges Internet (im Oregon Coast Range mal drei Stunden gar keins, nicht einmal Netz), gleiches Essen, Buch schon gelesen – ich hab mir sogar doch noch „Interstellar“ angeschaut, der dauert ja knapp drei Stunden. Doch danach waren immer noch fünf Stunden zu fahren – einmal Mülheim / München bitte.

Ich will jetzt einfach nur noch raus.

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Jetzt sitze ich schon in meinem Hotelzimmer im „Belltown Inn“, benannt nach dem Stadtteil, in dem ich mich untergebracht habe. Um 19.25 Uhr erreichten wir den Hauptbahnhof Seattles, die „King Street Station“ – und das 31 Minuten ZU FRÜH! ZU FRÜH! Stellt Euch das mal vor; undenkbar in Deutschland…

Vom Bahnsteig konnte ich einen Blick auf das Stadion der Seahawks erhaschen, das „CenturyLink Field“, das ich morgen endlich von innen sehen werde. Entschädigt für die Langeweile der letzten Stunden im Zug!

Für 9,20 Dollar ging’s mit dem Taxi ins Hotel, ja, mit einem richtigen Taxi, sonst fährt hier jeder Uber. Aber Uber wäre nur zwei Dollar günstiger gewesen; und das gelbe Taxi stand schon da. Heute mache ich nichts mehr. Trinke einen Kaffee, schalte das TV-Gerät an.

Eine Mütze Schlaf, ganz ohne Geschaukel, ist bestimmt nicht die schlechteste Idee.

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