5. Tag – In Santa Barbara in den „Coast Starlight“ – 13. November 2018

Das war‘s dann also auch für mich mit dem Sommer. Diesmal endgültig, also endgültig endgültig – schon im September und Oktober hörte ich mich das oft sagen, bevor dann das nächste 25-Grad-Wochenende kam.

Deshalb stehe ich gerade um kurz nach 12 Uhr am kleinen Bahnhof von Santa Barbara und blinzle ein letztes Mal in unseren hellen Freund, setze die Sonnenbrille auf und ab und auf und ab, weil ich‘s kann und mich gerade keiner beobachtet (muss bescheuert aussehen).

Der Bahnhof von Santa Barbara!

Der Bahnhof von Santa Barbara!

Und ich warte auf den „Coast Starlight“, der mich 31 Stunden lang 1.800 Kilometer in den Nordwesten der USA nach Seattle bringen wird. Die Strecke soll zu den spektakulärsten weltweit gehören, wie fantastisch sie ist, habe ich gestern schon erahnen können – mal sehen.

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Geschlafen habe ich übrigens wie ein Baby. Vom 49ers/Giants-Spiel habe ich nicht besonders viel mitbekommen; mein schöner Gedanke, dass ich‘s mir auf dem Zimmer gemütlich mache und in Ruhe schaue, funktionierte nicht lang. Um kurz nach acht, Mitte des letzten Quarters, schlummerte ich beim Stand von 23:23 ein und wachte in voller Montur gegen 23 Uhr im Sessel auf. Zähne putzen, rüber ins Bett, sofort. Erst nach zehn Stunden Schlaf wachte ich auf, die Tage in Los Angeles waren offenbar doch anstrengender als ich vermutet hatte.

Aber das wollte ich eigentlich gar nicht schreiben: Den Vormittag nutzte ich zu ausgiebiger Kommunikation mit meiner großartigen Familie, einem sensationellen Buffet-Frühstück mit Blick auf den Hafen von Santa Barbara und ein bisschen, kleines bisschen Arbeitskram: Ich fragte bei den Kollegen die neuesten Infos ab (mein Los-Angeles-Text wurde groß in der Print-Ausgabe abgedruckt, siehe Bild gestern) und die Dienstplan-Wünsche für die kommende Woche (jetzt schon daran denken; bäh!) musste ich abgeben.

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Mist, ich hätte sie nach ihrem Namen fragen sollen.

Hab ich einen Hunger. Der Zug hatte knapp 40 Minuten Verspätung, warum soll es in den USA anders laufen als in Deutschland – aber das ist schon der einzige negative Punkt. Gebucht (besser: Mir gegönnt) habe ich eine „Roomette all inclusive“; ohne genau zu wissen, was sich dahinter verbirgt. Nun gut, „all inclusive“, das weiß ich schon.

„Morton Bay Fig Tree“ - seit 1867 in Santa Barbara.

„Moreton Bay Fig Tree“ – seit 1867 in Santa Barbara.

Ein Schaffner begrüßt mich mit Vornamen, ich bin offenbar der einzige Roomette-Buchende, der in Santa Barbara den Zug betritt, und führt mich im doppelstöckigen Waggon in die obere Etage. „Room seven, on the left“, gibt er mir mit auf den Weg – und DAS ist also meine Behausung für knapp 31 Stunden.

Kurz zusammengefasst: Es ist ein abschließbares Zwei-Mann-Abteil, vier Quadratmeter vielleicht, mit zwei gemütlichen Sitzen, ordentlich vielen elektrischen Anschlüssen und ausklappbarem Stockbett. Zwei Flaschen Wasser stehen bereit. Schon nach einer Minute werde ich zum Lunch, also zum Mittagessen, gebeten.

Als Alleinreisender ist es üblich, zu einem Pärchen, und die reisen hier meist, gesetzt zu werden. Schnell beginnt das Gespräch, so weit, so gewöhnlich. Die Beiden sind zwischen 60 und 70 und das Eis bricht schnell, da der Mann sich als Seahawks-Fan outet. Großgeworden sind sie auf Hawaii, haben sich dort kennengelernt. Nun haben sie Kinder, eine Tochter studiert in Seattle, und Enkelkinder, wohnen sechs Monate im Jahr in einem Haus in Mexiko und sechs Monate daheim in einem kleinen Kaff viereinhalb Autostunden westlich von Seattle. Deshalb nutzen sie den Zug oft, sehr oft. Kreuzfahrten lieben sie auch, haben halb Europa umrundet und sind sich sicher, dass Hamburg im Westen Deutschlands liegt. Nun ja.

Auch über Politik reden wir ausführlich, während wir einen Burger mit Cheddarkäse und einem Gartensalat mit Balsamico-Dressing verputzen – und es stellt sich heraus: Im Gepäck haben sie, wie sie verraten, Anti-Trump-Shirts für Weihnachten, alle in der Familie würden diesen Präsidenten verabscheuen. Gekauft in Mexiko. Nach den „Midterms“, so hoffen sie, beginnen die Demokraten ein Amtsenthebungs-Verfahren („Impeachment“). Für die Präsidentschaftswahl 2020 wünschen sie sich Joe Biden als Kandidat, das ist der ehemalige Vizepräsident unter Barack Obama. Wir bleiben noch lange sitzen, auch als die Speisen längst abgeräumt sind.

Santa Barbara - wie ein Nordsee-Badeort.

Santa Barbara – wie ein Nordsee-Badeort.

Mist, ich hätte nach ihrem Namen fragen sollen.

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Kurz hinter Salinas in Kalifornien verabschiedet sich die Sonne für heute, nach einigen wundervollen Kilometern am Pazifik entlang; wow, was für eine Strecke! Mittlerweile ist es halb neun, ich liege schon auf dem Stockbett und zugegeben, eine Luxusunterkunft ist das nicht gerade, im Liegen merke ich, dass es schaukelt wie ein Kreuzfahrtschiff auf dem Hochatlantik bei Windstärke sieben. Mit ein paar Beulen werde ich schon in Seattle aussteigen. Die Gemeinschaftsbäder für alle haben zudem Hostel-Charakter. Aber sind das Beschwerden? Come on, oh nein. Es bleibt ein wundervoller Trip mit dem Zug!

Noch höre ich nun Musik, alles von den Chili Peppers bis Kettcar – gleich knipse ich das Licht aus und schaue mir einen Film an. Mal sehen, was ich auf meinem iPad so finde. Fünf Tage sind nun rum, die Hälfte also.

An der Pazifikküste entlang!

An der Pazifikküste entlang!

Ich freue mich schon jetzt auf meine Familie. Morgen ist im Kindergarten der St. Martin-Umzug. Ohne mich. Es ist zum Heulen.

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Die Zugabe für alle Interessierten – diese 30 Haltepunkte gibt es auf der 2.200 Kilometer langen und 35 Stunden dauernden Tour von Los Angeles nach Seattle:

Meine Behausung für 31 Stunden.

Meine Behausung für 31 Stunden.

1. Los Angeles, Kalifornien – Abfahrt am 10.10 Uhr
2. Burbank / Bob Hope Airport, Kalifornien
3. Van Nuys, Kalifornien
4. Simi Valley, Kalifornien
5. Oxnard, Kalifornien
6. Santa Barbara, Kalifornien
7. San Luis Obispo, Kalifornien
8. Paso Robles, Kalifornien
9. Salinas, Kalifornien
10. San José, Kalifornien
11. Oakland, Kalifornien
12. Emeryville, Kalifornien – 30 Bus-Minuten von San Francisco entfernt
13. Martinez, Kalifornien
14. Davis, Kalifornien
15. Sacramento, Kalifornien
16. Chico, Kalifornien
17. Redding, Kalifornien
18. Dunsmuir, Kalifornien
19. Klamath Falls, Oregon
20. Chemult, Oregon
21. Eugene-Springfield, Oregon
22. Albany, Oregon
23. Salem, Oregon
24. Portland, Oregon
25. Vancouver, Washington – nicht das in Kanada!
26. Kelso-Longview, Washington
27. Centralia, Washington
28. Olympia-Lacey, Washington
29. Tacoma, Washington
30. Seattle, Washington – Ankunft um 19.56 Uhr des Folgetages

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