4. Tag – Von Los Angeles nach Santa Barbara – 12. November 2018

Das muss also das sein, was in der Alltagssprache „runterkommen“ heißt. Soso.

Abfahrt!

Abfahrt!

Ich sitze am Strand von Santa Barbara und kann gar nicht fassen, wie gut es mir geht. Jetzt, im Leben sowieso, mit meiner tollen Familie, überhaupt. Dieser Ort ist so schön wie ein niederländisches Nordseebad im Frühsommer, transferiert an die Westküste der USA in Kalifornien. Und wieder bade ich meine Füße im Pazifik, finde das nach wie vor sehr unwirklich, danach kicke ich aus dem weichen Sand ein paar kleine Steine und zerbrochene Muscheln in den Ozean. Die Sonne geht hinter den Palmen um 16.50 Uhr unter, ich knipse was das Zeug hält, und mein iPhone hält die schönste Musik bereit, die ich mir vorstellen. „Everlong“ von den Foo Fighters, das höre ich immer nur bei ganz besonderen Anlässen, „So far away“ von Staind ebenso. Und, und, und. Neverending wow.

In diesen Momenten fehlt mir meine kleine, wunderbare Familie ganz besonders.

*

WAZ-Printausgabe von Dienstag!

WAZ-Printausgabe von Dienstag!

Viele aus Deutschland bombardieren mich mit Fragen, inwieweit mich die Höllenfeuer von Kalifornien beschäftigen. Die Schlagzeilen in der Heimat bestimmt Thomas Gottschalk, dessen riesengroßes Anwesen in Malibu ja komplett abgebrannt ist (siehe vorgestern).

Ja, es beschäftigt mich schon deshalb, da es in Los Angeles Gesprächsthema Nummer eins war. Auf der Tribüne im Coliseum, in den Bahnen, bei Starbucks, in der Hotel-Lobby – wo auch immer. Auf allen Nachrichtensendern (und hier gibt es davon viele) geht es rund um die Uhr ums Feuer, die Zeitungen drucken auf den Titelseiten bedrückende Bilder.

Und in Santa Monica bekam ich es am Samstag ja hautnah mit. Viele Menschen mit Mundschutz, Rauchwolken wie bei 9/11 in New York, der Geruch von brennendem Holz – so schnell vergesse ich das nicht.

Und jetzt sitze ich nach einem ereignislosen Check-out-Vormittag in L.A.-Downtown seit 9.45 Uhr im Zug „Coast Starlight“, der mich 168 Kilometer Richtung Norden nach Santa Barbara bringen soll und halte auf unbestimmte Zeit bei Chatsworth. Die Durchsagen sind spärlich, und mein iPhone hat nur Horror-News für mich.

Am Strand von Santa Barbara.

Am Strand von Santa Barbara.

Chatsworth liegt knapp außerhalb von Los Angeles, neun Kilometer vor dem nächsten planmäßigen Zug-Halt „Simi Valley“. Und Twitter verrät, dass sich genau dort, in Simi Valley, am Highway 101 (und damit an den Gleisen) ein neues Feuer entzündet hat. Soeben.

Uff.

Ich gestehe, dass mir vor ein paar Minuten das Herz ganz schön in die Hose gerutscht ist. Und da ist es jetzt immer noch. Mir gehen so viele Gedanken durch den Kopf, während ich diesen Beitrag und noch mit meiner Frau schreibe: Neun Kilometer sind nicht weit und hier direkt an den Gleisen ist es auch verdammt bewaldet und trocken – was mache ich, wenn sich das Feuer ausbreitet? Schnell rennen in die kalifornische Prärie? Koffer und alles andere zurücklassen? Wie komme ich hier von Chatsworth im größten Notfall weg? Welche Telefonnummer hat der ADAC? Organisiert Amtrak (die amerikanische DB) Ersatzbusse? Aber über welche Straßen sollen die fahren, ist ja alles gesperrt!!? Hier gibt es keine Hotels, wer weiß, ob hier jemand schon einmal Airbnb gehört hat. In L.A. habe ich ebenfalls kein Zimmer mehr – und ich muss doch Mittwochabend in Seattle sein. Da geht am Samstag mein Rückflug! Wie komme ich dorthin, wenn die Zugstrecke gesperrt sein sollte? Mietwagen? Sind alle weg, wenn Chatsworth evakuiert werden muss! Zug auch nicht; ich checke eilig den Flugplan – Einzelflug nach Seattle 300 Dollar. Bravo. Ich müsste aber erst zurück nach L.A. kommen. Was passiert bei einer Massenpanik im Zug? Ich mustere die Mitreisenden in meinem Waggon! Ach fuck, alles scheiße.

Sonnenuntergang in Santa Barbara!

Sonnenuntergang in Santa Barbara!

Ruhig bleiben und hoffen. Die übrigen Fahrgäste stellen die Lehne des Sitzes nach hinten und ratzen ne Runde. Die haben alle etwas mehr die Ruhe weg als ich.

*

Nach zwei Stunden und 15 Minuten Stillstand kam gerade die wichtigste Nachricht des Tages: Es geht weiter. Langsam, aber es geht weiter. Der Brand ist unter Kontrolle, der Highway wieder freigegeben. Wir tuckern im Schritttempo durch den Santa Susana Tunnel, als wir diesen verlassen, sehen wir die Rauchschwaden, die Hubschrauber, die Feuerwehr-Autos. Eine Katastrophe direkt vor unseren Augen.

Die restliche Fahrt bis Santa Barbara entschädigt dann für diesen Schock, macht ihn fast vergessen. Es ist atemberaubend. Warum kennt diesen Zug in Deutschland niemand??? Weite Teile der Strecke führen direkt am Strand entlang. Ozean, Strand, Gleis. Herrlich. Die Sonne steht am blauen Himmel, überraschend wenig Badegäste tummeln sich im Sand – hier kann ich nichts lesen, schreiben, hören; ich muss hinaus schauen. Immer und immer und immer.

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26 Grad, schrieb ich das schon?

26 Grad, schrieb ich das schon?

Es ist Abend geworden, 18.45, 19 Uhr, irgendwas um den Dreh. Nach meinem Aufenthalt am Strand sitze ich in einem dänischen (!) Café-Restaurant auf der „State Street“, das ist die Haupt-Einkaufsstraße in diesem 90.000-Einwohner-Strandbad, habe iPad und Reiseführer aufgeklappt. Es sind noch angenehm spätsommerliche 21 Grad, und das am 12. November. Ich blättere ein wenig in dem Buch, das ich mitgenommen habe, und erfahre, dass Santa Barbara die teuersten Immobilienpreise der USA hat; Durchschnittspreis 1,13 Millionen Dollar. Kein Wunder. Die Touristen, die vorbeischlendern, sehen ebenfalls deutlich betuchter aus als die in Hollywood und Venice, sind eher mittelaltrig. Niemand will hier CDs an den Touristen bringen. Die Preise in den Restaurants können sich sehen lassen. Punk ist hier wenig, naja, Lagwagon kommen immerhin hierher.

Aber im Stadtkern ist es ebenfalls einfach nur niedlich. Nach einem Brand im 19. Jahrhundert wurde die Stadt im spanischen Missionsstil neu aufgebaut, Ufer und Straßen prägen Palmen – und selbst die Straßenschilder wirken künstlerisch wertvoll.

Ham & Cheese Strudel. Nun ja.

Ham & Cheese Strudel. Nun ja.

Ich bestelle „Ham & Cheese Strudel“ für 8,95 Dollar – und bin äußerst gespannt, was sich dahinter verbirgt. „Ist sehr süß“, sagt eine von oben bis unten tätowierte Bedienung, die so gar nicht in dieses Stadtbild passen mag. Und, liebe Freunde, DAS war wirklich seltsam, aber doch lecker. Normaler Strudelteig mit Marzipan-Note, aber dann Cheddar-Käse und Schinken eingebacken. Wow.

Jetzt werde ich mich ganz langsam auf den Weg zurück zum Hotel machen, um dann das Monday Night Game der NFL zwischen den San Francisco 49ers und den New York Giants zu schauen – sportlich so wertvoll wie VfB Stuttgart gegen Hannover 96 in der Bundesliga. Egal, gucken werde ich es trotzdem, ist ja ein NFL-Trip. In Deutschland beginnen die Montagsspiele immer um 2.15 Uhr, „unschaubar“ quasi. Hier in Kalifornien ist das 17.15 Uhr.

Gute Nacht!

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