Super Bowl 52 in Minneapolis – 4. Tag – 31. Januar

Roger Goodell ist ein aalglatter Kerl. Im Fernsehen mache ich eine gute Figur. Facebook-Videos mit Icke sind super. Auch beim Super Bowl gibt es eine Fanmeile. Die Super-Bowl-Experience ist surreal. Das US Bank Stadium erschlägt jeden. Minneapolis ist für amerikanische Großstadt-Verhältnisse schnuckelig klein.

Das sind eigentlich Erkenntnisse für fünf Tage. Bei mir für einen.

Wenn Schnee nur so transportiert werden kann.

Neuschnee und ein Laster…

Klingeling, Wecker 7 Uhr. So wie immer hier. Nur: Hier macht mir das bisher kaum etwas aus! Ich weiß zwar, dass auch der folgende Tag wieder 12 bis 15 Stunden haben würde – aber hey: Super-Bowl-Woche, wahrscheinlich mache ich das nur einmal in meinem Berufsleben! Der einzige Luxus, den ich mir in meinem King-Size-Doppelbett gönnte: Heute setzte ich mich morgens nicht an den Schreibtisch, ich blieb im Bett. Mit iPad auf dem Schoß.

Heute hatten nicht die NRW-Zeitungstitel mein Textangebot bestellt, auch nicht Braunschweig, meinen Tom Brady/Nick Foles-Vergleich wollten die Funke-Kollegen aus Hamburg haben – NRW und Braunschweig nahmen den Text für Online. Dann auch die Themenwünsche für die kommenden Tage entgegennehmen, auf die Uhr schauen: Oh, schon 10 Uhr. Schnell duschen, frühstücken und los.

Andi im Fernsehen!

Andi im Fernsehen!

Auf meinem Terminkalender stand heute ganz oben: Pressekonferenz mit NFL-Boss Roger Goodell um 13 Uhr im Hilton Downtown Minneapolis. Der ist – um es mit der DFL zu vergleichen – so mächtig wie Rauball und Seifert zusammen. Der Chef spricht: Wieder so eine Super-Bowl-Tradition, die sich niemand entgehen lassen sollte. Zum zweiten Mal nach der Opening Night würde ich meinen kleinen Kosmos rund um die Mall of America verlassen und endlich Minneapolis selbst kennenlernen. Ich stapfte gegen 11.15 Uhr durch fünf Zentimeter Neuschnee, der mit Lastern weggefahren werden musste, genoss die Wintersonne und bemerkte: So kalt ist das gar nicht heute. Noch nie habe ich mich über minus zwei Grad so gefreut. Und doch war meine Schuhwahl falsch: Ich hatte mir fest vorgenommen, die festen Schuhe anzuziehen, aber ganz automatisch waren‘s dann doch wieder die Chucks. Hilfe.

Fanmeile! Eisskulptur!

Fanmeile! Eisskulptur!

Ich stieg vor der Mall in den Shuttlebus, dank meines Orientierungs-Spaziergangs am zweiten Tag kenne ich mich ja aus, schob mir die AirPods in die Ohren, lauschte feinster Musik, schaute aus dem Fenster auf verschneite Felder, weiße Dächer und die von der Sonne angestrahlte, niedliche Skyline von Minneapolis – eine Stadt, die kaum größer ist als Bochum. Um kurz nach zwölf erreichten wir das Hilton-Hotel der Stadt, nach diversen Securitychecks ging’s in der zweiten Etage in den „Ballroom“. Das ist ein riesengroßer Saal, hier könnte ich ganz Mülheim-Broich bei einer Geburtstagsfeier unterbringen. Noch 55 Minuten blieben bis zum Auftritt von Roger Goodell und damit genug Zeit, mich in die Biografie des NFL-Commissioners zu vertiefen. Doch schon nach knapp zehn Minuten trafen sich wieder alle deutschen Kollegen. Tobi, der unter anderem für die WZ unterwegs ist, Freelancer Patrick aus Schwerte, Stephan vom Huddle – und natürlich wieder die Pro7-Jungs. Icke Dommisch kam extra zu mir und sagte: „Du bist drin. 19.45 Uhr, Pro7Maxx.“ Schnell zückte ich mein iPhone und schrieb meiner Frau: Dein Mann kommt ins Fernsehen! Ein Entweder-oder-Facebook-Video mit Icke stand noch auf meiner Wunschliste – er sagte zu, zufrieden spazierte ich zur im Hilton-Ballroom ausgestellten Vince Lombardi Trophy für den Super-Bowl-Sieger, trank einen Becher Sodawasser, setzte mich wieder hin.

Das US Bank Stadium!

Das US Bank Stadium!

Um punkt 13 Uhr kam Goodell, um punkt 13.30 Uhr verschwand er wieder. Wie alles in dieser Woche war auch diese Veranstaltung 50 Prozent Event und nur 50 Prozent Sport. Icke und Coach Esume wedelten die ganze Zeit mit ihrem Arm, wollten auf sich aufmerksam machen, eine Frage stellen – unmöglich kann das jemand übersehen haben; Fragen von europäischen Reportern waren aber nicht vorgesehen. Drei mexikanische Journalisten durften Fragen zum Mexiko-Game stellen, der Rest kam von US-Reportern, darunter zwei Kids. Vieles davon wirkte „skripted“, wie der Coach nachher anmerkte. Goodell redete viel, antwortete auf alles so ausführlich wie nur möglich – nur wenn es kritisch wurde, blieb er plötzlich einsilbig. Ob er mit Präsident Trump über dessen unmöglichen Spruch „You‘re fired“ nach den Anti-Rassismus-Protesten gesprochen habe, wollte ein Kollege wissen. „No!“ Ende. Was er dazu sagen würde, dass Protest-Initiator Colin Kaepernick keinen Verein gefunden habe. „Die Liga hat nichts damit zu tun, wie die Vereine ihren Kader zusammenstellen.“ Nichts hören, nichts lesen, nicht sehen.

Super-Bowl-Experience!

Super-Bowl-Experience!

Meine gute Laune konnte auch Goodell nicht versauen. Noch während der PK hatte ich etliche Screenshots von der Pro7Maxx-Sendung bekommen. Nach der Pressekonferenz setzte ich mich mit Icke zusammen, das Facebook-Video ist echt okay geworden (zum Video geht es hier), danach plauderten wir eine Weile weiter. Um 14.25 Uhr trennten sich die Wege der deutschen Reporter. Einige verzogen sich mit Shuttlebussen oder Mietwagen zum Mediennachmittag der Patriots in die Mall weiter – diesmal verzichtete ich; die Patriots habe ich schon zweimal gesehen.

Für eine Reportage hatte ich mir an diesem Nachmittag Minneapolis Downtown vorgenommen. Einmal das US Bank Stadium von außen betrachten, einmal die Fanmeile entlangflanieren, einmal im Convention Center die Super Bowl Experience besuchen.

Häuserschlucht!

Häuserschlucht!

Insgesamt lief ich an diesem Nachmittag 13.000 Schritte, das sagte mit die „Health“-App. Und davon die Hälfte mit Tobi, der hier bei Freunden untergebracht ist. Mein erster Eindruck von der City neben der amerikatypischen Hochhäusern waren die Verbindungsbrücken dazwischen. Ganz Minneapolis ist durchzogen von sogenannten Skywalks – das heißt: Es gibt einen Bürgersteig draußen und einen drinnen. Im Winter ist das sehr praktisch. Da in Minnesota im Januar aber minus zwei Grad bereits Hochsommer bedeuten, blieben wir draußen, unterhielten uns mit Amerikanern, schauten uns die an der Fanmeile stehenden Eisskulpturen an. Dabei begegneten wir den Sky-Reportern. Ein Zufall. Ja, es gibt auch beim Super Bowl eine Fanmeile, angeschaut haben sich die Amerikaner das in, tataaa, Deutschland.  Leider hatten die Buden noch geschlossen.

Wir nutzten deshalb die Zeit und spazierten zum US Bank Stadium. Die Vorbereitungen auf das große Spiel am Sonntag laufen längst, keiner, der nicht dreifach gefilzt wurde und eine große Wumme trägt, darf noch rein. Die Straßen um das Stadion sind längst abgesperrt, von Freitag bis Sonntag darf keine einzige Straßenbahn vorbeifahren.

Nach 30 Minuten Fußmarsch vom Hilton via Fanmeile zum Stadion stieg meine Vorfreude – und WOW! Was für ein Teil! 875 Millionen Euro hat das Stadion gekostet, ist das modernste der Welt und hat eine spannende Architektur. Das Dach ist geschlossen, doch damit war die Bevölkerung Minnesotas nicht einverstanden. Der ausgehandelte Kompromiss: Überdachung ja, aber eine Seite des Stadions ist eine riesengroße Glasfassade. Stellen wir uns mal kurz an der Veltins-Arena vor…

Gouvernment Plaza.

Gouvernment Plaza.

Gesehen, fotografiert – und dann ging‘s den gleichen Fußweg vom Stadion zurück in die nahe Stadt. Wir verdrückten zwischendurch ein Sandwich, und um vier öffneten endlich die Buden. Ja, auch die Amerikaner können Fanmeile! Eine Straße in der Innenstadt ist extra abgesperrt und im Drei-Meter-Takt können Fans, Einheimische und Touristen teure NFL-Utensilien kaufen, essen und trinken. Sogar eine große Bühne steht auf einem großen Platz, irgendwann in den kommenden Tagen kommen Soul Asylum.

Wir liefen an der 5. Straße los. Mein Ziel: die 12. Straße. An der zehnten hatte Tobi keine Lust mehr und verabschiedete sich zur Bahn. Ich zog das volle Programm aber durch. Das Motto hieß: Bekloppte Menschen in der noch viel bekloppteren Super Bowl Experience beobachten. Die Experience, das zur Erklärung, ist so etwas wie das Dortmunder Fußballmuseum des DFB. Nur dass sie eben nicht an 365 Tagen pro Jahr angeschaut werden kann, sondern nur eine Woche – in der Super-Bowl-Woche natürlich. Zudem ist sie viel sportlicher.

In Minneapolis ist die Experience im Convention Center untergebracht, das ist ein Komplex mit vier Etagen, der einem Messegelände ähnelt. Auf allen Etagen gibt es große Hallen – und oh ja, glaubt mir, die NFL weiß die Fläche komplett zu nutzen. Überall können die Fans selbst ein Kicker sein, als Runningback Stoff-Gegenspieler umflexen, als Quarterback Pässe über 30 Yards werfen, an vielen Konsolen daddeln. Gedacht ist dies vor allem für Kinder, aber auch Erwachsene fühlen sich wohl. Die Schlangen sind so lang wie vor den Achterbahnen in Disney World.

In den ruhigeren Ecken wird an Schautafeln die Geschichte des Sports erklärt, Super-Bowl-Ringe aus allen 51 Jahren sind ausgestellt, ein Spieler aus jedem NFL-Team hat eine Original-Kluft zur Verfügung gestellt, die in einem „Locker Room“ (Kabine) genannten Bereich angeschaut werden kann; von meinen Seahawks Quarterback Russell Wilson. Die Hersteller-Firma zeigt in einer Ecke, wie die Bälle hergestellt werden. Natürlich können die direkt käuflich erworben werden – und das kostet dann weit über 100 Dollar. Zu sehen sind nicht nur Patriots- oder Eagles-Fans, auch Anhänger fast aller anderen Vereine sind nach Minneapolis gereist. Eine Familie mit zwei Kindern, die sich im riesengroßen „Food Court“ kulinarisch versorgt, den üppigen Eintritt (35 Dollar für Erwachsene, 25 für Kinder) bezahlt und sich pro Person ein Souvenir kauft, ist locker 300 bis 500 Dollar los. Bunte NFL-Welt.

Um 17.45 Uhr schaute ich auf mein iPhone, allmählich wurden meine Beine müde. Ich setzte mich kurz an die „Charging“-Station mit 20 Steckdosen für aufzuladende Smartphones (tolle Erfindung) und lud mein iPhone für die lange Rückfahrt.

In der Dunkelheit spazierte ich dann sieben Häuserblocks quer durch die Innenstadt bis zur „Gouvernment Plaza“ an der 5. Straße zurück. Dort hält die blaue Linie der Straßenbahn, vor ein paar Jahren eröffnet, die Downtown in 40 Minuten mit dem Stadion, dem Flughafen und der „Mall of America“ verbindet. Ich genoss jeden Schritt durch die Hochhaus-Schlucht der Stadt, jede Minute der Fahrt – und das mit feinster Musik im Ohr, wie schon am Vormittag.

Um 18.55 Uhr hielt ich schließlich wieder in der Mall, endlich mal wieder Tram mit der einheimischen Bevölkerung und nicht ein überklimatisierter Shuttlebus mit Kollegen. Mit einem unspektakulären Take-away-Snack beendete ich den Tag außerhalb des Hotels, da ich beim Blick aus dem Fenster einsetzenden Schnee bemerkt hatte. Morgen soll es hier eiskalt werden, das sagt der Wetterbericht, das sagen die Einheimischen – in den Beginn des Schneesturms will ich da nicht geraten.

Und so schlitterte ich zurück zum Hotel – wo jetzt der Arbeitstag weitergeht. Der Blog muss weitergeführt werden, eine Reportage, die morgen um 9.30, 10 Uhr in Deutschland sein muss, will ich beginnen – und viele Minuten Interviews muss ich noch transkribieren. Damit fange ich aber nur an und mache es, soweit meine Konzentration es zulässt.

Um 22 Uhr, das habe ich mir fest vorgenommen, ist Schluss. Der vierte 15-Stunden-Tag hier, wieder ein denkwürdiger. Und noch immer gilt: Das ist der angenehmste Stress meines Berufslebens.

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