Super Bowl 52 in Minneapolis – 5. Tag – 1. Februar

Ja, gestern Abend, als ich friedlich einschlummerte, hatte ich die Hoffnung, am Donnerstag etwas durchatmen zu können.

Pustekuchen.

Wieder klingelte mein Wecker um 6.45 Uhr. Wobei „Wecker“ die falsche Antwort ist. Ja, und jetzt kommt ein Geständnis, ich nutze die App „Sleep Cycle“, die mich nicht nur im richtigen Moment zu wecken versucht, sondern mir auch sagt, wie gut mein Schlaf war. Beim Blick aufs iPhone sehe ich: 76 Prozent. Das klingt gut.

Wirklich: Das ist Justin Timberlake.

Wirklich: Das ist Justin Timberlake.

Wenn ich dann die App geschlossen habe, öffne ich sofort WhatsApp. Und da ist dann in diesen Tagen viel mehr los als üblich. In Deutschland haben die Redaktionen dann längst getagt, sie warten gegen 13.45 Uhr darauf, dass der faule Hund da drüben in Amerika endlich aufsteht und die Wünsche umsetzt. Anforderungen diesmal: Eine 4700-Zeichen-Reportage über den „Wahnsinn American Football“ für die NRW-Ausgaben der Funke Mediengruppe – und eine 2800-Zeichen-Version für die Thüringer Zeitungen. Puh, eine so lange Reportage – so etwas schreibe ich nicht oft, und dann auch noch am frühen Morgen ohne Kaffee und Cornflakes. Eine Herausforderung.

Drüben bei Facebook: Coach Esume im Gespräch.

Drüben bei Facebook: Coach Esume im Gespräch.

Erst drei Stunden und Dutzende WhatsApps später um 9.45 Uhr konnte ich vermelden: Fertig, ich schicke den Text. Die Antworten gefiel mir: In NRW hatten die Kollegen rund um meine Reportage eine ganze Seite mit vielen Bildern gebaut (siehe unten im Bild). Zudem waren alle Kollegen mit der Qualität des Textes zufrieden – gut so. Topfit öffnete ich die Gardinen meines Hotelzimmers und erschrak: Hurra, wieder Neuschnee. Die dritte App, die ich an diesem Morgen öffnete, war deshalb die Wetter-App. Minus 18 Grad. Fast schon Hochsommer, angesagt waren minus 20. Ich ging schnell unter die wüstenhaft heiße Dusche, bestellte mir fast schon traditionell im Hotel-Bistro das „All American“-Frühstück und öffnete die vierte App – „NFL Comm“ heißt die. Die ist extra für die Super-Bowl-Journalisten und zeigt alle Termine des Tages, inklusive kurzfristiger Änderungen und Infos zu den Abfahrtszeiten der Shuttlebusse.

Meine große Super-Bowl-WAZ-Seite.

Meine Super-Bowl-WAZ-Seite.

Heute hatte ich mich für die Halftime-Show-Pressekonferenz entschieden, die im Hilton-Hotel in Minneapolis um 12.15 Uhr beginnen sollte. Um 10.50 Uhr sprang ich beim Frühstück auf, sprintete schnell zur Bushaltestelle, und um 11 Uhr ging‘s auf die halbstündige Fahrt. Ich hörte „Radio brennt“ von den Ärzten als Dauerschleife, keine Ahnung warum, fand den Weg in den „Ballroom“ im Hilton wie im Schlaf. Für die Facebook-Seiten der WAZ und von RevierSport nahm ich noch schnell ein zweiminütiges „Entweder / Oder“ mit Coach Esume auf – und um 12.15 Uhr begann die skurrilste, absurdeste Pressekonferenz meines Berufslebens.

Reportage in Thüringen!

Reportage in Thüringen!

Unter großem Gejohle betrat Justin Timberlake persönlich die Bühne. Der Saal war komplett voll – viel voller als am Tag zuvor bei NFL-Boss Roger Goodell. Viele Frauen hatten sich, und das ist kein Klischee, viel zu schick gemacht. Nahezu jede Antwort des zweifelsohne eloquenten Timberlake wurde mit Applaus bedacht. Der erste Fragensteller bat die Menge darum, „Happy birthday“ für Timberlake zu singen (der Geburtstag war gestern), die (natürlich) zufällig in der Menge weilende „Miss America“ durfte eine massiv belanglose Frage stellen, natürlich auch wieder Kinderreporter der US-Sportsender. Die Jungs von Sky Deutschland, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, Timberlake irgendwie eine Frage zu stellen, kamen nicht durch. „Das ist doch eine Farce! Alles gescripted!“, schimpften die Jungs zurecht. Das hatten gestern schon die Pro7-Jungs bei der Goodell-PK gesagt. Pressekonferenzen mit den richtig wichtigen Leuten sind in den USA kein Spaß. Da wird ausgesiebt. Mitarbeiter aus dem jeweiligen Pressestab hören sich an, wer was fragen möchte und wählen dann aus, wer wirklich was fragen darf.

Patriots-Coach Bill Belichick

Patriots-Coach Bill Belichick

Auch Timberlake verschwand nach genau 30 Minuten von der Bühne, ich verzog mich ebenfalls wieder von der zweiten Etage des Hotels ins Erdgeschoss, um im Shuttlebus zurück ins Medienzentrum zu fahren. Nach fünfmal „Radio brennt“ kehrte ich gegen 14.05 Uhr wieder zur „Mall of America“ zurück. Ich verdrückte in einer halben Stunde in irgendeinem Nudelladen „Spagetti with Meatballs and Parmesan“. Neun Dollar, Preis/Leistung okay. Das weitere Programm: hart. Ich hatte es gestern nicht mehr geschafft, insgesamt 30 Minuten Interviews zu transkribieren, dafür war ich zu müde.

Wieder da: Rob „Gronk“ Gronkowski.

Wieder da: Rob „Gronk“ Gronkowski.

Also suchte ich mir im Medienzentrum einen Sitzplatz – was deutlich schwieriger war als noch am Montag. Alle 6000 akkreditierten Journalisten scheinen inzwischen angereist zu sein. Und so hörte ich in einer lauten Menge ab und ab und ab. Zwischen 16 und 17 Uhr verfolgte ich noch vergnügt die letzte Pressekonferenz der New England Patriots vor dem Spiel. Zum vierten Mal in vier Tagen stellten sich Headcoach Bill Belichick, Quarterback Tom Brady und alle Spieler – und wieder erzählten sie das gleiche Zeug. Die meisten Kameras standen diesmal nicht bei Brady, sondern bei Tight End Rob Gronkowski. „Gronk“ meldete sich nach einer Gehirnerschütterung fit zurück, das ist in den USA eine Breaking News wert.

Als ich um 17 Uhr ins Medienzentrum zurückkehrte, waren immer noch zehn Minuten zu transkribieren – für Abwechslung sorgten zwischendurch der deutsche Kollege Patrick, Nachos mit Käsesoße, M&Ms mit „LII“-Aufdruck, zwei Dosen Pepsi und das in Dauerschleife auf Dutzenden Fernsehern laufende NFL Network. Ein spektakulär-unspektakulärer Nachmittag – viel Arbeit eben. Eigentlich hatte ich überlegt, mir am Abend das NBA-Spiel der Minnesota Timberwolves gegen die Milwaukee Bucks anzuschauen; aber: keine Chance. Zu kalt, zu weit weg, zu viel zu tun.

Immer noch eloquent: Tom Brady.

Immer noch eloquent: Tom Brady.

Als ich alle Interviews endlich zur Autorisierung nach Deutschland schicken konnte, war es 18.30 Uhr. Endlich konnte ich zur Entspannung ein wenig in den Facebook-Kommentaren lesen, Fotos sichten, am Blog weiterschreiben. Nach dem Abendessen – nach der Nacho-Party genügte mir diesmal ein Bäckerei-Croissant – ging‘s durch die Kälte zurück ins Hotel, auf dem Zimmer jedoch weiter: drei Texte müssen bis morgen, 11 Uhr, fertig sein. Und drei schaffe ich nicht am frühen Morgen, wenn mich „Sleep Cycle“ um 6.45 Uhr weckt.

Aber eins ist klar: Wenn morgen um 11 Uhr auf meine Nachfrage „Ist noch was?“ alle zufrieden mit „Nein!“ antworten, ja dann habe ich wirklich meinen ersten freien Nachmittag. Am sechsten Tag in den USA. Zwei Tage vor dem Super Bowl passiert im Medienzentrum und im Hilton nicht mehr viel. Es gibt keine Pressekonferenz mehr, die Teams stehen nicht mehr für Nachfragen bereit, Ruhe vor dem Sturm. Dann gehört die Zeit nur noch den anreisenden Fans. Auf der Fanmeile, in der Experience soll dann die Hölle los sein.

M&Ms in der Super-Bowl-Version.

M&Ms in der Super-Bowl-Version.

Werde ich das mal überprüfen? Hmm. Ich habe keine Ahnung, wie ich meine freie Zeit nutzen werde. Erst einmal werde ich mit Sandra und meiner Tochter skypen – die Hälfte meiner Dienstreise ist schon geschafft. Bald sind wir wieder vereint. Vielleicht gehe ich einfach nur ins Hotel-Schwimmbad, drehe ein paar Runden und schalte dann stumpf amerikanisches Fernsehen ein. Vielleicht laufe ich bei minus 15 Grad (Ansage für morgen) bis zum Mississippi, der durch die Stadt fließt. Vielleicht schaue ich mir die Zwillingsstadt St. Paul auch mal bei Tageslicht an, nachdem ich sie bisher nur nachts bei der Opening Night kennenlernen durfte.

Was auch immer ich tue: Ihr werdet es an dieser Stelle erfahren. Und jetzt: Gute Nacht Ruhrpott!

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