30. April 2006 – VfL-Mainz 05 2:6 – „Lehren und Leeren“

Der 30. April 2006 ist noch immer einer der schwärzesten Tage in meiner „Karriere“ als Fan des VfL Bochum. Der VfL verlor in einem unglaublichen Spiel 2:6 gegen Kloppos Mainzer – und nachher musste ich feststellen, dass mein geliebter „City-Grill“ am Bochumer Hauptbahnhof seine Pforten für immer schließen musste.

Diesen Tag vergesse ich nie.

Hier geht es zum Blog-Eintrag, den ich „Lehren und Leeren“ nannte und mit der Unterzeile „Sechs Stiche ins ohne schon stark blutende VfL-Herz – und den City-Grill gibts auch nicht mehr“ versah:

Lehre 1:

Es ist vorbei.

Lehre 2:

Nein, wir sind nicht heute abgestiegen. Es waren so viele Momente, die zu diesem Ereignis geführt haben. Eine schlechte Einkaufsbilanz, Aufstellungsfehler des Trainers, zu viele Abgänge vor der Saison, viel Pech mit falschen Schiedsrichterentscheidungen, viel Pech mit Pfosten- und Lattentreffern. Das alles führte zu dem „Fußball-Fatalismus“, den unser Trainer heute im WAZ-Interview beklagte. Und doch – mit einem Sieg heute wäre es knapp geworden, zu packen gewesen. Doch verloren haben wir wohl in München, in dem Moment, in dem van Duijnhoven seine Flossen nicht bei sich halten konnten und vom Platz flog. Mit einem Torwart im Kasten wäre das ganz anders gelaufen. Egal, die Lehre ist eine andere. Ich wiederhols nochmal: Abgestiegen sind wir nicht heute.

Leere 1:

Nach dem Abpfiff. Wir alle bleiben etwas länger als sonst. Sam, Gerd, der Rest; eigentlich, auch nach Siegen, gehen alle immer unmittelbar, nachdem sich die Mannschaft bedankt hat. Jetzt stehen wir alle noch in der Kurve, blicken auf die wild verteilten Konfetti und Zeitungsschnipsel. Und auf die gegenüberliegende Seite. Gut, sage ich mir, es sind ganz so viele Mainzer gekommen wie angekündigt. „Mit 6000 Mann fahren wir nach Bochum“, stand in diversen Internetforen, und zwischen 3000 und 4000 sind hier. Aber die sind prächtigst gelaunt. Die Mainzer Mannschaft, Trainer und Vorstandsmitglieder haben sich auf den Hosenboden gesetzt. „Gebt mir ein H!!“, und dann geht es los. „Humba-Humba-Tätärääää“, mit alle Mann. Es ist laut. Lupo klopft mir auf die Schulter, einer von den alten Haudegen aus irgendeinem Fanklub, ich glaub der aus Herne. Er sagt nichts. Er deutet nur auf den Boden. Auf die Verankerung für die Sitzplätze, eigens eingebaut für den UEFA-Cup. Leere.

Leere 2:

Geduldig stehe ich in der Schlange. „Wo? Voll! Schnell!“, steht in der SMS, die mir Gerd mitten an den Ticket-Service-Stand geschickt hat. Er scheint seinen Arsch schon in die Ostkurve bewegt zu haben. Zwei Spiele war er nicht da, sondern im Urlaub in Syrien; Damaskus beim letzten Mal, ich erinnere mich daran. Halt, erst muss ich mir noch Tickets für die Auswärtsspiele in Nürnberg und Hamburg holen. Muss doch dabei sein, wenn es bis zum letzten Spieltag spannend bleibt. Beim Herzschlagfinale, das es hundertprozentig geben wird. Vom Ticketservice ist der VIP-Eingang zu sehen. Und … stopp mal … ist das nicht … ist das nicht … Rolf Schafstall?? Yepp, samt Frau steht Bochums Trainerlegende am Aufzug Richtung VIP-Raum. Und angesichts seiner Lebensleistung bin ich kurz davor, vor Rolf Schafstall auf die Knie zu sinken, als ich zu einem Schalter gebeten werde. Ein Suffkopp will sich noch vordrängeln, aber die 50 Leute aus der Schlange protestieren lautstark. Noch 45 Minuten bis zum Anpfiff. Weiter in die Kurve. Gerd hat diesmal Anita mitgebracht, die auch ab und zu die Texte dieser Seite liest (*singmodus an* „Und es weeeeerden immer mehr, halleeeeelllluuujaaaaa“ *singmodus aus*), Sam seine Frau und … man, mir ist der Name schon wieder entfallen. Christina? Na jedenfalls mit zwei hübschen Frauen. Alle sind heiß. Alle Tipps enden irgendwie bei 3:1. „Drei müssen wir schießen, weil wir zwei reinkriegen, bei dem Torwart“, sage ich. Auf der Anzeigetafel ein Interview mit Vander. Oha, wenn uns die Rote für Rein vor einer Woche nicht zum Verhängnis wird. Unter den Klängen von AC/DCs „Thunderstruck“, das Gerd und Sam direkt umdichten wollen, läuft Vander ein. Mutmachendes „Vander“-Gebrülle, aber auch „Raus“-Rufe und einigen wenigen. Start. Tolle blau-weiße Chereographie. Hoffnung. Auer, 5. Minute, 0:1. Leere.

Lehre 3:

Wir Fans müssen massiv über uns selbst nachdenken. Diese Saison hat tiefe Risse hinterlassen. Pro Neururer, contra Neururer. Pro Ultras, contra Ultras. Nach dem Abstieg wird sich alles normalisieren, und nur noch die 10.000 wirklich Treuen kommen Heimspiel für Heimspiel. Vorteil? Nachteil? Es ist typisch VfL! Darum lieben wir den Verein doch so sehr… wenn alle denken: Jetzt haben wir’s geschafft, jetzt sind wir unten raus, keine „graue Maus“ mehr, UEFA-Cup, wir werden Stammgast, wenn alle sagen „Wir halten uns über Jahre oben“ – dann steigen wir halt wieder ab! Rummsssss… rein ins Gesicht, rein in die Fresse mit dem Schock.

Leere 3:

Das Spiel ist gut, intensiv. Unsere Jungs sind nach dem 0:1 kurz geschockt, bis zur 20. Minute. Dann geht’s. Kämpferisch, fleißig, aggressiv, angetrieben von Wosz. Edu, 21. Minute, Innenpfosten nach Wetklo-Parade. Mainz-Trainer Klopp hüpft an der Seitenlinie pausenlos auf und ab, rennt rauf und runter. Kein Weltklasse-Spiel, aber ein hochinteressantes. Minute 27: Misimovic auf Preuß. Preuß auf Lokvenc – Toooooooooooooooooor!!!!! 1:1!!!! Gladbach führt längst, aber JAAAA, wir sind wieder da. Weiter. Es hagelt Gelbe Karten. Pause. Stationettes. Rumgetanze. Noch 45 Minuten Zeit für ein beschissenes Tor. Zweite Halbzeit beginnt, auf die eigene Kurve. Edu über links, den kriegen die Mainzer gar nicht zu packen. Freistoßflanke, ein Mainzer testet per Kopf den eigenen Schnapper; Wetklo hält. Pech. Es geht hin und her. Keinen hält’s mehr hinten. Auch nicht Knavs. Ein Abwehrspieler vorn, Minute 61. Er vertändelt…. hiiiillllfeeee… Schockzustand… alle schweigen… alle wissen, was kommt… ein Riiiiiesenkonter… Thurk-Kopfball; der zweite Mainzer Schuss auf das Bochumer Tor… 2:1. Wieder Rückstand. Mund steht offen. Gedanken sind? Leer!

Lehre 4:

Das Gerüst für die Zweitligamannschaft steht schon. Van Duijnhoven, Wosz, Colding und Drsek werden die Köpfe der Mannschaft sein. Trainer bleibt Neururer, das hat der Vorstand festgelegt. Fehlt das Drumherum. Wen behalten? Auf jeden Fall Edu. Der wird – das sage ich blind, ohne Gegner und Mitspieler zu kennen – Torschützenkönig. Trojan, Diabang, Misimovic, Grote – junge, gute Leute. Meichelbeck wäre wichtig für die Fans und die Abwehr. Und von den Neuen, die vor der Saison kamen? Lokvenc und Knavs werden gehen, Preuß nach Frankfurt. Madsen? Tschüss! Vander? Tschüss! Bönig? Tschüss! Bechmann, Zdebel, Tapalovic – Wackelkandidaten. Wahrscheinlich werden die mit Bemben wieder verlängern. Ein typischer Zweitliga-Füllspieler, der nix kaputt macht, aber auch keine Bäume ausreißt. Einen Innenverteidiger, einen Linksverteidiger, einen Ersatztorwart. einen Knallerstürmer und so’n paar Ergänzungsspieler brauchen wir noch. Wir werden eine Mannschaft haben, die sofort wieder aufsteigen kann. Noch so eine Lehre.

Leere 4:

Die letzten Minuten, nur ein kurzer Wahn, möchte ich wie vor einer Woche wieder bei Westernhagens „Giselher“ klauen. Es ist die bitterste, höchste, blödeste, ach was weiß, schlimmste Heimniederlage in meiner 15-jährigen VfL-Karriere. Neururer wechselt zweimal, setzt alles auf eine Karte. „Entweder wir gewinnen noch oder wir kriegen fünf Stück“, sage ich zu Sam. 66. Minute, Konter, Gerber, 3:1. Das war’s. Die ersten gehen, die ersten brüllen „Vander raus!“, obwohl der gar nichts dafür kann. Okay, er hat keinen Ball gehalten und der Rein ist eben ein anderer Rückhalt. Aber wer ist vom Platz geflogen? Vander oder Rein? Dann wird’s bitter. Da Silvas Freistoß geht direkt rein.

Riesentorwartfehler. „Vander RAUS!“ wird lauter. Weigelt flankt harmlos, Vander total nervös, lässt ihn durchrutschen. 5:1. Dann noch Casey. 6:1. Fünf Gegentore in 22 Minuten. „Vander RAUS!“ Wetklo hält einen Ball. „Siehst Du Vander, so wird das gemacht!“ „Niiiie mehr erste Liiiiiga!“ „Zuuuuuuugabe!“ Das blanke Entsetzen. Fühle mich wie bei einem Black-Out. Mit allem war zu rechnen. Damit nicht. Gladbach gewinnt. In meinem Portmonee liegen die Auswärtskarten. Will sie bei ebay verticken. Aber wozu? Kauft eh keiner mehr. Zweite Liga, Bochum ist dabei. Bechmann zum 2:6. Abpfiff, Pfiffe. Nur ein paar Spieler kommen. Colding. Meichelbeck. Wosz. Die drei kriegen Sprechchöre. Drei für das nächste Jahr. Die Buhmänner verziehen sich schnell in die Kabine.

Wir stehen länger in der Kurve als sonst. Ich verschwinde als erster. Um mir ne Currywurst reinzuziehen. Ich verlasse die überfüllte U-Bahn, in der keiner auch nur einen Mucks von sich gab, und suche meinen City-Grill. Doch vorbei. Es gibt ihn nicht mehr. Das Gebäude ist ausgehöhlt, steht kurz vor dem Abriss. 15 Jahre lang war diese Bude mein treuester Begleiter. Jetzt nicht mehr. Aus. Schluss. Finito.

Ich halte an der Baustelle einen Moment inne. Fast kommen mir die Tränen.

Die letzte Leere für heute.

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