23. Mai 2009 – Köln-Bochum 1:1 – „… und alle Fragen offen“

An diesen Tag werde ich mich mein Leben lang erinnern. Wann immer mich meine Nichte Lara fragen sollte, wann ich erfahren habe, dass es sie „gibt“, werde ich sagen: Rhein-Energie-Stadion, 1. FC Köln gegen VfL Bochum, langweiliges 1:1. Aber auf der Sitzplatztribüne erfuhr ich von meinem Bruder die sensationelle Neuigkeit. Was noch zu sagen wäre: Dieses Spiel war das letzte von Christoph Daum als Trainer des Effzeh.

Hier geht es zum Blog-Eintrag, den ich „… und alle Fragen offen“ und mit der Dachzeile „Mit einem komplett lustlosen Aufritt endet diese miese Saison. Im Gedächtnis verbleiben fast ausschließlich negative Ereignisse“ ausstattete.

Wisst Ihr, eigentlich ist es nie leicht, eine Saison zu beenden. Abzuschließen, den Deckel draufzumachen, einen Strich drunter zu ziehen, vielleicht fallen Euch noch weitere Sprichwörter, Metaphern, Phrasen etc. ein, die im meist unerträglichen DSF-„Doppelpass“ drei Euro kosten würden. Doch diesmal klatsche ich um 17.18 Uhr an diesem wundervollen Samstagmittag in die Hände, applaudiere meiner Mannschaft, die auf zweifelhafte Weise in Köln einen Punkt ergaunert hat, schaue meinen Bruder an, die neben mir steht, und sage einfach nur: „Endlich!“ Jetzt beginnt die eigentlich schrecklichste Zeit für jeden Fußballfan, jetzt regiert das Wort, das jeder Anhänger so unerträglich findet wie Jürgen Klinsmann Lothar Matthäus.

SOMMERPAUSE!

Doch diesmal fühle ich mich gar nicht schlecht. Ist mir überhaupt nicht schwindelig, ist mir überhaupt nicht nach Heulen zumute. Ich brauche die kommenden drei Monate. Um zu vergessen. Um die Schublade mit dem Etikett „Saison 2008/2009“ in meinem Gehirn leerzuräumen und das Etikett erst mit einem schwarzen Edding durchzustreichen und dann abzureißen. Wir haben uns mit 32 Punkten gerettet. Mit 32! Vor einer Woche habe ich Euch mit den beiden Wörtern „Magere Punktzahl“ eigentlich schon genug gequält. Eigentlich.

Denn bleibt von dieser Saison irgendetwas Positives? Lasst mich zurückblicken, in verschiedenen Punkten.

Das beste Spiel: Und lasst mich mit einem kleinen positiven Lichtblick beginnen, vielleicht auch im Vorgriff auf die kommende Saison. Denn was vor einer Woche beim 2:0 gegen Eintracht Frankfurt abging, das macht wirklich Mut. Eine solche Zusammenarbeit zwischen Mannschaft und Fans: So würden sich das alle Beteiligten immer wünschen – und es hat gezeigt, dass alle funktionieren können, wenn es drauf ankommt.

Das schlechteste Spiel: Da fällt die Auswahl schwer. Richtig schwer. Das 0:2 gegen Hannover war richtig schlimm, eine klassische Apocalypse-Bochum-Situation. Sportlich grauenhaft ging’s zu Hause gegen die Bayern (0:3) und gegen Borussia Dortmund (0:2) zu. Glücklos, risikolos, wehrlos, chancenlos. Die erste Halbzeit beim 2:3 im Heimspiel gegen Hertha BSC – unendlich schmerzhafte Minuten mit drei Gegentoren. Und bleiben wir bei Hertha: Das Rückspiel im Olympiastadion (0:2) habe ich nur noch deshalb in positiver Erinnerung, weil ich in Berlin einen schönen Kneipenabend mit einem Mit-Volontär verbringen konnte.

Das schönste Auswärtsspiel: Wobei in dieser Saison wirklich alle Auswärtsspiele echt schön waren – vor allem das bei Werder Bremen, trotz der unglücklichen 2:3-Niederlage. Schließlich konnte ich meine Liebste dazu gewinnen, mich in den Norden zu begleiten. Wir verlebten einen herrlichen Samstagabend.

Das größte Zitterspiel: Wieder auswärts. 1:0 in Mönchengladbach. Jubelpogo beim Abpfiff. Selten so erlebt.

Beste Spieler: Mein Spieler der Saison ist Philipp Heerwagen, obwohl er nur dreimal spielen durfte. Völlig unverständlich, dass unser Trainer erst nach dem 32. Spieltag gemerkt hat, dass Heerwagen viel besser ist als der womöglich nette, aber doch schusselige Fernandes. Okay, Christian Fuchs darf ich auch nicht vergessen. Wirklich ein toller Linksverteidiger. Und was für ein sensationelles Spiel Philipp Bönig gegen Frankfurt gemacht hat, werde ich wohl in Jahrzehnten noch nicht begreifen. Von meinen persönlich „schlechtesten Spielern“ mag ich hier nicht reden. Zu große Auswahl. Von Fernandes über Maltritz und Yahia bis zu Freier und Hashemian.

Der schwierigste Homepage-Moment: Nach dem 2:2 gegen Mönchengladbach und meiner Kritik gegen die Ultras auf dieser Seite ging es flugs in die andere Richtung. Aber überhaupt nicht konstruktiv, sondern eigentlich ausschließlich auf unsachlicher Beschimpfungsebene. Da fehlte mir wochenlang der Antrieb, mich weiter hier zu äußern, hier weiter meine Geschichten zu erzählen. Ich konnte viel über Macht, Folgen und Bedeutung des Internets nachdenken.

Der schwierigste Fan-Moment: Der Rausschmiss von Thomas Zdebel in der Winterpause ist immer noch nicht vollständig aufgeklärt und uns allen ein Rätsel. Kaum auszudenken, wenn wir das erste Prä-Rausschmiss-Spiel gegen Karlsruhe verloren hätten.

Der beeindruckendste Fan-Moment: Die Pro-Zdebel-Demo in eben diesem Spiel gegen den KSC war sensationell. Gänsehaut.

Fans gegen Fans gegen Fans gegen Trainer gegen Spieler gegen Mannschaft: Dass wir Bochumer keine Ja-Sager-Fans sind, die alles immer toll finden, weiß in Deutschland spätestens seit dieser Saison jeder. Finde ich gut, denn jene Fangruppen, die alles immer unkritisch hinnehmen, sind vielleicht vom Boulevard gewollt und werden stets als „hingebungsvoll“ bezeichnet, sind nichts für mich. Aber übertrieben haben wir es in dieser Saison schon ein wenig. Zuerst traf es – meint die Öffentlichkeit – Oliver Schröder beim Heimspiel gegen Hertha. Ich meine immer noch: Damit war der Trainer gemeint, der beim Rückstand für einen Defensiven einen Defensiven brachte. Dann war’s immer „Koller raus“, bis zum letzten Moment. Was auch – trotz des dritten Klassenerhalts in Folge – nach wie vor meine Meinung ist, weil ich diesen Fußball nicht mehr sehen kann. Und was ich diese Saison im Oktober 2008 auch öffentlich bei DerWesten geäußert habe. Dann lieber einen – wie Calmund sagen würde – „positiv Bekloppten“ wie Pele Wollitz. Das gäbe zwar nur zehn Punkte, aber wenigstens Spaß inne Backen. Und dann noch „Maltritz raus“ beim Hannover-Spiel und die Weigerung der Mannschaft, in die Kurve zu kommen. Es wären noch die Fans-gegen-Fans-Momente aus der Hinrunde zu erwähnen, wenn’s um „Koller raus“ ging. Potenzial nach oben, auf allen Seiten. Diese Saison darf sich auf allen Seite niemals wiederholen. NIEMALS, NIEMALS, NIEMALS. Doch wie das anstellen? Den Trainer will der Vorstand nicht tauschen, die Mannschaft auszutauschen geht aus finanziellen Gründen nicht und wir Fans bleiben auch. Sprich: fast in der gleichen Besetzung auf allen Seiten geht’s in drei Monaten in die Saison 2009/2010. Der Vorhang zu, und alle Fragen offen.

Natürlich ist diese Liste unvollständig.

So wie dieser Text unvollständig wäre, wenn ich nicht noch in einem kurzen Absatz auf dieses bedeutungs- und lustlose Spiel eingehen müsste. Was bleibt ist, dass ich selten so viel Geld für eine einzelne Eintrittskarte ausgegeben habe – nämlich 31 Euro. Machte aber nichts, denn mein Bruder (sein erst zweites Saisonspiel) und ich konnten uns prächtig unterhalten. Das Spiel war ganz, ganz furchtbar, ohne Leidenschaft, ohne Zweikämpfe, ohne alles, was zu einem vernünftigen Fußballspiel gehört. Okay, die Kölner Fans sind ziemlich wahnsinnig, und wenn 46.000 Personen „Mer stonn zo der, FC Kölle“ brüllen, vermag das auch Auswärtsfans durchaus zu beeindrucken, aber das hat ja nichts mit dem zu tun, was auf dem Rasen passiert. Zwei Tore gab’s, auf jeder Seite eins, und beide erzielten Bochumer Spieler. Das erste Klimowicz per Kopf nach schöner Flanke von Concha in der 22. Minute, das zweite kurze Zeit später Yahia. Nach einer Kölner Ecke brachte es der gute Anthar fertig, die Kugel unter die eigene Latte zu köpfen. Der Höhepunkt in diesem armen Spiel, in dem sich nur ein Spieler auszeichnen konnte: Philipp Heerwagen, unser Schnapper, der so manches Loch in unserer Abwehr zu stopfen verstand. 1:1, fertig, aus. Am Schluss applaudieren wir noch Matthias Scherz, der nach zehn Jahren in Köln seine Karriere beendet, weshalb ich nun von mir behaupten darf, nicht nur Frankfurts Kult-Verteidiger Uwe Bindewald mit in die Rente geschickt zu haben.

Ich sage „Endlich!“ zu meinem Bruder, spaziere gemeinsam mit ihm zur Straßenbahn. Wir fahren zum S-Bahnhof „Weiden West“, irgendwo am äußersten Rand von Köln. Köln-Weiden scheint nur aus eben diesem Bahnhof und dem nebenan liegenden Park+Ride-Parkplatz zu bestehen. Wir fahren bis zum „Hansaring“, ziehen am Süßigkeiten-Automat eine gekühlte Zehner-Packung Yoghurette, die wir in fünf Minuten vertilgen (schönes Wetter!). Bei meinem Onkel in Köln-Mülheim gibt’s Spargel-Quiche.

Es ist Minute 75 nach der Saison 2008/2009.

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