17. April 2006 – Aachen-VfL 0:2 – „Beautiful day“

Am 17. April 2006 stieg der VfL Bochum zum fünften und bislang letzten Mal in die Fußball-Bundesliga auf – und zum zweiten Mal in Aachen. Doch diesmal war’s kein besonders aufregendes, weil erwartbares Ereignis.

Ich bloggte über dieses „Aufstiegsspiel“, gab dem Text die Überschrift „Beautiful day“ und die Unterzeile „DIE TOP DREI: 1. „Nie meeeeeeeeeehr Zweite Liga!“ 2. „Und schon wieder aufgestiegen, VfL!“ 3. „1. Liga – Williiiii ist dabei““

Im Videorekorder liegt seit ein paar Tagen nur eine Kassette. Sie ist schon vier Jahre alt, ein bisschen zerkratzt, doch die mit schwarzem Edding auf dem weißen Kassettenrücken verewigte Aufschrift „VfL-Aufstieg 2005“ leuchtet unmissverständlich. Jeden Tag, wenn ich in dieser Saison auf meinem Lieblingssessel vor dem Fernseher hockte, schaute ich auf meine Kassettenwand – und wenn mir ganz mulmig oder langweilig war, wenn ich ganz furchtbar deprimiert oder frustriert war, dann schob ich sie ins Fach und schwelgte in Erinnerungen. 5. Mai 2002, Aachen, Tivoli. Das Wetter ist mies. Wir müssen gewinnen, Mainz muss bei Union Berlin verlieren. Für Union geht es leider um nichts mehr. 9000 Bochumer fahren mit, die Hoffnungen sind gering. Nach kurzer Zeit fliegt Schindzielorz vom Platz, überall steht’s 0:0. Dann gehen wir in Führung, mit 2:0, am Ende steht es 3:1, doch in Berlin rührt sich gaaanz laaange nichts. 9000 Herzinfarkte. Pro Minute. Irgendwann fallen in Berlin zwei Tore, zum 1:0 und 1:1. Und in der 82. Minute die Entscheidung: 2:1 für Union! Wir haben es geschafft. Der letzte Aufstieg war der schönste, der dramatischste.

Und so verbrachte ich in der letzten Woche meine Abende vor dem TV-Gerät, nahm den VfL-Schal vom Fenster, das er sonst ziert, roch daran und erschnüffelte Zigaretten, Rauchbomben, Paderborn, Ahlen, die Provinz. Es sind nur noch fünf Spiele bis zur Ersten Liga. Nur noch fünf.

Nur noch ein paar Stunden. Ein paar. Morgens früh, auf EinsLive, hat eine Frau ihren Freund betrogen und direkt danach läuft „Don’t look back in anger“ von Oasis. Bin zu müde, um das zu kapieren, speichere das im Hinterkopf, spule mein übliches Programm ab. Frühstücken, Zähne putzen, blabla. Die Videokassette läuft heute Morgen nicht, die Aufnahmen würde ich doppelt sehen. War ein langer Abend gestern, der bei der All-you-can-drink-Party im Mülheimer Freeland endete. Kostete 29 Euro der Spaß, ich bezahlte als ausschließlicher Cola-Trinker nur 15. Sechs Cola und zwei Mineralwasser zwang ich meine Kehle hinunter, und der Koffein-Überfluss wirkt noch nach. Nehme ich eine Tasche mit? Ja, nehme ich! Mist, Discman fällt aus. Batterien sind alle und der Kopfhörer funktioniert auch nicht mehr. Welches Buch lese ich auf der Fahrt? Ich stapfe – Blick auf die Uhr… noch fünf Minuten Zeit… – durch mein Arbeitszimmer, blicke an die Bücherwand. Was für die Uni? Nee, heute ist Ostermontag, Feiertag, FREIER Tag… Was Anspruchsvolles? Eine Biographie? Etwas Theorie vielleicht? Der Blick fällt in die „gaaaanz seichte Unterhaltung“-Ecke und ich schaue auf die sechs Harry-Potter-Bände.

Harry Potter und der Orden des Phönix.

Hab ich noch nicht gelesen. Ist für heute genau das Richtige. Erst eintauchen in die Welt von Hogwarts, dann in den Jubel am Tivoli. Erst mitleiden mit Harry, Ron und Hermine, dann zittern mit Bechmann, Edu und Dariusz. Naja, passt nicht wirklich. Lenkt aber ab. Ist heute der Tag der Tage? Ich schultere meine Tasche und spaziere in Richtung Hauptbahnhof. Die Fahrtstrecke habe ich mir schon gestern notiert und auf einem kleinen Zettel in meinem Portmonee verstaut. Regionalexpress bis Mönchengladbach. Dort umsteigen Richtung Aachen. Das Wetter ist nicht gut. Mal Sonne, mal Regen, mal Wind – April eben. Meine Haare sind ganz zerzaust und wehen durchs Gesicht, hoffentlich habe ich ans Haargummi gedacht. Schnell anhalten, in der Tasche kramen, genau, da ist’s. Ich binde mir die Haare zusammen, sehe den einfahrenden Zug, sprinte die letzten Meter und die Treppe zum fünften Gleis hoch und rein.

Noch ist kein VfL-Fan im Zug.

Einen Sitzplatz zu finden, ist nicht schwer. Man, keine Zweifel mehr. Wir haben zwölf Punkte Vorsprung. Und 21 Tore. Da GEHT NICHTS MEHR SCHIEF. Und heute können wir nur gewinnen. Die Aachener sind schon seit gestern durch. Sie haben die ganze Nacht gefeiert, die Sau rausgelassen, gesoffen, sind noch voll, haben zig Promille. Das wird ein Fußballfest, ein schönes. Gähn, noch bin ich müde, leicht koffeinzittrig und krame den Harry-Potter-Band zur Zeitüberbrückung hervor. In Ruhe fahren, vorbereiten. Noch wenige Stunden bis zum Aufstieg. Noch klappe ich das Buch nicht auf… noch will ich … ach, ohne Musik macht das nicht so viel Spaß. Denke an gestern Abend, als „Volare“ kam, dachte ich an Freiburg, als „Love Generation“ zum ersten Mal lief, an Siegen, und beim zweiten Mal „Love Generation“ an sowieso die ganze Saison. Das war gestern. Nun kommt heute. Heute. VfL. Aachen. Ab nach. Die sind schon durch. Wir brauchen einen einzigen, winzigen Punkt.

Harry Potter ist bei den Dursleys und vertreibt ein paar Dementoren. Er wird weitergeleitet zum Grimmauldplatz zwölf in London, zum Hauptquartier des Phönixordens. Ich lese und vergesse für ein paar Minuten den runden Ball, der große Teile meines Lebens bestimmt. Zwischendurch durchfahre ich Krefeld, steige in Mönchengladbach um und tuckere durch Großstädte wie Erkelenz, Hückelhoven-Baal, Übach-Palenberg und Geilenkirchen bis Aachen-West. Mittlerweile ist Harry nach Hogwarts zurückgekehrt und ich hab die Professoren Umbridge und Raue-Pritsche kennengelernt. „Nächster Halt: Aachen-West“, ertönt. Don’t look back in anger. Stadt des Aufstiegs 2006.

Und des Aufstiegs 2007.

Ein etwas abruptes Ende des Texte, das gebe ich zu. Anscheinend wurde ich unterbrochen, sorry dafür.

SIGHTSEEING-TOUR – TOURISMUS-ANDI

Aachen

In Aachen wohnte knapp neun Jahre lang mein bester Kumpel Björn, weshalb ich mehr als einmal dort weilte.

Über Aachen: An einem solchen Tag mit Daten über eine Stadt zu kommen, mag vielleicht ein wenig unangebracht erscheinen. Naja, ich mach’s trotzdem. Nun denn, was sagt denn der Baedeker? 245 000 Einwohner, westlichste Stadt Deutschlands und historisch eine der wichtigsten Städte Europas. Aachen liegt in einem Drei-Länder-Eck (Deutschland, Belgien, Niederlande) in einem waldumkränzten Talkessel an den Ausläufern der Eifel und der Ardennen. Die Stadt ist Sitz der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) und besitzt das größte Klinikum Europas. Die Stadt vergibt jedes Jahr seit 1949 den „Internationalen Karlspreis zu Aachen“ für Verdienste um die Verständigung und die internationale Zusammenarbeit in Europa. Ein wichtiges Ereignis ist auch der alljährlich im Reitstadion im Stadtteil Soers ausgetragene CHIO, ein internationales Reit-, Spring- und Fahrturnier, das sogenannte „Wimbledon der Reiterei“. Über die Stadtgrenzen hinaus beliebt sind die „Aachener Printen“, eine Art Honigkuchen.

Geschichte: Mit dem Ausbau zur Residenzstadt unter Karl dem Großen (742 bis 814) wurde Aachen zum Zentrum des Reiches und nach der Heiligsprechung des Kaisers 1165 zu einem der bedeutendsten Wallfahrtsorte Europas. Seit der Krönung Ottos I. zum deutschen König (936) blieb Aachen für 600 Jahre der Krönungsort der Könige sowie Tagungsort zahlreicher Reichstage und Kirchenversammlungen.   Im Zweiten Weltkrieg wurde die Stadt zum überwiegenden Teil zerstört; beim Wiederaufbau nach 1945 wurden jedoch die bedeutenden Kulturdenkmäler wiederhergestellt.

Stadtbild: Die meisten der historisch bedeutenden Baudenkmäler sind in der hübschen, fußgängerfreundlichen Innenstadt mit ihren vielen Plätzen und Brunnen versammelt. Die Stadt wird stark von Studenten geprägt.

Eigene, kurze Anmerkungen: Aachen ist eine Großstadt und liegt doch im Niemandsland. Die Fahrten nach Köln dauern mit Auto oder ÖPNV mindestens 45 Minuten, ins Ruhrgebiet noch viel länger und auch Brüssel liegt 45 Minuten entfernt. Die Stadt ist eine Studentenstadt, aber doch eben keine klassische, da Aachen eher mit Medizinern (Uni-Klinik) und Ingenieuren (RWTH) vollgestopft ist als mit Geisteswissenschaftlern. Und die große „Öscher“ Karnevalstradition (der „Orden wider den tierischen Ernst“ ist zumindest bei Politikern der begehrteste in Deutschland) mitsamt der katholischen Dom-Umgebung verleihen der Innenstadt einen leicht konservativen Anstrich. Aachen ist wichtig, Aachen hat Geschichte, Aachen hat Sehenswürdigkeiten – aber Aachen ist keine Stadt, in der ich länger leben könnte.

Fahrten:

– um darzustellen, in welch provinzieller Umgebung sich Aachen befindet und woher die Fans kommen, folgt nun der ausführliche Verlauf meiner Fahrten –

HINFAHRT – Regionalexpress von Mülheim bis Mönchengladbach Hbf (12.51 bis 13.40) über Duisburg Hbf – Rheinhausen – Krefeld-Uerdingen – Krefeld Hbf und Viersen.

Dann umsteigen in den Regionalexpress von Mönchengladbach bis Aachen-West (13.49 bis 14.38) über (Achtung!) Rheydt Hbf – Erkelenz – Hückelhoven-Baal – Lindern – Geilenkirchen (Fan-Hochburg) – Übach-Palenberg und Herzogenrath.

RÜCKFAHRT – Regionalbahn von Aachen-West bis Mönchengladbach Hbf (23.43 bis 0.36) über Kohlscheid – Herzogenrath – Übach-Palenberg – Geilenkirchen – Lindern – Brachelen – Hückelhoven-Baal – Erkelenz – Herrath – Wickrath und Rheydt Hbf.

S-Bahn „S 8“ von Mönchengladbach Hbf Richtung Wuppertal bis Düsseldorf Hbf (0.54 bis 1.27) über Mönchengladbach-Lürrip – Korschenbroich – Kleinenbroich – Büttgen – Neuss Hbf – Neuss Am Kaiser – Neuss Rheinparkcenter – Düsseldorf-Hamm – Düsseldorf Völklinger Straße – Düsseldorf-Bilk und Düsseldorf Friedrichstadt

S-Bahn „S 1“ von Düsseldorf Hbf bis Mülheim Hbf (1.55 bis 2.34) über Düsseldorf-Wehrhahn – Düsseldorf-Zoo – Düsseldorf-Derendorf – Düsseldorf-Unterrath – Düsseldorf Flughafen – Angermund – Duisburg-Rahm – Duisburg-Großenbaum – Duisburg-Buchholz – Duisburg-Schlenk – Duisburg Hbf und Mülheim-Styrum

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