I will survive

Am 17. August 2002 bloggte ich ein über ganz, ganz besonderes Spiel des VfL Bochum. Durch das 5:0 im Spiel gegen Energie Cottbus kletterte der VfL zum ersten Mal in seiner Vereinsgeschichte auf den ersten Platz in der 1. Bundesliga, verteidigte den Platz volle vier Wochen lang – und kein Bochumer konnte wirklich etwas damit anfangen. Von Christoph Biermann entstanden in diesen vier Wochen herrliche Kolumnen – und für alle herrliche Erinnerungen.

Ich nannte den Text „I will survive – SOWAS HAT MAN LANGE NICHT GESEHEN, SO SCHÖÖÖÖÖN!!“

Es war einmal ein kleiner Junge. Am Meer saß er vor dem Lagerfeuer, blickte in die Flamme, hielt einen Stock mit ein bisschen Gummiteig dran über die Glut und verfolgte einen Sternschnuppenregen am Himmel. Bei jeder neuen Sternschnuppe kam ein neuer Wunsch, und einer davon war: Einmal soll der VfL Bochum Tabellenführer der Fußball-Bundesliga sein. Und er wollte es live miterleben.

So war’s und Ihr meine Freunde, die ihr mich durch wenig gute und viele furchtbar schlechte VfL-Zeiten begleitet habt, könnt unschwer erraten, dass dieser kleiner Junge Euer Webmaster Andi war.

Ein Traum ist wahr geworden. Ist in Erfüllung gegangen. Ja, so kann, nein, so muss ich es ausdrücken.

Die Welt kann so schön, in so goldene Farben getaucht sein. Der Himmel kann nicht blau genug, die Sonne gar nicht heiß genug sein – Dein Herz kann kaum noch stärker schlagen, Dein Kopf hingegen vor Emotion fast zerplatzen. Wenn ich die Überschrift „Just a perfect day“ nicht schon für ein anderes Spiel gebraucht hätte, heute wäre sie es gewesen. Und nun sitze ich vor dem Computer, schaue auf den Bildschirm und bin froh, dass ich nicht mehr reden muss. Nur eins kann ich noch: Heiser die Melodie von „I will survive“ summen, keine Angst, nicht den Text, sondern das „la-la-la-la-laaaaaa-la-la-la-la-la-la“ undsoweiter, Ihr werdet es kennen. Nach jedem Tor lief es, und immer lauter laaaa-te ich mit. Es wird mich in meinen Träumen begleiten, ganz sicher. „I will survive“, ich werde überleben. Leider. Denn dieser Tag sollte am liebsten nie aufhören. Hätte ich die Fähigkeit, ich würde ihn ausschneiden, einrahmen und an die Wand hängen. Und immer dann, wenn es mir schlecht ging, in den Rahmen steigen und noch einmal dieses Spiel erleben!

… So ein Tag …

Mein Freund Duden übersetzt das Wort „perfekt“ mit „vollkommen“. Doch vollkommen war die Situation erstmal nicht, als Hans-Werner Olm mich auf seiner mich weckenden CD „Wat geht ab?“ fragte. Schlecht hatte ich ohnehin geschlafen, denn – wie ich Euch schonmal erzählte – scheint der Fußball im allgemeinen und natürlich der VfL im Besonderen als einziges „Ding“ im Moment meine Emotionen zu erregen. Na, auf jeden Fall hab ich schlecht geschlafen, und rannte nach dem Aufstehen nur in der Wohnung rauf und runter. Der Fernseher ging an – und wieder aus, und wenn er lief, dann scheppten Ostdeutsche eimerweise das Wasser aus ihren Häusern. „Jahrhundertflut“ hat die Medienarmee dieses Wetterphänomen getauft. Und über dem Ruhrpott lacht, nein, brennt die Sonne. Ein Glutofen ist das, eine Sauna; fehlt nur noch ein erfrischender Aufguss. Bochum. VfL.

13.20 Uhr, umziehen, das VfL-Trikot an. Es ist lange her, dass ich meine Affinität zu den Blau-Weißen auch in der Mülheimer Innenstadt zur Schau stellte, aber mein Gott, 35 Grad im Schatten, da kommt doch nur das Kurzärmlige mit Dariusz Wosz´ „10“ hintendrauf in Frage. Die ersten Meter, der Körper zittert, ein Griff ans Gesäß: Scheiße – Portmonee vergessen, ist mir noch nie passiert! Zurück, Treppe hoch, Treppe runter, Sprint zum Hauptbahnhof. Keine Blicke beachten, die auf mein Trikot fallen. Geht sowieso nicht. Vielleicht fragt Ihr Euch, was in so einer Situation in einem Fußballfan vorgeht. Ich kann Euch das nicht beantworten.

Die Konzentration weicht, als ich Stephan, den Straßenbahnfahrer, den Ihr aus dem Tagebuch 2001/2002 kennt, treffe. Stephan ist DER Prototyp eines Ruhrgebietlers, knapp zwei Meter groß, ziemlich raue Schale, aber super-ehrlicher Kern und immer für einen Spruch gut. „Der Effenberg hat se nicht mehr alle auffem Christbaum“ meint er zu Effes Wechsel nach Wolfsburg, und seinen Knaller des Spiels verrät er mir auch schon. „Hömma, wenn der Stadionsprecher fragt: „Mit der Nummer sechs… Raymond“ und die Fans antworten: „KALLA!“, dann füge ich persönlich an: „Ratjada“. Dat wird DER Brüller!“ meint er stolz und ich lach direkt mit. Der Zugwaggon übrigens auch.

Schlag nach beim Trondheim-Bericht aus der Vorbereitung, das Kribbeln ist endlich da. Jaaaaa, Fußball geht los, nach drei Monaten. Supersupersuper. „Hömma, wir sind doch total bescheuert“, merkt Stephan an. „Wenn die uns zehn Dauerkarten hintereinander andrehen wollen, nach dem Motto: „Dann gibt’s eine gratis“ – wir würden die doch sofort kaufen.“ Ich nicke und verabschiede mich Richtung Stehplätze. Das große „Hallo“ geht weiter: Richter Gerd ist da, später kommen mein Bruder und Daniel, ein früherer Fußball-Kollege, der seit zwei Jahren nicht mehr im Ruhrstadion stand. Die Sonne brennt!

… so wunderschön wie heute …

14.30 Uhr, der Stadionregie ist heiß und vor allem heiß auf Fußball. Sie spielt schon jetzt „Bochum“, nämlich die Live-Version. „Und er hat sein helles Licht…“ stimmt Herbert Grönemeyer an. Dann das „Bochumer Jungenlied“ mit den drei Pfiffen nach dem Refrain, „Wir sind die Fans vom VfL“ von Jo Hartmann mit dem letzten Satz: „… wir sind die BESTEN im Revier!“ Schaut auf die Tabelle, es ist so. Und dieser herrliche VfL-Humor kehrt zurück. Die Spieler laufen ein, sich warm, Riesen-Applaus, Riesen-Stimmung, „Der VfL ist wieder da“-Gesänge… wie habe ich diesen Moment herbeigesehnt! Jemand hält eine Papp-Meisterschale in die Höhe. Super! Der Countdown läuft, die Aufstellung, nochmal „Bochum“ von Herbert. Die Mannschaften betreten den Rasen, Konfettiregen. „Hast im Schrebergarten Deine Laube! Machst mit nem Doppelpass JEEEEEDEN Gegner nass, Du und Dein V-F-L!“ Pünktlicher geht’s nicht. Das Trikot ist durchgeschwitzt.

90 Minuten voller Ekstase folgen. Langelangelange hab ich den VfL nicht so gut gesehen, schon gar nicht in der letzten Saison. Doppelpässe, tolle Seitenwechsel, eine supersichere Abwehr und vor allem: unendlich torgefährlich. Da guckt der Ede Geyer blöd: Seine Mannschaft wird auseinandergenommen, tranchiert wie ein Truthahn in den USA zu Thanksgiving. Es wird ein SMS-Feuerwerk, ein Umarmungsorkan, ein Wahnsinns-Torpogo wie lange nicht, schlimmer als beim 2:1 von Fahrenhorst Ende April gegen Union Berlin. Und dieser Christiansen. Drei Buden, zum 1:0, 3:0 und 5:0; eins schöner als das andere. Diese Technik, diese Dreher und Schlenker, zum Heulen. Freier, Hashemian – fünf Mozartkugeln in Andis Darmtrakt. Und das, obwohl der Schweiß ausgeht, kein Tropfen Wasser mehr in meinem und allen anderen Körpern vorhanden zu sein scheint. Wer will bei diesem Spielstand freiwillig zum Getränkestand? Spielende, der Traum ist nicht aus. Er ist wahr.

Danke Du Sternschnuppe, wenn doch nur alle Wünsche so in Erfüllung gingen. „Wir wolln den Trainer sehn!“ – ja und Pidder kommt auch. „Spitzenreiter Spitzenreiter HEY HEY!“ Bruder Thommy und ich zeigen uns gegenseitig den Vogel: DER VFL GANZ OBEN! Wir rufen VfL-Fan Dirk in München an, der findet’s einfach nur „super“. Dann ab ins Bermuda-Dreieck, uns mit Thommys Freundin Marrit treffen, meine große Fresse in lauter SMS bestätigen (nächste Woche krieg ich keinen Anruf, so groß war die…), abends noch in ne Kneipe, das Gefühl auskosten.

Lasst mich diesen Moment einrahmen. Und wenn es nur auf dieser Homepage ist. Sowas hat man lange nicht gesehn und …

… so ein Tag, der dürfte NIIIIIIE vergehn !

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