2. Februar 2010. 12. Urlaubstag. Los Angeles.

Im Januar 2010 bereiste ich mit dem Rucksack die US-Westküste und sah mir Seattle im pazifischen Nordwesten sowie San Francisco und Los Angeles in Kalifornien an. Traumhaft! Ein Tagebuch führte ich nicht “live”, sondern “nur” in einer Word-Datei. Deshalb sind diese Zeilen noch nirgendwo erschienen. Es war ein sehr intensiver zweieinhalbwöchiger Trip, da ich ohne meine Liebste, sondern ganz allein reisen musste und in dieser Zeit mein schwer kranker Onkel starb, 10.000 Kilometer entfernt.

Am 2. Februar 2011, meinem zwölften Reisetag, fuhr ich in Los Angeles mit der U-Bahn nach „Downtown“. Ich nannte diesen Eintrag “L.A. NORMAL“usa_homepage337_tag9hollywoodsign3andi1

Los Angeles kann auch normal sein. Los Angeles kann auch – sagen wir es – langweilig sein.

Beverly Hills hab ich gesehen, Bel Air hab ich gesehen, Hollywood hab ich gesehen – also die eher wohlhabendere Seite der Stadt. Wird Zeit, dass ich mir L.A. Downtown ansehe. Dort wurden die meisten Szenen von „24“ gedreht, dort ist die berühmte Eingangshalle der Union Station, dort schlägt (laut Lonely Planet) das „kulturelle Herz (!) von Los Angeles“. Das Ausrufezeichen in Klammern steht da wirklich. Außerdem ist es gut mit der Metro zu erreichen.

Und so hat dieser Trip den angenehmen Nebeneffekt, dass ich die örtliche U-Bahn benutzen kann. Dass die Angelenos (so werden die Einwohner hier wohl genannt) lieber (oder fast nur) mit dem Auto fahren, ist kein Klischee. Der Bahnhof „Hollywood/Highland“ der „Metro Red Line“ (hier geht’s nach Farben) sieht extrem stylisch und neu aus, ist aber auch kein Wunder, weil keine Sau ein- und aussteigt. Hat aber den Vorteil, dass eine Fahrt schweinebillig ist (1,25 Dollar), egal wie lang es geht. Ich fahre bis zur Endhaltestelle, der „Union Station“.

Die ist der Hauptbahnhof der Stadt. Hier halten die Amtrak-Fernzüge, hier machen so einige U-Bahnlinien und die meisten Busse Halt. Ich steige aus und gehe über einen laaaaaangen Flur in die laaaaaaange Wartehalle. In die lange und abgefahrene Wartehalle, die einen Extraraum hat, den kein Reisender betreten darf. Der nur für Hollywood reserviert ist (Sachen gibt’s). Gedreht wurde dort zum Beispiel „Catch me if you can“. Gehe raus auf die Straße, blicke in die Sonne (schööön), schnappe mir den „Lonely Planet“ und lege eine Route fest. L.A. Downtown ist erfrischend überschaubar und schon beim Blick in den Reiseführer erstaunlich unspektakulär. Täuscht der Eindruck?

Laufe zuerst zum kleinen Pärkchen „El Pueblo de Los Angeles“, gegenüber von der Union Station. Der Park ist zwar autofrei, hat zwei, drei Gedenksteine, einen Souvenirshop und viele Bänke – ist aber nicht L.A.-Pflichtprogramm. Hat eher was moralisches, denn hier wurde die Stadt einst gegründet, hier entstand einst die allererste Siedlung. Es ist erstaunlich. L.A. ist zwar riesengroß, hat aber keine richtige Skyline. Sondern nur ein paar Hochhäuser – und die gehören (ganz klassisch) den üblichen örtlichen Banken. Eins ist aber die städtische „City Hall“. Hat sich nie so richtig ergeben, das mit der Super-Skyline a la Manhattan, und hat auch mit der Erdbebengefahr zu tun, wenn ich das richtig interpretiere. Und das war’s eigentlich auch schon mit der Innenstadt. Ehrlich. Bis vor ein paar Jahren war das ein reines Geschäftsviertel, in dem nach 20 Uhr nichts, aber auch gar nichts mehr passierte. Wenigstens grenzt Downtown an Chinatown, Little Tokyo und Koreantown…

Um Downtown wenigstens etwas aufzuwerten, hat die Stadtführung ein paar repräsentative Bauwerke mittenrein gesetzt. Das Museum „Moca L.A.“ hat eine neue Behausung an der Grand Avenue. Ganz neu ist die „Walt Disney Concert Hall“, 2003 nach Plänen eines Stahlarchitekten in der Form eines Schiffs aus rostfreiem Stahl errichtet. 2300 Besucher gehen rein. Im südwestlichen Teil Downtowns (genannt „South Park“) ist seit 1999 „L.A. live“ entstanden – ein Unterhaltungskomplex mit dem bekannten „Staples Center“. Allein diese Riesenhalle mit 18.000 Plätzen hat 268 Millionen Euro gekostet. Die NBA-Teams Clippers und Lakers spielen hier, die NHL-Kings – und dazu finden hier regelmäßig Konzerte und Box-Weltmeisterschaftskämpfe (u.a. Klitschko) statt. Nebenan steht eine weitere Konzerthalle, das „Nokia Theatre“. Dort wird in ein paar Wochen das „American Idol“-Finale steigen (USA-DSDS). Irgendwo in Downtown sollen Künstler auch spannende Galerien errichtet haben. Wo? Keine Ahnung! Direkt neben dem „L.A. live“-Komplex ist die Haltestelle „Pico“. Ich steige in einen Zug der „Blue Line“ und bewege mich wieder Richtung Hollywood Boulevard.

Etwas verstört. Eben weil Los Angeles auch erfrischend normal sein kann. Und das ausgerechnet in dem Stadtviertel, in dem eigentlich am meisten passieren müsste. Aber auch das ist ein Zeichen dafür, dass diese Stadt keine richtige Einheit ist, keine richtige Identität hat. Die Küsten-Bewohner kommen aus Santa Monica, Venice, Malibu, Long Beach – die sagen nicht „aus L.A.“. Gleiches gilt für die Promis aus Beverly Hills, Bel Air und Hollywood und die Studenten der UCLA aus Westwood. In San Francisco sagt jeder, dass er aus San Francisco kommt. Und in Seattle kommt jeder aus Seattle. In San Francisco ist die ganze Stadt ein einziges Downtown.

Und in L.A. ist Downtown nur dann spannend, wenn in den neu geschaffenen Unterhaltungstempeln eine hochwertige Veranstaltung lockt. Doch ganz so downtownlangweilig ist mein Tag natürlich nicht. Ich rahme ihn mit Hollywood-Kitsch. Am Vormittag, bevor ich die „Red Line“ bestieg, habe ich mir das „Kodak Theatre“ angesehen. Ich bin den Weg gegangen, den James Cameron am 7. März bei der Oscar-Verleihung gehen wird (und Christoph Waltz), habe mir dieses 3400-Sitzplätze-Teil erklären lassen. Weiß jetzt, dass die Treppenstufen unterschiedlich hoch sind (für die High Heels). Kann jetzt erklären, warum es einen Geheimgang vom Theatre zum benachbarten Renaissance Hotel gibt (dort wartet in einem Konferenzraum die Presse) und warum der Oscar Oscar heißt (Walt Disney war der Übeltäter). Habe einen original Oscar gesehen. Weiß, dass der Hollywood Boulevard eine Woche (!) vor der Verleihung komplett abgeriegelt wird (Horror für den Verkehr) – und wer wo auf welcher Ebene warum sitzt. Und dass es kein Casting für die Sitzfüller gibt. Dass kein „Normalsterblicher“ rein darf. Dass die Getränke kostenlos sind. Hat uns alles unser Guide Justine erzählt. Die gute hatte echt Humor – und eine Frisur wie Liza Minelli.

Nach meiner Tour nach Downtown geht’s noch ins „Madame Tussauds Hollywood“, hab schon sehr lange nichts Künstliches mehr gesehen. Aber ich mag ja diesen Wachsfiguren-Blödsinn. Bin auch der einzige, der in der Dunkelheit durch die Räume schleicht (und der einzige, der vermutlich weiß, dass die Madame bis 20 und nicht nur bis 17 Uhr (wie alle anderen „Museen“) geöffnet hat. Die Guides im Laden wollen mir natürlich doppelt und dreifach irgendwelches Zeug andrehen. Ich belasse es bei einem Foto von mir mit der Wachs-Beyonce; darf ja nur Frauen anschauen, die aus Wachs sind, habe ich der Liebsten gesagt. Am Ausgang unterhalte ich mich mit dem Herren an der Kasse des Souvenirshops, erzähle ihm, dass ich schon in Seattle und San Francisco war. „Ach, San Francisco“, sagt er, „so sollte Hollywood eigentlich sein.“ Er wird bald nach Europa reisen, „wegen der Geschichte.“ Er hat von Hollywood die Nase voll.

Kann’s verstehen.

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