Was zählt

Am 22. Dezember 2002 gönnte ich mir schon kurz vor dem Heiligen Abend ein Weihnachtsgeschenk – und zwar eine Eintrittskarte für das Konzert der Toten Hosen in der Arena Oberhausen. Ich gebe zu, mich an diesem Abend in einer sehr melancholischen Stimmung befunden zu haben…

So bloggte ich darüber:

Müde, verschwitzt, durstig und zugedröhnt pflanze ich mich vor den Bildschirm, vor die Tastatur; schließe die Digitalkamera an, schleiche zur Anlage, schmeiße eine CD in den Ofen, setze den Kopfhörer auf. Ziehe vorher den Pullover und das T-Shirt aus. „Bis zum bitteren Ende“ steht darauf, in weiß auf schwarz,, und jawohl, jetzt ist das bittere Ende für das Shirt gekommen. Ab in die Waschmaschine mit Dir! Oh je, ist da wohl ein Tinitus im Anmarsch? Nöö, bestimmt nicht, alles nur Nachwirkungen eines musikalischen Genusses. Müde, verschwitzt, durstig und zugedröhnt. Wo ist die Wasserflasche? Ansetzen und *schluckschluckschluck*

Sehe die Lichter noch vor mir. Wie sie rot blinken, orange, blau, sogar weiß. Höre einzelne Wortfetzen aus den verschiedensten Liedern. Danke Ihr Hosen, für diesen Gröl-Faktor, diesen erneuten Ausflug in die Vergangenheit. Lust am Erinnern, Lust an der Vergangenheit, aber noch viel mehr Lust an der Gegenwart. Und in der Zukunft erst recht. Will mehr Hosen-Konzerte hören. Mein Gott, was bin ich heiser. Und wieder diese Fortwetzen (na da hätt ich FAST das richtige Wort getroffen…).

– Madeleine, ich bin keiner, der sein Herz schnell verliert. Aber ich glaub, wir passen gut, das hab ich gleich beim Tanzen gespürt. Ich will diiiiiiich, ich will diiiiiich, aber nicht bevor ich weiß: Gibt es irgendwelche Nazis in Deinem Bekanntenkreis? („Madeleine (aus Lüdenscheid)“)

Wie geil das aussieht, aus der Tribünensicht, wenn sich die Massen in die Lüfte schweben, und klatschen. Nein, nicht mal im Takt, aber im Takt ist doch eh scheiße.

– Tod oder Freiheit soll auf unserm Grabstein stehn („Bonnie und Clyde“)

Wie geil das aussieht, wenn Tausende von Feuerzeugen anspringen.

– Es kommt die Zeit O-HOOO, in der das Wünschen wieder hilft („Wünsch Dir was“)

Wie geil das ist, hemmunglos mitzuschreien, und trotzdem sein eigenes Geschreie nicht zu hören.

– Und alles nur, weil ich Dich liebe, und ich nicht weiß, wie ich´s beweisen soll („Alles aus Liebe“)

Wie geil das ist, mit jedem Lied gewisse Ereignisse zu verbinden. Und wenn es nur das April-Konzert ist.

– Es gibt soviel auf dieser Welt…. … ich würde niiie zum FC Bayern München gehen! („Bayern“)

Wie geil das ist, mal wieder guten alten Rock zu hören. Die Hosen-Punkrock-Anfänge. Macht Spaß, nicht aggressiv.

– Geil „The little drummer boy“, noch nie live gehört, „und die Jahre ziehen ins Land… und wir trinken immer noch ohne Verstand…“ (okay, ich hab wohl ein wenig zu viel Verstand); „kein Alkohol ist auch keine Lösung“ (für mich schon, aber mitsingen tu ich´s trotzdem…); ein Cover von „Westerland“ (Campino: „Wenn ich gewusst hätte, dass Ihr auf Schmusesongs steht, hätte ich mich drauf eingestellt“ – und stimmt direkt danach „Alles aus Liebe“ an).

Wie geil das ist, wenn zweieinhalb Stunden so vorbeigehen, als seien es nur 15 Minuten gewesen.

Höre immer noch Hosen-Lieder. Müde ja, verschwitzt nicht mehr, durstig – nee, auch nicht mehr. Und zugedröhnt? Joaaa, mein Ohr schmerzt immer noch.

Remember the other storys.

Story 1: Einen richtigen Hosen-Fan kenne ich; den wilden Gilden; auch Martin im richtigen Leben genannt. Unter geschätzten 7000 Zuschauern lief mir Gilde selbstverständlich über den Weg; doch ziemlich, formulieren wir es positiv, betrunken und daher nicht mehr so richtig in der Lage, seine Stimme zu regulieren. Ich denke nicht, dass es die Leute um uns rum interessiert hat, dass er seinen Namen auf meiner Homepage entdeckt hat (er war mal mit beim Bochum-Auswärtsspiel)…

„Mein Kollege hat gesagt, er hätte noch nie ne Homepage gesehen, auf der so viel geschrieben wurde.“

Kompliment oder nicht? Egal.

Story 2: Meiner Oma (fast 90) habe ich übrigens versucht zu erzählen, dass ich zum Konzert der „Toten Hosen“ gehe. So richtig gescheckt hat sie das glaube ich nicht… erst als ich die „Toten Hosen“ eine „Kapelle“ genannt habe (die Worte „Band“, „Gruppe“ und „Orchester“ konnte sie nicht wirklich zuordnen), wusste sie ansatzweise, was ich mache… hihi, die „Toten Hosen“ als „Kapelle“; wenn die das lesen würden!

Story 3: So viele Leute wie heute hat Campino wohl noch nie gegrüßt. Krieg die alle gar nicht mehr zusammen. Auf jeden Fall war wohl die Mannschaft von Fortuna Düsseldorf da (ihr wurde das Lied „Steh auf wenn Du am Boden bist“ gewidmet; warum wohl?) Ach, da muss ich was zu Gilde nachtragen, ein echter Fortune (die spielen nur noch in der 4. Liga, für diejenigen, denen das nicht bekannt ist). Trotz des Alkohols merkte er noch eine Sache süffisant an: „Also wenn alle, die hier ein Fortuna-Trikot tragen, wirklich Fortunen sind, dann würde es uns wohl kaum so schlecht gehen!“ Unrecht hat er wohl nicht…

Story 4: Und was noch? Die Auflösung einiger Rätsel. Zum Beispiel, warum Campino „Nur zu Besuch“ geschrieben hat. Weil nämlich Weihnachten vor zwei Jahren seine Mutter gestorben ist. Oder wie „Weihnachtsmann vom Dach“ entstand. Einst in Berlin half Campi mal als Weihnachtsmann aus, und bekam an jeder Tür einen Schnaps geschenkt. Am nächsten Tag durfte er nicht mehr den Nikolaus spielen…

„Weihnachtsmann vom Dach“?

– Frohe Weihnacht, ich hoffe es geht Euch gut. Seid nicht böse über meine Flucht.

Irgendwie ist alles geschmückt. Die Mülheimer Innenstadt, alle Wohnungen, das gesamte Centro. Wohltuend farbig und ablenkend wirkt die Arena. Kaum weihnachtliche Stimmung, dabei ist es übermorgen soweit. Geschenke, dickes Essen, die ganze Familie beisammen. Bin nicht so der Weihnachtstyp. Geschenk-unkreativ; freu mich drüber, dass ich immer lange schlafen kann. In diesem Jahr nehme ich das Wort „fest“ sehr wörtlich. Am 21. ne Geburtstagsparty, am 22. das Hosen-Konzert, am 24. der Ringlokschuppen, am 25. eine 80-er-Party in der Turbinenhalle. Zwischendurch ein bisschen Family. Wish me a merry christmas…

So richtig weihnachtlich zumute ist mir nur, als Kuddel seine Version von „Still Still Still“ vorträgt… (wer´s kennt, der weiß, warum mein Magen in diesem Augenblick sehr warm wurde…).

Und was zählt nun?

– Weil nur die Liebe zählt, weil nur die Liebe zählt
plärren die Hosen in einem ihrer neusten Lieder. Das zählt wirklich. Kann ich bestätigen. Nur wie ist das mit Fußball und der Liebe? Man verliebt sich, ohne den Hintergedanken, mit wie viel Schmerz und Zerrissenheit das verbunden ist. Warum ich das gerade hier schreibe, werdet Ihr vermutlich nicht verstehen.

Ich jedenfalls danke den Hosen für die wundervolle Ablenkung und einen genialen Abend!

Doch nun seid nicht böse über meine Flucht.

Nicht mehr verschwitzt, durstig und zugedröhnt.

Aber müde.

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