Mein Pöppinghausen

Für die WAZ/WR Castrop-Rauxel entwickelte ich das Blog „Mein Castrop-Rauxel“, das – damals einmalig auf waz.de (Vorgängerportal von DerWesten) – unter dem Motto „Mein Castrop-Rauxel“ stand. Ich berichtete täglich über meine Erlebnisse in der „Europastadt im Grünen“ – Teile davon erschienen (mit meinem Foto) auch in der Print-Ausgabe.

Leider sind die Blog-Einträge nicht mehr im DerWesten-Archiv zu finden, weil die Community abgeschaltet wurde.

Dieser Eintrag ist vom 31. Juli 2007:

Pöppinghausen heißt wirklich so, hat 900 Einwohner und liegt seeeehr abgeschieden. Was das mit U2 zu tun hat, erfuhr ich im Nirgendwo.

„Es soll ja auch einige Nicht-Castrop-Rauxeler geben, die meine Zeilen Tag für Tag lesen. Für diejenigen sind meine ersten Sätze des Tages: Es gibt selbst hier viele, viele Stadtteile. Etliche habe ich Euch schon vorgestellt, einige nicht. Da sind Henrichenburg (mit der Autobahnausfahrt der A2), Ickern (folgt morgen), Habinghorst (mit der Langen Straße, siehe “Meine erste Stadtrundfahrt“), Rauxel (mit dem Hauptbahnhof und der Europahalle, da war ich noch nicht), Bladenhorst (mit dem Schloss), Castrop (hier sind die Redaktion und die Altstadt), Schwerin (bin ich bisher nur durchgefahren), Frohlinde (wo isn das?) und Merklinde (an der B 235, grenzt an Dortmund-Bövinghausen).

Und dann ist da noch Pöppinghausen.

Lest Euch bitte zur Einstimmung noch einmal den gestrigen Blog-Eintrag durch. Plattenflicken. Deutsche Meisterschaft. Verfahren. Wartburginsel.
Seid Ihr wieder im Film? Gut!
Ich verlasse die Wartburginsel, biege ab auf die Wartburgstraße und folge einem Schild Richtung Pöppinghausen – ja, jetzt nicht so ungläubig auf den Bildschirm starren – der Stadtteil heißt wirklich so. Im Internet habe ich mich ausgiebig informiert. Und auch eifrig die erfahrenen Kollegen befragt. Ich fahre mitten durch die Natur und merke schnell: Pöppinghausen (ich schreib das so gern) liegt außerhalb. Es ist nicht mehr wirklich Castrop-Rauxel, aber auch noch nicht Herne. Der Stadtteil hat nur 900 Einwohner. Wirklich. Mehr dürfen es nicht werden, Pöppinghausen verfügt über keine Wohnbaulandreserven mehr. Auf dem Stadtplan nimmt Pöppinghausen kaum mehr als wenige Quadratzentimeter ein. Ich wechsle im Auto noch schnell die CD – mir steht der Sinn nach “Where the streets have no name” von U2 (warum wohl?) – und denke an meine Worldwideweb-Recherche vom Vormittag. Eine Internetseite des WDR verrät, dass ein Ahnherr namens Poppo dem Dorf zu seinem Namen verhalf. Na ob das wohl stimmt… Im Frühmittelalter soll er der Gründer oder Dorfälteste der Siedlung gewesen sein. Eine Siedlung, das ist Pöppinghausen bis heute. Der Redakteur erzählte erstaunliche Dinge: “Es gibt dort keine Einkaufsmöglichkeit.” Vor vielen Jahren schloss der letzte Supermarkt. Die Einwohner müssen nach Habinghorst fahren. Mit dem Bus ist Pöppinghausen sehr schwer zu erreichen. Eine Kneipe gibt es auch nicht mehr. Die letzte ging vor ein paar Jahren K.o. und ist inzwischen längst in eine Wohnung umfunktioniert. Selbst Kabelfernsehen gab es hier nicht. In Zeiten von Sat-TV und DVB-T ist wenigstens das kein Nachteil mehr.

Mittlerweile habe ich das Ortsschild erreicht und biege ab in den Ringelrodtweg. Ich suche einen kleinen Teich hinter dem Umspannwerk in der Nähe des Rhein-Herne-Kanals. Es bleibt noch ein wenig Zeit, über meine Recherchen nachzudenken. Auf der städtischen Homepage führt ein Link zu Gesprächen des “Zukunftsprojektes Castrop-Rauxel”. “Der dörfliche und ländliche Charakter des Ortsteils wird überstimmend als besondere Qualität benannt. Wald, Felder und die Lage am Kanal machen das Einzigartige aus. Die Abgeschiedenheit wird von vielen geschätzt, aber auch kritisch betrachtet. Weil der Ortsteil “am Ende der Welt” liegt und sehr klein ist, haben viele das Gefühl, dass ihr Ortsteil nur der Wurmfortsatz von Habinghorst sei und deshalb oft von der Politik nicht ernst genommen werde”, steht dort zum Beispiel. Am Ende der Welt also. Im WDR-Artikel heißt das Wort “Kuhkaff”.

Was gibt es denn nun in Pöppinghausen außer Umspannwerk und Wohnhäusern? Ein Jugendzentrum, einen eingruppigen Kindergarten (aufgefüllt mit Kindern aus Herne), eine Kirche (die aber nur noch für Hochzeiten genutzt wird) und den Sportplatz von SuS Pöppinghausen (Spitzen-Vereinsname). Der Platz ist in Sichtweite, als ich die maximal marode Wewelingstraße befahre und befürchte, dass mein Auto in irgendeinem Schlagloch versinkt.

Vor dem Sportplatz muss ich liiiiiiinks ganz scharf um die Kurve, wurde mir gestern so mitgeteilt. Gesagt, getan. Ich biege ab, mein Auto freut sich mit, durchquere eine Tor-Einfahrt und lande tatsächlich an einem Teich. Wahnsinn, das sieht hier wirklich unglaublich idyllisch aus. Es ist ein toller Ort, um Ruhrgebietsfeinde zu beruhigen. 22.000 Quadratmeter Wasser, große Bäume ringsum, dazu noch grüne Wiesen und vor allem: Ruhe. Grenzenlose, endlose Ruhe. Kein Auto stört. Keine Autobahn. Kein Fußgängerzonen-Gebrüll. Ein Anglerverein aus Recklinghausen, der sich Früh Auf 80 nennt, hat sich hier niedergelassen und fischt regelmäßig Hechte, Zander und Schleie aus dem ruhigen Wasser. “Der Teich ist bestimmt 4,30 Meter tief. Ich habe das noch nie getestet”, sagt Vorstandsmitglied Uwe Unger. Gemeinsam mit seinen Vereinskollegen hat er ein Insektenhotel gebaut und am Rand des Teichs auf einer großen Wiese aufgebaut. Ein Insektenhotel mit Holz, Ziegelsteinen und Ästen für Käfer, Spinnen und Fliegen. Ich trinke eine Cola, lasse mir ausgiebig das etwas andere Hotel-Konzept erklären (es gibt keine Sterne, keinen Portier, keinen Zimmerservice – und doch gefällt’s den “Touristen“) und reise schließlich weiter.
Der Rhein-Herne-Kanal durchquert Pöppinghausen – und als ich daran denke, fällt mir etwas ein, was ich noch vergessen habe: Hier in diesem kleinen Vorörtchen gibt es einen gut frequentierten Yachthafen, wenigstens das. Bezeichnend: Dieser Hafen ist über die A42-Ausfahrt “Herne-Horsthausen” bestens zu erreichen. Hier ist nirgendwo. Where the streets have no name. Hier ist irgendwie Herne, aber auch Castrop-Rauxel und ein Klub aus Recklinghausen ist hier heimisch. Auf dem Rückweg befahre ich noch einmal nahezu alle Straßen des Stadtteils, kurve extra langsam mit 20 km/h herum. Wohnbebauung, sonst nichts. Spielt sich hier das wahre Leben in aller Abgeschiedenheit ab? Ist das hier die Chillout-Zone Castrop-Rauxels? Oder ist’s hier einfach nur öd und leer? Die Antwort liegt wahrscheinlich irgendwo in der Mitte.

Ende der Nachhilfestunde zu Pöppinghausen. Aber noch nicht Ende des Unterrichts.

Morgen geht’s nach Ickern in den Nordosten der Stadt.“

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