Mein Samstag

Für die WAZ/WR Castrop-Rauxel entwickelte ich das Blog „Mein Castrop-Rauxel“, das – damals einmalig auf waz.de (Vorgängerportal von DerWesten) – unter dem Motto „Mein Castrop-Rauxel“ stand. Ich berichtete täglich über meine Erlebnisse in der „Europastadt im Grünen“ – Teile davon erschienen (mit meinem Foto) auch in der Print-Ausgabe.

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Dieser Eintrag ist vom 30. Juli 2007:

Pfffschschpffffschschpfff… okay, mein erstes Wort der Woche ist eigentlich kein Wort. Aber wer während einer Radtour wegen eines Plattens halten muss, der kennt dieses Geräusch zu genau. In Castrop-Rauxel fand die deutsche Meisterschaft im Plattenflicken statt. Und ich war mittendrin.

„Heute ist Samstag.
Was könnte ich heute für herrliche Dinge unternehmen!? Mein VfL Bochum bestreitet heute ein Testspiel gegen Borussia Mönchengladbach (und wird gewinnen, natürlich!), der Simpsons-Film ist endlich, endlich in den Kinos, in meiner Heimatstadt Mülheim läuft ein Reggae-Festival und das Wetter erst… Wobei: So doll sieht’s gar nicht aus und deshalb steuere ich mein Auto gar nicht einmal so schlecht gelaunt durch die Bewölkung Richtung Autobahn.

Wie sieht es wohl in Castrop-Rauxel am Wochenende aus? Okay, sooo typisch ist das diesmal nicht, immerhin sind noch Ferien und die Innenstadt wird nach wie vor ausgestorben sein. Aber in der Innenstadt halte ich mich heute auch gar nicht auf. Der erste Termin, den ich mir notiert habe, lautet: “Deutsche Meisterschaft im Plattenflicken”.

Das Ganze soll stattfinden auf der Wartburginsel. Ein Redakteur hat mir am Freitag den Weg erklärt. Er stellte sich mit mir vor den Stadtplan und sagte: Da und da und da – und dann bist du da. Ich bin gespannt. Nach einer kurzen Fahrt über die A 2 lande ich auf der Henrichenburger Straße. Ja und dann? “I’m a Mülheim man in Castrooop”, trällere ich frei nach Sting – und bin froh, dass mich keiner hört. Ich biege ab in eine Querstraße und lande auf der Wartburgstraße. Kann ja so falsch nicht sein. Aber wohin jetzt? Ich fahre blind nach links und rechts und stehe schließlich auf einem riesigen, aber leeren Parkplatz vor einem großen Geschäft. Keiner steht mehr vor der Imbissbude und die Mitarbeiter packen schon zusammen. “Ähem”, setze ich an. “Wo isn hier die Wartburginsel?” “Oh, ganz einfach”, antwortet ein junger Mann. “Wieder zurück auf die Hauptstraße, dann rechts und kurze Zeit später wieder rechts. Einen ganz kleinen Weg hinunter. Du musst aufmerksam fahren.” Okay, dann fahre ich eben aufmerksam, obwohl ich vor lauter rechts und links kaum noch klar denken kann. Trotz allem: Straße und Weg finde ich in Rekordgeschwindigkeit. Ich parke mein Auto zwischen Stock und Stein.

Nach einer deutschen Meisterschaft sieht es hier wirklich nicht aus. Ist aber nicht schlimm. Denn Plattenflicken ist keine Trendsportart und nicht einmal auf dem Weg dorthin. Denn es ist eine Schöpfung von Andrea Friese aus dem Castrop-Rauxeler Fahrradgeschäft “Zweirad Sümpelmann”. Zweifellos eine gute Idee. Langsam nähere ich mich der “Wettkampfstätte” – das ist der Außenbereich der Gaststätte “Inselterrassen”. Scheinbar trainiert der Ruderverein Rauxel in der Nähe, denn die Ruderinnen und Ruderer sind deutlich in der Überzahl. 20 Teilnehmer, ein paar Fans und… sogar zwei Kamerateams! Kellnerinnen schleppen Teller mit Currywurst/Pommes/Majo und ein paar Bierchen. Moderator Jan Plonka beobachtet die ersten Flicker.

20 Teilnehmer – macht fünf Runden á vier Personen, die Sieger erreichen das Finale. So weit, so einfach. Doch: einfach? Jedem stehen ein paar Utensilien zur Verfügung. Das sind ein löchriger Schlauch, ein Eimer Wasser (um das Loch im Schlauch zu entdecken), Kleber, Flicken, eine Felge und natürlich eine Luftpumpe. Erste Aufgabe: flicken. Zweite Aufgabe: aufpumpen. Dritte Aufgabe: 5 Minuten warten. Runde eins geht vorbei. In Runde zwei versuchen Malte, Leonie, Mike und Oliver ihr Glück. Mikes bester Kumpel trägt ein großes Schild “Du schaffst es Mike”. Der trägt eine Sonnenbrille. “Mein Doping”, sagt Mike. Jan Plonka entgegnet: “Ich glaube, das ist die einzige dopingfreie Veranstaltung mit Fahrrädern.” Mike ist schnell fertig, erklärt seine schnelle Runde zu einem “Quickie-Flick”. Danach hilft er Leonie. “Da nutzt er die Chance”, sagt der Moderator, “zu einem kleinen Flirt.” Es ist eine sehr kurzweilige Veranstaltung. Wirklich! Zwischendurch erklärt Andrea Friese, wie sie auf den Geistesblitz kam: “Ich hatte selbst einen Platten.” In Runde fünf verspricht jemand, die anderen “in Grund und Boden zu flicken”. Doch nur zwei Minuten später muss der kleinlaut gestehen: “Kleber und Flicken wollen nicht halten.” Nach anderthalb Stunden ist’s geschafft. Die Finalteilnehmer stehen fest.

Das entscheidende Zeitfahren der Tour de France läuft parallel. Doch in der Pause zwischen Vorrunde und Endpump kommt niemand auf die Idee, zum TV-Gerät zu rennen. Warum das Gelbe Trikot, wenn es auch der Goldene Schlauch sein kann? Es wird ernst. Ein Fernsehteam hat Mike zum Favoriten erklärt und ihn verkabelt. Die Sonnenbrille trägt er nicht mehr. Es ist einfach zu bewölkt. Auf die Plätze, fertig, flick! Schiedsrichter Marcel Schwandt eröffnet das Finale mit einem Startklingeln. Mike ist schnell abgeschlagen. “Mein Doping fehlt”, sagt er. Um den Sieg pumpen Alexander Lücke, Trainer des Rudervereins, und Andres Martinez. Alexander Lücke hat Erfahrung mit Rädern. Am Streckenrand fährt er oft parallel zu seinen Schützlingen – und zu oft liegen Scherben im Weg. Andres Martinez ist “nur” Hobby-Mountain-Biker. Er ist mit geballter familiärer Unterstützung anwesend. Seine Eltern sowie seine zwei Geschwister drücken die Daumen. Ein Zweikampf bis zum letzten Lufthauch.

Alexander Lücke ist schneller. Er schraubt den Reifen zu, hebt die Hand, legt die Luftpumpe weg. Gewonnen. Die Ruderer jubeln, erster Preis ist nicht nur der Schlauch, sondern auch ein Mountain-Bike. “Jungs, ihr könnt stolz sein auf euren Trainer”, brüllt Jan Plonka. Der geschlagene Andres Martinez schaut etwas bedröppelt. Doch fünf Minuten sind’s noch. Noch vier, drei, zwei, eins. Und? Der Schiri muss die Ruderfraktion enttäuschen. Der Reifen ist wieder platt. Das Aus für Alexander. Andres hingegen hat ohne Fehl, Tadel und Doping geflickt. Erster Platz, Goldener Schlauch, neues Fahrrad. “Endlich”, sagt er, “mein altes war schon drei Jahre alt.” Papa Santiago klatscht begeistert in die Hände. 21 Jahre ist Andres alt und bald Werkzeugmacher. Als sich alles beruhigt hat, zieht Andrea Friese Bilanz. “Eine runde Sache”, sagt sie. Ob es 2008 eine zweite Auflage gibt, will sie in Ruhe entscheiden.

So war das mit den Plattenflickern.

Danach ging mein Samstagmittag noch weiter. Aber für heute habe ich Euch schon genug Zeilen zugemutet.

Von Pöppinghausen erzähle ich Euch dann morgen.“

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