Melanie kommt in die Schule

Im Rahmen der von mir selbst konzipierten dreiteiligen Serie „Melanie kommt in die Schule“ in der WAZ/WR Castrop-Rauxel begleitete ich die sechsjährige Melanie aus dem Stadtteil Ickern an ihrem letzten Tag im Kindergarten und dem Weg in die Grundschule – vom 1. bis 7. Augut 2007.

TEIL 1: LETZTER TAG IM KINDERGARTEN

Sechsjährige verbrachte gestern ihren letzten Tag in der Villa Kunterbunt in Ickern. Zum Abschluss brachte sie Spagetti mit. Sie hörte noch einmal Geschichten und kletterte auf dem Hof.

Gar nicht schüchtern sitzt Melanie Piskorz auf dem Schoß ihrer Gruppenleiterin Annelie Knop. Selbstbewusst und laut rattert sie die Zahlen runter, die sie schon kennt. „Eins, zwei, drei, vier. . .“, sagt sie, zählt bis 25, ohne dabei Luft zu holen. Melanie ist sechs Jahre alt. Zum letzten Mal läuft sie heute durch die Tageseinrichtung Villa Kunterbunt in Ickern. Nächste Woche kommt sie in die Schule.

Auf ihrem Kopf trägt sie ein selbst gebasteltes, rotes Stirnband. Ganz vorn steht „Melanie“, angeklebt ist ein rotes Herz. „Heute Morgen“, sagt Melanie, „habe ich Nudeln mitgebracht.“ Kochen zum Abschied. Spagetti morgens um 10.15 Uhr. Für insgesamt 26 von 76 Kindern der Villa Kunterbunt beginnt nächste Woche ein neues Leben. Und auch für zwei Erzieherinnen. Die gehen ebenfalls am 31. Juli. Puh, ganz oft „Tschüss“ sagen an diesem Dienstag.

Mit dem Stirnband auf dem Kopf spaziert Melanie zurück in ihren Gruppenraum, lässt sich Geschichten erzählen. Villa-Leiterin Carmen Ziegler schaut ein wenig traurig hinterher. Bereits Melanies älteren Geschwister besuchten die Villa Kunterbunt. „Für uns“, sagt Carmen Ziegler, „geht deshalb eine Ära zu Ende.“

Bereits im letzten Jahr nahmen die „Schulkinder“ an Projekten teil. „Die Angebotsstruktur ist natürlich ganz anders als für 3-Jährige“, erklärt Ziegler. Jedes Schulkind bekam ein 3-jähriges Patenkind an die Hand. Außerdem ging es zum Beispiel für Melanie mit dem All-Projekt ins Planetarium. Und die Verkehrserzieher der Polizei kamen.

Mars, Venus, Saturn und Polizei sind diesmal kein Thema. Melanie zieht sich ihre kleinen Schuhe an, legt das Stirnband ab, zieht sich ihre Jacke über und stürmt nach draußen. Innerhalb von Sekunden stürmt sie die Kletterwand hinauf und sprintet weiter zur Rutsche. „Auf die Pause in der Grundschule freue ich mich besonders“, sagt sie und tobt mit ihren Gruppenkameraden herum. Annelie Knop zählt zwischendurch immer wieder die Kinder – damit auch keins verloren geht.

Ein letztes Mal läuft Melanie zum Noah-Teich. Noah, weil ein Junge namens Noah der erste war, der ins knietiefe Wasser fiel. „Hier“, sagt ihre Gruppenleiterin Annelie Knop, „du darfst sie noch einmal füttern.“ Melanie nimmt die große Packung Futter und schmeißt den Goldfischen und Kois ein paar Körner zu. Melanie und ihre Freunde halten ihre Finger ins Wasser. Brr. . . ist ganz schön kalt.

Es dauert nicht mehr lange bis zum großen Tag.

TEIL 2: DER SCHULWEG

Sechsjährige kennt die Strecke zur Marktschule schon genau.

Am Straßenrand ist Melanie Piskorz die Chefin. „Stop“, sagt sie stets, schaut erst nach links, dann nach rechts – und gibt schließlich grünes Licht. Ab Dienstag besucht die 6-Jährige die Marktschule in Ickern. Den Weg zur Schule kennt Melanie schon genau.

Los geht es zu Hause an der Arminenstraße. Noch spaziert Melanies Mutter Andrea mit. „Am Tag der Einschulung bin ich auch noch dabei. Und am ersten normalen Tag. Danach geht sie dann allein“, sagt die Mama. Melanie sprintet vor und biegt rechts ab auf die Leveringhauser Straße. Sie deutet auf eine Tür. „Hier wohnt meine Freundin“, sagt sie und erzählt von einem gaaanz großen Hund. Mit Respekt. Angst vor Hunden? Sie nickt.

Die kniffligste Stelle: Melanie muss die Uferstraße überqueren. An einer Ampel. Sie drückt den Knopf, schnell wird’s „Grün“ und weiter geht’s. Im Tornister zu Hause liegen Melanies Bleistiftmäppchen und ein paar leere Ordner. Noch keine Schulbücher. „Wir fahren noch nach Dortmund. Da gibt es die Bücher sofort. Hier müssten wir sie bestellen“, sagt Andrea Piskorz.

Routiniert läuft Tochter Melanie die Emscherstraße und unter der A2 entlang. Dahinter folgt die Emscher. „Da kann man schwimmen“, sagt Melanie. „Nein“, antwortet ihre Mutter. „Ist doch dreckig.“ Für die Mama ist der Weg zur Marktschule Routine. Die älteren Kinder Patrick (15) und Sarina (12) haben die Grundschulzeit bereits hinter sich.

Aufmerksam stoppt Melanie vor jeder Garagenausfahrt. Manche Fahrer sind freundlich und halten sogar, damit Melanie die Straße überqueren kann. Es geht rechts in die Vinckestraße, links in die Kirchstraße. Angekommen. Nach knapp zehn Minuten.

Melanie ist gar nicht außer Puste. Den Schulhof kennt sie bereits. In der Halle geht sie schon zum Turnen. Welches Klassenzimmer ihre zweite Heimat wird, weiß Melanie erst Dienstag. Um 9.30 Uhr beginnt der Gottesdienst, um 10.45 Uhr die erste Schulstunde. Dann wird es ernst.

TEIL 3: DER ERSTE SCHULTAG

Sechsjährige besucht die Fledermausklasse. Tiere, Stifte und Süßigkeiten in ihrer Schultüte.Erster Tag in der Marktschule mit Gottesdienst, Feier und der ersten Stunde bei Frau Langkrär.

Die Verwandtschaft steht ungeduldig vor der großen Schultür. „Heute Morgen“, sagt Vater Markus Piskorz, „war unsere Melanie schon nervös.“ Gerade findet die erste Schulstunde der Sechsjährigen statt. Es ist 11.27 Uhr. Laut Plan dauert’s noch drei Minuten.

Mama Andrea trägt (noch) die Schultüte in der Hand. Es ist zwar das dritte Piskorz-Kind, das die Marktschule in Ickern besucht, aber das Wort „Routine“ benutzen die Eltern nicht. „Ich selbst“, sagt Papa Markus, „wurde 1972 eingeschult. Aber in Lünen. An die Grundschule habe ich keine große Erinnerung.“ Die Einschulungs-Zeremonie verfolgte die Familie Piskorz gemeinsam. Zuerst den Gottesdienst ab 9.30 Uhr in der St. Antonius-Kirche. „Da war unsere Melanie schon unruhig.“ Danach die Einführungsveranstaltung in der Turnhalle – mit Theaterstück und Klassenzuteilung. Die Klassenlehrerin heißt Claudia Langkrär. „Sie ist in der 1b“, erzählt der Papa.

11.30 Uhr, die Eltern setzen sich in Bewegung. Die erste Stunde ist scheinbar zu Ende. Markus Piskorz sagt: „Ich hole die Melanie jetzt ab.“ Die Verwandten warten gespannt auf dem Hof. Es bildet sich eine Schlange im Flur. Nach zwei Minuten kehrt Markus Piskorz zurück – mit Melanie an der Hand. Sie trägt ein rosa Kleid, ihr Schultornister ist genauso groß wie ihr Rücken. „Ich sitze neben Jona“, flüstert Melanie. In ihrer Klasse sind einige aus ihrer ehemaligen Kindergartengruppe. „Heute haben wir etwas in Bücher geklebt“, sagt sie. Vater Markus weiß genau Bescheid: „Sie ist in der Fledermausklasse in der ersten Etage.“

Es folgt der große Moment. Ihre Mutter überreicht die große Schultüte. Melanie setzt sich auf eine Bank und packt aus. Die Chipspackung liegt oben, darunter noch Mäusespeck, Weingummi. Doch die Tüte hat mehr zu bieten als nur Süßigkeiten: Zum Beispiel einen Turnbeutel für den Sportunterricht, ein T-Shirt mit Pferdemotiv – dazu noch Stifte, ein Stoffpferd und ein Pferd aus Plastik als Anhänger für den Tornister. Ja, die Pferde haben es Melanie ganz besonders angetan. Und beruhigen.

Diesen Tag wird Melanie so schnell nicht mehr vergessen. Mit ihren Verwandten, die extra einen Tag Urlaub nahmen, läuft sie nach Hause. Am Grill geht es weiter. Nun beginnt der Schul-Alltag.

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