1. Juni 2004 – U21-EM: Italien-Kroatien 1:0 – „Italienischer Fußball ist grausam!!!“

Wieder einmal Sommerpause, diesmal zwischen den Spielzeiten 2003/2004 und 2004/2005. Wieder einmal konnte ich die lange Zeit ohne Fußball nicht ertragen – und überbrückte sie ein wenig mit der U21-Europameisterschaft, die auch in Bochum ausgetragen wurde. Ich schaute mir zwei Spiele an, darunter am Dienstag, 1. Juni 2004, Italien gegen Kroatien. 1:0 endete das für den späteren Europameister Italien. Ich bloggte darüber unter der Überschrift „Italienischer Fußball ist grausam!!!“, die Dachzeile lautete „Ein Hauch von EM-Feeling“.

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Jaja, ich höre schon wieder das Geseier in meinen Ohren: „Blablaaaa Andi du bist total bekloppt, du guckst dir auch jeden Scheiß an!“

Zurzeit wird ein großes Fußballturnier in Deutschland, ja sogar zum großen Teil in Nordrhein-Westfalen ausgetragen, und keiner nimmt davon Notiz. Es ist immerhin die Europameisterschaft der U21-Mannschaften, der künftigen Topstars – und es geht nicht nur um die EM, sondern auch um die Olympia-Qualifikation. Und getreu dem Expo-2000-Motto „Das gibts nur einmal, das kommt nicht wieder“, beschlossen mein VfL-Kurvenkumpel Gerd und ich beim Hannover-Spiel, uns das Rumgekicke von verwöhnten Jungmillionären mal im Ruhrstadion live anzusehen. Gesagt, getan; und so saßen wir dann da, heute um 20.45 Uhr. Fremd in unserem eigenen Ruhrstadion…

„Gerd, lass uns doch mal setzen. Schön auf die Tribüne. Wenn schon dekadent, dann richtig, oder?“ Komisch, es ist „unser“ geliebtes Ruhrstadion, und doch weht hier eine komische Luft… INTERNATIONALE Luft… sie kann ja direkt hierbleiben, und braucht in diesem Jahr mal nicht nach Dortmund oder Gelsenkirchen weiterziehen.

Dienstagabend, ein ganz normaler Werktag im Ruhrgebiet geht zu Ende. Die S-Bahnen, Regionalexpresse und U-Bahnen sind prall gefüllt, und doch fällt etwas auf. Genau: Auffällig viele tragen ein „Croatia“- oder „Italia“-Trikot. Stimmt, es ist ja U21-EM. Gerd und ich haben uns an der Tankstelle gegenüber der Ostkurve verabredet, und – hilfe – auch Gerd trägt ein Italien-Shirt. Ich dachte, wir könnten uns NEUTRAL bewegen. Falsch gedacht. „15 Euro für einen ermäßigten Sitzplatz – das geht doch.“ Wir bezahlen, treffen Michael Schuuuuuuuuuuulz, den ehemaligen Auf-alles-drauf-Treter von Bremen und Dortmund am Bratwurststand und setzen uns hin. Viel ist nicht gerade los, so dass uns die freie Sitzplatz-Auswahl bleibt. Das Ruhrstadion wirkt auf einmal so klein, so beschaulich. „Warte ab, in zehn Jahren hast du auch deinen festen Sitzplatz“, flunkert Gerd – und ich könnte ihn verfluchen… wir stellen fest, wie mittig wir in der Ostkurve stehen; und obwohl uns der Tribünenüberblick auch durchaus gefällt, beschließen wir, es bei diesem einmaligen Ausrutscher bewenden zu lassen. Drei Reihen vor uns sitzt Frank Benatelli, während Halbzeit zwei rauscht unser Ersatztorwart Christian Vander vorbei.

Die Organisation des Ganzen ist bescheiden. Okay, nur knapp fünfeinhalbtausend Zuschauer sind da; aber für zwei ganze Sitzplatzblöcke gerade mal einen Würstchen/Getränke-Stand mit vier Mitarbeitern öffnen? Also bitte… Die Nationalhymnen von irgendsoeinem komischen Bergarbeiterchor sind auch nicht gerade laut. Und überhaupt werde ich diesen ganzen Länderspielquatsch immer lachhaft finden. Gerd und ich haben keine Ahnung. Keine Ahnung, wie der Tabellenstand ist, keine Ahnung von den Spielern der Mannschaften. Nur der Herr Babic, die Nummer zehn Kroatiens und Nummer 19 Bayer Leverkusens, ist uns ein Begriff. Irgendjemand verrät uns, dass beide Mannschaften unbedingt gewinnen müssen, um weiterzukommen. Aha. Wir wollen uns nur amüsieren – das geht in unserem gemischten Block prächtig (die einen rufen etwas auf Kroatisch. die anderen brüllen ständig „ITALIA! ITALIA! ITALIA!) – und ein gutes Fußballspiel sehen.

Aber wir haben vergessen, dass eine italienische Fußballmannschaft mitspielt.

Meine Wertschätzung für die italienische Art, das Fußballspiel zu interpretieren, sinkt von Minute zu Minute. Und sie war ohnehin nicht hoch. Fragt mal meine Kollegen, die dabei sind, wenn ich ein Spiel von AC Mailand live im Fernsehen sehe. Ich krieg bei diesem langweiligen Catenaccio-Mist das Kotzen… Fast 80 Prozent aller Spiele mit italienischer Beteiligung laufen gleich ab. Du merkst, dass alle elf Spieler durchaus technische Möglichkeiten besitzen. Aber garantiert werden alle elf nur gerade eben soviel von ihren Fertigkeiten zeigen, dass es zu einem 1:0-Sieg reicht. Ich behaupte immer, dass die Ansprache des AC-Milan-Trainers vor Europapokal-Auswärtsspielen ausfällt. Er schreibt einfach nur „0:0“ an die Tafel und geht raus. Und meistens folgen seine Spieler dem Trainerwunsch.

Und jetzt schaut doch mal auf das Endergebnis und ratet, wie das Spiel abgelaufen ist… haargenau: Die Italiener haben ein winziges, mickriges, saublödes Tor geschossen, natürlich nach einer Standardsituation, bloß nicht aus dem Spiel heraus. Daniele de Rossi oder so ähnlich war der Torschütze, in der etwa zwanzigsten Minute. Und der Rest? Dank des tollen Tribünen-Überblicks sind die zwei Viererketten der Italiener in Abwehr und Mittelfeld gut zu erkennen. Alle verschieben sich prima in Ballrichtung. Die gegnerische Elf wird erst Mitte der eigenen Spielhälfte richtig attackiert. Dadurch wird das Spielfeld so verflucht eng, dass den Kroaten kein Platz zum Kombinieren bleibt. Möglichkeiten bleiben nur wenige. Angriffe durch die Spielfeldmitte sind nahezu unmöglich. Bei Standardsituationen versagen die auch sonst erschreckend einfallslosen Kroaten in schöner Regelmäßigkeit – das Eckenverhältnis schwillt auf 10:1 (!!!) an. Und wenn einmal eine Flanke in die Mitte fliegt, fegt ein überragender Innenverteidiger den Ball mit dem Kopf weg. Ja, einen herausragenden Innenverteidiger braucht das italienische Spiel. In der A-Elf ist das der Job von Nesta. Entlastung ist nicht nötig. Ab dem 1:0 überschreiten die blau-weißen Italiener höchstens fünfmal die Mittellinie, tragen selbst überhaupt nichts mehr zum Spiel bei. Die Ballbesitz-Statistik liegt bei gefühlten 75:25 Prozent für Kroatien. Trotz Unterzahl (Del Nero hat Gelb-Rot gesehen) schaukelt Italiens U21 den Sieg locker und mit viiiiiiel Zeitspiel nach Hause. Ich schwöre, dass der italienischen Mannschaft selbst gegen die zweite Mannschaft des VfB Speldorf aus der Kreisliga B ein 1:0 reichen würde…

„Ich hab doch schon direkt nach dem 1:0 gesagt, dass wir nach Hause gehen können“, sage ich zu Gerd nach dem Abpfiff. Es war doch sonnenklar… Das Spiel erhält von uns die Spielnote 4. Die anderen neutralen Besucher haben es ähnlich gesehen. „Wenn die Italiener ein Tor schießen, wird es verdammt schwer“, sagt jemand in der Bahn. „Man haben die dicht gemacht“, bemerkt ein zweiter. Es war für Taktik-Ästheten womöglich ein Genuss.

Ich fand es einfach nur grausam.

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