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Das 100. Auswärtsspiel meiner VfL-Karriere
Ich will mal irgendwohin, Teil 2. Mit Liwa-Musik zum Jubiläum. Mit Frust zurück nach Hause. Mit Schmackes einen Tag in den Sand gesetzt
Kurz vor meinem 324. VfL-Spiel
Stunde des Zweifels
2000 enttäuschte Bochumer Jungs
Auf dieses Spiel, auf diesen
Text hab ich mich vorbereitet. Die Maske - regelmäßige Besucher
dieser Seite werdens gemerkt haben - steht schon seit Mittwoch online,
die ganzen Links hab ich schon rechtzeitig gesetzt. Dieses Spiel wird eine
Zäsur in meiner VfL-Karriere. Es ist das 100. Auswärtsspiel meines
Bochumer Ichs. Zeit, um die Luft anzuhalten. Zeit, um sich das Fotoalbum
all dieser Jahre noch einmal anzuschauen. Zeit, um die drei Werder-Auswärtstexte
dieser Seite durchzulesen. Zeit. Viel Zeit. Tom Liwas Überschrift
fällt mir sofort in die Auge. "Ich will nunmal irgendwohin" ist ein
traumhaft melancholisches Stück. Werd die CD mit ins Auto nehmen.
Es passt so zu diesem Tag. Es soll ganz furchtbar bewölkt werden und
in einer Tour regnen. Hundert. Wir haben noch NIE in Bremen gewonnen. In
29 Versuchen. Dass wirs diesmal tun, ist so unwahrscheinlich wie der Durchmarsch
des VfB Speldorf in die 1. Bundesliga. Egal. Bremen. Immer 'ne Reise wert.
Die Aktienstraße ist
voll an diesem Samstagmorgen. Es ist wahrscheinlich der härteste Teil
meiner sechsstündigen 520-Kilometer-Reise. Samstagsfahrer biegen morgens
um 11 Uhr zum Einkaufen ab, andere bremsen viel zu kurzfristig, die Straße
ist regenglatt, uäähh. Schnell noch zu Hause die Strecke ausgedruckt,
es geht über die A40 bis Bochum, die A43 bis Münster und die
A1 bis "Bremen-Arsten". Mein Beifahrersitz ist komplett mit Tüten
und Klamotten vollgepackt. Sieht so aus, als würde ich einen zweiwöchigen
Urlaub beginnen... Heute Abend habe ich noch einen WAZ-Termin bekommen,
muss zu Gaby Köster in die Mülheimer Stadthalle. Das heißt:
Eine komplette Garnitur Klamotten und neue Schuhe zum Wechseln. Dazu noch
eine Flasche Wasser für die Fahrt, "1000 Tipps für Auswärtsspiele"
und die aktuelle Samstags-WAZ. Um 11.30 Uhr hab ichs auf die Bahn geschafft,
rechne mit knapp drei Stunden Fahrt.
Es regnet, es ist herbstgrau,
die Scheibenwischer leisten Schwerstarbeit, auf der Autobahn gehts bis
"Lavesum" auf der A43 nur mit maximal 70 km/h vorwärts. Und aus dem
Radio erklingt Tom Liwa. "Für die linke Spur zu langsam, für
die rechte Spur zu schnell, entlang den immergleichen Leitplanken, Schildern
und Zeichen". Noch sinniere ich nicht über den VfL, über
das Spiel, über Werder, über 100 Auswärtsspiele. Noch ärgere
ich mich über die Niederlage im Soccerhallenspiel am Donnerstag. Wir
haben Drei gegen Drei gespielt, 90 Minuten lang. Ich hab gespielt wie ein
junger Gott, zum ersten Mal, seit wir diese Soccerhallen-Runde vor anderthalb
Jahren ins Leben riefen. Meine Mannschaft führte 80 Minuten lang mit
zwei bis fünf Toren Vorsprung. Kurz vor Schluss sind wir alle Drei
abgekackt. Keine Luft mehr. Kaputt. "Trainer, wechseln", der Spruch half
nicht. Wir verloren noch mit zwei Toren Unterschied. Jetzt weiß ich,
wie sich unsere Jungs im Heimspiel
gegen Nürnberg gefühlt haben müssen. Ich trink etwas
Wasser. Gehirn fluten.
Nach Lavesum gehts ruckzuck.
Münster, Osnabrück und Wildeshausen rasen vorbei, um 14.15 Uhr
erreiche ich die Ausfahrt, viel früher als gedacht. Ein "Verkehrschaos"
kündigt "1000 Tipps für Auswärtsspiele" an. Aber noch gehts.
Hatte mir Anfang der Woche so viel vorgenommen. Wollte morgens noch den
Bremer Stadtteil "Vahr" besuchen und diesen Text als Hommage an Sven Regeners
"Neue Vahr Süd" formulieren. Nee, dann doch lieber ausschlafen. Und
bei dem Wetter... eine weitere Möglichkeit der Element-of-Crime-Huldigung
wäre es gewesen, "Getränke Hoffmann" zu knipsen, jenem im Song
"Delmenhorst" erwähnten Geschäft. Auch nix. Der Domshof, die
malerische City und das Schnoor-Viertel müssen ebenfalls diesmal ohne
mich auskommen. Heute heißts nur: Anreisen, Spiel angucken, abreisen.
Warum spielen wir immer nur im tiefsten November-Herbst oder windigen Februar-/März-Frühling
an der Weser? Mit ein bisschen Sonne wäre es hier noch schöner.
"Ich will nunmal irgendwohin" singt Tom Liwa, als ich in einer großen
Schlange auf der Straße "Osterdeich" stehe und die angeknipsten Flutlichtmasten
des Stadions schon sehen kann. Keine Überschrift passt auf mein Leben
im Moment so gut. Wie wirds mit dem Uni-Abschluss? Was passiert mit dem
Volontariat, vor allem: WAS danach? Irgendwohin.
Der Parkplatz ist eine Schotterpiste,
kostet sogar noch drei Euro, bis zum Stadion gehts per pedes durch eine
Schlammwüste. Schon jetzt sehe ich so aus, als sei ich sturzbesoffen
hingefallen. Ersatzklamotten. Zum Glück. Mein Bochum-Trikot trage
ich offen, dabei muss ich an der Werder-Stehplatzkurve vorbeilaufen. Aber
die Bremer gelten als tolerant, zumal wir der erklärte Lieblingsgegner
sind. "Ihr verliert sowieso", flüstert mir ein grün-weiß
bekleideter Mann ins Ohr. Vor der Haupttribüne hat sich ein Stand
neben dem nächsten Aufgebot postiert. Essen aller Art, Getränke,
Torwandschießen von "arena". "Ist ja wie auf einer Kirmes hier",
sagt ein VfL-Fan am Eingang. Nach zehn Minuten Fußweg bin ich angekommen,
als ich um 14.55 Uhr die prall gefüllte Gästekurve betrete, laufen
sich unsere Jungs schon warm. Heute. Schreiben wir Geschichte? Wäre
schön.
Ich platziere mich unterm
Dach des Oberrangs, trage über meinem VfL-Trikot die "Ärzte-statt-Böller"-Jacke.
Das Spiel wird eine einzige
große, 90-minütige Quälerei. Anderthalb Stunden lang wünsche
ich mir, ich hätte den Gedanken "Fahre nicht!" kurz nach dem Aufstehen
ernst genommen. Anderthalb Stunden diese Frage, diese Zweifel. Stunde des
Zweifels. Ein Liwa-Lied. Mit der Zeile "Unser Geheimnis ist dass da
keins ist". Schon nach einer Sekunde habe ich das unvermeidliche Gefühl,
dass wir heute niemals, nie und nimmer ein Tor schießen werden. Entweder
es geht 0:0 aus - oder tschüss. Die Statistiken werden von Minute
zu Minute erdrückender. Bremen erarbeitet sich insgesamt 21:5 Torschüsse,
12:1 Torchancen, 7:2 Ecken, 64:36 Prozent Ballbesitz. Unsere fünf
Schüsse werden allesamt geblockt oder gehen daneben, kein einziger
(!), keiner (!!!!) kommt aufs Tor. Nicht einmal in 90 Minuten. Es ist das
mit ganz großem Abstand schlechteste Auswärtsspiel dieser Saison.
Natürlich, mein Hundertstes. Dreimal klingelts in unserer Hütte,
dreimal leitet das Seemannshorn den Bremer Torjubel ein. Dreimal trifft
Aaron Hunt. In der 25., 73. und 76. Minute. Bei uns laufen alle kreuz und
quer, nur Tomasz "spielt immer den Ball" Zdebel wehrt sich. Der Rast passt
entweder in einer Tour fehl, ärgert sich über Missverständnisse.
Zdebel. Ein bisschen. Es bleibt genug Zeit, um ein bisschen auf das Drumherum
zu achten, so wie es gern mache auswärts. Eine "17" halten etliche
der 38.000 Werder-Fans immer wieder in die Höhe. 17 ist die Rückennummer
von Ivan Klasnic, der wegen einer Nieren-Operation vielleicht seine Karriere
beenden muss. "Ivan wir sind bei Dir" steht auf einem Riesenplakat. Da
klatschen sogar wir Bochumer. Die Stimmung in unserem Block ebbt natürlich
ab und ist Mitte der zweiten Halbzeit kaum noch vorhanden. Kurz nach dem
0:3 kommt es zu einer Schlägerei zwischen einem Fan, der in der Ultraecke
steht, und einem Ordner. Sofort eilen 30 Polizisten (oder auch "Staatsmacht"
genannt, wie auf dem nächsten Ultra-DIN-A-5-Blättchen stehen
wird) herbei, was höchst peinlich ist und der Sache nicht angemessen
erscheint. Für die Ultras ist das ein willkommener Anlass, um sofort
alle möglichen Anti-Polizei-Sprechchöre loszuwerden. Es beginnt
mit "Fußball-Fans sind keine Verbrecher", geht weiter mit "All cops
are bastards, ACAB" und hört auf mit "Ihr macht Euch lächerlich"
- nicht weniger unnötig als die Polizei-Aktion. Das gibt bestimmt
heiße Diskussionen in den diversen Internet-Foren. Ich werd sie nicht
durchlesen. Diese ganze Aktion ist aber wesentlich spannender als das komplette
Spiel. Kurz vor Schluss werde ich nachdenklich. Auf den anderen Plätzen
läuft ALLES gegen uns. Nach dem HSV-Sieg gestern auf Schalke gewinnt
Bielefeld gegen Nürnberg und sogar Frankfurt gegen Hannover. Wir sind
Vorletzter und stehen nun im Revierderby gegen Dortmund unter einem unglaublich-unmenschlichen
Druck. 100 Auswärtsspiele. Was waren die Highlights? Ich grüble
ein wenig, nippe am Apfelschorle-Becher mit dem Werder-Emblem und Frank
Baumanns Schädel drauf, ziehe mir meinen Schal zurecht (es wird schattiger
und ist mittlerweile stockfinster) und weiß: Das DFB-Pokalspiel beim
FC St. Pauli wird immer ein unvergessliches Erlebnis bleiben. Überhaupt
fallen mir zuerst die traurigsten Niederlagen ein (wie auch das 0:1 im
DFB-Pokal-Viertelfinale beim 1. FC Union Berlin), bevor ich an die zwei
fantastischen Aufstiege in Aachen denke oder das 4:2 in Leverkusen, als
wir die Tabellenführung der 1. Bundesliga behaupteten. Fünf der
elf Leverkusener standen anderthalb Monate zuvor im WM-Finale, und wir
als Aufsteiger nahmen sie nach allen Regeln der Fußball-Kunst auseinander.
"Wir singen Bayer, Bayer, Zweiiiiite Liiiga", davon wird mein Bruder Thommy
in 100 Jahren noch reden.
Heute ist nichts Fußball-Kunst.
0:3, Abpfiff, schlechte
Laune, beschissener Tag, hätte es mir komplett schenken können.
Ich warte nicht mehr auf die Spieler, heute applaudiere ich ihnen nicht.
Anständig war das nicht. Sondern wehrlos. Sofort sprinte ich zum Wagen,
vielleicht komme ich doch noch rechtzeitig vom Parkplatz runter. Ich schaffs,
bin nach kurzer Zeit wieder auf der A1, tanke am Rasthof "Wildeshausen",
telefoniere ein wenig in der Weltgeschichte herum, um meinen Frust loszuwerden.
Heute Abend noch Gaby Köster, jawoll, das vollendet diesen miesen
Tag. Wieder schiebe ich meine Tom-Liwa-CD in den Ofen. Und skippe zu meinem
persönlichen Titelsong "Ich will nunmal irgendwohin." Die letzte Zeile
deute ich ein wenig um. Schreibe sie mir auf den Leib.
Zwei Stunden später bin ich wieder auf der Straße mit meinen komischen Freunden land auf, land ab die Leute zu beglücken - mit meinen traurigen, traurigen Stücken. Nur mit dem über Dich bin ich noch lang nicht fertig, ich schreib seit Jahren dran, aber irgendwie komm ich nie an.
Stimmt, lieber VfL!
Wie der Abend weiterging...
20 Uhr - für die WAZ: Comedykritik - Gaby Köster in der Stadthalle, zum WAZ-Text HIER
Bremen-Links
Saison 2004 / 2005 : Werder
Bremen - VfL 4 : 0 (26.2.2005) HIER
("Writing to forget it")
Saison 2003 / 2004 :
Werder
Bremen - VfL 3 : 1 (22.11.2003) HIER
("Ich will nunmal irgendwohin")
Saison 2002 / 2003 :
Werder Bremen - VfL 2 : 0 (8.3.2003) HIER("Der
Ailton-Banovic-Komplex")
Klasnic-Kundgebung: "Ivan: Fans, Frau und Mannschaft sind bei Dir: Kämpfe
und Siege!
Bremen-Info Weserstadion
Geschichte: Das Weserstadion
wurde 1909 am Osterdeich unmittelbar an der Weser vom Allgemeinen Bremer
Turn- und Sportverein als Sportplatz erbaut und 1926 nach dem ersten Umbau
"ATSB-Kampfbahn" benannt. Der heutige Name besteht seit 1930. Seit dieser
Zeit trägt dort der SV Werder Bremen seine Spiele aus. Parallel lief
auch der Bremer SV 1906 auf - allerdings nur bis 1963. Dann erhielt das
Stadion seine erste überdachte Tribüne. In den folgenden Jahrzehnten
wurde das Stadion um die anderen Tribünen erweitert und immer wieder
modernisiert. 1992 wurden in Bremen VIP-Logen eingeführt - erstmals
in der Bundesliga.
Kapazität: Das
Stadion bietet Platz für 42.358 Zuschauer - darunter sind 70 Logen
(720 Plätze), eine Großraumloge (70 Plätze), 127 Rollstuhlplätze
und 10.900 Stehplätze.
Zukunft: Zurzeit
wird über einen Ausbau auf 50.000 Plätze diskutiert. Ein Parkhaus
könnte das größere Verkehrsaufkommen auffangen. Die Flutlichtmasten
würden weichen. Das Dach soll mit einer 17.000 bis 20.000 Quadratmeter
großen Solarzellenanlage ausgestattet werden - einmalig in Europa.
Verein Werder: Im
Weserstadion finden nicht nur die Werder-Spiele statt. In den Katakomben
befindet sich das "Wuseum" mit Meisterschale, DFB-Pokal, Plakaten und Fotos.
Die Schach-Bundesligamannschaft trägt im Weserstadion ihre Heimspieltage
aus. Einen Steinwurf von der Werder-Kurve entfernt liegt das Trainingszentrum
des Vereins mit endlos vielen Rasenplätzen. Dort bestreitet auch die
Werder-Reserve ihre Regionalliga-Heimspiele.
Lage: Das Weserstadion
ist vom Hauptbahnhof in einem 40-minütigen Fußmarsch zu erreichen.
Dabei geht es vorbei an den bekanntesten Sehenswürdigkeiten (Dom,
Rathaus, Stadtmusikanten, Roland, Schnoor-Viertel, Stadtbild) und an der
Weser entlang. Zweite Möglichkeit: Eine zehnminütige Straßenbahnfahrt
und danach noch einmal ein zehnminütiger Fußmarsch.
32 Tage nach dem Derby: Aus dem Kurzurlaub in St. Peter-Ording eiligst eingetippte Erinnerungen (am 11. April 2007)
Scheiß auf die bisherige Saison: Heute seid Ihr alle Helden!
Alles Gekas oder was?
Ein paar Sekunden nach dem 1:0: Ekstase pur in der Kurve
Sitze in St. Peter-Dorf. Im Hotel auf Zimmer neun. Schöner Tag. Sonnenschein. 12 Grad im Schatten, gefühlte 18 in der Sonne. Meine Nase ist etwas rot, ja, doch. Unterhalte mich mit meinem Bruder oft über den VfL. Bin immer noch auf dem Leverkusen-Trip, singe immer noch "Theooooofaniiiiis Geeeeeekaaas". Bayern ist grad aus der Champions League geflogen, wir schreiben den 11. April, wenn Ihr richtig mitgedacht habt.
Es ist Tag 32 nach dem Revierderby.
Sitze in der Sauna, finnisch, 83 Grad. Der Leverkusen-Text ist frisch aus dem Ofen, noch lauwarm, bat meinen Bruder auf mein Einzelzimmer zur Korrektur. Erblickte das kleine Wörtchen "folgt" auf dem Bildschirm. Unter dem Stichwort "VfL Bochum - Borussia Dortmund 2:0". Große Emotionen nach einem großen Derby - aber doch Kindergarten gegen das Leverkusen-Erlebnis. Sitze, schwitze, denke an jenen Samstagmittag, an das, was mich am meisten bewegte, an das, was ich noch heute weiß.
Erinnerung 1 - Gesucht: Ultras
Ruhrstadion, 15.21 Uhr.
Der Ablaufplan steht präzise im Stadionheft, gibts glaub ich auch
nur in Bochum. Notiert ist erst "Mein VfL" (15.21 Uhr), dann die Mannschaftsaufstellung
(15.24) und schließlich Grönemeyers "Bochum" (15.26). Bemerkbar
machen sich die Ultras vor dem Anpfiff nie, sie sind höchstens zu
erahnen. Erst mit dem Anpfiff beginnt die Show, erst nach der zehnten Spielsekunde
postiert sich der Megafon-Mann auf dem Zaun. Ab und zu gibt es eine Plakataktion,
was auch immer. Diesmal ist Revierderby, gerade auf Dortmund sind die Ultras
besonders heiß. Doch... WO SIND SIE? "Gesucht: Ultras" lautet das
Thema des Tages. Kein Megafon, kaum angesagte Sprechchöre (was wahrlich
nicht schlecht ist, sondern zeigt, dass es auch ohne die "Retter" der Fankultur
geht). Nach fünf Minuten postiert sich ein Ersatzmann auf dem Zaun.
Gerüchte. Was ist los? Einer, den wir "Professor" nennen, sagt: "Dämon
wurde festgenommen". Gelernt eins: Der Megafon-Typ heißt Dämon.
Gelernt zwei: Es gab Stress mit der Polizei. Schlussfolgerung: Bei den
nächsten Spielen wird es ganz heiße All-cops-are-bastards-Diskussionen
geben. Des Rätsels Lösung erklärt jemand ganz am Ende des
Spiels: Eine große Dortmunder Fangruppe, die mit dem Zug anreiste,
wurde von der Polizei an der Ultra-Kneipe in der Innenstadt vorbeigeleitet.
Sehr clever, denn es kam (gaaaar nicht vorhersehbar, schlaubyhaft) zu einer
wüsten Werferei von Flaschen etc. Reaktion der Polizei: Sie kesselte
die Ultra-Kneipe für die Dauer des Spiels ein und nahm einige Werfer
mit auf die Wache. Sprich: Der Großteil verpasst das Derby.
Erinnerung 2 - Der Mannschaftsbus
Meine persönliche Beziehung
zum Mannschaftsbus begann am Abend vor dem Cottbus-Spiel.
Als ich vollbepackt den aus Leipzig kommenden Regionalexpress verließ,
sah ich als erstes den VfL-Bus vor einem Hotel am Bahnhof stehen. Diesmal
ist ein normaler Samstagmittag, wieder einmal beschließe ich, den
Weg zum Ruhrstadion mit dem Auto zurückzulegen, fahre entsprechend
früh los. Die Autobahn A40 ist leer, lediglich hinter der Abfahrt
"Ruhrstadion" wird es voller. Und was... was ist... was ist DAS denn? Der
VfL-Bus steht fast direkt vor mir. Ich biege ins Parkhaus ein, finde einen
sensationellen Smart-Parkplatz im Erdgeschoss, laufe um 14.20 Uhr gemächlich
Richtung Ostkurve - als ich auf einmal in eine Gruppe blaubetrainingsanzugter
Sportler gerate. Es sind vorneweg: Torwarttrainer Greiber (mit Brille),
Drobny, Maltritz, Gekas, alle VfLer, fast alle mit ipod oder ähnlichen
Stöpseln im Gehörgang. Irgendjemand fragt: "Was ist mit Euch
los?" Irgendein Spieler antwortet: "Es ging minutenlang weder vor- noch
rückwärts. Deshalb sind wir die paar Meter bis zur Kabine gelaufen."
Autogramme hab ich mir nicht geholt. Aus dem Alter bin ich raus.
Unser Garant für bessere Zeiten: Theofanis Gekas und das von ihm herausgeschossene Ergebnis
Erinnerung 3 - Das Spiel
Bochum gegen Dortmund, das
hat IMMER etwas von "klein gegen groß" und "arm gegen reich". Der
BVB wird in JEDEM VfL-Spiel von den Fans äußerst negativ bedacht
("B-V-B-Hurensööhne"), das geht den Trommlern inzwischen zu weit,
sie trommeln diesen Spruch meist nach kurzer Zeit nieder. Egal, die Konkurrenz
ist jedenfalls riesengroß, die Abneigung noch viel mehr. Als wir
Fünfter wurden und der BVB Sechster, war das wie ein Doublegewinn
und ein noch größerer Erfolg als der UEFA-Cup-Einzug selbst.
Weil: UEFA-Cup schön und gut, aber VOR Dortmund!! Heute als wieder
VfL gegen BVB, diesmal ist die Tabellensituation besonders. Wenn wir gewinnen,
schubsen wir die Schwarz-Gelben mit in den Tabellenkeller. "Borussiaaaa
im Abstiegsjaaaahr" (gelernt von den Aachenern, die vor einem Jahr "Alemannia
im Aufstiegsjahr" trällerten) ist der Hit des Tages, schon weit vor
dem Anpfiff. Die gnadenlose Enttäuschung aus dem Bremen-Spiel schieben
wir ganz weit von uns, in Derbys wird nicht gemeckert. Der Spielverlauf
ist schnell erzählt: Wir zelebrieren Abstiegskampf in seiner besten
Form: kratzen, beißen, treten, spucken, mit einem Drecksack Zdebel
in Bestform. Unser Trainer hat sich was getraut, hat Grote links vorn für
Trojan aufgeboten (völlig überraschend) und links hinten Meichelbeck
für Bönig (von den Fans lange, lange, lange gefordert, "der MARTIN
wirds schon machen", heißt es) eine Chance gegeben. Das Mittelfeld
ist umstrukturiert, Epalle gibt diesmal den zweiten Stürmer, Misimovic
- in Bremen gesperrt, diesmal für Dabrowski im Team - muss zentral
etwas mehr nach hinten arbeiten, Bechmann und Grote kommen über Außen,
Zdebel ist einziger "Sechser". Offensivoffensiv, der Koller. Ich glaubs
nicht. Die Dortmunder haben viele bekannte Namen auf dem Platz. Weidenfeller
im Tor, die Stamm-Viererkette mit Wörns (Ex-Nationalspieler), Metzelder
(WM!), Degen (WM für die Schweiz) und Dede, im Mittelfeld mit Kringe,
Kehl (WM!), Tinga und Amedick als Misimovic-Bewacher - und Smolarek (WM
für Polen)/Valdez (WM für Paraguay) im Sturm. Klingt gut. Doch
die Praxis sieht ganz anders aus. Trainer Röber hat scheinbar überhaupt
nichts in die Schädel der Spieler hämmern können. Metzelder
träumt wohl vom Real Madridschen Handgeld. Er wirkt in Zweikämpfen
und Offensivaktionen gehemmt und total abwesend. Wörns ist viel zu
langsam. Im defensiven Mittelfeld fehlt Kehl nach sechs verletzten Monaten
die Spielpraxis, Amedick ist gegen Misimovic überfordert. Valdez hat
im BVB-Trikot noch kein Tor erzielt, Smolarek geht total unter. Schon nach
anderthalb Minuten sage ich zu Gerd: "Der Gekas läuft heute viermal
allein aufs Tor zu." Wir schießen einen völlig verdienten 2:0-Sieg
heraus. Zweimal Misimovic auf Gekas, zweimal Tor, zweimal Sirtaki, zweimal
Rumhüpferei, ganz oft "Borussia im Abstiegsjahr", "Theofanis Gekas",
"BVB-Hur...söhne", "Oh wie ist das schööön", alles
ohne die Ultras. Die Dortmunder ärgern sich über einen Pfostenkopfball
von Valdez zwischen 1:0 und 2:0 - Ende. Dachte eigentlich, dass noch torlose
Stürmer GANZ BESTIMMT gegen uns treffen. Falsch gedacht. 2:0, gewonnen,
nach Magath den zweiten Trainer auf dem Gewissen - der Röber fliegt
nach diesem mut- und leidenschaftslosen Auftritt bestimmt morgen raus.
Erinnerung 4 - Die SMS'
Fast jeder Fußballfan
im Ruhrgebiet hat auch einen eigenen Lieblingsverein AUS dem Ruhrgebiet.
Es gibt wenige Bochumer, viele Dortmunder, noch mehr Schalker. Auch mein
Bekanntenkreis ist voll mit Fans aller Couleur. Mit BVB-Fans spiele ich
regelmäßig Fußball in der Soccerhalle, Björn aus
Aachen
ist auch ein BVBer seit vielen Jahren (als das Westfalenstadion noch einen
Rang hatte und "nur" 42.000 Plätze). Einen sms-Ticker hat er angefordert.
Soll er haben. Und da wäre noch ein hoher Beamter der Stadt Mülheim,
den ich beruflich häufig interviewen muss. Vor Saisonbeginn habe ich
mit ihm leichtsinnigerweise gewettet, dass der VfL vor dem BVB landet,
um eine Pommes mit Currywurst. Seit 24 Spieltagen höre mich mir seine
Spitzen an. Doch heute... um 17.19 Uhr geht die erste sms an... natürlich!
"Ich habe es auf arena gesehen und bei der Pommesbude fast die Bestellung
aufgegeben", funkt der Beamte zurück. Sonst: Nur Glückwünsche.
"Trink einen für mich mit", schreibt der WAZ-Volontär. "Großartig!
Bin auf einer Taufe und jetzt natürlich allerbestens gelaunt", tippt
Dirk aus München.
Das Wetter stimmte an diesem Nachmittag im März. Genauso wie heute hier an der Nordsee. Mit dem rechten Zeigefinger probte ich die Wassertemperatur. Kalt. Acht Grad. Auf dem Fahrrad fuhren wir mindestens zehn Kilometer durch drei der St. Peter - Stadtteile (Dorf, Bad, Ording). Vorbei. Jetzt ist nach Mitternacht.
Bin lange aus der Sauna zurück.
Frisch geduscht. Abgetrocknet. Und die Erinnerungen ans Derby endlich auch
verewigt.
Frank Goosen im Kicker über das BVB-Spiel (16.4.2007): "In den letzten Spielen meines Vereins hatte ich völlig unverhofft tatsächlich ein paar Mal Gelegenheit, jene oben beschriebene, süße Art der Langeweile zu genießen. Beim 2:0-Sieg über die Schwarz-Gelben aus der Nachbarstadt etwa, die sich freundlicherweise gar nicht wehrten, so dass man sich die letzte Viertelstunde doch bequem zurücklehnen konnte."
VfL Wolfsburg - VfL Bochum 3:1 (17.3.2007)Hauptstraße in Wolfsburg. Sehenswertes Hinweiswschild. Mehr hat Wolfsburg nicht zu bieten.
Ein Tag, an dem ich den größten Erfolg in der Vereinsgeschichte des VfL Bochum kennenlernte: Hallenmasters-Finalist. Ansonsten: Gut gespielt, keine Punkte. Öfter mal was Neues.
Mal ehrlich: Welcher neutrale Fan würde sich freiwillig das Spiel Wolfsburg gegen Bochum anschauen??
Walk of life
In Porta Westfalica, so verriet ein Schild, ist im "PW" am Bahnhof die Hölle los. Aber nicht im Regen.
Am Ahlener Bahnhof gibt es
eine Stärkefabrik. Die Scheiben sind eingeschlagen. Zerbrochen. Eine
kleine Schlucht ermöglicht einen Blick auf die beeindruckende Skyline
der Westfalen-Weltstadt. Vor "Marktkauf" steht ein Grill. Soll ich aussteigen?
Halbes Hähnchen zum Frühstück? Nee. Zum ersten Mal bleibe
ich im Regionalexpress bis zur Endstation "Minden" sitzen. 28 und ein paar
Monate musste ich dafür werden. 28. Den Sechzigsten feiert Zarko,
Wirt meiner Stammkneipe. Heute Abend erst. Gedanken vertreiben. Müdigkeit
vertreiben. Zwischen Dortmund und Ahlen habe ich gepennt. Reibe mir ein
paar Körnchen aus dem rechten Auge, uäähgääähn.
Weiter gehts. Rheda-Wiedenbrück. Woher auch immer. Schlafen geht jetzt
gar nicht mehr, ist schon halbzwölf durch, eine Sechser-Frauenclique
hat sich schräg gegenüber postiert. Sieht schwer nach Wellness-Wochenende
aus. Und riecht auch so. Champagner olé! Bei soviel gespielter Lebensfreude
(*uuuuh, wie lustig* *uuuuh, gestern abend fernsehen geguckt?* *uuuuh,
ich hab da n' neues rezept ausprobiert*) stöpsel ich mir lieber zwei
Hörer in die Lauscher und starte einen Blindflug. Keine Ahnung, welche
CD grad drinliegt. Dire Straits, Teile von der "Brothers in Arms". Lied
acht. "Here comes johnny singing oldies, goldies, be-bop-a-lua, baby what
I say, here comes johnny singing I gotta woman, down in the tunnels..."
Yeahyeahyeah, "...he do the walk, he do the walk of life!" Lauf des Lebens.
Der Lauf, der mich heute nach Wolfsburg führt, Musik hörend,
WAZ und taz lesend, so fühl ich mich wohl. Auswärtsspiel 101.
Solche Zugfahrten sind in
dieser Saison etwas Besonderes, etwas Seltenes geworden. VfL-Fans sind
seltsamerweise keine im Zug. BOZ und Ultras haben eine andere, frühere
Verbindung gewählt. Dafür steigen HSV-Fans zu, fast an jeder
Haltestelle einer. Scheint ein Fanklub zu sein. Der HSV spielt heute in
Hannover. Stimmt, ist etwas näher als Wolfsburg. Bad Oeynhausen, noch
'ne Viertelstunde bis Minden. Der Zug wird fast komplett leer, auch die
Frauengang macht die Flatter. Was wollen die alle in BAD OEYNHAUSEN???
Die Sektflasche bleibt leer zurück. Es regnet. Mir ist danach, "Alptraumstadt"
zu hören, von Extrabreit, "Ich sitz sekundenlang am Fenster, winke
nur den Zügen nach, vergesse für eine Weile, mich in diesem Tag."
Habs aber nicht dabei. Hab überhaupt keine Extrabreit-CD. Oder könnte
einen Song hören, in dem die Zeile "im Regengrau verschwindet" auftaucht.
"Über den Wolken" von Reinhard Mey, oder? Ach ist ja auch egal. Ich
bleibe einfach bei "Walk of life". Lauf des Lebens. Sag JA.
12.30 Uhr, pünktliche
Ankunft in Minden, im Regen. Keine Jacke dabei, wieder mal, mir ist kalt.
Irgendwann werde ich die Quittung bekommen und richtig, richtig krank sein.
Nicht jetzt. In Minden stehen Unmengen an Polizisten im und vor dem Bahnhof.
Hä? Was gehtn hier ab? 19 Minuten Aufenthalt, schnell noch die örtliche
Bahnhofsbäckerei aufsuchen. Ein Polizist steht in der Schlange hinter
mir. "Was ist denn hier", frage ich sanft und leise. "NPD-Demo und Gegendemo",
antwortet er, bestellt ein belegtes Brötchen und isst's direkt auf
der Hand. Ich wage einen Schritt in den Regen und kann die Meute hören.
"HOCH die NATIONALE Solidarität", brüllen die Nazis. Ich schalte
die Musik wieder ein, lauter denn je, das nächste Lied auf meiner
Blindflug-CD ist "Put the message in the box" von World Party. Das hat
der Himmel geschickt. Der IC Richtung Hannover fährt glücklicherweise
überpünktlich ein. Als der Zug den Mindener Bahnsteig verlässt,
sehe ich einen Hubschrauber über die Stadt fliegen. Nazis raus. Immer
wieder.
Der IC hält nur noch
in Hannover und wird mich um kurz vor zwei in Wolfsburg fristlos entlassen.
Vor mir sitzt eine Lehrerin, die Spanisch-Oberstufenklausuren korrigiert.
Ich kanns durch das spiegelnde Fenster beobachten, und verstehe kein Wort.
Wie auch. Der IC hält nicht an jedem Haus. Wunstorf und Seelze lassen
wir links liegen (zum Glück). Diesmal ärgere ich mich nicht über
ein verpatztes Soccerhallenspiel wie noch vor zwei Wochen. Diesmal hat
meine Mannschaft gewonnen. Naja, meine eigene Note war aber maximal 4,5.
Zweikampfbilanz 20:80, sechs Tore (in 90 Soccerhallen-Minuten eine desaströse
Zahl). Hinter dem Bahnhof Seelzes folgt eine Wohncontainer-Siedlung der
nächsten. Das steigert meine Lust, irgendwann hier auszusteigen, nicht
wirklich ins Unermessliche. "Nächste Station Wolfsburg". Jetzt wirds
ernst. Noch habe ich die Gedanken ans Spiel perfekt vertreiben können.
Zwei Stationen vor Berlin steige ich aus. Nur Stendal trennt mich noch
von der Stadt der Träume. "It is time", schmettert World-Party-Sänger
Karl Wallinger. Ich schaue links aus dem Fenster: alles ist dunkel. Rechts:
hell. Was überlebt heute? Sonne oder Regen? Nächste Haltestelle
Wolfsburg. 13.55 Uhr. It is time. Alptraumstadt. Raus.
Vor dem Spiel ziehe ich
keine Show in Wolfsburgs glamouröser Innenstadt mehr ab. Habe genug
Erfahrung in diesem farblosen Etwas. Laufe direkt durch den Regen. Ja,
die dunkle Seite der Macht hat gesiegt. Kapuze auf und los. Zwanzig Minuten
dauerts. Ich werde mir das Spiel VfL Wolfsburg gegen VfL Bochum anschauen,
ein Spiel, das eigentlich keine Sau interessiert. "Das ist das wohl unwichtigste
und saublödeste aller 306 Bundesligaspiele", haben mir meine Freunde
mit auf den Weg gegeben. Okay, es wird wohl heute das erste Sportschau-Spiel
sein. Aber Cottbus gegen Bielefeld ist doch ähnlich mies, oder? Eine
Stunde bis zum Anpfiff, die VW-Arena strahlt in Grün und einmal mehr
fällt mir auf, wie sehr dieses Stadion der MSV-Arena in Duisburg gleicht.
Etwa 600 Bochumer werden erwartet. Für 3,30 Euro schmeiße ich
mir ein Schnitzelbrötchen ins Maul, für 2,80 Euro eine Apfelschorle.
Insgesamt 6,10 Euro - und das im billigen Stehplatzbereich. Den Becher
werde ich behalten. Habe beschlossen, eine Bechersammlung zu eröffnen.
Bielefeld und Bremen habe ich schon zu Hause. Öfter mal ein neuer
Spleen. Dass ich den Verein VfL Wolfsburg für komplett überflüssig
halte, erwähne ich bei jeder Gelegenheit. Der Klub hat keine Fans,
eine komplette Monostruktur (gibts das Wort?), kein Spieler ist mit dem
Herzen bei der Sache, und die Stadt erst... Ein Wunder, dass überhaupt
15.000 Leute ins Stadion kommen. Dreimal haben wir bisher in der VW-Arena
gespielt, dreimal verloren, dreimal saudumm. Heute wäre ein Ausrutscher
äußerst unklug. Kurz vor drei, Drobny läuft sich schon
warm, da kündigt der Sprecher einen "musikalischen Gruß an die
Gäste" an und die erste Minute aus "Mein VfL" läuft. Hach wie
nett. Auf der Anzeigetafel leuchten parallel die größten Erfolge
des VfL auf. "Zweifacher UEFA-Cup-Teilnehmer" steht da. Aber nicht nur.
"Hallenmasters-Finalist" ist der nächste Punkt. HALLENMASTERS! VfL,
ich liebe Dich dafür.
Ja, endlich gehts los. WAZ,
taz, Minden, Polizei, alles vorbei und vergessen. Apfelschorle ist leer,
der Körper zittert, immer noch, immer wieder, bis an mein Lebensende
bei jedem VfL-Spiel. Der 2:0-Schwung treibt unsere Jungs nach vorn. Drsek
spielt für den kranken Maltritz, Ilicevic für den verletzten
Bechmann. Nicht zu spüren. Wir sind überlegen. Mehr als das.
HAUSHOCH überlegen. In allen Belangen besser. Meichelbeck köpft
nach einer Ecke in Minute sieben aufs Tor, irgendeiner klärt auf die
Linie. Huiiii. Rauuuunen. Erste Pfiffe aus den Wolfsburger Blöcken,
es ist nur noch eine Frage der Zeit bis zu unserer Führung. Das denke
sogar ich - dabei bin ich doch meist so pessimistisch. Es läuft gut.
In Minute 22 erwachen die bis dahin ganz, ganz schwachen Wolfsburger aus
der Lethargie. Klimowicz dreht sich einmal um Drsek, spielt auf Boakye,
der läuft einmal quer durch den Strafraum, auch noch vorbei an Drobny
und schiebt die Kugel zum 1:0 rein. UNFASSBAR!!!! Die kommen EINMAL in
unseren Strafraum, schießen EINMAL auf unser Tor, haben EINE gute
Szene. Und führen. KANN NICHT SEIN. Schockzustand. Bei allen. Stille
im Gästeblock. Vier Minuten später die erste Ecke für Wolfsburg.
Zweite Strafraumszene. Marcelinho flankt, Madlung steigt hoch. DER STÜTZT
SICH DOCH AUF! Das sehe ich HUNDERT METER ENTFERNT. Toooooooor! "Ramalamadingdong"
aus den Lautsprechern, der Schiri gibt das Tor. 26 Minuten um, ganz Deutschland
siehts im Videotext, in Live-Tickern, live auf arena und denkt: "Jaja,
die Bochumer. Steigen die doch ab." Und alle haben keine Ahnung. So ein
gutes Spiel von uns. "Das ist wirklich kaum zu glauben. Selten haben zwei
Tore den Spielverlauf so auf den Kopf gestellt", funke ich an Freunde im
Dortmunder Stadion und vor dem Fernseher in Mülheim. "Kommt hier auch
so an", lautet die Antwort des arena-Guckenden. Nach dem 0:2 steht Ilicevic
völlig allein acht Meter vor dem Tor. ALLEIN! Was macht er? Schießt
Jentzsch an! Schießt ihn an!!! Ein so sicheres Ding noch verballert.
Halbzeit 0:2. Lauf des Lebens.
Noch ist hier nichts verloren.
Dafür spielen die Wolfsburger zu schwach. Koller hat auch die richtigen
Worte gefunden. Wie schon in der ersten Halbzeit spielt nur eine Mannschaft:
der VfL Bochum. Endlich, endlich klappts auch mit dem Scoren. Nachdem Gekas
zunächst noch freistehend in die Wolken schoss, macht ers in Minute
66 deutlich besser und verkürzt nach Trojan-Pass auf 1:2. Gib mir
einen Laptop, eine LAN-Verbindung und ein bwin-Konto und ich setze 100
Euro auf "Sieg VfL". Ich bin ganz, ganz sicher, dass wir das Ding noch
drehen. Doch nicht einmal zehn Minuten später entscheiden die Wolfsburger
nach einem Konter das Ding. Klimowicz umdribbelt auf der rechten Seite
Kühlschrank Drsek zum wiederholten Male, die Flanke verunglückt
und segelt über Drobny hinweg aufs lange Eck. Marcelinho sprintet
zum Pfosten und drückt die Kugel aus 30 Zentimetern über die
Linie. Entscheidung. 3:1. Was bringts, wenn Gekas Torschützenkönig
wird, aber wir trotzdem absteigen?? Der Rest ist für Wolfsburg Formsache.
Mit Wechseln, Zeitspiel und Ballhinundhergeschiebe schaukelt Deutschlands
unattraktivster Klub die drei Punkte nach Hause. Und sowas ist im DFB-Pokal-Halbfinale.
Ein Wolfsburger Dusel-Sieg. Mit leeren Händen zurück nach Bochum.
Wie so oft auswärts. Und doch werde ich mich nie daran gewöhnen.
Sechzehnter sind wir wieder, Abstiegsplatz, werden wir jemals zwei Bundesligaspiele
in Folge gewinnen? Direkt nach dem Abpfiff spielen die Wolfsburger Bryan
Adams' "Summer of 69" und ich habe nicht die geringste Ahnung, was das
mit Fußball zu tun hat.
Geknickt. Aber im Hellen.
Regnet nicht mehr. Genug Adams gehört. Mein Blindflug serviert meinem
Ohr "Givin' up" von The Darkness. Aber aufgeben gilt nicht. Ich spaziere
durch ein paar klitzekleine Sonnenstrahlen vorbei an Wolfsburgs Attraktionen,
die ich schon so manches Mal erkunden wollte. Als Hauptereignisse gelten
immer noch die "Autostadt" - das ist der familientaugliche Teil des VW-Werksgeländes
- und der Allerpark mit Zoo und Grünflächen. Die Retorten-Innenstadt
lässt nichts zu. Die Haupteinkaufsstraße ist kurz, der Busbahnhof
klein, vom normalen Bahnhof ganz zu schweigen. Ein "Sausalitos" gibt es
hier, wie in der Essener Innenstadt. So manche Fillale macht nicht einmal
vor Wolfsburg HALT. Ja, auch ein "Cinemaxx" steht hier rum. Spaziere an
den zahlreichen Fressbuden vorbei, es gibt hier Mc Donalds, ein asiatisches
Restaurant, Dönerbuden en masse, eine Pizzeria. Mir mundets nicht,
Appetit adé, ich schlendere hungrig zum Bahnhof. Auf Wiedersehen
Wolfsburg mit Blick auf die VW-Türme. Tschüss! Hoffentlich steigt
ihr doch noch ab. Und nicht wir.
Rückfahrt mit dem ICE.
Muss pinkeln. Mist. Hätte doch irgendwo in der, wie heißt das
hier wohl, "Innenstadt" wäre wohl ein Euphemismus, naja, hätte
ich jedenfalls irgendwo hier eine Toilette aufgesucht. Der Bahnsteig an
Gleis eins ist lang. Seeeeeehr lang. So lang, dass zwei ICE's hintereinander
hier halten können. Um 18.55 Uhr landet meiner, ich hoffe, den BOZ-Leuten
zu entgehen, will eine ruhige Rückfahrt. Schaue auf den Wagenstandsanzeiger,
überprüfe, wo die zweite Klasse ist und erschrecke: Von Montag
bis Freitag und Sonntag besteht der ICE von Berlin nach Köln aus zwei
Zügen, die in Hamm getrennt werden. Der eine fährt über
Wuppertal, der andere - meiner - über Essen. Problem: Am Samstag gibt
es NUR die Essener Variante. Kaum entdeckt, schon sehe ich die etwa 100
BOZ-Leute, teilweise sehr betrunken nach neun Auswärtsspiel-Stunden.
Wolfsburg ist nur mit Alkohol erträglich. Dumm nur, dass ich keinen
zu mir nehme. Dr' Zoch kütt, ich sprinte unmittelbar zum nächsten
Zugklo, ziehe ab, schließe meinen Gürtel und spaziere durch
den Zug. Nein, schleiche durch den Zug. Denn die Bedingungen sind irregulär
und unbespielbar wie das Mülheimer Ruhrstadion nach einem kleinen
Regenguss. Nicht, dass der Zug ohnehin schon pickepackevoll wäre.
Dazu kommen noch 100 VfL-Fans - die meisten haben nichts anderes zu tun
als pausenlos Klos zu suchen und überall zu rauchen. In Hannover der
nächste Schock: Etliche HSV-Fans steigen zu, die extra aus dem Ruhrgebiet
angereist sind. Ohjeohweiohjeohwei. Jetzt ist so voll wie in einer 308
vom Ruhrstadion zum Hauptbahnhof nach einem Spiel gegen Bayern. Dicht an
dicht an dicht an dicht, kaum Platz zum Atmen. An einen Sitzplatz nicht
zu denken. Natürlich verfluchen hier alle die Deutsche Bahn, die scheinbar
nur dann zu Höchstleistungen in der Lage ist, wenn die Welt-Öffentlichkeit
hinsieht, wie während der WM. Der Liga-Alltag: grau, grauer, graugraugrau.
Erinnert mich irgendwie an den VfL, egal. Ich vermisse, ja ich gebs zu,
den Smart. Schön ruhig könnte ich über die Autobahn gleiten,
CDs meiner Wahl auflegen, in Ruhe über die Niederlage nachdenken.
Jetzt bin ich nur damit beschäftigt, nicht von vorbeilaufenden Fans
am Schienbein getroffen zu werden. Im Discman laufen die Dire Straits.
"He do the walk, he do the walk of life." Erst in Hamm wirds etwas leerer,
im Raucher-Großraumwagen quetsche ich mich in eine Ecke. Heute Morgen
habe ich mich im Bücherregal vergriffen und Stuckrad-Barres "Soloalbum"
eingepackt. Damit vertreibe ich mir - ein unendlich großes Hungergefühl
unterdrückend - ein wenig die Zeit. Seite 140. "Im Zug schon kann
man schön über Jugendkultur und Medien nachgrübeln", schreibt
das "Ich" und beschreibtbeschreibtbeschreibt: "Da kommt der Bulgare mit
"Kaffeeeeheischewüstchincollakuchn"." Aha. Seite 142. "Im nächsten
Zug sitzen waghalsig betrunkene Jugendliche. Es ist kurz nach 10. Sie trinken
Schnaps und Bier. Einer, den sie "Kloppsi" nennen, sieht auch so aus und
reißt Salami aus der Folie und legt sie auf Fabrik-Schwarzbrot."
Und mehr Oasis. Noch mehr Musik. England gleich Popland. Jawollja. Literatur
für langweilig-verrauchte Auswärtsspiel-Rückfahrten.
Mit fünf Minuten Verspätung
erreicht der ICE Essen. Schnell umsteigen in der Regionalexpress, zurück
in Mülheim um 21.55 Uhr. Heute Abend steht noch Großes an. Zarko
feiert mit Stammgästen aus den 25 Jahren seines Wirkens im Schrägen
Eck. Nach Hause, umziehen, Stadionklamotten aus, Jeans an, und los. Hui
ist das ausverkauft. Fußballtechnisch habe ich die Nase vorn, denn
das Schräge Eck ist eigentlich eine Mönchengladbach-Kneipe. Es
gibt nicht viele Vereine, die noch hinter uns stehen... aber Fußball
ist heute nicht wichtig. Zarko hat ein paar Musiker organisiert, die ihm
Songs schenken. Erst singt er selbst mit seiner Band Lieder vom Balkan,
danach gibts Coverrock. Ich amüsiere mich, wirklich. Und doch geht
mir eins nicht aus dem Kopf. Das Spiel heute Mittag. Wolfsburg, 3, Bochum,
1. Verloren. Wieder mal verloren. 52 Prozent meiner 101 Auswärtsspiele
mit null Punkten beendet. "Und das Schlimmste", sage ich zu meinen Gladbacher
Freunden. "Und das Schlimmste ist: Wir haben gar nicht einmal schlecht
gespielt."
Partyschlager in den Live-Musik-Pausen
á la "Willenlos" von Westernhagen oder Status Quos "Rockin' all
over the world". Auf der Bühne Bon Jovi, Beatles, Bryan Adams' "Summer
of 69". Im Glas Cola, Apfelschorle - in der Tasse Gulaschsuppe, auf dem
Teller Brot mit Käse und Krautsalat (lecker). Zarko bekommt noch eine
Stripperin geschenkt, die ihren Job aber mehr schlecht als recht erledigt,
Zarko spielt nur widerwillig mit, verdirbt der johlenden Menge aber den
Spaß nicht. Mit Zucker und Koffein betäube ich meinen Niederlagenschmerz.
Und betäube und betäube, aber das Ziehen und Jucken bleibt, Kopf-
und Halsschmerzen deuten sich an. So ein Fall auf einen Abstiegsplatz verletzt.
Jedes Mal aufs Neue. Gegen 2.30 Uhr wirds leerer im Eck, Zarko ist heiser
inzwischen, bestimmt 150 Leute schauten im Lauf des Abends vorbei - der
schon um 18 Uhr begann. Ich schließe den Laden eine knappe Stunde
später mit ab.
Ein einziger Song lief nicht.
"Walk of life". Dabei hätte ich ihn so gut gebrauchen können.
Das Spiel
Die Bahnfahrten
10.21 Uhr bis 12.30 Uhr
Regionalexpress von Mülheim nach Minden
Mülheim Hbf - Essen
Hbf - Wattenscheid - Bochum Hbf - Dortmund Hbf - Kamen - Hamm (Westfalen)
- Heessen, Ahlen (Westfalen), Neubeckum, Oelde, Rheda-Wiedenbrück,
Gütersloh Hbf, Bielefeld Hbf, Herford, Löhne (Westfalen), Bad
Oeynhausen, Porta Westfalica, Minden (Westfalen)
12.49 Uhr bis 13.54 Uhr
IC von Minden nach Wolfsburg
Minden (Westfalen) - Hannover
Hbf - Wolfsburg
18.55 Uhr bis 21.34 Uhr
ICE von Wolfsburg nach Essen
Wolfsburg - Hannover Hbf
- Bielefeld Hbf - Hamm (Westfalen) - Dortmund Hbf - Bochum Hbf - Essen
Hbf
21.45 Uhr bis 21.50 Uhr
RE von Essen nach Mülheim
Essen Hbf - Mülheim
Hbf
Wolfsburg
Einst, irgendwann in den
20ern und 30ern, da schlummerten im niedersächsischen Niemandsland
zwischen Hannover, Braunschweig und Gifhorn ein paar kleinere Ortschaften
ganz ruhig vor sich hin - zum Beispiel Fallersleben, zum Beispiel Ehmen,
zum Beispiel Heßlingen. Auf dem Gebiet von Heßlingen befand
sich ein Schloss namens "Wolfsburg". Es hätte ein so schönes
Idyll bleiben können.
Doch am 26. Mai 1938 fand
die Grundsteinlegung zum VW-Werk statt. 1937 hatte Hitler Ley damit beauftragt,
den von Porsche entwickelten Wagen zu produzieren. Das VW-Werk entstand
auf Heßlinger Gebiet. Die Nazis beschlossen, rund um das Werk Wohnsiedlungen
zu errichten. Blitzschnell entstand die "Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben"
(KdF = Kraft durch Freude). Im Krieg wurde das VW-Werk fast ausschließlich
zu Rüstungszwecken benutzt und war deshalb 1945 zu zwei Dritteln zerstört.
Und wann erhielt die Stadt Wolfsburg ihren heutigen Namen? Laut städtischer
Homepage am 25. Mai 1945 - es gibt aber auch andere Meinungen, wie zum
Beispiel vom Historiker-Ehepaar Wohlfromm, das sich mit der Stadtgeschichte
beschäftigte, und den Namen Hitler zuschreibt. Das Buch heißt
"Deckname Wolf. Hitlers letzter Sieg". Wer weiß es schon!?!
Fakt ist: Wolfsburg ist
nicht nur eine verflucht hässliche Alptraumstadt, in die es sich aus
vielen, vielen Gründen nicht zu reisen lohnt - sie hat auch noch eine
wenig ruhmreiche Gründungsgeschichte. Nur aufgrund der Eingliederung
von 20 Gemeinden 1972 darf sich Wolfsburg inzwischen "Großstadt"
nennen. Einwohnerzahl: 125.000. Einen Zusammengehörigkeitsgefühl
scheints nicht zu geben. Siehe städtische Homepage... lausche den
Gesprächen der "normalen" Wolfsburger.
Notizen zu Wolfsburg verfasste ich bereits im Jahr 2003. Bitte HIER klicken! Dort stehen alle wichtigen Daten!
VfL Bochum - Hannover 96 2:0 (1.4.2007)Ein wunderwunderwundervoller Tag ... ein Gekas wie wir ihn brauchen .. wir auf Platz 14 ... Dortmund auf Platz 17 ... heiße Phase, so kann es weitergehen ... now its time for Punkroooock !!!
Sirtagalaktischer Frühlingszauber
Glücksbringer: Nicole (l.) und Sam
Lass mich los. Lass mich laufen. Lass mich nackig, barfuß, Hände in die Höhe den Hinterhof rauf und runter sprinten. Sonne ist da! Frühling ist daa! Sommer kommt ba-haaaald! Oh, was ist das ein herrlicher Tag, möchte ihn kaufen, immer wieder erleben, beschreiben, kann es aber nicht, will nicht metaphrig versagen, möchte einfach nur noch sonnesonnesonnesonne brüllen, scheiße, Sonnenbrille habe ich irgendwo verloren, jetzt weiß ich, was ich dringend neu kaufen muss.
Habe ich Euch schon erzählt,
was eines meiner ersten Kriterien beim Hören eines neuen Songs ist?
Aufgepasst und weitergelesen: Ist es der Song gut genug, damit ich ihn
unmittelbar nach einem VfL-Spiel gleich welchen Spielausgangs hören
kann!? Geboren ist diese Idee damals, in den 80ern, im Grundschulalter.
In meinem Kinderzimmer saß ich auf dem Hochbett, das Radio direkt
vor mir, lauschte der Konferenzschaltung auf WDR 2, hörte Hanschens,
Brummes und Hageleits Stimme und notierte - konnte gerade schreiben - auf
A4-Zetteln jeden Torschützen. Zwischendurch rannte ich zu irgendwelchen
Familienmitgliedern und teilte die aktuellsten Tore mit. Beim Abpfiff des
letzten Spiels kribbelte es nicht nur bei allen beteiligten Spielern und
Kommentatoren, sondern auch bei mir. Und nicht nur, weil ich auf die Tabelle
wartete (obwohl ich sie natürlich schon längst ausgerechnet hatte),
sondern auch, um dem ersten Lied nach der Konferenz zu lauschen. Es passte
immer zum jeweiligen Spieltag, immer und ich bewunderte auch als 7-, 8-
und 9-Jähriger die WDR-Programmdirektoren.
Heute ist Sonneeeeeee, heute
ist Sonnenbrillenwetter, und es ist sowas von Punkrockwetter. SOWAS VON!!!!
Sonneeeee, Frühliiiing, SUPERWETTER, heute! Heute!! Heute ist VfL-Wetter!!!
Heute macht Fußball Spaß!! Wo ist die Blink-182-CD? Funpunk
allererster Kategorie, Gute-Laune-Geschepper!
Sortieren.
Wo bin ich? Zu Hause! Wie spät ist es? Kurz nach elf! Was für ein Tag? 1. April! Also? Aufpassen auf Aprilscherze, jede Radionachricht, jeden Satz fünfmal umdrehen. Henry Maske? Hat wirklich gestern gewonnen, kein Aprilscherz, Kampf war scheiße, aber 16 Millionen habens geguckt, unverschämt! Okay, die Basics stehen. Aufs Handy gucken, meinen kleinen Mini-Organizer, naja, brauche ich eigentlich gar nicht. Heute ist B-Day! B-gegen-H-Day. Bochum. Hannover. Zwei Mannschaften. Zwei Ziele. Klassenerhalt. UEFA-Cup. So würde mutmaßlich der Sat1-Trailer aussehen, wird er aber nicht. Lege mein Handy wieder zur Seite, mitten auf den blubbernden Wasserkocher, der ist rund, Handy fällt runter (guten Mo-hooorgen Herr E-herrrnst), knall, krawumm. Gestern Geburtstag gehabt, standesgemäß im "Schrägen Eck" und mit meiner Verwandtschaft rein- und rausgefeiert (gehört sich so). Geschenkpapierberge erklimmen, Glückwunschmails- und -sms beantworten, dabei die Zahnbürste in der Fresse vergessen, bääh, ein Hallo-Wach-Programm allerbester Kategorie. Wo bin ich? Zu Hause! Wie spät? Kurz vor zwei! Upps, jetzt wird es aber langsam Zeit. Das vorletzte Sonntagspiel der Saison! Auch diesmal davor: Arbeit. Ein Tennisturnier verlangt meine Anwesenheit, mitten in Mülheim-Saarn. Sonne, jaaa.
Mein VfL-Outfit trage ich heute ganz offen. Boah, 20 Grad mindestens, die Laune steigt und steiigt, Anruf vom MSV-Fan Helmut. "Ich hab Lust auf Abstiegskampf, und das bei dem Wetter", ertönts beschwingt aus der anderen Leitung. Fünfzehndreißig bin ich da. Die Blink-182-Scheibe von 1999, "Enema of the state", dauert vielleicht 'ne halbe Stunde, und noch bevor ich meinen Smart den ersten Meter bewege, schmeiße ich die Silberscheibe in die kleine Öffnung meines Radios. Augen schließen, die ersten Takte, "Dumpweed", so herrlich sinnlos, aber krawalljawoll, losfahren, Klimaanlage aus, aber Fensterscheibe runter. Fühl mich gut mit dem VfL-Trikot, platziere den Schal auf dem Beifahrersitz, vermisse die Sonnenbrille, geil, ist das Frühlingswetter, zauberhaft. HEUTE! Vierzehnter!!!!! Den Tennistermin spule ich locker herunter, schaue vorher noch beim Storch "Georch" vorbei, entspanne mich mit Blicken auf alle Ecken meiner Stadt. Puhhh. Puuuuuuhhhh. Herzschlag runterschrauben. Augen zu. Augen auf. Augen zu. Augen auf. Der Wind weht. Sonst kein Geräusch. Der Bismarckturm ragt auf dem Mülheimer Kahlenberg aus einer Reihe von Bäumen hervor, die Jugendherberge leuchtet etwas, habe dort nie eine Nacht verbracht. Ruhig. Halbdrei. Schnell in die Redaktion, ein paar Artikel schreiben, los, VfL-Schal um im Auto, warm, noch wärmer, Schweiß. Helmut abholen, die Blink-CD ist inzwischen einmal durchgelaufen, "What's my age again", "The Party Song", "All the small things" undsoweiterundsoweiter.
Die Autobahn ist leer an diesem Sonntagmittag. Helmut ist frustriert, nachdem der MSV nach vier Niederlagen in Folge auf Platz fünf abgerutscht ist. Sagte ich schon, dass mich das Wetter richtig, richtig glücklich macht? "Wozu habe ich heute geduscht?", fragt Helmut. Parkhaus ist ausverkauft, parke irgendwo rechts in Hospitalnähe. Zehn Minuten Laufen zum Stadion. Mein Bruder ruft an. Er weilte bei einem Seminar in Osnabrück und wird es nicht pünktlich zum Anpfiff schaffen. Mit Glück eventuell zur zweiten Halbzeit. Na gut. Halbe Stunde noch, Spieler laufen sich schon warm. Aufgang zu Block P (rechts), am Horizont - also zehn Meter weiter - erblicke ich Sam und Nicole, zum ersten Mal gemeinsam beim VfL in dieser Saison. "Heute kommen auch die Schönwetterfans", sagte ich noch zu Helmut auf der Hinfahrt. So isses. Gerd ist da, Lupo, der Fanklub, alle genauso begeistert und aufgeheizt wie ich. Punkrock im Kopf, Punkrock im Gefühl, loshüpfen, was das Zeug hält. "Du weißt doch", versucht Helmut zu beruhigen, "wie solche Spiele bei unseren Vereinen ausgehen. Wetter ist geil, du freust dich richtig, und nach einer halben Stunde liegst du 0:2 zurück und brüllst ,Wir haben die Schnauze voll.'" Hoffentlich nicht. "V - f - L - mein Herz schlägt nur für di-hiiich", "Tief im Westö-hööön", Hymne aller Hymnen. Grönemeyer. Durcheinander im Schädel. Wie jetzt? Schräges Eck, Storch, Geburtstag gestern, VfL, Punkrock, Abstiegskampf, Arbeit, nein, nicht jetzt.
Sortieren.
Wozu habe ich die aktuelle Stadionzeitung dabei? Auf die Tabelle schauen, die gestrigen Ergebnisse - alle gut für uns - einrechnen. Noch sind wir auf Platz 17, gewinnen wir, klettern wir auf Rang 14. Gibts Änderungen in der Aufstellung? Dabrowski spielt wieder für Ilicevic, die Ausrichtung ist also deutlich defensiver. Erstaunliches spielt sich auf den Rängen ab. Die "Ultras" streiken. Oder ist es Aberglaube, weil wir ohne sie 2:0 gegen Dortmund gewonnen haben? Ein Transparent, das einige Mitglieder in die Höhe recken, verrät etwas anderes: Irgendetwas von "Rechtsbruch" und "Geiselhaft" steht darauf, es geht um die Polizeiaktion vor dem BVB-Spiel. Einige munkeln von Stadionverboten für Ultras, nichts Genaues. Sie sind jedenfalls nicht da. Gut oder schlecht? Verkneife mir jeden Kommentar! "Machst mit nem Doppelpass JEEEEEEEEEEEEEEEEEEDEN Gegner nass, Du und Dein V-F-LLLL!" Heute. Wetter klasse. Anpfiff bald. Fahrenhorst spielt bei Hannover von Anfang an, Hashemian nicht. Anpfiff.
Die Sonne scheint der Ostkurve ins Gesicht. Die andere Spielhälfte zu sehen, ist deshalb zwar äußerst schwer bis unmöglich, aber in der ersten Halbzeit spielts auch keine Rolle. Denn Hannover spielt aufs andere Tor, unsere Jungs auf die eigene Kurve. Helmut registriert nach drei Minuten entzückt, "dass beide Mannschaften ein Tor schießen wollen. In der Zweiten Liga kommt das gar nicht vor." Hannover bestimmt das Spiel. Ist ballsicherer, technisch stärker, lässt unsere Jungs laufen. Unser Trainer Koller wollte das auch so. Zdebel holt sich schon nach sechs Minuten seine zehnte gelbe Karte ab, na ob das so gewollt war? Wir zerstören nur, nichts weiter. Dabrowski zeichnet sich besonders aus. Gekas, Misimovic, Grote sind kaum zu sehen, Entlastung nach vorn gelingt nur Epalle, der heute die hängende Spitze gibt. Hannover ist in der ersten halben Stunde klarer Punktsieger, erarbeitet sich drei Ecken und drei Freistöße am Sechzehner, doch richtig eingreifen muss unser Torwart Drobny nicht. Auch Hannovers Enke bleibt arbeitslos. Es ist ein unterdurchschnittliches Bundesligaspiel, maximal. 0:0 ist zu wenig für uns. ZU WENIG!!! GEKAS, MACH WAS!!! Minute 35, Dabrowski erobert im Mittelfeld den Ball wieder einmal, Gekas läuft in Stellung und direkt kommt der Traumpass, wo hat der Dabrowski das bloß gelernt, Gekas fackelt nicht lang, ein trockener Schuss ins Eck, TOOOOOOOOOOOOOOOOOR!!! 1:0! Dadammdadammdadelldadammm, Sirtaki, sirtagalaktisch, Sirtaki, hüpfenhüpfenhüpfenhüpfen. Torschütze Theofanis? GEKAS! Theofanis? GEKAS! Theofanis? GEKAS! "Die Liga hat einen neuen Spitzenreiter in der Torschützenliste", verkündet der Stadionsprecher, "Die Nummer eins im Sturm ham wir", antwortet die Kurve. Ist der geil? Helmut schüttelt nur den Kopf, hätte auch liebend gern einen solchen Torjäger. "Theofanis Gekas schalalalalalalalalalalalalalaaa". Verdient ists nicht, aber na und? "1:0" steht auf der Anzeigetafel, mehr verlangen wir nicht. Jetzt nachlegen, Hannover war zwar optisch überlegen, aber sehr harmlos. Sieben Minuten später, Hannovers Cherundolo bekommt den Ball am Mittelkreis, weiß nichts damit anzufangen. Grote bemerkt das, geht dazwischen, drei gegen drei, ausnutzen, Gekas läuft links, Epalle rechts in Stellung. Grote spielt auf Epalle, dem reicht eine Körpertäuschung, um alle Hannoveraner und Enke zu täuschen und den Ball ins Tor zu mogeln. Kullerkullerkuller, drin, 2:0! ZWEI ZU NULL!!! ZWEI ZU NULL!!! Epalle mit Turnübungen! Riesenjubel, von ihm, von uns, von der Sonne, von allen. "Ooooh wie ist das schööön, sowas hat man lang nicht mehr geseeeeehn, so schööön, so schööööön." So geht der Abstiegskampf. Kämpfen bis zum Umfallen, Chancen konsequent ausnutzen, an Dortmund vorbeiziehen! Halbzeitpfiff. Donnernder Applaus ist eine unglaubliche Untertreibung. Bochum ist zufrieden mit dem VfL. Ich schließe Frieden mit der Welt, für diesen einen Nachmittag. Funpunk eben. Thommy ruft an, er wirds wohl gar nicht mehr schaffen, Selbstmörder auf der Strecke, schade. Die zweite Hälfte ist nicht mehr sehenswert. Noch nie habe ich eine VfL-Mannschaft so sehr auf Zeit spielen sehen. Ab Spielsekunde 45:01 lässt sich Drobny bei jedem Abstoß, ob vom Boden oder aus der Hand so viel Zeit wie es eben geht, ab Spielsekunde 45:01 lassen sich Grote, Epalle, Gekas und Misimovic nicht nur einmal theatralisch fallen, ab Spielsekunde 45:01 pflügen unsere Jungs nicht nur den Rasen um, sondern ein paar Hannoveraner gleich mit und fangen sich einige Gelbe Karten ein. Das Ballbesitzverhältnis - schon vor der Pause klar für 96 - steigt jetzt auf gefühlte 75:25 Prozent. Mir ists egal. Aus ihrer Überlegenheit machen die Hannoveraner, die eigentlich noch in den UEFA-Cup wollen, gar nichts. Null. Sie sind richtig ungefährlich. Ein paar Schüsse, die sogar ich meistern würde, und zwei Ecken - das ist alles. Unsere Viererkette kriegt das souverän auf die Reihe. Weil wir das 2:0 aber sehr unattraktiv und mehr als humorlos über die Zeit bringen, wird die Atmosphäre immer leiser. Irgendwann ertönt "Wir sind leiser als Fortuna Köln" von irgendwoher, einige vermissen die Ultras, ich nicht, darüber wird in den Fanforen noch zu reden sein. Ich diskutier nicht mit. Die beste Chance in Durchgang zwei haben sogar wir, eine Minute vor Schluss läuft Gekas frei aufs Tor zu, will quer spielen auf Misimovic, der ist aber leider zu langsam. Vinicius klärt. Überraschung in der Nachspielzeit: Mit dickem Rucksack hat sich Bruder Thommy durch die Menge gequält, bekommt noch den Abpfiff mit, den großen Jubel, wie alle rufen: "BORUSSIAAAA IM ABSTIEGSJAAAAAHR!" Steigt Dortmund wirklich ab? Darüber wird zu diskutieren sein, gleich im Auto. "La Ola", sogar "Humba" - all das klappt an diesem zauberhaften Sonn-en-tag, den Spielern geht das alles richtig nahe, genauso wie den anderen 24.000 Zuschauern. Hier stand eine Mannschaft auf dem Platz, die sich gegen den Abstieg wehrt. Nicht mit attraktiven Mitteln, klar. Aber heute ists Koller, Zdebel und Co. verziehen.
Das Kribbeln will nicht aufhören, nicht vergehen. Zehn Minuten Fußweg zurück, Helmut beschwert sich - was zu erwarten war - etwas übers Spielniveau, freut sich aber dennoch über den gelungenen Ausflug in die Erste Liga. Im Auto endlich der goldene Moment. Das erste Lied nach dem VfL-Spiel. Blink 182 hats auf die goldene Liste geschafft. "Don't leave me" ist die Nummer zwei auf der "Enema of the state", lasst mich das Wort "Funpunk" noch einmal schreiben. Funpunk. Es dauert 25 Minuten, bis wir den Stau rund um den Stadionring überstanden haben und auf die A40 zurückkehren. Richtung Mülheim fahren, der Sonne entgegen.
Sortieren. Einen Tag später.
Das Trikot habe ich sauber
gefaltet und zurück in den Schrank gelegt. Den Schal werde ich gleich
vom Wohnzimmertisch aufheben und an die Gardinenstange hängen, damit
von draußen jeder sehen kann, wer in meiner Wohnung regiert. Nächste
Woche nach Leverkusen. Am Ostersonntag. Mit meinem Bruder dann 90 Minuten
lang. Freue mich drauf. Hoffentlich bleibt das Wetter so.
Frühlingsmittagstraum.
Und nun klatscht Beifall diesem Text.
Ultra-Streik: Beim Einlaufen gabs ein Transparant u.a. mit dem Wort "Geiselhaft". Und ich sag noch...
Frank Goosen im Kicker über das Hannover-Spiel (Fortsetzung, 16.4.2007): "Noch schöner wurde es gegen Hannover. Schon zur Pause hatten Gott Gekas (Preiset seinen Namen in allen Zungen, die da sind!) und Jünger Epalle (Preist ihn auch!) wiederum ein Zwonull herausgeschossen, und auch wenn die Leinestädter in Hälfte zwei fast ununterbrochen am Ball waren, ging von ihnen etwa so viel Gefahr aus wie von dem bequemen Sessel in meinem Arbeitszimmer. Um mich herum wurden die Menschen locker und vergnügt. Einige Runden Bier wurden spendiert, die Gespräche wandten sich amüsanten Nebensächlichkeiten zu wie dem Klimawandel ("Kannze dir dat vorstellen: Die Nordsee geht bald bis Bielefeld!"), der Gesundheitsreform ("Braucht in Hannover keiner! Wer so langsam is, verletzt sich nich!") oder erging sich in schöngeistigen Betrachtungen ("Ker, unser Rasen is wirklich schön!")." Fortsetzung beim Leverkusen-Spiel!
Der Nachmittag in Mülheim...
... mehr HIER (insgesamt acht Bilder und die Geschichte vom "Storch")
LA-lalalalala-lalalalala-lalalalalalalaaa-Theo-fanis-GEEE-KAS!
Der höchste Auswärtssieg in meiner VfL-Karriere ist ein sonniger Genuss von Anfang bis Ende. Ein Ostersonntag, an dem ALLES wie geplant lief. ALLES!
Höchster Auswärtssieg meiner VfL-Karriere
Wunderbar
Ja, es ist wirklich wahr: Drei Tore Vorsprung, u. a. vor Klose, Makaay, Kuranyi und Diego
Ist das wirklich passiert?
Eine meiner Lieblings-Sitcoms
im Moment ist "Scrubs", in der es um Assistenz-Ärzte in ihren ersten
Jahren am US-Krankenhaus "Sacred Heart" geht. Zach Braff spielt John Dorian,
genannt J.D., den Ober-Anfänger, Donald Faison ist sein Kollege und
Freund Dr. Turk (sprich Töörk), die liebreizende Sarah Chalke
ebenfalls eine Anfängerin namens Dr. Reid. Unschlagbar ist John C.
McGinley als rechthaberischer Oberarzt Dr. Cox, mit Sensationsmonologen.
Harte Seele, weicher Kern. Alle vier bisher erschienenen DVD-Boxen stehen
zu Hause im Regel, ich schaue sie gerade der Reihe nach durch. Drei Stunden
Scrubs am Stück - überhaupt kein Problem für mich. In einer
Folge fragen sich alle Figuren in stillen Momenten ganz kurz "Was war Dein
schönster Moment als Arzt?"
Sonntagmorgen. Ostersonntagmorgen.
Ein lausiger Abend liegt hinter mir. Erst in einer Kneipe in Mülheim-Styrum
(war nicht gut), dann in der House-Disco "Freeland" (gar nichts los, maximal
70 Leute - sonst gehen da 600 bis 700 Leute hin), zum Abschluss (olé)
die "Wilde 30" im Ringlokschuppen mit vielen älteren Leuten, was die
Gesamtnote auch nicht mehr steigern konnte. Ostersonntag ist der einzig
freie Sonntag im Jahr, für den ich keinen Urlaub einreichen muss.
Aber "frei" ist relativ. Denn Fußballfan zu sein, ist so etwas wie
ein Nebenjob. Jedes Heimspiel erfordert fünf bis sechs Stunden mit
An- und Abreise, jedes Auswärtsspiel eine lange Vorbereitungsphase
(Ticket in Bochum kaufen, Fahrtroute planen, Mitfahrer organisieren usw.),
nicht zu vergessen die zahlreichen Diskussionen in der Redaktion oder an
der Theke... heute spielt der VfL. Sonntagmorgen. Mein Bruder Thommy hat
sich angesagt, Reiseroute und Tickets hängen schon seit längerer
Zeit fein säuberlich mit Tesa geklebt an der Wohnungstür. Der
Leo knallt vom Himmel und nach der Sensations-Sonnenerfahrung vor einer
Woche beschließe ich, das zu einem guten Omen zu erklären. Zum
Wachwerden "Scrubs".
Was war mein schönster
Moment in Auswärtsspielen?
In Bremen, vor
vier Wochen, habe ich mich das auch gefragt, Ihr erinnert Euch. Mit
dabei - klar - die Aufstiege in Aachen, aber auch das 4:2 in Leverkusen
in der UEFA-Cup-Saison. Fünf Spieler bei Bayer standen zwei Monate
zuvor im WM-Finale in der Startelf (Lucio, Juan, Schneider, Ramelow, Neuville),
und wir als popeliger Aufsteiger nahmen diese desolate Millionen-Truppe
komplett auseinander. "Wir singen Bayer, Bayer - zweiiiite Liiigaaaa".
Grandios. Schönste Momente als VfL-Fan. Oh ja.
Halbdrei bin ich mit Thommy
verabredet. Hab immer noch keine Sonnenbrille gekauft, mist. "18 Grad"
meldet die digitale Anzeige des Smart. Es kann heute nur gut werden. Thommy
und ich fahren allein. Wie damals. Beim 4:2. Hach, hat mir das gefehlt.
Im Auto sitzen, durch die Sonne brettern, fantastische Musik hören
- ich rattere die Playlist der letzten Wochen, also von Blink 182 über
Mando Diao bis Lenny Kravitz, extra für meinen Bruder rauf und runter
- und ausschließlich über Fußball reden. Wie vor einer
Woche ist unsere Ausgangsposition gar nicht schlecht. Die Konkurrenz hat
schon gespielt und uns bis auf Platz 16 durchgereicht, wenn wir gewinnen,
sind wir aber Elfter oder Zwölfter (je nach Höhe). Wenn das keine
Aussichten sind... Bayer hat sich am Donnerstag im UEFA-Cup eine 0:3-Heimklatsche
gegen Osasuna abgeholt, was Thommy zu einer schlüssigen Theorie zusammenreimt:
"Ich glaube nicht, dass wir so chancenlos sind. Erstens ist Bayer verunsichert,
zweitens hat Bayer vor einer Woche in Mainz schon furchtbar gespielt und
hätte laut Kicker niemals gewinnen dürfen, drittens wird Torwart
Adler irgendwann auch mal schlecht halten - der kann ja nicht immer nur
1,5en kriegen. Viertens ist Misimovic heute besonders heiß, denn
er kann seinem kommenden Klub Nürnberg im Kampf um einen UEFA-Cup-Platz
Schützenhilfe leisten, fünftens will sich Gekas bei Leverkusen
für einen hochdotierten Vertrag empfehlen und sechstens haben wir
in Leverkusen zuletzt nie schlecht ausgesehen." Punkt. Pause. Stopp. Schluck
Wasser trinken. "Aber dass wir was holen, ist trotzdem unwahrscheinlich."
So sind wir Bochumer. Können stundenlang analysieren und begründen,
warum wir genau in dem kommenden Spiel eigentlich gar nicht verlieren können
und erklären so, warum es sinnvoll und quasi Fanpflicht war, eine
Eintrittskarte zu kaufen. Und wissen doch: Eigentlich haben wir sowieso
keine Chance.
Sonne. Heiß. Musik.
Schönster Moment in Auswärtsspielen. Thommy nennt da bestimmt
auch das 4:2 in Leverkusen. In Duisburg-Wedau auf die A3, am Autobahnkreuz
Leverkusen ab und quer durch die zweithässlichste Stadt Deutschlands
(über Wolfsburg geht nix). Hab Thommy gestern noch gefragt, ob wir
früher fahren sollen, um uns Leverkusen anzuschauen. Da hat er nur
laut gelacht. Sehr laut. Wir fahren über so etwas wie eine Stadtautobahn,
verfolgen die Hinweisschilder "Sportpark", fahren an einem OBI vorbei und
stehen auf einmal MITTEN vor der BayArena. Hmm. Jetzt noch parken. Alle
Straßen des angrenzenden Wohngebiets sind abgesperrt - also von der
Hauptstraße nicht erreichbar. Die großen Parkplätze stehen
- natürlich - nur VIPs zur Verfügung. Scheiß Leverkusen.
Egal. Ich biege nach 200 Metern rechts auf die nächste Hauptstraße
ab, nach weiteren 100 Metern folgen Querstraßen in dasselbe, von
der anderen Seite nicht befahrbare Wohngebiet - aber hier sind die Straßen
NICHT dicht. Sind die eigentlich bescheppt in Leverkusen?? Ich biege ab,
kämpfe mich durch die kleinen Sträßchen bis ganz nah an
die Straßensperren kurz vor der Arena heran. Außer mir kommt
kaum jemand auf diese Idee. Thommy lobt: "Alles richtig gemacht." Um 16
Uhr betreten wir die Kurve, erstmals in seiner Fanlaufbahn bestellt Thommy
einen heißen Kaffee. Der VfL-Bus ist gerade angekommen, Drobny testet
die Tornetze, wird stürmisch gefeiert, oh jaaaa, die Laune ist klasse.
Für die aktuelle VfL-Fan-Generation gibt es zwei Lieblings-Auswärtsfahrten:
Bielefeld und Leverkusen. Guter Support, enge Stadien, geeignet für
perfekten Torpogo - und oft gewinnen wir auch noch... Während sich
die VfL-Kurve schnell füllt, ist das restliche Stadion fast noch komplett
leer, als sich Bayer-Torwart Adler zum Warmlaufen in die heiße Luft
bewegt. Ich lasse es sein, mag diesen Verein nicht mehr als komplett überflüssig
bezeichnen. Hab es zu oft getan.
Schönster Moment in
Auswärtsspielen. Abschalten.
Leverkusen vor ein paar
Jahren. 4:2. "Weißt Du noch, Thommy? Wie der Christiansen beim 4:1
den Butt vernascht hat?" Er weiß es noch. Tabellenführer waren
wir damals.
Aufwärmen. Bei uns
spielt Imhof für Zdebel, das ist eine große Schwächung,
dazu Bönig für den verletzten Meichelbeck. Sonst keine Änderung.
"Wunder gibt es immer wieder" steht auf einem Plakat in der auch um 16.45
Uhr (Viertelstunde vor dem Anpfiff) noch verwaisten Bayer-Kurve. Ganz klar:
Die denken immer noch an das Osasuna-Spiel. Gut für uns. Bayer kann
sich - die anderen Ergebnisse sind bekannt - sogar eine Niederlage leisten
und bleibt Fünfter. Viiiiel spricht für uns. Jetzt glaub ichs
auch. Einschlagen, "High five" würde Todd - eine weitere Scrubs-Figur
- jetzt brüllen. Katja Ebsteins "Wunder gibt es immer wieder" spielt
der Stadionsprecher beim Einlaufen. Der hübsch in Anzug und Krawatte
auf der Video-Leinwand erscheint, das gibts nur hier. Mir egal. SONNE scheint!
Heute werden die Heizstrahler unterm Tribünendach nicht gebracht.
DROBNY! DROBNY! DROBNY!
Zuerst spielen wir auf die Bayer-Kurve, Drobny steht direkt vor uns. Toller
Support. Es ist richtig laut, von Leverkusen hör ich nix. Was ist
denn da los?? Bayer stürmt nur zwei Minuten lang, Freier überläuft
Imhof, nix geschehen. Aber danach gehts nur in eine Richtung. Fünfte
Minute: Misimovic bekommt auf der rechten Seite den Ball, ein weeeeeeiter
Seitenwechsel auf Grooooote, stopp ihn, jawoll, mit der Brust, Groote flankt,
TOOOOOOORRR!!! JA!JA!JA!JA!JA!JA! Hüpfen, jaaa, ich glaubs nicht,
ich glaubs nicht, ich glaubs nicht, Thommy kneif mich, Thommy schrei mit,
Thommy schreit mit, wahnsinnwahnsinnwahnsinn. 1:0 für uns, durch ein
Eigentor von Haggui, der den Ball völlig unmotiviert ins eigene Netz
abfälschte. Einsnull, so früh. "Der Grote macht ein Riesenspiel",
sagt Thommy schon jetzt. Bayer kann mit dem Ball heute gar nichts anfangen.
Dabei stehen so viele filigrane Fußballer auf dem Platz, zum Beispiel
Freier, zum Beispiel Juan, zum Beispiel die deutsche Legende Schneider.
Hilft heute alles nix. Die lassen sich von uns in Grund und Boden spielen.
Minute 14. Freistoß von rechts, fast an der Eckfahne. "Jetzt das
zweite", beschwört Thommy. Grote nimmt Anlauf, flaaaaaaaaankt, YAHIA,
du bist frei, du bist frei, zeitlupe läuft vor mir ab, sehe den ball
nicht mehr schnell fliegen, sondern nur langsam flattern, yahiayahiayahia,
kopfballkopfball, fliegt, adler ist dran, aber der ball DRIIIIINNNN!!!
Das ist Orgasmus, das ist Dope, das sind alle Drogen auf einmal, das ist
eine Spritze Glückshormone mitten ins Gehirn, gegenseitig anbrüllen.
Vordermann umarmen, Hinterfrau gleich mit. DER WAHNSINN!!! "Jetzt können
wir uns nur noch selbst schlagen", formuliert Thommy glasklar. Wo er recht
hat!?! "Seven Nation Army" von den White Stripes ist der Hit des Spieltages,
der Refrain wird stadionlike zum "oooo-o-o-o-ooo-oooo" umfunktioniert.
Holla, das ist so LAUT, so GUT! Die Rot-Schwarzen kommen kaum an den Ball...
Yahia und Maltritz stehen in der Abwehr wie eine Sensation, Dabrowski räumt
im defensiven Mittelfeld wie schon gegen 96 super auf, Bönig hat Slawo
Freier im Sack, Misimovic macht das von Thommy erwartete Riesenspiel, nur
Gekas hat noch leichte Flaute. Epalle schießt aus 15 Metern in Minute
17, Adler pariert. 22. Minute, 2:0 für uns, schönster Moment
als VfL-Fan, das Spiel könnte ein 90-minütiger werden. Es wird
etwas ruhiger. Bayers Haggui erhält den Ball, will ihn zu Adler zurückpass...
was macht DER DENN DA? Der Rückpass misslingt, Gekas - eben noch gemeckert
- sprintet dazwischen, umspielt Adler, ist freifreifrei vor dem leeren
tor, legt sich den ball mit einer mordsruhe noch zweimal vor, die spannung
in der kurve ist unerträglich, schieb ihn rein, schieb ihn rein, wie
der moment vor dem entscheidenden matchball im privaten badminton-match,
wie im texas-hold-em-poker, wenn du zwei asse auf der hand hast, und der
flop aufgedeckt wird, wie... MACH IHN! Gekaaaaaaaaaaassss, TOOOOOOOORRR!
bin nicht mehr herr meine sinne, was passiert hier gerade, ist das wahr,
träume ich, bin ich tot, lebe ich, habe ich schon einmal so sehr gelebt,
lass den frust raus, den ärger der letzten tage und wochen, die anspannung.
entweiche aus meinem körper. TOOOOOOOOOOOOOOOR!!!!
"Dieser Moment ist so schön,
dass ich mit ihm schlafen möchte." Dieses Dr.-Cox-Zitat passt so gut
wie kein zweites.
"Schalalalalala-lalalalala-lalalalalaaaalalaaaa-THEOFANIS-GEEEEEKAS!"
Und wieder "Seven Nation Army". Laut ists, meine Stimme versagt gleich.
Doch das 3:0 ist noch nicht alles. Misimovic flankt, Grote nimmt die Kugel
volley, Adler hält. Freistoßflanke Misimovic, Kopfball Yahia
- knapp vorbei. Hier liegt das 4:0 in der Luft. So eine gute Auswärtshalbzeit
habe ich in meiner kompletten VfL-Karriere noch NIE gesehen. Es klappt
restlos ALLES. Leverkusen schießt dreimal aufs Tor, dreimal ungefährlich.
Wer ist hier Abstiegskandidat? Wer will hier in den UEFA-Cup? Pausenpfiff.
3:0 für uns. Anzeigetafel knipsen. Thommy anschauen. Er geht ne Cola
holen. Zur Beruhigung. Schwitze wie nach einem Saunabesuch, bin heiser
wie nach einem Metallica-Konzert. Da geht nix mehr schief. Elfter sind
wir, so gut wie noch nie in dieser Saison.
Als die Bayer-Spieler den
Rasen betreten, schiebt die Stadionregie "Steh auf wenn du am Boden liegst"
von den Hosen in den CD-Toaster. Es ist der triumphierendste Augenblick
des Tages. Ey die spielen gegen BOCHUM!!
Eine Halbzeit kommt noch.
Wie feiern fleißig und laut weiter, während Leverkusen deutlich
verbessert aus der Kabine kommt. Bayer-Trainer Skibbe hat alle Offensivkräfte
in seinem Kader auf dem Platz stehen: Kießling, Voronin, Barbarez,
Freier, Schneider und Athirson, alles begnadete Spieler, ohne jeden Zweifel.
Natürlich drückt Leverkusen, freilich ohne klare Chance. Yahia
lässt sich auswechseln nach 'ner Stunde. Verletzt. Vorsichtsmaßnahme?
Ein Freistoß für Bayer von halbrechts in der 62.: Schneider
flankt auf den langen Pfosten, Freier köpft in die Mitte, Kießling
drückt die Kugel über die Linie. 1:3. "Rockin' all over the world"
von Status Quo als Erkennungsmelodie. Yahia raus, schon gehts schief. Jetzt
wirds eng. Zwei Minuten später. Wieder Flanke Schneider von rechts,
Juan ist frei, köpft, doch DROBNY hält fantastisch!!! SUPERREFLEX!
KLASSE! Wir haben einen Torwart. Geil. Leverkusen drückt gehörig
aufs Tempo, wir verlassen kaum die eigene Hälfte. Muss das sein??
Mitte der 70er Minuten: Freier macht Bönig nun richtig Theater, Pass
auf Schneider, Schuss: LATTE! Jetzt ist das Glück auf unserer Seite.
81. Minute, noch neunmal 60 Sekunden zittern. Plötzlich geht der Schiri
zu Kießling: ROT! Keiner weiß warum, unser Schröder zuckt
mit den Schultern. Keine Ahnung, das DSF wirds aufklären. Mit dieser
Szene lässt Bayers Siegeswille nach. Sofort ist das Ding gelaufen.
Wir merkens, stimmen alle Jubelhymnen an, von "Mein VfL" über "You'll
never walk alone", "Wen lieben wir? VFL!", dem Bochumer Jungenlied, "O-o-o-o-o-oooo"
(also Seven Nation Army) bis zu "Unsere Heimat unsere Liiiiiebe...". Gekas
vernagelt kurz vor Schluss nach Imhof-Flanke eine Riesenchance, bekommt
aber noch eine. Nur noch ein paar Sekunden sinds, als Misimovic lang auf
Gekas passt. Ein kurzer Sprint, ein Heber über Adler - und drin der
Fisch. Jetzt einfach nur erleichtert die Arme hoch, Gekas kommt in unsere
Kurve, grüßt alle Fans, die restlichen Spieler feiern mit.
Aus. 4:1. Gewonnen. Höchster
Auswärtssieg in meiner VfL-Karriere. Wieder Leverkusen. "Dankedankedanke",
sagt Thommy, der sich im Doktorarbeits-Stress eine Auszeit gönnen
wollte. "Besser", sagt er, "hätte der Sonntag nicht laufen können.
Alles richtig gemacht." Die Spieler kommen, nach "La Ola" folgt wie vor
einer Woche auch die "Humba". A perfect day. Einer der schönsten Momente.
33 Punkte, Elfter, big point, halbe Miete. Wir erreichen wieder ruck, zuck
die Autobahn, ich wünsche mir "Everlong" von den Foo Fighters, meinem
Lieblingssong für die ganz wunderbaren Augenblicke des Lebens, Thommy
erhält seinen Wunsch "Im Taxi weinen" von Kettcar. Unsere liebsten
Pommesbuden in Mülheim haben am Ostersonntag um 19.35 Uhr geschlossen,
bei "Pizzatime" ordere ich Schnitzel Bolognese und Thommy ein Baguette.
Immer wieder die bohrende Frage: Was haben wir da gerade erlebt? "Ich glaub,
ich werde das erst in den nächsten Tagen realisieren", sagt Thommy.
Ein Satz, der sonst nur nach Meisterschaften oder Pokalsiegen fällt.
In Bochum ist keiner normal.
Heute ist FEIERTAG!!! PARTYTIME!!!
FESTE FEIERN!!! Gehe in die Zeche Carl nach Essen zur "80er Party". Treffpunkt
mit Arbeitskollegen und Freunden. Hintereinander "Summer of 69" von Bryan
Adams, "Pride" von U2, diverses Zeug von Depeche Mode, Erasure, New Order,
"Poison" von Alice Cooper, "Temple of love" von den Sisters of Mercy und
der NDW-Kram mit Peter Schilling und Nena rauf und runter. Ist nicht Mando
Diao. Aber gut genug, um abzuheben. Und zu fliegen. Der Sonne entgegen.
Zu feiern. DSF aufgenommen. Morgen gucken. Fünfmal, hundertmal, 1000,
weiß nicht. Egal. Werds nie überspielen.
Ist das wirklich passiert?
Ja.
Ist es.
Frank Goosen im Kicker über das Leverkusen-Spiel (Fortsetzung, 16.4.2007): "Und beim 4:1-Sieg in Leverkusen (Ich muss es aufschreiben, um es glauben zu können) kippte die süße Langeweile dann schon wieder um in ruhrgebietstypische Großkotzigkeit. Gähnend tätschelte ich meinem Sechsjährigen den Kopf und sagte: "Nur noch neun Punkte bis zum UEFA-Cup!" Aber wenn diese Kolumne erscheint, haben wir ja auch das Spiel gegen Hertha schon hinter uns. Mal sehen, ob ich da nicht einschlafe. Und wie viele Punkte es dann noch bis Platz drei sind!"
Ein Fan-Tag mit Kritik. Ein Straßenbahnfahrer auf dem Platz. Eine - leiderleider - verdiente Niederlage. Ein Abschluss beim Gekas im Garten
Elfmeter: Pantelic legt sich den Ball zurecht, scheitert aber an DROBNY!
Read my mind
WANTED: Ultras? Im Hintergrund: Drobny und Torwart-Trainer Greiber
Rituale.
Davon habe ich ja schon
desöfteren gesprochen. An dieser Stelle. Hatte mal ein Seminar über
Ritualtheorien, aber das ist ein ganz anderes Thema. An einem VfL-Spieltag
gibt es - ich erwähnte - diese feste Anordnung: Sich so fühlen,
als wäre ich selbst in der Umkleidekabine. Trikot anziehen, Schuhe,
Schnürsenkel zubinden, Koller zuhören. Niemanden sonst, Fantasie.
Und dann: fertig angezogen, klare Gedanken fassen, rein ins Auto. Aber
halt. Unterwegs: das zweite Ritual. An Heim-Spieltagen liegt die Stadionzeitung
in meinem Briefkasten. Schnell den kleinen Schlüssel versenken, das
blau-weiße Papier auspacken. Ins Auto steigen, CD-Player anschmeißen,
heute ist "Read my mind"-Tag (die neueste Scheibe der Killers). Und noch
ein Tag. "Fan-Tag". Organisiert vom VfL. Fahre noch nicht los, werfe einen
Blick in die Stadionzeitung. Aufmacher: Der Fanclub "Bochumer Jungen",
der seinen 35. Geburtstag feiert. Bochumer Jungen... da gibt es doch dieses
Lied, dass in der Jo-Hartmannschen Coverversion immer vor dem Spiel läuft...
das fängt SO an:
Es kann ja nicht immer
so bleiben
Hier unter dem wechselnden
Mond,
Es blüht eine Zeit
und verwelket
Was mit uns die Erde
bewohnt
REFRAIN
Und kommen wir wieder
zusammen
Auf wechselnder Lebensbahn,
sind wir immer noch die
Bochumer Jungen (Pfiffe)
Junge, do kass die drop
verloten
Die Pfiffe. Diese unverwechselbaren Pfiffe, die wohl jeden Gast im Ruhrstadion erst einmal verwundern. Habs nicht im Auto. Höre weiter "Read my mind". Lese meine Gedanken, meine Seele, meine Psyche. Auf der Hinfahrt bin ich weit weg, irgendwie in St. Peter-Ording. Die letzten Tage: so schön, so ruhig, so relaxt. Das Wetter ist immer noch blendend, ja, sogar noch besser. "29 Grad" zeigt der Smart. 29! Am 14. April! Unfassbar, dieser Klimawandel. Wie wirds dann erst im Juli? Denke an die Nordsee, noch ein bisschen an die traumhaften Momente in Leverkusen, aber nicht an die Tabelle. Elfter, 33 Punkte, selten bin ich so entspannt nach Bochum gefahren. Naja, mag auch noch an den paar Urlaubstagen liegen. Bin heute extrem früh losgefahren, um kurz vor halbzwei. Meine Eltern kommen heute mit, zum ersten Mal nach ein paar Jahren, sie wollen sich einmal die volle VfL-Power geben. Die A40 ist leer, meine Arme suppen vor Schweiß, finde schnell im Parkhaus einen freien Platz, schaue noch einmal in die Zeitung. Blättere aufs Fanclubporträt über die "Bochumer Jungen", bleibe auf dem Gruppenfoto hängen. Viele, viele bekannte Gesichter, viele, viele, die ich von zahlreichen Auswärtsfahrten kenne, und - HEY - auch der Straßenbahnfahrer Stephan aus Mülheim, von dem an dieser Stelle häufiger die Rede war. Stephan prägte den Satz: "Ich geh jetzt in meiner Fankneipe. Wegen die Lacherei." Fan-Tag. Heute. St. Peter-Ording. Gestern. Treffpunkt mit meinen Eltern und meinem Bruder bei 29 Grad vor dem Stadioncenter.
Es werden viel fröhliche
Menschen
Lang nach uns des Lebens
sich freun,
Uns Ruhenden unter dem
Rasen
Sei fröhlich der
Becher gebracht.
REFRAIN
Sie tragen "Wir sind Bochum - Wir sind VfL"-Sticker, die überall verteilt werden. Rein in Bochums beste Stube, die beste, schönste, und... WÄRMSTE! Heiß, hot, warm, "Read my mind", lese meine Gedanken. Hertha ist der Lieblingsgegner aller Bochumer. 17 Spiele haben bisher hier gegeneinander stattgefunden, die Bilanz ist 14 Siege - 2 Unentschieden - 1 Niederlage. Besser gehts kaum. Hertha hat den Trainer vor dem Spiel gewechselt, das muss nichts heißen - auswärtsschwach bleibt auswärtsschwach. Die Stimmung ist seltsam ausgelassen vor dem Anpfiff. Die "Bochumer Jungen" betreten komplett den Rasen, winken in die Kurve, im Hintergrund läuft das Original-Lied. Die Mädels von Hellas Bochum tanzen Sirtaki, während unser Torwart Drobny seine Muskeln dehnt. Nur ein Quiz stört etwas. Dämliche Fragen über die DWS interessieren nun wirklich keine Sau. Was machen eigentlich die "Ultras" heute? Im Spiel gegen den BVB fehlten fast alle (festgehalten in der Kneipe, lest nach), gegen Hannover gabs den Kollektiv-Streik. Ab 15 Uhr halten die Ultras ein Plakat nach dem anderen in die Höhe, fleißigfleißig! "Fan-Event für den dummen Konsument" steht da zum Beispiel drauf. Sehr, sehr kritisch setzt sich Bochums umstrittenste Fangruppe mit dem verordneten Fan-Tag auseinander. Zurecht? Nicht zurecht? Fußball. Unterhaltungen. Aufstellungen. Meinungen. Herthas Offensive ist nicht schlecht. Mit Bastürk. Mit Gilberto. Mit Pantelic. Mit Mineiro. Mit Gimenez. Kann sich sehen lassen. Verwundbar: die Abwehr.
Es werden viel fröhliche
Menschen
Lang nach uns des Lebens
sich freun,
Uns Ruhenden unter dem
Rasen
Den Becher der Fröhlichkeit
weihn.
REFRAIN
Anpfiff, Schweiß, warm, Geburtstag, Meer, gestern, erster Angriff, Epalle über rechts, Querpass in die Mitte TOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOORRRRRRRRRRRRRRRRRRR!!! JAAAAAAAAAAAAA!!!! TOOOOR!!! Wahnsinn, es geht weiter, der Traum setzt sich fort. ACHTER heute. ACHTER, wenn wir gewinnen. Wer hats gemacht? Ja natüüüürlich, die Sirtaki-Klänge ertönen nach gerade einmal 50 gespielten Sekunden! "Torschütze", brüllt Stadionsprecher Borgmann ins Mikro, "mit der 22: Theofanis?" "GEKAS!" "Theofanis?" "GEKAS!""Theofanis?" "GEKAS!!!!!" Schon jetzt völlig außer Puste. Einsnull. Eine Arbeitskollegin weilt nebenan im Ruhrcongress bei einer Tanzveranstaltung. Sie will das Zwischenergebnis wissen. Ihr Gesicht bei der sms hätte ich gern gesehen. Einsnull für uns. Ausruhen verboten: Minute acht. Gekas legt quer auf Grote, Schuss, hochspringen, feddichmachen zum Jubeln! INNENPFOSTEN! Gehts denn? Das MUSS es doch sein. Das MUSS das 2:0 sein! Hertha spielt mit. Wir lassen nach. Gilbertos Knaller aus 20 Metern dreht Drobny super um den Pfosten. Führung ist glücklich jetzt. 38. Minute: Gimenez dringt in unseren Strafraum ein, fällt über Maltritz' Beine, Ecke. Doch... der Schiri PFEIFT!!! ELFER!!! Unfassbar!!! Elfmeter für Hertha, unberechtigt bis zum Gehtnichtmehr. Pantelic schnappt sich den Ball. Der spielte bisher so schwach, dass mein Bruder - er hat ihn im Kicker-Manager-Spiel - sich bei jedem Fehlpass entgeistert umdrehte. Pantelic, schlechtester Hertha-Spieler, gegen unseren besten Mann, Drobny. Pfiff, Anlauf, DROBNY HÄÄÄLT! Das ist der Elfmeter-gehalten-Pogo! Halbzeitpause. Glückliche Führung.
Wir sitzen so traulich
beisammen
Und haben einander so
lieb,
Erheitern einander das
Leben,
Ach, wenn es doch immer
so blieb
REFRAIN
Pausenpfiff. Pausen-Quiz. Langweilig. Stimmung: immer noch gut. Zweite Halbzeit beginnt. Es bleibt spannend. Interessant. Bestens. Gekas in Minute 55. Allein gegen drei - für ihn kein Problem. Er lässt die Herthaner stehen, SCHIESS DOCH! SCHIESS! Aber Gekas fummelt und fummelt und fummelt, jeder weiß: Genau in diesem Moment ist ihm der Trubel zu Kopf gestiegen. Verfummelt. Weiter Einsnull. Eine seltsame Lethargie überfällt alle VfLer. Die Spieler auf dem Platz sind nicht mehr bereit, einen Schritt zu viel zu laufen. Der bevorstehende Sprung auf Platz acht sorgt auf den Rängen für Langeweile - wer will schon vor dem letzten Spieltag gerettet sein? Die putzmunteren Berliner nutzen diese Schwächen angetrieben vom kleinen Illi Bastürk glänzend aus. Gimenez schießt das 1:1, Ende der 50er Minuten. Abseitsverdächtig. Scheiße. Hertha setzt nach. Gilberto fälscht kurze Zeit später einen Fernschuss von Chahed zum 2:1 ab. Jetzt auch noch Pech und zack - liegst du unglücklich, aber hochverdient 1:2 hinten. Koller bringt Trojan und Bechmann ins Spiel. Zwischen der 70. und 80. Minute haben wir dreimal den Ausgleich auf dem Fuß. Erst verpasst Zdebel eine Flanke von links um Zentimeter in der 73. Dann versagt Trojan auf der ganzen Linie - er bringt es fertig, einen Pass von Bechmann aus sechs Metern Entfernung über die Latte zu schaufeln. In der 76. Vier Minuten später Epalle im Strafraum, wird von Mineiro ganz übel elfmeterreif getreten. Der Schiri pfeift nicht, Epalle muss das Spielfeld verlassen. Jetzt werden wir auch noch verpfiffen. Read my mind. Tolles Lied. Fantastisches Lied. Meine Gedanken: Scheiße, nicht verlieren, scheiße, doch in Frankfurt nächste Woche unter Druck, scheiße, wie kann sich eine Mannschaft innerhalb einer Woche nur so verschlechtern!!? Ede schließt einen Konter mit dem 3:1 ab. Die meisten der 27.000 Zuschauer verlassen fluchtartig das Ruhrstadion. FLUCHTARTIG! Abpfiff. Verloren. "Wir bringen kein Glück", sagen meine Eltern. Na das ist ja auch übertrieben.
Doch weil es nicht immer
so bleibet,
So haltet die Freundschaft
recht fest
Wer weiß denn,
wie bald uns zerstreuet
Das Schicksal nach Ost
und nach West
REFRAIN
33 Punkte, wieder dick untendrin, der Bochumer Pessimismus kommt wieder durch, "Read my mind" ist jetzt keine passende Aufforderung. Nur noch zwei Heimspiele, und die auch noch gegen Schalke 04 und Stuttgart. Müssen wir eben auswärts alles entscheiden. Mist. Mein Bruder und meine Eltern verschwinden mit der Bahn Richtung Mülheim. Ich treffe mich noch mit meiner Arbeitskollegin auf 'ne Cola, 17.35 Uhr. Das sieht endlos witzig aus. Ich tauche in 3/4-Hose und VfL-Slawo-Freier-Trikot auf, sie im schwarzen BALLKLEID! Wir stehen vor dem Stadioncenter, und doch ist der VfL echt weit weg. "Journalistenschule" ist jetzt das Thema der Stunde. Ablenkung. Gut.
Und sind wir auch fern
voneinander,
So bleiben die Herzen
doch nah,
Und allen, ja allen wollt's
freuen,
Wenn es einem was Gutes
geschah.
Und kommen wir wieder
zusammen
Auf wechselnder Lebensbahn,
So knüpfen ans fröhliche
Ende
Den fröhlichen Anfang
wir an
(Quelle: www.bochum.de/bochum/bolied.htm)
Zurück im Auto, sms
von Bruder Thommy. "Sind beim Gekas im Garten". Ausklang mit 'nem Familyessen
im griechischen Restaurant. Einmal Grillteller eins."Read my mind" auf
dem Weg von Bochum nach Mülheim in der Endlosschleife. Schöner
Tag. Schlechter Tag. Gute Laune. Schlechte Laune. Hin- und hergerissen.
Hoffen. Und Bangen.
Fußball.
Bochum.
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