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DAS TAGEBUCH, SAISON 2003 / 2004:
SV Werder Bremen - VfL Bochum 3:1 (22.11.2003)
An der Nordseeeeeeeeküste, am plattdeutschen Straaaaand - Eine Selbstverarschungs-Reise bringt Futter für meine verhungerte Negativ-Statistik
Ich will nunmal irgendwohin
Jeder von Euch kennt das.
Irgendwas passiert, und Du bist völlig perplex. Schaust nach links,
nach rechts, hast den Mund offen, fühlst Dich, als hätte Meister
Hora grad die Zeit angehalten und am Horizont kommt Momo angelaufen. Und,
all ihr meine lieben Freunde, es ist passiert. "Bist Du Andreas Ernst?",
fragt die Stimme in der Halbzeitpause. Etwas verschüchtert antworte
ich "Ja!?!?!", und bevor ich ein "Kennen wir uns?" nachschieben kann, antwortet
der junge Mann sinngemäß: "Ich bin regelmäßig auf
deiner Homepage!" (vielleicht hat er auch einen Satz mit "Fan" gebraucht,
ich weiß es nicht mehr). Dann blickt er Thommy an, sagt "Und du bist
Thommy!" und geht was zu trinken holen. Perplex. Nach links. Nach links.
Hallo Meister Hora. Ich mit meiner Popel-Homepage fahr nach Bremen und
werd auf diese Seite angesprochen (Unbekannter Fan: Sei gegrüßt
an dieser Stelle! Beim nächsten Mal wirds Zeit für ein Foto!).
Manmanmanman...
Bremen, Fußball, VfL.
Wenn diese drei Stichpunkte zusammenfallen, dann ist es wieder Zeit für
eine Nachhilfestunde in Sachen "VfL-Fan sein". Es gibt eine Statistik,
die jeder kleine Junge aus dem Schlaf können muss, wenn er sich eine
Dauerkarte erwerben will: "In welchem Stadion hat der VfL noch nie gewonnen??"
Die einzig wahre Antwort: "Richtiiiiig, in Bremen!" 27 Spiele hat es im
Norden gegeben, und gerade mal sieben mickrige Unentschieden. Nun, einen
großartigen Grund, warum sich das in diesem Jahr ändern sollte,
konnte kein VfL-Fan in den letzten zwei Wochen vorbringen (mal ehrlich:
das Argument "Jede Serie reißt einmal" ist ein sehr schwaches!) und
doch: Von Jahr zu Jahr fahren immer mehr Bochumer mit. In diesem Jahr ist
sogar ein ganzer Sonderzug mit 850 Deppen voll, die sich eine weitere Klatsche
an der Weser und damit schlechte Laune für viel Geld abholen wollen.
Es ist die reine Selbstverarschungstour. Lektion gelernt?
Eins steht fest. Sollte
ich in meinem Leben jemals auf die Idee kommen, nach Bremen ziehen zu wollen
- noch bevor ich das erste Möbelstück, den ersten Liter Wasser
oder das erste Stück Brot gekauft habe, sprinte ich in den nächsten
Supermarkt und hol mir drei Schirme und drei Regenjacken. Bremen begrüßt
mich mit einem dicken Regenschauer, als ich um Punkt 12.15 Uhr den Hauptbahnhof
betrete - nicht, dass das Wetter bei meinen letzten Besuchen wie zum Beispiel
im
März beim 0:2 besser gewesen wäre... Okay, regnet´s
halt. Immer noch hocherfreut darüber, wie nah Bremen doch bei Mülheim
liegt, klopf ich mir auf die Schenkel, weil eine Oma, die im IC neben mir
saß, total verstört auf meinen Discman deutete und fragte: "Was
ist denn das? Hab ich ja noch nie gesehen!" Willkommen im 21. Jahrhundert,
wollte ich da nur noch sagen. Aber gut, lassen wir das. Es lief übrigens
grad "Ich will nun mal irgendwohin" von Tom Liwa.
Und dieses Lied trage ich
auf den Lippen, pfeife es in die verregnete Luft. "Eyyyyy, der Sonderzuch
hat Verspätung, der hängt noch bei Rheine fest, weil ein Idiot
die Notbremse gezogen hat", posaunt ein Fan auf dem Bahnhofsvorplatz. Hurra
hurra die Bochumer sind da. Oder auch nicht, zumindest manche. "Manchmal
fehlt mir das wilde Leben", singt Liwa, dabei zart auf der Gitarre rumzupfend
und streichend, "doch ich weiß: so ist das eben! Ich will nunmal
irgendwohin!" Es ist das Lied, das ich gerne mal als Kopfzeile von Mails
gebrauche, wenn mich mein Leben mal wieder in die Grübelgasse gelockt
hat; beispielsweise im frühlingshaftesten Frühling, oder wie
jetzt im herbstlichsten Herbst. Ich will nunmal irgendwohin. Wohin beruflich?
Und an der Uni? Und mit dieser Homepage? Mein wildes Leben, dazu gehörte
mal ein Besuch in Bremen. Vor ein paar Jahren, als es 1:1 ausging (da hat
Stefan Kuntz für Bochum getroffen; ist schon was her), haben wir zu
dritt bei einem Kumpel in Bremen gepennt und sind abends ein bisschen losgezogen.
Na gut, richtig einen drauf gemacht geht anders, aber wildes Leben war
das schon, ja. "Doch ich weiß, so ist das eben!"
Mein Brüderken Thommy
ist schon seit gestern im Norden, erträgt das Pisswetter (sorry für
dieses unflätige Nomen, aber glaubt mir: Pisswetter trifft´s!)
schon ein paar Stunden länger. Auch diesmal unterstreicht er meine
These, dass er in jeder verdammten Großstadt irgendjemanden kennt.
Diesmal ist es teufelauchwiehießdienochmalbettinaoderso (verzeih
mir!). Die beiden verschwinden im Überseemuseum am Hauptbahnhof, während
ich versuche, das Besondere an Bremen zu erkunden. Ich bemühe mich,
unvoreingenommen zu sein, wähle sogar absichtlich die falsche Bahnroute,
um 3 km länger zum Stadion laufen zu müssen. Bremen, Bremen,
Bremen... ich will nunmal irgendwohin. Aber nach Bremen? Ich frage irgendwen
mit dem herrlichsten nordischen Dialekt nach dem Weg. Laufe über Straßen
mit Kopfsteinpflaster, an vielen kleinen netten Kneipen vorbei. Doch, meine
Erinnerungen und die jetzigen Eindrücke sagen mir: In Bremen lässt
sich´s leben.
Fußball. Genau. Ja.
"Viel Spaß!", ruft mir der Cola-Verkäufer hinterher, um 14.15
Uhr, nachdem ich mich durch die Eintrittshäuschen gemogelt habe (ne
echt lasche Kontrolle, akute Rauchbombengefahr!). Da lache ich nur laut
auf, und brülle "Guck mal auf die Statistik". Fußball ist so
eine Nebensache. Wir sind Sechster, na gut, vielleicht reißt die
Serie, aber ... sowieso zwecklos. Das Stadion liegt direkt an der Weser.
Um 13.30 Uhr habe ich mich ans Ufer gestellt und Fotos gemacht. Durch die
abgeblätterten Bäumchen hindurch. Am Horizont auf einer großen
Wiese ist ein Vater erkennbar, der mit seiner Tochter Beachball spielt.
Beachball! Mitten im Herbst, mitten in der Matsche. Typen des Tages.
Thommy und wer auch immer
(sie ist jedenfalls nett, scheint aus Thommys Stiftung zu sein) sind auch
angekommen, und Thommy redet ununterbrochen. Ein einziger Redefluss, zwei
Stunden lang. Immer, wenn Thommy Neulinge dabei hat, ist er ein guter "Gastgeber"
und erzählt alles, was er über den VfL weiß. Wer welcher
Spieler ist, was wir in welchem Stadion erlebt haben. Ich könnte das
nicht. Ich würde nur "Halt die Klappe und guck dir mit mir das Spiel
an" denken und drauf hoffen, dass der Neuling keine Fragen stellt. Und
Thommy erzählt von München
im Oktober 2002, davon, dass unser Fränkie Fahrenhorst in der
nächsten Woche einen Vertrag in Bremen unterschreibt, über die
Ultra-Fanbewegung. Und ich will mal irgendwohin.
Wer von den VfL-Fans ernsthaft
darauf hoffte, in diesem Jahr das historische Ende der Serie bewundern
zu können, der hätte nach 15 Minuten gen Ruhrpott verschwinden
müssen. Denn das Fußballspiel, das wir zu sehen bekommen, ist
an Eindeutigkeit nicht mehr zu überbieten. Teilweise ist das ganz
lustig, wie kreuz und quer unsere armen verwirrten Blau-Weißen über
den Platz laufen. Das sieht aus wie bei einer komplexen Laufübung
im Training, bei der keiner das Ansinnen des Trainers geschnallt hat. Eine
Taktik oder ein System zu erkennen, verlangt schon genauestes Augenmaß.
Die Abstimmung in unserer ansonsten so eingespielten Abwehr ist überhaupt
nicht vorhanden, ein Zweikampfverhalten nicht existent. Der Kalla hat keine
Knoten, nein, sogar Seemannsknoten in den Beinen. Colding, Bönig,
Wosz und Zdebel spielen mit einer Penetranz und Präzision jeden, wirklich
jeden Ball in die Füße der Bremer, dass der Eindruck entsteht,
die Jungs hätten vor dem Spiel ne Valium geschluckt. Und na klar,
da kommt sie, die Rauchbombe.
Natürlich - alle Achtung
- die Bremer nutzen unsere Formkrise blendend aus, spielen einen blitzsauberen
Ball. Zweimal sogar einen kugelblitzsauberen Ball. "Warte ab, zweimal läuft
der Ailton allein aufs Tor zu", kombiniere ich nach zwei gespielten Minuten,
als ich bemerke, dass Neururer trotz Ailtons Schnelligkeit auf Abseits
spielen lässt, und jaaaaa, tatsächlich läuft der kleine
dicke Brasilianer zweimal in den ersten 15 Minuten allein aufs Tor zu.
Macht erst das 1:0, durch einen sensationellen Lupfer, dann das 2:0, einem
Schuss mit Pike durch die Stäbe von van Duijnhoven (das ist die doppelte
Höchststrafe, quasi zweimal lebenslänglich). Und Klasnic, nochmal
Ailton, Micoud - das muss 3:0, 4:0 oder gar 5:0 stehen und wäre verdient.
Es geht einfach zu schnell. Sobald einer von uns entschieden hat, zu wem
er den Ball passt, hat Ailton schon wieder aufs Tor geschossen. "Ziemlich
schlecht", findet das auch Thommy, und wendet sich wieder den Geschichten
aus der Vergangenheit zu. Die sind sowieso deutlich interessanter. Nur
zweimal kommen wir in Tornähe, durch Fahrenhorst und Madsen, aber
die Hoffnung auf einen Punktgewinn haben alle Bochumer schon aufgegeben.
Ein Aufbäumen nach
der Pause ist vorsichtshalber auch gar nicht zu erkennen. Damit möglichst
früh alles entschieden ist, foult Colding meinen Namensvetter Ernst
im Strafraum. Ailton darf noch ein weiteres Tor schießen, diesmal
zum 3:0 in der 50., und dann gibt es kein Halten mehr. Wie so oft in eindeutigen
Spielen läuft das Lautstärkenduell auf den Rängen konträr
zum Geschehen auf dem Rasen. Der Spielstand ist zu klar, das Spiel zu eindeutig,
als dass die Heimfans noch richtig aus sich rausgehen müssen. Stillschweigend
respektieren die 32.000 Bremer den Hochgenussfußball ihrer Mannschaft
(das ist er wirklich; taktisch variabel, technisch stark - Ismael, Micoud
und Ailton versemmeln drei weitere Hundertprozenter bei Kontern), während
wir 20 Minuten lang "Scha-la-la-laaaaaaaaa" (wie man Tonsequenzen online
stellt, lerne ich in der nächsten Lektion) brüllen und einen
erstklassigen Sound erzeugen. "Meine Fresse, wir rennen ja volle Suppe
ins Verderben!", denke ich laut. "Die Bochumer wollen auch grad irgendwohin,
und wissen nicht wo." Nur einer muss beweisen, dass er zumindest heute
noch nicht an Bremen denkt: Fränkie Fahrenhorst erfüllt unseren
Fanwunsch nach wenigstens einer Bude und köpft noch ein Gnadentor
zum 1:3 in der 76. Ailton ist da übrigens nicht mehr auf dem Feld.
Um uns wenigstens eine klitzekleine Chance einzuräumen, hat ihn Bremens
Trainer Schaaf in der 65. Minute ausgetauscht. Zu gütig.
"It´s been a bad day",
summt REM´s Michael Stipe nach dem für uns alle erlösenden
Schlusspfiff (noch mal glimpflich ausgegangen) aus dem Lautsprecher, und
weißgott ja, das ist er für unsere Mannschaft gewesen. Endlich
hat meine Negativ-Statistik mal wieder ein bisschen Futter bekommen, die
ist schon fast verhungert in letzter Zeit. An der Nordseeeeeeeeeeeeküste,
am plattdeutschen Straaaaaaaaaand gibt es für uns nix zu holen. Aber
unser "Support" (Fußball-Modewort für "Unterstützung, vor
allem in fremden Stadien") ist gut. So gut, dass er selbst dem Stadionsprecher
der Bremer nach dem Abpfiff ein "ein Gruß noch an die Bochumer Fans.
Das war ein guter Support!" (sag ich doch) abringt.
Thommy nimmt einen Zug früher,
ich suche weiter Besonderes in Bremen. In Bremen lässt sich´s
leben? Verdammt dunkel ist es in Bremen in der Nacht. An der "Domsheide",
da muss ich aussteigen, wenn ich zum "Stadtmusikanten"-Denkmal möchte.
Das habe ich mir noch gemerkt. Was sind das nochmal für Tiere? Ein
Hahn, ein Esel, ein Schwein, eine Maus, eine Ratte, ein Adler? Ach was
weiß ich. Nur ganz vage erinnere ich mich an meine erste Stadtführung
in Bremen zurück, und jawoll, den "Roland" und eben jene "Stadtmusikanten"
finde ich noch - aber nur leicht angestrahlt von gerade mal kerzenhellen
Strahlerchen. Spaziergang durch die City. Durchzogen von Kopfsteinpflaster,
Straßenbahnschienen und Passagen. Eine Passage folgt auf die nächste.
Und noch ne Passage. Und noch ne Passage. Und noch eine Fressbude, in der
es "Rollo" (=Döner) gibt. Ich behalte meine Meinung: In Bremen lässt
sich´s leben. Wenn dieses verdammt beschissene Pisswetter nur nicht
die Regel wäre.
Bei der Rückfahrt versink
ich in Träumen. Rutsche ab auf meiner Hand, knalle mit dem Kinn auf
dem kleinen Mini-Tisch im IC. Vor mir nehmen zwei an die 30-jährige
Frauen Platz, die mutmaßlich "Sex and the City" entsprungen sind.
Sie sehen danach aus, und sie haben auch diese Gesprächsthemen drauf.
Nun gut, ein bisschen neugierig bin ich zwar schon, aber nein, nicht heute.
Nicht jetzt. Versuche zu lesen, und doch verschwimmen die Zeilen vor meinem
müdigkeitstränenden Äuglein. Mein Soundtrack beginnt bei
Tom Liwa, und dann lass ich "Alternative Moments" durchlaufen. Was auch
immer da läuft, ich will einfach nur noch schnaaaaaarch...
Ausflüge im Herbst
sind etwas ganz Besonderes. Ausflüge im Herbst enden im Dunkeln, enden
kalt, immerzu und immerzu. Enden mit einer frierenden Nase, Spaziergängen
auf nassem Laub. Ausflüge im Herbst enden in einsamen Gedanken. "Zwei
Stunden später sitz ich wieder", fährt Tom Liwa auf der CD im
Discman fort, "draußen im Zug bei meinen komischen Freunden; land
auf, land ab die Leute zu beglücken, mit meinen traurigen, traurigen
Stücken".
Ein trauriges Stück
ist es schon. Trotz des perplexen Moments in der Halbzeitpause. Trotz all
der verquerten Denkstrukturen in meinem Hirn.
Ich will nunmal irgendwohin.
Vor dem Stadion
Ich gebe zu, die Lage des Weserstadions ist wirklich idyllisch... die Flutlichtmasten lünkern durch den Wald hindurch. | That´s the Weser... |
Im Stadion
Bremen in der Nacht (im
ganz schön Dunkeln...)
Erst 90 Minuten ohne Tor und dann 90 Minuten mit dreimal Kinderpunsch
Zur Erinnerung
Krügers Beule aus dem
Köln-Spiel
ist ausgeheilt. Naja, eine Narbe ist noch zu sehen. Aber nur, wenn man´s
weiß.
Hallo Christina! Hallo Gerd!
Hallo Stephan aus Münster, der mich in Bremen
auf der Tribüne ansprach! Hallo Kautz, Du besoffene Eule! Hallo an
alle anderen! Vor knapp eindreiviertel Jahren hatte ich mir geschworen,
zu Beginn eines Tagebucheintrags niemals irgendwelche Leute persönlich
zu grüßen. Soll schließlich irgendwie literarisch sein,
was hier passiert, und Grüße... nee, die passen da eigentlich
nicht rein. Soll ja ne Rahmung haben, einen running gag, irgendwas. Aber
heute? Heute muss ich über ein ziemlich müdes Spiel, das auch
noch 0:0 ausging, schreiben. Das macht wohl nur wenige Zeilen aus. Aber
auf und außerhalb der Tribüne sind mir so viele Leute begegnet,
die angekündigt haben diesen Text zu lesen; hui, da ist so etwas wie
schriftstellerischer Druck entstanden, die Schweißperlen stehen schon
auf meiner Stirn... Wollt ich mal sagen.
Habt Ihr eigentlich alle
schon einmal Kinderpunsch getrunken?
Kinderpunsch? Rot. Süß.
Viel Zucker. Steht bei den Weihnachtsmärkten auf der Karte gleich
neben Glühwein, und ist meist 50 Cent billiger. Gerd
steht am Stand des Lions-Clubs Bochum neben mir, erzählt Sauf- und
Urlaubsgeschichten aus seinem Leben, stellt indiskrete Fragen, und flüstert
Christina was ins Ohr, damit ich das nicht auf meiner Homepage erwähne.
Christina kenne ich erst seit 15 Uhr, Jahrgang 1972, Juristin, kennt Gerd,
hat mal ne Bettszene im Theater gespielt und war heute zum ersten Mal im
Ruhrstadion. Wir versuchen sie zu überreden, in zwei Wochen gegen
Frankfurt wieder mit uns in der Kurve zu stehen. Ein lustiger Abend, keine
Frage. Später kommen noch andere hinzu, zum Beispiel Gerds Frau Tanja.
90 Minuten kein Tor, und danach 90 Minuten mit dreimal Kinderpunsch. Wer
einmal Kinderpunsch probiert hat, trinkt nie wieder den ekeligen alkoholhaltigen
großen Bruder. Naja, vermutlich doch, aber lasst dem Anti-Alkoholiker
seine Träume. Kinderpunsch. Rot, süß, jaja. Es ist so um
die 20 Uhr, als ich den letzten Schluck des heißen Gesöffs in
mich hineinschütte, auf mein Handy schaue, um zu gucken, ob jemand
angerufen oder eine sms geschickt hat (hat niemand). "Tschüss dann",
werfe ich in die große Runde, die sich noch weiter auf dem Bochumer
Weihnachtsmarkt vergnügen wird. "Und schreib rein: Der Gerhard Klumpe
ist ein Knauser!", ruft mir Tanja zu, bevor ich allen den Rücken zudrehe.
"Werd ich tun", antworte ich. Rufe meinen alten Kumpel Björn an. Nee,
so ein ganz ruhiger Abend voll mit Arbeit vor dem heimischen Computer kann
ja gar nix. Schade, Björn ist verabredet. Dann eben in den City-Grill.
"Kommst ein bisschen spät", ranzt mich der Herr hinterm Tresen freundlich
an. "War noch auf dem Weihnachtsmarkt", antworte ich, ein wenig verlegen,
um direkt danach ein "Currywurst-Pommes-Majo, auffe Hand" hinterherzuschmettern.
Noch 15 Minuten bis der
Zug kommt.
Boah, also auch von der
Currywurst geht der Kinderpunsch-Geschmack nicht weg. Und ein Hauch von
Kaugummi beglückt auch noch meinen Gaumen. Der kommt vor lauter Geschmackskarussell
heute Nacht gar nicht zur Ruhe. Ich piekse mit der Plastikgabel in ein
Wurststück, bade es in der roten Soße, und wunder mich beim
Schreiben darüber, das ich dieses beeindruckende Schauspiel in aller
Ausführlichkeit schildere. Muss das ein Scheißspiel gewesen
sein...
Soll ich ne Rückblende
wagen?
Ich wage.
14.15 Uhr, es ist voll heute.
Schon jetzt platzt die U-Bahnhaltestelle am Bochumer Hauptbahnhof aus den
berühmten Nähten. Irgendein blauer Blauer gratuliert einem Stuttgarter
zur bisher tollen Saison, der antwortet mit einem laut gebrüllten
"Rot-Rot-Weiß-Rot, wir saufen bis zum Tod!" Guten Tag auch. Fünf
Minuten später, am Stadion, gibts keine Zeitung mehr. Hallo? Ist doch
nur Stuttgart!!! Nur? Okay, die gehören im Moment zu den 16 besten
Mannschaften in Europa, stehen ungeschlagen auf Platz eins, haben in 13
Spielen erst drei Tore kassiert. Aber - fragt meine Freunde - ich gehöre
zu der "Ich unterschätze Stuttgart auch wenn sie drei Jahre alle Spiele
gewinnen"-Fraktion, und wenn die drei Punkte nicht in Bochum bleiben, bin
ich stinksauer.
17 Uhr, nur ein Punkt scheint
in Bochum zu bleiben. Und ich bin zu gelangweilt, um stinksauer zu sein.
90 Minuten lang versuchen 22 Spieler eine runde Kugel in ein 7,32 Meter
mal 2,44 Meter großes Gehäuse zu bugsieren - und schaffen es
nicht einmal in die Nähe. "Leistungsgerechtes Unentschieden. Ein Spiel
für Taktiker", würde Günter Netzer sagen. Und was sagt die
Fankurve? Zwei Mannschaften treffen aufeinander, die nicht alles aus sich
herausholen, die viel Respekt vor dem Gegner haben, die nicht gewinnen,
sondern nur nicht verlieren wollen, die mit angezogener Handbremse spielen,
lieber den sicheren als den riskanten Pass spielen. Unser Trainer setzt
zum Beispiel auf eine kompakte Fünfer-Abwehr mit Oliseh in der Mitte
und zwei etwas offensiveren Außenverteidigern (Bönig, Colding).
Die steht auch im ganzen Spiel sehr sehr gut. Aber gegen die Stuttgarter
Abwehr kommt wirklich keiner durch. Es ist verdammt frustrierend. Da fehlen
beim VfB die beiden besten Abwehrspieler (Meira, Bordon), und trotzdem
schafft es deine Mannschaft nicht, sich eine klare Torchance zu erarbeiten.
Vier Ecken, drei ganz nette Freistöße, das ist es. Nichts. Null.
Zu Null. Denn sonderlich viel fällt Stuttgart gegen uns auch nicht
ein. Ich gestehe Gerd sogar, den Megafon-Man mit all seiner Nerverei langsam
liebgewonnen und akzeptiert zu haben. Wenn ist das schon sage, muss es
ein verdammt unspannendes Spiel sein. Gut, dass Gerd und Christina dabei
sind. So ist es wenigstens abwechslungsreich auf der Tribüne. Mein
alter Mannschaftskollege René Kautz kommt vorbei, ist leicht angeschickert.
Er freut sich darüber, dass Gladbach führt und bringt Gerd, den
er dank dieser Homepage sofort identifiziert hat, dann ein Bier mit. Krüger
steht auch irgendwo. Einen Bierbecher kriegt der wohl nie mehr an den Kopf.
Er ist vorsichtig geworden. Es ist keine 90-minütige Quälerei,
das nicht, nein, immerhin heißt der Gegner Stuttgart. Aber eine Erlösung
ist der Schlusspfiff schon. Torlos. 0:0. Spielnote vier. Schwamm drüber.
Lasst uns über diesen Langweiler nicht mehr sprechen.
Noch fünf Minuten bis
der Zug kommt. Mensch, der Typ vom City-Grill hat ganz schön viel
Majo auf die Pommes gejagt, das ist mehr Majo mit Pommes als umgekehrt.
Aber hmmmm... lecker... die Currywurst ist einfach einmalig. "Kommse vonne
Schicht, wat schöneret gibbet nicht als wie Currywurst". Das ist alles.
Wirklich alles zum Spiel. "Hab den Schwaben-Bomber schon auf die erste
Pflichtspiel-Niederlage vorbereitet". Die sms von Dirk ist eingespeichert.
Einer seiner Freunde aus München ist Stuttgart-Fan. Na jetzt kann
ich die kurze Nachricht wohl löschen.
Die S-Bahn kommt... hocke
am Fenster und starre auf die Weihnachtsbeleuchtung des Ruhrpotts, diesmal
ohne einen Anflug von Lokalpatriotismus. Die Pommesschale hab ich in einem
Mülleimer auf dem Bahnsteig versenkt, in meinem Magen hat sich die
Currywurst mit dem Prager Grillschinken vom Bochumer Weihnachtsmarkt vermengt.
Und da wären wir wieder
beim Kinderpunsch.
Der Mülheimer Hauptbahnhof
wird angesagt. Ich frage mich, in welchem Absatz des Textes ich Tanja zitiere.
Ihr wisst schon, Gerd als Knauser und so. Ach, das pack ich direkt an den
Anfang.
Und Krüger?
Der war auf dem Weihnachtsmarkt
nicht dabei.
Das nur zur Erinnerung.
Heute werden Wünsche erfüllt: Fußball wie im Aquarium in Brasilien
Witzischkeit kennt keine Grenzen
Ich hasse solche miesen,
fiesen, gemeinen, ekeligen Herbsttage.
Es ist früh am Morgen,
"Da Draußen" von Fettes Brot schallt per EinsLive aus dem Lautsprecher,
und YEPP ein neuer Tag beginnt. Ach Du Scheiiiße Andi, bleib doch
lieber liegen. Der Wecker zeigt 11.15 Uhr an, und trotzdem brauche ich
einen Flutlichtmasten, um meine Wohnung zu erhellen. Es ist so verdammt
dunkel draußen, und es regnet. Ununterbrochen. Und heftig. Auf dem
grünen Rasen im Hinterhof bilden sich schon Pfützen, und ich
selbst fühl mich verpeilt. War ein langer Abend gestern, mit netten
Leuten im KKC an der Uni Essen - und nachts fahren die Bahnen im Pott nicht
mehr so regelmäßig... warten, kann nicht einschlafen, dann doch.
Und jetzt müde, kaputt, viel zu tun. Dann noch Regen, kein sonderlich
attraktiver Gegner. Knall Dich zurück ins Bett Kollege. Ist besser
so.
*Ringelingeling* ... Telefon...
Bruder Thommy meldet sich ebenso verpeilt, war ebenso weg gestern Abend,
hat ebenso den Arsch voll zu tun, und er tut es. Er kneift! Kneift einfach
so! Boah - und dann auch noch ohne Thommy?
Gefahren bin ich dann doch.
NATÜRLICH bin ich gefahren,
was dachtet Ihr denn?
Aber solche Herbsttage sind
wirklich doof.
Im Regen strahlt das Ruhrgebiet
keinen besonderen Charme aus. Im Regen strahlt für mich glaub ich
keine Stadt der Welt irgendeinen Charme aus. Einen Schirm habe ich nicht
dabei (selbstverständlich nicht, ist ja überdacht), und trotz
der Regenjacke tropft es überall. Die Hose ist nass, die Schuhe, iiiiihhhhh...
brrr.... So beginnt mein Spiel so richtig erst ne Viertelstunde vor dem
Anpfiff, als ich feststellen muss, dass durch die Sturmböen die Überdachung
so gut wie gar nicht hilft und wir uns mitten im Regen befinden. Wir? Gerd!
Krüger! Noch n paar andere Köppe; und Sam samt Freundin! Yeeaahh,
nach vier Wochen Pause hat Sam seinen Arsch mal wieder ins Stadion bewegt
und - als ob er´s geahnt hätte - unser aller Liebling Anton
Vriesde ("Fußball-Gott") spielt sogar von Beginn an. Unser Motto
ist klar: Bei einem solchen Sauwetter hilft nur Lachen. Oder wie der Hesse
sagt: Lustisch sein. Denn hessisch ist heute die Nebensprache bei uns im
Pott: Eintracht Frankfurt, der Trümmerhaufen der Bundesliga, kommt.
Keine Ahnung, wie die schon an zwölf Punkte gekommen sind, spricht
nicht grad für die Liga. Und weil wir mit 22 Punkten für unsere
Verhältnisse sensationell gut dastehen, können wir uns sogar
einen kräftigen Schuss Überheblichkeit erlauben. Schon nach zwei
gespielten Minuten wollen wir "Einer geht noch rein" anstimmen, obwohl
es noch 0:0 steht. Dass eine Grippewelle die Mannschaft heimsuchte, der
Platz schwer bespielbar ist: kein Thema für uns. Unter 4:0 geht nicht.
Etwas zu überheblich scheinen unsere Jungs auch zu sein. Chris (9.)
und Beierle (10.) haben innerhalb von 30 Sekunden zwei Riesendinger für
Frankfurt auf dem Kopf, und der von Beierle war sogar hinter der Linie,
wie wir alle vermuten. Puuh, was is´n hier los?
Erst danach geht es in die
andere Richtung - und als ob es die Frankfurter noch nicht gewusst hätten:
Wir setzen auf unsere Standardsituationen, erarbeiten uns Freistöße
und Ecken in Serie. Eine davon sitzt, 22. Minute, Hashemian per Kopf. Und
HEY - der Vahid kriegt sogar seinen eigenen Sprechchor: "Va-hid-Va-hid-Va-hid-Ha-she-mi-an"!
Grenzenloser Jubel, hüpfen vom einen Bein aufs andere - nee, das ist
es nicht, bei so einem mehr oder weniger standesgemäßen Tor.
In den letzten 68 Minuten warten wir darauf, dass bei unseren Jungs der
Groschen fällt. Nur einen einzigen winzigen hellen Moment gibt es,
als Hashemian kurz nach der Halbzeit das Leder an den Innenpfosten schlenzt.
Ansonsten drückt - oh Wunder - Frankfurt: Couragiert, mehr Torschüsse,
bessere Zweikampfwerte, die größeren Spielanteile. Und ja, ich
gestehe, ein Unentschieden entspräche viel eher dem Spielverlauf.
Doch wie´s so ist in einer glücklichen Situation: Wir schaukeln
das Ding in bester Abstiegskampf-Manier (einfach den Ball nehmen und auf
die Tribüne jagen) irgendwie über die Zeit. Egal, dass Bönig
links hinten dringend die Winterpause braucht, dass Edu nach neun Minuten
schon wieder ausgewechselt wird, dass der Freier der schlechteste Bochumer
ist, dass der Wosz scheinbar nur noch Luft für 60 Minuten hat. Abpfiff
und die Jungs halten das Transparent "Die Nummer 1 im Pott seid Ihr!" hoch.
Fünfter Platz, und das nach dem letzten Heimspiel im Jahr 2003. Was
für ein Fußballjahr im Ruhrstadion geht vorbei! Am Ende stehen
parallel Anton Vriesde, Michael Bemben, Andre Wiedener, Oka Nikolov und
Uwe Bindewald auf dem Platz. Und sowas nennt sich Bundesligaspiel. Noch
Fragen zum Spielniveau?
Wir halten während
des gesamten Spiels mit lustischen Scherzen die Stimmung aufrecht. Die
sind alle so lustisch, dass ich aus dem Lachen gar nicht mehr herauskomme.
"Ist ja wie in Brasilien hier", brüllt Sam in einer philosophischen
Phase zwischendurch. "Brasilianisches Wetter. Und erst recht brasilianisches
Spielniveau!" Gerd wünscht sich eine eigene Überschrift, in selbigem
Philosophie-Anfall: "Fußball wie im Aquarium!" Es wird nicht ganz
zur Headline reichen.
Und wenn an einem VfL-Nachmittag
Witzischkeit keine Grenzen kennt, dann ist Straßenbahnfahrer Stephan
aus Mülheim nicht weit. In der 308 zurück Richtung Hauptbahnhof
treffe ich den 2,05-Meter-Koloss, bitte ihn bei der gepflegten Currywurst-Pommes-Majo
zu einem Gespräch über Straßenbahnen, den VfL und die F2-Jugend
von Tuspo Saarn. "Weisse", rechnet er vor, "wenn wir damals das DFB-Pokalspiel
gegen Lautern gewonnen hätten" (die Elfmeter-Schmach
aus dem Februar, Ihr wisst schon), "dann würden wir jetzt im UEFA-Pokal
gegen Celtic Glasgow spielen. Weil: Teplice und Feyenoord Rotterdam, die
hätten wir doch weggetan, oder?" Sprichts aus, guckt mich an und prustet
los. "Aber nächstes Jahr... wer weiß....?"
Heute sind die ganz normalen
Alltagswünsche wahr geworden. "Was ist Dein Hobby?", wurde ich gestern
irgendwo bei einem Termin gefragt. Da stutzte ich, überlegte ein paar
Sekunden und konnte - so schlimm es auch ist - nur zwei Sachen antworten:
"Die Homepage und der VfL!" Wenn beides aufeinander trifft, und ich noch
über einen Sieg und gute Stimmung berichten darf, dann bin ich rundum
zufrieden.
Und ich mach mir beim Aufstehen
noch Gedanken...
Man beachte die beeindruckende Sicht auf das Tor...
Et hätt noch immer jot jejange: Eine Tour mit überwundenen Hürden und dem Bochumer Wintermärchen
Alleine in der Nacht
Es ist so ruhig in Hannover
an diesem Winterabend. Es ist so ruhig in dieser 600.000-Einwohner-Stadt,
sieben Tage vor Heiligabend. Keiner kauft mehr Geschenke, niemand steht
an den Schaufenstern, in den Cafes sitzen nur noch die Stammgäste.
Es ist so ruhig an diesem Mittwoch um 23.30 Uhr, und ziellos schlendere
ich durch die Nacht. Laufe nach links, nach rechts, biege ab, bleibe stehen,
setze mich auf eine Bank. Ist ganz schön kalt geworden, sodass ich
mir meinen blau-weißen VfL-Bochum-Schal ein wenig fester um den Hals
schnüre, fast so fest wie einen Schnürsenkel um einen zu großen
Schuh. In meiner rechten Jackentasche fühle ich einen Stoffknubbel,
der sich schon bald als meine "taz"-Mütze entpuppt. Kann nicht schaden,
wenn ich die auch noch aufsetze. Hätte ich einen Bart, würde
ich aussehen wie der Weihnachtsmann persönlich; nun gut, mit etwas
anderer Farbgebung. Am Horizont taucht wieder der Hauptbahnhof auf. Ich
hab mich nicht verlaufen. Die Weihnachtsmarktbuden sind längst geschlossen,
nur die Preisschilder liegen noch davor, unbewacht. Aber wer würde
schon auf die Idee kommen, solche Dinger zu klauen? In einer Viertelstunde
fährt mein Zug Richtung Ruhrpott. Um 0.12 Uhr. Keiner da. Nur der
Andi.
Alleine in der Nacht.
Der Wecker, er läutet
seit 30 Minuten unentwegt. Um 11 Uhr klingelte er erstmals, die Töne
werden eindringlicher, folgen in immer kürzeren Abständen. Und
doch geben meine Knochen nicht das "Aufstehen"-Signal an mein Gehirn weiter.
Die lange Herr-der-Ringe-Nacht wirkt nach. 4.15 Uhr im Bett, und ne Viertelstunde
danach wach liegen. Fulminanter Streifen, wirklich. Gebannt im Sessel sitzen,
mit offenem Mund staunen, und das, obwohl der Ausgang bekannt ist. Vorbei,
vergessen. Steh auf Andi, steh auf. Dein Zug kommt, und noch hab ich es
nicht geschafft, meine BahnCard 25 in ne BahnCard50 umzutauschen. Das bedeutet
die verdammte Zugbindung. Deadline 14.21 Uhr. Uni mal sausen lassen, ausnahmsweise.
Müüüüde. Es gibt so viele Hürden heute. Eine Eintrittskarte
ziert noch nicht mein Portmonee - das heißt, so früh wie möglich
am Stadion sein. Auf dem Heimweg habe ich nur vier Minuten Aufenthalt in
Hamm. Wenn der ICE Verspätung hat, darf ich meine Nacht in Hamm verbringen.
Klappt das Treffen mit Domi, meinem ehemaligen Abi-Kollegen, wie im
letzten Jahr? Denk nicht drüber nach; mein Gehirn hat die Knochen
besiegt und den Körper zum Aufstehen verdonnert. Die Knochen folgen
nur langsam, unwillig.
Oh je, das ist ein schlechtes
Omen... habe weder die Placebo- noch die Grönemeyer-Bochum-CD dabei;
wo bleibt da mein obligatorischer musikalischer Auswärtsspiel-Start?
Dafür ist mein Handy am Start, ausgestattet mit einem prall gefüllten
Akku. Regionalexpress Richtung Bad Oeynhausen. Über Bochum, Dortmund,
natürlich Heessen, Gütersloh, die ganzen westfälischen Knallerstädte.
Es wird schon 16 Uhr, als der Zug die Weltstadt Bad Oeynhausen ansteuert.
Ich werfe mir den Schal um den Hals, steige aus, und spaziere ein paar
Meter. Wie es sich wohl in Bad Oeynhausen leben lässt? Ein Blick in
die Fußgängerzone genügt. Tiefste Provinz. Fühle mich
wie ein Großstadt-Protz, als ich am schnuckeligen Lokalredaktionsbüro
der "Neuen Westfälischen" vorbeimarschiere. Jetzt mal ehrlich... gibt
es einen mieseren Journalisten-Job? Ich glaube nicht. Mein Handy bimmelt.
Domi ist dran. Er fährt direkt von der Uni zum Stadion, Treffen vorher
unmöglich. Macht ja nichts. Ich helfe einer jungen Dame beim Zusammenschrauben
ihrer soeben zerstörten Zuckerwattemaschine. Wozu gibt es sowas hier?
Die Einheimischen stehen sowieso gerade am Karussell. Der Himmel taucht
die Stadt in eine wahnsinnig schöne, verschlafene Abenddämmerung.
Bild komplett.
Intercity gen Hannover.
Halbe Stunde noch. Blick in den Baedeker "Deutschland 2000". 20 Sonderseiten
über die "Das gibts nur einmal - das kommt nie wieder"-Expo. Der absolute
Superflop. Hmm... soll ich eine Bahn nehmen oder die halbe Stunde zum Stadion
laufen? Okay, laufen. "Herzlich Willkommen in Hannover, Expo- und Messe-Stadt;
Welcome to Hannover, Expo-City". Tief verstört hüpfe ich von
der letzten Zug-Stufe und würde am liebsten den Lautsprecher zertrümmern.
Denn da war sie wieder, diese niedersächsische Überheblichkeit,
die ich so vermisst habe. Ich werde der Mülheimer Oberbürgermeisterin
vorschlagen, dass die ankommenden Zugpassagiere bei uns nur noch mit "Welcome
to Mülheim, Müga- and VfB Speldorf town" begrüßt werden.
Und das wäre nicht einmal so peinlich wie die Hannoversche Variante.
Hunger. Langeweile. Stress. Da waren die Hürden. Der Herr der Ringe
meldet sich, Frodo und Sam marschieren in meinen Gedanken den Schicksalsberg
hoch; keine Zeit Andi, keine Zeit. Schweiß, und das bei 0 Grad. Ich
will dieses Spiel sehen, ich will dieses Spiel sehen. Es ist voll in der
Innenstadt. Viele Leute vergnügen sich mit einem Tässchen Glühwein,
und ich halte kurz bei einem Pizzamann, um mir eine mit Schinken gefüllte
reinzuschieben. Dann gehts weiter zum "Kröpcke", was irgendsoein Platz
ist, und weiter bis zum "Platz der Weltausstellung". Und da steht doch
tatsächlich ein Schild, das anzeigt, wie lange die Expo schon vorbei
ist. Ich halts wie Obelix, tippe mir an die Stirn und flüstere "Die
spinnen, die Hannoveraner". 15 Minuten Fußweg vorbei, keine Flutlichtmasten
in Sicht. Die Fußgängerzone liegt längst hinter mir. Verlaufen?
An der Ampel steht ein dick in Klamotten eingepackter Fred. "Sag mal...
wo gehts denn hier zum Stadion?" "Ach einfach nur geradeaus. Kannst ein
Stück mit mir gehen, mein Auto steht da in der Nähe. Ich muss
nach Hildesheim." Und Fred plaudert. Ach hätte ich doch nach einer
Alternative gesucht. Fred erzählt davon, wie seine Glühbirne
im Keller kaputt gegangen ist, und er heute im Supermarkt eine neue gekauft
hat. Als obs mich interessiert. Eeeeeendlich, Flutlicht in Sicht; 17.50
Uhr - ob die Kassen schon offen sind? Ob es noch eine Karte gibt? Idiotischer
Gedanke, na klar gibts die noch; aber habt Ihr schon mal irre viel Geld
für ne Bahnfahrt ausgegeben, ohne Eintrittskarte im Gepäck? Dann
machst Du Dir solche Sorgen. Laufe ein wenig schneller, an einem Glühweinstand
vorbei. Saufen für ukrainische Waisenkinder. Ein Radiosender bittet
um 50 Cent für ein kleines Becherchen. Erlös geht zu 100 Prozent
gen Osten. Hurra, eine Kasse hat auf. Und der Kassierer hinter der Scheibe
sieht aus, als hätte er den ganzen Tag nur gespendet... 18 Uhr, und
ich hab sie. Jaaaaa, Block S17. 11 Schleifen wollen die sehen für
einen verdammten Stehplatz. Einen nicht überdachten Stehplatz, von
dem weder die Anzeigetafel zu sehen ist, noch ein Tor, weil ein Pfeiler
die Sicht verdeckt. Für einen halben Liter Sinalco ziehen die mir
auch noch 2,50 Euro aus der Tasche. Harte Welt.
Stress vorbei, durchatmen,
hinsetzen. Außer mir sind so früh nur 40 andere im großen
weiten Rund, und mir ist laaaangweilig. Ich krame mein Handy aus der Tasche,
und wähle Nummern. Eine nach der anderen. Björn in Essen muss
dran glauben, er befindet sich gerade auf dem Sprung zum Spiel Dortmund
gegen Kaiserslautern. Der Sprenger Medienservice bat um einen Rückruf
wegen einer Adresse. Der Cheffe kriegt sie. Bruder Thommy meldet sich ebenfalls
und denkt, ich würde ihn zum Premiere gucken einladen wollen. Als
ich ihm erzähle, wie kalt mir grad in Hannover ist, fällt er
aus allen Wolken. Helmut ist dran, er hockt mit einem doppelten Bänderriss
zu Hause. Anruf bei Sam! "Und? Bist Du auch nach Hannover gefahren?" "Nee,
komme gerade von der Arbeit. Außerdem dachte ich, das Spiel sei erst
Samstag!" Akku nur noch halbvoll.
Die Uhr tickt nur langsam
herunter. Zwischendurch bleibt sie für einen Moment stehen. "Words
like violence break the silence", haucht Dave Gahan von Depeche Mode. Die
sanfte Melodie von "Enjoy the silence" vermischt sich mit der kleinen Nebelwolke,
die mein Atem preisgibt. Ich ziehe mir meine verrutschte Mütze über
den Kopf und lausche. Lausche den Gesprächen der paar Bochumer Fans,
die mitgereist sind, lausche meinen Gedanken. Höre zu, wie sie in
meinem Kopf Billard spielen und die Themenkugeln nacheinander einlochen.
Wow, Pause, Winterpause. Erste Hürde übersprungen, bin drin.
Gestern noch Herr der Ringe. Müsste eigentlich todmüde sein -
und bin es nicht. Zwei Geburtstagsfeiern am Wochenende überstanden,
und bin doch wieder alleine unterwegs. Ist das meine Berufung? Das Lied
"Enjoy the silence" ist lange vorbei, die Spieler laufen sich warm, als
das Billardspiel in meinem Kopf aufhört. Stevic spielt für Wosz.
Telefon steht ausnahmsweise still.
Es ist das letzte VfL-Spiel
für mich im Kalenderjahr 2003, das 242. insgesamt. Zum dritten Mal
stehe ich in der AWD-Arena, zum dritten Mal woanders. Wir stehen mit 25
Punkten auf Platz fünf, es ist das Bochumer Wintermärchen, egal,
wie es heute läuft. Große Hoffnungen macht sich niemand aus
dem blau-weißen Block, auswärts spielen wir mies. Kaum ausgesprochen,
hat es auch schon eingeschlagen. Thomas Brdaric, einer von den Bundesligaspielern,
die ich unbegründeterweise ja mal überhaupt gar nicht leiden
kann, hat für Hannover getroffen. 13. Minute. Anfangs-Viertelstunde,
mal wieder. Doch entgegen der Erwartung entwickelt sich bis zum Abpfiff
ein sehr munteres Flutlicht-Spielchen. Beide Mannschaften spielen forsch
nach vorn, oder bemühen sich zumindest darum, und erarbeiten sich
einige Chancen. Die größte für uns hat in Halbzeit eins
der wackere Pidder Madsen, die größten für Hannover versieben
de Guzman und Christiansen. Christiansen? Oh ja, der Thomas. Es tut unheimlich
weh, ihn in einem anderen Trikot zu sehen. Er hat uns allen so viel Freude
bereitet in den letzten beiden Jahre und ist nun dem Lockruf der Kohle
gefolgt. Wir brauchen ihn nicht mehr, haben doch Hashemian und Madsen.
Anton Vriesde erntet erste "Fußballgott"-Sprechchöre, und Sam
ist nicht einmal dabei.
Halbzeitpfiff. Domi ruft
an. "Du Andi, wird leider nix. Ich muss leider nach dem Spiel sofort zu
einer Geburtstagsfeier!" Du ARSCH! Was soll ich dann zwei Stunden lang
allein in Hannover anstellen? "Und nochwas Andi... damit Dein 2:2-Tipp
in Erfüllung geht, müsst Ihr Euch aber ganz schön steigern!"
"Wart ab Domi! Und schönen Abend noch!"
Wir beginnen gut; erste
Chance durch Zdebel, kläglich vergeben. Zweite Chance: Pass Freier,
Madsen, umkurvt einen Roten, und schiebt ihn..... REEEEEEEEEIN! EINS ZU
EINS!!!!! Die Füße sind zu eingefroren, um zu hüpfen, aber
für kurze Schreie reicht es, jaaaa, unfassbar. Tor für den VfL.
Und doch will es dann nicht mehr fluppen. Es geht so langsam auf ein Gegentor
zu. Und das ist ein unheimlich schäbiges Gefühl, wie es nur Fußballfans
kennen und nachvollziehen können. Du merkst, dass bei Deiner Mannschaft
etwas schief läuft, zitterst von Sekunde zu Sekunde mehr. Aus Zittern
wird Bibbern, aus Bibbern die nackte Angst. Brrrrrrrr.... kaaaaalt... pfeif
doch jetzt schon ab Schri... mein Körper explodiert beinahe vor Gänsehaut,
vor Angstschweiß, der Kreislauf kollabiert bald. Dann die letzte
Mahlzeit vor der Exekutierung, die letzte Sekunde vor der Bekanntgabe der
schlechten Note nach einer verpatzten Prüfung, der letzte Adrenalinstoß.
De Guzman bekommt die Kugel und knallt sie links unten rein. Ich habs geahnt.
Unvermeidlich. 2:1 für Hannover. Und wir haben es uns fast selbst
reingehauen. So viele Fehler, selbst unser Schnapper irrt durch den Strafraum.
Hektik. Die Ultras zünden
ein bengalisches Feuer. Leben in der Bude, Polizisten stürmen die
Kurve. Die Ultras? So ein unüberdachtes Stadion hat auch Vorteile.
Zum Beispiel den, dass der Marktschreier kaum zu hören ist. V-F-L,
V-F-L schallt es, als Liquidos "Narcotic" das 2:1 ankündigt. Tor-Einspiel-Jingles
sind interessant. Mein Favorit ist nach wie vor St. Paulis "Song 2" von
Blur. Aber direkt dahinter "Narcotic". Nicht schlecht, echt nicht schlecht.
Doch das 2:1 beendet erst einmal alle Hannoveraner Bemühungen. Wieder
wir. Alle werden aufmerksamer. Oliseh und Zdebel sind ballsicherer, Vriesde
und Fahrenhorst stehen besser, und wenn Madsen trifft, muss Va-hid-Va-hid-Va-hid-Ha-she-mi-an
nachlegen. Flaaaaankeeee Madsen, einnicken, der ist drin, der ist drin,
der ist drin, Ausgleich. Das Wintermärchen geht weiter! 2:2 steht
bestimmt auf der Anzeigetafel. Zu sehen ist sie immer noch nicht. Es dauert
noch bis zum Abpfiff. Eine rote "4" leuchtet an der Seitenlinie in der
90. Minute auf, als sich Krupnikovic den Ball schnappt, um einen Freistoß
am 16-Meter-Raum auszuführen. "Halbes Tor" heißt das im Fachjargon.
Zittern, bibbern, nackte Angst. Er läuft an, aber unser Torwart ist
dran, die Latte auch, und vorbei. Aus, vorbei, Chance vertan. War das knapp.
Der Punkt ist unser. Andere Seite, gleiche Distanz, Oliseh.....?????? Weeeeeit
drüber! Das wars, Abpfiff. 26 Punkte, fünfter Platz. Und das
Lieblingslied aller Bochumer trifft noch voll zu: "DIE NUMMER EINS IM POTT
SIND WIIIIIR!!!" Schönes Spiel, wirklich schön. Tipp ist aufgegangen.
Es ist so ruhig in Hannover
an diesem Winterabend.
Zwei Stunden lang die Zeit
totschlagen; erst um 0.12 Uhr kommt der Zug. Im Bahnhof hat das China-Restaurant
"Mr. Phung" noch auf. Mister Phung kocht für mich eine Portion Reis
und paniertes Hähnchenfleisch süß-sauer. Die Bürgersteige
sind hochgeklappt. Weihnachten kommt bald. Mein Handy lagert noch in meiner
Hosentasche und dient als mobile Langeweilevertreibungsmaschine. Helmut
muss von den anderen Spielen erzählen, Björn schimpft über
Torwart Weidenfeller und probiert Funktionen seines Telefons aus. Konferenz
mit Björn und seiner Freundin Nadine, was Neues. Talk über Frauen,
mal wieder. Thommy will wissen, wie das Spiel so war. Ich begrüße
ihn mit "Va-hid-Va-hid-Va-hid-Ha-she-mi-an"-Gesängen. Das Bochumer
Wintermärchen. Ich bin ein Teil davon. Der Akku ist leer.
Es ist ruhig in Hannover.
Laufe nach links, nach rechts, knipse ein bisschen mit der Digitalkamera
rum; mein Zug kommt, der Anschluss in Hamm klappt bestens. Ich müsste
müde sein und kriege doch meine Augen nicht zu. Die letzte Hürde
ist übersprungen. Wie sagt der Kölner? Et hätt noch immer
jot jejange. Er ist alles immer gut gegangen. So auch heute. Alle Unwägbarkeiten
besiegt, ein tolles Spiel gesehen und Bochum hat nicht einmal verloren.
Nicht einmal verloren. Die Tabelle werde ich mir in der Winterpause jeden
Tag ansehen.
2.50 Uhr, Mülheim Hauptbahnhof.
Keine Ansage, nichts. Ich bin der einzige, der den IC verlässt. Gemächlich
schlendere ich zu meiner Wohnung zurück, laufe mitten auf der Straße.
Nur noch ein paar Taxiwagen brausen in einem mörderischen Tempo vorbei.
Ohne die Mütze würde mein Kopf erfrieren. Ich denke nach über
die Welt, über das, was wirklich zählt. Über dieses Jahr
mit dem VfL. Höhepunkte wie die beiden Auswärtsspiele auf Schalke,
den genialen Tag beim 3:1 in Bielefeld
oder das fantastische 3:0 gegen
Borussia Dortmund werde ich nicht vergessen. Dazu völlig bekloppte
Touren bis nach Wolfsburg und Rostock. Hab ich ne Meise oder hab ich ne
Meise?
Es ist so ruhig in Mülheim
an diesem klaren Winterabend. Und ich laufe.
Alleine in der Nacht.
Im Stadion...
Die Tour...
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Wie ich... (4.2.2004)... auf dem Pidder sein Stuhl zum VfL selbst interviewt wurde...
Hamburger SV - VfL Bochum 1:1 (7.2.2004)... ist im VfL-Tagebuch 2003/2004 - TEIL 4 nachzulesen !
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