VFL-TAGEBUCH: SAISON 2004 / 2005 - TEIL 5
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Die ersten Utensilien

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SV Werder Bremen - VfL Bochum 4:0 (26.2.2005)

Osterdeich

Ja ich weiß, erste Liga war ne geile Zeit - "... und der VfL Bochum... ???" "NULL!!!!!!!!!!"

Das PlakatDer junge Mann, der das Plakat rechts hält (helle Jeans), das bin wohl doch irgendwie ich... (Quelle: vfl-bochum.de/firo)

Writing to forget it

Schnee... und in Mülheim schneit es!

Wenn ich noch in der Schulabgangsphase wäre, dann wäre "Geile Zeit" von Juli mein Lied gewesen. "Ja ich weiß es war ne geile Zeit", fängt der Refrain an, und hört mit "es ist vorbei" auf. Nein, ich mag Juli nicht besonders. Und schon gar nicht, wenn ich morgens um 9.16 Uhr unter dem - husthusthust - Geheul von Sängerin Eva aufwache. Es war ne geile Zeit? So viele Auswärtsspiele, so viele Zugfahrten, so viele Städte, so viele Erlebnisse. Geradewegs steuern wir auf einen weiteren, den unzähligsten Abstieg zu. Und ich gleichzeitig auf meinen Reiseabschied. "Es ist vorbei", donnert es mir aus dem Radio entgegen. Ich schalte es schnell aus. Nein. Noch ist es nicht vorbei - husthusthust.
Meine Fresse, geht es mir beschissen. Ich gehöre - husthusthust - eigentlich ins Bett, den ganzen Tag, mit ner Tasse Tee, ach was, direkt einer ganzen Kanne; oder hmmjamjamjamjam noch viel besser, einer heißen Milch mit Honig. Den ganzen Tag eingewickelt in eine Decke, nachmittags die Konferenz gucken bei Premiere, zwischendurch telefonieren, und abends dann früh ins Bett. Und wo bin ich? Ich sprinte. Ich sprinte mit nassen, gerade geduschten Haaren Richtung Hauptbahnhof und erwische die letzte noch offene Tür des Regionalexpresses um 9.46 Uhr. Ich sollte doch zukünftig vor Auswärtsfahrten etwas früher aufstehen, hämmere ich mir in die Rübe. Oder versuche es zumindest, denn abwechselnd japse und huste ich, und gebe dabei bestimmt kein allzu gesundes Bild ab. Besser ich schau nicht hoch, nicht in die Gesichter der anderen Zugfahrer. Umsteigen in Essen - husthusthust - ich schwitze ein bisschen von der Rennerei zum Bahnhof. Der IC kommt pünktlich um 10 Uhr, und ja, oh ja, es ging mir schon einmal besser in meinem Leben. Auf der Zunge liegt mir immer noch der Gyros-Souflaki-Zatziki-Geschmack von gestern Abend, den selbst zweimaliges Mega-Zähneputzen nicht besiegen konnte, ich röhre ununterbrochen Grippeviren in die Luft, einen Sitzplatz finde ich nur im Raucher-Großraumwagen, und ich habe HUNGER! Die Welt ist verschneit, und an weißen Feldern und den Städten Bochum, Dortmund, Münster und Osnabrück vorbei werde ich Richtung Norden fahren. Aber warum nur? Ich will doch einfach nur schlafen. Ins Bett. 10.25 Uhr, sms von Gerd. "Lass mich raten, du fährst bei dem Üselwetter zum seit jeher aussichtslosesten Auswärtsspiel überhaupt?! Schick mal Ergebnis, viel Glück!" Wie viele Leute mir in den letzten Tagen doch genau auf diese Art und Weise Mut gemacht haben... und immer wieder habe ich dasselbe geantwortet: "Ich kenne keinen Bochumer, der nach Bremen fährt und ernsthaft davon ausgeht, dass wir das Spiel gewinnen." Und so ist es auch. Husthusthust. Man, dieser BEPISSTE Husten!!! Ich fahre das kleine Tischchen aus dem Sitz vor mir aus, lege die WAZ und die "taz" drauf, dazu noch meinen Discman. Ich beginne den Tag mit Grönemeyers "Bochum", natürlich, pünktlich nach der Abfahrt aus unserem Bochumer Bahnhof. "Tiiiiief im Westeeeen, wo die Sonne verstaaaaubt..." Wo die Sonne erfriert, würd es im Moment besser treffen. Maximal ein Grad plus ist heute angesagt, und wie immer in den letzten Jahren ist es erst im Februar richtig winterlich geworden. Kurz vor Dortmund höre ich endlich auf zu japsen, ich sollte mal wieder Sport treiben, husthust. Die hübsche Schaffnerin will mein Ticket sehen. 42 Euro steht da drauf, aber so viel habe ich gar nicht bezahlt. Denn im Rahmen einer Frühjahrs-Putzaktion habe ich einen 25-Euro-Gutschein gefunden, der noch bis März gültig ist. Also: Für 17 Euro hin und zurück, das ist doch ein fairer Kurs. Diesmal schlage ich sogar den sonst preislich unschlagbaren BOZ-Fanexpress. Ich fahre die Strecke zum unzähligsten Mal, studiere in der WAZ die Aufstellungen, als mir auffällt, dass wir in Osnabrück am VfL-Piepenbrock-Stadion an der Bremer Brücke vorbeifahren. Im Discman läuft gerade Nenas "Nur geträumt". Danach noch "Everlong", das fantastische Werk von den Foo Fighters. Und "So here we are" von Bloc Party. Zwischen Osnabrück und Bremen falle ich in einen einstündigen Schlaf. Der blau-weiße VfL-Schal ist fest um meinen Hals gewickelt. Mit der linken Hand halte ich Jacke und Tasche fest. Als ob das helfen würde. Ich träume nichts.
Meine Augen jucken kräftig, als ich in Bremen das Licht der Welt erblicke. Nach der Durchsage "Meine Damen und Herren! In Kürze erreichen wir: Bremen Hauptbahnhof!" bleibt mir nur wenig Zeit, um alle Vorbereitungen abzuschließen. Ich blättere kurz im Baedeker meine geplante Route nach, ziehe den Reißverschluss der Jacke bis zum Anschlag hoch und wage mich drei Stunden vor dem Anpfiff in die Stadt. Dirk aus München hat inzwischen eine sms in den Norden gefunkt: "Das wird schon, hab mit einer gigantischen Quote drauf gesetzt!" Krank und müde fühle ich mich mehr denn je. Wenigstens hat der Husten ein wenig nachgelassen. Den Hunger besiege ich in einer Bäckerei in Bahnhofsnähe. Ich bestelle in Gedenken an Homer Simpson einen Schoko-Donut, dazu noch jeweils ein Marzipan- und ein Schoko-Croissant und selbstverständlich einen heißen Kakao. Mit Blick auf den Herdentorsteinweg setze ich mich an einen Tisch und blättere den aktuellen "Weser-Kurier" durch, knapp 250 Kilometer weg von Mülheim. Auch diese Zeitung betont noch einmal die eindeutigen Voraussetzungen. "Freiburg wird eher ein Heimsieg gegen Bayern zugetraut als Bochum ein Dreier bei Werder", heißt es dort, und ich schmunzle. Es spricht einfach alles gegen uns. Noch nie in Bremen gewonnen. Sieben Auswärtsniederlagen in Folge. Bremen mit vier Bundesligasiegen hintereinander. Neururer gibt im Interview zu, mit Grausen an Werder zu denken. Nicht nur er. Und ich bin da, gebeutelt von Grippe und all dem sonstigen Kram.
Warum? Warum nur?? Vor allem, weil Bremen einfach eine schöne Stadt ist, und weil ich gerne dort bin. Und im Winter gibt Bremen ein noch schöneres Bild ab. Um 12.45 Uhr wage ich es in die Kälte, "1 Grad" steht irgendwo auf einer Temperaturanzeige, und ich spaziere gemächlich über die Fußgängerzone Sögestraße in Richtung Marktplatz. Der auch "Domshof" genannt wird. In Richtung Altstadt, auch als "Domsheide" bekannt. Anderthalb Mal habe ich mir das schon angeguckt. Im Frühjahr 2000, glaube ich, da habe ich mit einer Dreier-Gruppe einen Kumpel in Bremen besucht, auch über Nacht. Wir haben nach dem Freitagabendspiel (die gab es damals noch, hurra) ziemlich groß bei mehreren Becks gefeiert, und uns am Samstagmorgen die Stadt angesehen. Und beim letzten Auswärtsspiel, da hab ich das alles nur in der Nacht gesehen. Ich blicke auf die Stadtmusikanten, auf den Roland, auf das Rathaus. Rufe mir all die Jubelbilder in Erinnerung, die es im letzten Mai nach dem Doublegewinn an dieser Stelle gab. Schaue mir an, auf welchem Balkon die Spieler gestanden haben, stelle mir vor, wie voll das alles war. Ich fotografiere ein wenig, und gehe in den Bremer Dom. Setze mich auf eine Bank, lausche der Kirchenorgel und genieße die Ruhe. Doch, Bremen kenne ich besser als andere Städte. Das ist meine vierte Auswärtsfahrt, einmal war ich dort feiern, bin dort mal Richtung Malle abgeflogen und von dort gelandet und zigmal dran vorbeigefahren (erinnere mich noch gut an Autobahnabfahrten wie Bremen-Brinkum und Bremen-Arsten, die direkt nach Wildeshausen und Delmenhorst kommen). Na gut, eine überragende Bilanz ist das nicht gerade, aber immerhin... und der karge Eindruck reicht für mich, um Bremen das Etikett einer individuellen, einfach nur (so simpel ist das) schönen Stadt zu verleihen. Vielleicht sollte ich mal in die Bremer Vororte gehen, zum Beispiel in die Neubau-Trabantenstadt-Siedlung "Neue Vahr", der Element-Of-Crime-Sänger Sven Regener sein Buch "Neue Vahr Süd" widmete.
Zwei Stunden noch bis zum Anpfiff. Warum lieben alle Kopfsteinpflaster? Das verleiht jedem Fleckchen einen antiken, alten, gemütlichen Anstreich. Und in Bremen besonders im schnuckeligen Schnoor-Viertel mit kleinen Gässchen. Ich schlendere weiter, nur noch einen Katzensprung ist es bis zur Weser. Soll ich fünf Minuten zurück laufen bis zur Haltestelle "Domsheide", und dann mit der Bahn fahren? Oder an der Weser entlang laufen? Ich frage irgendeinen Heini, den ich einfach so anquatsche. Der antwortet: "Also wenn Sie stramm laufen, ne halbe Stunde". So viel Zeit habe ich noch, an diesem bewölkten Wintertag. Es macht Spaß, über die Vor- und Nachteile der Stadt zu phantasieren, einige Sätze für die Homepage vorzuformulieren, Musik zu hören wie "So here we are" von Bloc Party (schon wieder!). Ins Bett gehöre ich immer noch, aber ich spürs nicht mehr. Studieren in Bremen ist bestimmt schön, spannend. Eine ruhige Stadt, in der es aber doch möglich ist, feiern zu gehen. Eine Stadt mit Sehenswürdigkeiten, Kunst und Kultur, die sich aber nicht allein auf ihre touristische Qualität verlässt. Eine Stadt mit Fluss, und mit einer großen Promenade mit exorbitanten Möglichkeiten zu Weserwiesen-Partys im Sommer. Eine totale Fahrrad-Stadt, in der ein Döner-Verschnitt "Rollo" heißt. Aber leider eine Stadt etwas fernab vom Schuss. Die nächstgrößeren Städte Hamburg und Hannover sind ziemlich weit weg, von Berlin und dem Ruhrgebiet ganz zu schweigen. Wer in Bremen groß geworden ist, der will bestimmt weg. Der ländliche Charme. Der ist der größte Vor-, aber auch Nachteil dieser 550.000-Einwohner-City. Auf der Promenade packen die Händler gerade die letzten Sachen des Samstag-Marktes zusammen, als ich am Horizont das Weserstadion erblicke. Ach ja, deshalb bin ich überhaupt hier. Hatte ich fast vergessen.
Stadion also. 28 Versuche hat der VfL Bochum gestartet, um hier zu gewinnen. 28-mal berührt, 28-mal ist nix passiert. Das gilt für den VfL, aber auch für den Security-Typen am Eingang, der drei Minuten lang jede einzelne Schweißpore untersucht und jeden einzelnen Krümel in meiner Tasche. Der ist so penibel, dass es selbst seine Arbeitskollegen peinlich berührt. "Jetzt lass mal gut sein". Im letzten Jahr, da war das noch ziemlich lasch, was einige direkt für eine Rauchbombe nutzten. Vorbei, vergessen. Neues Spiel, neues Glück. Glück? Nee, kannste vergessen. Neururer hätte den Jungs nach dem Freiburg-Spiel eine Woche frei geben müssen, mit dem Angebot, dass jeder, der will, ihn am Samstag zu einem Trainingsspiel nach Bremen begleiten könnte. Freiwillige vor. Viele hätten sich nicht gefunden. "Geile Zeit" ist komischerweise das erste Lied, das ich höre, als ich mit einem letzten Happen Frikadelle im Mund die Stehplatzkurve betrete, und ich fühle mich sofort an mein Aufwachen erinnert, und deshalb schlecht. Direkt danach kommt "Highway to hell". Passt schon besser. Immer noch ein Grad. Die Hoffnung steigt nicht, ebenso wenig mein Lampenfieber. Ist es nur ein weiterer Strich mehr in meiner Auswärtsstatistik? Husthusthust. Oh je, kommt der wieder zurück? Ich lese die Werder-Zeitung, als mich auf einmal jemand anquatscht. Es ist Tobias (ich glaube zumindest, dass er so heißt), der Kerl, der mir einst die anonymen Postkarten geschickt hat, was ich gar nicht komisch fand und mich in Mainz erstmals anlaberte, wobei ich neben Thommy sitzend den Typen ziemlich ignorierte. Diesmal lässt er sich nicht so leicht abschütteln. Mit meiner Ruhe in der Unruhe ist es dahin, aber es wird ein ganz netter Nachmittag. Wir unterhalten uns über den VfL, über Auswärtsfahrten, vereinzelt auch über den Mülheimer Sport. Naja, er redet meist und ich huste. Auf die Antwort, was das damals mit den Postkarten sollte, warte ich noch. Gegen 15.20 Uhr erzählt er von einem Transparent, das er gemalt und ins Stadion geschmuggelt hat. "Heute ist ein guter Tag, um Geschichte zu schreiben" steht da drauf. Er bittet mich um Mithilfe beim Hochhalten. Aber gerne doch. "Ein Transparent zeigen" fehlt noch auf meiner Fan-Liste. Die "Ultras" bemerken unser Vorhaben. "Noch nicht hochhalten!", herrscht mich einer an. "Wir haben doch selbst ne Choreo. Bitte erst Anfang zweite Halbzeit!" Jaja, ist ja gut. Wobei... Anfang zweite Halbzeit ist doch mutmaßlich schon alles zu spät!? Die "Ultras" arbeiten wieder mit blauen und weißen Pappen. Pünktlich zum Anpfiff unser großer Auftritt. Ich verstecke mein Gesicht hinter dem Papier, so dass ich für Fernsehen und Fotos nicht zu erkennen bin. Meine Transparent-Premiere, hurra.
Der Typ ist ein ziemlich lauter Typ. Steht wohl sonst nur mittendrin im Ultra-Kern, denn auch diesmal brüllt er unentwegt. Ich huste mir einen zurecht, und huch, die spielen ja schon. Baumann hat nach einer Minute gleich eine Chance, doch Vander hält. Vander? Jepp, der darf genauso ran wie die zehn anderen Sieger aus dem Freiburg-Spiel. Van Duijnhoven ist wieder fit, aber erst einmal draußen. "Wenn ich nerve, sag Bescheid", meint Tobias (so heißt er, wenn ich mich - wie gesagt - richtig erinnere). Würd ich nie tun. Nicht im Fußballstadion. Zwei Reihen unter mir hat sich Stephan Berger aus Münster platziert. Er hatte laut icq vor zwei Tagen Geburtstag. Glückwunsch. Ich wollte es nicht, und kenne doch von Mal zu Mal mehr Leute. Unglaublich. 1500 Bochumer sind da, wollen den historischen Tag miterleben. Ein lautstarkes Gebrülle "Auswärtssieg!" brandet oft auf, doch ein "Auswärtspunkt!", wie am Bahnhof von einigen geschmettert, würds auch bringen. Das Spiel ist zäääääh, so laaaaaangweilig. Die Bremer knappsen noch an ihrem 0:3-Debakel gegen Lyon am Mittwoch. Wir ziehen uns ganz ganz weeeeeeeit zurück, greifen erst ab der Mittellinie an. Vor allem Bönig, Colding, Kalla und Vander dreschen die Kugel nach vorn, sobald sie auch nur ansatzweise in der Nähe liegt. Bei Bechmann, Lokvenc, Trojan und Misimovic ist vollends Schicht im Schacht. Kein Torschuss. Nichts. Ab und an mal eine Standardsituation für Werder, aber es ist einfach nur schwer verdauliche Fußball-Kost. Zwischen der 20. und 30. Minute zieht eine powerplayartige Wolkendecke über den Werder-Strafraum, mit drei Ecken für uns. Aber nichts passiert. Werder ist überlegen, aber noch spielen wir gut, stehen wir gut. Gegen den besten Sturm der Liga musst du konzentriert sein, da muss jede Kleinigkeit sitzen. Die sitzt auch. Bis zur Minute 45. Noch Sekunden bis zum Pausenpfiff. Ecke Micoud, Vander segelt elegant vorbei. Noch eine Flanke von der anderen Seite, Kopfball Ismael hebt und senkt sich, drin. Na typisch, zum ungünstigsten Zeit überhaupt. In der Halbzeit eine sms-Orgie an Tausend Leute. "Scheiße!", meint Dirk aus München lapidar. 16.25 Uhr, es beginnt zu Schneien. Die Flocken tanzen miteinander Cha-Cha-Cha, obwohl mir der VfL-Bochum-Walzer lieber wäre. Doch in der zweiten Hälfte sind wir so weit, weit, weeeeeeeit - husthust - davon entfernt wie Andreas Brehme vom Abitur. Baumann mit dem 2:0 in der 49., Valdez mit dem 3:0 in der 53. und Micoud mit dem 4:0 in der 75. schießen uns aus dem Stadion, Borowski scheitert noch an der Latte, Klose schießt drüber, wir kommen richtig gut davon. Es ist wehrlos, desaströs, lächerlich. Einfach nur: Nicht bundesligatauglich! Fehler über Fehler in den Zweikämpfen, ein äußerst schwacher Torwart, der beim 0:2 und 0:3 seinen Stammplatz wieder an van Duijnhoven verliert, und keine Entlastung von der Offensivabteilung. Ach Frank Fahrenhorst, wärst du doch noch bei uns. Doch Werder braucht Fahne als Ersatzspieler! ERSATZ!!! Beim vierten Tor tut es schon nicht mehr weh, als der Stadionsprecher den Spielstand ansagt. "Werder?" "VIER!!!" "... und der VfL Bochum?" "NULL!!!!!" Da rufen selbst alle Bochumer mit. Etliche sind bereits nach dem 0:3 gegangen, haben den 29. Versuch schon sehr früh abgebrochen. In der Schluss-Viertelstunde bringt kein Bochumer einen Ton heraus, was der Typ neben mir mit einem lauten Zwischenruf "STILLE!" zu kommentieren versucht. In den letzten zehn Minuten lacht dann noch das ganze Stadion über uns, als Bechmann zweimal einen Konter wie ein Anfänger verstolpert und Lokvenc freistehend vorbeischießt. Selbst zum Ehrentor sind wir zu blöd. Es ist die Kopie des Leverkusen-Spiels, mit exakt dem gleichen Ergebnis.
Um kurz nach fünf beschließe ich, schon den IC um 17.44 Uhr zurück ins Ruhrgebiet nehmen zu wollen. In 29 Minuten nach dem Abpfiff zum Hauptbahnhof, das ist eine schwere Aufgabe. Ich sage Tobias kurz "Tschüss", er scheint sichtlich überrascht. Ich hab bald meine Ruhe im Zug zurück. Als Schiri Merk überpünktlich um 17.16 Uhr nach exakt 90 Minuten in seine Pfeife pustet, verlasse ich fluchtartig das Stadion. Laufe zur Haltestelle "St. Jürgen-Straße". Husthust, ist kalt, mach hinne. Mit der "2" Richtung Gröpelingen. Steige "Domsheide" aus und in den Bus "25" um. Ein Bremer Fan erzählt mir, dass er nächste Woche in den Urlaub nach Rio de Janeiro fliegt und schon Karten für das Ortsderby vor 120.000 Zuschauern hat. Wen interessierts? Ich erhalte noch ein Lob für meine sportliche Fairness, und bemerke einmal mehr, dass ich mich wie ein Repräsentant des VfL Bochum fühle. Immer nett, immer fair, immer freundlich. Ich bin wohl dafür da, so manchen Fehler der etwas supportlastigeren VfL-Fans mit meinem Auftreten ein wenig zu kompensieren. Der IC steht schon am Gleis, als ich mit einem lockeren Sprung noch die letzte Trittstufe erreiche. Geschafft. Es schneit immer noch, und ich höre "Writing to reach you" von Travis. Ich möchte es umbetiteln. "Writing to forget it", ist bei mir heute Abend angesagt. Noch kurz - husthust - den Bericht beenden, dann schlafen gehen und hoffentlich gesunden. Und dann nie wieder an dieses katastrophale Spiel denken. 0:4. Abhaken. Fix. War doch sowieso klar. In Bremen.
Zwischen Münster und Dortmund nehme ich mir meine Auszeit auf der Rückfahrt. Wieder traumlos. Ich beobachte in den Wachphasen eine schöne Frau aus dem Sitz links vor mir aus dem Augenwinkel, um mich bei Laune zu halten. In Dortmund steigen Mainz-05-Fans zu, begutachten meinen Schal. Einer meint: "Aaaah ihr Bochumer, habts auch eins auffen Sagg kriegt!?" Nee ja wieso. In Rekordzeit erreiche ich Mülheim. 20.15 Uhr. Abschied von einem Ausflug nach Bremen. Wie immer. Eine schöne Stadt.
Aber nicht, wenn es um Fußball geht.

Das Spiel
 
Die Choreo! Anzeigetafel
Aufgrund dieser Choreographie "Bochum wir stehn zu dir" mit blauen und weißen Pappen musste das Plakat "Heute ist ein guter Tag, um Geschichte zu schreiben" ein paar Minütchen warten. Mein Auftritt kam also etwas später! "Drops gelutscht", sagt man dazu wohl.
Spielszene Kurz vor dem Abpfiff
Und um Euch mal einen Eindruck aus dem mit rund 37.450 Zuschauern gefüllten Weserstadion zu vermitteln, hab ich kurz vor Schluss die Gegentribüne geknipst. Um Punkt 17.15 Uhr, als 89:44 Minuten gespielt waren, stand ich direkt am Aufgang, um möglichst fix Richtung Hauptbahnhof zu verschwinden!

Bremen
 
Stadtmusikanten Dom
Ein Stadtrundgang durch Bremen. Maximal 15 Fuß-Minuten vom Hauptbahnhof entfernt liegt die Innenstadt mit der geballten Ladung an Sehenswürdigkeiten. Ich ging über die kleine Fußgängerzone "Sögestaße" Richtung Marktplatz. Die Gegend rund um diesen (oder besser: "Domsheide" - so heißt nämlich auch die Straßenbahnhaltestelle) nennt sich folglich "Altstadt", und das zweitberühmteste Denkmal ist am "Domshof" den "Bremer Stadtmusikanten" gewidmet (erstellt vom Gerhard Marcks im Jahr 1953). Ebenfalls am Marktplatz befindet sich der Bremer St. Petri-Dom, der im 11. Jahrhundert errichtet und im 13. und 16. Jahrhundert äußerlich stark verändert wurde. Die Westfassade wurde 1888 bis 1898 erneuert. Die Barockkanzel ist ein Geschenk der Königin Christine von Schweden im Jahr 1638.
Der Roland! Die Bürgerschaft von Bremen!
Hier nun das berühmteste Denkmal, direkt vor dem Rathaus platziert. Rund um den "Bremer Roland" (zwei Sternchen im Baedeker, und damit quasi ABSOLUTES "Muss", also soooo doll fand ich den jetzt nicht) feierten die Werder-Fans das Double im Sommer 2004. Der Roland, der mit Baldachin fast zehn Meter hoch ist, gilt als Sinnbild der Gerichtsbarkeit und der Stadtfreiheit. Er wurde 1404 gebaut. Das modernste Gebäude der nur aus Kopfsteinpflaster bestehenden Altstadt ist das der "Bremischen Bürgerschaft", in dem der Landtag untergebracht ist. Es liegt direkt gegenüber vom Bremer Rathaus.
Dom innen Schnoor: Schild
Nachdem ich alles von außen angesehen und geknipst hatte, drehte ich eine Runde durch den Bremer Dom... ... um nach ein paar Minuten Ruhe in der Altstadt weiter Richtung "Schnoor-Viertel" zu spazieren. Im Baedeker wird dieses Viertel das "älteste Wohn- und Künstlerviertel Bremens" genannt. Hier stehen Bürgerhäuser aus dem 15. bis 18. Jahrhundert und alte Schenken.
Schnoor: Gasse Schnoor
In der Tat ist das "Schnoor-Viertel" sehr sehr sehenswert. Von der Haupt"straße" "Schnoor" gehen zahlreiche kleine Gässchen (so wie diese hier) ab. In allen liegen Geschäfte, Cafés, Restaurants. Richtig schnuckelig! Das "Schnoor-Viertel" beginnt hinter der Baumwollbörse. Der Baedeker schreibt: "Hier reihen sich Restaurants, Kunstgewerbeläden, Museen und Galerien aneinander." Das berühmteste Museum ist wohl das "Spielzeugmuseum" (Schnoor 24).
Die Weserpromenade Die Weser
Auf dem Weg zum Weserstadion: Vom "Schnoor-Viertel" bis zur Weser ist es nur ein Katzensprung. An der "Weserpromenade" ist wohl am Samstagvormittag immer ein kleiner Markt... gegen 13.45 Uhr räumten die meisten Händler auf. Ein Blick auf den "Osterdeich", an die "Weserpromenade". Das ist Bremen.

Weitere Spiele / Berichte aus Bremen

SV Werder Bremen - VfL Bochum 2:0 (8.3.2003). Zum Text geht es HIER !
SV Werder Bremen - VfL Bochum 3:1 (22.11.2003). Zum Text geht es HIER !

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VfL Bochum - FC Schalke 04 0:2 (5.3.2005)

AiltonDer bekloppteste Spieler der Bundesliga: Ailton Goncalves da Silva

Verspätungen, Schwarzmarktprobleme, falsche Ergebnisse auf anderen Plätzen und eine nicht bundesligataugliche VfL-Mannschaft - eine Zäsur droht

Anzeigetafel

Wenn alles schief läuft

Plakat"Wir würden lieber in Ehren absteigen als mit Gläubigern die Klasse zu halten" - Plakat vom Block A

"Weißt Du Sam", sage ich um 15.20 Uhr, "so Spiele gegen Schalke, die musst du nicht gewinnen. Die Punkte musst du woanders holen."
Es ist nicht so, dass ich tage- und nächtelang auf dieses Spiel hingefiebert hätte. Okay, jetzt ist das Spiel da, jetzt kommt es, gleich beginnt es, aber das nervöse Rumgebrabbel und Rumgezittere vermisse ich, nichts will sich regen in meiner Magengegend. Irgendeine Stimme sagt mir, dass es heute ein übler Tag wird. Keine Ahnung, welche Stimme. Wäre das hier ein Film und nicht etwa eine Homepage, dann würde sie aus dem Off kommen. "Andiiiiiii", wurde da jemand mit einem tiefen Organ brummen, "bleeeeib zu Hauuuuuuse..." Revierderby. Mein 48., und mein 15. gegen Schalke. "Die Nummer eins, die Nummer eins, die Nummer eins im Pott sind wiiiir", das haben wir gebrüllt, noch vor acht Monaten, ja sogar am dritten Spieltag der aktuellen Saison Ende August. Und das zurecht. Zu Hause, da hängen noch ein paar Überschriften an der Wand, von wegen "Bochum verzaubert die Bundesliga". Aber das ist nicht mehr als nur bedrucktes Papier ohne Wert. Einen letzten Blick werfe ich um halb zwei auf die eingerahmten Erinnerungen, und dann schleiche ich tief bedröppelt zum Stadion. Nichts will mir Mut machen, dass es heute klappen möge.
Hauptbahnhof. Mülheim ist, ich muss es leider so sagen, eher eine Schalke- als eine Dortmund- oder Bochum-Stadt. Die Königsblauen sind stadtintern in der Mehrheit, was sich auch am Gleis zeigt. Lauter Trikots mit "Ailton", "Sand" oder "Lincoln" hintendrauf sind zu sehen. Durchsage. Der Regionalexpress nach Hamm hat zehn Minuten Verspätung. Das fängt ja gut an. Ich hab noch drei Karten in meinem Portmonee, die ich dringendst verticken muss. Elf Euro pro Stück, inklusive Top-Zuschlag. Eine ganze geschlagene Woche habe ich damit verbracht, die Tickets irgendwie unters Volk bringen zu wollen. Vergeblich. Hab selbst rumtelefoniert und Mails geschickt. Hab Sam angerufen. Der hat Freunde gefragt - keiner konnte. Hab Gerd angerufen, heute morgen sogar noch - auch nichts. Keinen konnte ich für dieses Spiel begeistern. Keinen. Und so stehe ich alleine im Waggon. Bahnhof Wattenscheid. "Die Weiterfahrt verzögert sich wegen Überholungen um wenige Minuten." Aus zehn werden zwanzig Minuten Verspätung. Ankunft in Bochum um 14.26 Uhr. Nicht wie sonst um 14.06 Uhr. Es ist voll. Richtig voll. Auf dem U-Bahnsteig eine Etage tiefer gibt es eine erste Schlägerei. Security-Leute, Polizisten, mittendrin ein paar Schalker. Die erste "308" kommt - und fährt direkt durch. Sie ist pickepackevoll. Die zweite "308" - auch. Die dritte, vierte, fünfte... man, was ist das bloß für ein SCHEISS-TAG heute? Nichts geht, und das Spiel hat noch nicht einmal angefangen. Um 14.40 Uhr stehe ich endlich vor dem Eintrittshäuschen, aber dann in einer Riesenwarteschlange. Dirk aus München tippt "3:2" per sms. Utopisch. Vor mir in der Schlange steht ein Schalker. Ein Securitytyp bittet ihn, seinen Schal und seine Kappe abzusetzen. Meine Güte, von mir aus kann er sie auf auflassen. Aber ich werd nicht gefragt, bin ja auch nur einer aus der potenziell gewalttägigen Masse. Auch wir Bochumer werden heute etwas schärfer gefilzt als sonst. Mir fallen unheimlich viele Schalker auf. Das müssen die zahlreichen ebay-Fans sein. Schließlich lief der Kartenvorverkauf für die Ostkurve zuerst für Dauerkarteninhaber und Mitglieder - und die Ostkurve war sehr schnell ausverkauft. Da sind wir doch alle selbst schuld. 14.45 Uhr, immer noch in der Schlange. "Wo bleibste, Alter? Haben sie dich als Schwarzhändler verhaftet?", schreibt Gerd. Ich bin ziemlich stinkig. "Alles ätzend! Regionalexpress 20 Min. Verspätung, 308 15 Min. Wartezeit, Karten verticken unmöglich, Riesenschlange vor dem Eingang", antworte ich. Die 33 Euro für die drei Karten schreibe ich in den Wind. Erstens ist es schon sehr spät, zweitens stehen auf dem Bahnsteig der Haltestelle "Ruhrstadion" mindestens 15 Kartenhändler nebeneinander, die alle noch Karten loswerden wollen. So´n Scheiß. Fünf vor drei, ich bin drin, 40 Minuten später als sonst. Rein van Duijnhoven kommt zum Warmlaufen. Die erste gute Nachricht heute.
Ich boxe mich zu Krüger und Gerd durch. Sam und seine Frau kommen kurz nach mir. Selbst Sam, der sonst immer für den VfL tippt, ist heute sehr sehr skeptisch. Mainz spielt gegen Freiburg. Das riecht nach sieben Punkten Rückstand. Es wird hart und härter. Unterhaltungen in der Kurve. "Die Punkte müssen wir woanders holen", sage ich Sam um 15.20 Uhr. Das Maskottchen des Tages, der kleine Jonas, trägt ein total süßes Gedicht vor. Im Sitzplatzblock A hängt eine Fahne. Beide sagen in etwa das selbe aus. "Die sind die mit dem Geld, wir die mit Herz und Seele." Hach ja, schöne gute alte Fußball-Welt. Wie schnell sind wir doch wieder in unsere ganz alten Stereotypen zurückverfallen... Herberts "Bochum" sitzt diesmal perfekt. "Machst mit nem Doppelpaaaasss jeeeden Gegner nass, Du und Dein VFL!", läuft pünktlich, als beide Mannschaften den Rasen zum Einlaufen betreten. Rein wieder im Tor, ausverkauftes Tor, vier Punkte Rückstand auf Mainz, elf Spiele noch. Das kann doch nicht so schwer sein. Ein Kollege von meinem Bruderherz Thommy hat gewettet, dass der VfL der schlechteste Nicht-Absteiger aller Zeiten wird.
Einlaufen
Anpfiff.
Und schon nach 20 Sekunden merke ich, dass wir heute absolut chancenlos sind. Ein Fernschuss von Kobiashvili, den unser Rein hält und im Nachfassen ganz sicher packt. Puuuuh, gaaanz tief durchatmen. Thommy ruft an, sechs Minuten sind gespielt. Er fordert den sms-Ticker. Wird erledigt. Die Stimmung ist okay, ganz revierderbylike, und ja, nach sieben Minuten spüre ich sogar einen Funken von Hoffnung, dass irgendwas geht. Die Jungs wirken konzentriert, und erspielen sich sogar eine Ecke. Doch wie gewonnen so zerronnen. Die Schalker machen nicht viel. Nee, sie machen eigentlich gar nichts. Sie spielen lediglich sehr konzentriert. Die Innenverteidigung mit Bordon und Krstajic steht richtig gut. Und vorn läuft alles über Asamoah. Der gibt unserem armen Bönig so oft Rätsel auf, dass ich kaum noch zu beruhigen bin. "Man ist der Bönig SCHLECHT!!! Schickt den ZURÜCK NACH DUISBURG!!", schimpfe ich mehrfach laut. Es steht noch 0:0, es ist noch ganz ganz lange zu spielen, und doch hat schon jeder Bochumer begriffen, dass diese Mannschaft nicht bundesligatauglich ist. Nicht heute, und wohl auch sonst nicht. Kalla ist bei jedem Schalker Angriff ein Unsicherheitsfaktor, Bönig sowieso. An Preuß, Misimovic, Bechmann und Lokvenc läuft das Spiel völlig vorbei. Bis zum ersten Schalker Tor ist es eine Frage der Zeit. Ailton machts dann auch, nach ner halben Stunde und einem Fehler von Kalla. 1:0. Völlig verdient. Stimmung im Arsch. "Wir singen BOCHUM BOCHUM ZWEIIIIITE LIIIIIGAAAAA!!!", singen Zehntausend. Unsere Blicke wandern lieber Richtung Block A als Richtung Spielfeld. Eine Wemmserei jagt die nächste. War wohl doch keine gute Idee, dass sich ein paar Schalker zu uns stellen. "SCHALKER RAUS! SCHALKER RAUS! SCHALKER RAUS!", brüllen wir so laut wir können. Im nächsten Jahr kommt Schalke wohl auch nicht mehr. Pause, pünktlich nach 45 Minuten. "Man", murmelt einer im Vorbeigehen, "da steht der Dicke einmal frei, und direkt drin!" Mainz führt schon 3:0.
Wiederanpfiff, und jetzt wird es eine Farce. "Ich sehe schon jetzt das Fazit im Kicker vor mir", klugscheiße ich zu Gerd in Minute 49, "und die wird lauten: Schalke genügte eine Durchschnittsleistung im Schongang, um den VfL Bochum in allen Belangen in die Schranken zu weisen." So ist es, so bleibt es. Ganz langsam, mühsam, fast sogar träge bewegt sich die digitale Uhr auf der Anzeigetafel vorwärts. Es passiert nichts mehr. Die Schalker schieben sich den Ball zu, scheinbar mühelos. Torwart Rost ist arbeitslos. Keine einzige Torchance erarbeiten wir uns. Nicht eine. Nur noch ein Sprechchor kommt immer mal wieder: "100 Jahre, 100 Jahre, 100 Jahre S'04, arbeitslose Hurensöhne, 100 Jahre S'04". Und dann ists nicht mal ein guter. Es steht nur 0:1, Leute, nur 0:1, und doch ist das völlig einseitige und langweilige Spiel schon längst entschieden. Es wirkt, als würden die Schalker knobeln, wer das entscheidende zweite Tor schießen darf. Lincoln hat scheinbar das Knobelspiel gewonnen. Er versenkt die Kugel in Minute 77 zum 2:0 im Eck, nach Knavs-Patzer. Gerd schaut uns alle an, und geht nach Hause. Es ist wahnsinnig frustrierend. Die Schalker vergeben sogar noch Chancen auf einen höheren Sieg, aber bei uns steht ja wieder der Rein im Tor. Hätte der Vander dringestanden... nicht dran zu denken... aus unserer Kurve kommt schon lange gar nichts mehr. Von den Schalkern müssen wir uns verhöhnen lassen, naja, als ob das noch schlimm wäre. "Zweite Liga, Bochum ist dabei", "Euer Trainer ist ein Schalker, heyhey" und "Peter Neururer, schalalalala", heißt es dort. Die "Ultras" greifen den Spielball natürlich prompt auf und brüllen "Neururer raus!" Heute hat Peter die Mannschaft nicht mehr erreicht. Zu allem Überfluss verletzt sich Trojan schwer, der einzige Wirbler. Es geht einfach alles schief. Mainz putzt Freiburg sogar noch mit 5:0 weg, und zieht nach Punkten und nach Toren davon. Gladbach gewinnt 1:0 in allerletzter Sekunde. Auch das noch. Abpfiff. Futsch. Weg. Zweite Liga, Bochum ist dabei.
"Weißt Du Sam", sage ich um 17.20 Uhr, "so Spiele gegen Schalke, die musst du nicht gewinnen. Aber so wie wir heute gespielt haben, holen wir nirgendwo mehr auch nur irgendeinen Punkt."
Ich habe leise, aber zweifelsohne vorhandene Befürchtungen, dass eine Riesenzäsur vor mir steht. Im City-Grill treffe ich Stephan, den Straßenbahnfahrer. "Nächstes Jahr", sagt er, "da hole ich mir keine Jahreskarte mehr, egal in welcher Liga." Stephan trainiert die Jugendmannschaft seines Sohnes bei Tuspo Saarn, und die Spiele sind immer am Nachmittag. Nicht mal Stephan kommt bald mehr. Ein fünftes Jahr in der 2. Bundesliga verbringen? Möchte ich mir das antun? Der Stachel sitzt schon jetzt sehr sehr tief, selbst wenn wir das Wunder noch schaffen, werde ich mich wohl etwas zügeln mit meiner VfL-Leidenschaft. In einer Woche geht es nach Rostock, ohne mich. Ich würde alles, was ich habe, darauf verwetten, dass Rostock gegen uns der erste Heimsieg gelingt. Natürlich hat Hansa heute 1:0 gewonnen und wieder neuen Mut gesammelt. Das krönt den Tag, an dem für mich und den VfL bisher alles schief gelaufen ist.
Im Regionalexpress treffe ich kurz den Mülheimer Tobias, und zwei namenlose Schalker. Die haben ein paar lobende Worte übrig. "Ihr habt - echt getz - ein wunderschönes Stadion. Da sind wir immer gern. Das ist so klassisch, nicht so modern hochgezogen wie zum Beispiel in Gladbach." Naja, die Schalker haben zuletzt so oft bei uns gewonnen, kein Wunder, dass sie so gern bei uns sind. "Ich wünsche Euch den Klassenerhalt, aber..." Aber? "Eigentlich wären wir mit einem Punkt zufrieden gewesen, weil man eigentlich nicht einfach nach Bochum fährt und im Spaziergang drei Punkte mitnimmt." Er hat "eigentlich" gesagt.
Heute Morgen warens vier Punkte Rückstand auf Mainz, jetzt sind es sieben. Heute Morgen war die Situation schwierig, jetzt ist sie aussichtslos. Heute Morgen habe ich unserer Mannschaft vorbehaltlos den Klassenerhalt zugetraut, jetzt weiß ich, dass wir ganz ganz ganz viel Dusel und noch viel mehr Glück haben müssen, um das irgendwie hinzukriegen. Am Mülheimer Hauptbahnhof schaue ich nach Abfahrtszeiten für den Zug nach Köln-Deutz zum Dresden-Dolls-Konzert. Hoffentlich wird es gut.
Na gut, schlimmer als der heutige Nachmittag kann nichts mehr sein.
 
Schal vor dem Spiel Stationettes
... "V-f-L - mein Heerz schlägt nuuur für Dich" - in Revierderbys kommen die Fanlieder besonders gut; nur leider ist der Dariusz (siehe Schal) im Moment nicht wirklich erste Wahl. Halbzeitpause eines Spitzenspiel - es wird Zeit für die Stationettes. Doch wie lange gibt es die von mir inzwischen nicht akzeptierte, aber doch geduldete Tanzgruppe wohl noch? In der 2. Bundesliga können wir uns die Mädels bestimmt nicht mehr leisten.
Strafraumszene Weit vor dem Abpfiff
Kurz vor Schluss... Freistoßflanke... diese Szene suggeriert geradezu einen in der zweiten Halbzeit drückend überlegenen VfL. Glaubt mir: Der Eindruck täuscht. Es wurde nicht gefährlich. Das ist Block A - aber nicht etwa nach dem Spiel, sondern bereits sieben Minuten vor dem Abpfiff! Auch Straßenbahnfahrer Stephan weilte nicht mehr unter den Sitzenden. Er fegte sich schon ne Pommes rein.

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VfL Bochum - VfL Wolfsburg 5:1 (19.3.2005)

Tafel vor der PauseErst zum zweiten Mal in meinem VfL-Leben eine 4:0-Halbzeitführung (die erste gegen den 1. FC Nürnberg, 2. Bundesliga, Herbst 1995)

Wemmserei, fünf Tore, Eeeeeeduuuuuuuu, Scheißerei - ein wahnsinnig unterhaltsamer Beginn der Abschiedstour

Neururer rausWitzig: Kurz vor dem Anpfiff hielt zwei Reihen tiefer jemand ein "Mit Peter in die 2. Liga"-Plakat in die Höhe

Lustig brechende Deiche

VerlautbarungDamit begann es: Die Verlautbarung - und es sollte mit einer Wemmserei enden

Zurechtgelegt hatte ich mir diesen Text schon lange. Den "Running Gag" dieses Tagebucheintrags, das passendste Bild aller passenden Bilder, es schien so passend... "Deiche brechen richtig, oder eben nicht", lautet eine Zeile im Song "Deiche" aus dem neuen, ganz nebenbei auch noch wundervollen Kettcar-Album - und ich wollte den Satz so gern anwenden nach der nächsten 0:3-Niederlage, der nächsten fassungslosen Leistung, der nächsten Aufgabe ohne jegliche Art von Kampfkraft. Ich wollte als Pointe bringen, dass wir vor lauter Sorglosigkeit wohl vor der Saison gar keinen Deich aufgebaut haben, im Glauben, an der stürmischen See scheint in diesem Jahr bei 30 Grad und Windstille nur die Sonne. Und dann hat uns ein Tsunami erwischt. Ich hatte es mir schon zurechtgelegt, und war so stolz darauf.
Doch es wurde alles ganz anders. Und nun wäre eigentlich nur noch "Ich find das lustig hier" eine passende Headline.
Zeitstopp. Wie lange brauche ich heute aus dem Bett? Lohnt sich das Aufstehen überhaupt? Och nööööööö, ist doch erst 10 Uhr, und heute - gegen wen, überhaupt - ach so, Wolfsburg; das macht doch sowieso keinen Sinn. Der Rückstand auf den 15. Platz ist mittlerweile so groß, dass es wahrscheinlicher ist, dass Erzgebirge Aue noch in die erste Liga aufsteigt, als dass wir drinbleiben. Die Punktzahl auf Mainz habe ich vergessen. Lasst mich liegen bleiben, den Scheiß bei Premiere angucken. Bochum gegen Wolfsburg, unattraktiver geht es im Moment in der Bundesliga nicht. Noch acht Spiele überstehen. Achtmal noch Bundesliga. Und dann wieder ein Jahr Mist. Ich sehe mich schon Montagabends zum Auswärtsspiel bei den Sportfreunden Siegen fahren. Nach dem Debakel von Rostock beginnt heute die Abschiedstour. Abstiegskampf, Phase neun.
Am Bahnhof ist es seltsam leer. Irgendein versprengter Bochumer turnt normalerweise immer hier rum. Immer. Ich bearbeite ein wenig den "VfL Express", blättere in den Seiten hin und her und zerknuddle sie ein wenig, bis mir auffällt, dass ich sogar vermerkt bin. Mein in Kürze anstehender Geburtstag ist an den Blattmachern nicht vorbeigegangen. Ein klitzekleiner Lichtstrahl in der ansonsten ach so trüben VfL-Sonnenfinsternis im Moment. Was erwarte ich vom heutigen Tag? Nichts! Rundherum nichts! Im VfL-Fanforum habe ich kurz gelesen, dass einige Protestaktionen geplant sind. Na so wild wirds schon nicht werden. Hauptsache meine Wetten bei "betandwin" kommen. Ich hab einen "over"-Tipp laufen, das bedeutet, dass mehr als zwei Tore fallen müssen. Und es wäre für mein Kicker-Manager-Spiel nicht schlecht, wenn van Duijnhoven gut hält und Klimowicz für Wolfsburg ein Tor schießt. Ja, wär nicht schlecht. Selten bin ich so entspannt, aber doch irgendwie traurig zu einem Spiel gefahren. Vor einem Jahr, da war ich noch in Kaiserslautern, da hatte ich das fantastische "Hand in Hand" von den Beatsteaks entdeckt und ließ es in meinem Discman rauf und runter laufen, da führten wir 2:0 und festigten durch das 2:2, ein gewisser Lokvenc hatte zweimal für Kaiserslautern getroffen, den fünften Platz. Neururer war unser aller Held, der nach jedem Spiel tanzte. Und jetzt ist alles vorbei. Und das Spiel ist mir lattenegal. Es ist mein 275., und die Erinnerungen an die ersten vier Abstiege kommen hoch. Bei eins, zwei und drei war es halbwegs spannend; beim vierten nicht mehr; und jetzt ist der Ofen schon zwei Monate vor Saisonende aus. Bitter. Auf der Titelseite des Stadionhefts, das auch heute wieder pünktlich am Samstagmittag im Briefkasten liegt, ist heute Edu. Na der hat auch eine ganz seltsame Wandlung erlebt. Erst versaut er uns mit dem Lüttich-Fehltritt die Saison, und jetzt, da die Saison längst im Papierkorb liegt, knickert er das Runde zweimal ins Eckige, und schon ziert sein Kopp die Zeitung. Tsetse. "Nächster Halt: Bochum Hauptbahnhof". Lied vier auf der Kettcar-CD heißt "Einer". "Ich würd aufhörn wenn aufhörn heißt es hört auf!" Denk drüber nach. Ohne Ergebnis.
Lethargie am Bahnhof. Ein paar Polizisten stehen herum, ein paar VfLer schlurfen gelangweilt durchs Eingangsgebäude. Kein Gedränge mehr wie vor zwei Wochen im Revierderby, keine Verspätung mehr, kein Ärger mehr. Und vor allem keine Gästefans mehr. Wolfsburger tauchen gar nicht auf im heutigen Stadtbild. Können die nicht sogar noch den UEFA-Cup erreichen? Ach, ich wollte doch nicht auf die Tabelle gucken. Geht doch um nichts mehr. Um 14.15 Uhr komme ich am Stadion an, komplikationslos, und merke noch nichts von einem Protest, bis ... HALT ... mir ein an die Haltestellen-Wand geklebter Zettel mit der Überschrift "Hallo VfL-Fans" auffällt. Als einziger halte ich an und lese mir durch, was mir der Verfasser sagen will. Blablaundblabla... "Deshalb soll heute der Block O in den ersten 10 Minuten des Spiels leer gelassen werden." Und blabla und Neururer ist schuld und Trainer raus undsoweiter. Das wird doch lustiger als ich dachte. Da Block P von dieser ganzen Aktion nicht betroffen sein soll, nehme ich pünktlich um 14.25 Uhr Platz auf meiner angestammten Stufe. Nichts ist los im Stadion. Ich blicke mich um und erspähe ein Transparent, dort, wo eigentlich der Block O sein soll. "Wenn wir Euch nicht mehr erreichen, treten wir zurück" steht drauf. Ich verziehe meine Mundwinkel nach unten und nicke anerkennend. Ein richtig guter Spruch, was auch immer ich inhaltlich davon halte. Irgendein dicker Typ setzt sich auf den Zaun und brüllt: "Eeeeeeyyyy, macht mal den Block frei!!!" Hä?? Ich steh doch P und nicht O! Hinter mir stehen ein paar Typen von einem Fanklub aus Herne, und die lachen ganz laut. Nicht nur darüber, sondern über die ganze Protestaktion. "Also wenn ich richtig protestieren will, dann komme ich gar nicht mehr hierhin. Das bringt doch alles nichts!" Sie schütteln die ganze Zeit nur den Kopf. Eine sms. Gerd entschuldigt sich. "Moin Andi. Wirst dich heut ohne mich ärgern müssen. Hab die Scheißerei." Ich berichte ihm vom Protest. Und er antwortet wieder: "Nehme an, der Heimvorteil ist überschaubar heut..." Die Stimmung ist sehr sehr sehr angespannt. Fünf vor drei. Rein van Duijnhoven kommt. Applaus. Leise Rufe. Na gut, an dem hat es wirklich nicht gelegen. Fünf Minuten später. Die Mannschaft. Der erste pfeift, der zweite pfeift, keiner klatscht, alle pfeifen. Und viele brüllen "Absteiger! Absteiger! Absteiger!" Soll ich lachen oder weinen? Soll ich das immer noch lustig finden? Ist das mein Verein, sind das meine Fans? Wie kommt das rüber? Werden nach dem Spiel alle VfL-Fans mit dieser Aktion gleichgesetzt? Möchte ich dazugehören? 1000 Gedanken fliegen mir entgegen, dringen in mein Gehirn ein, prallen aufeinander, dass es schmerzt. Und das Spiel hat noch nichtmal begonnen. Den Hernern geht das am Arsch vorbei. Einer erzählt grad, wie er Zwetschge Misimovic in Gelsenkirchen letzte Woche eine Autoversicherung aufgequatscht hat. Und dass Zwetschge ein Auto mit 350 kw fährt. Sam kommt. "Ey", sagt jemand, "Du bist zu früh. Du sollst doch erst zehn Minuten nach dem Anpfiff kommen." Diskussionen über den Protest. "Also dass die protestieren, ist doch okay. Sollen sie doch ihre Meinung sagen", meint jemand. Und ich nicke. Finds auch okay. Aber die eigene Mannschaft mit "Absteiger"-Gebrüll und Pfiffen begrüßen? Also ich weiß nicht. Eine Null-Reaktion wäre da angebrachter gewesen. Die Aufstellung, und wieder wirds schrill. "Van Duijnhoven" und "Wosz" brüllen alle mit, ansonsten geht alles in Pfiffen unter. Besonders laut bei Knavs und Lokvenc. Block O ist immer noch leer. "Ich find das lustig hier", sage ich zu Sam. "Pass ma auf: Heute gewinnen die das bestimmt mit fünf null." Einlaufen einmal anders. Kaum Konfetti, kaum Applaus. Die Ultras sitzen auf dem Zaun und halten ein weiteres Schild. Ich kanns nicht lesen.
Anpfiff, und der O-Block ist wirklich leer. Das Spiel interessiert keinen. Keinen! "Wir haben die Schnauze voll!", "Neururer raus", "Wir wollen Euch kämpfen sehen!", "Wir steigen auf, wir steigen ab, und zwischendurch UEFA-Cup", "Erste Runde Bukarest, zweite Runde Rom... Europapokal Europapokal Europapokal!" Auch im Block A hat jemand ein "Neururer raus"-Transparent bemalt. Zwei Reihen darunter, fast schon ein wenig putzig sieht das aus, hält jemand eine mit schwarzem Edding bepinselte "Mit Peter in die 2. Liga"-Pappe in den warmen, aber bedeckten Frühlingshimmel über dem Ruhrstadion. Zehn volle Minuten lang ein Fanprotest der klassischen, aber doch seltenen Art. Findet eigentlich noch ein Spiel statt? Worum geht es eigentlich? Fußball? "Sehr lustig hier", smse ich Gerd und er bedauert zutiefst, dass ein Magen-Darm-Virus gegen seine Gesundheit protestiert und seinen Körper im Würgegriff hält. Die Blöcke E2 und F gegenüber in der Westkurve sind auch leer, freilich aus anderen Gründen - der Gegner ist einfach zu unattraktiv. "Hey guckt mal, da drüben wird auch protestiert", sage ich zu Sam und den anderen Typen, und ausnahmsweise ist es mir gelungen, einen guten Scherz anzubringen. Nach 9:46 Minuten - hey, 14 Sekunden zu früh - stürmen viele den O-Block und warten auf das erste Gegentor. Warten auf den Moment, in dem sie "Neururer raus" lauter als je zuvor brüllen können. Als ob es ein Trainerwechsel jetzt bringen würde. Ich bin im Moment ganz klar kein Neururer-Freund, aber durch die ganzen Aktionen wird mir bewusst, dass ein Tausch jetzt nur teuer, sinnlos und zu spät wäre. Lasst ihn doch in Ruhe weiterarbeiten, bis Saisonende. 15. Minute, eine Ecke von Misimovic, ein Kopfball von Eeeeeeeeeeeeeeeeeeedu - Toooooor! 1:0, aber irgendwie will beim Torjubel nicht so recht die Pogostimmung aufkommen. 1:0, ja das passt nur den wenigsten in den Kram. Mir egal. Mich freuts irgendwie. Noch zwei Tore, bis meine "Over"-Wette aufgeht. Edu. Ich unterhalte mich mit Sam über Edu. Unterhalten ist heute gut möglich. "Wie geil", sagt Sam. "Ist so viel Platz hier, bald in der 2. Liga kann man es sich wieder erlauben, erst fünf Minuten vor dem Anpfiff zu kommen." "Nächstes Jahr macht Edu bestimmt 25 Hütten", sage ich. Hinter mir flucht einer: "Als Abwehrspieler gekauft, als Stürmer geendet. Was ist der überhaupt? Kein gelernter Abwehrspieler, kein gelernter Stürmer...!?!" Die Wolfsburger machen nichts. GAR NICHTS! Gelangweilt schleichen sie über den Platz, kein Spieler sagt einen Ton, Trainer Gerets scheint an der Seitenlinie von einem Karibik-Urlaub zu träumen. Lokvenc legt ab auf Wosz; ein trockenener Flachschuss... und "Toooooooooooor in BOCHUM!" brüllt der Premiere-Konferenzmann in sein Mikrofon in Minute 24. 2:0. In Worten zwei zu null. Ist das eine Verarschung. Wochenlang nix; und jetzt auf einmal, nach dieser Anfangsphase, nach diesem Fanprotest, der zu den größten in der Vereinsgeschichte gehört, läuft es? Kopfschütteln. Da steht tatsächlich 2:0 auf der Anzeigetafel, geht gar nicht. Ist das lustig hier. "Deiche brechen richtig oder eben nicht", jetzt liegt es mir wieder auf der Zunge. Der ganze Jubelchor schwappt vollends zusammen, als Edu nach einer Kopfball-Ablage von Lokvenc in Minute 38 völlig frei steht und das Ding per Aufsetzer ins Netz donnert. 3:0. "Noch drei Tore, und du hast LOKVENC überholt", brüllt Sam laut. Dabei hüpfen wir so schnell auf und ab, als würden wir das zum letzten Mal in unserem Leben tun und lassen Sams Baseball-Kappe durch die Luft wedeln. Wir warten darauf, dass der Stadionsprecher das Tor ansagt, als sich Lokvenc den Ball schnappt und aus gefühlten 35 Metern in den Giebel knallt. Viiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiieeeeerrr zu NULL! 4:0, jetzt geht gar nichts mehr. 4:0 nach 39 Minuten!! Ist das unfassbar, ist das paradox. Und was für ein Tor. Ich versmse das Ergebnis in die Welt, versmse sogar eine komplette Akkuladung, so unglaublich ist das. "Freut man sich richtig oder ists Abschiedsfreude?", fragt Gerd. Und doch: Die meisten freuen sich richtig. Nur die Ultras müssen wohl umplanen. Der Megafon-Mann ist nicht zu sehen. Jens, ein BVB-Fan und ein Soccerhallen-Fußball-Kollege, gratuliert: "Das gönne ich Euch von Herzen, auch dem Peter, denn er ist noch einer der letzten Typen in der Liga. Habe dir ja gesagt, der VfL schafft es noch." Dirk aus München, der mir gestern erst noch gestattete, während des Bayern-Auswärtsspiels im April bei ihm zu pennen, schreibt: "Hey, Du kannst auch so bei mir übernachten, Du musst mir nichts vorlügen... Das ist ja echt unglaublich" Mit dem Sprechchor "Einer geht noch rein" verschwindet die Mannschaft in der Kabine. Sam holt ein Bier.
Zweite Halbzeit, selten so entspannt gewesen. Das Bällchen läuft flott, mir fällt auf - tataaaaaaaa - dass ich meine "Over"-Wette längst gewonnen habe, und gehe die Mannschaftsteile durch. Van Duijnhoven - wenig geprüft. Colding, Bönig, Knavs solide, Meichelbeck zweikampfstark. Tapalovic fällt nicht mal negativ auf. Zwetschge ist mittlerweile durch Preuß ersetzt, eine Torvorlage, okay. Dariusz blüht auf, es läuft ja auch gut. Lokvenc sehr stark, ein Tor, zwei Vorlagen. Madsen fleißig, Edu torgefährlich, okay, mit zwei/drei groben Schnitzern, aber verziehen. Minute 55, Konter, klasse, Wosz kommt über links, eine laaaaaaaaange Flanke, Madsen volleeeeeeeeyyyyyy.... 5:0 !!!! JETZT GEHT ALLES !!! RIESIG! RIESIG! RIESIG! Sam verschüttet den Rest seines Bieres, seine Baseball-Kappe fliegt fast vom Kopf. Unglaublich. Ich ertappe mich dabei, wie ich schon wieder den "VfL Express", der gar nicht mehr VfL Express heißt, wie mir auffällt, sondern "Mein VfL", aus der rechten Hosentasche hole, und die Tabelle aufschlage. Nürnberg liegt zurück, Rostock auch, Gladbach gewinnt nicht, Mainz spielt morgen gegen Schalke, gewinnt auch nicht. Sind wir wieder dran?? Es wäre zu schön. 5:0, das reicht. Unsere ziehen sich weit zurück, sogar Momo Diabang darf nach langer Verletzung mal wieder mitspielen. Das Spiel plätschert nur noch vor sich hin, als - in Minute 67 ungefähr - die Ultras auf den Zaun steigen und ein eilig erstelltes Plakat "P.N. - und trotzdem musst du gehen"-Transparent (oder so ähnlich) hochhalten und mit "Neururer raus"-Rufen würzen. Einige stimmen ein, lasst es hundert, 200 Mann sein - und jetzt kippts. Deutlich mehr Fans pfeifen die Raus-Rufe nieder; ich verschränke die Arme und verfolge das Schauspiel vergnügt. Beim Spielstand von 5:0 (!!!!) und nach einer wirklich guten Leistung gegen zugegeben desolate Wolfsburger - so ein Schwachsinn. Also unsensibler gehts wirklich nicht. Da ist es einer ganzen Fangruppierung nicht gelungen, sich in den Großteil der Kurve hineinzuversetzen. In der Ultra-Ecke kommt es dann auch gleich zu einer Wemmserei zwischen irgendwelchen Leuten, so dass die Polizei in unsere Kurve stürmen muss, um das Ganze zu schlichten. Es endet in einem lauten Sprechchor "Ultras RAUS! Ultras RAUS!", der alles übertönt. Was für ein Spiel, was für ein Fußball-Nachmittag. Dass ich das noch erleben darf. "Pass auf Deine Nase auf! Scheiße, was los ist nur, wenn ich nicht da bin...", antwortet der scheißernde Gerd auf meine "Geil! Wemmserei Ultras gegen den Rest"-Info. Drei Teenies steigen auf den Zaun und machen abfällige Handbewegungen. "GEHT SPIELEN!!!", brüllt Sam und fasst die Laune der Leute um mich herum treffend zusammen. Während sich auf dem Platz Wolfsburg eine Chance nach der anderen erarbeitet und unserem Torwart genug Gelegenheiten gibt, um sich im Kicker eine "2" zu verdienen, denke ich nach. Über das Spiel. Die Fans. Die Rufe gehen ein wenig unter, die "Oh wie ist das schön"-Gesänge. Die Ostkurve ist tief gespalten. Schon immer gewesen, keine Frage, aber in Krisenzeiten ganz deutlich erkennbar. Auf der einen Seite Ultras und Co; Leute, denen es auf das "Supporten" ankommt, die noch nicht so wirklich lange dabei und selbst noch sehr jung sind, maximal Mitte 20, die auf Cheoreografien viel Wert legen mit manchmal hübschen Ideen, die lautstark brüllen, meist sinnloses Zeug wie "Alles außer Bochum ist scheiße" - diese von mir kritisch geführte Diskussion hatte ich schon häufiger an dieser Stelle. Auf der anderen Seite - hoppla, Petrov macht in Minute 74 das 1:5 - die älteren, die schon den allerallerersten Bundesliga-Aufstieg in den 70ern mitgemacht haben. Leute, die alles erlebt haben, die sich nicht vorschreiben lassen, wann sie gegen wen zu protestieren haben und wann sie was brüllen, wie das die Ultras und Co. am liebsten hätten. Das sind irreparable Spannungen. Es gibt nun einmal Leute, die stehen nach wie vor auf Neururer. Basta! Und da sind noch so Typen wie Sam, Gerd und ich. Wir sind in keinem Fanklub, wir kommen, wann es uns Spaß macht (na gut, ich gebe zu, wir kommen immer), wir brüllen, was uns gefällt. "Ich will einfach nur Tore sehen! Am liebsten in der ersten, aber eigentlich egal in welcher Liga! Hauptsache Tore und guter Fußball! Egal, wer Trainer ist", sagt Sam kurz vor Schluss, als einige Unentwegte wieder "Neururer raus" schreien möchten und wieder niedergepfiffen werden.
Apropos Pfiff. Der Abpfiff folgt. 5:1 für uns, ein solches Erlebnis hatte ich lang nicht mehr. Dieses Spiel hat so einiges bewiesen. Wer wir im Moment sind, wir, die Fans des VfL. Wie differenziert wir alle mit Krisensituationen umgehen. Was uns eint, ist die Hoffnung, dass es uns doch noch irgendwie gelingt, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Obwohl es ganz schlecht aussieht und ich nach wie vor davon ausgehe, dass dies leider nur der äußerst unterhaltsame und witzige erste Teil der Abschiedstour war. Wenn auch ein ziemlich schöner. Meine privat größte Krisensituation folgt um 17.30 Uhr, eine Viertelstunde nach dem Abpfiff. Der City-Grill hat geschlossen, rund um den Bahnhof wird gebaut. Buuuuuhuuuuuuuu, da heult der Andi doch gleich bittere Tränen. Heute keine Currywurst. Keine Pommes mit Majo.
"Deiche brechen richtig - oder eben nicht". Eigentlich hätte an dieser Stelle diese Pointe folgen sollen. Doch nun bleibt es dabei, dass es einfach nur ein verdammt guter Song ist.

Leerer City-GrillUnd der City-Grill bleibt diesmal leer...
 
Protestierende Gegentribüne Einmarsch Torjubel
Komisch... dass die Blöcke E2 und F mitprotestierten, konnte keiner vorausahnen... nee, Quatsch, aus Wolfsburg kamen eben nur 500 und nicht 5000 mit, Einlaufen, einmal anders. Der O-Block blieb komplett leer, ein paar Ultras postierten sich auf dem Zaun, mit irgendeinem Plakat! Torjubel, zum fünften Mal! Und auf einmal fliegen sogar wieder die Schals im Ruhrstadion.
Wemmserei Dariusz!! Spielerdank
Immer noch steht es 5:0, und mitten in der Ostkurve gibt es eine Wemmserei; irgendwo in der Ultra-Ecke. Die Wolfsburger Ersatzspieler sind interessierte Zuschauer des Schauspiels, dem später auch ein Dutzend Polizisten beiwohnen. Ich betone: Das alles beim Spielstand von fünf zu null! Dariusz - Dariusz - Dariusz - Dariusz... Und nach dem Abpfiff dankten die Spieler doch. Zumindest ein bisschen. Und ohne Welle.

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Borussia Mönchengladbach - VfL Bochum 2:2 (3.4.2005)

SpielerdankAuswärts ein herzlicher Applaus für die Spieler nach dem Abpfiff - das ist laaaaange her!

Gladbach schenkt uns den verdienten Punkt - und wir müssen noch eine Woche weiterzittern - ein Ausflug in die konservative Lunge NRWs in ein graues Stadion

AnzeigetafelEin 2:2 auswärts - das ist laaaaange her!

Ich möchte Teil eines Wunders sein

Lokvenc und der RauchEine Rauchbombe auswärts - na gut, das passiert häufiger!

Spürt es mit mir, dieses Kratzen im Hals. Spürt es, immer, wenn Ihr einatmet, um etwas Schlaues kundzutun. Spürt es beim Sprechen, Hecheln, Essen, Trinken. Es ist das Kratzen, das nur Fußballfans kennen, die ein Tor so laut bejubelt haben wie Metallica-Fans beim Konzert den ersten Riff von "Nothing else matters". Dieses Kratzen habe ich vermisst, so viele Tage, Wochen und Spiele lang. Heute ist es da, nach dem 2:2; doch was hat es gebracht? Wir müssen noch eine Woche weiterzittern, anstatt Klarheit zu haben! Und getroffen haben wir nicht einmal selbst.
Frauenfußball. Wart Ihr schon einmal beim Frauenfußball? Hättet Ihr mich gestern gefragt, hätte ich "Ja und Nein" geantwortet. Ja, weil ich mal ein Jugendspiel besucht habe, in der tiefen Dunkelheit, an einem windigen Herbsttag, und Ja, weil ich Mannschaftsporträts verfassen musste. Und Nein, weil, weil, weil, ja weil ich eben noch keins gesehen habe außer im Fernsehen. Bis heute Morgen. Jetzt stehe ich auf dem Sportplatz am Mühlenfeld, verabschiede mich von meinem Taxifahrer, der "ein gutes Gefühl" hat, was "Schumi heute in Bahrain angeht" und schaue auf die Uhr. Zwanzig nach zwölf, upps, eigentlich hätte ich seit elf hier sein müssen. "Entschuldigung, wie stehts?", frage ich den ersten Zuschauer, der mir samt Hund am Arm begegnet. "2:0" antwortet der und blickt auf den Ascheplatz und den an diesem wunderhübschen Frühlingstag umherwehenden Staub. 25 Minuten stehe ich teilnahmslos am Rand, beinahe ohne Notiz, das Tocotronic-Konzert mit dem folgenden, bis in die Puppen dauernden "Matrix"-Besuch, liegt mir ganz deutlich noch in den Knochen. Der Trainer der Mülheimer Mannschaft formuliert mir glücklicherweise ein paar brauchbare Sätze über den glanzlosen Dreier ins Blöckchen, als Sam anruft. "Wann fährst Du heute los?" "Weiß nicht, muss erstmal bis 14 Uhr arbeiten, und dann noch kurz nach Hause." "Ich fahr schon los. Wegen der Karte. Meld Dich!" Okay, gebongt. Mein Bochum-Kalla-Trikot habe ich schon drunter, aber meinen Schal eben noch nicht. Und meine Arbeitstasche muss ich noch zu Hause abliefern. Jawollja. In der Redaktion sitzt meine Arbeitskollegin Julia, die gerade ein paar Zeilen ausbrütet, die möglichst treffend die Trauer der Mülheimer Bevölkerung über den Tod des Papstes ausdrücken sollen. "Einer hat gesagt: ,Also um Harald Juhnke habe ich mehr getrauert.' Aber das kann man ja nicht schreiben." In den letzten Tagen war es eher das alte Holzmichel-Spiel: "Jaaaaaaaaaaaa, er LEBT NOCH!" Arbeit runtergerissen, ab nach Hause, Schal drüber, V-F-L, V-F-L, V-F-L, V-F-L!
Das Fußball-Schicksal hat uns eine allerallerallerallerallerletzte Chance beschert. Acht Spieltage sind noch zu absolvieren, und wenn wir heute gewinnen sollten, dann sind es tatsächlich nur noch drei winzige Pünktlein auf Mönchengladbach. Und auf Nürnberg. Und hach, dann wären wir wieder drin im Geschäft. Doch stopp mal, ein Blick auf unsere Auswärtsbilanz trübt meine Gedanken! Neunmal hintereinander sind wir ohne Punkt nach Hause gefahren und haben jedes Mal mehr oder weniger deutlich eins auf die Rübe gekriegt. Warum sollte das ausgerechnet heute besser klappen? Unter Druck hat es in dieser Saison noch nie funktioniert. Es spricht alles gegen uns. 14.51 Uhr, Regionalexpress Richtung Mönchengladbach. Er ist rappelvoll. Anruf bei Sam: "Bist Du im Zug?" "Nee, schon am Stadion". Genau richtig, der Sam, der in Bochum nie früher als 20 Minuten vor dem Anpfiff da ist, wartet in Gladbach bereits zweieinhalb Stunden (!!!) vor Spielbeginn am Nordpark. Höllehöllehölle! Der Mischung im Zug könnte brisanter nicht sein. Etliche Bochum-Fans lassen blau-weiße Schals baumeln, von Bahnhof zu Bahnhof steigen mehr Gladbacher zu, ob in Duisburg, Rheinhausen, Krefeld-Uerdingen, Krefeld oder Viersen, und dazu noch die ganzen Wochenend-Ausflügler. Zu mehr als einem eingequetschten Stehplatz im Türbereich hat es für mich nicht gelangt, und diese Fahrt wird schrecklich. Die Türscheibe erwärmt die Sonnenstrahlen noch einmal um fünf Grad, und ich schwitze ein wenig. Mein VfB Speldorf in Mülheim liegt im Verbandsligaspiel gegen Wülfrath 0:1 zurück, scheiße. Und seit Duisburg Hauptbahnhof steht der ekligste Mensch vor mir, den ich je gesehen habe. Seit geschätzten vier Wochen hat er sich und seine Klamotten nicht mehr gewaschen. Sein Alkoholpegel liegt nicht unter zwei Promille. In seiner linken Hand hält er eine Zigarette nach der anderen - natürlich bei Rauchverbot, aber Hinweise helfen bei ihm nicht mehr. In der rechten Hand krallt er einen Cheeseburger von Mc Donalds so fest, dass er ihn fast zerdrückt. Ketchup hängt ihm an den Lippen, während der Schweiß von der Stirn Richtung Mund herabsippt. Aus seiner Hosentasche lugt eine Flasche Bier hervor. Ab Rheinhausen fängt der Typ auch noch an zu furzen. Sein Freund neben ihm findet das alles zum Brüllen komisch, und am liebsten würd ich nur noch weglaufen, wenn der Zug nur nicht so voll wäre. Puuuuuuhhh... 15.40 Uhr, endlich da! Mein Sauerstoff neigt sich meinem Ende (und auch dem meiner meisten Mitreisenden - ob Borusse oder Bochumer) entgegen, als ich zum wiederholten Male das Schild "Mönchengladbach Hbf" erblicke. War schon oft hier, und selten so richtig hocherfreut. Und doch ist heute etwas neu... der Bökelberg, so gern "altehrwürdig" genannt und von mir als "Klassiker" oft an dieser Stelle gelobt, verstaubt gerade und verrottet im Gladbacher Stadtteil Eicken (so heißt der glaube ich), nördlich der Innenstadt. Der "Nordpark" ist neu. "Nordpark" steht dann auch sogleich an den Bussen, die direkt am Bahnhof stehen und mich gen Arena kutschieren. Na jetzt bin ich aber gespannt. Ich finde sogar einen Sitzplatz. Um mich herum ausnahmslos Mönchengladbacher. Gut, dass ich meinen Schal noch in der Vordertasche meines Rock-am-Ring-Pullis versteckt halte. Der Bus rollt an und fährt. Und er fährt und fährt. Und noch ne Ampel, und noch mal anhalten, und sind wir iiiiiiiimmer noch nicht da?!? Boahhhh!!! Nach geschlagenen 15 Minuten endlich die Ankunft, und HILFE, was war diese Hinfahrt doch nur eine Strapaze. Bevor ich überhaupt die erste Stehstufe des "Nordparks" betreten habe, hat das Stadion einen ganz ganz dicken Minuspunkt. Die Verkehrsanbindung ist miserabel. Dass das Parkleitsystem ein Skandal sein muss, hat bisher jede Fangruppe beklagt. Dass nicht einmal Bus und Bahn in Windeseile da sein können, und das Stadion genau zwischen dem "Hauptbahnhof" und "Rheydt" liegt, macht die Sache auch nicht besser. Und zu Fuß - so wie der gute, alte Bökelberg - ist das alles auch nicht erreichbar. Gegenüber vom Fußball- liegt das Hockeyspielfeld. Am WM-Stadion wird noch gebaut. Das wird völlig übertrieben groß, wenn es einmal fertig ist. Niemals schauen sich so viele Leute Hockey an, da gehen ja Zehntausende rein. Und glaubt mir: Ich weiß, wovon ich spreche.
Kurz nach vier. Ich bleibe stehen und erkunde die Umgebung. Aber nur eine Sekunde, denn zu erkunden gibt es hier nichts. NICHTS! Wie ich erfuhr, entstand das Stadion auf einem ehemaligen Militärgelände der Alliierten, das nach der "Wende" brach lag. Mönchengladbach ist eine saukomische Stadt. Ich bin kaum 25 Minuten hier, und weiß schon, dass ich außerhalb eines Fußballspiels hier wohl nie mehr Zeit verbringen möchte. Der ganze Niederrhein mit Krefeld, Gladbach, bis rauf nach Kleve und Straelen ist mir zu ländlich, konservativ, ach gebt mir noch mehr Vorurteile, die diesmal aber leider stimmen. Gladbach, das ist ein wenig wie Klein-Kaiserslautern. In der Pfalz, da gibt es nichts. Nur den FCK. Und aus allen umliegenden Dörfern, Städten, kommen sie daher, um die "Roten Teufel" spielen zu sehen. Und am Niederrhein? Genauso ländlich, genauso provinziell, und auch nur ein Verein. Und auch reisen sie aus allen Eckchen des Umlandes an. Kein kleinster Pisselbahnhof vergeht ohne Gladbach-Fan. "Ich hab neulich den Kicker gelesen", sagt Sam, den ich um halb fünf vor der Bochumer Kurve treffe, "die Gladbacher reden vom oberen Drittel in der Bundesliga im nächsten Jahr. Raffen die nicht, dass die in fast genauso großer Abstiegsgefahr sind wie wir?" Fachsimpeleien bei einer Cola. Sam gabelte ich vor einer Säule sitzend auf. Seit 15.30 Uhr hockte er dort oder auch wahlweise auf seinem Sitzplatz, um für anstehende Jura-Klausuren zu lernen.
Es ist kein Problem, Sam mit auf die Stehtribüne zu schmuggeln. Die Ordner kontrollieren die Eintrittskarte kein Stück. Na prima, stehen wir wenigstens zusammen. Sam überlegt, ob er seine Frau anrufen soll, damit sie bei "betandwin.de" noch 15 Euro auf den VfL setzt. Ich habe meine Wette schon längt platziert und es bei einem "mehr als zwei Tore" belassen. Ein todsicheres Ding. Sam und ich suchen uns eine geeignete Stufe, blicken umher - und sind doch, ehrlich, ein wenig enttäuscht. An diesem Stadion ist nichts besonders. Die Lage ist scheiße, die Anfahrt beschissen, und innendrin ist es nahezu deckungsgleich mit Rostock, Duisburg und Wolfsburg. Nur eben mit 20.000 Plätzen mehr. Wie Schalke sieht es gar nicht aus. Das Stadion in Castrop-Rauxel-West ist wenigstens geschlossen und besticht durch eine ganz nette Akustik. Aber wenn hier 100 Ultras ganz unten im Block etwas anstimmen, dann ist das oben bei uns gar nicht mehr zu verstehen. Minuspunkt. Bei der Konstruktion des Teils haben die Architekten wohl nur die Vorgaben "keine Laufbahn", "alles überdacht", "Videowände" und "viele viele VIP-Räume" erhalten. Mehr nicht.
Es gilt. Jetzt gilts! Nicht mehr zittern müssen. Lasst uns heute verlieren. Mensch, wir sind doch eh weg, dann können wir uns das ganze Herzblut sparen, dass wir in den nächsten Wochen vermutlich vergeblich in diesen Verein investieren würden. Depression. Ja! Heute ein Sieg! Und dann noch einer gegen Hannover! Und dann sind wir wieder DA!! Euphorie. Kurz vor halb sechs. Sam öffnet rabiat eine "Haribo Colorado"-Tüte, und gibt zu, dass er genau wie ich kein Lakritz mag. Ich krame zwei Gummibärchen hervor und kaue darauf rum, als Schiri Weiner in seine Piepe flötet. In 90 Minuten wissen wir mehr. Sam setzt 15 Euro.
Und dann Stille. Trauerminute. Für den Papst. Im ersten Moment erschrecke ich mich. NICHT WIRKLICH, ODER?? Was habe ICH mit dem Papst zu tun? Im konservativen Gladbach schweigen alle. Natürlich. Zu Hilfe! Ich sage auch nichts. Aber ich rufe heimlich ein leises "Tschüss" zu Harald Juhnke!
Mein Pulsschlag ist in den ersten Minuten noch erstaunlich niedrig. Ich kann es mir sogar leisten, meine beiden Hände in den Hosentaschen zu verkramen und dabei einen DIN-A-4-Zettel zu zerknüllen. Tobias aus Mülheim hat ein Schreiben verfasst, ganz auf eigene Rechnung. Ausgeteilt hat er es vor dem Stadion, keine Ahnung, was drinsteht. Bei uns spielt Maltritz für Madsen. Etwas defensiver also unsere Ausrichtung. "Schumi ist raus", sagt jemand hinter mir. Das wird meinen Taxifahrer ärgern. Beide Mannschaften schmeißen sich in die Zweikämpfe. Jede eigentlich überflüssige Grätsche wird gefeiert wie ein Auswärtstor im Europapokal. Ab Minute sieben, acht, neun, wird es interessanter. Und, oh ja, dafür sorgen nur wir. Von Gladbach kommt nichts. Von den Spielern nicht, und von den Fans erst recht nicht! Wann immer bei uns etwas nicht läuft, spielt jemand die Kugel zu Edu. Und unser liebstes Luftloch wirbelt die Borussia-Abwehr ganz schön durcheinander. Der Edu wird zu einer laufenden Kanonenkugel für die Borussia-Abwehr, die irgendwann zwangsläufig los- und zielsicher reingeht. Gleich viermal knallt Edu den Ball in der ersten halben Stunde aufs Gladbacher Tor, dazu noch einmal Misimovic - es läuft. "Ich glaube kaum, dass ich das jetzt wirklich sage", flüstere ich Sam ins Ohr, damit es auch keiner hört, "aber ich habe das Gefühl, dass die Spieler endlich einmal auch auswärts begriffen haben, worum es geht!" 29 Minuten sind gespielt. Gladbach bisher sehr nervös, wenig bis gar nicht zwingend. Wir haben das Ding hier im Griff. Man, wäre das geil, wenn wir es schaffen, und dieser unsympathische Protzerklub erst einmal in Liga zwei mit seinem Geld um sich schmeißen müsste. Wäre das GEIL!! Dann passt Bönig im Mittelfeld fehl, Neuville läuft frei den rechten Flügel lang, seine Flanke spielt Sverkos im Fallen zu Kluge. Der vernascht mit einem kleinen Mini-Trick Bönig, Knavs und Meichelbeck... und er trifft... 1:0 für Gladbach. Ist das unverdient, ist das ein saumäßiges, saumäßiges, SAUMÄSSIGES, DÄÄÄÄMLICHES TOR!!! "Man", winkt jemand hinter mir ab, "ich hab es doch gleich gesagt. Jetzt hat Neururer wieder seine Ausrede. Die ersten 30 Minuten gut gespielt, und dann ist es nach hinten losgegangen. Das wars!" Oh ja, das glaub ich auch. Ein Rückstand. Das ist das, was wir unter allen Umständen verhindern wollten. Wir sind wie gelähmt. Nichts passiert mehr nach vorn, nur Lokvenc köpft noch einmal in Minute 44, aber ansonsten drückt Gladbach. Zum Glück trägt Neuville ein grünes Trikot. Der trifft im Moment gar nichts mehr.
Halbzeit, ich hocke mich hin. Der VfB hat das Spiel gegen Wülfrath noch mit einem blauen Auge per 1:1 beendet. Auch meine türkischen Freunde von Galatasaray haben 1:1 gemacht, in Wuppertal-Sudberg. Der Lokalfußball verfolgt mich nur nebenbei, nur zur Information. Der V-F-L ist aktuell. Die Stimmung bei uns in der Kurve ist gut. Die Gladbacher sind nicht gut, verunsichert, und für uns noch nichts verloren!! Wir KÖNNEN das noch drehen. Kein "Neururer Raus"-Gebrüll bisher, kaum Meckereien. Sieben ereignislose Minuten rum in Halbzeit zwei. Maltritz verliert einen Zweikampf gegen Sverkos im Mittelfeld, wird gefoult, keine Ahnung, nicht ersichtlich. Kluge kriegt den Ball, ein ziemlich guter Pass auf Jansen, der Colding auf zehn Metern sieben abnimmt und dann mit Unterstützung des Innenpfostens zum 2:0 trifft. Das wars. That was it! Aus. Ende Gelände! Tschüss! Nimmer wiedersehen! Fudschikato Klassenerhalt. "Occcchhh MANNNNN!", brüllt Sam, und wir alle gucken wie beleidigte Kindergartenkinder, denen das Spielzeug gerade schmerzhaft entrissen wird. "Zweeeite Liga... oh wie ist das schön, Euch nie mehr zu sehen!" In Minute 56 vernehme ich erstmals lautstark die Gladbacher Fans. Dieselben Gladbacher, die für "You´ll never walk alone" die Anzeigetafel brauchen, um den Text mitzusingen. Echte Fußballer wissen, wie der geht - oder summen nur mit. Pfff... der Text auf der Tafel! Schwachsinn! Was tun? "Schieber" brüllen, weil Maltritz gefoult wurde? Die Mannschaft auspfeifen? Mensch, 29 Minuten war es doch gut, doch dann?? Von der 30. bis zur 60. nur schrottreifer Mist. Aaaahhh! Ich könnt heulen. "Ich setze auf ein 3:2", funkt Dirk aus München per sms. Wenn das so leicht wäre.
Unser Trainer tauscht aus. Colding und der formschwache Misimovic gehen. Neu dabei: Preuß und Bechmann. Viele meckern. Die Auswechslungen von Neururer sind ohnehin ein gerne gesehenes und viel diskutiertes Thema. Und jetzt hat er Diabang noch auf der Bank, und bringt Preuß?? Wenn der Peter meint. Unsere Mannschaft ist mausetot, aber die Gladbacher irgendwie auch. Anstatt den Sack zuzumachen, und uns mit einer Packung nach Hause zu schicken, begnügen sich die Grünen damit, den Ball in den eigenen Reihen zu halten und schon ab Minute 65 übel auf Zeit zu spielen. Die "Colorado"-Tüte ist bis auf die Lakritze leer, als Bechmann völlig freistehend den Ball über das Tor löffelt. Weiter! Weiter! Weiter! Heute kämpfen sie! Sie geben alles! 69., wieder Bechmann über rechts. Ein Dribbling, ein Querpass auf Lokvenc - TOR! 1:2 nur noch. "Sauber der Robocop", brüllt Sam, der unseren Vratislav-Lulatsch aufgrund seiner Unbeweglichkeit und Antrittslangsamkeit umtaufte. Noch 21 Minuten, um einen, ach was, DREI Punkte zu holen. "Over!", denke ich so bei mir und freue mich über 7 Euro Gewinn bei 4 Euro Einsatz. Immerhin drei  netto.
Gladbachs Trainer Advocaat schäumt und brüllt unentwegt an der Außenlinie. Er moppert, schreit, das Spiel wird zerfahrener. Na gut, es war die ganze Zeit zerfahren, aber nun...!?! Es ist noch nicht vorbei... Preuß, aus 20 Metern, huiii, Zentimeter. Noch zehn Minuten. Wosz, aus 17 Metern, vom Strafraumeck, huiii, Zentimeter. Die Zeit rennt weg. "Mehr Schwatte aufs Feld", sagt Sam, kurz vor der Einwechslung von Diabang. Der hat uns hier schon einmal das 2:2 gebracht. Und überhaupt: Sind nicht die letzten drei VfL-Spiele hier 2:2 ausgegangen?? Aber noch fehlt ein Tor. Ein Punkt ist wenig, viel zu wenig, und absteigen werden wir auch so. Aber das wäre es doch! 89:35 Minuten gespielt, noch einmal Freistoß. Van Duijnhoven sprintet nach vorn. Flaaaanke, van Duijnhoven steigt hoooch, gewinnt den Kopfball, Meichelbeck mit Dropkick... der Ball fliiiiiiegt und fliiiiiegt, abgefällllscht, JAAAAA, JAAAA, JAAAAA, kreischen, kreischen, brüllen, hüpfen, stürzen, umarmen, kratzen im Hals. Torjubelkratzen. 2:2. Die restlichen zwei Minuten gehen im Freudentaumel unter. Im Freudentaumel über ein Ergebnis, dass für uns eine bittere Niederlage ist. Aber so sind wir Bochumer: Wir freuen uns über jeden Scheiß.
Die Mannschaft kommt, bedankt sich artig. Die Unterstützung war okay und wir Fans sogar eine Einheit. Sam und ich schauen uns an und werden nicht müde zu betonen, wie lustig wir das Spiel fanden. Na gut, Sam hat in Minute 60 ganz schön laut geflucht und um seine 15 Euro geweint, aber was interessiert ihn sein Geschwätz von... Ihr wisst, wie der Spruch geht. "Man sind die Gladbacher dusselig", sage ich zu Sam. "Hach, was war das lustig", antwortet Sam, ruft seine Frau Nicole an und erzählt von dem Drama aus Gladbach. 19.25 Uhr, ein Drama deutet sich auch bei der Rückfahrt an. Eine kahlgeschorene Gruppe Jugendlicher steht vor uns in der endlosen Schlange, die bisher lediglich vom HSV-Spiel getoppt wurde, und einer fragt: "Gegen wen spielt Ihr nächste Woche!" "Hannover" antwortet Sam. Auf einmal wird der etwa 15-Jährige von seinen deutlich älteren Mitstreitern zurecht gewiesen. "Ey, was sprischt Du denn mit dem da?", fragt er mit aggressivem Gesichtsausdruck. Er wollte noch das Wort "Neger" anfügen, könnte ich schwören. Sehr, sehr traurig! Mein "Stand up, speak up"-Armband flattert ungesehen um mein Handgelenk. Ein paar Bochumer erblicken Sam. "Momooo ist ein Bochumer", rufen sie sofort. Was Sam für Assoziationen auslöst, ist immer wieder erstaunlich. "So vieles höre ich gar nicht mehr", sagt er und ich muss ihm das glauben. Schlimm genug, dass er tatsächlich regelmäßig Sprüche abbekommt. Lasst es mich sagen: Sam ist ein vorbildlicher Vertreter des VfL Bochum, gerade bei Auswärtsspielen. Immer nett, immer freundlich, immer witzig, immer friedlich. Auch wenn er seinen Rucksack in der Busschlange auf den Rücken schnallt und nicht in der Hand trägt: "Vielleicht muss ich meine Hände gleich benutzen!" Die Bus-Tortur zurück zum Gladbacher Bahnhof dauert geschlagene 20 Minuten. Wieder furzt jemand in einer Tour. Im ersten Moment denke ich sogar, dass bei dieser Furz-Menge wahrscheinlich ich selbst der Übeltäter bin, ohne etwas zu merken, aber neee... ganz bestimmt nicht. BAH!
Vor dem Bahnhof verdrücken wir eine Bratwurst. Erst fünf Minuten später, als wir schon im "Rhein-Haard-Express" von Mönchengladbach nach Münster, der über Mülheim fährt, sitzen, fällt mir auf, dass ich 10 Euro statt 5 für zwei Würstchen bezahlt habe, und der Verkäufer mich um fünf Euro beschissen hat. Sam trifft einen Nachhilfeschüler von früher, ich begegne Stephan aus Münster, jaja, so ist das beim Auswärtsspiel. In einem Vierer-Sitzeck im oberen Teil des Waggons sind neben einer Gladbach-Frau noch drei Plätze frei. "Nein, das ist nicht Euer ernst", sagt sie, aber doch, das ist es, und wir setzen uns. Es wird eine lustige, analysierende, unterhaltende Rückfahrt mit Spielanalysen und Erzählungen. Die Passagen über Sams bevorstehenden Jura-Prüfungen schnallt die Frau, die dauernd von Mann und Kindern erzählt, die Köln-Fans sind, und dass sie selbst aus Dülmen kommt, nicht wirklich. Sam will jetzt doch Richter werden und hat neulich Gerd an seinem Arbeitsplatz getroffen. That´s life. Kurz vor Mülheim schüttele ich Sam nach einem verdammt witzigen Auswärtsspiel mit einem verdienten, aber dennoch mordsmäßig glücklichen Punkt für uns die Hand. "Sag mal, was trägst Du da für ein Armband?", fragt mich die Frau. Ich erkläre Ihr die "Stand up, speak up"-Aktion. Die ist bei Gladbach wohl nur wenigen bekannt.
Ausstieg in Fahrtrichtung links. Es ist doch noch nicht vorbei. Eine Woche länger zittern. Immer noch Sechzehnter. Mit der Moral packen wir das. Vielleicht. Oder nicht? Alles doch eher unwahrscheinlich. Nee ja wieso.
V-F-L. V-F-L.
 
Nordpark Sam Nordpark von innen!
Vergleicht dieses Bild mit einem Foto der Wolfsburger VW-Arena. Auch die wurde lieb- und schmucklos auf ein brachliegendes Gelände gepfropft. Und innen ist es auch fast baugleich, nur eben 24.000 Plätze größer. Und der Sam verweilte schon seit 15.30 Uhr dort - hockend vor einer Säule, Zeitung lesen und für Klausuren lernend! Ich sags ja: VW-Arena... oder auch das Rostocker, das Schalker, das Duisburger Stadion - die sehen ALLE gleich aus!!

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VfL Bochum - Hannover 96 1:0 (9.4.2005)

Spielerdank

In dieser Saisonphase müssen wir wohl auch auf richtige Scheißspiele stolz sein - Phase zehn bricht an: Der letzte Hoffnungsschimmer vor dem Showdown

Anzeigetafel

Gewonnen, mehr nicht

Sie kommen!!Einlaufen... also mein Favourite-Song wäre ja "Take a look around" von Limp Bizkit... ich sag nur: Mission Impossible...

Ian kommt aus Schottland.
Abpfiff, dreimal, nein, viermal, ach quatsch fünfmal ganz ganz tief durchatmen. Wahrlich keine Glanzleistung, die wir da heute abgeliefert haben, aber egal. Drei Punkte geholt, erst zum zweiten Mal in dieser Saison "zu Null" gespielt. Wen holen wir denn jetzt ein? Nürnberg? Mainz? Oder Gladbach? Wir haben es fast wieder selbst in der Hand. Ein irres Gefühl, ein vor ein paar Wochen niemals geglaubtes. Abstiegskampf, mittlerweile ist es Phase zehn. Der letzte Hoffnungsschimmer. Nun fehlt nur noch der Schluss. Party oder Katzenjammer? "Tschüss Sam! Tschüss Nicole!" heißt es an der Treppe zum Block P rechts, und ich verschwinde Richtung Straßenbahnhaltestelle. Schon von weitem erkenne ich den 2-Meter-Mann, der dort steht. Stephan, der Straßenbahnfahrer aus Mülheim. Unmittelbar vor sich hat er seinen Sohn, zehn Jahre alt, versteckt, fast so wie eine Kängeruh-Mutter ihr Baby im Beutel. "Ja, jetzt können wir ja wieder hoffen", sagt er kurz. Smalltalk über das Spiel. "Also von der zweiten Halbzeit habe ich gar nicht so viel gesehen. Da war ich mehr am Bierstand." Stephan hat eine Wollmütze auf, hey, aber so kalt ist das doch gar nicht. Sein Sohn trägt eine weiße Mütze, mit der Aufschrift "We are the people". "Aus Schottland mitgebracht", sagt Stephan und grinst, bis der Arzt kommt. Oh je, ich weiß, was jetzt passiert. "Vor zwei Wochen", erzählt Stephan und gerät in einen Ich-kann-Storys-auspacken-Singsang, "da war ich wieder in Schottland. Pokalfinale. Jetzt braucht der Junge keine Trikots. Vier Stück, dazu noch Schals, Fahnen, und alles umsonst. Geschenkt gekriegt" Wenn der Zufall Stephan nicht in Mülheim auf die Welt geschickt hätte und er es sich hätte aussuchen können, dann wäre er in Glasgow oder Edinburgh gelandet. Hundert Pro. Wir quetschen uns in die Bahn, fahren ruck, zuck zum Hauptbahnhof. Jetzt noch ne Pommes essen. Wir stratzen zu Dritt die Rolltreppe hoch, und - oh Schreck - der "City-Grill" hat immer noch zu. Und meine Befürchtungen werden noch größer. Das Inventar ist fast komplett entfernt, und ich befürchte, dass meine liebste Bude, die mich im letzten Jahrzehnt begleitete, abgerissen wird. Kein Schild steht dran, nichts. Stephan will noch zwei Bier kaufen, für sich und Ian. "Einer aus Schottland. Den treffen wir am Bahnsteig." Also bestellen wir bei "Mc Döner" um die Ecke zwei Hähnchen-Döner (für seinen Sohn und mich), eine Cola (für mich) und zwei Bier. "Gleich in Mülheim geh ich nachem Uli, inne Quelle. Der is ja Schalker. Dat kann ich mir nich verkneifen", zwinkert Stephan. Bahnsteig. Auch im Bahnhof wird noch gebaut. Man ist das eng. Ian kommt um 17.54 Uhr, zwei Minuten vor der Abfahrt. Ein leicht übergewichtiger Mann, so um die 1,80, mit Dreitagebart, um die 40 Jahre alt, ziemlich abgewrackt angezogen. "Der is Manager einer schottischen Band, sagt er immer", verrät Stephan. Gemeinsam lassen sie Moritz-Fiege-Flaschen floppen. Rückfahrt. Immer wieder kommen die Gespräche auf das Wochenende in Schottland. Ich erfahre, dass die Rangers das Pokalfinale gegen Motherwell mit 5:1 gewonnen haben. "Too easy", sagt Ian und versucht, die neue VfL-Hymne "Unsere Heimat, unsere Liebe, in den Farben blau und weiß, achtzehnhundertachtundvierzig, nur damit es jeder weiß" anzustimmen. Urkomisch klingt das, und noch geiler sind die Versuche von Stephan, wieder einmal den Text zu übersetzen. "Our hometown, our love, in the colours blue and white". Während er das sagt, mampft er die Reste des Döners auf, und alle um uns herum amüsieren sich. "We were so drunken", und dann landet das Gespräch wieder beim schottischen Pokalfinale. Stephan erzählt, das er wohl Zigaretten geraucht hat, und sich am Tag danach nicht mehr daran erinnern konnte. Und dass er in zwei Wochen wieder hin will. Seiner Frau muss er das aber noch verklickern. "Bye Ian. See you soon", sagt Stephan. "Bye Ian", sage ich.
Gerd ist in Damaskus.
Morgens, 12 Uhr in Nordrhein-Westfalen, in Mülheim. Ich schalte mein Handy an, und der Tickerton verrät mir, dass irgendjemand eine sms geschickt hat. Auf meinem Handy klicke ich ein wenig rum, bis ich die entscheidende Taste gedrückt habe. Gerd. Boah, kommt der etwa schon wieder nicht? Wofür hat sich der Kerl eigentlich eine Dauerkarte gekauft, wenn er sowieso nie da ist? Das waren maximal 50 Prozent der Spiele! Bürschken!! Und Tatsache. Gerd sagt ab. "Moin! Bin gerad in Damaskus und reise heut noch nach Amman, schaffe es daher nicht ins Stadion. Schickste Ergebnisse? Insh allah schaffen wirs ja noch... Salam aus Syrien!" Mensch, ich dachte, der hat gerade erst ein Haus gekauft und ergo keine Kohle mehr für Urlaub. Getäuscht! Dreieinhalb Stunden später stehe ich neben Sam, seiner Frau Nicole, Krüger und all den anderen namenlosen, aber mir bekannten Gesichtern im Block P rechts. Am Mülheimer Hauptbahnhof, da bin ich noch einigen Fußballspielern des Klubs TSV Heimaterde begegnet. Keine Ahnung, wo die sich rumtreiben. Mein Bruder Thommy war schon lange nicht mehr da. Er hat sich per Mail für das letzte Heimspiel gegen Stuttgart angesagt.
Dirk ist in Wien.
Okay, Gerd muss ich also schon einmal den sms-Ticker schicken. Es ist 14.30 Uhr, eine Stunde noch, da frag ich doch gleich mal bei Dirk in München nach. "Aufholjagd, Teil 39. VfL gegen 96. Mein Tipp 3:1..." Ziemlich fix eine Antwort: "Mein Tipp 3-2, bin in Wien und sehr gespannt." Dirk, München, noch zwei Wochen. Donnerstagabends, weeeeeeg, ab in den Zug, ab ins deutsche Museum, auf den Marienplatz, na gut, München ist nicht meine Traumstadt, aber doch eine Reise wert. Muss aber noch ne Eintrittskarte für das Spiel kaufen. Mal gucken, vielleicht hat ja der Ticketservice heute auf. Und...? Welch Überraschung! Er HAT auf! Und ich Dusselbirne fahre sonst extra nach Bochum, um mir Auswärtskarten zu kaufen. Da habe ich in den letzten Jahren einige Touren umsonst gemacht. So ein Shit! Nordkurve im Olympiastadion, 10 Euro.
Andi ist im Ruhrstadion.
Wir gewinnen, wir gewinnen, wir gewinnen, wir gewinnen... jaaaaaaa! "Ist zwar ein richtiges Scheißspiel, aber irre spannend", höre ich mich kurz vor Schluss zu Sam sagen. Lasst uns dieses Spiel schnell vergessen. Wir wollen drinbleiben, brauchen Punkte, und die haben wir geholt. Die Art und Weise spielt ausnahmsweise überhaupt keine Rolle. Alles über der Kicker-Spielnote 4,5 geht gar nicht. Erste Halbzeit, es passiert nichts. Zumindest nichts vor dem 96-Tor. Die Hannoveraner sind besser im Spiel, schalten besser um. Kaufman und Stajner vergeben Hundertprozenter. Glück. "Das könnte 0:2 stehen", pustet Sam zwei-, ach dreimal tief durch. Pause. Jetzt auf unsere Kurve. 55. Minute, warten auf unsere erste Torchance... Freistoßflanke Preuß, Kopfball Maltriiiiitz, TOOOOOOOORRRR, EIGGEEEENNTOOORR, Cherundolo fälscht ab, total dumm, wie blöd, egal, 1:0, 1:0, 1:0!!! Das Glück ist wieder da, zurück im Ruhrstadion, wurde auch allerhöchste Eisenbahn. Schon wieder rettet uns ein Eigentor!! 1:0, halten, halten, halten, haltet das Ergebnis. Haltet es!! Und ich sehe das Positive: Die Abwehrarbeit ist heute 1 A, was nicht gerade für Hannover spricht. Rein sicher, Colding, Knavs, Meichelbeck und in der zweiten Halbzeit Tapalovic sehr, sehr aufmerksam. Der in der Ostkurve überaus beliebte Meichelbeck kriegt sogar verhaltene Sprechchöre. Wahnsinn... Wosz fleißig, Lokvenc find ich im Gegensatz zu allen anderen Zuschauern sowieso gut, Edu kommt nach der Pause besser rein. Unglücklich nur Madsen, Bönig und Misimovic. Egal, kämpft, Jungs, kämpft. Weiter! Weiter! Eine Chance bekommen wir noch, durch Edu, der den Ball kurz vor Schluss an den Pfosten wuchtet. Das ist´s. Gewonnen. "Egal wie", heißt es doch so schön.
Schlusspfiff. Erleichterter Jubel. Wen holen wir jetzt ein? Nürnberg? Mainz? Gladbach?
 
Plakat Wasser marsch!
Fast schon Tradition... kurz vor dem Anpfiff platzieren sich - meistens - die Ultras auf dem Zaun und präsentieren ein Spruchband mit einem tagesaktuellen Slogan. Diesmal bezog er sich - glaube ich - auf die Neururer-Aussage, nur "sogenannte Fans" seien gegen ihn und gegen Wolfsburg gewalttätig gewesen. Sinngemäß stand - soweit ich das sehen konnte - "Wir sind keine Hooligans, wir sind VfL Bochum-Fans! UB`99" Wie auch immer... Wasser marsch: In der zweiten Halbzeit ging auf einmal der Rasensprenger an, erst in der einen, dann in der anderen Hälfte. Also meiner Meinung nach war das eine völlig unnötige Aktion! Vorn bereitet sich übrigens Tapalovic auf seinen Einsatz in der zweiten Halbzeit vor.

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FC Bayern München - VfL Bochum 3:1 (23.4.2005)

... ist im VfL-Tagebuch 2004/2005 - TEIL 6 nachzulesen !

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VfL Bochum - FSV Mainz 05 2:6 (30.4.2005)

... ist im VfL-Tagebuch 2004/2005 - TEIL 6 nachzulesen !

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1. FC Nürnberg - VfL Bochum 2:1 (7.5.2005)

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VfL Bochum - VfB Stuttgart 2:0 (14.5.2005)

... ist im VfL-Tagebuch 2004/2005 - TEIL 6 nachzulesen !

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Diese Seite wurde zuletzt geändert am 15.5.2005
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