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FC Bayern München - VfL Bochum 0:0 (30.1.2007)
oder auch: 2. Tag Südost-Reise
Wie toll ein 0:0 doch sein kann... (aufgenommen mit Dirks Handy)
und
Ein Tagesausflug, der sich für 1200 Bochumer gelohnt hat: SCHALALALAAAA !!
Ein denkwürdiger Tag mit Maskottchen, Grillteller, Rotkreuzplatz und Cola. Ein eigentlich langweiliges Spiel mit fantastischem Ausgang
Zweimal mein Bruderherz Thommy... einmal VOR der (diesmal roten) Allianz-Arena...
Gut gspuit
... und einmal IN der Allianz-Arena!
Haben wir wirklich... einen
Punkt... bei den Bayern geholt?? 0:0 ist es ausgegangen??? JAAAAAAAAAAAA!!!
IST ES!!! Das schönste langweilige Spiel meines Lebens. Die atemberaubendste
Nullnummer in der Fußballgeschichte. Ein wunderwunderwunderbarer
Abend. NULLNULL!!! Wie lautet der Spielstand? BAYERN? NULL! BOCHUM? NULL!
Dieser Punkt könnte am Ende Gold wert sein. Wir sind wieder da, wir
haben es souverän nach Hause gespielt, heute wird ganz Bochum jubilieren.
Ist gut jetzt.
München. Am Vormittag.
Der Tag gestern war anstrengend, heute Morgen und Mittag ist erst einmal
Relaxen angesagt. Ein großartiges Programm habe ich mir diesmal nicht
vorgenommen. In den letzten Jahren habe ich viel in München schon
abgearbeitet, vom Oktoberfest übers Deutsche Museum und die Uni bis
zum Marienplatz, der Frauenkirche, der Münchner Freiheit, dem Englischen
Garten undundund. Fürs Umland bis zum Starnberger See bleibt diesmal
nicht genug Zeit, so verbringen mein Bruder und ich die ersten Stunden
am Dienstag mit Ausschlafen, vielen beruflichen und Uni-Arbeiten in Dirks
Wohnung und ab 17 Uhr mit der Handball-Weltmeisterschaft. Als Treffpunkt
mit Dirk haben wir "18 Uhr Marienplatz" ausgemacht. Um uns einzustimmen,
stelle ich auf dem Laptop einige Fußball-Lieder ein. Einmal mehr
fällt uns auf, wie unendlich dämlich der Jo-Hartmann-Text von
"Wir sind die Fans vom VfL" ist. Einmal mehr spiele ich "Bayern" von den
Toten Hosen (gehört dazu an einem solchen Tag), einmal mehr Grönemeyers
"Bochum", obwohl das nur im Stadion richtig schön klingt. Im Internet
verfolgen Thommy und ich die Prognosen der VfL-Fans im Forum ("Humorloses
3:0" schreibt jemand) und die Videoaufzeichnung der Pressekonferenz mit
Koller und Kuntz. Gestern hat Zwetschge den Wechsel nach Nürnberg
am Saisonende bekannt gegeben, gleichzeitig verpflichteten wir bis dahin
Yahia (sprich: "Jaja"), einen neuen Innenverteidiger, der wohl direkt spielen
wird. Naja (oder: Jaja), schlechter als gegen Mainz kann es nicht mehr
werden. Wirklich nicht.
Das Fieber will bei mir
heute nur langsam steigen, Thommy und Dirk sind doch wesentlich heißer.
Die letzten Jahre haben Spuren hinterlassen. 1:3, 1:4, 2:4 ist meine mehr
als frustrierende Bayern-Auswärtsbilanz, überhaupt hat Bochum
in 30 Spielen nur ein einziges verdammtes Mal hier gewonnen, und die Allianz-Arena
habe ich auch schon gesehen. "Du bist noch ungeschlagen in der Arena" -
so hat Dirk mich gestern begrüßt. Ein schwacher Trost. Im Durchschnitt
haben wir fast aufs Tor genau 1:3 jährlich hier verloren. Auch heute
droht Ähnliches. Nach dem 2:3 in Dortmund am Freitag sind die Bayern
doppelt gereizt - und verärgerte Bayern sind... ich brauch nicht weiterzuschreiben.
"Wenn wir heute nicht gewinnen", trompete Bayern-Trainer Magath in allen
Zeitungen und TV-Interviews, "dann können wir den Meistertitel abhaken".
Der VfL kam bei Magath überhaupt nicht vor, das Motto hier lautet
wohl so richtig abgehoben: "Uns ist egal, wie die spielen." Naja, an Magaths
Stelle wäre mir Bochum auch egal. Bayern hat van Bommel, Makaay, Pizarro,
Schweini und dazu Podolski, Scholl und Santa Cruz auf der Bank - bei uns
spielen Trojan, Bönig und Schröder. Noch Fragen?
Das Handball-WM-Viertelfinale
zwischen Deutschland und Spanien beginnt ziemlich gut, in der 12. Minute
müssen wir gehen, obwohl ich viel lieber bleiben würde. Die Jungs
spielen wie auf Droge, wieder einmal, und führen schon mit zwei Toren
Vorsprung. Spannend wirds. Und wir laufen los. Buh. Zu Fuß zur U-Bahnstation
"Rotkreuzplatz", in den letzten Jahren ist das schon Routine geworden.
Schon irre, wie oft ich jetzt München gesehen und vor allem, was ich
alles hier kennengelernt habe. Noch ungeschlagen, jaja, äh Yahia,
wie auch immer. Es ist 17.52 Uhr, noch acht Minuten bis zum Treffpunkt.
Der Tag beginnt super: "Eine Durchsage. Aufgrund eines Fahrzeugschadens
fahren vorerst keine U-Bahnen in beide Richtungen. Vielen Dank für
Ihr Verständnis. Ihre MVG". Toll. Dirk anrufen. "Wir kommen später".
"Wir warten", sagt er und empfiehlt einen Bus. Wir wollen gerade Richtung
Haltestelle aufbrechen, da fährt doch eine U1 ein. Rein, los, raus
drei Stationen später, Dirk treffen und noch zwei andere Gestalten.
In weiser Voraussicht habe ich mir im Vorverkauf fünf Tickets zugelegt.
Eins für Dirk, eins für Thommy, eins für mich, zwei für...
Flo und Christiane, Freunde von Dirk. Flo war schon beim 1:0-Sieg
bei den Sechz'gern vor einem Jahr dabei und ist seitdem - auch ein
Dienst der Konfetti-Pistole (lest Euch den Text durch) - ein Bochum-Sympathisant.
Christiane will einfach nur die Allianz-Arena sehen, auch nicht schlecht.
Für mich gibt das einen unerwarteten Geldsegen von 24 Euro, stimmt,
ich hatte die Kohle vorgestreckt. Hurra. Doch erst morgen zur Sparkasse.
Thommy kauft eine Dose Löwenbräu
für die U-Bahnfahrt und wird von echten Bayern böse ausgezählt.
Christiane fliegt bald nach Australien in den Urlaub, Dirk erzählt
Storys von seinem Australien-Trip, jawoll, so kann eine U-Bahnfahrt doch
lustig werden und schnell vergehen. Fußball ist nur ein Randthema.
Noch. Die Bayern-Fans in der Bahn sind aufgeschlossen und nett. "Sagts,
seid Ihr echt aus Bochum?", fragt der erste. Bei Thommys Gegenfrage "Wie
lang noch?" mischt sich der Nächste ein und beantwortet artig. Offen
Schal und Trikot zu tragen, würde mir in keiner anderen Stadt einfallen.
Nur hier. Brav eben. Fußballkonsum? Nach einer Viertelstunde taucht
das Stadion-Ufo auf, diesmal in Rot, nicht in Blau wie noch vor einem Jahr.
So langsam, gaaanz langsam steigen bei mir sämtliche Spiegel.. Bei
Dirk und Thommy ist das unübersehbar und selbst Fußball-Debütantin
Christiane gibt zu, "etwas nervös" zu sein. Für mich ist die
Arena nicht neu, ein Auswärtsspiel beim FC Bayern nicht neu. Mir ist
nicht einmal kalt, weshalb ich Dirks geliehene Jacke offen trage. Werd
sie im Stadion wohl ausziehen. "Heute ist es leer", sagt Dirk beim Blick
auf den Parkplatz. Er hat schon so einige Bayern-Spiele hier gesehen, dazu
bei der WM Portugal gegen Frankreich im Halbfinale ("da war vor dem Bahnhof
Fröttmaning eine Riesenmenge Schwarzmarkt - von wegen, das ist bei
der WM verboten") - und eine Stunde vor dem Anpfiff waren Parkplatz und
Parkhaus stets rappelvoll. Diesmal ist nur die Hälfte gefüllt.
"Zum ersten Mal", beklagten Medien aller Art, "wird die Allianz-Arena bei
einem Bundesligaspiel der Bayern nicht ausverkauft sein." Ist eben unter
der Woche - und nur Bochum. Das Bayern-Maskottchen sitzt aufgeblasen vor
der Arena - hat jemand 'ne Stecknadel? Die Kontrollen gehen schnell, wir
latschen einmal ganz ums Stadion rum und müssen noch ein bisschen
Sport treiben. Rauf in den Oberrang, gefühlte 150 Treppen in die gefühlt
20. Etage. Oben angekommen - wow, was für ein Anblick. 19.15 Uhr schreibt
die Uhr, Drobny macht sich schon warm. VfLer sind bisher kaum vertreten.
Überhaupt befinden sich höchstens 7.000 Leute im Stadion, und
das 45 Minuten (!) vor dem Anpfiff. Wir holen eine Runde Getränke,
teilen unsere Sitzplätze auf, ich ärgere mich über den dauergrinsenden
Bayern-Stadionsprecherkasper, der mir seit vielen, vielen Jahren unglaublich
auf den Zeiger geht. Einlaufen zum Warmlaufen, oh ja, jetzt bin ich in
der richtigen Stimmung, also kaum noch ansprechbar, alles steigt immer
noch deuuuutlich. Koller hat Butscher aus dem Kader gefeuert, dafür
spielt Yahia direkt von Beginn an. Überraschung! Zudem Schröder
für Lense rechts hinten! Abwehrkette umgestellt, das sind Taten. "Und
Thommy", frage ich, "wie findest Du die Arena?" Mein Brüderken entwickelt
den Begriff "Upper-Class-Tempel" - und liegt damit gar nicht so falsch.
Die Arena ist eben nicht wirklich für die "normalen" Fans konzipiert.
Stehplätze sind nur kaum vorhanden, die billigsten Sitzplätze
liegen direkt unterm Dach. Das Stadion hat unendlich viele Logen, die -
Dirk berichtet es aus eigener Erfahrung - vor allem für Geschäftskontakte
und Belohnung fleißiger Mitarbeiter benutzt werden. Keiner dieser
ach so wichtigen Personen erscheint selten früher als fünf Minuten
vor dem Anpfiff. Im VIP-Raum gibts Futter vom Feinsten, die Gespräche
drehen sich nicht darum, ob van Bommel sich gegen Zdebel durchsetzen kann...
Auch zwanzig Minuten vor dem Anpfiff ist die Arena (natürlich) halbleer.
Wie auf Schalke, bei uns, in Dortmund oder wo auch immer ist hier nichts.
Eigentlich überall erscheinen viele Fans so früh wie möglich,
um schon weit vor dem Anpfiff Sprechchöre auszuprobieren. Die ersten
"Bayern"-Rufe kommen erst nach dem Einlaufen. "Ist doch klar", argumentiert
Thommy. "Ein Verein mit so vielen Mitgliedern, mit so vielen Fans, muss
seine Marketingeinnahmen optimal nutzen." Was er damit meint: Junge Familien
kaufen mehr Merchandisingprodukte als der "normale" Stehplatzfan. Das garantiert
dem Verein eine millionenschwerere Einnahme. Logisch. Es ist sicherlich
beeindruckend, in diesem Stadion zu stehen und unseren Jungs beim Fußball
verhindern zuzugucken - aber der richtige Fan in mir weint ein bisschen
angesichts der zahlreichen Snobs. Dirk - seit zehn Jahren Münchner
- gibt an, nur einen richtigen Bayern-Fan zu kennen - also jemand,
der seine Sympathie nicht zur Schau stellt, um als Erfolgsmensch zu gelten.
Genug geschwafelt. Cola
austrinken - und los. Anpfiff. Bayern gegen Bochum. "Pass auf", sage ich
zu Thommy, "wir kriegen wie immer ein frühes Tor. Und zwar ein saublödes.
Abgefälscht, Eigentor, Schweini-Flatterweitschuss, was auch immer."
Zu Beginn sieht es auch schlecht aus. Innerhalb der ersten fünf Minuten
kommen die Bayern zu drei guten Chancen und einer Ecke. Drobny muss dreimal
retten. Heute ist Drobnys Chance. Er kann und muss zeigen, was er kann,
wenn er der akzeptierte van-Duijnhoven-Nachfolger werden will. Auch nach
der 5. Minute bleibt Bayern überlegen. In Minute 20 verrät eine
Statistik auf der Videowand: "Ballbesitz Bayern 70 Prozent". Wir verteidigen
und bolzen die Kugel einfach nur so weit wie möglich aus der Gefahrenzone.
Unser Offensivspiel besteht daraus, den Ball lang auf Gekas zu spielen.
Mehr passiert nicht. Gekas steht aber laufend im Abseits, sodass nach vorn
nichts passiert. In der 21. Minute ergibt sich für Trojan nur eine
Schusschance, weil Lahm böse fehlpasst. Aber wie immer versagt der
torungefährlichste Linksaußen der VfL-Vereinsgeschichte kolossal
und verzieht das Leder so peinlich, dass ich im Boden versinke. In Minute
34 müssen die Bayern eigentlich in Führung gehen. Nach dem einzigen
gescheiten Pass von Schweini steht van Bommel völlig frei, scheitert
aber an DROBNY! DROBNY! DROBNY! Der ist guuuuuuut, Thommy feiert ihn pausenlos.
Der Support ist noch mäßig, selten kommen "VfL"-Rufe. Die Ultras
haben bisher nur bei der Gedenkminute für Werner Hackmann, Ex-DFL-Boss,
auf sich aufmerksam gemacht. Nicht einmal dort hielten alle ihre Schnauze.
Irgendwie schaffen es unsere Jungs, das 0:0 in die Pause zu retten und
damit ein Riesenpfeifkonzert von 64.000 zu verursachen. Wobei: 64.000 sind
das nie und nimmer. Viele Dauerkarten-Inhaber hocken heute daheim vor dem
Fernsehgerät, ich würde auf maximal 50.000 schätzen. Zdebel
macht bisher ein Riesenspiel gegen van Bommel, wobei unser Käptn nichts
zum Spielaufbau beiträgt, sondern eigentlich nur damit beschäftigt
ist, van Bommel nickelig zu foulen. "Drecksack gegen Arschloch", bezeichne
ich dieses Schlüsselduell des Spiels. Yahia steht solide in der Innenverteidigung.
Unser Retter eindeutig: Drobny! 0:0, ich finds gut. Nur einer ist langweilig:
Christiane...
Bayern bringt Podolski.
Vor der Partie unterhielt sich Poldi noch lange mit seinem "Entdecker"
Koller. Nun soll er das erlösende Tor schießen. Zwei Minuten
nach Wiederanpfiff ist die VIP-Tribüne fast komplett leer. Kein Wunder
bei dieser Bayern-Leistung. Drinnen ists eben gemütlicher. Ich erwarte
nun einen Sturmlauf, einen Angriffswirbel der Bayern, der uns auseinander
reißt. Ottl jagt die Kugel in Minute 48 nur Zentimeter vorbei, eine
gute Chance - der Startschuss? Nein - der Bayern-Schlusspunkt. In den verbleibenden
42 Minuten bieten die Bayern, selbsternannter Aspirant auf den Sieg in
der Champions League, eine erschreckende Leistung. So wollen die im Achtelfinale
Real Madrid besiegen?? Dabei fehlen aus der Stammelf nur Sagnol und Hargreaves
- zwei, die nicht gerade für herausragende Technik und Spielkunst
stehen. "Die haben einfach scheiße eingekauft", sagt Thommy. Stimmt:
Van Buyten bekleidet eine Position, die Lucio/Ismael ein Jahr lang gut
ausfüllten. Podolski ergänzt das Sturm-Duo Makaay/Pizarro. Ballack
wurde nicht adäquat ersetzt, Schweini kann die Rolle nicht, was er
auch heute eindrucksvoll beweist. Mir ist schnurz, was die Bayern machen.
Mich freuts, dass wir immer mutiger werden, selbst unsere Chancen suchen
- und sie auch bekommen. Gekas läuft schräg allein auf Kahn zu,
61. Minute, doch Kahn lenkt zur Ecke. Das war gaaaaanz knapp. Das MUSSTE
es sein. Meine Nervosität, mein Gedanke "Es sind die Bayern - irgendwann
machen die einen" verfliegt. Selbst der in der ersten Halbzeit grottige
Epalle läuft zu Hochform auf und vernascht Lahm zweimal. Brenzlig
wirds bei einem Freistoß am 16er, doch Podolski verzieht jämmerlich,
rund um die 70. Minute. Nichts brennt mehr an, für den neutralen Zuschauer
ist es vermutlich ein furchtbar langweiliges Spiel mit nur wenigen Torszenen
und nach punktgenau 90 Minuten beendet der gute Schiri Dr. Drees das Spiel.
Das schönste langweilige Spiel meines Lebens. 0:0... wir haben einen
Punkt... in München! Wir freuen uns riesig, umarmen uns allesamt,
klatschen ab. Ein Bonuspunkt. Das Stadion pfeift! Zum ersten Mal seit 25
Minuten ist etwas von den Bayern-Anhängern zu hören. In der Schlussphase
sangen wir Bochumer durch - hier die Lautstärke-Oberhand zu behalten,
ist wahrlich nicht schwer, nicht einmal für nur 1200 Gäste-Fans
(vornehmlich übrigens witzigerweise mit dem Sprechchor "Ihr seid leiser
als Fortuna Köln", der eigentlich vom Aussterben bedroht ist). Nach
dem Anpfiff gibt es weder "La Ola" noch "Humba" - zu normal, zu locker
haben wir den Punkt nach Hause geschaukelt.
Auf dem Weg zur U-Bahnstation
"Fröttmaning" genieße ich den Triumph. "Gut gspuit", sagt ein
Bayern-Fan und drückt mir die Hand. Nett und aufgeschlossen sind die
Bayern immer noch, was Christiane umgehend lobend hervorhebt. Ein weiterer
Bayern-Fan umarmt mich sogar und sagt: "Ihr seid unter Wert geschlagen
worden". So schnell geht das. Eben noch Kanonenfutter, jetzt schon der
Gewinner des Tages. "Unsere Heimat - unsere Liebe - in den Farben blau
und weiß - 1848 - nur damit es jeder weiß" ruft eine Kleingruppe,
ich fühle mich richtig wohl, werde das Grinsen nicht mehr los. München
2007 - das ist schon jetzt ein Erfolg. Mit der U-Bahn geht es zurück
zum "Rotkreuzplatz", im "Jagdstüberl" - einer typisch bayerisch-bodenständigen
Lokalität - bestellen wir um 23 Uhr noch warmes Essen. Dirk ordert
Leberkäs, Thommy das Tagesgericht, ich einen Grillteller. Ungesund
olé, heute ists erlaubt. Wir reden über alle Themen der letzten
Wochen von privat bis beruflich, es ist sehr, sehr nett. In Dirks Wohnung
klingt dieser denkwürdige Tag aus, mit den Einträgen im VfL-Fanforum
und ersten Berichten aller Online-Zeitungen. Alle bescheinigen der VfL-Mannschaft
eine ordentliche Leistung. Der T-Mobile-sms-Ticker schreibt Drobny den
Punktgewinn zu ("Verdientes 0:0. Starker Drobny rettet den Punkt.") Koller
sprach wohl von zwei verlorenen Punkten. Die Handballer haben gewonnen,
stehen im Halbfinale. Um 2 Uhr ab in den Schlafsack, mein Bruder und ich
pennen Kopf an Fuß.
Bayern? NULL! Bochum? NULL!
Tief im Westen, wo die Sonne verstaubt... Gute Nacht München, gute
Nacht Welt, der zweite Tag dieses Kurzurlaubs geht zu Ende. Heute werde
ich vom VfL träumen. Ganz, ganz sicher.
Das Spiel
Der "Upper-Class-Tempel"
Eine Stunde vor dem Anpfiff: Von Parkplatz und -haus und U-Bahnhof strömen die Zuschauer am Maskottchen vorbei.
Allianz-Arena - Allgemeines:
Als "Meilenstein moderner
Architektur" wird die Allianz-Arena gerühmt. Es ist das dritte Bundesliga-Stadion
in München. Zuerst wurde an der Grünwalder Straße gekickt
(der TSV 1860 sogar bis in die 90er hinein), dann ab 1972 (und bei den
EM's 1972+1988 sowie der WM 1974 und den Olympischen Spielen 1976) im Olympiastadion
- und schließlich seit 2005 im Vorort Fröttmaning. Bei der Weltmeisterschaft
2006 fanden in der Allianz-Arena unter anderem das Eröffnungsspiel
und ein Halbfinale statt. Die Sportarena entstand seit Herbst 2002 nach
Vorlagen der Schweizer Stararchitekten Herzog und de Meuren. Finanziell
wird das Großprojekt von den Vereinen TSV München 1860 und FC
Bayern München gestemmt - allerdings haben die Sechz'ger einige ihrer
Anteile an den FC Bayern verkauft, um der Insolvenz zu entgehen. Um den
Neubau gab es Ende der 90er in München einen großen Streit -
und sogar eine Volksabstimmung. Die Lage ist nicht wirklich fanfreundlich.
"Fröttmaning" liegt außerhalb - mit der U-Bahnlinie "U6" etwa
15 Minuten vom Marienplatz und noch einmal zehn Fuß-Minuten vom U-Bahnhof
entfernt. Auch die Anfahrt mit dem Auto ist (laut Dirk) höchst problematisch.
Es gibt nur einen Parkplatz, ein Parkhaus und eine Autobahnabfahrt.
Details:
Laut Baedeker verbergen
sich hinter der Außenfassade 2800 rautenförmige, mit Luft gefüllte
Membrankissen. Die transparente Fassade hüllt die Arena mit einem
integrierten Lichtsystem in die jeweilige Farbe der Vereine. Zu den drei
Rängen: Der unterste Rang umrahmt das Spielfeld sehr eng. Es stehen
20.000 Sitzplätze zur Verfügung. In Nord- und Südtribüne
können jeweils 10.000 Sitzplätze in Stehränge umgewandelt
werden. Im Mittelrang finden 24.000 Zuschauer einen Sitzplatz, im obersten
22.000. Die oberste Sitzreihe des Stadions befindet sich auf 39 Metern
Höhe. Für die "Wichtigen" (Stichwort Upper-Class-Tempel) gibt
es 100 Logen mit rund 1400 Plätzen und 2200 sogenannten Business-Seats.
Zahlen:
Die Arena ist 258 Meter
lang, 227 Meter breit und 50 Meter hoch. Sie fasst 66.000 Zuschauer. Das
Parkhaus mit rund 10.000 Plätzen ist das größte Parkhaus
Europas. Mit rund 285 Millionen Euro Kosten ist die Allianz-Arena die modernste
Sportarena der Welt. Es gibt zwei Fan-Restaurants (TSV 1860, Bayern), ein
Familienrestaurant, eine Cafeteria und 28 Kiosks. Allein die Gastronomie
nimmt eine Fläche von 6500 Quadratmetern ein.
... Fundstück aus
"1000 Tipps für Auswärtsspiele" (etwas umformuliert, Quelle:
ISBN 3-89784-207-6, sehr empfehlenswert):
(aus der Auflage 2002,
noch vor Eröffnung der Arena): Von ersten verträumten Planspielen
bis zur Grundsteinlegung war es ein weiter Weg. Ein sehr weiter Weg. Und
ein kurvenreicher noch dazu. Zu ersten Differenzen kommt es im Herbst 1997:
Während sich Bayern in Person von Franz Beckenbauer vehement für
den Bau eines neuen Fußballstadions einsetzt, beharrt die Stadt auf
einem Umbau des Olympiastadions (Überdachung der Gegengerade, Absenkung
des Spielfelds). Einstimmig fordert der Stadtrat die Bayern auf, im Olympiastadion
zu bleiben, woraufhin Beckenbauer mit dem Verlassen der Stadt droht. Als
Architekt Boenisch im März 1998 dann Korrekturen an den Umbauplänen
zu seinem Olympiastadion vorstellt, lenkt Beckenbauer plötzlich ein
("... habe ja schon immer gesagt, dass der Umbau des Olympiastadions die
vernünftigste Lösung ist.") Sechs Monate nach dieser Kehrtwende
einigen sich Stadt, Olympiapark GmbH sowie die beiden Münchner Klubs
TSV 1860 und FC Bayern in einer Geheimsitzung auf die Umbauvariante 2b,
die eine zu 90 Prozent überdachte Arena für 65.000 Zuschauer
vorsieht.
Nicht zuletzt, um die Bewerbung
Münchens für die WM 2006 zu sichern, beschließt der Stadtrat
im Dezember 1998 einstimmig den 140 Millionen DM teuren Umbau des Olympiastadions
in der leichten "WM-Variante" - während der Widerstand bei Fans, Mitgliedern
und Denkmalschützern wächst. Derweil explodieren die Kosten für
den endgültigen Ausbau, woraufhin Beckenbauer im März 1999 vermeldet:
"Der Umbau kommt teurer als ein Neubau, der gescheiter und vernünftiger
wäre." Erneut wird umgedacht, diesmal lenkt die Stadt ein. Der Umbau
ist passé, alle Parteien bevorzugen nun den Bau einer neuen Arena
nahe der Messe in Riem. Der Standort platzt mehrfach: erst Riem (verkehrstechnische
Probleme), dann unter der Dachkonstruktion des Olympiastadions (an der
Stelle des Radstadions). Mehrere Stadiongipfel bringen keine Entscheidung.
Im Dezember 2000 ist das Thema "Arena" scheinbar vorbei. Bleibt im Olympiastadion
doch alles beim Alten und die WM fährt an München vorbei? Nein,
denn Bayern und 1860 schließen ein Bündnis zum Neubau eines
eigenen Stadions. Im Mai 2001 wird zugunsten eines Geländes außerhalb
der Stadt in Fröttmaning entschieden. Im Oktober 2001 wird per Bürgerentscheid
endgültig grünes Licht gegeben, der Wettstreit der Architekten
ist entbrannt. Das "Schwimmreifen"-Modell setzt sich gegen die "Dornenkronen"-Variante
durch. Bis 30. Juni 2021 heißt das Ding "Allianz-Arena". Die Kosten
in Höhe von rund 280 Millionen Euro teilen sich die beiden Vereine.
Für die Infrastruktur sind noch einmal um die 250 Millionen Euro fällig.
Am 21. Oktober 2002 war die Grundsteinlegung.
oder auch: 6. Tag Südost-Reise
Eine Woche lang rumgereist, viel Geld ausgegeben - und wofür? Zweimal nullnull! Die Woche endet, wie sie begann: Alles verdammt knapp
Willkommen im Fight Club
Eine Woche Urlaub. Sechs
Tage weg. Zwei Flüge, eine dicke Zugfahrt, Reise durch zwei Länder
und unzählige Bundesländer. Wofür? Zweimal nullnull.
Diese mechanischen Weckansagen
sind wirklich eine praktische Erfindung. Gestern noch schnell kurz vor
dem Einschlafen "0915" eingetippt - und punkt 9.15 Uhr klingelt das Telefon.
"E-s-i-s-t-j-e-t-z-t-n-e-u-n-u-h-r-f-ü-n-f-z-e-h-n" ertönts aus
irgendeiner Box, s' wirkt. Letzter Tag der Reise, heute komplettiere ich
meine Bundesliga-Stadionsammlung. Heute Nachmittag werde ich alle 18 Stadien
kennen. Heute wird sich der VfL mit drei Punkten ins Mittelfeld der Tabelle
schießen. Auswärts haben wir noch kein richtig schlechtes Spiel
absolviert, noch keins höher als mit einem Tor Differenz verloren.
Olé! Wie ein ganz schlimmer Abergläubiger lege ich fein gefaltet
mein Trikot und meinen Schal aufs Bett - ziehe es aber zum Frühstück
im Erdgeschoss des Hotels nicht an... zu viel Energie in dem Raum! Die
Cottbuser Spieler kommen um 10 Uhr gerade von ihrem morgendlichen Spaziergang
und lassen sich zwei Tische weiter nieder. Ich mampfe Cornflakes, Brot,
Käse und all den Scheiß - und bemerke nebenbei, dass Piplica
die tiefste Stimme hat, die je mein Ohr erreichte. Schon witzig... jetzt
sind die Spieler ganz nett, geben den Hotelgästen fleißig Autogramme.
Und gleich wünsche ich mir nichts mehr, als dass diese Jungs auf einem
Rasenplatz alles falsch machen... wenn die wüssten!
In Ruhe lese ich die "Welt"
(liegt hier aus), habe mich gegen die Lausitzer Rundschau entschieden.
Sitzenbleiben bis 11 Uhr, gaaaaanz langsam die Taschen packen, den Luxus
des Einzelzimmers noch ein Weilchen genießen. Weil ichs knapp mag,
checke ich um 11.57 Uhr aus - drei Minuten vor dem möglichen Ende.
Die Zeit bis zum Anpfiff vergeht richtig, richtig schnell... Es bleibt
sogar noch Zeit, anderthalb Stunden die Innenstadt Cottbus' zu erkunden.
Auch das wird wieder ein Blindflug, denn ich trage keinen Reiseführer
bei mir (wie sonst). Der Baedeker liegt zu Hause und ein Extraheft zur
Niederlausitz ist mir nicht bekannt. Schnell stelle ich fest, dass sich
mein Hotel und die Spree-Galerie (siehe Tag
5) mitten im Zentrum der Stadt befinden - und der Hauptbahnhof etwas
außerhalb liegt. 100 Meter vom Hotel entfernt steht die Cottbuser
Stadthalle. Sie wirbt für irgendeine Faschingsveranstaltung. Nebenan
im Cottbuser Infocenter (gibt es hier) erfahre ich, wo ein Internet-Café
steht, das tatsächlich geöffnet hat. Soso, hier ist Cottbus.
City. Hurra. Jedes Schild: Deutsch und Sorbisch - schon etwas Besonderes.
Über die kopfsteingepflasterten Straßen fährt eine Straßenbahn,
ich folge den Schienen. Die führen mich an der Oberkirche und am Cottbuser
Altmarkt vorbei - sieht ganz nett, ganz malerisch aus. Vom Altmarkt geht
die Fußgängerzone ab. Alles ist auf West getrimmt. Am Eingang
singt ein Akkordeonmann Tom Jones' "Delilah". Es gibt große Einkaufszentren
(Spree-Galerie und Kaufhof), die üblichen Bekleidungs-IKEAs (H&M),
Handyshops (Nokia bis Vodafone), Brillengeschäfte (Apollo, Fielmann)
und selbstverständlich Fast-Food-Läden (Mäkkes, Subway,
Burger King usw.). Und der große 12-Etagen-Hotel-Glasbau, in dem
ich nächtigte, stand vor 1989 bestimmt noch nicht. Das Individuelle
ist etwas verloren gegangen. Ernüchtert bin ich nicht. Nicht, dass
ich es nicht erwartet hätte. Im Internet-Café rufe ich Mails
ab, freue mich darauf, heute Abend endlich, endlich meine Homepage aktualisieren
zu können. Der zugemailte WAZ-Terminplan bestätigt: Morgen habe
ich drei Termine, erst Hockey, dann Schwimmen, dann Ringen... Zwischendurch
noch im "Schrägen Eck" das Handball-WM-Finale gucken, das wird hart...
Okay, genug gesehen, kurz zurück ins Hotel. Mein Gepäck kann
ich hinterlegen. Ist ein enormer Vorteil. So muss ich nicht mit vier Taschen
ins Stadion fahren.
"1000 Tipps für Auswärtsspiele"
hat mir Möglichkeiten verraten, ins Stadion zu kommen. Eine davon:
Vom Hauptbahnhof laufen - fällt aber aus, der Bahnhof ist zu weit
weg. Bleiben Bahnlinie "7" bis zur Endstation Sandow oder Bus "15" bis
Vorpark. Der Bus fährt direkt vor dem Hotel ab, an der Karl-Marx-Straße
(Haltestelle heißt "Lessingstraße"), die es hier also noch
gibt. Für 1,20 Euro besorge ich mir ein Ticket. Die Tour führt
eine Viertelstunde lang durch die Cottbuser Vororte. Die Cottbuser Bronx!?
Kaum aus der Innenstadt entkommen, steht eine Siedlung hinter den nächsten.
Siedlung... also Plattenbau... vielleicht ist es auch nur ein gewollter
Eindruck, aber vielmehr eine Feststellung, nicht negativ, aber auch nicht
besonders positiv. Immerhin: Die Energie-Profis sollen auch in einer Multikulti-Siedlung
leben... bestätigen kann ichs nicht. Über "August-Bebel-Straße",
"Stadtpromenade", "Freiheitsstraße", "Sandow-Mitte", "Schlesinger-Straße"
geht es bis "Vorpark" - die Haltestelle an Messe, BuGa-Park und Stadion.
Ich steige als Einziger aus, ist eben noch früh, gerade einmal 14
Uhr. Ich spaziere am Messe-Gelände entlang (so etwas gibt es wirklich
hier), am Gelände der Bundesgartenschau 1995 (so etwas gab es wirklich
hier) und erblicke die Flutlichtmasten des Stadions der Freundschaft.
Es ist ein Schock. So ein
bisschen. Am Dienstag sah ich noch die Allianz-Arena in München, Deutschlands
modernstes Stadion mit allem Schnickschnack. Überdacht, drei Ränge,
viele VIPs, noch mehr Fressbuden, Komfort. Und jetzt? Maximum 200 Bochumer
werden hier erwartet, für alle dauert die Anreise zwischen sechs und
sieben Stunden. Berlin ist 90 Minuten mit der Bahn entfernt. Berlin! Im
"1000 Tipps"-Buch steht, dass der Name "Stadion der Freundschaft" hier
äußerst selten zutrifft. Die Ordner werden dort als "willkürlich"
bezeichnet. Austesten um 14.05 Uhr. Ich stöbere in meinem Portmonee,
finde die Eintrittskarte für Block N, und erblicke 14 Ordner (!) am
Eingang. 14! Ich bin im Moment der Einzige, der durch diese Securitymühle
muss. Ein erster Ordner prüft zehn Sekunden lang meine Karte, schaut
mir in die Augen, reißt sie ein und lässt mich durch. "Halt",
sagt der nächste, durchsucht alles. Alles!! Naja, besonders ist das
nicht. Weiter geht es zum dritten, der von mir verlangt, die Schuhe auszuziehen.
DIE SCHUHE AUSZIEHEN!!!!! Wieder mal etwas Neues erlebt. Musste ich noch
nie... Danach ists vorbei, ich darf rein.
Drinnen folgt das nächste
Erdbeben. Für alle Gästefans stehen nur wenige Klos zur Verfügung.
Ganz wenige, die schon jetzt - knapp eine Stunde vor dem Anpfiff - nicht
mehr wirklich sauber erscheinen. Punkt Luxus: Platz 18 in der Liga. Es
existiert nur eine Bruchbude als Verpflegungsstand mit zwei mehr als unmotivierten
Mitarbeitern, die lustlos Glühwein, Cola und Bier ausschenken - und
wer möchte, bekommt schrammelige Frikadellen und nicht schmeckende
halbwarme Bockwürstchen. "Eine Currywurst", sagt ein mehr als betrunkener
Jugendlicher neben mir. "Hamm wa nich", antwortet einer der Verkäufer
ohne jegliche Motivation. Innerhalb von fünf Tagen beide Liga-Extreme.
Heftig.
Es ist doch kälter
als ich dachte. Ein eisenharter Wind fegt durch die Arena. "Wo ist die
Klimaerwärmung, wenn man sie braucht?", fragt einer der Fans, die
ich bei jedem Auswärtsspiel sehe... es bleibt Zeit, ein wenig auf
die Besonderheiten der Aufwärmphase zu achten. Um kurz vor drei ertönen
die "Hells Bells"-Glocken von AC/DC. Der Stadionsprecher erhebt seine Stimme
und brüllt: "Herzlich Willkommen..." Und weiter: "Wir rufen..." Und
Schluss: "Unseren FIGHT CLUB!" Hahahahahaha.... Da sind sie, die Spieler,
die ich ein paar Stunden lang im Hotel erlebte. Auf der Vereinshomepage
haben die Fans die Stadion-Top-5 gewählt. Mit dabei zum Beispiel:
"Should I stay or should I go?" - und auch der "Blitzkrieg-Bop" von den
Ramones (sogar auf Platz zwei). Eigentlich keine schlechte Idee, doch aufgrund
der Nähe zu Polen und der teilweise berüchtigten Energie-Fans
weiß ich nicht, ob ich darüber lachen soll. Ein Vereinslied
am Ende ist sogar auf Sorbisch und um 15.25 Uhr folgt ein unerträglicher
Fahnenkult. "Begrüßt die Fahne des FC Energie Cottbus!", schmaucht
der Stadionsprecher ins Mikro - und Cottbuser Fans und Jugendliche tragen
die Fahne aufs Spielfeld. Kann nicht sein, oder?
Hier ist Abstiegskampf.
Hier ist AbstiegsKAMPF!!! V-F-L, V-F-L, die Creme de la Creme aller Fans
ist scheinbar hier, jeder brüllt. Um sich wach und warm zu halten,
um die Punkte zu sichern. Los gehts. In einem solchen Stadion kann kein
technisch perfekter Fußball geboten werden. Passt nicht hierhin.
Der Rasen ist natürlich auch noch holprig, der Eindruck perfekt. Koller
hat unsere Startelf nicht geändert. Am Anfang ists ganz munter, etwa
nach einer Viertelstunde vergeben wir gleich zwei Riesenchancen innerhalb
von zehn Sekunden. Erst scheitert Gekas freistehend an Piplica, dann schießt
Trojan erbärmlich vorbei. Das MUSSTE das 1:0 sein! Treffen wir die
Bude nicht mehr??? Es entwickelt sich 90 Minuten lang ein furchtbares Fußballspiel
(Anmerkung: "War das wirklich Bundesliga?", titelte Bild am nächsten
Tag) mit der gefühlten Spielnote 5,5 bei Temperaturen unter Null.
Unglaublich, dass ich mir das antue. Häufiger in Ballbesitz sind wir,
die zwingenderen Aktionen hat Cottbus. Strafraumszenen gibt es nur bei
Ecken (9:4 für Energie) und Freistößen in Strafraumnähe
(wenn ich mich richtig erinnere: ungefähr 4:1 für Energie) -
also einige Herzinfarkt-Situationen. Aber richtig knapp wirds nur bei Rosts
Schuss in der Nachspielzeit, der Zentimeter vorbeistreicht. Sonst ist Drobny
formidabel sicher auf dem Posten und fischt alle Bälle sicher aus
der Luft und dem Eck. Unsere Abwehr mit Maltritz, Yahia, Bönig und
Schröder steht passabel bis gut. Vorn läuft nach der zwölften
Minute NICHTS. Gekas steht neben völlig neben sich und verliert fast
jeden Ball, Misimovic hat keine Lust, steht nur rum und wird sehr früh
ausgewechselt, Trojan bleibt einfach blamabel torungefährlich und
Epalle glücklos. Buh. Das 0:0 ist die logische Konsequenz. Schon nach
70 Minuten scheinen sich beide Teams einig zu sein. Nicht einmal besonders
aggressiv geht es zur Sache - nur zwei Gelbe Karten, und die auch noch
in der Schlussphase. Mit Abstand am häufigsten foult wie immer unser
Käptn Zdebel - diesmal lerne ich die "Lektion eins" zu unserer aktuellen
VfL-Mannschaft. Lest gut mit: "Der Zdebel spielt immer den Ball!" Merkts
Euch, hihi...
Um 17.18 Uhr ist es zum
Glück endlich, endlich vorbei. 0:0 endet dieses mehr als fürchterliche,
katastrophale, erbärmliche Gekicke. 20 Punkte haben wir, zweimal ohne
Gegentor, bravo, wieder auf Platz 14, erstmals seit dem ersten Spieltag
vor Aachen. Bis zum Dank der Mannschaft bleibe ich nicht mehr, muss mich
beeilen. Wie ich im Internetcafé festgestellt habe, wird es verdammt
eng. Ich sprinte vom Stadion zum Bahnhof, fahre um 17.35 Uhr mit dem Taxi
Richtung Hotel, hole mein Gepäck und fahre sofort zurück zum
Bahnhof. Es ist voll auf den kleinen Straßen - klar, die 11.800 Zuschauer
müssen ja auch nach Hause. Schnell noch eine Fahrkarte holen - von
Cottbus zum Flughafen Schönefeld. Wenn alles gut geht, bin ich um
20.01 Uhr da - um 20.30 Uhr schließt der Schalter... Der Regionalexpress,
der um 18.16 Uhr abfährt, ist berüchtigt, und schon nach wenigen
Sekunden weiß ich warum. Es ist der reinste Horror. Trikot und Schal
habe ich glücklicherweise verstaut, sehe aus wie ein ganz normaler
Tourist. Ich gehöre zu einem explosiven Gemisch. Energie-Fans, VfL-Fans
(einige der Kategorie B - also unter Alkoholeinfluss gewaltbereit) und
auch etliche mit BFC-Dynamo-Schal sind da - und mindestens zehn Polizisten
als Zugbegleitung. Oft rennen die Polizisten quer durch die Wagen, müssen
Streit schlichten. Zu mir sagt einer: "Sie haben Glück. Sie sitzen
im ruhigsten Waggon." Auch als normaler Touri dreht sich manchmal mein
Magen um. Zum Beispiel, als eine Gruppe 14- bis 15-Jähriger vorbeischlendert.
Mit T-Shirts "Freiheit für alle nationalen Gefangenen" und Stickern
"Deutschland den..." (ich wills nicht zu Ende schreiben). Vorbei geht es
an Kunersdorf, Vetschau, Raddusch und Lübbenau. Kurz vor Lübben
spricht der Polizei-Einsatzleiter in sein Funkgerät: "Die Situation
ist unter Kontrolle. In Lübben steigen die meisten aus. Wir können
die Begleitung nun beenden." Der Zug hat schon 25 Minuten Verspätung,
meinen Anschluss in Königs Wusterhausen werde ich verpassen, den Flieger
wohl auch. SCHEISSE!!! Lübben zieht vorbei, der Zug wird tatsächlich
leerer, aber nur eine einzige Minute nach der Abfahrt dort und dem Ausstieg
der Polizisten kommt es zu einer Wemmserei zehn Meter eine Etage über
mir. Willkommen im Fight Club. Die Schaffnerin holt eilig den Erste-Hilfe-Kasten.
Die beteiligten Fans kommen erst ein paar Minuten später zu sich,
flüstern sich zu, dass die Polizisten schon zuvor ihre Personalien
aufgenommen haben. Uiuiui, wo bin ich hier bloß reingeraten? Es ist
unendlich aggressiv, von den besoffenen B-Fans werden zwei weitere Touris,
die neben mir sitzen, und ich, dauernd von der Seite angequatscht: "Eyyyy,
wo kommt iiiiihr heeer?" Unangenehm. Unmittelbar vor Königs Wusterhausen
beschließe ich, bis "Berlin Ostbahnhof" weiterzufahren und es dann
mit dem Taxi zu versuchen. Um 20.10 Uhr kommen wir - mit 40 Minuten Verspätung
(aus verschiedensten Gründen) - in Berlin an. Ich suche ein Taxi,
der Festpreis beträgt 28 Euro. "Es wird knapp", berlinert der Taxifahrer,
der mich in einer sensationellen Geschwindigkeit durch den Osten bis zum
Flughafen Schönefeld kutschiert. Unterwegs rufe ich zweimal die Germanwings-Hotline
an, die können den laufenden Check-In-Prozess aber nicht mehr stoppen.
Wie lang dauert das denn noch?? Wenn ich den Flieger nicht kriege, bekomme
ich auch den letzten ICE Richtung Ruhrpott nicht mehr. Dann MUSS ich über
Nacht hier bleiben, mir ein Hotel suchen. Scheiße! Es wird 20.30
Uhr, der Schalter schließt. Zu spät. Der Taximann hat alles
gegeben. Alles. Um 20.40 Uhr bin ich am Terminal D, halt, ein Germanwings-Infopoint
ist noch geöffnet. Ich sprinte. "Köln-Bonn. Gleich. Flug. Ich",
japse ich. Schnell geleitet mich jemand zum Gepäckschalter, zum Abflug-Gate
- und in allerallerallerletzter Sekunde erreiche ich den Flieger. Wie schon
beim Hinflug. Hinsetzen, anschnallen und los. Unglaublich. Geschafft. Yeah.
45 Minuten Flug, wir drehen
sogar wegen zu starken Rückenwinds noch eine Extrarunde über
Köln ("Genießen Sie den Ausblick", sagte der Pilot) - um 22.30
Uhr werde ich von Freunden abgeholt. Der Urlaub? Futsch, aus, finito. Zweimal
nullnull. Eine Lesung. Ein neuer Berufswunsch als Autor, der sich wohl
nie erfüllen lässt. Eine Stunde dauert es mit dem Auto bis zu
meiner Wohnung, mit dem Zug wäre ich jetzt noch zwei Stunden unterwegs.
Ich packe gemütlich meine Sachen aus, stelle die ersten Homepage-Texte
"online", blättere die Zeitungen der letzten Tage durch, und verschwinde
um 0.30 Uhr für zwei Stunden ins Schräge Eck.
Und erzähle. Von München.
Linz. Dem Fight Club. Cottbus.
Cottbus (sorbisch Chosebuz)
Ein paar Fakten über
Cottbus - aus unterschiedlichsten Quellen: Mal ehrlich, wer von Euch
hatte eine positive Meinung über Cottbus? Mal ehrlich, was hättet
Ihr spontan gesagt, wenn ich Euch den Begriff "Cottbus" genannt hätte?
Nichts Gutes, mutmaßlich. Einen Tag verbrachte ich in dieser Stadt,
um mir selbst ein Bild zu machen - das Resultat habt Ihr gerade im Text
durchgelesen. An dieser Stelle möchte ich Euch noch ein paar Daten
und Fakten zu dieser Stadt nennen.
Geschichte
Cottbus hat 120.000 Einwohner
- und ist damit viel, viel, viel kleiner als Mülheim. Die Stadt liegt
an der Spree. Im dritten und vierten Jahrhundert nach Christi siedelten
sich im Altstadtbereich germanische Siedler an, seit dem sechsten Jahrhundert
wanderten slawische Stämme in das Gebiet zwischen Elbe/Saale und Oder
ein. Im achten Jahrhundert folgten die Lusitzi, ein westslawischer Stamm.
Im Jahr 1156 (30. November) wurde Cottbus erstmals als Siedlung erwähnt.
Cottbus entwickelte sich zunächst zu einer bedeutenden Stadt der Textilherstellung
(Tuchmacher, Leineweber). Im Dreißigjährigen Krieg wurde Cottbus
völlig zerstört. 1648 lebten nur noch wenige hundert Menschen
in Cottbus. 1701 wurde Cottbus von Pfälzern und Hugenotten neu aufgebaut.
Den Aufschwung brachten die Einführung der Seidenspinnerei, Strumpfwirkerei
und die Tabakverarbeitung. Die deutsche Weltkriegsgeschichte erlebte auch
Cottbus: Am 1. August 1914 nahmen auch die Cottbuser den Beginn des 1.
Weltkriegs jubelnd auf. In der Stadt gab es zwei Gefangenenlager. Am 9.
November 1938 brannte während der Reichskristallnacht auch die Cottbuser
Synagoge nieder (die jüdische Gemeinde wurde erst am 15. Juli 1998
neu gegründet, hat 350 Mitglieder, aber keine Synagoge). Ab 1940 wurde
in Cottbus für den 2. Weltkrieg produziert. Rund 4.000 Sprengbomben
fielen auf das Bahnhofsgelände sowie die östlichen und südlichen
Stadtbezirke. Am 22. April 1945 nahmen sowjetische Streitkräfte die
Stadt ein. Vor allem direkt nach dem 2. Weltkrieg wurde die Braunkohle
des Umlands in großem Stil abgebaut. Ab 1957 wurde Cottbus zum wichtigsten
Kohle- und Energielieferanten der DDR. Nach der Einheit begann die Privatisierung
der Wirtschaft.
Politik
Die Stadtverordnetenversammlung
hat derzeit 50 Mitglieder, nämlich von der CDU/DSU (14 Sitze), Linkspartei
(13), SPD (9), Aktive Unabhängige Bürger (6), Bündnis 90/Die
Grüne (3), FDP (2), Frauenliste Cottbus (2) und ein Fraktionsloser
(ehemals Aktiver Unabhängige Bürger). Es ist also NICHT so, dass
die Cottbuser Nazis wählen... Ergebnis bei der Bundestagswahl 2005:
SPD 39,3 %, Linkspartei 27,4 %, CDU 17,5 %, Bündnis 90/Die Grüne
5,3 %, FDP 6,3 %, Sonstige 4,2 % - Wahlbeteiligung 72 %. Übrigens:
Cottbus unterhält eine Städtepartnerschaft zu Gelsenkirchen.
Bildung
Jaja, auch in Cottbus kann
"man" sich weiterbilden, und zwar an der Brandenburgischen Technischen
Universität (BTU) mit den Fakultäten Mathe, Naturwissenschaft,
Informatik (1), Architektur, Bauingenieurwesen und Stadtplanung (2), Maschinenbau,
Elektrotechnik und Wirtschaftsingenieurwesen (3) sowie Umweltwissenschaft
und Verfahrenstechnik (4) - und der Fachhochschule Lausitz. Mal ehrlich:
Studieren will ich in Cottbus nicht. Das einzig Gute am Studentenleben
dort wäre der Zug nach Berlin - der leider aber anderthalb Stunden
braucht...
Bundesgartenschau
1995 fand in Cottbus die
Bundesgartenschau statt, die einen kleinen Park "hinterlassen" hat. Ein
Eingang lag direkt hinter dem Stadion der Freundschaft, der Park erstreckte
sich bis zum Messegelände.
Strich drunter
Einige meiner Vorurteile
muss ich zurücknehmen - allerdings werde ich trotzdem nun keinen Sommerurlaub
in der Lausitz verbringen (vor allem nach den Erlebnissen - siehe oben
- im Regionalexpress von Cottbus nach Berlin). Die Stadt hat schon allein
aufgrund der Zweisprachigkeit seine unübersehbaren Reize. Das Stadtgebiet
bietet einige nette Erholungs-Höhepunkte - aber auch viele Plattenbausiedlungen
im Umland. Das große Leben läuft an Cottbus vorbei und ist in
mindestens einer Stunde Fahrtzeit erst in Berlin zu entdecken.
Der Ausklang im Schrägen Eck
... einige der netten Gestalten
in meiner Stammkneipe in Mülheim-Eppinghofen.
So sieht Folter aus: "Bochum" läuft - und ich steh noch vor dem Stadion...
Elf Tage nach dem Abpfiff bringe ich es endlich zu Papier. Sensationelles Spiel - unnötig verloren. Eigene Gedanken und zwei Splitter
Horrorfilm
Mülheim, 22.2.2007
Elf Tage sind seit dem Abpfiff
unseres Heimspiels gegen Nürnberg vergangen. Elf Tage, an denen sich
allein das Wörtchen "folgt" an dieser Stelle befand. Nichts ist mir
zu diesem verflichten Abend eingefallen - und wie Ihr an meiner Homepage
seht, bin ich äußérst selten sprachlos (im VfL-Tagebuch
letztmals beim unsäglichen Zweitliga-0:1 gegen Offenbach). Ich weiß
noch, wie sehr ich mich angestrengt habe, an diesem Sonntagmittag rechtzeitig
zum Spiel zu kommen. "Mittagspause" habe ich das in der Redaktion genannt.
Ich weiß noch, wie ernüchtert ich zurückkehrte, lustlos
meine letzten WAZ-Zeilen reinhämmerte, und zu meinen Kollegen lediglich
flüsterte: "0:2 verloren. Saenko. 89. und 92. Minute. Aber sensationelle
Leistung von uns." Es war unmöglich, dieses Spiel zu verlieren...
Der VfL hat es geschafft.
Elf Tage sind vergangen.
Das grandiose 3:1 in Bielefeld war eine Fortsetzung der tollen zweiten
Halbzeit des Nürnberg-Spiels - also eine logische Konsequenz. Die
DSF-Videoaufzeichnung habe ich mir inzwischen zehnmal angeschaut und ich
werde sie archivieren. Wer weiß... wenn wir drinbleiben, war dieses
3:1 vielleicht der entscheidende Schritt!! Die Nürnberg-Aufnahme ist
längst verschwunden. Ich habe "24" drübergelegt, diese Serie
mit Kiefer Sutherland als gnadenloser Agent Jack Bauer, der in einer Tour
Terroristen umnietet. Jaja, umgenietet hätte ich am liebsten auch
einige an diesem Abend...
Elf Tage. Was schreibe ich
jetzt bloß an dieser Stelle? Wenig. Ich belasse es bei ein paar Splittern.
Denn wenn meine Sprache versagt, dann gibt es immer noch die viel besser
formulierten Sätze des Kolumnisten und VfL-Fans Biermann, der in der
"taz" seine Eindrücke schildert. Und das herrlich. Genau so wars...
Splitter 1, taz, 22.2.2007,
Von C. Biermann
"Am liebsten wäre ich
aufgestanden, gegangen und nie mehr wiedergekommen. (...) Dennoch dauerte
es ein wenig, bis der Wunsch nach einem Ausstieg verflogen war und sich
in die normale Benommenheit nach einer Niederlage verwandelte. Denn meine
Mannschaft war trotz einer tollen Leistung in der zweiten Halbzeit, in
der angesichts einiger sehr guter Torchancen gegen das Überraschungsteam
der Saison sogar ein Sieg möglich schien, durch zwei Gegentore in
den letzten drei Minuten plötzlich ins Nichts gestürzt. Sie hatte
verloren und bei mir für einen Moment den Wunsch nach einem theatralischen
Abgang aufkommen lassen. Und, dass es endlich aufhört mit diesen verdammten
Niederlagen. Mit ein paar Tagen Abstand fand ich diese Anwandlung erstaunlich,
denn beim VfL Bochum ist das verlorene Spiel wahrscheinlicher als das gewonnene.
Dazu braucht man nur die Ewige Tabelle der Bundesliga anzuschauen, wo in
31 Spielzeiten knapp 130 Niederlagen mehr als Siege verzeichnet sind; und
bei Niederlagen im eigenen Stadion hatte der Klub seinen eigenen Ligarekord
auf 140 Heimpleiten ausgebaut. Was jammerte ich also herum, wo ich das
Verlieren doch gewohnt bin? Gibt es etwa einen Punkt, wo man der Niederlagen
einfach müde wird, oder was war eigentlich los? (...) Analog zum gesellschaftlichen
Wandel gibt es inzwischen auch in der Bundesliga eine kleine Oberschicht,
eine gesicherte obere Mittelschicht und den vom Absturz bedrohten Rest.
(...) Es gibt für die Bochums und Bielefelds, Duisburgs und Freiburgs
dieser Welt nur noch wenig Aussicht auf große Tage. Sie werden auch
in Zukunft sporadisch bleiben, denn dazu fehlen schicke WM-Stadien, reiche
Sponsoren und ein großes Einzugsgebiet. (...) Das ist gerade für
langjährige Zuschauer schwer zu akzeptieren, weil es früher leichter
war, sich mit Pfiffigkeit und Geschick unter die Großen zu mischen.
Doch zu groß sind die wirtschaftlichen Unterschiede geworden." (taz,
22.2.2007)
Ergänzung
am 26.2.2007
Das Spiel gegen Nürnberg
scheint bei den bekanntesten VfL-Fans tiefe Narben hinterlassen zu haben.
Im KICKER äußerte sich Schriftsteller Frank Goosen ("Liegen
Lernen") über seine Eindrücke. Auszüge daraus möchte
ich Euch nicht vorenthalten
Splitter 3, kicker, 26.2.2007,
Von F. Goosen
"Stell' Dir vor, dein Verein
hat genau 25 gute Minuten in der Saison, und die kriegst du nicht mit.
Ganz so schlimm steht es um meinen VfL Bochum nicht, aber dennoch habe
ich den Eindruck, dass die Mannschaft sehr oft besonders gut ist, wenn
ich gerade nicht hinsehe. Zum Beispiel gegen Nürnberg am 11. Februar.
Die erste Hälfte war die übliche verschnarchte Veranstaltung.
Auch der FCN riss keine Grashalme aus. Nach etwa zehn Minuten in der zweiten
Hälfte legt der VfL plötzlich den berühmten Schalter um.
In einer leidenschaftlichen Kraftanstrengung bestürmt man das Nürnberger
Tor - und ich kriegte fast nichts mit.
Zuerst sah ich mich gezwungen,
das aufzusuchen, was im Ruhrstadion unter dem Begriff "Herrentoilette"
firmiert. (...) Kaum hatte ich wieder Platz genommen, meldete sich der
fünfjährige Thronfolger, der sich einen halben Liter Apfelschorle
einverleibt hatte, mit dem gleichen Bedürfnis, und allein will man
den Jungen da einfach nicht hingehen lassen. Die "Ahs!" und "Ohs!", die
mittlerweile von der Begeisterung der übrigen Zuschauer zeugen, machen
uns ganz rappelig. Bei der Rückkehr stelle ich fest, dass ich beim
Rausgehen vorhin offenbar mein fast volles, auf dem Boden abgestelltes
Bier umgeworfen habe. Das Spiel ist, wie die meisten Spiele dieses Vereins,
nüchtern nicht durchzustehen. (...) Das Personal an der Bierbude
in Block B ist jedes Mal erstaunt, wenn einige der 20.000 Zuschauer plötzlich
vor ihnen stehen und Bier bestellen. (...) Das Gestöhne auf den Rängen
bekommt etwas Sexuelles.
Die Biere werden dankbar
in Empfang genommen - mit den Worten: "Hass echt wat verpasst!" (...) "Papa,
ich muss noch mal aufs Klo", ist nicht das, was ich jetzt hören will.
Also noch mal nach unten gehastet, ausgespackt, gepieselt, eingepackt.
Diesmal sind wir rechtzeitig wieder am Platz - für das Nürnberger
Führungstor. Und das 0:2 kriegen wir auch mit. Spätestens da
wünsche ich mir, wir wären einfach auf dem Klo geblieben. Oder
am Bierstand. Oder auf einer einsamen Insel."
Biermann, der Journalisten-Held, Goosen, olé. Ich muss noch viel, viel lernen... Doch bei zwei Splittern soll es nicht bleiben. Spannend war nicht nur das Spiel selbst. Nein, spannend war auch ein A5-Blättchen, dass ich mir nach dem Abpfiff am Würstchen-Stand vor der Ostkurve schnappte. Jemand hatte es liegenlassen, ich sammelte es auf. Ich fand den Infobrief der von mir so oft kritisierten und nur selten verteidigten Ultras - und die drei Texte geben einen guten Eindruck, wie sich die Ultras sehen, worauf sie achten und was für sie zählt...
Splitter 3, UB-Infoblatt
1. Artikel Durchblick:
"(...) Wer den VfL nicht geil findet, ist selber schuld! Schweres Spiel
auch für uns Fans, da die Nürnberger einen sangesfreudigen Anhang
dabeihaben werden. Also Vollgas!" 2. Artikel VfL-Mainz: "(...) Leichtes
Spiel. Weghauen, drei Punkte, und die Welt sieht schöner aus. Nein,
wir sind Bochum. Wir bauen jeden auch noch so toten Gegner wieder auf und
fabrizieren ein peinliches 0:1 gegen den Tabellenletzten. Hat ja auch was...
Vor dem Spiel kasperten die Mainzer, unterstützt von Duisburgern...
oder waren es Duisburger, unterstützt von Mainzern... vorm Oblomov
rum, aber unsere glorreiche Staatsmacht verhinderte schlimmeres. Knapp
2000 Mainzer bevölkerten dann den Gästebereich und boten ein
Intro mit Luftballons. Auf Bochumer Seite wurden die üblichen Doppelhalter
gezückt. Könnte aber noch mehr sein. Nicht vergessen: Fahnen
in die Kurve, damit die Kurve lebt! Die Stimmung passte sich dem Geschehen
auf dem Rasen an und flachte merklich ab. Mainz feierte den zweiten Saisonsieg.
Gegen wen gabs den ersten? Richtig, gegen den VfL..." 3. Artikel Cottbus-VfL:
"(...) Nach relativ ereignisloser Fahrt wurde gegen halb drei die Landschaft
immer trostloser... das musste Cottbus sein! Eine Stunde bis zum Spiel,
kein Problem. Doch die Staatsmacht hatte anderes vor, und so wurde der
Bus auf einen abgelegenen Parkplatz gelotst, wo es erstmal eine Ansprache
des Bochumer Zivis gab, der sich mal wieder ganz besonders schick gemacht
hatte. Es hätte Vorfälle beim letzten Spiel Cottbus - Gladbach
gegeben, deshalb jetzt die ausführliche Kontrolle unseres Busses.
Wer den Sinn versteht, hat gewonnen... Jeder wurde einzeln aufgerufen,
durfte in die Kamera lächeln, dazu wurde in lustigem Akzent der dazugehörige
Sitzplatz ins Mikro diktiert. Dann aussteigen, Ausweis abgeben, diesen
filmen lassen, aber danach trotzdem nicht wiederbekommen, sich unter blöden
Kommentaren durchsuchen lassen, und vor allem warten... Denn sie hatten
Zeit. Viel Zeit. Und so wurde es nach halb vier, bis es vom entlegenen
Parkplatz losging Richtung Stadion. Dort zehn Minuten später angekommen,
man glaubt es kaum, wurde man endlich mal wieder richtig durchsucht! Schön!
Und so begann das Spiel für einige halt etwas später. Der UB-Haufen
supportete die erste Hälfte gang gut und auch abwechslungsreich durch,
wobei auchmal neueres Liedgut zum Einsatz kam. Der restliche Block hüllte
sich meist in vornehmes Schweigen. Sehr schade, dass noch nichtmal ein
so kleiner Auswärtsanhang es auf die Reihe bekommt, geschlossen zu
singen. Guckt heute mal Richtung Gästeblock und Ihr werdet sehen,
es geht! Das Spiel war eher eins der Marke "Not gegen Elend", und so blieb
mal zwar 2007 ohne Tor, aber auch auswärts ungeschlagen. Die Spieler
kamen brav zum Block, die Sandros und Ronnys in den roten Ordnerjäckchen
nervten und sahen es als ihr oberstes Ziel, Zaunbesteigung zu unterbinden.
Wenn man sonst nichts hat im Leben... es sei ihnen gegönnt. (Blick
in die Kurve Nr. 8, Nürnberg, 11.2.2007)
Die Abkürzungen:
"Oblomov" ist eine Kneipe am Bochumer Ostring - "Staatsmacht" ist die Polizei,
"Support" und "supporten" sind die Fan-Modewörter für Unterstützung
und anfeuern, "Zivi" ist (glaube ich) der begleitende Zivilpolizist oder
ein Fanprojekt-Betreuer, der von den Fans wie ein "Zivildienstleistender"
behandelt und betrachtet wird, "Intro" ist die Choreographie der Fans beim
Einlaufen der Mannschaften.
Bei den "Ultras" zählen vier Dinge: 1. Bei Heimspielen: Wie viele Gäste sind da?, 2. Allgemein: Wie verhalten sich die Fans beim Einlaufen? Welche Choreographie bieten beide Fangruppen?, 3. Wie laut ist es im Stadion?, 4. (ganz wichtig) Wie verhalten sich die Polizisten? Gewürzt wird das Ganze mit negativen Äußerungen über die Gegner (zum Beispiel im Cottbus-Text "trostlos", "Sandros und Ronnys", erstaunlich die Bezeichnung "sangesfreudig" für die Nürnberger). Das eigene Verhalten: 90 Minuten durchsingen, egal, wie das Spiel läuft, beim Einlaufen so viele Fahnen wie möglich schwenken, nach dem Spiel den Zaun besteigen (und - vermutlich - pausenlos "All cops are bastards" und "Fußballfans sind keine Verbrecher" brüllen). Kein einziger Spielername erscheint auf den beiden Seiten, der Trainer wird nicht erwähnt, keine fußballtaktischen Besonderheiten, die Spielverläufe auf zwei bis vier Zeilen beschränkt. Die übrigen eigenen Fans werden scheinbar zum wiederholten Mal nur negativ erwähnt (Cottbus-Text: "noch nichtmal ein so kleiner usw."). Mein Misstrauen gegenüber dieser Fangruppe hat sich nicht geändert, mein Eindruck, die Ultras würden sich als "Fan-Elite" des VfL fühlen, besteht nach wie vor. Naja, auch das Verhalten der Polizisten und Ordner ist kein Ruhmesblatt und die Behandlung der Ultras zuweilen mehr als übertrieben (sie in Cottbus zu spät zum Spiel zu lassen - ein starkes Stück!)... Die wahren Krawalle passierten in Cottbus schließlich im Zug, ich habs live gesehen.
Splitter 4, Nachtrag
Wer mich irgendwann foltern
will, dem sei folgender Tipp mit auf den Weg gegeben: Sorgt dafür,
dass ich erst pünktlich zum Anpfiff im Stadion sein kann. Das führt
dazu, dass ich Grönemeyers "Bochum" zwar höre, aber nur auf dem
Weg vom Parkplatz zum Stadion. Ich stehe nicht mittendrin. So geschehen
am Nürnberg-Sonntag. Dieses Spiel begann wie ein Horrorfilm - und
endete wie einer.
Elf. Wisst Ihr jetzt, warum?
Spruch des Tages
"Was sind das denn für
Töne! Wir sind doch hier im Intellektuellen-Block!"
(Gerd in etwa der 60. Minute,
als Lupo in den Sprechchor "Arbeitslose Hurensöhne, 100 Jahre S'04"
einstimmte - ich gebe zu: Situationskomik, aber wir haben alle seeehr gelacht,
Anmerkung:
Schalke 04 und den 1. FC Nürnberg verbindet eine Fan-Freundschaft)
Bielefelder Glücksgefühle: Drei Punkte auf 'nem Bauernhof
Bielefeld ist und bleibt für den VfL ein sensationell gutes Pflaster. Eine entspannende Autofahrt, ein tolles Spiel, ein treffsicherer Grieche. Macht: 3:1 und Platz 14
Wie immer in Bielefeld: Rauchbomben-Alarm
Ostwestfalen Helaaaf
Endlich mal Sitzplatzfans, die auch richtig mitgehen!
Samstagmittag. Prolog.
Kreisliga-Fußball
kann manchmal ganz schön grausam sein. Mülheim-Styrum, Moritzstraße,
1. FC Mülheim gegen SV Laar 21, 14.30 Uhr Anstoß - und dafür
verpasse ich die Bundesliga-Konferenz! Vor 30 Jahren spielte der FC noch
in der 2. Bundesliga, jaja, das waren noch Zeiten. Seitdem befindet sich
der Mülheimer Fußball in einem Dämmerzustand. Vielleicht
wird's mit dem Stadion anders,
wer weiß. Das Spiel ist eine 90-minütige Quälerei, der
FC setzt sich aus irgendwelchen Gründen mit 2:0 durch und ist nun
sogar Zweiter. Schnell weg. Schnell ... wohin eigentlich?? Okay, zweite
Halbzeit der Konferenz kriege ich noch mit, schnell zu Tina und Helmut
fahren, den MSV-Fans, hab sie lang nicht mehr gesehn. Ich steuere mein
Auto so fix wie möglich über Mülheims Straßen, komme
an in Minute 48. Hinsetzen, abwarten, zwei Tore in Berlin. Mainz gewinnt
mit 2:1. Meine Laune - nach dem Kreisliga-Spiel sowieso ganz unten - sinkt
und siiiinkt und siiiiiinkt... Erst Mainz, dann schlägt Aachen die
Bayern und der HSV siegt in Bremen. KANN NICHT SEIN!!! Wir sind Vorletzter
- und wenn wir morgen verlieren, sogar Letzter. Einsam verharre ich vor
dem TV, als die aktuelle Tabelle eingeblendet wird. Scheiße.
Sonntag. Vor dem Spiel.
Gestern Abend wurds spät.
Oma feierte ihren Achtzigsten. Verwandte aus dem Sauerland kamen, die ich
ewig nicht sah. Danach noch auf einen Absacker ins Schräge Eck, in
den Ringlokschuppen. Super. Heute Bielefeld. Eine Stadt, mit der ich mich
nie arrangieren konnte, obwohl ich eine sensationelle VfL-Auswärtsbilanz
dort vorweisen kann (drei Siege in vier Spielen) und sogar Freunde dort
hatte. Erst einmal arbeiten, den Text zum unsäglichen Kreisligaspiel
gestern Mittag schreiben, wieder über die Bundesliga-Ergebnisse ärgern,
das Auto volltanken, "1000 Tipps für Auswärtsspiele" einpacken.
Es ist heute Auswärtsspiel Nummer 99 in meiner Bundesliga-Karriere.
Das 100. werde ich standesgemäß in einer der schönsten
Städte verbringen. Bremen. In zwei Wochen. 13.10 Uhr, Handy klingelt.
Sam ist dran (Foto siehe unten). Erst ein Spiel hat er sich in der laufenden
Saison angeschaut. Was will der denn? Er sagst mir gleich: Er hat Zeit,
von seiner Frau Nicole frei bekommen und spielt mit dem Gedanken, nach
Bielefeld zu fahren. Wunderbar!! Ich bestelle ihn zum Mülheimer Hauptbahnhof,
Abfahrt 14.15 Uhr, besser zu zweit als allein über die Bahn brettern.
Bielefeld also... grandiose Erinnerungen an das 3:1 vor vier Jahren, als
wir den Klassenerhalt feierten... Zum ersten Mal fahre ich mit dem Auto
dorthin - und, ja, doch, ich bin in dieser Saison etwas bequem geworden.
Kein Gedränge mehr im Regionalexpress, kein halbstündiger Fußweg
vom Bahnhof zum Stadion, begleitet von einer Hundertschaft. Neenee, das
muss diesmal nicht sein. Dabei wäre die Zugfahrt sogar für lau
gewesen. Irgendein Kasper im Vorstand ist auf die Idee gekommen, um das
Spiel herum unter dem Stichwort "Almauftrieb" ein Riesen-Brimborium zu
veranstalten. 600 Zugtickets umsonst, 2000 Schals mit der Aufschrift "Wir
sind Bochum! Wir sind VfL!" werden verteilt, olé! Die Hinfahrt vergeht
schnell. A40 bis Dortmund-West, A45 bis Dortmund-Nordwest, A2 bis Bielefeld-Sennestadt,
über den Ostwestfalendamm zum Stadion. Bahnen leer, nette Unterhaltungen
mit Sam, einen Super-Partkplatz finden, Einparken vor fünf Zuschauern,
herrlich. Um 16.25 Uhr sind wir am Stadion. Der Wachschutz hier in Bielefeld
heißt "Germania" und ich weiß nicht, ob ich der einzige bin,
den das stört. Das Westfalen-Blatt und die Neue Westfälische
sind scheinbar nicht wirklich eine kritische Begleitung der Vereinspolitik.
Beide Blätter zählen zu den Sponsoren und entwerfen sogar das
Stadionmagazin. Bielefelder Welt. Riecht ein bisschen komisch. Sam hat
noch keine Karte und kriegt nur noch eine für den Sitzplatzblock.
Ich werde mich wieder im kleinen Stehplatzkäfig direkt am Spielfeldrand
vergnügen. Dort ist es in jedem Jahr ganz, ganz furchtbar eng, unendlich
laut - aber die Sicht echt mies. Keine Frage: Die Alm (oder welchen Modenamen
sie auch immer haben mag) hat noch etwas Ursprüngliches, diesen klassischen
Fußball-Bundesliga-Charme. Rein ins Gedränge, bekomme noch einen
Stehplatz im Gequetsche, Anspannung steigt. Wir sind Vorletzter, heute
zählt's, ich trage meinen geschenkten Schal, den mir der Fanbeauftragte
Moppel höchstpersönlich in die Hand drückte, und zittere.
Mal vergrabe ich meine Hände in den Taschen meines Ärzte-statt-Böller-Kapuzenpullis,
mal spiele ich an der Digitalkamera herum, schaue mir die auf dem Memorystick
noch nicht gelöschten Fotos aus Cottbus und München an. Dann
blicke ich aufs Feld, überprüfe, ob Koller die Aufstellung geändert
hat (hat er: Maltritz für Drsek), versuche, einige Bielefelder Spieler
zu erkennen (erfolgreich). Ich brülle noch ein paar Mal "V-F-L" oder
"Heimspiel auf dem Bauernhof". Los.
Sonntag. Das Spiel.
Kribbeln am Anschlag. Nichts
könnte mich aus dem Rhythmus bringen, wenn jetzt mein Handy klingelt,
schmeiße ich es aufs Spielfeld, spricht mich gerade einer an? Ich
weiß es nicht. Los. Rauchbombe. Lang nicht mehr gehabt bei einem
Auswärtsspiel, in Bielefeld gehört es wirklich dazu. Unglaublich
eng, keine Arm- und Beinfreiheit. Auf geht's, Bochum schießt ein
Tor. Souveräner Spielbeginn, der Ball kullert durchs Mittelfeld. Minute
drei, Gekas kommt zum ersten Mal an den Ball, unser verhinderter Torjäger,
MACH WAS!!! Gekas zieht - jawoooooolll - Westermann den Ball unglaublich
geil und peinlich durch die Nase... läuft von halbrechts frei aufs
Tor zu, schiiiieß, der Winkel ist doch zu spiiiiitz... durch die
Beine von Hain...
JAAAAAAA!!! JAAAAAA!!!!
Hüpfen, drei Stufen tiefer, zwei Stufen rechts, eine Stufe höher,
abklatschen, umarmen, unglaublich laut, waaaaahnsinnig laut... Gekas läuft
zu uns in die Kurve, 20 Leute springen an den Zaun... JAAAAAAA!!! YEEEEEEEESSS!!!
1:0 für uns! Unfassbar! Unfassbar! Unfassbar!
Führungstore in der
Anfangsphase sind immer die schönsten. Du bist noch so angespannt
vom Einlaufen, freust dich noch irre, dass es los geht - und dann löst
sich die Verkrampfung direkt nach Spielbeginn. Super... "V-F-L!" schallt
es laut, und selbst die VfL-Fans auf der Sitzplatztribüne gehen voll
mit. Wechselspiele wie "Wen lieben wir?" "VfL!" gelingen formidabel. So
kann es weitergehen. Bei Bielefeld hat der Trainerwechsel ja mal gar nichts
gebracht. Ausnahmsweise (kommt bei uns höchst selten vor) hat ein
Verein den Trainer VOR einem Spiel gegen uns gewechselt... Entspannen.
Erste sms schreiben. Ergebnis verbreiten. Kollege Dirk aus München
(Ihr erinnert Euch...) weilte bis gerade beim Zweitliga-Spiel 1860 gegen
MSV Duisburg (2:2) und freut sich nun über meine Nachricht. Ganz,
ganz sauber. Die Führung gibt Sicherheit. Die Minuten verstreichen...
Minute zehn: Der Ball fliegt halbhoch auf Epalle, herrlich weitergeleitet
auf Gekas... Der umspielt Korzynietz, ist WIEDER DURCH... VERSENK IHN!!!
JAAAAAAA!!! JAAAAAA!!!!
Hüpfen, drei Stufen tiefer, zwei Stufen rechts, eine Stufe höher,
abklatschen, umarmen, unglaublich laut, waaaaahnsinnig laut... Gekas läuft
zu uns in die Kurve, 20 Leute springen an den Zaun... JAAAAAAA!!! YEEEEEEEESSS!!!
2:0 für uns! Unfassbar! Unfassbar! Unfassbar!
Zehn Minuten, 2:0! Gibts
doch gar nicht. Bielefeld liegt uns einfach. "Ich hoffe für Dich,
dass Du auf der Alm bist", lautet die nächste sms. Bin ich. Bleibt
es dabei, sind wir Vierzehnter, haben ein Riesen-Ausrufezeichen gesetzt
und mal ganz nebenbei Bielefeld an den Rand des Abgrunds geschubst. Unsere
Jungs spielen echt gut. Sie bestätigen die zweite Halbzeit aus dem
Nürnberg-Spiel. Die Abwehr steht klasse, ein paar Fernschüsse
aus zweiter Reihe semmeln die Bielefelder Wichniarek und Co. erbärmlich
weit daneben. Epalle wirbelt über rechts, vernascht seine Gegenspieler
ein ums andere Mal. Zdebel und Dabrowski: super in der Balleroberung. Hier
kann eigentlich nichts mehr anbrennen. Denken wir alle. 27. Minute. Der
Ball fliegt hoch in den Mittelkreis, Dabrowski will zu unserem Innenverteidiger
Yahia zurückköpfen. Aber... gelingt nicht. Der Kopf-Pass gerät
viel zu kurz, Wichniarek geht dazwischen, überlupft Yahia und schießt
souverän an Drobny vorbei ins Eck! Nur noch 1:2. Das war SOOO unnötig.
Wieder zittern. Kann nicht sein. "Genau wie das bei uns gelaufen ist",
smst MSV-Fan Helmut. Auch Duisburg führte bei 1860 mit 2:0. In der
Viertelstunde vor der Pause schwimmen unsere Jungs. Zdebel und Dabrowski
passen jetzt häufig fehl, die Befreiungsschläge von Yahia und
Maltritz kommen nicht mehr an. Wenn das mal nicht schief geht. Mit einer
2:1-Führung geht es in die Pause. Aufregendes Spiel. Herzinfarkt-Spiel.
Heiser machendes Spiel. Bielefeld... für VfL-Fans eine Reise wert?
"Allein für den zweifachen Torpogo hat es sich gelohnt", funke ich
in die Mülheimer Heimat, ergänze aber: "Ich habe eine böse
2:4-Vorahnung." Und das ist wirklich so.
Beruhigen. 15 Minuten lang.
Mit dem Wiederanpfiff ist dieses unverkennbare Abstiegskampf-Gefühl
wieder da. Existenzangst. Nächstes Jahr Allianz-Arena - oder Wehen?
Auf Schalke oder auf Hoffenheim? Macht was draus, Jungs! Erst einmal passiert
nichts in der zweiten Halbzeit. 51. Minute, kein Handspiel von Zdebel,
trotzdem Freistoß für Arminia an der rechten Sechzehner-Kante.
Riesenproteste von Spielern, Koller, Zuschauern. Gefährlich... das
kann der Böhme bestimmt noch. Er schlägt die Kugel in den Strafraum
- gerettet, puh, durchatmen. Zdebel bekommt außerhalb des Strafraums
die Kugel und spielt sie weiter auf Schröder, der hat viel Platz,
weitergeleitet auf Trojan - astreiner Konter. Trojan passt ganz schwach
in die Mitte, aber Bielefelds Schuler schlägt den Ball nicht aus dem
Strafraum, sondern stolpert. DABROWSKI sagt DANKEEEEE!!! TOOOOOOOOOORRRR!!!
3:1!!!! Meine Vorahnung bestätigt sich nicht. Torpogo gibt es diesmal
nicht, denn das andere Tor ist aus uinserem Käfig kaum zu sehen, der
Jubel kommt bei uns Stehplatzfans erst mit Verspätung an. Dafür
bekommt meine linke Seite einen komplett gefüllten Bierbecher ab,
egal, an einem solchen Tag ist es erlaubt. Das Spiel ist schon nach 52
Minuten gelaufen. Bis zum Schluss spielen wir das Ding locker nach Hause,
feiern uns gegenseitig mit "Humba Tätäräää", "Heimspiel
auf dem Bauernhof", "Arminia im Abstiegsjahr", "Wen lieben wir? VfL!",
"Oh wie ist das schön", "Auswärtssieg! Auswärtssieg!" Chancen
haben wir zwar nicht mehr, aber auch Bielefeld ist erschreckend ungefährlich.
Insgesamt zehn Arminia-Ecken bleiben wirkungslos, nur einmal bei einem
Schuss von Eigler kurz vor Schluss muss sich Drobny richtig strecken. Wir
wechseln dreimal aus, kurz vor Schluss kommt Innenverteidiger Drsek für
unseren einzigen Stürmer Gekas - alles klar, erhöhen will unser
Trainer wohl nicht mehr. Es bleibt beim 3:1!!! YES!!! GANZ WICHTIG!!! Vierzehnter
sind wir jetzt, die Voraussetzungen viel besser. Nächste Woche kommt
Aachen ins Ruhrstadion, dann noch einmal dreifach punkten und wir können
beruhigt nach Bremen fahren. SO WICHTIG!
Sonntag. Rückfahrt.
Wir feiern mit "La Ola",
ich verdrücke für 3,50 Euro ein kleines, kaltes und nicht gerade
wohlschmeckendes Steakbrötchen (Hunger!), warte vor dem Ausgang auf
Sam. "Höchster Saisonsieg! Torflaute nach 407 Minuten beendet!", titelt
der T-Mobile-VfL-Ticker. Das wollte ich lesen. Sam hatte genau wie ich
eine Menge Spaß und sogar eine gute Sicht. Abklatschen, auf dem zehnminütigen
Fußweg zum Auto eine kurze Spielanalyse. Wir bezeichnen unsere Leistung
als "solide", die der Bielefelder als "grottenschlecht". Auf der Rückfahrt
schlaf ich fast ein, mit Erzählungen über die USA unterhält
mich Sam. Ich bringe ihn bis nach Essen-Werden vor die Haustür, trinke
noch einen Absacker (so schließt sich der Kreis) im Schrägen
Eck - dort hängen immer viele Gladbach-Fans ab. Gestern unkten sie
noch, dass sie nur bis Sonntagabend Letzter sind.
Aber was heißt schon
gestern?
Rosenmontag.
Der neue Schal ist eingeweiht.
Ich hänge ihn auf die Gardinenstange, sodass ihn jeder sehen kann,
der an meiner Wohnung vorbeigeht. Er riecht ein bisschen nach Rauchbombe,
ein bisschen nach verschüttetem Bier. Wir sind Bochum! Jawoll! Zum
fünften Mal habe ich mir jetzt gerade parallel zum Verfassen dieses
Textes den DSF-Bericht angeschaut. Gekas hat nicht zwei, sondern schon
zehn Tore heute geschossen... Draußen ist Rosenmontag. Verkleidete
Menschen gehen zum kleinen Mülheimer Zug, im Fernsehen kommentiert
Manni Breuckmann die Düsseldorfer Variante. Mein Karneval war gestern.
Ostwestfalen Helaaaf!!!
Der Mitreisende: Sam! (Foto: Ernst, Archiv)
Bielefeld
Saison 2004/2005:
Arminia Bielefeld - VfL Bochum 1:2 (28.8.2004). Zum Text geht es HIER
!
Saison 2002/2003:
Arminia Bielefeld - VfL Bochum 1:3 (11.5.2003). Zum Text geht es HIER
!
Saison 2001/2002:
Arminia Bielefeld - VfL Bochum 3:0 (7.4.2002). Zum Text geht es HIER
!
Was mich mit Bielefeld verbindet: Ganz klar, fünf Auswärtsspiele des VfL (vier Siege, eine Niederlage), außerdem zwei gemeinsame Urlaube mit dem CVJM Bielefeld in den 90ern. Das führte zu jeweils einem Vor- und Nachtreffen, Begegnungen mit jungen Bielefeldern außerhalb der Freizeiten... mein Bruder hatte mal was mit der Uni zu tun und führte mich rum - also ich kenne mich schon so ein bisschen aus in dieser Stadt...
Die Stadt
Einwohnerzahl: 325.000
Lage: Bielefeld ist der wirtschaftliche und auch der kulturelle Mittelpunkt Ostwestfalens. Die Altstadt hat durch Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg schwer gelitten. Wahrzeichen ist der hohe Turm der Sparrenburg im Süden der Innenstadt.
Geschichte: 1015 wurde Bielefeld erstmals urkundlich erwähnt, 1214 von Graf Hermann von Ravensburg zur Stadt erhoben. Wenig später errichteten die Grafen die Sparrenburg zum Schutz der Stadt. Seit dem Ende des 14. Jahrhunderts war Bielefeld Mitglied der Hanse. 1647 fiel das Ravensburger Land an Preußen.
Sehenswürdigkeiten
Altstadt: Die Bielefelder Innenstadt ist von den Wallstraßen ringförmig umgeben, die an die alte Stadtbefestigung erinnern. Zentrum der Altstadt ist der Alte Markt mit dem Merkurbrunnen. Außerdem in Reiseführern zum Thema "Bielefelder Altstadt" erwähnt: Nikolaikirche, St. Jodokus, Kunsthalle
Außerhalb der Wallstraßen: Die Stadthalle nahe beim Hauptbahnhof dient als Veranstaltungszentrum. Geläufig ist mir außerdem noch der Bielefelder Ringlokschuppen, ein ähnliches Kulturzentrum wie das Pendant in Mülheim. Bei der zu besichtigenden Sparrenburg sind die 300 Meter langen unterirdischen Gänge und der 37 Meter hohe Aussichtsturm besonders beeindruckend.
Bethel: Südöstlich der Sparrenburg erlangte der Stadtteil "Bethel" Berühmtheit. In Bethel gibt es eine Anstalt für Epileptiker und psychisch Kranke.
Universität: Bielefeld war also eine völlig langweilige und bedeutungslose Stadt, durch die nicht einmal ein Fluss seine Bahnen zog (was selbst Bielefelder bemängeln, fragt mal nach - dadurch fehlen so manche romantische Eckchen). Dann kam 1969 die Universität (sie ist also genauso "jung" wie die in Duisburg-Essen, Bochum und Dortmund). Sie hatte im Wintersemester 2006/2007 18.000 Studierende. Im Uni-Ranking von Focus belegte die Uni den zehnten von insgesamt 86 Plätzen, in den Fachbereichen Erziehungswissenschaft und Soziologie sogar den ersten. An der bundesweit einzigen Fakultät für Soziologie arbeiteten unter anderem Norbert Elias und Niklas Luhmann. Das Uni-Leben mit all' seinen Facetten von Bücherläden über Wohnheime bis zur Kneipenkultur macht die Stadt wenigstens etwas spannender. Die Campus-Uni gehört zwar nicht zu den Hübschesten des Landes - und zur klassischen Studentenstadt hat sich Bielefeld auch nicht entwickelt, aber die Stadt ist sicherlich liebenswerter. Übrigens: Zu Fuß liegt die Uni etwa zwanzig Minuten von der Alm entfernt.
Alm: Arminia Bielefeld zählt genauso wie der VfL, Duisburg, Köln, Aachen und Freiburg zu den "gefühlten Anderthalbligisten" (sensationelles Zitat von Jörg Schmadtke) - zu gut für die Zweite, zu schlecht für die Erste Liga. Arminia trägt den zweifelhaften Titel des "Rekordabsteigers" - heißt: keine Mannschaft ist so oft aus der 1. Bundesliga abgestiegen... Also, Historie der "Alm": Der Überlieferung nach soll ein damaliger Arminia-Spieler (Gründungsdatum 1905) nach der Auswahl des Stadionstandorts Mitte der 1920er Jahre bei der Begutachtung der holprigen Baustelle geäußert haben, dass nur noch ein paar Kühe fehlten und man befände sich auf einer Alm... Errichtet wurde die "Alm" 1926. Erst 1957 erhielt der Platz eine Rasendecke und Stehstufenränge. Mit dem ersten Bundesligaaufstieg 1971 wurde eine Sitzplatztribüne geschaffen. Seit 1978 war das Stadion an den drei anderen Seiten von Stahlrohrtribünen umbaut. Das Stadion fasste 34.222 Zuschauer. 1985 wurden Sicherheitsmängel festgestellt - die Kapizität sank (18.500). Mit der Rückkehr in die 1. Bundesliga 1996 wurde das Stadion nach und nach renoviert und ausgebaut, fasst jetzt 26.601 Besucher und heißt "Schüco-Arena". Positiv: Das Stadion liegt in Bielefeld sehr zentral und ist sowohl zu Fuß (30 Minuten vom Hbf entfernt) als auch mit zwei Bahnlinien hervorragend zu erreichen.
Sport in Bielefeld: Außer der Arminia sind mir keine prominenten Bielefelder Sportler oder Vereine bekannt. In Ostwestfalen gibt es viele, viele gute Handballvereine (zum Beispiel TBV Lemgo mit etlichen Weltmeistern) und jedes Jahr ein gut besetztes Rasen-Tennisturnier in Halle/Westfalen. Die "Nachbarn" der Arminia sind der SC Paderborn 07 (2. Bundesliga), Rot-Weiß Ahlen (Regionalliga) sowie FC Gütersloh und Preußen Münster (Oberliga).
Umgebung von Bielefeld
Wer es in Bielefeld nicht mehr aushält (könnte mir schnell passieren), kann sich im angrenzenden Teutoburger Wald erholen oder - ACHTUNG - Ausflüge in die Weltstädte Herford (66.000 Einwohner), Detmold, Bad Salzuflen oder Gütersloh unternehmen. Entfernung zum Ruhrgebiet: Mit Bahn oder Auto etwa anderthalb Stunden.
Zu wenig. Fünf Punkte verschenkt.
Spiele zwischen Bochum uind Aachen sind immer extrem. 90 Minuten zwischen Regen und Sonne, Euphorie und Schubsereien. Das Resultat: Wir fallen von Platz 14 auf 15 zurück
Die Arminia-Schals gabs in Bielefeld für lau - heute kosteten sie einen Tenner!
K's Choice hilft extrem
Erst extrem tiefstehende Sonne...
Erst scheint die Sonne. Dann
regnets. Erst feuern alle an. Dann gibt es Schubsereien. Erst führen
wir 1:0. Es folgt der Ausgleich. Dann führen wir 2:1. Es folgt der
erneute Ausgleich.
Spiel der Extreme.
Bochum.
Sich vor einem Bundesligaspiel
morgens anzuziehen, hat etwas Ritualhaftes. Mein Wohnzimmer wird in dieser
Phase zu einer Umkleidekabine, meine Socken zu Stutzen, meine Jeans zu
einer Fußballhose. Das VfL-Trikot trage ich sowieso. Im Sommer offen,
im Winter drunter. Stelle mir vor, in der VfL-Kabine zu sitzen. Neben Der-spielt-immer-den-Ball-Zdebel
und all den anderen. Koller spricht, der Trainer. Aufstellung, Formation
bei Standards, Taktik, Gegner. Meine Schuhe sitzen wie angegossen. Stollen
haben sie nur in meiner Fantasie. Zuschnüren, aufstehen und rausgehen.
Wichtig ist auffem Platz. Ritual.
Aachen kommt heute. Wieder
einmal müssen wir nach einem guten Auswärtsspiel nachlegen, sicher
bin ich nicht, wie es ausgeht. Wird es wie so oft in meinen 15 VfL-Jahren?
Wenn wir eine Chance haben, uns abzusetzen, verstreicht sie zu 99 Prozent.
Im Auto hin: K's Choice. Believe. 20.000 Seconds. "Cocoon Crash" ist schon
eine gute CD. Egal, wie gut oder schlecht es dir geht; egal, wie aufgedreht
oder deprimiert du bist, diese Scheibe bringt dich ins Erdgeschoss zurück,
führt dich auf eine grüne Wiese, bringt dir eine Sonnenbrille
und lässt dir einen Wind um die Nase wehen. Fühlst dich wie im
New Yorker Central Park, im Boston Common, im Englischen Garten München,
wo auch immer. Halbstündige Ruhe. Es regnet auf der Bahn. Leicht.
14.30 Uhr, Zeitplan optimal
eingehalten, rein ins Stadion. Aachen also, schwarz-gelb. Abstiegskampf.
Beide Mannschaft sind punktgleich, haben die gleiche Tordifferenz, absolut
gleichstark. Eigentlich ein Unentschieden-Spiel. An die Hinrunde
erinnere ich mich nur äußerst ungern. 1:2 verloren, völlig
unverdient, wir waren 88 Minuten lang feldüberlegen. In den beiden
anderen fielen beide Gegentore. Pech. Auf dem anderthalbstündigen
Rückweg habe ich nicht mal Musik gehört. Na gut, nur, weil ich
die "Cocoon crash" nicht dabei hatte. Nur "Believe" hätte meine Laune
noch retten können. Aachen. Immer Spiele der Extreme. Zu Hause zwei
klare Siege (5:0, 5:3), eine haushohe Niederlage vor einem Jahr (1:4).
Auswärts auf dem Tivoli sind wir zweimal aufgestiegen. Die Aachener
Torhüter kommen schon 50 Minuten vor dem Anpfiff zum Warmlaufen, dann
die Feldspieler samt Co-Trainer Erik Meijer, der den Pfiffen des Stadions
mit einem freudigen Winkewinke begegnet.
Meine Jungs sind - bis auf
Sam - alle vertreten. Das Ultra-Blättchen liegt auch diesmal in meinen
Händen, Unterhaltung mit Gerd, er hat nach der Lektüre die gleichen
Eindrücke wie ich. Die "Staatsmacht" zählt, die Choreographie,
was die Gäste-Fans so machen. Siehe oben. Zwei Dinge überraschen
mich diesmal: Mit Fanis (gemeint ist Gekas) wird diesmal sogar ein Spieler
erwähnt, und die Unterstützung aller Fans in Bielefeld gelobt.
Während wir uns darüber unterhalten, wird Zdebel auf der Videoleinwand
gezeigt - auch er lobt die Fans. Hurra. Die "Almauftrieb"-Schals, vor einer
Woche noch für lau, kosten jetzt zehn Euro, als "Fanartikel des Spieltags".
Bravo. Mist, wollte mir noch eine Karte fürs Wolfsburg-Spiel holen.
Verpennt, leider. 15.26 Uhr, "Tief im Westöööhööön"
brüllt Grönemeyer. Gänsehaut auch beim 323. Spiel, Adrenalin,
hoffentlich hört das nie auf. Spüre meine Socken (also die Stutzen),
meine Jeans (also meine Fußballhose). Habe die Videofunktion meines
Handys entdeckt. Ab der letzten Strophe (ab "Du bist das Himmelbett für
Tauben") zeichne ich die Atmosphäre live auf - damit ich etwas greifbar
habe, falls ich einen Euphorieschub brauche, gute Laune, Gröltherapie.
Die Sonne steht tief. Ganz
tief. Im Westen. Zdebel gewinnt die Seitenwahl. Zuerst spielen wir auf
unsere Kurve, damit Drobny nicht in die Sonne schauen muss. Warm ists.
Vermisse meine in Köln/Bonn verloren
gegangene Jacke kein Stück. Das Spiel ist - selbstverständlich
- ausgeglichen. WIr sind zwar ganz leicht feldüberlegen, aber noch
nicht zwingend genug. In Minute 26 stürmt Bönig über links
auf und davon. Die Sonne ist inzwischen hinter dicksten Wolken verschwunden,
egal. Flanke auf den zweiten Pfosten, suuuper, wusste nicht, dass der Bönig
so etwas kann, Dabrowski köpft den Ball zurück an den Fünfmeterraum,
Gekas steht völlig frei und machts per Flugkopfball. SUPER herausgespielt,
GROSSER Jubel, eine FÜHRUNG, das ist das, was wir brauchen. Tanzeinlagen
auf der Tribüne während der "Sirtaki", laute "Gekas! Gekas! Gekas!"-Rufe,
herrlich. FUSSBAAAAAALLL!!! Halten. Das 1:0 bloß halten. Selbstverständlich
klappt das nur ein paar Minuten lang. Bönig verstümpert links
hinten erbärmlich den Ball, Aachens Rösler lupft den Ball aufs
Tor, aber so schwach, dass Drobny den Ball sicher halten MUSS. Hey, den
halt ICH sogar. Doch Drobny lässt die Kugel fallen, Fehler, Ibisevic
staubt ab, 1:1. Da deutete NICHTS drauf hin. NICHTS! SCHEISSE!!! Stadionkumpel
Gerd erhält eine sms von einem Kumpel, der arena in der Bochumer Bar
"Threesixty" guckt. "Kauft euch endlich einen vernünftigen Torwart",
steht drin. Spott. Zurecht. Pausenpfiff 1:1. Gleich beginnts zu regnen.
Die Aachener kommen schon
nach acht Minuten wieder auf den Platz, Erik Meijer spricht mit jedem Spieler
(was hat der Frontzeck eigentlich für eine Funktion? Prügelknabe?).
Jeder im Stadion weiß: Jetzt ist Abstiegskampf. Es nieselt, regnet,
Wind, heftig, selbst wir in der überdachten Ostkurve werden nass.
Jede Grätsche endet erst nach zwanzig Metern, es macht jedem Spieler
richtig, richtig Spaß, das ist zu sehen. Ecke für uns, kurz
ausgeführt, Misimovic auf Trojan. Flanke in den Strafraum, abgewehrt,
Epalle steht am Sechzehner, undurchsichtig, doch plötzlich zappelt
das Netz! TOOOOOR! 2:1! Epalle jubelt, feiert mit einem Handstand-Überschlag
und Salto hintendran. Die Aachener protestieren wegen einer angeblichen
Abseitsposition, der Schiri gibt das Tor. Schalalalalalalalala!! Halten!!!
52. Minute. Es regnet und regnet und regnet. Vier Minuten später der
Schock. Auf einmal steht Lehmann 20 Meter vor unserem Tor ganz frei und
schlenzt den Ball an den rechten Innenpfosten, halbhoch. Drin. Wieder Jubel
gegenüber. SCHEISSE. Kann nicht wahr sein. Aachen stürmt weiter.
Zwei Minuten später köpft Dum an die Latte. Glüüüüüück!
Wechselbad geht weiter,
Stimmung ist überall aufgeladen. Auf dem Zaun hat sich außer
dem Megafon-Mann noch ein zweiter aus dem Ultra-Umfeld postiert. Er wird
etwas belächelt und provoziert. Auf einmal steigt er ab vom Zaun und
will sich mit einem älteren Fan aus meinem Umfeld prügeln. Provokationen,
Schubsereien, schlichten, ein Ordner kommt. Mittlerweile ists wieder trocken,
auf dem Rasen passiert nur noch wenig, beide Mannschaften sind scheinbar
zufrieden mit dem Punkt. Abpfiff, aus, vorbei, zweimal in Folge ungeschlagen,
doch was heißt das schon? Hamburg gewinnt, Mainz gewinnt, Cottbus
gewinnt. Wieder nur auf Platz 15.
In einer leisen Vorahnung
sage ich direkt nach dem Abpfiff: Das war's.
Schnell flüchte ich
aus der Kurve. Wieder nicht nachgelegt. Brause über die A40. Höre
K's Choice. I'm not an Addict. 20.000 Seconds. Etwas umgedichtet: "20.000
Seconds since I left and I'm still counting." Flüchte in den Central
Park. Zu Hause, während der Sportschau, weicht die Skepsis wenigstens
etwas Realität. Wenn wir absteigen, sind wir erstens zu Hause abgestiegen
(zu viele Spiele verloren) und zweitens gegen Aachen. Fünf Punkte
verschenkt!! FÜNF!! Die können fehlen. Am Ende. Umkleidekabine
Wohnzimmer. Hole die Mineralwasser-Flasche, kippe sie mir ins Gesicht.
Schnüre die Schuhe auf, ziehe das Trikot aus. Lege meinen Kopf in
beide Hände. Bin traurig. Unentschieden.
Noch ist's nicht vorbei.
Fünf Spiele müssen wir noch gewinnen. Höchstens. Nächste
Woche in Bremen wirds wohl nichts, unsere schwarze Serie dort - noch nie
gewonnen in drei Jahrzehnten - kennt schließlich jeder. Für
mich ist es das 100. Auswärtsspiel meiner VfL-Karriere. Hundertmal
reisen, hundertmal Gästekurve, hundertmal Kontrollen, hundertmal Polizisten,
hundertmal den VfL repräsentieren.
Ich freu mich drauf.
... dann sintflutartiger Regen! Wetterkapriolen innerhalb von zwei Stunden!
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