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VfL Bochum - Alemannia Aachen 1:4 (18.11.2005)
Noch zu viele Spiele bis zur 1. Bundesliga !
"25 Jahre alles falsch gemacht", sagte er unmittelbar nach dem 0:3
Wake me up when November ends
Pause in Bochum: Wemmserei unten, Tanzmäuskes im Hintergrund
In der 308 stehen sich zwei
Personen gegenüber. Der eine ist ungefähr 1,70 Meter groß,
trägt einen Vollbart und hat nicht mehr viele Haare auf dem Kopf.
Die Frisur erinnert stark an George aus "Seinfeld". Der andere wirkt erheblich
jünger, um die 40, trägt eine Brille, ist 1,80, aber sonst aufgrund
einer VfL-Mütze und eines VfL-Schals kaum erkennbar. In meine Finger
kehrt langsam, ganz langsam das Leben zurück. Es ist kalt in diesen
Tagen. Und die Beiden unterhalten sich über Goa. "Also wenn ein Ort
auf der gesamten Erde das Paradies ist", sagt der Rentner. "Dann ist es
Goa." Die Fahrt vom Ruhrstadion bis zum Hauptbahnhof dauert drei Minuten.
Nur drei Minuten. Aber es sind die drei Minuten, in denen die große
Enttäuschung des ganz miesen Spiels wie ein Fliegenschiss erscheint.
Der Rentner erzählt von Goa, von Sri Lanka, von Syrien, der Türkei,
von Reisen, Sonne, von seiner Scheidung, von gekauften und wieder verscheuerten
Halbedelsteinen. Ausflüge in eine bessere, schönere, sonnigere
Welt.
Bei "Mc Chicken" bestelle
ich einen Chickenburger XXL. Essen, quatsch fressen gegen den Frust. Nach
und nach betreten Alemannia-Fans den Laden, bestellen ebenso die Menüs
und brüllen fortwährend "Auswärtssieg! Auswärtssieg!",
und es ist ihnen nicht einmal zu verdenken. Ich blicke mich um, sehe in
die Gesichter der Angestellten dieses Fast-Food-Restaurant-Verschnitts
und beschließe, dass dieser Laden nicht einmal annähernd die
City-Grill-Nachfolge-Kriterien erfüllt. Im Stadion, vor einer halben
Stunde, da habe ich einen vor mir stehenden ganz alten Ur-Bochumer gefragt,
ob der City-Grill irgendwo wiedereröffnet hat. Er wusste es nicht.
Schlechte Karten. Das Telefon klingelt. Am anderen Ende meldet sich die
Stimme, die den Rest des bisher so verkorksten Abends retten will. "Harry
Potter und der Feuerkelch" ist mit ein paar Leuten angesagt, im Cinemaxx
im Rhein-Ruhr-Zentrum. Beginn 22.30 Uhr, Treffpunkt kurz davor. Ein Ausflug
in die Fantasiewelt von Hogwart's. Die Suche nach einem Zaubertrick gegen
miese Fußballfan-Laune. Der Chickenburger ist gar nicht einmal schlecht.
In der S-Bahn treffe ich
Tobias, den einst anonymen Briefeschreiber, und noch so einen Typen, der
immer mit Straßenbahnfahrer Stephan abhängt. "Wo is'n der Stephan?"
"Ach der Stephan, der ist noch in der Kneipe und trinkt zwei, drei Pilschen.
Wir sind schon während des Spiels dahin gegangen. Nach dem 0:3 hatten
wir keine Lust mehr. Ich wär auch geblieben, muss aber zu einer Party
nach Essen-Eiberg." Der Stephan trinkt. Nur so ist das eigentlich zu ertragen.
Ein Blick auf die Tabelle. Einmal 1:4 verloren, schon geht es runter von
eins auf fünf. Dirk aus München, der gerade von seiner Hochzeitsreise
aus Australien zurückgekehrt ist, will Ergebnis und Spielverlauf wissen.
"Ganz schlimm! 1:4, Prügeleien in der eigenen Kurve, Feuerzeuge gegen
die eigene Mannschaft. Welcome back in Germany! Schönen Abend wünscht:
Koller Raus" tippe ich mit meinen aufgetauten Fingern auf der kleinen Handy-Tastatur.
Gerd meldet sich, der Stadionkumpel, der seit ein paar Monaten nicht mehr
da war. Er saß während des Spiels im Flieger nach Bangkok. Da
wäre ich auch gern. Am Essener Hauptbahnhof steige ich aus, ziemlich
früh für meine Verhältnisse. Noch eine halbe Stunde bis
zu Harry Potter, Hagrid, Hogwarts, Hermine. Eine halbe Stunde bleibt zur
Spielanalyse, eine halbe Stunde, in der ich im Keller des Hauptbahnhofs
auf die U18 warte.
Es fängt so gut an.
19 Uhr am Freitagabend, das hat Vor- und Nachteile. Vorteil ist natürlich
eindeutig das Fluchtlichtspiel-Feeling, Nachteil ist die frühe Zeit.
Heute bin ich pünktlich aus der Redaktion und stehe bequem unter 21.000
Zuschauern in der Ruhrstadion. Zwei Wochen hat unser Trainer Zeit gehabt,
um unser ins Stolpern geratene Topteam auf richtigen Formkurs zu bringen.
Skov-Jensen steht im Tor, der Mann, der aussieht, als würde er jeden
an der Theke unter den Tisch trinken. Und auf Grote setzt er, links offensiv.
Das ist ja mutig. Von unseren fünf Bochumer Galionsfiguren van Duijnhoven,
Colding, Zdebel, Meichelbeck und Wosz spielt keiner. Egal. Wir sind auch
so gut genug. Sam und Nicole kommen unmittelbar vor dem Anpfiff, auch der
witzige Fanklub, in dessen Mitte ich mich stets aufzuhalten pflege, ist
komplett vertreten. Die Weichen für einen erfolgreichen und obendrein
witzigen Zweitliga-Abend sind gestellt, eindeutig. Anpfiff, 61 Sekunden
später, 0:1. "Frei, freier, Meijer", spottet MSV-Fan Helmut per sms.
Was für ein saublödes Tor. Alle schlafen und schon ist es passiert.
"KOLLER RAUS!", brüllt derjenige, der dieses Ritual seit dem ersten
Heimspiel pflegt. Und hintendran: "Wir ham den schlechtesten Trainer! SCHLECHTESTEN
TRAINER!" Diesmal widerspricht niemand. Abwinken. 14. Minute, Reghecampf
frei, 0:2. Entsetzen. "Wir wollen Euch kämpfen sehen! Wir haben die
Schnauze voll!" Und die nächste sms: "Willkommen in der Krise!" DARIUSZ!
DARIUSZ! wird gefordert und DARIUSZ! kommt in Minute 34. Halbzeit 0:2,
eine Halbzeit, die unter die Kategorie "Arbeitsverweigerung" fällt.
Das 0:4 auf St. Pauli war ein Ausrutscher, das 1:1 gegen Paderborn Pech,
das 0:3 in Siegen die erste Krise in der Liga. Jetzt wird aus dem Ganzen
aber ein Trend und alle in der Ostkurve erinnern an sich die drei knappen
1:0-Erfolge. "Da hatten wir doch auch den Papst in der Tasche! Stellt Euch
vor, ohne die drei späten Tore hätten wir sechs Punkte weniger",
sagt jemand, als der Schiedsrichter zum Pausentee bittet. Ein fürchterlich
lautes Pfeifkonzert. Was ist bloß los? Was ist mit den Spielern?
Was ist mit Koller, dessen Nagelprobe ganz schön nach hinten losgeht?
Was ist mit dem Wetter los, das uns ganz übel kalte Temperaturen beschert?
Und was mit uns panikmachenden Fans? Was ist los mit uns? Hat die letzte
Saison solche Nachwirkungen? Als wir alle uns zu lange zu sicher und zu
gut fühlten? Dieser verdammt unnötige Abstieg? Unten bei den
Ultras geht es rund. Ein paar Leute vermöbeln sich, in der eigenen
Kurve. Schlimme Sache das. Lupo kommt wieder, einer aus dem Fanklub, der
um mich herum steht. Lupo erzählt von einer weiteren Schlägerei
irgendwo in den Katakomben. Die Nerven liegen blank.
Zweite Halbzeit, hoffentlich
wird es besser, die Stimmung ist kaum noch zu ertragen. Und das bei einer
Mannschaft, die wochenlang an der Tabellenspitze stand! Aachen, wie es
singt und lacht, Bochum, wie es zusammenkracht. Fünf passable Minuten
mit zwei Riesenchancen macht Plaßhenrich bei einem Eckenkonter der
simpelsten Art zunichte. Ganz einfach lässt sich unsere Abwehr vernaschen,
0:3, die Entscheidung. Aachen spielt clever, offensiv und nutzt unsere
Fehler gnadenlos, gnadenloser, am gnadenlosesten aus. Pfiffe, laute Pfiffe,
Feuerzeuge, Becher fliegen. "Williiiiiiiiii" wird gefeiert, die landgrafende
und sich warmlaufende Aachener Kultfigur. Diskussion über die schlechtesten
Heimspiele, die wir im Ruhrstadion gesehen haben, wieder einmal. "Und wieder
stellen wir fest", sagt einer aus dem Fanklub. "25 Jahre alles falsch gemacht."
Imhof verkürzt auf 1:3, aber niemand jubelt. Noch zwanzig Minuten,
geht noch was? Edu, die personifizierte Verunsicherung, steht zwei Minuten
später FREIIII, hat alles auf dem Fuß und scheitert kläglichst.
Die letzte Chance vertan, das war's. Schlaudraff darf sich beim 4:1 die
Ecke aussuchen und schießt die Laune total in den Keller. Desolat.
Peinlich. Kein System. Kein Selbstvertrauen. Nur Sicherheitsfußball.
Keine Abstimmung in der Defensive. Null Torgefahr. Arbeitsverweigerung.
Ohne Zdebel bricht alles auseinander. "Koller raus!" brüllt der Koller-raus-Mann
und einige stimmen ein. "Wen holen wir denn jetzt? Also ich bin für
EDE GEYER!", sagt Lupo. Aua. Geyer. Aua. Die meisten verabschieden sich
von Koller. Kurz vor dem Abpfiff schubst ein Erwachsener eine 12-Jährige
aus nichtigen Gründen. Wieder ein Handgemenge in der eigenen Kurve,
das dritte heute. Ganz schlimme Stimmung. Sam muss schlichten. "Das war
mein letztes Heimspiel für eine lange Zeit", sagt er. In der Hinrunde
hat er keine Lust mehr, bis einschließlich April verbringt er dann
aus beruflichen Gründen seine Zeit in Brasilien. Keine Lust mehr.
Schlimm. Abpfiff. Die Mannschaft kommt, um sich für die nicht vorhandene
Stimmung zu bedanken. Und sie erntet nur ganz laute Pfiffe, Tausende Stinkefinger
und einige Feuerzeuge. Wosz schmeißt sein Trikot ins Publikum, "Dariusz!"-Rufe,
nur ein paar. Und der Rentner in der 308 erzählt von Goa.
Angekommen. Rhein-Ruhr-Zentrum.
Die Erinnerungen verdrängen. Den Abend vergessen. Andi, es war nur
ein Fußballspiel. Nur ein kleines, schäbiges, mit 1:4 verlorenenes
Fußballspiel. "Zweite Liga, tut schon weh", wie wahr, dieser Sprechchor.
Ich fliehe aus der Kälte in die Zaubererwelt. Will aus dem November
entfliehen, dem Monat der fußballerischen Enttäuschung. Oder,
um es mit Green Day zu sagen:
"Wake me up, when November
ends".
Halbzeit - endlich!!! Noch 17 Spiele bis zur 1. Bundesliga !
Ochsen kommen ins konsequent leer gespielte Ruhrstadion und gewinnen fast sogar
Micky Maus, Weihnachten und der VfL
Und Andi... wie war das
Wochenende? Warste im Freeland oder was?
Genau, Freeland. Freitagabend,
um kurz nach halb eins dort gewesen, am Anfang sogar mit erstaunlich rockigen
Klängen. "Summer of 69", "Like the way I do" und so'n Kram, bevor
es dann wirklich mit der richtig typischen Wumm-Wumm-Wumme losging. Hab
da so ein paar Leute getroffen. Ein paar, die immer da sind, ein paar andere
Strategen, lange nicht gesehen, voll dieses Mal, irgendwie. Also der Laden
und die anderen, nicht ich, ihr wisst ja alle, Anti-Alkoholiker, straight
straight straight und so.
Samstag? Wilde 30?
Nee, nicht 30, wilde, sondern
Schneider, Helge. Ach ja, was für ein Mülheimer Pflichtprogramm.
Weihnachtskonzert mit Helge, da sind immer 1000 Leute in der Stadthalle.
Helge kam auf die Bühne, und sagt gleich zu Beginn "Tschüss",
so wie man es von ihm erwartet. Dann als erste "Katzeklo, Katzeklo, ja
das macht die Katze froh, Katzeklo, Katzeklo" undsoweiterundsoweiter. Eine
Pause zwischendurch nach einer Stunde, Sergej, ein total durchgeknallter
Tänzer, "Meisenmann" singen im Duett mit Udo Lindenberg, Helge-Situations-Komik,
Helge-Stimme, Helge, lachen, lachen, lachen, klatschen, Helge!! "Jetzt
bist Du zu Hause", hat einer zwischendurch gerufen und Helge hat spontan
improvisiert. Yeah. Einen WAZ-Text über dieses Konzert zu schreiben,
das ist wahrlich nicht leicht. Helge-Konzerte bestehen fast einzig und
allein aus Helge und sind aufgeschrieben nicht witzig. Arme WAZ-Kristina...
aber sie wird das schon gut gemacht haben.
Ja, also nur Helge am
Samstag oder was?
Neenee, quatsch, danach
noch bei nem Kumpel, Helge ging bis 23 Uhr, also sehr lang, der war in
Laberlaune diesmal, also danach zu nem Kumpel ins Dichterviertel, Boxen
gucken. Valujew gegen Ruiz, der eine so groß wie King Kong, der andere
klein, sehr klein. Naja, der Kampf war so langweilig, dass mir nur noch
das homersimpsonsche "Boooooooooring" entwich. Irgendwann riefen wir dann
Helmut an - klingt ganz nach Westernhagens "Grüß mir die Genossen"
- unseren Stamm-Taxifahrer und bretterten mit fünf Mann in einem Vier-Mitfahrer-Taxi
Richtung Ringlokschuppen. Richtung Wilde 30. War ein netter Abend, doch,
dauerte bis vier Uhr ungefähr oder später, weiß es nicht
so genau, hab nicht mehr auf die Uhr geschaut. Naja, die Musik war nicht
allzu alt, aber auch nicht ganz modern. Auf die Strokes, Mando Diao, Franz
Ferdinand, die Kings of Leon, Green Day, Adam Green, Kaiser Chiefs, Beatsteaks
habe ich mehr als vergeblich gewartet, aber New Model Army, Depeche Mode
und Co sind ja auch was Feines. Einige Sportler gesehen, von Hockeyspielern
bis zu einer kompletten Frauen-Handballmannschaft. Wilde 30 eben.
Schon was vor an Weihnachten?
Aber sischer doch. Nächste
Woche noch zur Uni gehen, ein paar Veranstaltungen, von Heine bis zu Wittgenstein.
Sportjahrbuch
ist erschienen, Sportmagazin folgt in den nächsten Tagen, im Fußball
ist Winterpause. Der 24. fällt auf einen Samstag, da gehe ich wie
immer mit ein paar Leuten in den Ringlokschuppen, das ist in Mülheim
eine gute alte Weihnachtstradition. Wird zwar immer jünger das Publikum,
aber egal. Noch fühle ich mich zugehörig. Am 1. Feiertag geht
im Starclub die Schifferhaus-Revival-Party ab. Mal schauen. Aber auf die
Familien-Zusammentreffen freue ich mich natürlich auch sehr, sehr,
sehr.
Fußball. Du hast
Fußball erwähnt. Was macht eigentlich der VfL?
Oh weh, auf jeden Fall keinen
Spaß. Freitagabend, Spiel gegen Unterhaching. Wie immer eine 90-minütige
Quälerei. Sechster Heimsieg in dieser Saison, der fünfte mit
1:0. Und die Minutenzahlen der Tore: 75., 86., 88., 89. und 93. Alles seeeehr,
seeeehr langatmig und das gegen Gegner wie HACHING! Ich buchstabiere: H
A C H I N G ! Stell dir das vor: Du stehst dir die Beine in den Bauch,
haderst, weil du eine Weihnachtsfeier mit tierisch leckerem Essen einfach
nur überflüssigerweise drangegeben hast und siehst einen solchen
Scheiß. Von deinen Stadionjungs ist auch keiner gekommen, insgesamt
sind 11.000 nur da, so wenige wie seit vier Jahren nicht. "Es sind geschätzte
drei Zuschauer im Stadion", simste ich zwanzig Minuten vor dem Anpfiff
an einen Kumpel. Lupo tauchte dann noch auf, wenigstens einer meiner entfernt
bekannten Stadionkollegen. Und der Professor, der jedes Spiel besucht,
der selbst nach Burghausen fuhr und dort eine Nacht verbrachte. Der Professor
jedenfalls, vom Sehen ist er mir auch seit unendlichen Jahren geläufig,
ihn zu begrüßen, ist fast schon ein Privileg in meiner Ecke
der Kurve.. Lupos Freunde vom Fanklub wasweißich - auch nicht da.
Keiner will sich Haching angucken. Firmen-Weihnachtsfeiern, im Verein und
wo auch immer - alles wichtiger heute. Nur nicht für den kleinen dusseligen
Andi. Die, also unsere, haben in der Hinrunde das Stadion komplett leer
gespielt. "Meine Güte ist das eine Micky-Maus-Liga", hat Lupo zwischendurch
gebrüllt und seitdem ist "Micky-Maus-Liga" mein Lieblingswort, um
die laufende Zweitliga-Saison zusammenzufassen. "Und die Ochsen", keifte
Lupo danach in Richtung Hachinger Spieler, "und die Ochsen haben fünfmal
hintereinander gewonnen" Soviel Statistik war mir gar nicht geläufig,
die zweite Liga ist und bleibt mir eben total egal. Genug Chancen hatten
wir übrigens, Misimovic verballert freistehend, van Hout auch, Edu
und weitere. Doch wenn ein Hachinger kurz vor Schluss beim gefühlt
einzigen Torschuss nicht nur die Latte trifft, dann verlieren wir das noch.
Stell dir das vor: Deine Mannschaft steht im Winter sicher auf einem Aufstiegsplatz,
und doch wendet sich ein Großteil gegen den Trainer. Das Tor hat
übrigens der Grote gemacht, kurz vor Schluss, na klar.
Und wie gehts 2006 weiter?
Wir steigen auf, wir steigen
ab und zwischendurch UEFA-Cup - das wolltest du doch hören, oder?
Noch 16 Spiele bis zur 1. Bundesliga !
undund
Warum habe ich eigentlich
keinen Elfmeter fotografiert? Naja, die Winterpause hat wohl auch bei mir
Spuren hinterlassen!?! Bin wohl aus der Übung...
Dauert's noch lang?
Everything counts
Ganz allein sitzt er in seinem
Vierer-Abteil. Er ist, lasst mich mal schätzen, Mitte 50, vielleicht
auch schon im Renten-Alter. Die S-Bahn ist überfüllt, und das
am Sonntagmittag auf dem Weg von Düsseldorf nach Dortmund. Man, so
kurz vor Bochum-Ehrenfeld fängt sie an zu schleichen, und langsamer
und langsamer. Mach hiiiiiiiin, ist gleich Anstoß, Winterpause vorbei,
FUSSBALL FUSSBALL FUSSBALL, dann geht die Saison endlich dem Ende entgegen,
endlichendlich!! Ganz eindeutig liegt die längste Halbserie der Vereinsgeschichte
hinter mir und den anderen VfLern. Mach hiiiiiin, du S-Bahn, noch zwanzig
Minuten bis zum Anpfiff. Zeit, um in der Bahn zu schauen - und da, da ist
er. Ganz allein im Vierer-Abteil. Keiner mag sich zu ihm setzen, weil er
so nach Alkohol riecht, weil er so dreckige Klamotten trägt. Und weil
er brabbelt. Er erzählt in einer Tour von einem Prozess, von einem
Günter Raudi... Raudieen... Raui.. was weiß ich. Also entweder
war er damals der Rechtsanwalt und hat den Prozess verloren; oder er war
das Opfer... armer Kerl jedenfalls. Arm. Mach hiiiiiiiiiiiin!
Es sind die Tage der Depeche-Mode-Konzerte
in Düsseldorf. Es sind die Wintertage Deutschlands, die Tage, in denen
Russlands Rekordkälte nach NRW hinüberschwappt, und - ja - doch
ein bisschen auch nach Bochum. Endlich, S-Bahn ist da, der Günter-Kläger
bleibt sitzen, er tut mir leid, irgendwie. FUSSBALL, Rückrunde, freu
dich Andi, freu dich. Ich brauche diesmal keinen CD-Player, um "Personal
Jesus", "Enjoy the silence", "Never let me down again" und "Everything
counts" zu hören. Die Songs laufen sowieso den ganzen Tag in allen
möglichen Radiosender. Schnell noch zur 308 sprinten in Richtung Ruhrstadion,
und über die Titel nachdenken. Enjoy the silence, die Ruhe genießen,
naja, ruhig war's leider viel zu oft in der Hinrunde, die haben aber auch
oft sehr, sehr schwach gespielt. Never let me down again; never nie, let
lass, me mich, down runter, again wieder. Nie lass mich runter wieder.
Hä? Everything counts. Alles zählt. Alles. Jedes Spiel. Günter
Raudi... Raudieeen... Rauin... zählt!
Gerd ist im Stadion. Zuletzt
haben wir uns monatelang verpasst. Er hat zuletzt nur das Spiel gegen Aue
gesehen - ich nicht. Ich wiederum war gegen Aachen und bei den zahlreichen
1:0's live zugegen (obwohl ich es in nicht wenigen Momenten bitter bereut
habe). Jetzt ist Gerd jedenfalls da, trägt eine richtig schäbige
Mütze, mit der er ein wenig so aussieht wie Armin Mueller-Stahl in
"Night on Earth" als Taxifahrer Helmut Grokenberger - einer der witzigsten
Sequenzen, die ich so in Filmen kenne, by the way. Kalt ist's immer noch,
und wir reden über Urlaub. Gerd erzählt von Kambodscha, er war
gemeinsam mit seiner Frau unter anderem in Phnom Penh und Angkor Wat. Und
Thailand haben sie auch bereist. Bangkok, genau, das waren noch Zeiten.
Und Freund Sam, den werden wir wohl erst im April wieder im Ruhrstadion
sehen. Er hat längst seine Reise nach Sao Paulo angetreten, liegt
dort bei 30 Grad am Strand, sichtet neue Talente. Schöne Grüße
Sam! "Da fällt er nicht einmal auf", sagt Gerd, und - ja, doch - ein
bisschen Wehmut ist seiner Stimme zu entnehmen. Wehmut, Sehnsucht, Fernweh...
Ich erzähle ein wenig von Vietnam, von besseren Zeiten, von meiner
Suche nach einem geeigneten Urlaubsziel für 2006. Wird eigentlich
noch Fußball gespielt heute? Und wo ist wohl der alte, besoffene
Rechtsverdreher ausgestiegen? Ja, doch, irgendwie tat er mir schon leid;
zwanzig Minuten ausgestiegen und noch immer muss ich an ihn denken. Hätte
ich ihn ansprechen...? Nee, es wäre sinnlos gewesen.
"Zwei Farben - eine Leidenschaft"
haben die Ultras auf ein Plakat gepinselt, und manmanman wie verachte ich
diese 2. Bundesliga. Das ist von Heimspiel zu Heimspiel eine schlimmere
Beleidigung meiner Augen. Eine Katastrophe, was sich unsere Gegner da zusammenspielen
und heute habe ich sogar richtig Mitleid mit unseren Jungs und verzeihe
ALLES. Die Saarbrücker sind ein Gegner der "sowas von schlecht"-Sorte
und von Beginn an besteht kein Zweifel, dass wir das Ding mit drei, vier,
fünf Toren Differenz einfahren. Imhof macht das 1:0, Edu und Maltritz
zweimal per Elfmeter das 2:0 und 3:0, und Koller hat massig Varianten.
Wir sind zweite Liga und können es uns erlauben, Leute wie Bönig
und Diabang auf die Tribüne zu setzen. Genau der Bönig, der vor
zwei Jahren noch im "Team 2006" spielte; der unser Stamm-Linksverteidiger
beim UEFA-Cup-Einzug war. Pallas spielt für Colding, Meichelbeck für
Butscher, China für Misimovic und Wosz und vor allem Bechmann für
van Hout. Was sind DAS für Entscheidungen? Wobei... eigentlich spielt
doch sowieso der Zdebel ganz allein, die anderen sind nur zur Zierde auf
dem Platz.
Wie auch immer. nicht zu
viel der Fußball-Fachsimpligkeiten (Spitzenwort, das), ist schließlich
noch früh im Jahr... Ich will lieber über Vietnam reden, Hanoi,
Ha-Long-Bucht. Eine Arbeitskollegin von mir ist grad dort. Wie gern hätte
ich den Live-Ticker in irgendeinem Internet-Café in der Sonne verfolgt?
Höhepunkt ist die Einwechslung von Fabio Junior, jenem Stürmer,
der einst für 15 Millionen Dollar aus Brasilien zum AS Rom wechselte.
15 Millionen und jetzt beim VfL! "Wahrscheinlich stellt sich raus, dass
der eigentlich Torwart ist; bei unserem Glück mit Brasilianern", sagt
jemand hinter mir. In Minute 66 kommt Fabio rein, in Minute 77 gibt's Elfer,
und die ganze Kurve brüllt "JUNIOR! JUNIOR!" - und wer schießt?
Maltritz! Wohl zum ersten Mal in der Profifußballgeschichte Deutschlands
pfeift das halbe Stadion bei einem Elfer für die eigene Mannschaft
beim Stand von 2:0...
Lasst uns das Spiel vergessen.
Es bleibt die Gewissheit, dass wir in 16 Spielen wieder erstklassig sind.
Sechs Punkte Vorsprung, das ist okay. Es bleibt der Gedanke an den Typen
in der S-Bahn, an die Sonne in Südostasien. Depeche Mode würde
ich gerne sehen in diesem Jahr. Rock am Ring kommt ja noch. Everything
counts. Trallala.
Noch 14 Spiele bis zur 1. Bundesliga !
Erst das: dann das: und schließlich - 3:0 !
Ein Abend, an dem ich mein Ehe-Gelübde ein klitzekleines bisschen bereue. Wann ist es endlich vorbei?
Mitten im Spiel: Das Flutlicht brennt, sonst nix...
Pflichtübung
Die sms' aus dem Hinspiel
liegen immer noch gespeichert in meinem Archiv auf dem Handy. Wenn dieses
Bild nicht fürchterlich daneben wäre, würde ich sogar das
Wort "verstauben" einbauen.
Heute kommt LR Ahlen und
- meine lieben Leser und Freunde - ich weiß gar nicht, was ich noch
so schreiben soll. Immer dasselbe? Immer wieder, dass ich keine Lust mehr
habe auf die zweite Liga? Immer wieder, dass mir die anderen Mannschaften
und anderen Ergebnisse total egal sind? Immer wieder, dass es kaum noch
Spaß macht, zumal mein Bruder (Brüssel) und Sam (beruflich in
Brasilien) im Moment nicht mehr dabei sind? Immer wieder?
Freitagabend-Spiele sind
ein Segen - in Liga zwei aber eher ein Fluch. Es ist so klasse, so schön,
so romantisch, ins Flutlicht zu schauen, und - mit Glück - sogar
noch in einen leichten Regenschauer, der das Fußballfeld dann in
eine sehenswerte, filmreife Hollywood-Kulisse verwandelt, die jeden Fotografen
fasziniert. Doch Anstoß 19 Uhr? Welche normale Arbeiter soll das
schaffen? Heute wieder; spät, ich höre mich Gerd anrufen und
sagen: "Ich schaff es erst zur zehnten Minute! Halt was frei!" Ein Bochum-Heimspiel
ohne "Bochum" von Herbert zählt eigentlich nur halb. Aber ein paar
wichtige Ausleihen in der Uni-Bibliothek in Essen, eine Sprechstunde im
selben Gebäude und vor allem die zweieinhalbstündige Sportausschuss-Sitzung
im Mülheimer Rathaus hielten mich auf. 18.35 Uhr, die Spieler wärmen
ihre kühlen Muskeln im mehr als eiskalten Winter schon längst
auf, und ich sprinte durchs Forum in Mülheim. Schnell, schneller,
am schnellsten, der Käseshop stinkt, der Chicken-Mc-Nuggets-Duft weht
mit dem Bahnhofswind fast bis zu den Gleisen, doch der Regionalexpress
hat Verspäääätung, scheiße, öfter mal was
Neues, hilfe. 19 Uhr, Anstoß, immer noch irgendwo kurz vor Wattenscheid.
Wobei: Ahlen ist seit drei Spielen ohne Gegentor, wir auch, zu Hause treffen
wir kaum einmal vor der 75. Minute, da brennt schon nix an. Beeilen könnte
sich der Zug trotzdem. Die Zeit vertreiben, irgendwie.
Handy rausholen, herumklicken;
sms-Archiv, da war doch was. 26. August, kurz nach meinem traumhaften Asien-Urlaub,
kurz nach Ha-Long-Bucht, Mekong-Delta und Hanoi, und dann mitten in Ostwestfalen,
19.50 Uhr, sms an MSV-Fan Helmut. "Das Spiel geht gar nicht. Das Stadion
geht gar nicht. Ich bin einfach nur entsetzt." 21.16 Uhr, sms an Gerd.
"Ich hab die Schnauze so voll, ganz schlimm, wirklich." Ahlen gegen VfL
2:2, ich erinnere mich noch gut an diesen Ausflug, dieses Gegurke, dieses
peinliche Gewurschtel im mehr als ausverkauften, engen Stadion mit schlechter
Sicht. Dieses Auswärtsspiel wird nicht in meine VfL-Annalen eingehen.
Ganz bestimmt nicht.
Boah, dauert es noch lang?
Bochum Hauptbahnhof, zehn nach sieben. Letzte Woche sind hier in 4630 ein
paar neue U-Bahn-Stationen eröffnet worden, dazu neue Linien. Sie
blockieren das System, den Untergrund Bochums. Muss sich alles noch einspielen,
jaja, 19.15 Uhr, wie steht's? Keiner weiß es. Ein VfL-Fan mit der
guten alten 80er-Jahre-Kutte, mit Vollbart und echter Vokuhila-Frisur benutzt
scheinbar zum ersten Mal die 308? "Fährt die zum Stadion?", fragt
er und haucht mir eine fette Bierfahne ins Gesicht. Steht ja auch nur vorn
auf dem Wagen, "Ruhrstadion", aber egal. 19.21 Uhr, das Spiel ist scheinbar
nicht so super. Draußen vor den Würstchenbuden bilden sich lange
Schlangen, Sprechchöre gibt's auch keine, weder von der einen noch
von der anderen Seite, es hat etwas von Freundschaftsspiel-Atmosphäre.
Schnell Kumpel Gerd gesucht, gefunden, Blick auf die Anzeigetafel. 23:30
Minuten rum, 0:0. Siehste.
"Irgendwas verpasst?" "Nö!"
Habe keine Lust mehr auf die zweite Liga. Die anderen Mannschaften und
Ergebnisse sind mir egal. Es macht kaum noch Spaß. Immer wieder.
Irgendwie geht dann auch
der 20. Spieltag rum. Ein Spieler, mit dem keiner mehr gerechnet hat, geht
ab wie ein Koalabär auf Dope. Erst das 1:0 durch Bechmann, dann noch
das 2:0 durch Bechmann. Edu packt noch per Elfer das 3:0 drauf, das Ganze
ist ein bisschen zu hoch gegen tapfere Ahlener, die bis zur 60. Minute
wirklich gut gespielt haben. Aber wen interessiert's? Mich nicht. Dass
die Mannschaft nach dem Spiel nicht mehr die "Humba" mitmachen möchte,
ist scheinbar im Moment unser Hauptproblem. Sie verlangt etwas VfL-spezifisches
und nichts bei Mainz abgeschautes. Und ich kann sie sogar gut verstehen.
Zweite Liga, komische Liga, Schweineliga. Es sind Pflichtübungen für
alle. Für die Spieler zuallererst. Wenn ich vergleiche, wie groß
die Euphorie in Duisburg war im letzten Jahr. Ein Aufstieg in Sicht, endlich
wieder erste Bundesliga, nach ein paar Jahren Pause. Die haben sich richtig
gefreut über jeden Sieg. Und bei uns? Im Schnitt kommen 15.000 - wie
in Duisburg auch, aber die Stimmung ist mäßig. Tja, und das
ist so, weil wir Fans auch jedes Spiel nur als Pflichtübung betrachten.
"Ihr könnt zurück in Euer Dorf" ist der amüsanteste Sprechchor
des heutigen Abends. Traurig, oder? Vergleicht meine vor Kreativität
und Abwechslung sprühenden Bundesliga-Texte von Auswärtsfahrten
nach Stuttgart, Bremen, Hamburg mit sowas hier, mit einem Text von einem
Spiel gegen AHLEN. A - H - L - E - N !! Pflichtübungen auch für
mich. Schreckliche Pflichtübungen, die eben nur richtig treue Fans
miterleben. In guten wie in schlechten Zeiten. Gelübde fürs Leben.
Ein Stromausfall in Halbzeit
zwei macht aus einem tristen Winterkick wenigstens noch einen halbwegs
witzigen, denn 35 Minuten ohne Stadiondurchsagen, ohne 75 Prozent der Lampen
unter der Tribüne, ohne Anzeigetafel, ohne Musik - das gabs noch nie
in meiner VfL-Karriere und das zwingt wenigstens zu ein bisschen mehr Lautstärke,
um nicht gänzlich einzuschlafen. Und da stört das trist auch
gar nicht mehr. Denn das Flutlicht ist so romantisch, es regnet sogar ganz,
ganz leicht; und es ist eben ein klassischer Fußball-Freitagabend.
"Gut, dass in der 1. Bundesliga
in der nächsten Saison auch wieder am Freitag gespielt wird." Das
ist meine sms für heute.
Ganz schön nebelige Angelegenheit, dieser Freitagabend... | ... und wenn dann noch der Strom ausfällt, dann wird's ein wenig unheimlich! |
Noch 12 Spiele bis zur 1. Bundesliga !
Thommys Analyse: "Gästefans - quasi nicht existent"
Ein Fußballspiel in Bochum endet 1:1 und niemanden störts. "Und schon wieder keine Stimmung VfL" stimmen welche an - "und schon wieder keine Stimmung VfL" antwortet der Rest
89. Minute, Standardsituation, da war doch was? Die Herren (v.l.) Meichelbeck, Maltritz, Drsek und Edu warten...
Frikadellen-Kicks
"Boah", sagt Straßenbahnfahrer
Stephan, blickt auf seine Uhr und dann aus dem Zug-Fenster auf die grüne
Landschaft zwischen Wattenscheid und Essen. Es wird ganz allmählich
dunkel, wir stehen an der Tür, bei der kurzen Fahrtstrecke lohnt es
nicht, einen Sitzplatz zu suchen. "Boah, da kommse mittags nach Bochum
zu die Jungens und dann hasse direkt so ne Frikadelle." Dabei zieht er
die Mundwinkel nach unten und reckt die Arme in die Luft, getreu dem Motto
"ich weiß doch auch nicht". Thommy ist immer noch in Bochum. Endlich
- nach Ewigkeiten - war er mal wieder dabei, feierte heute seine Saisonpremiere.
Jetzt trinkt er mit einem alten Kumpel einen Kaffee im "Café Ferdinand"
kurz hinter dem Bochumer Hauptbahnhof, redet über Fußball und
sonstigen Kram. "Andi", hat Brüderchen zu mir am Bahnsteig gesagt,
"alles, was auf Deiner Homepage zu dieser Saison steht, stimmt. War aber
trotzdem schön." Ich schaue an Stephan vorbei, die unsagbar hässliche
Mülheimer Skyline taucht am Horizont auf und ich weiß: 17.50
Uhr, uääähhh, es warten noch vier anstrengende Arbeitsstunden
auf mich. Stunden mit Schach, Handball. Und Amateurfußball.
Vier Stunden vorher. Jaaa,
lächeln, lä-cheln, l-ä-c-h-e-l-n, ein vergnüglicher
Abend im Mülheimer Ringlokschuppen, eine unruhige Nacht im heimischen
Bett und ein Vormittag beim gar nicht mal schlechten Handballspiel HSG
Mülheim gegen SG Solingen III liegen hinter mir. Mittags spielt Speldorf
in der Oberliga Nordrhein gegen Bocholt, aber nein, heute sage ich das
ab. Bin froh über jeden Stress, den ich abgeben kann, ist grad Hausarbeiten-Zeit,
Heinrich Heine hat meinen Laptop befallen, jeden einzelnen Zentimeter meines
Bildschirm, blöd. Mein Bruder ist grad im Lande und er hat Bock auf
Fußball. Ja aber warum will er dann ausgerechnet mit nach Bochum
kommen? Ich schaue auf die Tabelle - und bin begeistert. Ich gehe
ans Telefon - und begrüße jeden zweiten mit dem lauten "Spitzenreiter,
Spitzenreiter"-Gebrüll. Und doch ist es eine schreckliche Saison.
Beim Fuppes-Zocken in der Soccerhalle trage ich mit Würde das "Kalla"-Trikot
- aber über die laufende Saison rede ich nicht. In fast allen meinen
Wetten bin ich auf Kurs, zum Beispiel ein Aufstieg mit mindestens zehn
Punkten Vorsprung auf Platz vier - doch was ist schon das gewonnene Geld
gegen richtigen Fußball-Kitzel? Spaß macht das nicht. Freu
dich, nach Bochum zu fahren, Andi. Freu dich! Nee, nicht mal Selbstmotivation
hilft.
Ein paar Minuten noch bis
zum Ruhrstadion. Es ist schon sehr witzig, Thommy zu sehen. Er hat sie
nicht mitgemacht, die 1:0-Orgie der Hinrunde. Er freut sich deshalb wie
ein kleines Kind vor dem ersten Profi-Spiel. Ich denk ein wenig an den
Videofilm vom Nordkapp-Urlaub 2001, den ich mir vor zwei Tagen angeschaut
habe. Spüre ein wenig den Nordkapp-Wind auf meinen Lippen - ach nee,
das ist leider nur die U-Bahn, die im Keller des Hauptbahnhofs einfährt.
Zigarettenrauch verpestet die Luft, Tobias aus Mülheim grüßt
freundlich in der 308, fragt, ob ich nicht arbeiten müsse. "Doch,
doch", sage ich, "aber man muss eben Prioritäten setzen." VfL eben.
In der Kurve warten Gerd
und der Fanklub aus irgendwoher, Recklinghausen mutmaßlich. Sam vergnügt
sich immer noch im brasilianischen Karneval und nie wünschte ich mir
mehr, auch in Sao Paulo oder Rio oder wo auch immer zu sein. Irgendwas
Musikalisches läuft, dazu werden viele, viele Tore aus der Hinrunde
auf der Videowand präsentiert - gut für Thommy, ein Gratis-Service.
Mir aber schwirren zwei andere Melodien durch den Kopf. Die ersten zwanzig
Sekunden von Status Quo's "Whatever you want". Die will ich nächstes
Jahr wieder hören, nicht weit weg, in der Arena, auf Schalke, Gelsenkirchen.
Das würde heißen, dass wir wieder Bundesliga spielen, endlich
oben sind, Revierderby, wär das schön. "Whatever you want" vertreiben
und zack, nimmt ein anderer Song den Platz ein, wieder Status Quo, diesmal
"Rockin' all over the world", das Torlied von Bayer Leverkusen. Gestern
dreimal gehört, gestern, in der BayArena. Dort leuchten Zwischenergebnisse
von den Spielen Hannover gegen Bayern und Dortmund gegen Bremen auf. Nix
mit Burghausen, Unterhaching, Ahlen oder Siegen. Keine Langeweile.
"Und schon wieder keine
Stimmung VfL", brüllt der extrem desillusionierte Megafon-Mann in
Minute 25. Okay, auf den hört außer seinen Ultras sowieso ziemlich
selten jemand, aber er hat diesmal nicht ganz unrecht. Andererseits: Warum
soll hier jemand anfeuern? Der Aufstieg ist so gut wie klar, die Spiele
sind schwach, und nachdem die letzte Saison schon so total verkorkst war,
hat es die Mannschaft ohnehin nicht verdient, von der ersten bis zur letzten
Sekunde angefeuert zu werden. "Und schon wieder keine Stimmung VfL", antwortet
dann auch der größte Teil der Fans. Dann erzielt Misimovic in
einem heute wenigstens durchschnittlichen Spiel das 1:0 und in der Pause
kommen die Cheerleader. Wieder 45 Minuten mehr auf dem Weg zum Aufstieg
überstanden. "Gegnerische Fans fast nicht existent", sagt Thommy.
Erster gegen Dritter, 17.000 Zuschauer, davon 100 aus Fürth. Traurig.
Auch in der zweiten Hälfte
geht es hin und her, irgendwann schießt Timm das 1:1, das ist nicht
unverdient. Am besten wird die Stimmung in der Nachspielzeit, als sich
unsere Jungs zwei Ecken erarbeiten - und entscheidende Tore kurz vor Schluss
sind ja im Ruhrstadion keine Seltenheit. Doch es bleibt beim 1:1. Ein unentschiedenes
Heimspiel und es ist mir EGAL. Schnuppe! Macht ja nichts, gewinnen wir
eben das nächste wieder! Keine Spur von Ärger, obwohl die heutige
Leistung alles andere als bundesligatauglich war, aber verdammt, selbst
eine Niederlage wäre total egal gewesen. Total! "So müssen sich
Bayern-Fans fühlen", sagt ein Kumpel, dem ich kurz nach dem Abpfiff
per Handy mein Leid klage. Schlimm, ich kann ihm nicht widersprechen. Der
Gegner ist mir egal, das Ergebnis auch, weil wir sowieso Erster bleiben
und werden und die ganze Liga erst recht.
"Sag mal Stephan", sage
ich auf dem Weg Richtung Mülheimer Forum schließlich, "warum
hattest Du denn die Frikadelle?" "Weil den Jungens dat Spiel egal war",
sagt er. "Im Moment fehlt der Kick." Ja, richtig. Der Kick fehlt. Das Kribbeln
im Bauch, das du nie mehr vergisst. Der Wunsch, laut zu brüllen, wenn
jemand die Spieler in deinem Trikot foult oder ungerecht behandelt? Diese
Fußball-Festplatte im Kopf, die alles andere virusartig löscht,
für 90 Minuten verdrängt. Der Nervenkitzel, den der beste Horrorfilm
nicht bietet. Das Zittern, das Wintersportfans im Moment beim Olympia gucken
befällt, wenn Kati Wilhelm auf die Biatlon-Scheiben schießt.
All das ist nicht da. Fehlt. Weg. Eine solche zweite Liga wünsche
ich niemandem.
Stephan steigt in die Straßenbahn
Richtung Heimat, Thommy trinkt Kaffee im Café. Sam feiert immer
noch Karneval in Rio. Ich geh arbeiten. Zum Schach, Handball, Amateurfußball.
Verteilt in alle Richtungen, keiner spricht mehr über dieses Spiel.
Nicht mehr heute. Nicht morgen. Und in ein paar Jahren erst recht nicht
mehr. Fußballfeste wo seid Ihr?
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Noch 9 Spiele bis zur 1. Bundesliga !
Der erste richtig schöne VfL-Fußballtag in dieser Saison. Eine schwarze Auswärtsserie endet in der imposanten Allianz-Arena mit Freunden. Schöner geht's kaum
Käpt'n Konfettis Kälte-Therapie
Noch 100 Meter, ungefähr.
Am Horizont erscheint sie in einem himmelblau, ja doch, himmelblau, das
trifft es. Allianz-Arena, der Wirklichkeit gewordene feuchte Traum der
Beckenbauers und Hoeneß', das als "modernste Arena Europas" angekündigte
Superding. Noch 70 Meter, doch, von außen sieht sie schon sehr, sehr
geil aus. Die Luftpölsterchen in der Außenhaut der Arena sind
heute blau erleuchtet, weil die Sechz'ger spielen. Na ja, oder auch als
Gastgeschenk an den VfL Bochum. Das erscheint zwar weniger plausibel, aber
das zu glauben, fällt mir leichter. Noch dreißig Meter, kann
die Kontrollen schon sehen, fast riechen. Puh, das ist ganz schön
kalt. Bitterbitterbitterkalt. Hier in München liegt noch unfassbar
viel Schnee. Meine Füße frieren jetzt schon fast ab, wie soll
das erst werden, wenn ich sie im Stadion nicht mehr bewege... "Hast du
eine Jacke an?", werde ich per sms gefragt, wohl wissend, dass ich Jacken
sonst nicht zu tragen pflege. Ja, habe ich diesmal an. Und eine Mütze.
Handschuhe sowieso. Der Kalender zeigt den 13. März an, und es sind
Minusgrade. Dreizehnter!!! Gefühlt sogar minus zehn Grad! Rechts neben
mir läuft Dirk, mein Freund aus München, bei dem ich stets übernachte,
wenn's mich aus Fußballgründen zur Isar zieht. Noch zwanzig
Meter. Links läuft Dirk's Frau Manuela; liebevoll Manu genannt, eine
wahnsinnig nette und intelligente Person. Flo ist auch noch dabei, ein
Freund von Manu, den ich zum ersten Mal sehe.. Flo schaut aus, als würde
er bei "Berlin, Berlin" mitspielen, ihn umgibt die Aura des Alex aus der
zweiten und dritten Staffel. Ich warte nur auf die Geschichte, wie er Lolle
verführt hat. Aber sie kommt nicht. Flo ist einer, der wahrscheinlich
regelmäßig ins Atomic Café geht und den es nun zum ersten
Mal überhaupt ins Fußballstadion zieht. Und das bei diesem Spiel.
Sechzig gegen Bochum in der halbleeren Arena. Gibt bestimmt schönere
Einstiege. "Wie war die Fahrt, Andi?", fragt Dirk. Ja, schön, doch.
Dank des unglaublichen Mc-Donalds-Angebots komme ich für 99 Euro nach
München und zurück und nach Freiburg und zurück, hatte einen
Sitzplatz im ICE - und musste mich leider mit der Krise des VfB Speldorf
auseinander setzen. Krise? "Welche Krise?", schiebt Dirk natürlich
hinterher. Blabla, siebenmal in Folge nicht gewonnen, schwache Leistungen,
Abstiegsplatz undsoweiter. Dann will der Kicker bis Donnerstag 40 Zeilen
haben, Journalistenleben eben. Jetzt bin ich hier, jetzt ist München,
jetzt ist klar, jetzt ist Kontrolle. Die Securityaffen befinden meine Mitbringsel
- Kamera und Co. - für ordentlich und lassen mich hinein. Ein paar
Schritte noch und dann geht es rein in Münchens neueste Touri-Attraktion,
Ort des WM-Eröffnungsspiels zwischen Deutschland und Costa Rica im
Juni. Wow! Zum ersten Mal sehe ich ein Stadion mit drei Rängen. Den
ersten Test für Stehplatz-Fans besteht die Allianz-Arena nicht. Tor-Pogo
ist unmöglich, weil jede Reihe aus ausklappbaren Sitzen besteht und
durch ein Geländer abgeschlossen wird. Pfui! Die Akustik könnte
auch besser sein, dafür ist das Stadion zu hoch, zu offen, zu luftig.
"Wobei: Wenn hier 66.000 sind, kann es schon laut werden", sagt Dirk, der
schon zwei Bayern-Spiele gesehen hat. Ja, vielleicht. Videowände sind
obligatorisch. 50 Minuten noch bis zum Anpfiff, die meisten der 1400 Bochumer
trudeln jetzt ein, sie haben 1600 Kameras dabei. Jeder klickt, jeder will's
sehen, Spiel ist absolut Nebensache heute. Flo und Manu bewegen sich gerade
in den Katakomben, erwerben eine Arena-Karte - das Zahlungsmittel hier
- und schauen sich das Ganze an. Ich nutze die Gunst der Stunde und lasse
mich von Dirk knipsen. Nee, ist wirklich noch nicht viel los hier. Dirk
erzählt mir die Geschichte des Arena-Baus lang und breit. In München
gab es einst sogar eine Volksabstimmung darüber, ob ein ganz neues
Stadion irgendwo in der Stadt gebaut oder das alte Olympiastadion modernisiert
wird. Die Bayern waren für den Neubau und peitschten den auch irgendwie
durch, gemeinsam mit den Sechz'gern. Die Bayern können die Kosten
gerade eben stemmen, die Sechz'ger gar nicht. Bei vielen Aufträgen
schmierten die Vorstände die Firmen - Stichwort Wildmoser - und wenn
die Sechz'ger nicht aufpassen, sind sie bald pleite. Denn in der Tabelle
stehen sie auch nicht gerade gut.
Flo und Manu kommen mit
einem Bier und 'ner Cola zurück. Dirk und ich verschwinden. Es gibt
drei Verkäufsstände, "Getränke und Co.", "Bratwurst und
Co." und noch irgendwas, jedenfalls gibt's da "Brez'n". Der bayerische
Dialekt geht mir schon nach so kurzer Zeit gehörig auf den Zeiger,
was solls, morgen habe ich mich dran gewöhnt. Wir ordern eine weiße
Bratwurst im Brötchen, eine Cola, das Ganze kostet uns vier Euro pro
Person; stadionüblich heutzutage, diese Preise. In der U6 Richtung
"Fröttmaning" - das Stadion liegt im Nordosten der Stadt - trafen
wir einen Arbeitskollegen von Dirk. "Das ist so ein Schönwetter-Bayern-Fan",
ulkt Dirk und erklärt mir die Münchner Fan-Seelen. Die meisten
sind Bayern-Fans, klar, aber viele Bayern-Fans reisen auch aus dem Umland
an. Bei den Sechz'gern ist das ein wenig anders. Die meisten Fans sind
wirklich echte Münchner, und viele davon solche, die die Bayern total
blöd finden und sich eben als kleineres Übel für 1860 entschieden
haben.
Noch 30 Minuten, unser Torwart
Peter Skov-Jensen betritt den Rasen. Naja, oder das, was eigentlich Rasen
sein soll, denn es ist mehr ein Kartoffelacker. "Spargelernte einen Tag
vorher", würde es in Goch oder Straelen heißen. "1860 - stark
wie nie": Das Vereinslied läuft im Hintergrund, und die meisten können
sich das Gelächter nicht verkneifen. Stark wie nie, na klar. Leider
läuft die Saison nämlich - brrr, wie kalt - überhaupt nicht
nach Plan. Am 12. Spieltag noch Spitzenreiter, blieb 1860 zuletzt elfmal
in Folge ohne Sieg und ist nun in Abstiegsgefahr. Von der Aufbruchstimmung
rund um die Verpflichtung des neuen Trainers "Schoko" Schachner ist gar
nix mehr übrig. Eine "Schoko-Tabelle" forderte Schachner von den örtlichen
Medien - also die Tabelle ab seiner Amtsübernahme. Damit wollte er
bezwecken, dass seine gute Arbeit gewürdigt wird. Leider ist 1860
in der "Schoko-Tabelle" Letzter und der Verein seitdem nur eine einzige
Witzbude.
Die Handschuhe wärmen
meine Finger - für eine sms muss ich sie allerdings ausziehen, und
direkt weht eine kühle Brise bis zu den Fingerkuppen. "Ich hab kein
gutes Gefühl", funke ich nach Mülheim, als ich auf der Anzeigetafel
unsere Aufstellung erblicke. Es ist wirklich das allerletzte Aufgebot.
Van Duijnhoven, Drsek, Meichelbeck, Trojan und Zdebel fehlen - ausgerechnet
unsere fünf beständigsten Spieler in dieser Saison. Bönig
spielt erstmals nach Monaten von Anfang an, Rathgeber zum ersten Mal überhaupt.
Eben noch beim FC Kempten in der Bayernliga, jetzt schon von Anfang an
in der Allianz-Arena. Imhof in der Zdebel-Position, Butscher in der Innenverteidigung,
es ist ein zusammengeschusterter Flickenteppich, den Koller da aufs Feld
schickt. Da wir ohnehin immer dafür gut waren, angeschlagene Gegner
aufzubauen, hake ich das Spiel schon ab. Genau wie alle anderen. Zum ersten
Mal in dieser Zweitliga-Saison gehen wir alle mit einer "Ist-doch-auch-egal"-Laune
ins Spiel. Nur Dirk wirkt ein wenig ambitioniert, schließlich hat
er in seiner Redaktion 4:1 für Bochum getippt. Das Handy summt. "Jungs,
jetzt gilts! Drück die Daumen und bin bei Euch", schickt Bruder Thommy.
Kalt. Und wie. Anpfiff.
Die einzig erwähnenswerte
Szene aus der ersten Halbzeit ist eine Fußabwehr von Skov-Jensen
in Minute 39 nach einer Flanke, die er auch mit den Händen hätte
schnappen können. Das Spiel ist ausgeglichen, also ausgeglichen schwach,
ausgeglichen langweilig. Dirk sieht seinen 4:1-Tipp gefährdet. Warum?
"Ich weiß nicht, wer bei Sechzig das eine schießen soll." Dafür,
dass es für 1860 um ALLES geht, spielen sie sehr verhalten, sehr hilflos.
Flo hat auf seinem Platz mittlerweile Besuch bekommen. Ein 1,70 Meter großer
Fan, der wie ein Dieter aussieht, versperrt ihm den Weg. Macht aber nix,
weil er ein sehr, sehr geiler Typ ist. Er trägt eine Jeansjacke aus
der guten, alten 70er-Zeit, einen Schnauzbart Neururer'scher Prägung
und kramt in der 42. Minute eine Pistole aus seiner Tasche. "Du Stinkeeeeer,
geh zum Ball", brüllt er spontan - alle lachen. Dann schaut er in
seine Pistole, drückt kräftig auf den Auslöser - und rumms,
ein paar Konfetti springen auf die VfL-Fans um uns herum. Supergeil. "Wie
ist der bloß mit der Konfetti-Pistole durch die Kontrollen gekommen?",
ist eine der vielen Fragen, die wir uns in diesem unglaublichen Moment
stellen. Halbzeitpfiff. Langweilig. Flo und Manu verschwinden, um sich
einen Glühwein zu holen, und das mitten im März. Flo lacht in
einer Tour, er findet's "total gut" im Stadion und beschließt schon
jetzt, häufiger zu kommen. Dirk ist auch völlig angetan und wirft
mir indirekt Lügen in meinen Homepage-Texten vor. "Also hier ist doch
niemand beleidigt. Hier ist doch die Atmosphäre nicht schlecht." Stimmt.
Erstmals in dieser schlimmen Saison spüre ich die lockere, selbstironische,
gute Bochumer Laune, die uns so auszeichnet. Es ist angenehm hier. Wenn
es nur nicht so verflucht kalt wäre!!
Auch in der zweiten Halbzeit
würde es genügen, wenn sich unsere beiden Innenverteidiger allein
gegen die Sechz'ger stellen würden. Der eine - unser Kapitän
Maltritz - fischt alles weg. Ob in der Luft oder am Boden - er ist wirklich
überragend. Und der andere - Heiko Butscher, der mit dem fantastischen
Namen für einen Abwehrspieler - schießt in der 70. Minute das
1:0 für uns, nach Vorlage von Grote. Es ist herrlich, es ist groß,
es ist ein Riesengefühl, einfach nur V-F-L brüllen, jubeln, umarmen,
klatschen, super, super, super. 1:0!!! 1:0!! 1:0! Mit unserer Rumpftruppe,
spitze! Wir gewinnen das hier! "Wir sind eben eine große Mannschaft",
funke ich zu den MSV-Fans Tina und Helmut. "Was hättest du bloß
im letzten Jahr gesagt und gespottet, wenn mein Verein auf diese Art und
Weise mit so vielen 1:0 aufgestiegen wäre", spricht Helmut auf meine
Mobilbox. Das Spiel ist aus, 22.02 Uhr. Souverän das 1:0 nach Hause
gebracht. Hinten gut gestanden, vorn einen 1860-Fehler ausgenutzt, Ende.
Da wird die Schoko-Tabelle eine weitere Woche die Münchner Medien
schmücken. Manus Gedanken schweifen in die Zukunft. Wenn 1860 absteigt,
so ihre Logik, dann muss der Steuerzahler für die Arena-Kosten aufkommen
- und dann fallen Kindergartenplätze weg. Mitleid mit Sechzig, aus
etwas anderen Gründen.
Völlig egal! Unsere
Jungs bilden einen Kreis in der Mitte und hüpfen wie von Sinnen herum,
endlich hat die La-Ola-Welle wieder richtig Emotion und wir alle merken:
Das war der letzte, entscheidende Schritt Richtung 1. Bundesliga. 49 Punkte,
das sind 98 Prozent der Miete. Von den letzten neun Spielen müssen
wir drei gewinnen, dann sind wir durch, durch, durch. Die Kälte ist
kein Thema mehr, das an sich total grottenlangweilige Spiel auch nicht.
Meine Serie von anderthalb Jahren ohne Auswärtssieg endet in der Allianz-Arena
mit guten Freunden. Schöner geht es eigentlich kaum. Solche Siege,
mit denen niemand rechnet, sind doch die sensationellsten. "Nie meeeeeeeeehr
zweite Ligaaaa!" - zum ersten Mal höre ich das richtig bewusst, richtig
laut und jeder meint das ernst! Nie mehr, nie meeeehr!!
Der Fußmarsch bis
zum U-Bahnhof "Fröttmaning" dauert sieben bis acht Minuten. "Schwere
Zeiten, schwere Zeiten, schwere Zeiten", murmelt ein 1860-Fan mit Trikot,
Schal und Mütze vor sich hin. Ein letzter Blick auf das WM-Stadion.
Im nächsten Jahr komme ich wieder, wenn wir bei den Bayern spielen.
Das Licht in den Luftpölsterchen ist inzwischen aus, die Arena leuchtet
ganz weiß. Manu stellt fest, dass der Bahnhof "Fröttmaning"
aufgemotzt wurde und Flo lacht immer noch über das Fußballspiel.
Er fand's großartig, auch Manu hatte ihren Spaß. Na, und Dirk
und ich sowieso. Auch das 1:0 lässt sich in seiner Redaktion hervorragend
breit treten.
Am Sendlinger Tor steigen
wir um 23 Uhr um in die U1 und fahren zum "Rotkreuzplatz". Was für
ein Tag. Dank Mc Donalds ganz billig an die Isar. Und dann mit einer Rumpfelf
1:0 bei den Löwen gewinnen. Andi, das war der Aufstieg. Freu Dich,
juble. Yeah! Fällt schwer. Aber nur, weil meine Glieder noch eingefroren
sind. Gleich, wenn ich im Schlafsack liege, dann weiß ich's. Mein
erster richtig schöner Fußballtag in dieser Saison.
Links zum Thema "Andi in München"
München
2002 zum Spiel FC Bayern gegen VfL (4:1)
München
2005 zum Spiel FC Bayern gegen VfL (3:1)
Tag 2
- geschrieben im ICE 518 von München nach Dortmund am Mittwoch, 15. März, während einer dreistündigen (!!) Verspätung. Grund 1: Eine "Selbsttötung" zwischen Frankfurt Flughafen und Bonn/Siegburg, Grund 2: Umleitung über die Bimmelbahnstrecke Wiesbaden, St. Goarshausen, Koblenz, Grund 3: (logisch) Streckenüberlastung. Planmäßige Ankunft in Mülheim 17 Uhr; jetzt wird es wohl 20 Uhr werden.... -
Hier in München gibt
es an jeder Straßenecke diese Zeitungskästen. Solche, wie ich
sie im Ruhrgebiet irgendwie vermisse. Du schmeißt ein Geldstück
rein und kriegst eine Zeitung raus. So funktioniert das hier mit der Bild,
der Abendzeitung, ja sogar mnacherorts mit der Süddeutschen. Als Appetizer
ist das jeweilige Titelblatt auch aus der Entfernung sichtbar. "Neue Pleite
- 0:1! Löwen jetzt gegen Abstieg"; jaja, das gestrige Spiel ist Thema
hier an der Isar. Und innendrin die Schoko-Tabelle... aber das habe ich
Euch ja schon gestern erklärt. Wollt's nur noch mal anmerken, weil
ich das echt witzig finde.
München, am 14. März,
im Winter. Uaaaah, gähn, ja, die letzten Tage waren hart, aber wer
behauptet schon freiwillig, im Alltag ausgeschlafen, ausgeruht und komplett
erholt zu sein? Die Nacht in Dirks Zimmer war jedenfalls sehr ruhig. Im
"Blickpunkt Sport" schaute ich mir gegen 1 Uhr das einzige, das gewinnbringende,
das gute Laune veursachende Butscher-1:0 noch einmal an - und dazu Schoko
Schachners Aussage, die Münchner Löwen hätten "die beste
Leistung unter meiner Regie" gezeigt. Hallo?? Die Sechz'ger hatten nicht
eine einzige hundertprozentige Torchance, und das gegen unsere Rumpftruppe.
Wie schlecht haben die erst vorher gespielt? Aber das soll nicht meine
Sorge sein. Ausschlafen, aufstehen, duschen, 40 Zeilen für den Kicker
fabrizieren, noch ein paar andere kleine Dinge per Mail und Handy abklären
(eben kein richtiger Urlaub), den "Baedeker München" schnappen, Jacke
anziehen und raus.
Oh je, kalt ist es immer
noch, und die Schneemassen liiiiegen am Straßenrand, aber am zweiten
Tag hat es schon etwas Gewöhnliches. Was tun an einem solch kalten,
halben Wintertag? In den letzten Jahren habe ich viel in München
schon abgehakt. Die komplette Innenstadt, dazu das Deutsche Museum, Theresienwiese
mit Oktoberfest, der südliche Teil des Englischen Gartens, Olympiapark
mit Stadion, jetzt auch noch die Arena... Es ist 14 Uhr, ich hinterlasse
Fußabdrücke im Schnee und stürze mich am "Rotkreuzplatz"
in die U1. Raus am Hauptbahnhof. Ich beschließe, zu Fuß ein
wenig durch die Stadt zu "münchnern", also cool auszusehen, möglichst
bayerisch zu reden (da ich aber mit niemandem sprechen muss, fällt
das wohl aus), mit dem Handy zu telefonieren undsoweiter. Beim nächsten
Mal werde ich mich ein wenig mehr dem Münchner Umland widmen. Dachau,
das kenne ich auch schon; aber Starnberger See oder Ammersee, das ist doch
bestimmt eine Reise wert - und mit der S-Bahn gut erreichbar. Aber heute?
Bei -5 Grad? Ich laufe zum Karlsplatz, hier in München Stachus genannt,
schaue den Münchnern beim "münchnern" zu, spaziere über
die Fußgängerzone, kaufe mir einen "Tiramisu-Krapfen" und verspeise
ihn mit Blick auf die Frauenkirche. Am Marienplatz wird mir schlecht, wenn
ich daran denke, wie viele Titel die Bayern hier schon begossen haben und
am Odeonsplatz ein paar Minuten weiter erst recht, weil mir bewusst wird,
dass ein wirrer, kleiner, schnauzbärtiger Österreicher zwischen
1933 und 1944 die Opfer des Hitler-Putsches huldigte; ach, ich will nicht
näher drauf eingehen. Es ist das "München-Kompaktprogramm", das
ich in aller Kürze absolviere, bevor ich mit der U-Bahn bis zur "Münchner
Freiheit" fahre. Es gibt mehrere Möglichkeiten, um in den Englischen
Garten zu gelangen. Auch von der "Giselastraße" und der "Universität"
gibt es Zugänge. Ich beschließe, mir heute den mittleren Gartenteil
anzusehen. Aber Garten ist im Moment das falsche Wort. Es ist alles weiß.
Alles. So weiß, so kalt, so Schnee. Die Sonne steht tief, mein Schatten
wirft sich lang auf den Kleinhesseloher See, der sonst, im Sommer, für
Abkühlung bei Münchnern und Touristen sorgt. Jetzt ist der See
zugefroren.Abkühlung einmal anders. Ein Radfahrer wagt sich drüber,
ein Langläufer treibt Sport, ein Pärchen spaziert Hand in Hand
übers Eis, Hunde sprinten Stöcken hinterher. Es ist kein Central-Park-New-York-Feeling,
das nicht, das geht auch gar nicht. Aber gibt es in Deutschland (außerhalb
der - husthust - Mülheimer Müga) noch ähnlich schöne
Parkfleckchen? Nee, ich glaube nicht. München im Schnee. Im Winter
ist es hier kälter als überall sonst, im Sommer dafür wärmer.
Ist das so eine Regel? Ich setze mich ins Glühwein-Hütterl, dort
gibt es auch Popcorn, und schaue der Sonne bei ihrer Arbeit zu. Wie sie
die Welt erhellt, wie sie hinter dem Baumwipfeln verschwindet.
SMS an Dirk; er sitzt gerade
in der Redaktion. Treffen heute Abend um 19.30 Uhr in einer Bar namens
"Maria" am Sendlinger Tor. "Wo gibt es hier ne Kleinigkeit zu essen?",
frage ich zurück. "Rund um die Münchner Freiheit ist gut", antwortet
er. Gebongt. Ein paar Schritte geradeaus, ein paar Schritte nach links,
nach rechts, ui, sieht nach einer exklusiven Wohngegend aus. Wobei: Irgendwie
sieht ganz München nach einer exklusiven Wohngegend aus... Trotz der
idyllischen Augenblicke im Englischen Garten bleibt mein Eindruck bestehen,
dass ich mich hier nicht über Monate wohlfühlen würde. In
Berlin, in Hamburg, in Bremen ist es bei meinen Aufenthalten passiert,
dass ich angesprochen wurde, wo es zu welcher Straße geht. Sprich:
Ich gehörte dazu, wurde für einen jeweiligen Einwohner gehalten.
In München? Hier würde mir das nie passieren. Angekommen, "Münchner
Freiheit" steht auf dem Straßenschild, "Münchener Freiheit"
auf der U-Bahn-Haltestelle. Egal. Yepp, Dirk hat Recht, hier gibt es viele,
viele Fress-Möglichkeiten, bis hin ins äußerste Asien -
Libanon, Indien, Thailand. Ich entscheide mich für eine Bratwurst
und beende meinen kleinen München-Rundgang.
Aufwärmen in der Ruffinistraße.
Auf Pro 7 laufen zwei Simpsons-Klassiker, nämlich das "Krusty-Comeback-Special"
und die Folge, in der Homer im Barbershop-Quartett mit Barney, Apu und
Rektor Skinner "Good Bye, my Coney Island Babe" und "Baby on Board" singt.
19.10 Uhr, fünf Minuten Fußweg zum "Rotkreuzplatz" zurücklegen,
"Mailingerstraße", "Stieglmaierplatz" und "Hauptbahnhof" hinter mir
lassen; "Sendlinger Tor". Dirk kommt kurze Zeit nach mir und geleitet mich
durch ein paar Straßen, vorbei an vielen, vielen Bars, bis zu "Maria".
Das sieht gar nicht exklusiv aus. Till, ein befreundeter Journalist aus
Berlin, hockt schon an einem Holztisch und schiebt "Schinkennudeln" nach
Art des Hauses in sich rein. 5,90 Euro kostet der Spaß und das begeistert
Till ungemein. "Fast Berliner Preise", sagt er. Später kommt noch
Manu hinzu und Karnik, ein Absolvent der Münchner Journalistenschule,
Filmemacher, Ex-Redakteur des SZ-Magazins und seit kurzem Papa. Es werden
ein paar Stunden mit Afri-Cola, Nudeln, Haustoast und dem neuesten Klatsch
aus der Münchner Medienszene. Es ist so frustrierend. Ich habe nicht
viel mehr zu bieten als "bald vielleicht Volontär bei der Journalistenschule
Ruhr" und die anderen reden über die BMW-Marketingabteilung in München,
sehr viel über die Süddeutsche Zeitung, über ein Treffen
mit der ZEIT-Wissenschafts-Redaktion in Hamburg, über Referate beim
ZDF in Mainz. Es geht quer durch Deutschland, durch Europa, von Auftrag
zu Auftrag."Nee, ich glaub das ist nix für die FAZ. Vielleicht für
die FR", ist so ein Satz, der schmerzt. Till erzählt von seinem Platz
in einem Berliner Journalistenbüro für ein paar Euro, dass er
über Delfintherapie recherchiert, dass er Zoofan ist, dass er zuletzt
zwei Spiele in zwei Tagen gesehen hat - erst Köln gegen Leverkusen,
dann Duisburg gegen Hertha.. Karnik sucht für seine Tochter einen
Krippenplatz. Und immer wieder bleib i c h in Mülheim hängen,
Ruhrgebiet. Solche Abende sind gut, um wieder auf dem Boden der Tatsachen
zu landen. Die witzigste Geschichte ist ein Wochenende auf Kosten der Firma
Sony in Barcelona - Sony hat pro Journalist 5000 Euro gelatzt. Das eigentliche
Thema "Design" wurde in zwei Stunden abgehandelt, der Rest war Saufen,
Motorbike fahren usw.
Schinkennudeln, die sind
lecker.
Manu verabschiedet sich
gegen 22 Uhr nach Hause. Till, Karnik, Dirk und ich ziehen weiter ins "heyluigi".
Dort hockt der ehemalige Pressesprecher des Süddeutschen Verlags,
der aus irgendwelchen Gründen bald nach Hamburg zieht und eigentlich
nach Berlin will (wieder so viele verschiedene Städte). Der jedenfalls
kennt viele Gerüchte und der ganze Münchner Medien-Müll
wird noch einmal aufgewärmt. Für mich ist das wenig erbaulich
und doch interessant. Zwei Spezi kosten insgesamt sechs Euro - das ist
dann doch das wahre München. So lande ich am Ende mit Schinkennudeln,
zwei Afri-Cola und zwei Spezi bei fast 20 Euro inklusive Trinkgeld. Fast
40 Mark. Doch, München ist ein teures Pflaster. Bei Uli in der "Quelle"
heißt ein Strich für ein 0,3-Bier ein Euro - paradiesische Zustände.
Nicht hier im stylischen Teil Münchens. Bis kurz nach Mitternacht
sitzen wir zusammen und verschwinden dann mit der U1 bis zum "Rotkreuzplatz".
Karnik geht nach Hause, Till pennt heute wohl auch in irgendeinem Zimmer
in Manus und Dirks Bude.
In einem Zeitungskasten
am Aufgang der U-Bahnstation hängt immer noch die Bild mit der Überschrift
"0:1! Löwen jetzt gegen Abstieg".
Was hätte mich in München
erwartet, hätte ich mich vor ein paar Jahren für den Journalistenschulen-Weg
entschieden? Sag "JA" zu Abenden im "Maria" und "heyluigi", zu Freunden,
die durch den großen Journalismus von FAZ über FAS bis zur (natürlichen)
Süddeutschen, zum BR, zur FR und der Zeit tingeln; zu Spezi für
drei Euro, zu Bayern München und dem TSV 1860, zur Süddeutschen
im Abo, zu Schwabing, Milbertshofen, Bogenhausen, Hasenbergl, zu Diskussionen
darüber, ob die Franken blöd sind oder nicht, zur Isar, zu Jogg-Treffen
im Englischen Garten, zu wilden Abenden beim Oktoberfest, zu Alabamahalle,
Atomic Café, Muffathalle, Kunstpark Ost und P1, sag "JA" zum deutschen
Museum und der Pinakothek, zu Ausflügen zum Starnberger See und in
die Alpen, zur Weißwurscht, Brez'n, Schnitzel-Semmel, 'ner zünftigen
Brotzeit, zu Weißbier und Hofbräuhaus, zur Lederhosen-Kultur,
zum bayerischen Dialekt.
Ich hab zum Ja-Sagen "Nein"
gesagt.
Innenstadt
Englischer Garten
Links zum Thema "Andi in München"
München
2002 zum Spiel FC Bayern gegen VfL (4:1)
München
2005 zum Spiel FC Bayern gegen VfL (3:1)
Sonstiges
... ist im VfL-Tagebuch 2005/2006 - TEIL 3 nachzulesen !
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