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VfL Bochum - FC Energie Cottbus 2:2 (15.8.2005)
Noch 32 Spiele bis zur 1. Bundesliga !
Ruuuuummms -. rein ins augenverletzende Zweitliga-Vergnügen
Da war alles noch in Ordnung - Edu's 1:1
Willkommen, Fußballseelen-Verarschung!
Ein Blick ins Tagebuch der
letzten Saison. Huch, ist das schon wieder so lange her? Drei Monate? Drei
Monate ohne Fuuuuuuußball? Das letzte Heimspiel im unsäglichen
Abstiegsjahr. 2:0 gegen
Stuttgart, abermals eine kaum verständliche Leistung, zu der mir
bis heute nichts eingefallen ist. Und nun? JA! Wieder Fußball! Saison!
VfL! Ruhrstadion!!! Wochenlang habe ich geflucht, hatte (wirklich!) absolut
keine Lust auf diese eine Saison, weil sie so dumm, so überflüssig,
so falsch, so scheiße unattraktiv ist. Burghausen, Freiburg, Rostock,
Aue - es geht wirklich in alle Ecken der Republik. Du fährst da als
Top-Favorit hin - und gewinnst dann nicht einmal. Ich könnte immer
noch jeden einzelnen Spieler des Vorjahres-Kaders erwürgen. Lust auf
die neue Saison hatte ich eigentlich keine.
Bis ich dann den Rausch
des großen, weiten Vietnams spürte. Der VfL 15 Flugstunden entfernt,
ein Internet-Live-Ticke aus Hanoi, der ein 4:0 in Saarbrücken auf
den Bildschirm und mir sehr, sehr gute Laune aufs Gesicht zauberte, ja,
doch, irgendwie vermisse ich ihn schon, diesen kleinen Nervenkitzel vor
jedem Heimspiel, dieses schiefe Singen komischer Fan- und kultiger Stadionlieder.
Und Herberts "Bochum" hat nun einmal im Discman auf der Fahrt durch die
Ha-Long-Bucht (so sensationell sie auch sein mag) nicht die gleiche Wirkung
wie fünf Minuten vor Spielbeginn im Ruhrstadion. Komm! Auf geht's
Andi! Auf geht's VfL! Auf geht's Jungs! AUFSTIEG UNSER ZIEL! Nur ein Jahr,
dann sind wir wieder da! Das wird ein Start-Ziel-Aufstieg! Optimistisch
sein! Unsere Mannschaft ist gut. Toll. Die beste in Liga zwei. Jaaa! Die
BESTE in Liga zwei! Glaub dran! Eduuuuuuuuuuu!!! Ja, doch, das mit der
Selbstmotivation klappt doch schon mal ganz gut. Und dann erblicke ich
im Briefkasten das Stadionheft. Auf der Titelseite die Landkarte der 2.
Bundesliga. Eine sehr unglückliche Idee. Die Realität auf buntes
Papier gedruckt. Die schmerzhafte Realität, obwohl wir alle doch eigentlich
von höherem träumen, in jeder Minute. Es vernagelt meine Laune,
aber nur für kurze Zeit.
Mein Kumpel Helmut, der
mein Asien-Tagebuch Tag für Tag aktualisierte, ist schon eine Sau.
In der letzten Saison, in der Bundesliga, schaute er sich ein einziges
VfL-Spiel an, das allererste, während ich seinen MSV in der MSV-Arena
häufiger zweitklassig spielen sah. Kaum ist er in der ersten und ich
eine Etage drunter, kommt er sofort wieder mit, um Zweitliga-Weisheiten
und kleine Frotzeleien loszulassen. Na egal, wird schon ein lustiger Abend.
Fußbaaaaaall!! Wenn's in Vietnam eins nicht gibt, dann das! Aufzeichnungen
von irgendwelchen Premier-League-Spielen aus den 90er Jahren bin ich sowas
von satt, und die Qualität der vietnamesischen Mannschaften ist...
ist... ist... ist... oh je! "Asians... very weak", hat ein Guide auf einem
Zwei-Tages-Ausflug zusammenfassend gesagt. Der Abend beginnt im VfL-Ticketservice-Center.
Eine Karte für das nächste Auswärtsspiel in Ahlen (Hurra,
ich werde das Wersestadion kennenlernen!) möchte ich käuflich
erwerben, und auf meine Frage "Was habt Ihr denn noch so?" antwortet der
Typ am Schalter: "Nur noch eine einzige!" Das ist mein erster Torjubel
des Tages und für 7,50 Euro bin ich in anderthalb Wochen nun live
dabei. Ey Ahlen... Zweite Liga... Hilfe... Schnell noch mal das Stadionheft
rausgeholt, das bedruckte Folterinstrument, und auf die Landkarte geschaut.
Ahlen - das "nächste" Auswärtsspiel. Ansonsten ist nichts unter
anderthalb Stunden Zugfahrt. Scheiße. Zweite Liga. "Hoffentlich hast
Du all Dein Glück nicht schon jetzt aufgebraucht", frotzelt Helmut,
der - genau wie ich - in Internet-Wettbörsen viel Geld auf den VfL
gesetzt hat.
Das Bermuda-Dreieck habe
ich echt vermisst. Nicht nur in den letzten vier Wochen, nicht nur, weil
ich Anfang Juli "Bochum Total" in diesem Jahr sausen lassen musste, nee,
war hier schon länger nicht mehr unterwegs. Durch einen dicken, fetten,
vietnamregenzeitmäßigen Schauer sprinten Helmut und ich erst
zur Bochumer Sparkasse, dann zurück ins Dreieck, ordern eins dieser
sensationellen Baguettes - und zurück in die Straßenbahn (Entfernung
zum Ruhrstadion: drei Haltestellen, fünf Minuten). "Schon zurück
aus Vogelgrippencountry?", hat Gerd vor ein paar Stunden per sms gefragt
- und JAWOLL! BIN ICH! Zweite Bundesliga. Schweineliga. Ich muss mich dran
gewöhnen, werd mich aber wohl nie dran gewöhnen. Was im letzten
Jahr passierte, ist einfach noch zu präsent, vor Augen Edu's Fehler
gegen Lüttich. Jawoll, Eduuuuuuu! Erst der große Depp, in meinem
Gästebuch schrieb Gerd noch etwas vom "nachgemachten Brasilianer"
und heute kann keiner genug von Edu bekommen. Alle VfL-Sponsoren werben
mit Edu's Schädel und sein Trikot steht auf der Hitliste wohl mit
großem Vorsprung auf Platz eins. Vor mir in der Schlange am Eingang
stehen fünfzehn Leute, davon vier mit der "22" und dem "Edu"-Schriftzug
auf dem Rücken. Scheint wohl zu stimmen.
Die Luft... Riecht es! Spürt
es! Ruhrstadion!! Bochum, ich komm aus Dir! Bochum, ich häng an Dir!
Machst mit nem Doppelpass! Jeeeeeeeeden Gegner nass!! Jedes Auftaktspiel
nach einer langen, langen Sommerpause, in der ich diesmal nicht einmal
an der Vorbereitung teilnahm, ist ein Lottogewinn, ein Geschenk, ein großes
Glück. Irgendwann könnte der VfL Kreisliga spielen, und jedes
Auftaktspiel wäre immer noch ein absolut ver- und beim Anpfiff entkrampfendes
Erlebnis. Noch groß gemeckert, wochenlang, dass mich die Zweite Liga
gar nicht vom Hocker hauen würde, tja, und jetzt zittere ich eben
doch. Ist ganz schön voll für ein Zweitliga-Spiel, knapp 20.000
werden's am Ende, für ein Montags-Spiel sehr ordentlich. Jaja, der
Montag. "Und schon wieder montags live im DSF", ein beliebter Sprechchor
bei Fans der schon geretteten gegnerischen Bundesliga-Mannschaften kurz
vor Saisonende gegen abstiegsbedrohte Teams. Hab ich oft gehört im
Vorjahr. Für mich als Sonntags-Arbeiter nun einmal gar nicht so dumm,
aber eben ein Diktat des Fernsehens. Ach, lassen wir das. Keine Fan-Theorie
am ersten Spieltag. "Weeeen lieben wiiiiir??" "V-F-L!" "Weeeen lieben wiiiiir??"
"V-F-L!" "Weeeen lieben wiiiiir??" "V-F-L!" "Weeeen lieben wiiiiir??" "V-F-L!"
Es ist so herrlich, auf den grau-in-grau-Stufen zu stehen, sich umzublicken
und nacheinander all die Leute zu begrüßen, die Du jedes Mal
siehst. Gerd! Guten Moooorgen! Sam und Nicole! Haaaallloooo! Anfang des
nächsten Jahres geht Sam für ein paar Monate beruflich nach Sao
Paulo! Vielleicht bekommt er ja noch vom VfL einen Talentscout-Auftrag.
Keine Ahnung, wer von uns immer nach Brasilien fährt. Sowohl Edu als
auch China wurden als Abwehrspieler "gecastet" und sind alles, nur keine
Verteidiger. Unfassbar. "Tief im Westeeen, wo die Sonne verstaaaaauuuubt",
kommt guuuuut, geht unter die Haut, kurz vergessen, dass es nur die 2.
Bundesliga und damit so etwas wie Fußballseelen-Verarschung ist.
Du erlebst jedes Spiel wie auf Droge. Es beginnt wieder die Zeit, in der
wir alle uns vor dem Anpfiff einreden müssen, "es ist nur ein Jahr,
dann spielen wir wieder gegen Bayern, es ist nur ein Jahr, dann haben wir
wieder Derbys gegen den BVB und Schalke" undsoweiter. Mit der Bundesliga-Brille
Zweitligaspiele sehen.
Mist, gegen wen spielen
wir eigentlich? Scheiße, das habe ich ganz vergessen. Noch einmal
- äääähhh - aufs augenverletzende Stadionheft geblickt.
Ach ja, Cottbus. Noch so eine biedere, völlig unattraktive Zweitligamannschaft,
gegen die Du aus zwei Spielen wahrscheinlich auch nur einen Punkt holst.
Drei haben wir schon aus dem Saarbrücken-Spiel - hmm... und wenn wir
aufsteigen wollen, brauchen wir noch 60. Naja, wo liegt das Problem, unsere
Mannschaft ist doch stark genug. Es ist komisch, die Aufstellung ist mir
relativ egal - für den langzeitverletzten Colding rückt China
nach rechts hinten, Imhof wechselt die Mittelfeldseite (rechts nach links)
und Wosz spielt im linken Mittelfeld. Der Gegner sowieso, ich kenne nur
den saukomischen Torwart Piplica und Kioyo, der im letzten Jahr bei Essen
kläglichst versagt hat. Egal, ich bin easy und entspannt. Das wird
schon.
Kioyo, 9. Minute, 0:1. Spiel
kaum angefangen, direkt konfus, direkt Gegentor. Oh scheiße. Ach
egal. Gerd wirbelt mit den Armen, als wäre er ein Priester in Texas,
auch Sam flucht schon, was der Wortschatz hergibt. "Meine Güte, seid
Ihr alle cholerisch!", sage ich nur. "Das ist ZWEITE LIGA! Unsere Jungs
machen das schon!" "Möchte mal wissen, was in den Keksen war, die
Du heute Morgen gegessen hast!", sagt Gerd. Das Spiel beginnt relativ träge.
Zeit für einen Blick rundherum im Stadion. Sam hat sein Vriesde-Trikot
gegen eins mit einem (natürlich!) Edu-Schriftzug eingetauscht. Und
er hat jetzt Premiere, wie er sagt. Das 4:0 in Saarbrücken konnte
er genüsslich zu Hause verfolgen. Gerd kann keine Geschichten erzählen,
und die Anzeigetafel zeigt fortwährend "0:1" an. Unsere Jungs mühen
sich, das Engagement ist wirklich nicht abzusprechen. Doch eins fällt
mir jetzt auf wie in keinem Zweitliga-Jahr zuvor. Der Unterschied zwischen
den Ligen eins und zwei ist phänomenal groß. Die Cottbusser
kloppen, was das Zeug hält, sammeln schon in den ersten zehn Minuten
zwei Gelbe wegen groben Fouls. "Für Zweitliga-Verhältnisse treten
die ein bisschen zu sehr", beruhigt Helmut, der Zweitliga-Experte. Naja,
normal ist das ja scheinbar doch nicht. Die Eleganz eines Lucio oder Bordon
in der Abwehr wird mir auch sehr fehlen. Wenn sie einen Ball bekommen,
wird der hübsch angenommen, dann wird geguckt und mit Brillanz an
einen Mittelfeldspieler weitergereicht. Und in Liga zwei? Egal, ob ein
Stürmer in der Nähe ist oder nicht: RUUUUUUUUMMMMMMSSSSSS, raus
mit der Kugel. Tribüne, Seitenaus, egal wohin. Das können die
Cottbusser sehr gut - und unsere Innenverteidiger Drsek und Maltritz lassen
sich auch zuweilen auf dieses Spielchen ein. Und woran wir uns auch gewöhnen
müssen, ist dieses verdammte Zeitspiel. Schon in Minute elf, unmittelbar
nach dem 1:0, lässt sich Cottbus-Torwart Piplica seeeeeeeeehr viel
Zeit beim Abstoß und lässt sich zu einer üblen Schauspiel-Einlage
hinreißen, die ihn direkt zum "Publikumsliebling" werden lässt.
Oh ja, Niveau der zweiten Liga, ich habe dich vermisst! Doch 1:0 steht
es weiterhin! 1:0! 1:0! Cottbus!! Und was mir Sorgen macht: Jede Ecke,
jeder Freistoß ist gefährlich, denn in der Luft sind die uns
um Längen überlegen. Kein Wunder, denn außer Maltritz,
Drsek und Edu haben wir keinen Kopfballspieler in der Mannschaft - und
Cottbus fünf oder sechs davon. Scheiße.
Die Zeit saust vorbei und
saust vorbei, wir unterhalten uns kurz über die Fans von Dynamo Dresden,
die von Rot-Weiß Essen (Sam: "Das sind die, die bei Schalke nicht
genommen wurden!"), als Bönig in Minute 29 den Ball in den Fuß
von Edu passt. Und der - EDUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUU!!!!!! - nein, schiebt
die Kugel nicht am Torwart vorbei, es hämmert den Ball unter die Latte.
SUPER! FANTASTISCH! Selbst Helmut ringt das 1:1 ein "Der Edu ist schon
klasse!" ab. EDUUUUUUUUU!!! Na bitte, ich sag's doch, immer easy und entspannt
bleiben, das ist zweite Liga, wir sind vorne einfach zu stark. Halbzeit
1:1, das Ganze lässt aber nicht darüber hinweg täuschen,
dass das Spiel schon eine ziemliche Enttäuschung ist. So eingespielt
wie behauptet sind unsere Jungs doch nicht. Ohne Colding rechts hinten
gibt es ziemliche Probleme, denn China ist tatsächlich alles andere
als ein Abwehrspieler, Wosz weiß im linken Mittelfeld überhaupt
nicht, was er machen soll und ist absolut fehlbesetzt. Unsere Innenverteidiger
Drsek und Maltritz erweisen sich wahrlich nicht die Großmeister des
geordneten Spielaufbaus und Bechmann spielt als zweite Spitze mehr als
unglücklich. Das sieht alles zwar engagiert aus, ist aber eigentlich
nur ein großes Durcheinander. Mit den üblichen Zweitliga-Mitteln
- treten, bolzen, hohe Flanken - hat Cottbus das Ding hier absolut im Griff.
Halbzeit zwei. Meine Entspannung
hält an, und in Minute 59 weiß ich auch, warum. Flanke Misimovic,
Kopfball Drsek unter die Latte - 2:1 für uns, jawollja. Die ersten
meckerten schon über Drsek - und jetzt ist er doch auf einmal ein
guter Einkauf. Jepp, 2:1. Das war's. Das muss reichen. Die Sekunden verrinnen
nur langsam. "Kategorie Arbeitssieg! Nicht mehr", stellt Gerd fest. Stimmt
voll und ganz. Die Cottbusser versuchen alles. Und Herr van Duijnhoven
beweist, warum ich ihn zum besten Torwart der zweiten Liga erhob. Er faustet,
hält fest, wehrt ab, so dass das 2:1 langsam glücklich wird.
Zweimal - durch die Herren Diabang und Edu irgendwann in den 80er Minuten
haben wir Riesen-Konterchancen, aber es bleibt beim 2:1. Kioyo hätte
nach einer deutlich sichtbaren Tätlichkeit an Maltritz in der 74.
Minute schon längst nicht mehr auf dem Platz stehen dürfen, aber
von Schiris eher beschissen als bevorzugt zu werden (siehe letzte Saison),
ist eine Grundregel des VfL Bochum. Tja, und was dann passiert, ist vorhersehbar.
Minute 92, ein Freistoß, wir sind in der Luft wieder total unterlegen,
Kioyo köpft, 2:2. Ende.
Ohgottohgottohgottohgottohgottohgottohgott.
Tabellenführung verspielt, ein Vier-Punkte-Start ist nur noch durchschnittlich
und die Leistung der Mannschaft war wirklich dürftig. "Ich hab's dir
im Ticketservice gesagt", meint Helmut. "Hoffentlich hast du dein Glück
nicht schon verbraucht." Geld hat Herr Kioyo uns beiden geklaut!
Tschüss, alle zusammen.
Olé, es ist wieder Fußball. Und auch wenn es nur Cottbus war,
und nur zweite Liga: Schön, wieder hier zu sein. Aber nun lasst mich
das Stadionheft mit der unsäglichen Landkarte weglegen. Und wieder
von anderen Zeiten träumen. Als die Bayern noch kamen. Und wir sie
mit
1:0 schlugen...
Noch 31 Spiele bis zur 1. Bundesliga !?
Hinter den bösen Gittern des Profifußballs stehe ich - und darf mir Liga eins nur von draußen angucken
Ein eigentlich scheißeunterhaltsames Fußballspiel - und doch ein Abend voller Entsetzen, Geknicktheit, Verärgerung, Enttäuschung und Wut auf die ganze Welt - und ein Ausklang im Freeland, au weia
Zweite Liga, Bochum ist dabei! Das Stadion am Blötter Weg mit Dach
Broken dreams
Und wenn auch gar nichts klappen mag: Edu trifft immer
Und ich wanderte durch das
finstere (T)Ah-len, hörte im Discman "Boulevard of broken dreams",
summte mit zu "I walk a lonely road" und registrierte: Scheiße, wir
sind wieder angekommen in der zweiten Liga.
Und ich stand dort in der
Kurve auf den Zehenspitzen, in einem viel zu kleinen Stadion, das nicht
komfortabler als unsere gute alte "Blötte" vom VfB Speldorf daherkommt,
und schüttelte den Kopf, weil mein Verein, meine Mannschaft nicht
in der Lage war, einen Abstiegskandidaten der zweiten Liga zu schlagen.
Und ich verweilte auf dem
Bahnhof des Klitschenhalts "Ahlen", hörte lachenden, pubertierenden
Jugendlichen zu, die beschwingt und betrunken dummes Zeug sangen und sabbelten
und lauschte dem Schrei eines verzweifelten älteren Fans: "Ey wir
haben hier in AHLEN 2:2 gemacht, in AHLEN und ihr albert hier rum. Geht
Euch das GAR NICHT NAHE???"
Und ich sitze vor dem Text,
sieben Monate nach dem Abpfiff, im ICE auf dem Weg nach München. Wir
sind Erster, spielen mehr schlecht als recht und an der bisherigen Saisonleistung
meines VfL scheiden sich die Experten. Glück, weil wir oft, viel zu
oft 1:0 gewonnen haben. Oder das für diese Klasse nötige Können?
Und ich bemerke, dass ein
Spiel garantiert nicht in die Vereinsgeschichte aufgenommen wird: Dieses
2:2 an diesem Spätsommertag in Ahlen.
Ich hätte Euch gern ein paar Bilder aus Ahlen präsentiert. Aber da gab es NIX zu sehen! NIX!
Noch 30 Spiele bis zur 1. Bundesliga !
Eine Minute danach: Drei Punkte der Ersten Liga näher gerückt
FOTO-STORY I
Zwei Stunden davor: Und schon wieder montags live im DSF
1:0, Klappe 1
93.
Minute und ein paar zerquetschte Sekunden: Martin Meichelbeck schalalalalala
traf
Noch 28 Spiele bis zur 1. Bundesliga !
FOTOSTORY II
1:0, Klappe 2
Noch 26 Spiele bis zur 1. Bundesliga !
FOTOSTORY III
1:0, Klappe 3
Mülheim Hauptbahnhof, Montagabend um 19.45 Uhr, Anstoß um 20.15 Uhr - huuuh, das wird aber knapp... | Bochum Ruhrstadion, Montagnacht 22.20 Uhr, tja, es hat wieder knapp gereicht. |
Noch 23 Spiele bis zur 1. Bundesliga !
Marcel Koller kurz vor der "Humba"!
Endlich mal...
... überzeugend
Ein paar Anmerkungen zu dieser
Foto-Story:
1) Meine Lieblingsszene:
Das Eigentor von Benni Baltes kurz vor der Halbzeit. Soso, das hat der
gute Benni also beim KFC Uerdingen gelernt...
2) Zum wohl letzten Mal
sah ich Richard Golz im Tor eines Profivereins stehen. Machs gut, Richie!
Hat Spaß gemacht!
3) Hey, nicht 1:0 gewonnen,
sondern 4:0 - was ist los?
4) Gruß aus dem ICE
nach München am 13. März 2006
Noch 23 Spiele... | ... bis zur... |
... Ersten... | ... Bundesliga! |
Wu-Huuuu... "Song 2". Wenn schon rausfliegen, dann dort!
Einer der schrägsten Abende des Jahres. Sam hat Geburtstag und sagt's nicht, ein Taxifahrer bescheißt uns und kriegt's selbst zurück und unsere Mannschaft spielt unter aller Sau. Und doch ist's wahnsinnig kultig.
DFB-Pokal in Hamburg, 1. Halbzeit. NDR 2 läuft.
Im Taxi Anpfiff. Oder: Noch 19 Kilometer bis Blur
Eine der übelsten sportlichen Blamagen meiner VfL-Karriere
Im Intercity zurück
werde ich müde. "In wenigen Minuten erreichen wir Rotenburg / Wümme",
prustet der Schaffner in einem unverkennbar schleswigholsteinischen Akzent
durch die Zug-Lautsprecher, und wenn es nicht schon Mitternacht wäre,
ich würde es mutmaßlich verdammt lustig finden. Und so komme
ich nicht einmal mehr dazu, mich zu fragen, wo genau Rotenburg / Wümme
lügt, und was Wümme überhaupt ist. Ein Fluss? Ein zweites
Dorf? Ein Stadtteil? Und vor allem: Wen interessiert's!? Kurz vor Mitternacht,
draußen ist alles still und leise. Nur der Zug und sein einsames
Raaaauschen und Raaaauschen und raaauschen und rrraasschhhh... schhhhschh...
und ich schlummere sanft und ein bisschen einsam ein. Im Ohr eine der CD's,
die ich mir für meine Sommerurlaube brannte. Es ist ein Abend, an
dem sich alle Songs dieser CD, ach was, alle Songs dieser Welt uminterpretieren
lassen. Lied vier zum Beispiel. "Bad day" von REM... "It's been a bad day!"
Oh yeah, wie wahr. Alles schief gegangen, wirklich alles. Aber doch so
bad, so schlecht? "Losing my religion", wieder REM, aha, na gut, gelost
haben wir, klar, aber die "religion"? Umdeutbar? "Endlich einmal" von Tomte
bringt das dreifache Glücksgefühl. Ein wunderschönes Lied
für diese Nacht im Zug, ein toller Song überhaupt und vor allem
so passend. "Endlich einmal"... ein geräuschloses Auswärtsspiel?
"Endlich einmal..." im Pokalfinale stehen? "Endlich einmal..." St. Pauli
sehen. Ja, das ist geschafft. Wohlan. Rrrrraaassschhh...
Die Bundesbahn und ich.
Und wir. Und wie auch immer. Morgens noch zwei Pressetermine. Nummer eins
in einer Mülheimer Realschule, die Bewerbungstraining anbietet. Um
12 Uhr das Ganze. 13 Uhr dann ein Gespräch zum Martinsmarkt in Mülheim-Speldorf.
Hurra, am anderen Ende der Stadt. Das schaffe ich nie. Treffpunkt mit Sam
um 15 Uhr am Bochumer Hauptbahnhof. Wollten mit dem Auto fahren, bis gestern
Abend noch. Und dann dieses Wetter - Regen! - und diese Vorhersagen - Regen!!
- und diese damit verbundene Staugefahr. Dann doch lieber die Bahn benutzen,
die gute alte. Eiligst packe ich in der Redaktion meine Sachen zusammen,
sage den Redakteuren nicht einmal richtig "Tschööö" und
verschwinde im Zug. Auswärtsspiel, Auswärtssieg? DFB-Pokal, Berlin
2006? In meiner Arbeitstasche zahlreiche Blöcke, Zeitungen, und ein
wenig verknittert mein VfL-Schal. Mein Schal, der mich so viele Jahre begleitet
und den ich an all dieser Zeit niemals wusch. Ich nehme ein Ende an mich,
halte den nicht wirklich flauschigen Stoff unter meine Nase, und nein,
der Schal, der namenlose Schal, stinkt nicht einmal. Es geht um nichts.
Irgendwie. Gut, DFB-Pokal, okay. Aber einmal im Leben will ich den FC St.
Pauli Fußball spielen sehen. Und gegen meinen VfL... einmal laut
das "Wuuuu-Huuuu!" im "Song 2" von Blur mitgrölen, auch wenn das nur
läuft, wenn St. Pauli ein Tor erzielt hat. Egal. Soll's eben das 1:5
sein, wie auch immer. Schnell noch den ausgedruckten Plan aus der Tasche
gezogen. 15.11 Uhr ab Bochum, 18.11 Uhr an Hamburg, Anstoß 19.30
Uhr - das sollte reichen.
Sam kommt mit. Schon eine
Woche nach der Auslosung telefonierten wir und beschlossen: Da müssen
wir hin!! Im Foyer des Bochumer Hauptbahnhofs ("Vorhalle" klingt
nach dem Umbau ein wenig zu plump) verrät ein Blick auf die Tafel
das erste Problem: VERSPÄTUNG! "Die Bahn", murmelt Sam, "die deutsche
Bahn. Nur Probleme!" 30 Minuten hängt unser erster ICE hinter der
Zeit. Den Anschlusszug verpassen, adieu, 18.11 Uhr, und wir sind immer
noch in Bochum. Scheiße! Wir schnappen uns unsere Rucksäcke,
unsere VfL-Schals und schlurfen ins Reisezentrum. Nächste Möglichkeit?
15.34 Uhr ab Bochum, umsteigen in Hannover, Ankunft 18.54 Uhr. Wird knapp
mit dem Anpfiff, müsste aber reichen. Müsste reichen. Bittebitte...
das Einlaufen mit AC/DCs "Hells Bells" möchte ich nicht verpassen.
Wenn schon St. Pauli, dann richtig. Bei McDonalds lasse ich ein "Big Tasty"-Menü
für mich zubereiten (wobei dieser Satz mit dem Wort "zubereiten" im
Zusammenhang mit Mäkkes einer Perversion gleichkommt...). Sam verdrückt
einen Mc Chicken und mit vollen Backen stapfen wir die Treppen zum fünften
Gleis hinauf. Zehn Minuten zu spät, super, dann kommen wir erst um
15.45 Uhr weg. Prima. Einlaufen adé.
So viel Zeit habe ich am
Stück noch nie mit Sam verbracht. Seine reizende Frau Nicole ist leider
ganz in Bochum geblieben, mein Bruder hätte aus New York einen noch
längeren Anreiseweg gehabt, also alleine nach St. Pauli. Alleine zu
einem Auswärtsspiel, dass der einzige Höhepunkt in dieser verkorkst-langweiligen
Saison zu werden droht. DFB-Pokal, wenn wir weiterkommen, vielleicht ist
das die einzige Herausforderung, die noch auf uns wartet, denn mal ehrlich:
Wer zweifelt ernsthaft daran, dass wir mit weniger als zehn Punkten Vorsprung
aufsteigen? Es läuft verflucht gut, das 4:0 gegen Freiburg war eine
unfassbare Gala. Und St. Pauli mag zwar schön, sympathisch und erlebnisreich
sein, aber wir plästern die vom Platz, kein Zweifel. Hannover Hauptbahnhof,
ging ja schnell, umsteigen, super, Anschlusszug auch zehn Minuten zu spät.
Frühestens um kurz nach sieben in Hamburg, klasse. Der ICE ist auch
noch rappelvoll. Sam und ich stellen uns in den Bistrobereich und schauen
zu, welche Leute was im Bistrobereich ordern. Sauwitzig sieht das aus.
Die einen essen tatsächlich ein eingeschweißtes, nicht sehr
appetitliches Sandwich für unglaubliche 3,50 Euro, andere versuchen
sich an einem warmen Gericht (kostet ebenfalls eine Schweinekohle), und
draußen wird es langsam dunkel. Vom Spiel keine Spur, nur von der
Verspätung. Sam erzählt mir viele Geschichten aus seiner bewegten
Kindheit, aus seiner Heimat USA, etwas über Zukunftspläne. Vor
ein paar Tagen hat er die letzte Prüfung bestanden und ist nun Rechtsanwalt.
Eine Tour nach Hamburg als eins der Examensgeschenke. Das hat Stil. Und
das dauert und dauert und dauert. 18.45 Uhr, Lüneburg. Noch eine Haltestelle
bis Hamburg-Harburg. Jetzt können wir's sehen. "Nehmen wir vom Hauptbahnhof
ein Taxi zum Millerntor?" "Ja, wir riskieren's", sagen Sam und ich. HAAALLLOO!
LÜNEBURG! WEITERFAHREN!!! Der ICE steht. Steht und steht und steht.
Eine Minute, zwei, drei, vier, fünf. Durchsage, es krächzt im
Zug. "Sehr geehrte Damen und Herren, aufgrund eines Gasunfalls in Hamburg
halten wir in Lüneburg auf unbestimmte Zeit." Rumms. Tschüss
St. Pauli. Tschüss DFB-Pokal. Eine Träne kullert meine konsternierte
linke Wange hinunter, alles gegeben, alles versucht, so viel getan, so
viel Geld ausgegeben, und alles fällt von mir herunter. Darf doch
nicht wahr sein. Die Sekunden, Minuten verrinnen und nichts tut sich. Kein
Bahn-Wunder. Neinnein, die Gerüchte werden schlimmer. "In Hamburg
tut sich gar nichts mehr. Die haben den ganzen Bahnhof abgesperrt", sagt
eine hysterische Mittvierzigerin, schick gekleidet, mit Riesenkoffer, nach
einem hektisch geführten Telefonat. 19 Uhr; Reini-Rein-van-Deini macht
sich warm und wir stehen 35 Auto-Minuten vom Millerntor entfernt im ICE
am Lüneburger Bahnhof. Sam, eine Entscheidung muss her. JETZT! JETZT!
Wir überlegen... Variante eins: Wir setzen uns in Lüneburg in
den erstbesten Zug und fahren wieder zurück ins Ruhrgebiet. Ohne Spiel,
ohne alles. Oder wir finden irgendwie auf anderem Weg Richtung Hamburg.
Fußball-Fans sind total verrückt. Irre. Irrational. Sie treffen
Entscheidungen, die ein normaler Mensch überhaupt nicht nachvollziehen
kann. Und wir nehmen Tor B. Dort ist der "Zonk" drin. Naja, und gleich
auch die Variante, die auch ein paar andere Mitreisende bevorzugen. Taxi.
Vier Buchstaben, ein teures Wort. Taxi.
Sam und ich schnappen schnell
unsere Taschen, springen in das erstbeste gelbe Auto mit dem leuchtenden
Schild. Wir beide sitzen hinten im Auto, Sam mittig, ich rechts. Links
hockt ein Rentner, Anfang 60 würde ich schätzen, aber durchaus
gebildet. Hat viel verdient in seinem Leben, denke ich. Wohin wir wollen,
ist an unseren Schals gut zu sehen. Er lässt sich zum Hauptbahnhof
kutschieren. Und der Typ vorn auf dem Beifahrersitz sieht aus wie Peer
Steinbrück, nur zehn Jahre jünger. Selbe Größe, selbe
Gewichtsklasse, selbe Frisur, selbe Brille - voila, Peer in jung. Im "Atlantic
Hotel" wird er die Nacht verbringen, huuuh, "Atlantic", klingt teuer. Vor
Abfahrt telefoniert er schon mit seinem Handy. Das kann ja 'ne Fahrt werden.
19.05 Uhr. Festpreis 85 Euro für vier Personen und wir kommen direkt
bis vor die Gästekurve. LOS!
"Sam", flüstere ich
ihm im Taxi zu, als wir auf die Autobahn einbiegen, "wir fahren jetzt wirklich
mit einem Taxi von Lüneburg bis Hamburg, nur um den VfL im DFB-Pokal
spielen zu sehen!?" Sam lacht nur laut. Darf nicht wahr sein. Einlaufen
adé. "Hells Bells" adé. "Wenn wir gut durchkommen", meint
der Taxifahrer, auch mit diesem witzigen nordischen Unterton, "dann sind
sie zur 15. Minute da!" Sam informiert seine Frau telefonisch über
die aktuelle Sachlage, als wir kurz vor Hamburg auf der A1 in einen Stau
reinreisen. Aber klar, musste ja so kommen. "Ach wäre ich bloß
anders gefahren", sagt der Taximann laut. Ein Taximann mit der Aura von
Herrn Holm, kennt ihr ihn noch, den von Dirk Bielefeldt gespielten verpeilt-schrulligen
Polizisten aus den 90ern!? Er schleicht und schleicht, dann wird es mal
wieder schneller, zwischendurch halten wir an der Raststätte "Stillhorn",
schließlich brauchen wir für die Taxifahrt Geld. Ein Arbeitskollege
ruft mich an, ich erzähle ihm, wo ich gerade bin... Unverständnis
auf der anderen Leitung. Kopfschütteln! Das kann ich zwar nicht hören,
vor meinem inneren Auge aber sehen. Taxi... von Lüneburg!? Tataaaa!
Noch 19 Kilometer bis Blur.
Der Typ rechts vorn telefoniert
noch, links hinten sind der Opa und Sam in Gespräche über Sao
Paulo übergegangen. Dort wird Sam drei Monate lang arbeiten, Anfang
des nächsten Jahres. Und der Opa war vor ein paar Tagen rum. Sam kann
Englisch, Deutsch, Französisch und Portugiesisch. Portugiesisch...
wusste ich gar nicht. Vielleicht sollte Sam das Scouting für den VfL
übernehmen - und endlich auch einmal Spieler für die richtigen
Positionen sichten. Jawollja! Jawollja, Fußball, stimmt, darum geht
es hier. 19.30 Uhr, Anstoß, und wir sind immer noch auf der Autobahn,
kurz vor der Abfahrt. Die Krawatte des Taxifahrers wird länger und
länger... denn je größer der Stau ist, desto geringer fällt
sein Stundenlohn aus. Gut, dass wir uns für einen Festpreis und gegen
das Taxameter entschieden haben. Anpfiff am Millerntor... und in Hamburg
geht nichts mehr. No way. Kein Vor. Kein Zurück. Dabei ist der Feierabendverkehr
doch eigentlich schon rum. Das blanke Entsetzen!! Wir wollen doch zum SPIEL!!!!
Meinen kleinen, dünnen, vor Stadiondurft triefenden Schal presse ich
fest um meinen Hals; Sam ebenso, und wir fahren die übliche VfL-Fan-Linie.
"Wir Bochumer", sagen wir abwechselnd, "wir sind ja Kummer gewohnt." Ja,
doch, wir sind gute Vertreter unseres Vereins, und die beiden Mitfahrer
werden bestimmt weitererzählen, was für nette und total bekloppte
Fans sie getroffen haben. Tja, aber von all der Erzählerei kommen
wir dem Stadion auch nicht näher. Der Hauptbahnhof ist aufgrund des
Gasunfalls abgesperrt - und der Verkehr zusammengebrochen. Alle 30 Sekunden
geht es zehn Meter vorwärts. Nicht mehr. Ampelschaltungen interessieren
nicht mehr. "Bei Normalverkehr sind es zehn Minuten bis zum Millerntor",
sagt der mittlerweile recht böse Taxifahrer. Schon 200 Meter vor dem
Bahnhof steigt der Opa aus. Bleiben noch drei. Der dritte aber telefoniert.
In einer Tour. Boooaaaah!!! 19.45 Uhr, eine Viertelstunde ist um. Verpasst.
Das Spiel. Klappt das überhaupt noch? "Machen sie doch mal das Radio
an", sagt Sam, sage ich, einer von uns. Der Taximann dreht am Knöpfchen
und im Display erscheint NDR 2. Prima, dann erfahren wir wenigstens, wie
es steht. "Ja, das gibt es doch gar nicht", plärrt Rolf-Reiner Gecks,
den ich sogar an der Stimme erkenne, "es steht 1:0 für St. Pauli und
hätte Dinzey den Elfmeter verwandelt..." Hä? Sind doch erst 15
Minuten rum! Tor? Elfmeter?? Sam und ich blicken uns an. "Also heute geht
auch alles schief", sagt er. "Aber immer positiv denken. Immerhin sind
wir in diesem warmen Taxi und müssen uns nicht das Drama angucken.
Zudem kommen wir pünktlich zur Aufholjagd." Ja, kommen wir das wirklich!?
Es geht nicht vorwärts. Unser Ziel schrauben wir auf den Beginn der
zweiten Halbzeit, alles andere ist Utopie. Das "Atlantic Hotel" erreichen
wir nach kurzer Zeit, der Geschäftsmann gibt sogar 25 Euro, Hut ab,
dafür sackt er auch die Quittung ein. Der Taxifahrer hat seinen Abend
total abgeschrieben und raucht sich eine. Verspätungen, Taxi von Lüneburg,
eine Halbzeit im Auto. Halbzeit-Konferenz, das Stau-Ende ist in Sicht.
"Und TOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOR IN HAMBURG!!! TOR FÜR SANKT PAULIIIIIIIII!",
brüllt Gecks. "Und das ist hoooooochverdient! Pauli spielt den Tabellenführer
der 2. Bundesliga an die Wand, hätte höher führen können,
nein, müssen. Ist das ein Spiel!" Mehr als lautes Gelächter bekommen
Sam und ich nicht mehr hin.
20.30 Uhr, die Flutlichtmasten
tauchen am Horizont auf, Flutlicht. Und zur 53. Minute lassen wir unsere
Eintrittstickets vom Ordnungspersonal abreißen. Geplante Ankunft
18.11 Uhr, reale Ankunft über zwei Stunden später. Wahnsinn...
0:2! Dreht das noch, Jungs! Dreht es!! Die Ordner sehen schon so abgefahren
aus wie in keinem anderen Stadion, und das Millerntor ist eine ziemlich
alte Bruchbude, verbreitet aber einen wahnsinnigen Charme. Ich atme einmal
tief ein, schaue Sam beim wohlverdienten Biergenuss zu. Jaaa, Sankt Pauli
gesehen. Und für all diese Strapazen würde ich beim Oberkellner
am liebsten einmal Verlängerung mit Elfmeterschießen bestellen.
Wir haben uns gerade unseren Stehplatz-Nachbarn vorgestellt und ihnen unsere
Geschichte erzählt, als Lechner den Ball nimmt und in den Giebel knallt.
3:0. Eine Riesenenttäuschung... bis... bis... bis... ja bis die ersten
Takte kommen... noch ein paar Schläge, ein ganz kurzes Gitarrensolo
zur Einleitung. Und dann? "WWWWUUUU---HUUUUUUU" oder "JUUUUHUUUU", sucht
Euch was aus. "Song 2" von Blur. Ich muss schon fast nicht mehr weinen.
Was ist das hier? Träume
ich? Träume ich diesen ganzen beschissenen verkorksten Tag? Alle spielen
überheblich, wollen sich auf dem tiefen Rasen scheinbar nicht schmutzig
machen (ist heute etwas Besonderes im Bermuda-Dreieck?) und verloren bei
jeder erstbesten Gelegenheit den Ball. Sankt Pauli ist haushoch und in
allen Belangen überlegen und spielt uns an die Wand. Ich verbringe
die wenige Zeit damit, die Stimmung zu genießen. St. Pauli, fast
pleite, Regionalliga, weit weg von der Spitze, ersatzgeschwächt. Und
dann singen die abgefahrensten Fans überhaupt "You'll never walk alone".
Ganz allein und sogar textsicher. Das ist Gänsehaut. Das ist die Gänsehaut,
für die sich jede Strapaze lohnt. St. Pauli lässt noch das 4:0
folgen, aber das bekomme ich kaum noch mit. Ich lebe schon in anderen Sphären.
"Endlich einmal" Pokalsieger werden? Nicht vor 2007. Nein, wirklich nicht
vor 2007.
Abpfiff, Sam und ich lachen
nur noch. Von den Spielern wagen sich nur Zdebel und Bechmann richtig nah
in die Kurve, Zdebel diskutiert ein bisschen, aber was bringt das schon!
Nach einem solchen Pokalspiel, einem solchen Debakel, einem Desaster, einer
Blamage, ist jede Diskussion eine Anmaßung. Sam und ich fotografieren
uns gegenseitig vor dem St. Pauli-Wappen und lachen nur noch. "Wenn
wir irgendwann", sage ich, "irgendwann im Alter auf unsere Zeit als Fußball-Fans
zurückblicken und unsere schönsten Erlebnisse aufzählen
sollen - dieses Spiel ist dabei." Die VfL-Fans, die noch weit nach Schlusspfiff
ausharren, brüllen laut "St. Pauli! St. Pauli!" mit. Ich auch. Ausscheiden
ist nie schön. Aber wenn, dann bitte nur am Millerntor. Einige machen
sogar die Welle. Jaja.
Ein Opa, der so aussieht
wie Käptn Blaubär als Mensch geleitet uns zur Reeperbahn. Mit
einem einstündigen Spaziergang wollen wir unseren sinnlosen Ausflug
abschließen. Sam ist überrascht, dass sich minderjährige
aussehende Mädchen ganz offen postieren. Und ein "Reinholer" versucht
uns mit dem Spruch "Hier gibt es noch richtig Fickerei. Mit Blasen ohne
Kondome" in sein Etablissement zu locken. No way. Sam futtert nebenbei
lieber eine M&Ms-Tüte und amüsiert sich schweigend. Ein bisschen
leer ist es für eine Dienstagnacht, sage ich. Mag sein, dass ich mich
irre. 0:4 beim Regionalligisten. Ist das wahr?? Nee, oder? Unterwegs erfahren
wir, dass die Züge ab Hauptbahnhof wieder fahren. Kommen wir wenigstens
noch nach Hause und müssen nicht aus Zwang irgendwo pennen. Am Bahnhof
kommt ein Zug mit 120-minütiger Verspätung an! 120 Minuten!!!!
Sam und ich hocken uns - müde wie wir sind - und erfahren, dass auch
unser IC inzwischen eine 15-minütige Verspätung angesammelt hat.
Scheiße. Hört das denn nie auf? Kann nicht wenigstens die Rückfahrt
leise verlaufen?
Um 23.15 Uhr platziert der
Lokführer seinen Finger auf der "Gas"-Taste. Tempo. Tempo. Will noch
nach Hause. Aber erst einmal bin ich müde und sinniere über diesen
unglaublichen Tag. Mit Musik von REM, mit "Endlich einmal" und mit "Wünsch
Dir was" von den Toten Hosen. "Es kommt die Zeit - oooooooohoooooo - in
der das WÜNSCHEN wieder hilft." Wünschen. Oh ja, ich wünsch
mir was. Zwischen Rotenburg und Münster falle ich in einen tiefen
Schlaf, Sam nickt auch ein bisschen weg, und kurz vor Bochum meint er:
"War das ein abgefahrener Geburtstag!" Zum letzten, aber garantiert nicht
ersten, Mal an diesem Tag sackt mein Gesicht von 100 auf 0 zusammen. GEBURTSTAG?
Dieser unfassbare Kerl! Lässt seine Nicole zu Hause und fährt
zum Fußball. Zu so einem Spiel!! Um 3.15 Uhr sinke ich ins
Bett. Flauschig. Warm. Weich. Vielleicht wache ich morgen früh auf
und kann mich an nichts mehr erinnern. Hoffentlich aber nicht. Über
diesen Abend wird noch lange, lange zu erzählen sein. Blur. "Wuuu-Huuuu".
Ich hab's gehört. Und es war geil.
Sams 33. Geburtstag
St. Pauli
Der Megafon-Mann jubelt, denn nur die Paderborner umarmen sich...
Noch 22 Spiele bis zur 1. Bundesliga !
"Und schon wieder ungeschlagen VfL" und andere Peinlichkeiten
Dosenbier kann Fußball spielen
Lasst mich ein paar Worte
zur 2. Bundesliga sagen, naja, ein paar Regeln für die laufende Saison
eher.
Regel eins: Ich
bin arrogant. Ich bin scheiße arrogant. Seit dem ersten Trainingstag
lautet mein Motto "mit dieser Mannschaft dürfen wir in dieser Saison
kein Spiel verlieren". Wahnsinn, dass ich nach elf Spieltagen immer noch
meine Schnauze groß nennen und "Und schon wieder ungeschlagen VfL"
sowie als Begrüßungschor bei jedem Telefonat "Spitzenreiter!
Spitzenreiter! HEYHEY!" brüllen darf.
Regel zwei: Die zweite
Liga ist mir egal. Fragt mich nach dem augenblicklichen Tabellenstand
- und ich weiß ihn nicht. Das einzige, was mich juckt, ist der Vorsprung
auf Platz vier. Nicht mehr, nicht weniger. Die Paarungen des aktuellen
Spieltages und die Zwischenstände an den Anzeigetafeln äh Videowänden
sind mir total scheißegal. Und dem Rest in der Ostkurve übrigens
auch. Ja, wir nehmen die zweite Liga nicht ernst. Und fahren verdammt gut
damit.
Regal drei: Texte gibt
es nur im Notfall. Es fällt mir einfach verdammt schwer, mir etwas
Kreatives für die Spiele der 2. Bundesliga auszudenken. Es sind Gegner
wie Ahlen (!), Paderborn (!!) und bald kommt Burghausen (!!!), das wäre
dann wirklich Plattenplatzverschwendung auf Webservern. Da belasse ich
es lieber bei zwei/drei Schnappschüssen mitten aus dem Spiel.
Regel vier: Die zweite
Liga tut weh. Wie geht der Spruch? Nur wer die Bitternis der Niederlage
geschmeckt hat, weiß die Süße des Sieges zu genießen!?
Oh ja, Niederlagen hatte ich genug in meinem Leben. Fünf Abstiege,
eieieieiei. Doch der fünfte, er tat sehr, sehr weh und er tut immer
noch sehr, sehr weh. Bitternis der Niederlage, oh wie wahr. Die letzten
drei Jahre bereiste ich die großen WM-Stadien Deutschlands, die großen
Städte, von München bis Hamburg, von Berlin bis Stuttgart, von
Dortmund bis Bremen. Und nun ist alles das ein Jahr, ein paar Kilometer
weit weg. Weg! Weg! Weg!
*
In der zweiten Liga kommen
Mannschaften wie der SC Paderborn in dein Stadion. Sie sind dir egal, so
nichtig, so schnuppe.
Ich betrete die Stehstufen
meiner zweiten Heimat, der Gegner fällt mir kaum noch ein. Ich will
ein bisschen Fußball gucken, na gut, nach dem Dienstags-Flop in St.
Pauli fällts schwer, aber okay, das heute ist eine Zugabe, ein lockeres
Spiel, ein souveränes 3:0, eben ein weiterer, langweiliger Schritt
auf dem Weg zurück in Liga eins. Und wenn wir nicht gewinnen? Auch
egal, denn durch den guten Start würden wir selbst bei einer Niederlage
noch über dem vorgegebenen Soll liegen. Es ist also komplett sinnlos,
den Abend im Ruhrstadion zu verbringen, zumal sich von meinen Stadionkollegen
nicht ein einziger in die Kurve traut. Langweilig eben.
Spiele wie heute sind ganz,
ganz lästige, nein sogar allerlästigste Pflichtaufgaben. Es sind
harte Arbeitstage für die treuen Fußballfans. Denn genau wie
im Job sind auch die hartgesottensten Treuen nicht immer gut drauf, nicht
immer wohlgelaunt. Aber warum sollte man das auch sein, bei einem Spiel
gegen Paderborn? Es geht gut los, unser "Ehemaliger", Herr René
Müller, köpft den Ball in Fahrenhorst-Manier zum 1:0 ins eigene
Tor. Dabei bleibt es. Lange, ganz lange. So lange, dass ich irgendwann
nach einer gespielten Stunde glaube, dass nichts mehr passiert. Die Stimmung
ist - oh Wunder - richtig, richtig gut. Mein Lieblings-Sprechchor lautet
"Ihr seid nur ein Dosenbier!". Aber obwohl alle ganz laut singen, obwohl
keiner pfeift, läuft von Sekunde zu Sekunde weniger zusammen auf dem
Platz. Edu entwickelt sich zum Makaay der Liga zwei und trifft ganz und
gar nichts mehr. Pallas, unser Rechtsverteidiger, jawohl, der Junge kann's,
der ist klasse. Da hat es sich wohl ausgecoldingt. Irgendwann, als Ndjeng
in einem unspektakulären Spiel, das wir in der zweiten Hälfte
seltsamerweise herschenken, für Paderborn zum 1:1 trifft, kommt das
gar nicht einmal überraschend. Es ist peinlich, etwas. Aber nicht
schlimm.
Paderborn und der verdiente
eine Punkt. Es bleibt egal, nichtig, schnuppe.
*
Regel eins: Ich bin arrogant!
Stimmt. Immer noch. Auch nach dem 1:1. Regel zwei: Die zweite Liga ist
mir egal. Und wie! Regel drei: Texte gibt es nur im Notfall.
Naja, ein Notfall ist dieses 1:1 gegen Paderborn nicht. Aber es ist gut
geeignet, um ein paar grundsätzliche Tagebuch-Dinge für die aktuelle
Saison zu klären. Regel vier: Die zweite Liga tut weh. So ist's.
Noch 22 Spieltage. Dann
ist es endlich vorbei.
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