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SC Freiburg - VfL Bochum 0:0 (27.3.2006)
Noch 7 Spiele bis zur 1. Bundesliga !
"I was made for lovin' you" - noch nie gehört beim Einlaufen
folgt
Zwei Stunden später: Ein Punkt beim heimstärksten Team, das ist in Ordnung
Verschusselte Träume
Blick von oben auf das Schwabentor in der Freiburger Altstadt
"Wo bist Du morgen, Andi?"
"In Freiburg!" "Was machst'n da?" "Fußball gucken?" "Nur Fußball
gucken????" "Nee, Freunde wohnen auch da!" "Ach so!" (Dialog am Sonntag,
26. März 2006)
Die Hoffnungen, die du
verloren hast / Der Zorn, der nicht richtig verraucht / Und die verschusselten
Träume, von denen am Morgen nichts bleibt / Das alles kommt mit /
Das brauchen wir auch (Sven Regener)
... ich besuche Freunde ...
tsetse, sonst habe ich nie gelogen, wenn ich mich für eine Auswärtsfahrt
rechtfertigen musste. Freunde... Freunde... war mir das so unangenehm?
Erst zum zweiten Mal in dieser Saison fahre ich im ICE zu einem Auswärtsspiel;
hat sich gar nix verändert. Okay, die Titelseiten der Bahn-Zeitschrift
- diesmal ist es Xavier Naidoo. Mein journalistisches Gespür verrät,
dass der Journalist ein paar Infos aus dem Netz zusammengesucht hat, und
das alles vereint mit ein paar Agenturbildern gibt eine dreiseitige Hauptstory.
Draußen regnet es ein wenig, ich habe meinen Laptop aufgeschlagen,
verfasse ein paar Texte zum Thema VfB Speldorf und Oberliga-Abstiegskampf
und die Zeilen zum Element-of-Crime-Konzert vor
einer Woche in Köln. Draußen regnet es und ich sehe mich
die Zeile "Wie die grünen Datenzüge in der Matrix-Trilogie
laufen die Regentropfen auf der Fensterscheibe um die Wette - und ich bin
froh, im Zug zu sitzen" eintippen. Freunde besuchen..., denke ich,
klappe meinen Laptop zur "Itchy-und-Scratchy"-Melodie aus den Simpsons
zu. Okay, einen rationalen Grund gibt es nicht für diese Fahrt. Die
Zweitliga-Saison ist gelaufen, wir haben einen schier endlosen Vorsprung
und könnten uns auch eine 0:10-Auswärtsniederlage erlauben. Arbeit
zu Hause hätte ich genug, deshalb habe ich auch meinen Laptop dabei
und sehe ein wenig zu aus wie ein Geschäftsmann auf Fußball-Reise.
Egal. Der Regen hört nicht auf und ich höre Element of Crime.
Das mit den verschusselten Träume.
Freiburg soll eine schöne
Stadt sein; die schönste in Deutschland vielleicht. Irgendwann nach
14 Uhr kommt der ICE zum Stehen, ich springe hinaus, schultere die Laptop-Tasche
und stelle sie in einem Schließfach-Automaten unter. Noch nie gesehen,
so ein Ding. Welt empfange mich, Freiburg empfange mich. Wie lange schon
habe ich mir vorgenommen, den VfL hierhin zu begleiten. Einst im September
2004 spielte der VfL zweimal in drei Tagen hier, in der Bundesliga und
im DFB-Pokal. Da weilte ich gerade in den USA und saß bei "Kinko's"
vor dem Live-Ticker. Wow, ganz schon mild hier im Südwesten, stelle
ich fest, nachdem ich meine Hände in den Taschen des Rock-am-Ring-2005-Sweaters
vergraben habe und Millionen an Fahrrädern erblickt habe. Reizüberflutung.
In München vor zwei Wochen noch -10 und jetzt +18! Geschmeide 18 Grad
Unterschied. Junge Frauen laufen bauchfrei und hauteng rum, und das ist
ihnen nicht einmal zu verübeln. Schon nach einer Minute viele Sachen,
die mir gefallen. Milde Temperaturen - in Freiburg, so heißt es,
ist es stets fünf Grad wärmer als im Rest der Republik - fahrradfreundlich,
weil Studentenstadt, undundund.
Der Baedeker Deutschland
ist zu dick für meinen Rock-am-Ring-Sweater. Deshalb habe ich mir
während der vierstündigen Zugfahrt ein kleines Schaubild vom
Innenstadtplan angefertigt. Wie ich laufe,
FOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOLGT !!!!!!!!!!
Das Glas, aus dem du nie getrunken hast Der Kuechenschrott, den kein Mensch braucht Und das Plastikobst, von dem du dich optisch ernaehrst Das alles kommt mit Und du auch Das Klavier, auf dem du nicht spielen kannst Der Abwasch, den du immer verschiebst Und die Schokolade, die du in Krankenhausmengen verbrauchst Das alles kommt mit Und ich auch Ich will deine Hand, ich will deinen Mund Ich will deinen Kopf, ich will deine Zunge Ich will deine Haare, ich will deine Haut Und den ganzen Unsinn Will ich auch Die Hoffnungen, die du verloren hast Der Zorn, der niche richtig verraucht Und die verschusselten Traeume, von denen am Morgen nichts bleibt Das alles kommt mit Das brauchen wir auch Ich will deine Hand, ich will deinen Mund Ich will deinen Kopf, ich will deine Zunge Ich will deine Haare, ich will deine Haut Und den ganzen Kummer Will ich auch Die Fehler, die du nicht mehr aendern kannst Die Worte, die du bereust Und die Naechte, in denen du nicht wusstest, wohin mit dir Die nehmen wir nicht mit Die lassen wir hier
... ich will deine hand usw. und den ganzen kummer, den will ich auch
Das Spiel
Die Stadt
Baedeker:
Freiburg im Breisgau hat
197.000 Einwohner, davon 24.000 Studenten. Es liegt 278 Meter über
dem Meer zwischen Kaiserstuhl und Schwarzwald, ist das kulturelle Zentrum
des Schwarzwaldes. Zum allgemeinen Ruhm der südlichsten Großstadt
Deutschlands trägt sicherlich bei, dass sie in einem klimatisch außerordentlich
begünstigten Gebiet liegt. Zweiter Vorteil Freiburgs: Das besondere
Flair, die Freiburger scheinen einen speziellen Lebensstil zwischen Beschaulichkeit
und Genuß entwickelt zu haben.
Ende des elften Jahrhunderts
gründeten die Herzöge von Zähringen Freiburg, 1218 übernahmen
die Grafen von Urach die Herrschaft. Von den Grafen kann der Ort sich 1368
loskaufen, um sich dann freiwillig den Habsburgern zu unterstellen. In
der Folge des Dreißigjährigen Kriegs wurde er als Hauptfestung
des vorderösterreichischen Gebiets voll in den Machtkampf mit Frankreich
einbezogen. Auf Betreiben Napoleons kam der Breisgau 1805 an das neugeschaffene
Großherzogtum Baden. Während des Zweiten Weltkriegs wurde fast
die gesamte Innenstadt von Freiburg zerstört.
Das Freiburger Münster
Die Stadt von oben
Auch
im schönen Freiburg gibt's wohl eine Trabanten-Vorstadt
Die Fahrten
Hinfahrt
9.51 bis 9.57 Uhr: Mülheim
(Ruhr) Hbf - Duisburg Hbf
10.07 bis 14.01 Uhr: Duisburg
Hbf - Düsseldorf Hbf - Köln Hbf - Bonn/Siegburg - Frankfurt (Flughafen)
Fernbahnhof - Mannheim Hbf - Karlsruhe Hbf - Baden-Baden - Offenburg (außerplanmäßig)
- Freiburg (Breisgau) Hbf
Anmerkung: Der Zug kam
mit 20 Minuten Verspätung in Freiburg an
Rückfahrt
22.57 bis 5.01 Uhr: Freiburg
(Breisgau) Hbf - Baden-Baden - Karlsruhe Hbf - Dortmund Hbf
5.17 bis 5.37 Uhr: Dortmund
Hbf - Bochum Hbf - Essen Hbf
5.45 bis 5.50 Uhr: Essen
Hbf - Mülheim (Ruhr) Hbf
Irgendwas musste ich ja machen, während ich im Zug saß. Zum Beispiel den Element-of-Crime-Text schreiben - oder das Bahnhofsschild "Baden-Baden" fotografieren. | So ein fotografiertes Bahn-Schild wie hier "Freiburg (Breisgau) Hbf" ist doch immer ein hübscher Abschlussbeweis. |
... zum ersten Mal in meinem Leben benutzte ich einen Zug der Marke "City-Night-Line". Er kam aus Zürich und fuhr via Freiburg (22.57 Uhr) nach Hamburg-Altona. | Gute Nacht! |
Noch 6 Spiele bis zur 1. Bundesliga !
Wer anderen eine Bratwurst brät, der hat ein Bratwurstbratgerät
Der erste und letzte Ausflug meines Lebens ins Paderborner Hermann-Löns-Stadion. Mit Traumtoren zurück in die erste Liga und weg aus der Provinz. Ganz weit weg hoffentlich.
Ein besonderer Geburtstag
Wie lange habe ich mich
über diese Zweitliga-Saison aufgeregt? Wie lange habe ich von Motivationslosigkeit,
Wut, Ärger und unattraktiven Spielen geschwafelt? Wie lange schon
wälzte ich mich in der schmutzigen Pfütze des Zweitliga-Selbstmitleids?
Aus, vorbei, Ende damit. Schmeißt die ersten Tagebuch-Einträge
dieser Saison in den Ausguss, zerknüllt sie (mit Ausnahme St. Pauli,
wenn ich diese Bitte äußern darf) und werft sie aus dem Fenster.
Ganz, ganz weit nach draußen. Denn je näher das Saisonende rückt,
je weiter unser Vorsprung anschwillt, desto mehr genieße ich die
Saison, sauge sie auf, lade meinen Akku auf, der meine Psyche versorgt,
wenn es in der nächsten Saison wieder Kummer, Leid und Abstiegsgefahr
gibt. Unsere Mannschaft spielt überlegen, die Auswärtsfahrten
sind lustig und unvergessliche Erlebnisse. Auch in Paderborn.
Und das geht so:
"Happy böööörsdäääi tu juuu!" undsoweiter, ihr kennt das Spielchen. Jaja, es ist soweit, ich habe Geburtstag. Tralala. Gestern Abend war ich noch Fußball spielen mit meiner altbekannten Runde, von den meisten kenne ich nur die Spitznamen, aber das stört mich nicht. Macht alle zwei Wochen donnerstags irre Spaß, egal. Danach schloss ich drei Partien Schach bei 'nem Kumpel an; stilvoller in einen Geburtstag hineinzufeiern, geht wohl kaum. Heute Morgen direkt die ganzen sms, Mails, Anrufe. Oh nein, ich mag Geburtstage nicht. Schon gar nicht die eigenen. Was also tun? Schon vor ein paar Tagen, Wochen, Monaten, machte ich mir Gedanken. Und der Zweitliga-Spielplan half. SC Paderborn gegen VfL Bochum, damit sind alle Probleme gelöst. Keine Party! Nicht unterwegs sein! Nicht arbeiten! Keinen Telefondienst! Ab 14.45 Uhr "not available"!
Thommy kommt. Mein Bruder wohnt in Brüssel, ist sehr selten zu Besuch und schon gar nicht beim VfL. Zwei Spiele hat er in dieser Saison gesehen, das 1:1 gegen Fürth und das 4:0 gegen Braunschweig. Ungeschlagen also. Mit dem künftigen Doktor Ernst zusammen beim VfL - das kommt fast nie mehr vor. Mit Doktor Ernst an meinem Geburtstag beim VfL - das gibt es wohl nur zwei-/dreimal in meinem Leben. Mit Doktor Ernst an meinem Geburtstag beim VfL-Spiel in Paderborn - das ist eindeutig das erste und letzte Mal. Genieße es! Enjoy! Super!
In Mülheim hat Thommy noch einen Zahnarzttermin. Er wohnt zwar in Brüssel, aber gewisse Traditionen und Gewohnheiten bleiben eben. Wir treffen uns vor dem Mülheimer Kaufhof, Mittagszeit, rund um 14 Uhr. Es ist ein normaler Freitag, in der City ist nicht wenig los, bei weitem auch nicht viel, wir essen überbackene Baguettes im "Corazon", trinken dazu noch eine Cola und eine Cola light und gestehen uns im Sekundentakt, wie "sehr wie uns auf diesen Tag gefreut haben". Man, wir haben uns aber auch gefreut. Doktorarbeit Doktorarbeit sein lassen; Sportmagazin Sportmagazin; Uni Uni undsoweiter. Wir trinken aus, verspeisen die letzten Krümel, spazieren quer über die Schlossstraße, kurz nach Hause, umziehen und kurz im Baedeker blättern. Hmm... was steht dann da? Blätterblätter, kommt nicht Rüdiger Hoffmann aus Paderborn, blätterblätter, gefunden. "140.000 Einwohner, alte westfälische Kaiser-, Bischofs- und Hansestadt. Die Pader ist mit vier Kilometern der kürzeste Fluss Deutschland; aha, wer will das wissen? Der Domplatz ist der Mittelpunkt der Altstadt. Oder, wie Thommy anmerkt, "da kriegt die CDU geschätzte 88 Prozent". Dazu noch ein paar Vorurteile über ganz komische Verhaltensweisen der Ostwestfalen - und fertig ist das Bild. 9300 Zuschauer erwartet der SC; das ist Saisonrekord und gibt vermutlich einen Ausnahmezustand. Wie witzig. Um 15.02 Uhr betreten Thommy und ich den Regionalexpress von Düsseldorf über Mülheim nach - ratet mal - Paderborn. Es ist kein doppelstöckiger Zug, sondern einer in der alten Eilzug-Manier, nur ein bisschen rot-weiß umlackiert. "In Bochum wird der Laden rappelvoll", sage ich zu Thommy. Und: In Bochum wird der Laden rappelvoll. "Oh, wir sind hier hinterm Triebwagen", sagt einer mit Halbglatze, Bierbauch und Pils in der Hand. Und es ist nicht der einzige witzige Typ. Thommy und ich unterbrechen unser Gespräch über Adorno, Subversion und Meichelbeck, um im Waggon einen Rundblick zu wagen. Hey, wer sitzt uns denn da gegenüber? Ein vollkommen betrunkener Mann, Alter schwer zu schätzen. Er umklammert mit der rechten Hand eine Flasche Oettinger Pils, war wahrscheinlich das billigste. Seine blaue Jeans hat er ebenso wenig seit Wochen nicht mehr gewaschen wie Shirt und Jacke. Die Hand - uääh - mit der er die Bierflasche festhält, war vor nicht ganz so langer Zeit noch gebadet im eigenen Erbrochenen. Seine Nase ist rot, sein Gesicht gehüllt in einen Dreitagebart, die Augen glasig und müde, die Haare kurz und fettig. "Also wenn einer das Spiel nicht mehr sehen wird, dann er", sagt Thommy. Wir beachten ihn kaum, wie er so vor sich hin vegetiert, zwischendurch von seinen Freunden ein "Ey halt den mal wach, damit er nicht einschläft" hört (oder auch nicht). Wir reden weiter über Titanic, Popliteratur und Dabrowski, als sich der Mann, nennen wir ihn Paul, regt und sagt: "Wenn ich mal ganz kurz was sagen darf: Wenn du intelligent wärst, würdest du nicht so viel reden" Wir schauen uns an, kratzen uns am Kopf. Ja gut, sicher. Bierkästen en masse stehen im Gang des Zugs, es ist laut, sehr laut, Leute rauchen und es stört nicht. Wir passieren Dortmund, Kamen, Hamm, Soest, ja, sogar Lippstadt, die Heimat der Rummenigges oder wie Thommy sie nennt: Rumgenippes. Irgendwann zwischendurch verschwindet Paul eine Sitzgruppe weiter und er schafft es tatsächlich, sich noch ein Oettinger zu öffnen. 16.50 Uhr. Ankunft.
Es ist einer der fantastischen Momente, die ich bei jedem Auswärtsspiel genieße. Dein Zug fährt ein, Du bewegst Deinen Fuß auf den Bahnsteig und aus Hunderten von Kehlen schallt ganz laut: "HURRA HURRA DIE BOCHUMER SIND DA!" Tausendmal probiert, tausendmal ist es passiert! Der Blick fällt aus dem Fenster, viele, viele Polizisten stehen auf dem Bahnsteig, Ausstieg und - yeaaah, unter dem Dach hallt's richtig schön. HURRA HURRA! Thommy und ich, erfahrene Auswärtsspiel-Mitfahrer, analysieren blitzgescheit die Lage. Die Paderborner haben zwei Möglichkeiten. Entweder sie lassen uns Bochumer unter geringen Auflagen gewähren und die Kohle in der Innenstadt verprassen. Oder sie behandeln uns, als wären wir von Feyenoord Rotterdam. Beim "... die Bochumer sind da!"-Gebrüll ist klar: Sie haben sich für die zweite Variante entschieden. "Ist doch klar: Die wollen hier keine Fußballfans", sagt Thommy. Die fürchterlich langweilige Stadt bleibt auch an diesem Freitag fürchterlich langweilig. "In Lüttich war es noch schlimmer", sagt Thommy. "Da waren die Bürgerrechte nicht mehr vorhanden." In Paderborn geht am Bahnhof also nichts. Thommy und ich gehen vor und zurück. Auf dem Bahnsteig stehen Fanklubs, Betrunkene wie Paul, Familien mit Kindern, normale Fans wie wir beide. Und postpubertäre Ultra-Verschnitte. "Präadoleszenz" schlägt Thommy auch noch als Begriff für den Widerstand und die Sprechchöre vor, die sehr viele den Polizisten entgegenbrüllen. "All cops are bastards" und "Fußball-Fans sind keine Verbrecher!" sind die beliebtesten. Der Bahnhof ist komplett abgeriegelt, wir werden zu einem Konvoi von Sonderbussen geleitet. Zehn, zwölf Stück hintereinander. Kurz nach fünf, die Busse werden geflutet mit Fans. Aber genau abgezählt. Pro Sitzplatz ein Fan, hübsch aufgereiht. Dazu noch drei Polizisten in jedes Gefährt, damit niemand die Sache beschädigen kann. "Habe ich in Trier auch mal so erlebt", sagt Thommy. Die Polizisten reden von 15 Minuten Fahrtzeit, denn das Stadion am Hermann-Löns-Weg liegt im Stadtteil "Schloss Neuhaus". Aber bis zur Abfahrt vergeht ebenfalls eine endlose Viertelstunde - denn alle Busse müssen schließlich gefüllt sein. Wie gesagt: Konvoi. Thommy und ich blicken uns an, finden den Aufwand mehr als lächerlich. Die Folgen sind allzu vorhersehbar. Betrunkene Fußballfans müssen pinkeln. Noch vor der Abfahrt kommen die ersten "Pissen! Pissen! Wir wollen pissen!"-Sprechchöre, viele Fans belabern die Polizisten, wollen kurz aussteigen, aber sie ernten nur einen eisenharten Blick und ein lautes "Nein". Einer hält es nicht mehr aus und fragt pausenlos, ob er in eine Cola-Flasche strullern darf. Wir durchfahren inzwischen die Paderborner City und werden von den Einwohnern angeschaut, als wären wir ein Strafgefangenen-Transport. "Hey, Thommy, das ist doch Paul!", sage ich. Und tatsächlich. Aus dem Bus vor uns ist Paul ausgestiegen; naja, vermutlich haben ihn die Polizisten rausgeschmissen. "Hab ich doch gesagt, dass der das Spiel nicht sieht", meint mein Bruder. Währenddessen erhält der 16-jährige Jugendliche die Erlaubnis: Er darf. Sofort begibt er sich zur Tür, nimmt die Flasche in die Hand und pinkelt hochkonzentriert. 0,8 Liter lang. Gejohle im Bus, er schafft es unfallfrei. "Und schon wieder keine Farbe im Urin!!", schallt es aus allen Ecken des Busses. Chapeau für diese Leistung, obwohl der Jugendliche sonst höchst bedauernswert erscheint und nicht der Rede wert ist. Eben ein typischer Haudrauf der Ultra-Generation.
Um 17.45 Uhr kommt der Bus vor dem Stadion zum Stehen. Es hätte eher sein können, wenn die Polizei nicht so einen fürchterlichen Aufstand veranstaltet hätte. Selbstverständlich halten die Busse direkt vor der Kurve. Flucht unmöglich. Nein, das ist nicht die AOL-Arena. Nicht Schalke, Allianz-Arena, Frankfurt. Das hier ist tiefste Provinz. Das Stadion liegt mitten in einem Wald und schaut von außen aus wie das Mülheimer Ruhrstadion. Thommy und ich haben die Massen hinter uns gelassen. Die meisten sind aus dem Bus gesprungen und direkt zur nächsten Betonwand gesprintet, um sich zu erleichtern. Nicht jeder hatte eine Colaflasche dabei. Thommy muss auch mal - und entscheidet sich für ein Dixieklo hinter dem Eingang. Das macht wohl die Stadionerfahrung... Überdacht ist hier im Hermann-Löns-Stadion nur die Sitzplatztribüne, und die erscheint kaum größer als die des VfB Speldorf am Blötter Weg. Hinter einem Tor ist gar keine Tribüne und alles sieht fürchterlich amateurhaft aus. Kaum vorstellbar, dass Paderborn von der Bundesliga träumt. Eine Anzeigetafel gibt es nicht, die Lautsprecheranlage ist klääääglich und liefert nur kaum verständliches Gekrächze. "Dagegen waren Ahlen und Siegen richtige Luxustempel", sagt jemand, der genauso über die fehlende Qualität staunt wie wir. Etwas freundlich erscheinen nur die drei Speise-Wagen mit Fischzeugs (1), Getränken (2) und Pommes/Bratwurst (3) .Im dritten hängt sogar ein DINA-4-Zettel "Herzlich Willkommen an die Fans des VfL Bochum" an der Wand. Der erste nette Eindruck von Paderborn an diesem Tag.
Die Gästekurve füllt sich sukzessive. Wir futtern uns von Wagen zu Wagen, lesen die sehr dürftige Stadionzeitung und freuen uns auf die Bundesliga. Ich höre immer wieder "Whatever you want" in meinem Hirn und sehe Zdebel unsere Mannschaft in die Schalke-Arena einlaufen. Neeein, noch ist Provinz. Noch ist Paderborn. Das erste und letzte Spiel hier. Hoffentlich. Wetter ist gut. Wäre auch schlimm, wenn nicht! Das wäre eine richtige Schlammschlacht... Die Zeit bis zum Anpfiff vergeht schnell. Fabio Junior spielt für Edu; unsere Ersatzbank würde komplett in jeder anderen Zweitligamannschaft mit Ausnahme Aachen von Beginn an spielen. Ganz sicher. Dass heute mein Geburtstag ist, habe ich ganz vergessen. Fußball. VfL. VfL. Fußball. Die Bratwurst hat gemundet. Die Cola auch. Preise: solide. Wenigstens das. Wir stehen direkt hinter dem Tor. Das Spiel beginnt... beschissen. Achte Minute, 0:1, Dragusha. "Und wieder eine Blamage in der Provinz", texte ich per sms an die Mülheimer Kollegen. 0:4 in St. Pauli, 0:3 in Siegen, jeweils 0:0 in Dresden und Braunschweig. Alles nicht großartig. Und unsere Jungs spielen etwas überheblich, ja, schlecht. Brotlose Kunst. Fabio Junior verliert jeden Ball, Bönig links hinten jeden Zweikampf. Die Stimmung ist schlecht, nicht nur aufgrund der Akustik. Halbzeit eins verplätschert, per sms trudeln noch ein paar Geburtstags-Glückwünsche ein. Und als Müller in Minute 33 hauchdünn und höchstpeinlich das zweite Tor für Paderborn verbaselt, rechne ich mit einem Debakel. Einziger Lichtblick ist Bechmann, der sehr fleißig, schnell und gut spielt, aber uuuuuungefährlich. Das Freiburg-Spiel lässt grüßen. Butscher vergibt die größte Chance und mit einem ernüchternden, aber verdienten 0:1 geht es in die Pause.
Zweite Halbzeit. Hoffentlich hat Koller die Jungs lang gemacht. Für wenige Sekunden vergesse ich den Ärger mit der Polizei und genieße den Tag. "Trotz der ersten Halbzeit: Schön, hier zu sein!", sagt Thommy und wir schlagen ein. Nach 35 Sekunden vergibt Müller die dritte Chance für Paderborn, das 2:0 fällt wieder nicht. Und dann ist es für Paderborn vorbei. Von Sekunde zu Sekunde treten wir dominanter auf und lassen keinen Zweifel daran aufkommen, wer hier das Spiel gewinnt. Thommy ist völlig begeistert von Butscher in der Innenverteidigung, auch Zdebel spielt ganz exzellent. Und Misimovic sowieso. In der 54. Minute sorgt er für das verdiente 1:1. YEAAAAH! Sieben Minuten darauf bedient "Zwetschge" mit einem Freistoß Zdebel, und der jagt die Kugel volley ins lange Ecke - suuuuuuuuper, suuuuuuuuuuper, Tooooooooooooor des Monats, Toooooooooooooor des Jahreeeeees! 2:1! 2:1! 2:1! Laut, lauter, VfL! Schreiiiiiiii! "NIE MEEEEEHR ZWEITE LIIIIIIIGAAAAA!" Der Rest ist eine Demonstration. Misimovic bekommt den Ball in der 74. Minute. Umspielt den ersten. Den zweiten. Den dritten. Uuuuund...! Tooooooooooooooooor des Monats, Toooooooooooor des Jahres! 3:1! 3:1! 3:1! Laut, lauter, VfL! Schreiiiiiiiiiiii! "NIE MEEEEEEEHR ZWEITE LIGAAAAA!" Die ganze Klaviatur der Aufstiegs-Sprechchöre bis zu "Und wir ham das blau-weiße Licht bei der Nacht!" und "FAU EFF ELL MEIN HEERZ SCHLÄÄGT NUR FÜR DIIICH!" und um 20.47 Uhr ist es geschafft. Punkte 54 bis 56 im Sack, eine souveräne Vorstellung in der zweiten Halbzeit, der Provinz die Zähne gezeigt. Mit zwei fantastischen Toren. "Selbst wenn wir 2:4 verloren hätten: Für diese zwei Tore hätte es sich gelohnt", sagt Thommy. Nee, nicht 2:4! 3:1 für uns. Ein perfekter Tag. Just a perfect day, drink sangria in the park! Die Spieler versammeln sich zum Jubelkreis, hüpfen rum, Butscher probt den Handstand, Welle mit den Fans. All problems are left alone.
Zurück kommt wieder die internationale Härte ins Spiel. Dasselbe Spiel. Rein in die Busse, Flucht ausgeschlossen. Viertelstunde warten. Fahrt zum Hauptbahnhof, diesmal zwanzig Minuten. Sehr ermüdend und sehr lächerlich. Spricht alles nicht dafür, jemals wieder Paderborn zu bereisen. "Hömma", sagt ein Typ mit Lederjacke auf dem Bus-Sitz nebenan, "ich war mal mit dem Motorrad hier und bin abends um 22 Uhr nach Hause gefahren. Wollte ich wenigstens. Hab mich verfahren. Hier war nix mehr los!" In den Vorgärten Paderborns brennt kein Licht mehr. Paul liegt nicht mehr auf der Parkbank, wir sind kein Strafgefangenen-Transport mehr, obwohl wir uns so fühlen. Der Regionalexpress zurück fährt um 22.16 Uhr, wir fahren durch die seltsamsten Orte Westfalens wie Bad Sassendorf, steigen um in Hamm, dann geht es via Nordbögge und Dortmund nach Essen. Und wieder: Hunderte VfL-Fans, viele Sprechchöre, sehr laut das Ganze; Thommy stellt fest, dass er alt wird. Wir quatschen über das Besondere des Ruhrgebiets und erinnern uns immer wieder an diese beiden fantastischen Tore.
0.15 Uhr, Mülheim Hauptbahnhof.
Mein Geburtstag ist vorbei. Thommy bestellt bei "La Stazione" einen kleinen,
gemischten Salat - auf die Idee bin ich noch nie gekommen, und das, obwohl
ich inzwischen seit 28 Jahren in dieser Stadt lebe. Kurz vor eins schauen
wir uns auf Video den DSF-Bericht an und spulen immer, immer wieder auf
das 2:1 und 3:1! "Diesen Tag werde ich nie vergessen", sagt Thommy.
Im "Freeland" klingt der
Tag für mich aus.
Und bei einer Partie Schach.
So wie er begonnen hat.
Als würden wir bei Feyenoord Rotterdam
spielen...
Links: Moppel, der Fanbeauftragte
Das Spiel
Noch 5 Spiele bis zur 1. Bundesliga !
Eine neue Marketing-Aktion, warum auch immer... "Jetzt geht's raus!"
Wieder 90 Minuten überstanden - und das am letzten Schultag und dem T-Day
Love Generation
Mein Portmonee ist ganz schön
dick geworden. Mal kurz aussortieren. Wie witzig... das Horoskop aus der
BILD-Zeitung vom 31. März... ich weilte in Paderborn und dieses Glanzstück
deutscher Zeitungskunst wartet in meiner Geldbörse auf Beachtung.
Was steht denn drauf? "Die Sterne heute: Was auf ein angenehmer Wochenausklang:
Der Stier-Mond sorgt mit einem ruhigen Tempo dafür, dass man einiges
schafft, ohne sich dabei zu hetzen. Mit Venus, die den Stier regiert, kommen
auch die schönen Seiten des Lebens nicht zu kurz: Ein Flirt, ein köstliches
Essen, perlende Musik - das sind alles Attribute für einen sinnlichen
Abend." Sinnlich war das Ding in Paderborn allemal. Weiterlesen! "Heute
Geburtstag? Abwarten ist nicht Ihr Ding - oft preschen Sie zu schnell vor
- und fallen auf. Saturn lehrt sie 2006 das Gespür für den richtigen
Zeitpunkt. Wenn Sie bei einem kreativen Projekt Geduld und Ausdauer zeigen,
wird sich diese Vorgehensweise bezahlt machen. Ab November werden Sie ein
Jahr lang vom Glücksplaneten Jupiter begünstigt: Dann ist der
Zeitpunkt gekommen, um wieder vorne mitzumischen." Soso. Scheißegal,
blödes Horroskop. Zerknüllen und weglegen. Ich streife mir mein
Abi-T-Shirt über, schnüre mir einen Pullover um, verstaue den
VfL-Schal in meiner Arbeitstasche und raus geht's.
"Jetzt geht's raus!" - heute
Morgen noch erfuhr ich von dieser neuen, nicht gerade kreativen Idee der
Bochumer Marketing-Abteilung. Dafür, dass wir sechs Spieltage vor
Schluss kaum noch eingeholt werden können, tendiert die Euphorie in
und um das Ruhrstadion gen "Null". Ich muss erst ein einmal arbeiten. Ein
Blick auf den Redaktions-Kalender, da steht 8. April. Morgen beginnen die
Osterferien - das heißt: Letzter Schultag. Das heißt noch mehr:
Letzter Schultag der Abiturienten!!! Langsam lasse ich mich auf einem Schreibtischstuhl
nieder und blicke auf die Unterschriften. Von "Mama, s' René hat
Abi", "Alles Gute Anne", "tric bei einer Live-Reportage" bis zu "Heute
ist der 18.4.97 und ich hab bestanden - Jan!" Als ob es gestern gewesen
wäre: Mein Kumpel Jan bestand damals die praktische Führerscheinprüfung
und pinnte erstmal auf mein Shirt. Bis heute habe ich es nicht gewaschen,
es stinkt ohne Ende, hat unendlich viele gelbe Bierflecken - Kult eben.
In Mülheim treffen sich die Abi-Jahrgänge jedes Jahr von 12 bis
15 Uhr auf dem Viktoriaplatz mitten in der Innenstadt, und auch diesmal
sind viele Hundert betrunkene 19-/20-Jährige versammelt, um zu "Geile
Zeit" von Juli und all den weiteren Party-Knallern zu tanzen und zu saufen.
Wir, die freien Mitarbeiter der WAZ, müssen leider den Pokal für
unseren "Abi-Motto-Wettbewerb" überreichen - keine leichte Aufgabe.
Der DJ erledigt das für uns aber perfekt. Die Karl-Ziegler-Schule
gewinnt mit "Pimp my Abi" (naja) und beim Blick von der Bühne auf
die Masse kommen mir all die Bilder wieder vor mein inneres Auge. Der eigene
Abi-Scherz, der eigene Abi-Film, die Arbeit am Abi-Buch und der letzte
Schultag. Morgens treffen, Bier trinken, "Time to say good-bye" hören
- zu 93 der 95 Mit-Abiturienten habe ich keinen regelmäßigen
Kontakt. Was haben wir hier auf dem Viktoriaplatz für eine Party veranstaltet...
Der Karl-Ziegler-Typ wünscht sich "Am Zuckerwattestand" von André
Markus, das Stufen-Lied scheinbar. Der DJ nimmt's hin und fängt die
Stimmung hinter mit Bob Sinclars mittlerweile nervender Hymne "Love Generation"
wieder auf. Für uns ist die Arbeit erledigt. Ich ziehe meinen Pullover
an und tippe auf der Tastatur der Redaktion herum. Die Musik ist bis in
unsere Räume zu hören.
Ich erreiche alle telefonischen
Ansprechpartner schnell und schaffe es um 17.55 Uhr in den Regionalexpress.
Heute gibt es ein großes Wiedersehen. Mein MSV-Kumpel Helmut kommt
mit, um sich an die Zweite Liga zu gewöhnen. Und Sam ist aus Sao Paulo
zurückgekehrt und feiert seine 2006-Premiere - mitsamt seiner Frau
Nicole! Und das in einem so unwichtigen Spiel... Es ist voller vor dem
Ruhrstadion als sonst, aber eben keine "Bundesliga - wir kommen!", sondern
"Hoffentlich ist es bald vorbei"-Atmosphäre. Um die Spannung wenigstens
etwas hochzuhalten, hat unser Trainer den "Kampf um Platz eins" ausgerufen.
Nach Aachen geht es erst nächste Woche, das heute ist nicht mehr eine
Pflichtübung. Sam und Nicole kommen tatsächlich, wenigstens in
unserer Kleingruppe ist die Stimmung wirklich entspannt und gut. Wir erzählen
viel, diskutieren über Klinsis Entscheidung pro Lehmann am "T-Day",
dem Tag der Torwart-Entscheidung. "Der Kahn hält in dieser Pingpongliga,
die international keine Rolle mehr spielt, und das nicht einmal gut. Und
der Lehmann spielt Woche für Woche gegen die Besten der Welt", bringt
es Gerd auf den Punkt. Jaja, ist schon gut so. Das Spiel interessiert uns
wirklich nur absolut am Rand.
Und das zurecht. Ganz selten
in meiner bisherigen VfL-Karriere habe ich erlebt, dass sich meine Mannschaft
nicht gegen einen Sieg wehren kann. Siegen beginnt besser, baut aber zwischen
der 15. und 20. Minute zweimal richtig große Scheiße. Erste
Szene: Nach einer Zwetschge-Ecke köpft ein Siegener (!) auf das eigene
(!!) Tor, und dort steht ein weiterer Siegener auf der Linie (!!!) und
klärt mit einem fantastischen Reflex (!!!!) per Hand (!!!!). Ganz
klar: Rot für den Siegener Weikl und Elfmeter. Zwetschge verwandelt!
Kurze Zeit später, Freistoß aus Linksaußenposition. Jeder
VfLer ahnt, dass Zwetschge den Ball in die kurze Ecke zieht. Nur Siegens
Torwart Masic nicht. Der patzt schön und fliegt mit dem Ball ins Netz.
Chancenverhältnis 0:0, Spielstand 2:0, dazu Überzahl. Bis zum
Schlusspfiff ist das Spiel ätzend langweilig, weil wir gar nichts
mehr machen außer Ball und Gegner an der Nase herumzuführen.
Helmut findet das Ganze "nicht wirklich zweitligareif", macht aber dem
VfL keinen Vorwurf. Zu allem Siegener Überfluss fällt das 0:3
durch ein blödes Eigentor nach Bönig-Vorlage. Dann werden zwei
Bechmann-Tore zu Unrecht wegen Abseits nicht anerkannt und Fabio Junior
verstolpert zwei sensationelle Chancen. Ein 4:0, 5:0, 6:0 wäre jetzt
möglich. Doch der gute Fabio kommt eben gar nicht in Tritt. Kurz vor
Schluss verkürzt Akwuegbu auf 1:3; wie auch immer.
Ein Spiel, an das ich mich
in zwei Wochen kaum noch erinnern kann, geht vorbei. Und ein Aufschrei
der Erleichterung geht um 20.46 Uhr durchs Ruhrstadion. Wieder 90 Minuten
geschafft. Noch fünf Spiele, dann sind wir raus, dann sind wir wieder
da. Mein Abi-T-Shirt stinkt jetzt auch noch nach Fußballstadion.
"Love Generation" läuft nach dem Abpfiff, während ich die Treppenstufen
in Richtung Bahnhaltestelle hinuterstapfe. Beim City-Döner in Mülheim
klingt der Abend aus - am Ende geht es noch ab ins Freeland, zu schlechter
House-Musik. Keine Ahnung, warum ich mir das in regelmäßigen
Abständen gebe, weil ich mit dieser Musik rein gar nichts anfangen
kann. Ich treffe Tobi, der zuletzt sechs Wochen in Australien weilte (Urlaub!)
und in Bochum studiert. "Wie ist es ausgegangen?", fragt er. "Dreieins",
sage ich. "Langweilig. Hast nix verpasst." Beim Hinausgehen vernehme ich
ein paar Takte aus der "Love Generation"-Melodie. Wird Zeit, dass ich das
Abi-Shirt endlich ausziehe. Am Horizont erblicke ich den Zeitungswagen.
Was, ist es schon kurz nach vier?
Jetzt geht's rein. Ins Bett.
Und träumen. Von der Ersten Liga. Hintergrundmusik diesmal "Love Generation";
das war wirklich Musiküberflutung heute. Und träumen vom Letzten
Schultag 1997. Ja ich weiß, es war 'ne geile Zeit. Trifft aber nur
auf die Abiphase zu. Und garantiert nicht auf die Zweitliga-Saison 2005/2006.
Noch 4 Spiele bis zur 1. Bundesliga ! 300-mal VfL ! 500 Tore für den VfL ! Fünf Aufstiege mit dem VfL!
Szene des Abends: Gemeinsames Feiern nach dem Abpfiff im Mittelkreis
DIE TOP DREI: 1. "Nie meeeeeeeeeehr Zweite Liga!" 2. "Und schon wieder aufgestiegen, VfL!" 3. "1. Liga - Williiiii ist dabei"
Beautiful day
Im Videorekorder liegt seit
ein paar Tagen nur eine Kassette. Sie ist schon vier Jahre alt, ein bisschen
zerkratzt, doch die mit schwarzem Edding auf dem weißen Kassettenrücken
verewigte Aufschrift "VfL-Aufstieg 2005" leuchtet unmissverständlich.
Jeden Tag, wenn ich in dieser Saison auf meinem Lieblingssessel vor dem
Fernseher hockte, schaute ich auf meine Kassettenwand - und wenn mir ganz
mulmig oder langweilig war, wenn ich ganz furchtbar deprimiert oder frustriert
war, dann schob ich sie ins Fach und schwelgte in Erinnerungen. 5.
Mai 2002, Aachen, Tivoli. Das Wetter ist mies. Wir müssen gewinnen,
Mainz muss bei Union Berlin verlieren. Für Union geht es leider um
nichts mehr. 9000 Bochumer fahren mit, die Hoffnungen sind gering. Nach
kurzer Zeit fliegt Schindzielorz vom Platz, überall steht's 0:0. Dann
gehen wir in Führung, mit 2:0, am Ende steht es 3:1, doch in Berlin
rührt sich gaaanz laaange nichts. 9000 Herzinfarkte. Pro Minute. Irgendwann
fallen in Berlin zwei Tore, zum 1:0 und 1:1. Und in der 82. Minute die
Entscheidung: 2:1 für Union! Wir haben es geschafft. Der letzte Aufstieg
war der schönste, der dramatischste.
Und so verbrachte ich in
der letzten Woche meine Abende vor dem TV-Gerät, nahm den VfL-Schal
vom Fenster, das er sonst ziert, roch daran und erschnüffelte Zigaretten,
Rauchbomben, Paderborn, Ahlen, die Provinz. Es sind nur noch fünf
Spiele bis zur Ersten Liga. Nur noch fünf.
Aufstiegstrainer Marcel Koller
Nur noch ein paar Stunden.
Ein paar. Morgens früh, auf EinsLive hat eine Frau ihren Freund betrogen
und direkt danach läuft "Don't look back in anger" von Oasis. Bin
zu müde, um das zu kapieren, speichere das im Hinterkopf, spule mein
übliches Programm ab. Frühstücken, Zähne putzen, blabla.
Die Videokassette läuft heute Morgen nicht, die Aufnahmen würde
ich doppelt sehen. War ein langer Abend gestern, der bei der All-you-can-drink-Party
im Mülheimer Freeland endete. Kostete 29 Euro der Spaß, ich
bezahlte als ausschließlicher Cola-Trinker nur 15. Sechs Cola und
zwei Mineralwasser zwang ich meine Kehle hinunter, und der Koffein-Überfluss
wirkt noch nach. Nehme ich eine Tasche mit? Ja, nehme ich! Mist, Discman
fällt aus. Batterien sind alle und der Kopfhörer funktioniert
auch nicht mehr. Welches Buch lese ich auf der Fahrt? Ich stapfe - Blick
auf die Uhr... noch fünf Minuten Zeit... - durch mein Arbeitszimmer,
blicke an die Bücherwand. Was für die Uni? Nee, heute ist Ostermontag,
Feiertag, FREIER Tag... Was Anspruchsvolles? Eine Biographie? Etwas Theorie
vielleicht? Der Blick fällt in die "gaaaanz seichte Unterhaltung"-Ecke
und ich schaue auf die sechs Harry-Potter-Bände.
Harry Potter und der
Orden des Phönix.
Hab ich noch nicht gelesen.
Ist für heute genau das Richtige. Erst eintauchen in die Welt von
Hogwarts, dann in den Jubel am Tivoli. Erst mitleiden mit Harry, Ron und
Hermine, dann zittern mit Bechmann, Edu und Dariusz. Naja, passt nicht
wirklich. Lenkt aber ab. Ist heute der Tag der Tage? Ich schultere meine
Tasche und spaziere in Richtung Hauptbahnhof. Die Fahrtstrecke habe ich
mir schon gestern notiert und auf einem kleinen Zettel in meinem Portmonee
verstaut. Regionalexpress bis Mönchengladbach. Dort umsteigen Richtung
Aachen. Das Wetter ist nicht gut. Mal Sonne, mal Regen, mal Wind - April
eben. Meine Haare sind ganz zerzaust und wehen durchs Gesicht, hoffentlich
habe ich ans Haargummi gedacht. Schnell anhalten, in der Tasche kramen,
genau, da ist's. Ich binde mir die Haare zusammen, sehe den einfahrenden
Zug, sprinte die letzten Meter und die Treppe zum fünften Gleis hoch
und rein.
Noch ist kein VfL-Fan im
Zug.
Einen Sitzplatz zu finden,
ist nicht schwer. Man, keine Zweifel mehr. Wir haben zwölf Punkte
Vorsprung. Und 21 Tore. Da GEHT NICHTS MEHR SCHIEF. Und heute können
wir nur gewinnen. Die Aachener sind schon seit gestern durch. Sie haben
die ganze Nacht gefeiert, die Sau rausgelassen, gesoffen, sind noch voll,
haben zig Promille. Das wird ein Fußballfest, ein schönes. Gähn,
noch bin ich müde, leicht koffeinzittrig und krame den Harry-Potter-Band
zur Zeitüberbrückung hervor. In Ruhe fahren, vorbereiten. Noch
wenige Stunden bis zum Aufstieg. Noch klappe ich das Buch nicht auf...
noch will ich ... ach, ohne Musik macht das nicht so viel Spaß. Denke
an gestern Abend, als "Volare" kam, dachte ich an Freiburg, als "Love Generation"
zum ersten Mal lief, an Siegen, und beim zweiten Mal "Love Generation"
an sowieso die ganze Saison. Das war gestern. Nun kommt heute. Heute. VfL.
Aachen. Ab nach. Die sind schon durch. Wir brauchen einen einzigen, winzigen
Punkt.
Harry Potter ist bei den
Dursleys und vertreibt ein paar Dementoren. Er wird weitergeleitet zum
Grimmauldplatz zwölf in London, zum Hauptquartier des Phönixordens.
Ich lese und vergesse für ein paar Minuten den runden Ball, der große
Teile meines Lebens bestimmt. Zwischendurch durchfahre ich Krefeld, steige
in Mönchengladbach um und tuckere durch Großstädte wie
Erkelenz, Hückelhoven-Baal, Übach-Palenberg und Geilenkirchen
bis Aachen-West. Mittlerweile ist Harry nach Hogwarts zurückgekehrt
und ich hab die Professoren Umbridge und Raue-Pritsche kennengelernt. "Nächster
Halt: Aachen-West", ertönt. Don't look back in anger. Stadt des Aufstiegs
2006.
Aachen
Über Aachen:
An einem solchen Tag mit Daten über eine Stadt zu kommen, mag vielleicht
ein wenig unangebracht erscheinen. Naja, ich mach's trotzdem. Nun denn,
was sagt denn der Baedeker? 245.000 Einwohner, Aachen ist die westlichste
Stadt Deutschlands und historisch eine der wichtigsten Städte Europas.
Aachen liegt in einem Drei-Länder-Eck (Deutschland, Belgien, Niederlande)
in einem waldumkränzten Talkessel an den Ausläufern der Eifel
und der Ardennen. Die Stadt ist Sitz der bedeutenden Rheinisch-Westfälischen
Technischen Hochschule (RWTH) und besitzt das größte Klinikum
Europas. Die Stadt vergibt jedes Jahr seit 1949 den "Internationalen Karlspreis
zu Aachen" für Verdienste um die Verständigung und die internationale
Zusammenarbeit in Europa. Ein wichtiges Ereignis ist auch der alljährlich
im Reitstadion im Stadtteil Soers ausgetragene CHIO, ein internationales
Reit-, Spring- und Fahrturnier, das sogenannte "Wimbledon der Reiterei".
Schließlich gilt Aachen auch als Kur- und Bäderstadt mit den
heißen schwefelhaltigen Kochsalzquellen, die besonders gegen Gicht,
Rheuma und Ischias wirksam sind. Über die Stadtgrenzen hinaus beliebt
sind die "Aachener Printen", eine Art Honigkuchen.
Geschichte: "Aquae
Granni", die heißesten Quellen nördlich der Alpen (37 bis 75
Grad), wurden schon von den Römern zu Kurzwecke genutzt. Mit dem Ausbau
zur Residenzstadt unter Karl dem Großen (742 bis 814) wurde Aachen
zum Zentrum des Reiches und nach der Heiligsprechung des Kaisers 1165 zu
einem der bedeutendsten Wallfahrtsorte Europas. Seit der Krönung Ottos
I. zum deutschen König (936) blieb Aachen für 600 Jahre der Krönungsort
der Könige sowie Tagungsort zahlreicher Reichstage und Kirchenversammlungen.
Ein Stadtbrand vernichtete 1656 fast 80 Prozent aller Häuser. Zum
eleganten "Bad der Könige" schwang sich Aachen erst wieder im 18.
und 19. Jahrhundert auf. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Stadt zum überwiegenden
Teil zerstört; beim Wiederaufbau nach 1945 wurden jedoch die bedeutenden
Kulturdenkmäler wiederhergestellt.
Stadtbild: Die meisten
der historisch bedeutenden Baudenkmäler sind in der hübschen,
fußgängerfreundlichen Innenstadt mit ihren vielen Plätzen
und Brunnen versammelt. Mehrere Museen begründen Aachens Anspruch
als Kulturstadt im Dreiländereck. Außerdem laden schöne
Geschäfte, stolze Bürgerhäuser sowie gemütliche Cafés
und Restaurants zu einem Stadtbummel durch die stark von Studenten geprägte
Stadt ein.
Eigene, kurze Anmerkungen:
Aachen ist eine Großstadt und liegt doch im Niemandsland. Die Fahrten
nach Köln dauern mit Auto oder ÖPNV mindestens 45 Minuten, ins
Ruhrgebiet noch viel länger und auch Brüssel liegt 45 Minuten
entfernt. Die Stadt ist eine Studentenstadt, aber doch eben keine klassische,
da Aachen eher mit Medizinern (Uni-Klinik) und Ingenieuren (RWTH) vollgestopft
ist als mit Geisteswissenschaftlern. Und die große "Öscher"
Karnevalstradition (der "Orden wider den tierischen Ernst" ist zumindest
bei Politikern der begehrteste in Deutschland) mitsamt der katholischen
Dom-Umgebung verleihen der Innenstadt einen leicht konservativen Anstrich.
Zusätzlich sind die Fans der Alemannia nicht gerade die friedliebendsten
und für ihre Aggressivität bekannt. Aachen ist wichtig, Aachen
hat Geschichte, Aachen hat Sehenswürdigkeiten zu bieten - aber Aachen
ist keine Stadt, in der ich länger leben könnte.
Fahrten:
- um darzustellen, in
welch provinzieller Umgebung sich Aachen befindet und woher die Fans kommen,
folgt nun der ausführliche Verlauf meiner Fahrten -
HINFAHRT - Regionalexpress
von Mülheim bis Mönchengladbach Hbf (12.51 bis 13.40) über
Duisburg Hbf - Rheinhausen - Krefeld-Uerdingen - Krefeld Hbf und Viersen.
Dann umsteigen in den Regionalexpress von Mönchengladbach bis Aachen-West
(13.49 bis 14.38) über (Achtung!) Rheydt Hbf - Erkelenz - Hückelhoven-Baal
- Lindern - Geilenkirchen (Fan-Hochburg) - Übach-Palenberg
und Herzogenrath.
RÜCKFAHRT - Regionalbahn
von Aachen-West bis Mönchengladbach Hbf (23.43 bis 0.36) über
Kohlscheid - Herzogenrath - Übach-Palenberg - Geilenkirchen - Lindern
- Brachelen - Hückelhoven-Baal - Erkelenz - Herrath - Wickrath und
Rheydt Hbf.
S-Bahn "S 8" von Mönchengladbach
Hbf Richtung Wuppertal bis Düsseldorf Hbf (0.54 bis 1.27) über
Mönchengladbach-Lürrip - Korschenbroich - Kleinenbroich - Büttgen
- Neuss Hbf - Neuss Am Kaiser - Neuss Rheinparkcenter - Düsseldorf-Hamm
- Düsseldorf Völklinger Straße - Düsseldorf-Bilk und
Düsseldorf Friedrichstadt
S-Bahn "S 1" von Düsseldorf
Hbf bis Mülheim Hbf (1.55 bis 2.34) über Düsseldorf-Wehrhahn
- Düsseldorf-Zoo - Düsseldorf-Derendorf - Düsseldorf-Unterrath
- Düsseldorf Flughafen - Angermund - Duisburg-Rahm - Duisburg-Großenbaum
- Duisburg-Buchholz - Duisburg-Schlenk - Duisburg Hbf und Mülheim-Styrum
Vor / im Spiel
... nie meeeehr zweite Ligaaa !!!
- aufgrund des blöden
Fangzauns sind einige Bilder sehr unscharf geworden -
Noch 3 Spiele bis zur 1. Bundesliga !
Trostloser Zweitliga-Scheiß... nur noch drei Spiele!
Haben wir wirklich gegen Wacker Burghausen verloren?
Nie mehr zweite Liga
folgt
Voila - der Einsatz, mit dem sich die
Polizei Bochum keine Freunde machte...