VFL-TAGEBUCH: BUNDESLIGA 2006 / 2007 - TEIL 6
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Die ersten Utensilien

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Eintracht Frankfurt - VfL Bochum 0:3 (21.4.2007)

Daumen hochDaumen hoch!!

Daumen hoch für eine tolle Leistung. Daumen hoch für sensationelle Stimmung. Daumen hoch für "Epallé, Epallé, Epallééééééééé (stellts Euch gesungen vor). Daumen hoch für den herrlichen Tag.

Tor dreiTor drei - diesmal ohne Zonk

Der richtige Zeitpunkt

Auf WiedersehenAuf Wiedersehn! Auf Wiedersehn! 65. Minute - nach dem 0:3

55. Minute, es steht 1:0. Frankfurt rennt an, vergibt zwei richtig dicke Chancen. Ojeojeoje. Ein Konter über Butscher. Querpass. Epalle schießt flach ins rechte Eck. Der richtige Zeitpunkt.
Die Abstiegskandidaten punkten heute komplett, unter anderem gewinnt Bielefeld in Wolfsburg. Bei einer Niederlage wären wir punktgleich mit einem Abstiegsplatz. Das 3:0. Zum richtigen Zeitpunkt.
Im Endspurt der Saison brauchen wir VfL-Fans noch den letzten Kick. Die Wahnsinnsparty in den Katakomben der Arena 'ne halbe Stunde nach dem Abpfiff. Richtigrichtigrichtig.
Bin sehr oft mit dem Smart zu den Auswärtsspielen gefahren. Jetzt reichts. Heute sind die Schienen meine Heimat. Und ich lerne sie wieder schätzen. Der Zeitpunkt? Richtig.
Am Frankfurter Flughafen steige ich um. Bekomme Fernweh. Sehe auf die Abflugbildschirm. Stelle fest, dass es auch noch Urlaub gibt im Leben. Zum richtigen... Ihr wisst schon.

Meinem Ziel komme ich immer näher. Zum ersten Mal in meiner VfL-Karriere will ich eine komplette Runde sehen. Heute ist Spiel Nummer 13 in der Rückrunde, in Frankfurt. Das 1:3 gegen Berlin vor einer Woche hat meine Stimmung doch arg gedrückt, aber in jeder Beziehung eines Fans zu seinem Fußballverein gibt es solche Tiefpunkte. Und heute ist bei TRAUMWETTER wieder ein AUSWÄRTSSPIEL angesagt. Und gerade Fans mit Tiefpunkten lieben Auswärtsspiele doppelt. Auf stundenlangen Fahrten über die Saison nachdenken, über die letzten Jahre, mit anderen Fans lachen, weinen, quatschen, schweigen. Andere Städte kennenlernen, andere Stadien. Auch wenns meistens Niederlagen gibt (wie bei uns), sind Auswärtsfahrten höchst selten Totalflops. Frankfurt ist schon immer eine nette Fahrt gewesen. Okay, alle drei VfL-Spiele, die ich dort sah, haben wir verloren (natürlich). Heute werde ich mich nicht in Downtown aufhalten, sondern gleich nach Spielende zurückfahren, da ich heute Abend zu 'ner Party an der Essener Savignystraße (ruhrpöttisch Saffikniiii) bei einem Arbeitskollegen muss. Macht nix, denn Frankfurt ist nicht weit weg, durch die höchst defizitäre Strecke entlang der Autobahn gehts ab Köln verflucht schnell.
Kann sogar ausschlafen. Der gestrige Abend endete spät im Schrägen Eck, aber wen störts, wenn der Wecker erst um 10 Uhr klingelt!? Frühstück ist schon vorbereitet, Klamotten sind bereitgelegt. Ziehe heute erstmals bei einem VfL-Spiel das einst bei ebay für wenig Geld ersteigerte "Lust"-Trikot mit der Nummer sechs (ja, auch Matthias Lust spielte mal beim VfL) an, darüber die "Ärzte-statt-Böller"-Jacke. Bin dann doch spät dran, fahre mit dem Smart zum Bahnhof, finde einen Parkplatz - glücklicherweise - und springe um 10.56 Uhr in die schon am Bahnsteig stehende S-Bahn Richtung Duisburg. Die BOZ-Fanexpress-Leute sind schon seit anderthalb Stunden auf der Strecke, es gab keine spätere Verbindung. Auch die Wochenendticket-Fans dürften schon um Köln herum rumschweben. Umsteigen in Duisburg, rein in den ICE Richtung München. Der Schock, als die Schaffnerin kommt: Habe vergessen, meine alte mit der neuen Bahncard zu tauschen. "Tja, dann müssen sie 35,50 Euro nachzahlen." Ja scheiße. Sie hinterlässt die Notiz "Andreas Ernst hatte seine neue BC nicht dabei". Damit solle ich am Montag in den DB-Shop gehen. Super. Der Tag fängt ja spitze an. In Düsseldorf ertönt die Durchsage: "Aufgrund von polizeilichen Ermittlungen auf der Strecke wird sich die Weiterfahrt um wenige Minuten verzögern." Nach knapp 15 geht es weiter, von richtigen Zeitpunkten darf hier gar keine Rede sein.
Es ist etwas völlig Neues, Musik nicht aus der Anlage im Smart zu hören, sondern mit Kopfhörern aus dem Discman. Die CD, die drinliegt, ist unbeschriftet, ich wage einen Blindflug. Hintereinander laufen "Breakfast" von K's Choice, "Take a look around" von Limp Bizkit (die "Mission-Impossible-II"-Musik) und "Okay" von Farin Urlaub. "Absolut nichts ist in Ordnung. Absolut nichts ist Okay. Verkneif dir jegliches Mitleid. Und spar dir jedes Klischee. Ja, es geht mir beschissen. Ja, es ist wegen dir." VfL-Gefühle. Hoffentlich nicht heute. Draußen scheint die Sonne, oh ja, der Klimawandel. Um die Verspätung aufzuholen, brettert der ICE laut Anzeige mit 292 km/h an der A3 entlang. Sieben Minuten zu spät, um kurz vor 13 Uhr landet der ICE am Frankfurter Flughafen. Das letzte Mal, als ich hier ausstieg, flog ich nach Bangkok, war voll bepackt. Eine Reise ins Ungewisse. Eine Reise in eine weit, weit entfernte Welt.
Ich werfe einen Blick auf den Abflug-Monitor, bekomme unglaubliches Fernweh, höre noch einmal "Take a look around", unmögliche Mission, blinzle in die Sonne, folge den Schildern zum "Terminal 1" (die auch zum Regionalbahnhof führen). Hundert Meter, zweihundert, dreihundert. Im Keller fahren die S-Bahnen ein, um 13.05 Uhr stehen schon ein paar Eintracht-Fans am Bahnhof. Mit dem Spiel beschäftigt habe ich mich heute noch gar nicht. Eintracht hat sich unter der Woche standesgemäß mit 0:4 aus dem DFB-Pokal-Halbfinale scheppern lassen, ist fleißig rund gegangen hier. Eine Minute gewartet, schon kommt die S irgendwas Richtung "Offenbach-Ost". "Frankfurt-Stadion" ist gleich die nächste Haltestelle, vier Minuten weiter, das ging ja wahnsinnig schnell. Noch 2:15 Stunden bis zum Anpfiff und ich bin schon so gut wie da. Unglaublich.
In der Frankfurter City verbrachte ich einst (1997, vor zehn Jahren) die Abschlussfahrt meines Biologie-Grundkurses. Im Abi-Buch formulierten mein Kumpel Eike und ich das wie folgt: "Und wenn wir uns nachmittags im Senckenberg-Museum längst nicht alle über den Weg liefen, abends im Sachsenhausener Kneipenviertel waren wir wieder komplett." Am 15. Mai 2004 gingen Bruder Thommy und ich durch die Stadt, fuhren mit dem Wochenend-Ticket via Siegen und Köln-Deutz zurück. Jetzt gehe ich die Straße vom S-Bahnhof zum Stadion am Rand des Frankfurter Stadtwalds entlang und schenke mir das bisschen Tourismus. In Sichtweite des Stadions gehts rechts in die Otto-Fleck-Schneise, dort hat der DFB seinen Hauptsitz. Ich pinkel nicht gegen den Zaun. Die Eingangstore der Arena (deren Name mir in diesem Haupttext nicht über die Lippen kommen mag) sind noch nicht einmal offen, als ich ankomme. Ich bin einer der ersten in der Arena, suche die Gästekurve. "Block 20", gefunden. Ich mache es mir ab 13.45 Uhr auf einer Treppe gemütlich, schaue in den blauen Himmel und in die pralle Sonne und verfolge den Weg der Flugzeuge, die alle paar Minuten zu großen Reisen aufbrechen. Es wird von Minute zu Minute voller, ab 14 Uhr stellt sich unser Fanbeauftragter Moppel zu ein paar Fans, die neben mir auf der Treppe sitzen. Ein wenig Smalltalk. Hunger. Durst. Wie auf Schalke und in München gibt es auch in Frankfurt WM-Stadion-like nur ein Kartensystem. Barzahlung unmöglich. Kaufe mir für einen Zehner die "Pay & Clever-Card", eine Cola kostet 3,70 Euro! Das sind 7,20 MARK!!! Unglaubliche Preise. Dazu noch eine Wurst - und wieder ab auf die Treppe. Genau eine Stunde vor dem Anpfiff bewege ich meinen Arsch - Ritual - Richtung Fankurve, und ich bin doch schwer beeindruckt. Was haben die bloß aus dem alten Waldstadion gemacht... ich weiß noch, als ich Ende der 90er in dem alten, weitläufigen Kasten mein Fernglas vermisste, weil zwischen meinem Stehplatz und dem Rasen eine Laufbahn und deshalb geschätzte 35 Meter Luftlinie lagen! Und jetzt? Das Ding ist komplett überdacht, hat einen Videowürfel - klingt also sehr nach Schalke. Dass es mir trotzdem einen Tick besser gefällt, hat mit der Lage (nah am S-Bahnhof, nicht wie in Gelsenkirchen 20 Minuten mit einer Straßenbahn), der Umgebung (Wald statt Industrie) und der Behandlung der Gästefans (kein separater Käfig-Eingang, ein Gang rund ums halbe Stadion ist selbst mit Gäste-Fanschal möglich - wobei, bei einem Derby gegen Offenbach oder Mainz gelten bestimmt andere Regeln) zu tun.
Aus Bochum haben sich knapp 2.000 Leute angesagt, wir Blau-Weißen werden so allmählich wirklich eine reiselustiges Völkchen. Eine Viertelstunde vor dem Anpfiff treffe ich VfL-Fan Tobias aus Mülheim - erstmals in dieser Saison, also erstmals nach knapp einem Jahr. Unterhaltungen über die Saison, Auswärtsfahrten. Butscher spielt bei uns für den gesperrten Bönig, keine Überraschung. Sonst ist alles unverändert. Jetzt gilts. Beim Einlaufen spielt die Stadionregie "Hilfe, die Hesse komme". "Hilfe" ist genau das richtige Wort. 20 Minuten lang passiert nichts. Eintracht hat mehr Ballbesitz, bekommt aber nur ein paar harmlose Fernschüsse hin. "Wir machen ein ordentliches Auswärtsspiel", analysiere ich gemeinsam mit meinen Steh-Nachbarn. Ab der 21. Minute werden die Eintracht-Fans sehr, sehr ungeduldig und pfeifen - vor allem gegen Rechtsverteidiger Rehmer. Hihi. So weitermachen!! Dann muss in der 25. auch noch der beste Frankfurter Stürmer Amanatidis verletzt raus. Es läuft. Jetzt das 1:0... das wäre sooooo richtig und wichtig!!! Gesagt, getan, gekas'st! Langer Abstoß von Drobny, Epalle gewinnt das Kopfballduell gegen Rehmer (der ist einen Kopf größer!!!), Frankfurts Vasoski erhält die Kugel, spielt zu Nikolov zurüüück. VIEL ZU KURZ!!! GEKAS, GEKAS, GEKAS, WIE BEIM DREINULL IN LEVERKUSEN, TOOOOOOOORRRRR!!! Der ist so GEIL der Mann, UNGLAUBLICH, der nutzt ALLES aus, so geil, so geil, so wichtig, so unfassbar!!! "Tooor in Frankfurt", schreit der Arena-Kommentator, "Tooor in Frankfurt" schallts im Radio. Jawoll, wir Bochumer FÜHREN! "Jetzt", sage ich in einer Vorahnung, "können wir uns nur noch selber schlagen." Eintracht ist komplett von der Rolle. Wir haben die Frankfurter komplett im Sack. Grote vergibt noch ein Riesending eine Minute vor der Pause. 1:0, dabei bleibts. Erst abwarten, dann eiskalt zuschlagen, dann verteidigen: Taktik sensationell umgesetzt.
Frankfurt wechselt aus, kommt stürmisch aus der Kabine. Koller hat unseren Jungs das Wort "Zeitspiel" mit auf den Weg gegeben - mindestens für 15 Minuten. Bloß das einsnull halten. Oh, es wird eng. Oooh, es wird hart. Ooooh, Frankfurt drückt. Abstiegskampf, nervös, Schweiß, zittern, Sonne knallt, halten, Jungs, halten. "VFL! VFL! VFL! VFL!"-Rufe. Ist was drin hier. Frankfurts Kyrgiakos nach einer Ecke - Drobny. In der 49. Rehmer flankt, Takahara köpft vom Fünfmeterraum, Drobny hält SUUUUPER! In der 55. "Super-Torwart! Super-Torwart! Super-Torwart!", brüllt Tobias aus Mülheim, der ein paar Meter weiter steht, nahezu pausenlos. Laute "Drobny"-Rufe. Es ist noch nicht vorbei. Weißenberger dringt rechts in den Strafraum ein, passt in den Fünfer - aber alle verpassen. In der 56. Drei Riesenchancen in sieben Minuten. Ausgleich liegt in der Luft. Leider. Entlastung über die linke Seite. Grote luchst Rehmer den Ball ab, passt auf Butscher. Unser Aushilfs-Linksverteidiger macht ein sehr gutes Spiel und lenkt den Ball weiter zu Epalle. Ein paar Schritte, ein trockener Schuss rechts ins Eck, der ist DRIIIIINNN, DRIIIIIN, Epalle jubelt mit einem Salto rückwärts, kommt in die Kurve gerannt, feiert mit uns Fans, HÜPFEN, HÜPFEN, "Auswärtssieg! Auswärtssieg!" Es darf nicht wahr sein. Diese Mannschaft ist so brutal abgezockt. Sie nutzt jede Schwäche aus. GENIAL! Pfiffe der Eintracht-Fans, jetzt haben wirs im Sack. Funkel wechselt Rehmer aus, wurde auch Zeit. In der 68. Minute der nächste Konter. Gekas hat den Ball, Epalle kreuzt, Gekas passt, ein kurzes Dribbling, schon steht Epalle frei vor Nikolov und schiiiiebt die Kugel gaaaanz lässig rein, TOOOOOOOOOOOORRRRR, 3:0. Ey 3:0!!! Hintereinander auswärts 4:1 und 3:0!!! Das ist für einen VfL Bochum eigentlich unmöglich. Take a look around. Yeah. Die meisten der 45.000 Frankfurter verlassen fluchtartig das schöne Stadion - 20 Minuten (!) vor (!!) dem Abpfiff. "Auf Wiederseeeehn! Auf Wiederseeeehn!" geben wir laut zu Gehör und veranstalten nach Bielefeld und Leverkusen die beste Auswärtsparty der Saison. Unsere Jungs spielen den Sieg mehr als locker nach Hause. Misimovic und Gekas vergeben weitere Chancen. Gefeierter Mann ist Joel Epalle, der mit einem melodiösen "Epallé, Epallé, Epallééééééé, Epalléé, Epalléé, Epalléééééé" gefeiert wird. Wechselgesänge ("Wen lieben wir? VFL!") und Fußballaden ("Sooo ein Taaag, so wunderschööön...", "V-F-L, mein Heerz schlägt nuuur für Diiich!") wechseln sich ab, um 17.17 Uhr ists vollbracht. 3:0 gewonnen. Der höchste Auswärtssieg meines VfL-Lebens - gemeinsam mit dem Sieg in Leverkusen vor zwei Wochen. Es ist nicht zu glauben. Was in dieser Saison passiert, begreife ich wohl erst in ein paar Jahren. Diese Videokassette lösche ich nie und niemals. Erst die Leverkusen-Aufzeichnung, direkt dahinter Frankfurt. Die Spieler kommen in die Kurve, setzen sich von allein brav hin. Diesmal gibt es keine Humba (das soll schön bei den Mainzern bleiben), sondern "Epallééééé, Epallééééé" - die Jungs begreifen schnell und tanzen um unseren zweifachen Torschützen.
Endet so der Ausflug nach Frankfurt? Vor der Kurve, also in den Katakomben, geht es weiter. Enttäuschte Eintracht-Fans laufen vorbei und blicken neidisch auf unsere Riesenfeier. Hundert VfLer stehen auf engstem Raum beisammen, saufen ihre Pay & Clever-Card leer und brüllen laut. Hier hallts so schön. Gemeinsam singen wir "Mein VfL", proben die ECHTE "Humba". Wieder so ein unvergessliches, post-jubitales Ereignis. Um kurz nach halbsechs breche ich auf Richtung S-Bahnhof, sortiere meine Gedanken. Es fällt schwer. Kleinere Hiobsbotschaften per Handy verarbeite ich schnell. Bielefeld hat in Wolfsburg gewonnen. Das heißt: Obwohl wir vier der letzten sechs Spiele gewonnen haben, beträgt unser Vorsprung magere DREI Punkte. Darfs denn wahr sein? Außerdem hat Völler wohl bekannt gegeben, dass Gekas einen Vier-Jahres-Vertrag in Leverkusen unterschrieben hat. Geht er eben weg. Mit seinem Bleiben hat sowieso niemand mehr gerechnet. Mit VfL-Trikot und -Schal komme ich problemlos durch die Menge aller Eintracht-Fans, steige in die prall gefüllte S7 ein - und vier Minuten am Flughafen wieder aus.
Knapp 45 Minuten nach dem Abpfiff ist das hier wieder eine ganz andere Welt. Ganz anders. Betont nüchtern gehalten, Reisende kommen mit Gepäck vorbei, Anzugtragende mit Aktentasche, ich bin der einzige erkennbare Fußballfan, die anderen benutzen eben doch das Wochenend-Ticket oder bleiben den ganzen Abend in Sachsenhausen. Die Flüge gehen nach Kalifornien, Asien oder in die Karibik, ich überlege kurz, ob ich ganz spontan einen Last-Minute-Trip buchen soll, und lass es doch sein. Dieses Euphoriedoping ist einfach viel zu schön. Bitte verschwinde nicht.
Um 18.09 Uhr fährt der ICE Richtung Köln ab, er braucht genau 55 Minuten. Auf dem Weg zum Gleis fragt mich jemand nach dem Ergebnis. "Dreinull gewonnen", sage ich stolz und präsentiere kitschigerweise mein VfL-Trikot, indem ich meine Brust nach vorn drücke. "Glückwunsch! Aber nächste Woche verliert ihr gegen uns Schalker!" Nanana, ich glaube, die Schalker haben mehr Angst vor uns als umgekehrt! Freue mich wie irre auf das Derby. Bin wieder hier. In meinem Bahn-, in meinem ICE-Revier. Mario Adorf ist auf dem aktuellen Titel der DB-Zeitung, des "mobil-magazins". Ach wie habe ich meine Hauspostille vermisst. Der Schaffner auf der Rückfahrt ist um Längen freundlicher. Ich trage ihm mein Bahncard-Problem vor, will freiwillig nachzahlen. Er antwortet trocken: "Wenn ich nichts mache, ists auch in Ordnung, oder?" In Köln kurz umsteigen in den Regionalexpress, wieder dreimal das Ergebnis nennen und die Brust rausdrücken. Schon um viertelvorneun treffe ich in Mülheim ein, ein kurzer Tagesausflug. Ein schöner. Wunderschööner.
Schaue mir dreimal den Sportschau-Bericht an, ziehe mich schnell um, in Fußballsachen bin ich nur einmal zu einer Party gegangen, nämlich am Abend des UEFA-Cup-Einzugs. So weit sind wir noch ganz lang nicht. Fahre los um kurz vor zehn, schüttele noch mehrfach den Kopf. Die Party strebt gerade auf den Höhepunkt zu. Bin pünktlich da.
Zum richtigen Zeitpunkt.

Drittes TorEs ist kaum zu fassen!

Info: Commerzbank-Arena

Info: Die Commerzbank-Arena (bis 1. Juli 2005 Waldstadion) liegt südlich des Mains im Frankfurter Stadtwald zwischen Flughafen, Frankfurt-Niederrad und Neu-Isenburg. Seit Sommer 2002 wurde es für die WM 2006 zu einem reinen Fußballstadion mit einem Fassungsvermögen von 52.300 Zuschauern umgebaut (das Spiel gegen den VfL verfolgten knapp 48.000). Der Umbau dauerte 40 Monate und kostete 126 Millionen Euro. Hauptnutzer sind Eintracht Frankfurt und das American-Football-Team von Frankfurt Galaxy in der NFL Europa. Die Sportanlage umfasst weitere Sportstätten, darunter ein Schwimmbad, das (ehemalige) Radstadion, eine Tennisanlage und eine Wintersporthalle.
Daten: 52.300 Plätze - davon 43.000 Sitz- und 9.300 Stehplätze. Unter den 2.000 Sitz- sind 2.000 Business-, 1.000 Logen- und 108 Rollstuhlplätze.
Historie: Das ursprüngliche Waldstadion wurde am 21. Mai 1925 eröffnet. Erstes Großereignis war das Endspiel um die Deutsche Meisterschaft am 7. Juni 1925 vor 25.000 Zuschauern zwischen dem 1. FC Nürnberg und dem FSV Frankfurt (1:0). Die anvisierte Bewerbung für die Austragung der Olympischen Spiele 1936 musste zugunsten der Hauptstadt Berlin zurückgezogen werden. 1937 wurde die Kapazität durch Ausbau der Gegengeraden auf 55.000 erhöht. Unter den Nazis wurde das Waldstadion auch für politische Veranstaltungen - Aufmärsche und Versammlungen - mit bis zu 150.000 Teilnehmern genutzt. Einer der letzten sportlichen Höhepunkte vor dem 2. Weltkrieg war der Weltrekord durch Rudolf Harbig über 400 Meter am 12. August 1939. Nach dem Krieg wurde das Stadion zunächst durch US-Soldaten beschlagnahmt, jedoch im Juli 1946 wieder für deutsche Veranstaltungen freigegeben. Sportliche Höhepunkte waren die Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften, Lokalderbys der Eintracht, des FSV und der Offenbacher Kickers sowie das Comeback von Max Schmeling am 28. September 1947.
Erster Umbau: Im Mai 1953 beschloss die Stadt eine erste umfassende Modernisierung, nachdem es im Spiel der Eintracht gegen Kaiserslautern zu Ausschreitungen gekommen war (es wurden 70.000 Karten für das 55.000 Zuschauer fassende Stadion verkauft). Nach 19-monatiger Bauzeit wurde das Waldstadion am 14. Mai 1955 neu eröffnet - mit der damals modernsten Flutlichtanlage Deutschlands Im Spiel gegen Pirmasens am 23. Mai 1959 wurde ein bis heute gültiger Zuschauerrekord aufgestellt: 81.000! Später wurde die Eintracht in Berlin zum bisher einzigen Mal Deutscher Meister. Weitere Höhepunkte: Europapokal-Begegnungen der Eintracht wie das Spiel gegen die Glasgow Rangers (6:1 vor 77.000 Fans) und der Boxkampf zwischen Muhammed Ali und Karl Mildenberger am 10. September 1966.
Zweiter Umbau: Von Mai 1972 bis Januar 1974 wurde das Stadion für die WM 1974 modernisiert. Am 13. Juni 1974 fand in Frankfurt die Eröffnungsfeier statt. Legendär ist die Wasserschlacht von Frankfurt am 3. Juli 1974, als Deutschland mit 1:0 gegen Polen gewann und ins Finale einzog. Die fehlende Drainage und eine Rasenheizung wurden 1978 eingebaut. Im Waldstadion gewann die Eintracht 1980 den UEFA-Pokal. Höhepunkte außerhalb des Fußballs: das Deutsche Turnfest 1983, der Evangelische Kirchentag 1987 sowie Open-Air-Konzerte von Supertramp (1983), Bruce Springsteen (1985 und 1988), Madonna (1987), Prince (1988), Rolling Stones (1990), Tina Turner (1990) sowie in den 90-ern Westernhagen, Dire Straits, U2 und Michael Jackson.
Dritter Umbau: Etappenweise wurden für die WM 2006 ab Oktober 2002 Tribüne um Tribüne neu errichtet. Offiziell heißt es Umbau, tatsächlich handelt es sich um einen Neubau an gleicher Stelle. Architektonisches Highlight ist das verschließbare Dach (wie in Düsseldorf und Schalke), das im zentral über dem Feld aufgehängten Videowürfel zusammengefaltet werden kann. Dieser Vorgang dauert etwa zwanzig Minuten.
Andi sagt: Wie unten in einer Bildunterschrift erwähnt, würde auch ich von einem Neubau sprechen: Dieses Stadion ist nicht im geringsten wiederzuerkennen. Note: gut (plus).

Erst ... dann !
 
Einlaufen 1 Einlaufen 2
Erst... Einlaufen! Die Commerzbank-Arena hat mit dem alten Waldstadion gar nichts mehr gemeinsam. Das "alte" Stadion: mit Laufbahn, kaum überdacht, weitläufig, unansehnlich. Das "neue" Stadion: typische WM-Arena, aber - wie ich finde - sehenswerter als Schalke. Dann... artig ins Publikum winken. Das Kamerateam verfolgt - das verwundert wohl niemanden - Theofanis Gekas.
Hinsetzen Humba
Erst... HINSETZEN, HINSETZEN! Zehn Minuten nach dem Abpfiff geht die große Party in den Katakomben der Arena weiter. Nach "Epallé, Epallé, Epallééééééé" folgt die ECHTE "Humba". Dann... WIIIR SINGEN HUMBA HUMBA HUMBA TÄTÄRÄÄÄ". Die Frankfurter Fans schauten da schon sehr neidisch.
Otto Flughafen
Erst... die Otto-Fleck-Schneise... auf dem Weg von der Gästekurve Richtung Bahnhof geht es an diesem Schild vorbei. Die Zentrale - u.a. - des DFB und der BDR liegen in dieser Straße. Dann... der Fernbahnhof des Frankfurter Flughafens. Er liegt mit der S-Bahn nur vier Minuten von der Haltestelle "Stadion" entfernt.

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VfL Bochum - FC Schalke 04 2:1 (27.4.2007)

TafelEs ist wahr! Es ist wirklich wahr!

Dieses Derby werde ich nie, nie, niemals vergessen. Ausverkauftes Haus, die Seele brilliert, Schalke die Meisterschaft versaut, Gekas wird Torschützenkönig, ein Abend voller sensationeller Momente

HalbzeitJubel NICHT nach dem Spiel, sondern - ACHTUNG - mitten in der Halbzeitpause

Eine glatte "10" für alle
oder:
Das Top-5-Spiel

Morgen danachDer Morgen danach: "Bochum schockt Schalke", "Gekas verhöhnt Schalke", "Bochum zu stark für Schalke"

Der Pflicht-Einstieg zu diesem Text - die zwei VfL-Tore: http://www.youtube.com/watch?v=OE1n_tDLyuA

Boah wie lange dauert das denn noch? WARUM HAB ICH KEINE UHR??? WAS? VIER MINUTEN NACHSPIELZEIT!?!?!?! Spinnst denn du, Schiri? Was soll das? Jahaaa, ihr weißen Schalker, da guckt ihr blöd, was? PFEIF AB! Scheiße, warum haben die jetzt nochmal den Ball. DAS IST DOCH VERBOTEN! Kein Ball für Schalker. Meine Fresse, das sind doch jetzt inzwischen FÜNF Minuten drüber. Lupo klopft von hinten auf die Schulter: "DAS WARS! DAS WARS! DAS WARS!" Lupo, du Prophet!
Fünf Sekunden später...
.. trötet der Schiri, der wun-der-ba-re Schiri in seine Flöte... AUS AUS AUS DAS SPIEL IST AUS!!! GEWONNEN!!!!! 2:1 gegen Schalke!!! "Sowas hat man lang nicht mehr geseeeehn." Unglaublich. Schweiß auf der Stirn, Zittern am ganzen Körper, es ist vollbracht. "Das", sagt einer aus dem Fanklub hinter mir, "ist der schönste Tag als VfL-Fan". Ich drehe mich zu MSV-Fan Helmut, der recht neben mir steht: "Top 5. Top 5! TOP 5 in meinen 15 VfL-Jahren!" Helmut entgegnet: "Das ist das mit Abstand beste Spiel, das ich gesehen habe, an dem der MSV Duisburg nicht beteiligt war." Wenn er das schon sagt, dann muss sich tatsächlich etwas Wahnsinniges abgespielt haben.

Die Tage davor

BochumschalkeBochumschalkeBochumschalkeBochumschalkeBochumschalkeBochumschalkeBochumschalkeBochumschalkeBochumschalkeBochumschalke, es ist in deinem hirn, es nimmt dich ein, es schwirrt in deinem kopf rum. noch ein paar tage. noch fünf. noch vier. noch drei. es ist viel, viel stärker als vor dem spiel gegen borussia dortmund. jeder spricht dich darauf an. JEDER! du gehst damit abends ins bett und stehst am nächsten morgen damit auf. freitagmittag. waz-dienst. um 18 uhr ist noch ein tennistermin angesagt. finde aber keinen ansprechpartner. mist. mache ich das eben telefonisch.

Der Abend

Scheißegal. Eben kein Interview geführt. Zehn nach sechs. Höchste Zeit. Die Autobahn ist bestimmt voll, das Parkhaus auch, kein Parkplatz, zu spät beim Spiel, aaaaarrrgggggh, und das NUR wegen der Arbeit. Schnell fahren. Überholspur. Für die rechte Spur zu schnell. Schnell anklingeln bei Helmut, seine Frau ist heute Abend nicht zu Hause. Freibahn für FUSSBAAAALLL. Er arbeitet an einer Berufsschule in Bottrop. Bottrop ist Schalke-Land. "Ab morgen", hat Helmut getönt, "werdet ihr die Sirtaki verfluchen." Ich merke: Sein Herz schlägt heute ein klitzekleines bisschen für den VfL. Durch die richtigrichtig volle Mülheimer City düsen (warum heute so VOLL?), in Mülheim-Heißen auf die A40, hey, doch schön leer. Helmuts MSV spielt parallel in Jena. Er will das Ergebnis nicht wissen. Nach fünf Minuten stand es noch 0:0. A40 ist leer, bleibt leer, 200 Meter Stau kurz vor "Gelsenkirchen-Süd", thats it. "Bochum-Ruhrstadion" raus, Helmut wie spät? Hab keine Uhr dabei. Kurz nach halb sieben. Wahnsinn! So schnell... Parkhaus ist noch leer, leerer, am leersten. Parken auf dem dritten Deck, direkt neben zwei Typen aus Sachsen. SCHALKERN  aus Sachsen. Bei ebay wurden Stehplatzkarten zuletzt für 62 Euro gehandelt. Zweiundsechzig! Hab noch meine Arbeits- und Weggehklamotten für nachher an, muss sie im Smart gegen das Fußballoutfit tauschen. Zieht Euch mal in einem Smart um, mit 1,86 eine fast unlösbare Aufgabe. Kriegs hin, hab ja Zeit. Helmut und ich schlendern am Eingang zum "Starlight Express" vorbei (viele Leute hier), ankomme Freitag den Siebenundzwanzigsten um 18.45 Uhr, V-F-L.
Reingehen. So früh wie noch nie in dieser Saison. Treffen Gerd vor den Toiletten am Block P. Er ist auch schon so früh hier. DÖÖÖÖRBY! Hören die ersten Sprechchöre. Jetzt schon. Über anderthalb Stunden vor dem Anpfiff. Eine Bratwurst bitte. Danke. Eine Cola bitte. Danke. Die Treppe hoch, hinstellen. Die Schalker haben ihre Ankündigung umgesetzt, weiße T-Shirt an und sich in 50-Mann-Grüppchen in der Ostkurve zusammengestellt. "SCHALKER RAUS! SCHALKER RAUS!" ertönt es richtig laut. Die Spieler sind noch nicht einmal im Stadion!! Es geht schon jetzt rund. Polizei: nicht in Sicht. Erste kleinere Boxereien. "AUF DIE FRESSE! AUF DIE FRESSE!" Helmut schaut etwas entgeistert: "Ich bin froh, wenn ich heute lebend nach Hause komme." Wie geht das erst hier ab, wenns eng wird im Spiel? Eine Gruppe steht direkt neben unseren heißblütigen Fans im Sitzplatzblock A. Wenn die erst kommen... Polizisten bemerken die Gefahr und stellen sich zwischen die Fangruppen. "All cops are bastard", schallts aus der Ultra-Ecke. Die Sonne verstaubt hinter dem Haupttribünendach, die Flutlichtfunzeln springen an. Drobny kommt zum Warmlaufen, wird stürmisch begrüßt, so stürmisch wie noch nie. Schalkes Spieler kommen. "100 Jahre, 100 Jahre, 100 Jaaahre S04, arbeitslose Hurensöhne, 100 Jahre S04". Jetzt wird es richtig niveaulos. Unter der Gürtellinie bleibt wahrscheinlich alles, was heute passiert. Wetter ist genial, knapp über 20 Grad um kurz nach acht, Sonne geht grad unter, Fotomotive en masse. Und gleich das Derby. Kurz vor den Aufstellungen kommen Toto & Harry, Bochums berühmteste Polizisten und werben für ein Derby ohne Randale. "All cops are bastards", brüllen die Ultras, natürlich. Nicht mal Toto & Harry sind hier heilig. Aufstellungen: Wir spielen wie in Frankfurt, warum auch ändern!? Schalke fast in Top-Besetzung, nur Krstajic fehlt. Die Bank: prominent besetzt mit Larsen, Kobiashvili und Halil Altintop. Diesmal läuft Grönemeyers "Bochum" so perfekt wie noch NIE. Pünktlich kurz vor dem Anpfiff hört es jeder: "Machst mit nem Doppelpass JEEEEEEDEN Gegner nass! Du und Dein VFL!"
Ich gestehe: Heute haben die Schalker ein Heimspiel. "Auswärtssieg! Auswärtssieg!" ist der einzig wahre Sprechchor. Wir geben trotzdem (oder wahrscheinlich gerade deshalb) alles - ab der ersten Spielsekunde fighten wir um die stimmliche Übermacht; genauso wie unsere Mannschaft um die Punkte kämpft. Es ist Derby, es ist geil, es kribbelt, die Körper aller 31.400 Zuschauer zittern, Schweißtropfen auf der Stirn, heiß, spannend, genial.
Owei, oje, oh scheiße. Die Schalker beeindrucken als ballsichere, technisch starke Einheit. Epalle schießt zwar nach 120 Sekunden knapp vorbei - aber das wars aus Bochumer Sicht. Danach sind die Schalker für 25 Minuten die beste Mannschaft, die in dieser Saison im Ruhrstadion gespielt hat. Lincoln führt glänzend Regie, unser Butscher hat mit Asamoah große Probleme, Kuranyi bekommt jeden Kopfball, in der Abwehr begeistert Bordon mit grandiosem Stellungsspiel. Wir holen uns in den ersten 25 Minuten schon vier Gelbe Karten ab. Kuranyi köpft nach neun Minuten das 1:0 für Schalke, Asamoah scheitert kurz darauf freistehend an Drobny. 0:1 zurück, vermutlich bald mit 10 gegen 11 (unsere sind IMMER einen Schritt zu langsam, das zieht bestimmt weitere Karten nach sich), es sieht nicht gut aus.
Erstaunliches nach 25 Minuten.
Schalke schaltet zurück, hat das Spiel in Gedanken schon gewonnen, was weiß ich. Wir kommen zurück, die Ostkurve "rockt", wie das in den Fanforen heißt. Und wer uns ins Spiel kommen lässt, ist selbst schuld. Denn wir sind ja mal richtig eiskalt zurzeit. Gesagt, gegrotet. Grote bekommt links kurz hinter der Mittellinie in der gegnerischen Hälfte den Ball, flankt SEN-SA-TIO-NELL an den Elfmeterpunkt, da steht Zwetschge Misimovic und köpft den Ball souverän ins rechte Eck. Zwetschge! Mit dem Kopf! Das ist eigentlich eine Mission impossible!!! Der Torjubel ist - ja - fast sogar ein wenig verhalten. Keiner kann glauben, dass es nach dieser Anfangsphase in Minute 30 plötzlich 1:1 steht. Als es auf der Anzeigetafel aufleuchtet, weiß es jeder. Kribbeln steigt. Schweiß. Barcar... äh ... Derby-Feeling. MUTIGER! MUUUTIGER! LAUTER! LAUUUUUUTER!
Freistoß für Schalke, zwei Minuten später. Pander: Pfosten. Gegenzug. Schröder schaltet sich über rechts ein, vier Minuten nach dem Ausgleich. Pass auf den aufgerückten Maltritz. Noch ein paar Meter bis zur Eckfahne. Da ist kein Schalker. Maltritz ist durch, fast an der Eckfahne, es flllaaaaaaaaankt, schaarf an den langen Pfosten, da ist GEKAS, GEKAS, GEKAS, eine Grätsche, die längsten Sekunden der Saison, TOOOOOOOOOOOOOOOOOOOORRRRR!!!! TOOOOOOOOOOOOOORRRRR!!! Die Mutter aller Torjubel. Der Vater des Torpogo. Sirtaki aus dem Lautsprecher, der Gekas ist UNGLAUBLICH. Er ist UNFASSBAR. Er haut jedes Ding rein, das war gar nicht leicht, aus spitzem Winkel. Die weißen Schalker schweigen! Alle Bochumer winken den kleinen Grüppchen in der Ostkurve zu und brüllen so laut es geht: "IHR WERDET NIE DEUTSCHER MEISTER! NIIIIIIIIE DEUTSCHER MEIIIIIIISTER!" Halbzeit, 2:1 für uns. Wahnsinnsszenen: Fünf Minuten singen wir weiter, als sei der Pausenpfiff nicht erfolgt. Seit Neururer-UEFA-Cup-Zeiten ging es hier nicht mehr so ausgelassen zur Sache. Noch 45 Minuten trennen uns vom fast sicheren Klassenerhalt.
Aber das zweieins zu halten: ausgeschlossen. Alle um mich herum (ALLE!) rechnen mit einem schnellen Ausgleich. Anpfiff. Gebt alles. Holt alles aus Euch heraus. Fix. Rockt. Scheiße, fast alles spielt sich auf dem gegenüberliegenden Tor ab. Özil steht nach 53 Minuten frei, puuuuuuhhhh, vorbei, der MUSS drin sein. Schalke drückt, baut aber zu sehr auf ungefährliche Fernschüsse und Schwalben von Lincoln an der Strafraumkante. Entlastung von uns ist selten, dafür schmeißen sich selbst Misimovic und Gekas in jeden Ball. JAAAA, das ist Abstiegskampf. Die Lautstärke ist phänomenal, das Niveau des Spiels zwar überschaubar, aber es ist so wahnsinnig spannend! Das ist mehr als das kleine Derby. Hier geht keiner nach Hause, bei arena schaltet niemand ab. Im "Schrägen Eck" ists pickepackevoll. Schalke, immer wieder Schalke. Kuranyi köpft irgendwann rund um die 60. an den Pfosten. Danach steht Drobny im Mittelpunkt. Jede, wirklich JEDE Flanke pickt er aus allen Ecken des Strafraums. "Drobny!"-Rufe alle paar Minuten. Irgendwann eine Viertelstunde vor Schluss brüllen alle Weißen (oder "Zahnlosen", das ist der Schalker Name in den Fanforen) zweimal "Heeeey!" (fußballerisch für "Elfmeter"). Einmal nach einem vermeintlichen Handspiel von Imhof (keiner in der Ostkurve hatte einen klaren Blick), einmal nach einem Foul an Lincoln. Selbst wenn Lincoln gelegt wurde: Er ist's selbst schuld. Vorher hat er einfach zu oft geschwalbt. Zweimal GLÜCK gehabt... Noch zehn Minuten. Neun. Acht. "So langsam glaube ich dran", sagt Helmut. "Sowas hat man lang nicht mehr gesehn", lautet die Botschaft der Kurve. Alle Fans glauben dran. "NIE MEEEEHR ZWEITE LIGAAAAAAA!" Das wäre der Klassenerhalt. So gut wie. Mit 39 Punkten ist noch nie eine Mannschaft abgestiegen. Konterchance. Misimovic ist durch - PFOSTEN! Das wäre fast das dreieins gewesen. "IHR WERDET NIE DEUTSCHER MEISTER!" In zwei Wochen spielt Schalke in Dortmund. Die verspielen die deutsche Meisterschaft an der A40. Jede Wette. Epalle wird ausgewechselt und enthusiastisch verabschiedet. "Epalléé, Epallééé, Epalléééééééééé!"
Den Rest ist Vorspann. Vier Minuten Nachspielzeit. Sechs werden es. Dann pfeift Kircher, diese uns wohl gesonnene Schiri ab. Die Jubelszenen auf dem Rasen sind der Wahnsinn. Die Spieler bilden einen Kreis, inklusive Trainer (heute im Anzug, Kompliment), Diver vor unserer Kurve, "La Ola" und "Humba", bestens. Epallé und Gekas bleiben am längsten, Drobny ist für die Stadionregie (zurecht) der "Knaller des Tages". Eine herrlich große Schnauze werden Helmut und ich während der nächsten Tage haben. Helmut applaudiert auch unseren Spielern. Die sms treffen reihenweise ein, rhetorisch bewegen sich Dortmunder und Bochumer ausnahmsweise auf einer Wellenlänge. BVB-Fan Jens schreibt: "Tanze Sirtaki & trinke Ouzo auf euch... Theofanis Gekas :-) Ein geiler Freitag dank Dir und dem VfL...!" BVB-Fan Björn ergänzt: "Glückwunsch! Jetzt muss Werder gewinnen!" Irgendwer (kenne die Nummer nicht) funkt: "ihr seid die besten schalke darf niemals meister werden danke" VfL-Anhänger Dirk aus München belässt es bei einem "Geil", mein Bruder Thommy, der äußerst selten sms durch die Luft funkt, formuliert: "ganz ganz ganz großer sport! war dir virtuell sehr nahe, hab mich unerlaubt von trier-tagung zu arena-kneipe entfernt. glück auf!!!"
Die "Stunde des Zweifels" aus Bremen, dieses miese 0:3, ist etwa zwei Monate her. Ich zweifelte an allem. An mir. Am Klassenerhalt. An meinem VfL-Leben. Heute ist alles gut.  In der Zwischenzeit habe ich die höchsten Auswärtssiege gesehen und ein Derby erlebt, das zu den "Top 5" aller 331 Spiele, die ich bisher gesehen habe, zählt. Schnellebig. Fußball. VfL.

Die Nacht

Langsam zum Auto trotten. Die Sachsen sind längst verschwunden, wie auch die meisten anderen Wagen. Die weißen Schalker haben sich so schnell wie möglich aus dem Staub gemacht, Helmut und ich sind noch 'ne Viertelstunde in der Ostkurve geblieben, auch die letzten Sekunden auskosten. 15 Minuten dauert es, bis es im Parkhaus voran geht. Schnell nach Mülheim düsen, Helmut wegbringen, er schaut sich jetzt den MSV auf Video an und hofft, dass auch seine Jungs etwas mitgespielt haben (gelang nicht, der MSV spielte in Jena nach 0:3-Rückstand 3:3). Seine Laune ist (deshalb: noch) sehr gut, er hat aus neutraler Sicht einen prächtigen Fußball-Abend verlebt. Ich bin euphorisch, aufgedreht, in Champagner-Meisterlaune. Fahre schnell nach Hause, verpasse in der Online-Spielerbewertung auf der VfL-Homepage ALLEN eine glatte "10" (wer das nicht tut, ist kein wahrer VfLer...). Umziehen, die Ausgeh-Klamotten wieder an, kurz ein bisschen waschen (Deo ganz wichtig), ab ins "Schräge Eck". Fehlt nur der Triumphmarsch, als ich mit erhobenen Armen den Saal betrete. Leider keine Schalker mehr da. Eine Partie Billard, dann gehts weiter in die House-Disco "Freeland". Verbrüderungsszenen mit BVB-Fans, laute Gesänge "IHR WERDET NIIIE DEUTSCHER MEISTER!" Schalke-Fans schlendern missmutig vorbei. Auch das: Szenen, die nie wiederkehren. Nie. Um drei kehre ich zurück, will gegen vier ins Bett. Meine Augen stehen weit auf. Weitweitweit. Bei YOUTUBE finde ich einen Videoausschnitt, irgendein britischer Sender hat das Spiel wohl live gezeigt. "It's that man again", sagte der Reporter beim Gekas-Tor. Jawoll. Schaue den Ausschnitt immer wieder. Treffe im "studivz" (Studenten-Internetplattform) Kirsten aus Bochum. Die hat eine "Stimmung wie bei der WM" im Bermuda-Dreieck ausgemacht. Halbfünf inzwischen.

Der Morgen danach

Bin dann doch noch eingeschlafen. Irgendwann gegen fünf, halbsechs, keine Ahnung, weißnichtmehr, lag auch im Bett zunächst hellwach. Irgendwas geträumt, wovon, egal. Wollte zuerst mit Schal einschlafen, aber das wäre des Kitsches doch zu viel gewesen. Und bei den Temperaturen... Suche als Erstes die WAZ. Die Nachbarn haben die Zeitung schon auf meine Fußmatte gelegt, und jaaaaa, die linke Spalte auf dem Titel zeigt mir: ES IST WAHR! WIR HABENS GESCHAFFT! "2:1! Bochum zu stark für Schalke!" Im Hauptsport geht es weiter: "Bochum schockt Schalke". Werde es ausschneiden, aufhängen, an die Tür kleben, an ALLE Türen kleben. Wahnsinnwahnsinnwahnsinn. Computer anschmeißen. E-Mails. "Geil! Wir haben die Schalker weggeputzt!" steht in einer. Wo ist mein Handy? Drei neue Nachrichten seit fünf Uhr. "Das war doch gestern der Hammer, oder?" ist die erste. "Danke! Schalke darf nicht Meister werden" ist die zweite. Und "Andi! Wir sind Siebter!" steht in der dritten. Dieses Spiel hat das Ruhrgebiet, hat alle bewegt.

Ich werde es nie, niiiiiiiemals vergessen.
 
Blau-Weiß Wo die Sonne verstaubt
18.55 Uhr - eine Stunde und 35 Minuten vor dem Anpfiff. Block A - rechts, Sitzplätze - ist noch leer, aber die Menschen in den weißen T-Shirts geben sich als Schalke-Fans mitten in der Ostkurve zu erkennen. 95 (!) Minuten vor dem Anpfiff laute Sprechchöre von allen Bochumern (am lautesten "Schalker raus!"), eine Schlägerei; danach stürmen Polizisten und Ordner den Block. Tief im Westen, wo die Sonne verstaubt. Muss ich mehr sagen?
Burn Baby Burn UB
Burn, Fahne, Burn - diese etwas zweifelhafte Form der Rivalität gehört scheinbar zu einem Revierderby - hier mitten im Song "Mein VfL"! Und das ich während "Bochum". Pfiffe blieben weitestgehend aus, da ich von vielen Schalkern gehört habe, dass sie das Lied als Ruhrgebiets-Hymne begreifen. Und mehr noch: Die Schalker Ultras bekundeten "Solidarität mit UB" (UB = Ultras Bochum) - wahrscheinlich aufgrund der Ereignisse vor dem BVB-Spiel.
Mannschaft Gekas und Epalle
Abpfiff. Die Spieler bilden an der Mittellinie einen Kreis, tanzen um die Wette, 39 Punkte, vorübergehend Siebter, unser Trainer Marcel Koller steht rechts am Rand und kann es kaum glauben. Die Helden aller Helden: Theofanis Gekas (im englischen Youtube-Ausschnitt "It's that man again") und Joel Epalle - der Mann, der sich so wunderbar feiern lässt.

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Hamburger SV - VfL Bochum 0:3 (5.5.2007)

TafelIch glaub... ich träume... hintereinander... auswärts... 4:1, 3:0, 3:0...

"Nie mehr zweite Liga", "So gehn die Bochumer", wieder: Traum-Wetter, dieses Spiel toppt noch einmal alles andere, 30 Minuten nach dem Abpfiff noch Riesenparty.

KollerErst verachtet (auch auf dieser Seite), jetzt geachtet (zurecht): Unser gefeierter Trainer Marcel Koller

Bochum, meine Perle

ElfmeterDer Klassenerhalt: Misimovic verwandelt einen Elfmeter zehn Minuten vor Schluss

Kneif mich jemand. Schlag mich jemand. Tritt mich jemand. Es ist wahr, es ist wirklich wahr. Wir haben den Klassenerhalt in der Bundesliga geschafft. Wir haben es geschafft, geschafft, geschafft, geschafft. Eine Rekordsaison bleibt,
in der ich 31 von 34 Spielen gesehen haben werde. Momente speichere ich ab auf der Festplatte, die ich Gehirn nenne, die Sicherungskopie ist diese Homepage. Aus Hamburg kamen viele Augenblicke hinzu, viele Erinnerungssplitter.
Lotto-King Karl singt auf seiner Bühne "Hamburg meine Perle", noch dreißig Minuten nach dem Abpfiff brüllen wir VfLer im schon leeren Stadion "So gehn die Bochumer - so gehn die Hamburger", es gibt die große Versöhnung mit
unserem Trainer. Das alles nach dem dritten Auswärtssieg hintereinander.

Ich finde es so cool, in Hamburg Kettcar zu hören.
Das habe ich Euch schon bei meinen letzten Reisen an die Elbe erzählt.
 
Lotto-King-Karl Einlaufen
Nach Grönemeyer und "Bochum" der wohl kultigste Stadionsong der Republik: Lotto-King Karl (Anzeigetafel, l.) besteigt acht Minuten vor dem Anpfiff die Bühne (rechts unten) und schmettert gemeinsam mit allen Zuschauern "Hamburg, meine Perle". Kompliment! Das kingkarlsche Lied ist aber nicht der Einlauf-Song. Da ertönen in Hamburgs Arena die Klänge aus den Star-Wars-Filmen.
Jubel 1 Jubel 2
Der große Jubel, Teil 1: Schon unmittelbar nach dem Abpfiff (17.20 Uhr) steigen die Spieler bei "So gehn die Bochumer, so gehn die Hamburger" richtig mit ein. Koller (weißes Shirt) nimmt an der Orgie teil. Doch das alles ist nur der Anfang... ... denn um 17.25 Uhr feiern wir alle immer noch. Bejubelte Einzelspieler: Gekas, Epalle, Drobny.
Stadion leer Butscher
Um 17.40 Uhr sind immer noch alle 2500 Bochumer im Stadion - das sonst komplett leer ist. Die Spieler drehen ihre drei Auslauf-Runden und bleiben stets vor dem Gästeblock stehen. ... wer besonders aufmerksam hinschaut, erblickt direkt unter der VfL-Fahne ein verdecktes Gesicht. Es ist das von Heiko Butscher, der bei der "Humba" um 17.45 Uhr den Einpeitscher gibt. Sehr gut!
Zugfenster Andi
Hamburg aus dem Zugfenster. Sonne pur am 5. Mai! Zugfahrer-Alltag in der Saison 2006/2007. Der ganze Stress hat sich gelohnt. Wir bleiben ein weiteres Jahr in der 1. Bundesliga.

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VfL Bochum - VfB Stuttgart 2:3 (12.5.2007)

Wosz gehtDer kleine Mann geht: Tschüss Dariusz Wosz!

Seltsame Verbrüderungsszenen *** Schalkes Titel ist verhindert *** Ein hochklassiges Heimspiel *** Vermutlich sogar das beste in dieser Saison *** Ausverkauft *** Tschüss Dariusz Wosz

AbpfiffDa laufen aber ein paar Leute Amok...

Ein bisschen Abschied

Gekas hautnahGekas hautnah: Nicht gerade überschwänglich, aber immerhin. Fanis unter Tausenden

Es war ein Superspiel. Es war ein seltsames Spiel.

Es ist nicht dasselbe, an diesem Vormittag aufzustehen. Nicht dasselbe wie in den letzten Wochen. Monaten. Wir sind gerettet. Hey, man, GERETTET!!! Hätte mir das jemand nach dem dritten Spieltag gesagt, als wir nach Niederlagen gegen Mainz, Bayern und Cottbus schon Letzter waren - niemals hätte ich das für möglich gehalten. Niemals. Jetzt sind wir drin geblieben, drei Spieltage vor Schluss und ich kann - kommt mir irgendwie bekannt vor - damit nicht so recht umgehen. Immer, wenn es an den letzten beiden Spieltagen um nichts mehr geht für den VfL, dann verzweifle ich mehr als in den wahren Abstiegs (oder Aufstiegs-) knallern selbst. Möchte ich meinen. Du stehst morgens auf, bist total froh, dass du ein Jahr länger 1. Bundesliga sehen kannst - Emotionen, die Bayern-Fans völlig fremd sind, aber für mich ist 1. Liga ein Geschenk - und auf der anderen Seite denkst du: Scheiße. Schon gerettet. Stadion heute ausverkauft. Und für uns geht es um gaaaaaar nichts mehr. Schön. Und seltsam.

Es war ein Superspiel. Es war ein seltsames Spiel.

Letztes Heimspiel. Noch einmal ein Wiedersehen mit allen Bekannten der Saison!? Es ist das letzte Heimspiel für drei Monate, zwölf Wochen Ruhrstadion-Pause werden folgen. Wenn ich das nächste Mal die Stehstufen beehre, bin ich nicht mehr freier Journalist, sondern Volontär. Eine schöne, seltsame Zäsur findet heute statt. Wer waren außer den Spielern die Hauptdarsteller in meiner persönlichen Saison 2006/2007!? Mein Bruder Thommy selbstverständlich, Begleiter nicht nur bei den unvergesslichen Auswärtsspielen in München und Leverkusen. In Heimspielen natürlich - wie in all den Jahren zuvor - Gerd, Lupo und sein Fanklub und in leider diesmal sehr seltenen Fällen Sam und seine Frau Nicole. Schöne Auswärtserlebnisse gab es in Aachen beim Treffen mit Nadine und Björn; in Berlin mit einer alten Kirchenfreizeits-Jugendtage-Bekannten, in München mit Manuela und Dirk sowie in Cottbus im Hotel mit der gesamten Mannschaft des FC Energie. Tausend Sprüche. Tausendmal gelacht, tausendmal geschimpft. Heute ist außer Lupos Fanklub aber niemand dabei. Gerd hat sich pünktlich zum Es-geht-für-uns-um-nichts-mehr-Spiel in den Urlaub verabschiedet, Sam teilt per sms mit, dass er auf einer Fortbildung versackt ist. Mein Bruder schreibt in Brüssel an seiner Promotion. Seltsam alles. Und doch ist heute auch da nichts normal. Meine liebreizende Arbeitskollegin Nancy begleitet mich. "Da muss ich mich benehmen", habe ich gestern und vorgestern zu allen Leuten gesagt, die mich aufs Spiel angesprochen haben. Treffpunkt 14.15 Uhr vor der 308-Haltestelle. Nancy steigt pünktlich aus, zum zweiten Mal in ihrem Leben betritt sie das Ruhrstadion. Schön.

Es war ein Superspiel. Es war ein seltsames Spiel.

14.15 Uhr, es regnet. Nieselt. In Strömen. Ach was weiß denn ich. Der schöne April ist schon lange vorbei, gefühlte Ewigkeiten. Sonne tanken in Frankfurt. Bräunen in Hamburg. Das war einmal. Es regnet erst seit ein paar Tagen, und doch geht es mir schon so unglaublich auf den Keks. "Ich dachte, du kommst ganz in blau", sagt Nancy um 14.15 Uhr. Nee, Trikot ist zwar drunter, Schal ist um, aber die Kapuze meiner "Ärzte-statt-Böller"-Jacke verdeckt einen Teil meines Schädels. Muss das regnen? Uääähh! Rein ins Stadion, bloß nicht nass werden. Kaum angekommen: Die dunklen Wolken verziehen sich, ist das etwa... etwa... etwa... die SONNE? Ja, es gibt sie noch. Warum hat die Stadionregie die Flutlichtmasten eingeschaltet? Ist doch hell genug! Spiel beginnt, wieder dunkler wirds. Regen. Der Wind peitscht die Tropfen in die Gesichter der Ostkurve, passend zum Spielstand. Pünktlich zu den Spielerverabschiedungen wirds wieder freundlicher in Bochum. Ja was denn nun? Schön. Seltsam.

Es war ein Superspiel. Es war ein seltsames Spiel.

Okay, geht für uns um nix mehr. Und doch sind wir, hoppla, bundesweit Gesprächsthema Nummer zwei nach dem Revierderby ein paar Meter weiter in Dortmund. Denn sensationellerweise kann unser heutiger Gegner noch Meister werden. Es ist überhaupt das Sensationsspiel. Der schon jetzt überraschend gerettete Absteiger Nummer eins (wir) trifft auf den Titelkandidaten, dem vorher allenfalls ein UI-Cup-Platz zugetraut worden wäre (die). Das teile ich Nancy auch glatt mit, als Basis-Information, ob sie es hören wollte oder nicht... Sie hat sich wirklich genau das richtige Spiel ausgesucht. Die Atmosphäre in der großen VfL-Familie ist entspannt, trotz Platz acht träumt niemand wirklich vom internationalen Geschäft, "Europapokal"-Rufe bleiben die Seltenheit. Zwei offensive Mannschaften treffen aufeinander, Gehässigkeiten sind nicht zu erwarten. Voila, Fußballfest, olé, Anpfiff.
Das Spiel wird sen-sa-tio-nell. Schüttelfaktor: fünf Sterne, Emotionsfaktor: vier Sterne, Niveau: fünf Sterne, Lautstärke: vier Sterne. Egal, wie das Spiel ausgeht: Bochum gewinnt. Wenn wir den "Dreier" machen logischerweise sowieso, wenn wir nicht siegen, wirds Schalke schwer haben mit dem Titel. Gab es schon einmal solche Voraussetzungen? Koller setzt zum vierten Mal in Folge auf die gleiche Startelf, wann gab es das zuletzt beim VfL? "Darf ich dich denn zwischendurch stören oder bist du nicht ansprechbar?", fragt Nancy. Dochdoch, stören erlaubt... wer weiß, wie's im Schalke-Spiel gewesen wäre!? Spiel fängt an, langer Pass auf Gekas, der steht im Strafraum mit dem Rücken zum Tor, legt per Hacke ab und SCHRÖDER: TOOOOOOOOOOOOORRRR!!!!! EINSNULL!!! 1:0!!! Der Traum geht weiter, immer weiter, weitermachen, macht mich irre, irrer Beginn, beginnt mit der Party, TOOOOORRR! Halte mich mit dem Jubel diesmal etwas zurück, es ist alles so unwirklich. Beide Mannschaften spielen mit offenem Visier. Gekas vergibt vier Minuten später eine zehntausendprozentige Chance. Er versemmelt freistehend völlig, so Dinger macht der sonst doch BLIND!! Stuttgart antwortet mit Hitzlsperger: 1:1 nach 18 Minuten. Jetzt trällert die andere Seite. Die Stuttgarter sind so geladen, dass Torwart Hildebrand zur eigenen Trainerbank läuft und jeden umarmt. Jetzt aufpassen, Jungs. Bloß nicht übermütig werden. Entlastung: Epalle passt auf Höhe der Mittellinie zu Maltritz. Der rückt auf, wird nicht angegriffen, drischt aus 25 Metern drauf, JA WIE GEHT DER DENN AB? EIN STRIIIIIIIICH, TOOOOOOOOORRR! LINKS UNTEN! LINKS UNTEN!!! 2:1!!! Ich sehe schon die hochgerissenen Arme der Schalke-Fans, die Radio hören. Wir spielen hier gut, wir führen. TORJUBEL noch einmal in der 44. Minute: Das 1:0 der Dortmunder im Derby gegen Schalke wird vermeldet. Kaum einer im ausverkauften Stadion freut sich darüber nicht. Halbzeit. Die Hupfdohlen kommen. Nancy fand es - natürlich - erstaunlich kurzweilig, sie steht sonst eher auf Handball. Ich beschimpfe Sam per sms, der aufgrund seiner dusseligen Fortbildung ein über-ra-gen-des Spiel verpasst. Das bleibt übrigens sen-sa-tio-nell. Epalle kurz nach Wiederanpfiff knallt maltritzlike drauf: Zentimeter vorbei. Zentimeter!! Stuttgart wankt. Trainer Veh zieht das letzte As, bringt Gomez nach zweimonatiger Verletzungspause. Stuttgart muss aufmachen, das eröffnet Platz für Konter. Winkt der UI-Cup etwa doch? "Soooo gehn die Bochumer, die Bochumer gehn so" - der Top-Hit des Monats Mai wird in einer Endlosschleife besungen, aber nicht auf die Stuttgarter Fans, sondern auf die Schalker. 2:1, so langsam glaub ich dran. Minute 56: Eine lange Flanke, unsere Viererkette leistet sich einen kollektiven Tiefschlaf, Gomez nickt ein, 2:2. Jaja, ich höre sie schon, meine Journalistenkollegen, ich höre sie schon "Solche Geschichten gibt es nur im Fußball" sagen. Der VfL verliert für ein paar Minuten komplett die Orientierung und lässt Cacau auch noch das 3:2 in der 67. Minute schießen. 30 Sekunden atmet niemand in der Ostkurve. Zweimal vorn, jetzt auf einmal zurück. Aber in der 31. Sekunde nach dem Gegentor folgen die "Schade Schalke - alles ist vorbei"-Rufe. Heute ist eben alles ganz, ganz anders. Das Spiel ist so spannend, dass unser Denkmal Dariusz Wosz leider nicht zu seinem letzten Einsatz kommt. Koller will noch den Ausgleich. Und bekommt ihn auch. Moralisch. Denn Dabrowski steht drei Minuten vor Schluss ganz frei und macht eigentlich auch alles richtig, indem er den Ball zum richtigen Zeitpunkt aufs Tor bugsiert. Doch VfB-Torwart Hildebrand wirft sich dazwischen. Weltklasse. Noch nie hat ein Torwart nach einer Parade so triumphiert. "Die Meister-Parade" wird es morgen und in den nächsten Wochen in den Zeitungen wohl heißen. Ohne auch nur eine Sekunde Nachspielzeit pfeift Schiri Meyer das stets sehr faire Spiel ab. Spielnote 1 - glatt und ohne jeden Zweifel. Superspiel. Nancy hat alles richtig gemacht. Bravissimo. Und doch seltsam: Verloren, und keinen hats gestört. Denn kurz vor Schluss hat Schalke noch das 0:2 kassiert. "Schade Schalke - alles ist vorbei", "Ihr werdet nie Deutscher Meister" undsoweiter. Diese Sprechchor-Schallplatte ist noch nicht verkratzt.

Es war ein Superspiel. Es war ein seltsames Spiel.

Es ist einfach alles anders. "Nancy", habe ich sie vorgewarnt, "nach dem Abpfiff darfst du mich erst einmal nicht angucken." Denn um 17.18 Uhr ist das Spiel verloren, die Stuttgarter bejubeln die 85-Prozent-Meisterschaft (das Heimspiel gegen Cottbus in einer Woche wird der VfB wohl packen) - aber die härteste emotionale Prüfung für die VfL-Fans folgt erst noch. Acht Spieler werden unmittelbar vor der Ostkurve mit Blumenstrauß und Händedruck von Manager Kuntz und Trainer Koller verabschiedet. Die Laune ist so gut, dass Manager Kuntz und jeder einzelne Spieler vom Publikum namentlich gefeiert werden. David Pallas, Fabio Junior, Alexander Bade, sogar Peter Skov-Jensen, Filip Trojan, Zvjezdan Misimovic, Theofanis Gekas: siebenmal ADIOS. Sieben? Nein, acht! Denn zum Schluss kommt Dariusz Wosz. Noch einmal brüllt das ganze Stadion "DARIUSZ! DARIUSZ! DARIUSZ!" Nach 13 Jahren und unendlich vielen Spielen geht er. In dieser Saison war er einfach zu alt, zu schlecht, da reichte es einfach nicht mehr, nicht einmal zu einem Kurzeinsatz. Jetzt darf er sich in der Popularität sonnen, er ist eben eine Bochumer Legende geworden. Doch dann geht der kleine Mann. Ins Mikro darf er noch den Termin seines Abschiedsspiels flüstern. Muss mich kurz sammeln, zu mir kommen, Tränen kullern bei mir nicht, bin aber trotzdem froh, dass die Arbeitskollegin nicht geschaut hat. Schon nach wenigen Sekunden Abstand: Zeit für Analysen. Bönig, Butscher, Drobny und Imhof erhielten keinen Strauß. Hier laufen die Verhandlungen noch. Acht Abgänge stehen fest, mindestens zwei kommen wohl noch hinzu. Da gibt es für Kuntz einiges zu tun in den kommenden Tagen. 17.50 Uhr, das Ruhrstadion leert sich ganz langsam. Superspiel, emotionale Verabschiedung. Doch es ist ein seltsames Kribbeln: Die Saison im Ruhrstadion ist zu Ende. Die Wosz-Karriere ist zu Ende. Ich werde den kleinen Dariusz nach 207 Spielen nie, nie, nie wieder im VfL-Trikot spielen lassen. NIE wieder. Das begreife ich wohl erst irgendwann.

Es war ein Superspiel. Es war ein seltsames Spiel.

Gehe mit Nancy noch auf 'ne Currywurst ins Bermuda-Dreieck. Treffen einen WAZ-Volontär, der sich aus Schwäbisch Gmünd ins Ruhrgebiet gewagt hat und nun als VfB-Fan selbstverständlich jubiliert. Schließlich trennen sich unsere Wege. Ich steige in die 308 und fahre zurück Richtung "Ruhrstadion", denn im Parkhaus steht mein Auto. Hab völlig vergessen, dass vor der Ostkurve und dem Stadion-Center die "After-Show-Party" noch läuft. Pils und Cola im 0,3-Liter-Becher gibts für einen Euro. Eine Superidee, denn ab 18.30 Uhr wollten sich alle Spieler unter die Fans mischen. Schaue auf die Uhr, es ist 19.15 Uhr, die Spieler müssten längst da sein. Doch alles, was ich erblicke, sind ganz seltsame Verbrüderungsszenen. Bochumer und Stuttgarter schunkeln Seite an Seite das Lieblings-Lied "So gehn die Bochumer, so gehn die Schalker", sie tauschen Schals, saufen gemeinsam. Und - halt - was ist das denn? Auch ein paar neongelbe BVB-Fans sind zu sehen. Eine versaute Meisterschaft des FC Schalke 04 ist ein Pflaster auf offene Wunden. So viel zum Thema "Das Ruhrgebiet hält zusammen". Nix. Die Spieler sind längst da. Bei Dabrowski stehen zwei, drei Zuschauer und scheinen sogar ein ernsthaftes fußballtaktisches Gespräch zu führen. Um Gekas stehen alle. Der arme Kerl ist ohne Leibwächter unterwegs. Irgendwo am anderen Ende singen die Fans immerzu "Epallé Epallé Epalléééé". Wer wird da wohl stehen?? Es ist DER Saisonabschluss, und kaum einer wird emotional in der Lage sein, in einer Woche das Gladbach-Spiel da noch draufzupacken. Stimmt, Gekas läuft ja noch einmal für uns auf. Stimmt, einmal müssen wir ja noch. Stimmt, fast 4000 Bochumer fahren mit auf die andere Rheinseite. Ich hole mir keine Autogramme. Aus dem Alter bin ich wirklich seit 15 Jahren raus. Nach einer Cola, schnell runtergeschüttet, begebe ich mich ins Parkhaus. Kaum ein Auto steht noch dort. "Read my mind" von den Killers liegt im CD-Player, ich schlage das Ultra-Blättchen auf, dass ich vor ein paar Sekunden auf dem Parkhausboden fand.

Einige Zeilen kann ich sogar ohne zu zögern unterschreiben, als meine persönliche Versöhnung mit den Ultras:

"Es gab böse Nackenschläge wie die Niederlagen gegen Bremen und Mainz, Wolfsburg und Aachen, aber auch einige geile Momente, die wir nie vergessen werden, weil sie einem heute noch eine Gänsehaut bescheren wie die Derbysiege gegen DO & GE, die Aufholjagd gegen Frankfurt, die Siege in Bielefeld oder Leverkusen. Also eine Saison mit Höhen und Tiefen, wie wir sie von unserem VfL gewohnt sind, wofür wir ihn lieben. Wofür es sich lohnt, Bochumer zu sein."

Eine Supersaison.
Eine seltsame Saison.
Und nächste Woche gibts die letzte Zugabe.
 
Einlaufen Hupfdohlen
Letztes Heimspiel der Saison. Es geht um nichts mehr, aber es kribbelt bis zum einen. Wir können international spielen, Stuttgart hat die Meisterschaft vor Augen. 31.328 Zuschauer bedeuten ausverkauft, zum fünften Mal in dieser Saison. Halbzeitpause. Verschnaufen. Stationettes.
La Ola Gekas
Eine seltsame Saison geht standesgemäß mit einem noch seltsameren, aber mehr als hochklassigen Heimspiel zu Ende. "La Ola" mit dem kompletten Kader, also auch allen scheidenden Spielern. TSCHÜSS FANIS! Der dritte Torschützenkönig in der Vereinsgeschichte des VfL Bochum wird von Manager Stefan Kuntz, Trainer Marcel Koller, den Mitspielern und den Fans verabschiedet.

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Borussia Mönchengladbach - VfL Bochum 0:2 (19.5.2007)

DA-RI-USZEr lebe hoch, er lebe hoch...! Was für ein Saisonende!!

Was ich noch zu sagen hätte, dauert eine Schachtel Zigaretten. Wosz kriegt sein Tor zum Abschied, Gekas die Kanone, Stuttgart wird Meister. Vier Auswärtssiege in Folge. Kneift mich.

TafelVier Auswärtssiege in Folge - mit 13:1 Toren!

Die Pointe

GekasGroßer Dank: Theofanis Gekas präsentiert in der Bildmitte die Torjägerkanone

Drei Silben. Es sind nur drei verflucht-verdammt-geile Silben. Einfach für jeden. Einfach zu brüllen. Einfach klasse. "DA-RI-USZ, DA-RI-USZ, DA-RI-USZ!"-Rufe werden mir tagelang nicht aus dem Schädel gehen. Werde ich bis zur Rente nicht vergessen. Werde ich nicht vergessen, bis sich mein Erinnerungsvermögen aus meinem Gehirn trennt. Was habe ich vor einer Woche noch interaktiv geflennt, geheult, einen Tränenozean vergossen!? Niiiiie mehr werde ich Dariusz Wosz spielen sehen. Niiiiie wieder. Ich beweinte irgendwie die Verabschiedung. Und jetzt? Jetzt, um kurz nach fünf am Samstagmittag ist das alles vorbei, eine Woche vergangen, was interessiert mich meine Emotionslage nach dem Stuttgart-Spiel? DARIUSZ HAT GESPIELT! DARIUSZ HAT WIRKLICH GESPIELT! UND DARIUSZ HAT GETROFFEN! ZUM ZWEINULL! VOR EIN PAAR SEKUNDEN!!!

Gute Nacht Freunde
es ist Zeit für mich zu gehn
was ich noch zu sagen hätte
dauert...
... eine Schachtel Zigaretten
(r. mey, modifiziert: a. ernst)

Ist die Saison vorbei? Zu Ende? Schon, irgendwie. Es fällt heute einen Tick schwerer, die Beine aus dem Bett zu bewegen. Die Nervosität am Frühstückstisch ist äußerst überschaubar, und all die Rituale, von denen ich Euch im Lauf der Saison erzählte, wollen heute nicht greifen. Während ich meine Socken überstreife, fühle ich mich nicht wie in einer Umkleidekabine; während ich meine Schuhe zuschnüre, entführt mich meine Phantasie diesmal nicht zur Ansprache von Marcel Koller. Und während ich die Taschen meiner Fußballhose mit den diversen Utensilien von Handy über Block bis zu Eintrittskarte und Digitalkamera fülle, denke ich nicht an das Wort "bewaffnen". Ich ziehe mich heute einfach nur ganz normal an. Um zu einem Freundschaftsspiel zu fahren.
Ein letztes Mal steige ich in den Smart. Den Rekord habe ich schon aufgestellt, heute baue ich ihn auf 31 Spiele aus. 31 von 34 VfL-Spielen in einer Saison! 31! Und doch freue ich mich nicht wirklich. Es ist alles so normal an diesem Tag. Lasse den Wagen an, lege die "Best of U2 1980-1990" in den Player und brause where the streets have no name am Breitscheider Kreuz um kurz nach halbeins auf die A40. Denke an den gestrigen Abend, ans Schräge Eck. Das Eck ist normalerweise Borussen-Land, es gibt sogar einen Fanklub, die "Schräges-Eck-Borussen", die an jedem Spieltag mit mindestens zehn Mann erscheinen. Was haben wir uns die Spitzen hin- und hergeschleudert an den ersten 25 Spieltagen, was haben wir auf dieses "Endspiel" hingefiebert. Jetzt ist alles vorbei. Alles. Gestern Nacht redeten wir nur kurz darüber, kurz bevor der Wirt Zarko die letzten Gäste hinausbat, weit nach Mitternacht. "Ihr gewinnt bestimmt", war so ziemlich das einzige, was die unglaublich desillusionierten Gladbacher zu sagen in der Lage waren. Die wenigen weiteren Sätze: "Hoffentlich bleiben wir noch zwei Jahre in der 2. Bundesliga, damit wir die Mannschaft und den Unterbau komplett sanieren können", "Das sind doch alles nur Söldner. Ihr Bochumer habt alles richtig gemacht. Alles. Habt gekämpft. Und bei uns?" Ich verspürte sogar etwas Mitleid und meinte: "Wir haben gar keine Lust und schenken Euch bestimmt noch Selbstvertrauen und Punkte." Sie glaubten es nicht und schauten nur traurig. Extrem traurig.
Fahre auf die A52, mit Kalla-Trikot auf dem Oberkörper und dem "Almauftrieb"-Schal um den Hals, hinter dem Düsseldorfer Flughafen auf die A44, ach ja, Flughafen, ich würde so gern mal wieder dort losfliegen, in die weite Welt, wohin auch immer. So gern. So gern. So gern. Neersen oder wo auch immer zurück auf die A52, die U2-CD ist inzwischen fertig gehört, die Bahn immer noch leer. "Fahr früh los", haben mir die Jungs gestern noch geraten. Doch ich komme fast noch zu früh. Am Kreuz Mönchengladbach ein allerletztes Mal "umsteigen". S' geht auf die A61 und dort bis zur Abfahrt "Mönchengladbach-Nordpark". Seit drei Jahren steht im Westen Mönchengladbachs dieses neue Zentrum mit dem topmodernen Stadion, das die Borussia zwar reich, aber nicht erfolgreich gemacht hat. Nebenan, im Hockeystadion, wurde Deutschland im Herbst 2006 Weltmeister. Fast 10.000 Parkplätze sind vor den großen Arenen entstanden, irgendwo platziere ich meine Karre, das kostet fünf Euro! FÜNF! Eindeutig der teuerste Parkplatz der Saison. Was nehmen die allein an Parkgebühren ein hier??
Gestern, denke ich, während ich zahle, waren bei "ebay" noch auf drei Seiten Tickets für die VfL-Kurve erhältlich. Auf drei Seiten! Wir Bochumer brauchen eben - ich wiederhole mich - Nervenkitzel. Brauchen es!! Es ist schon beeindruckend, dass sich trotz des deutlichen Abstiegs so viele Gladbacher auf dem Weg zum Nordpark befinden. Sie lachen sogar, scherzen; Galgenhumor, wir Bochumer verstehen das. Dieser Verein hat ein Riesenpotenzial, aber ein großes Problem: das Anspruchsdenken. Bei der Borussia hat niemand begriffen, dass die glorreichen 70er Jahre vorbei sind. Zu Ende! Danach hat die Borussia nur noch einen Titel geholt, 1994 den DFB-Pokal. Trotzdem verplant jeder in diesem Verein nach einem Sieg schon die Champions-League-Millionen. Scheint eine Rhein-Krankheit zu sein, beim 1. FC Köln ist das genauso. Jetzt zeigt das Straßenschild auf dem Weg des Borussia-Zuges zum zweiten Mal in der Vereinsgeschichte "2. Bundesliga". Vielleicht kommt der Verein jetzt zur Ruhe.
Die letzten drei Spiele des VfL in Gladbach endeten 2:2. Da steht der Tipp wohl fest. Wäre nicht schlecht, vier Tore zum Abschluss, eins von Gekas, zum Abschied. Könnt' ich mit leben. Großes Programm gibt es rund ums Stadion nicht, warum auch. Spaziere schon um kurz nach zwei rein ins Stadion, auch die Ordner sind sehr unmotiviert, kontrollieren nur lasch. Einer schleckt gerade ein Eis. Trinke eine Cola, stecke den bedruckten Becher (Sammler!) in eine meiner Fußballhosen-Taschen. Die VfL-Kurve ist noch leer, obwohl fast 5000 VfLer ihr Kommen angekündigt haben. Auf dem Rasen läuft ein Vorspiel, eine Borussia-Mannschaft schlägt eine aus Venlo mit mindestens 25:0. Freundschaftsspiel-Stimmung. Immer noch. Der Stadionsprecher der Borussia brüllt unfassbar in sein Mikro, will ein letztes Mal die Zuschauer auf seine Seite ziehen. Indes: Es mag nicht gelingen. Einige Borussen werden verabschiedet, darunter zwei beliebte Spieler: Kasey Keller und Peer Kluge, die sich sogar noch Sprechchöre anhören dürfen. Wir empfangen unsere Mannschaft eher gemäßigt, was nichts mit der Saisonleistung zu tun hat, sondern eher damit, dass wir alle schon pappsatt sind, pappsatt von einer Sensations-Rückrunde.
Die Zeit vergeht langsam. Sehr langsam. Heute ist keiner da, den ich kenne. Nix zum Quatschen. Nix passiert. Unsere Aufstellung: Bönig für Butscher, schon etwas auffällig. Bönig hat während der Woche seinen Vertrag verlängert, Butscher nicht. Dariusz Wosz sitzt auf der Bank, überraschend, naaaaaaaaaaa, vielleicht darf er doch noch ein paar Sekunden ran. Hoffentlich! Endlich Anpfiff, noch 90 Minuten Fußballsaison 2006/2007, wenn die anderen mitspielen, können wir uns vielleicht noch auf einen einstelligen Platz retten. Wie erwartet, wird das Fußballspiel ganz, ganz schwach. Lustlos stolpern beide Mannschaften über den Rasen, klar, denn von den elf Gladbachern, die von Beginn an auf dem Platz stehen, sind zwei Amateure, einer ein A-Jugendlicher. Von den acht übrigen gehen sechs. Zum Beispiel Jansen, der Nationalspieler, der nach 100 Sekunden knapp vorbei schießt. Bei uns ist Gekas anzumerken, dass er dringend nochmal knipsen will, er macht fast alles alleine und genauso alleine falsch. In Minute 27 ist Gekas nicht beteiligt. Grote flankt von rechts mit dem linken Fuß, Dabrowski steht völlig frei zehn Meter vor der Kiste und versenkt souverän per Dropkick. Dabrowski hebt kurz den linken Arm, wir Fans applaudieren höflichst. 1:0 beim Absteiger. Ist ja nichts Besonderes mehr, nachdem wir zuletzt dreimal in Folge auswärts gewannen. Die Anzeigetafel verrät, dass auf den anderen Plätzen auch alles nach Plan läuft. Stuttgart lag gegen Cottbus kurz hinten, hat aber nun das 1:1 erzielt. Schalke packts nicht!
Halbzeit eines miesen Spiels. Irgendein dämliches Pausenspiel. Bitte, pfeif schnell wieder an. Dr. Merk, heute der Schiri, pustet um 16.31 Uhr in seine Pfeife. Noch 45 Minuten, 44, 43, 42, 41, 40. Macht: 50. Minute, Kluge und Jansen sind sich nicht einig in unserem Strafraum, Glück gehabt. Danach haben wir den Laden völlig im Griff, Gekas versiebt insgesamt vier sehr gute Chancen, dazu noch Epalle eine. Nach 60 Minuten ist alles so eindeutig trotz des knappen Spielstands, dass wir VfLer endlich aufwachen und ganz laut "DARIUSZ! DARIUSZ! DARIUSZ" breüllen. Das Stuttgarter 2:1 gegen Cottbus passt furchtbar gut, als Koller den Darek endlich zu sich holt. Jetzt wird es ein RICHTIGES Fußballspiel, jetzt fragen wir uns gegenseitig, wie es überhaupt steht, wir haben es in aller Langeweile schon längst vergessen und abgehakt. "Jetzt gehts lo-hoooos, jetzt gehts lo-hooooos".  Maltritz haut den Ball in der 70. Minute sogar extra ins Seitenaus, damit Wosz eingewechselt werden kann. Ganz groß, der Maltritz. Zwetschge Misimovic geht raus, nie mehr wird er das VfL-Trikot anziehen. Nie mehr. "DARIUSZ! DARIUSZ! DARIUSZ!" Wosz bekommt nach einer Minute den Ball, hält drauf, abgeblockt. Wie geil wäre das denn gewesen... Selbst die Gladbacher Fans applaudieren, Wosz winkt freundlich auch in die Gladbacher Kurve. "1:0" verrät die Anzeigetafel noch immer, schon jetzt ist absehbar, dass wir sogar Achter werden. Achter! Zehn Minuten noch. Drsek, inzwischen im defensiven Mittelfeld für Dabrowski dabei, lässt einen Gladbacher aussteigen. Pass auf Wosz, Wosz auf Drsek, machst mit 'nem Doppelpass jeeeeeeeeden Gegner nass, Drsek wieder auf Wosz, die Gladbacher stehen Spalier, stehen nur rum,
DER DAREK IST FREI
DER DAREK IST FREI AM SECHZEHNER
SCHIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIEEEEEEEEESSSSSSSSSSSSSSSS
*er schießt, Mund offen, staunen*
TOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOORRRRR!
DARIUSZ! DARIUSZ! DARIUSZ! DARIUSZ!

Bis auf Drobny sprintet die ganze Mannschaft in Richtung Fankurve, auch die ausgewechselten Dabrowski und Grote kommen. Sie lassen Darek schon jetzt hochleben. Schon jetzt. Und wieder Applaus von den Gladbachern. Für alle 50.000 im Nordpark ist es das Dessert der Saison. Die Pointe. Die Gladbacher lassen sich sogar von einem fast 38-Jährigen, der kaum noch laufen kann, ein Ding reinhauen - und wir denken: Sogar der Darek trifft noch. Der Rest ist Jubel, 2:0 gewinnen wir, souverän, in einem beschissenen Spiel. Achter.
"Bitte bleiben Sie noch. Es findet eine Ehrung statt", sagt der Stadionsprecher betont sachlich direkt nach dem Abpfiff. Und tatsächlich hält es noch so einige Gladbacher im Stadion. Wenige weinen, bestimmt. Wieder einmal desaströs gespielt, wieder einmal verloren. Wir dagegen erhalten unsere persönliche Krönung, wir erhalten unseren Pokal, der so viel wert ist wie die Meisterschale, wie der DFB-Pokal. Kicker-Chef Holzschuh ist höchstpersönlich da, um die Torjägerkanone zu überreichen. Es hat etwas von Schalen-Übergabe (die parallel in Stuttgart stattfindet), nur ohne Konfetti (ist meiner Meinung nach sowieso überflüssig). Die VfL-Mannschaft versammelt sich komplett um Gekas, verspritzt viel, viel Sekt. Gekas kriegt das Ding, reckt es in die Höhe und jeder darf die Kanone mindestens einmal berühren. Mit der Trophäe in der Hand sprinten die Jungs Richtung Fankurve. Doch schon nach wenigen Sekunden steht wieder ein anderer im Mittelpunkt: Dariusz Wosz. Die Spieler tragen unseren langjährigen Kapitän, der als erster beim VfL Bochum ein Abschiedsspiel erhält, auf ihren Schultern. Der Wosz kann sein Glück kaum fassen. "So gehn die Bochumer", "Humba" - mit alles bitte.
Ein letztes Mal große Emotionen. Gefühle, die ich um 16.29 Uhr niemals vermutet hätte. Jetzt - 70 Minuten später - frage ich mich wie schon bei den drei Auswärtsspielen vor Gladbach: Ist das wirklich passiert? Auf dem Weg zum Parkplatz treffe ich einen Teil der "Schräges-Eck-Borussen", sie schauen auf den Boden und meinen nur: "Ist das mit dem Wosz nicht nett von uns gewesen?", fragt einer. Ist es. Nach zehn Minuten Fußmarsch falle ich um punkt 18 Uhr in den Smart. So langsam begreife ich es. Die Saison 2006/2007 ist zu Ende. Aus. Schluss. Finito de la musica. Finale oho. U2. Where the streets have no name. With or without you. In the name of love. 15 Minuten Stau auf dem Weg zur Autobahn. Heute Abend: Saisonende feiern im Schrägen Eck (ganz ohne Häme, wirklich) und im Ringlokschuppen. Zwischendurch: Sportschau gucken. Immer wieder. Meine VfL-0607-Videokassette mit Ausschnitten aus Frankfurt, Leverkusen und jetzt Gladbach. Eine Kassette, die ich in Gold gießen sollte.

Gute Nacht Freunde...
... was ich noch zu sagen hätte
dauert einen allerletzten Schluck
im Stehn.
(r. mey, modifiziert: a. ernst)

Mit einem Wort will ich diese Saison beenden, will ich dieses sechste Tagebuch dieser Homepage beenden. Sechstes Buch Andi, Kapitel 31, letzter Vers. Ich bedanke mich ganz herzlich für Eure Begleitung durch einige schwarze (Hinrunde) und sehr, sehr viele unvergessliche Tage und Erlebnisse (Rückrunde), für Eure Begleitung durch meine Rekordsaison, in der ich 31 von 34 Spielen sah, für Eure Aufmerksamkeit bei meinen großen Geschichten und Mini-Geschichtchen rund um diesen kleinen Fußballverein. Es heißt, dass am Ende nuuuuuuur das zählt, was auf der Tabelle steht (Achter!!!!) - nein, für mich war diese Saison mehr als eine Tabelle.
Fehlt nur noch eben dieses letzte Wort.
Dariusz.
 
Bombe Wosz
Irgendwelche Idioten zünden in Minute 25 eine Rauchbombe - und 30 Sekunden später versenkt Dabrowski (mitten im Qualm) zum 1:0. Der große Moment: In der 70. Minute kommt Dariusz Wosz unverhofft zu seinem Bundesliga-Abschiedsspiel. Er sortiert sich für Zwetschge Misimovic im rechten Mittelfeld ein...
Torjubel Kanone
... und verwandelt in der 82. Minute eine Vorlage von Drsek zum 2:0. Riesenjubel vor unserer Kurve, Grote und Dabrowski kommen von der Ersatzbank angesprintet. Abpfiff, selbst viele Gladbacher sind noch da. Theofanis Gekas erhält von kicker-Chefredakteur Rainer Holzschuh die Torjägerkanone.
Mannschaft Mannschaft
"Wir wolln die Mannschaft seeeehn..." - ein allerletztes Mal in dieser Saison unsere Lieblingssongs von... "Humba" über "La Ola" bis "So gehn die Bochumer". Tschüss Saison! Tschüss Dariusz! Tschüss Zwetschge! Tschüss Fanis! Dieses erste Halbjahr 2007 werde ich - seid vorsichtig - ab sofort glorifizieren.

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Diese Seite wurde zuletzt geändert am 29.5.2007
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