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Eintracht Frankfurt - VfL Bochum 0:3 (21.4.2007)
Daumen hoch für eine tolle Leistung. Daumen hoch für sensationelle Stimmung. Daumen hoch für "Epallé, Epallé, Epallééééééééé (stellts Euch gesungen vor). Daumen hoch für den herrlichen Tag.
Der richtige Zeitpunkt
Auf Wiedersehn! Auf Wiedersehn! 65. Minute - nach dem 0:3
55. Minute, es steht 1:0.
Frankfurt rennt an, vergibt zwei richtig dicke Chancen. Ojeojeoje. Ein
Konter über Butscher. Querpass. Epalle schießt flach ins rechte
Eck. Der richtige Zeitpunkt.
Die Abstiegskandidaten punkten
heute komplett, unter anderem gewinnt Bielefeld in Wolfsburg. Bei einer
Niederlage wären wir punktgleich mit einem Abstiegsplatz. Das 3:0.
Zum richtigen Zeitpunkt.
Im Endspurt der Saison brauchen
wir VfL-Fans noch den letzten Kick. Die Wahnsinnsparty in den Katakomben
der Arena 'ne halbe Stunde nach dem Abpfiff. Richtigrichtigrichtig.
Bin sehr oft mit dem Smart
zu den Auswärtsspielen gefahren. Jetzt reichts. Heute sind die Schienen
meine Heimat. Und ich lerne sie wieder schätzen. Der Zeitpunkt? Richtig.
Am Frankfurter Flughafen
steige ich um. Bekomme Fernweh. Sehe auf die Abflugbildschirm. Stelle fest,
dass es auch noch Urlaub gibt im Leben. Zum richtigen... Ihr wisst schon.
Meinem Ziel komme ich immer
näher. Zum ersten Mal in meiner VfL-Karriere will ich eine komplette
Runde sehen. Heute ist Spiel Nummer 13 in der Rückrunde, in Frankfurt.
Das 1:3 gegen Berlin vor einer Woche hat meine Stimmung doch arg gedrückt,
aber in jeder Beziehung eines Fans zu seinem Fußballverein gibt es
solche Tiefpunkte. Und heute ist bei TRAUMWETTER wieder ein AUSWÄRTSSPIEL
angesagt. Und gerade Fans mit Tiefpunkten lieben Auswärtsspiele doppelt.
Auf stundenlangen Fahrten über die Saison nachdenken, über die
letzten Jahre, mit anderen Fans lachen, weinen, quatschen, schweigen. Andere
Städte kennenlernen, andere Stadien. Auch wenns meistens Niederlagen
gibt (wie bei uns), sind Auswärtsfahrten höchst selten Totalflops.
Frankfurt ist schon immer eine nette Fahrt gewesen. Okay, alle drei VfL-Spiele,
die ich dort sah, haben wir verloren (natürlich). Heute werde ich
mich nicht in Downtown aufhalten, sondern gleich nach Spielende zurückfahren,
da ich heute Abend zu 'ner Party an der Essener Savignystraße (ruhrpöttisch
Saffikniiii) bei einem Arbeitskollegen muss. Macht nix, denn Frankfurt
ist nicht weit weg, durch die höchst defizitäre Strecke entlang
der Autobahn gehts ab Köln verflucht schnell.
Kann sogar ausschlafen.
Der gestrige Abend endete spät im Schrägen Eck, aber wen störts,
wenn der Wecker erst um 10 Uhr klingelt!? Frühstück ist schon
vorbereitet, Klamotten sind bereitgelegt. Ziehe heute erstmals bei einem
VfL-Spiel das einst bei ebay für wenig Geld ersteigerte "Lust"-Trikot
mit der Nummer sechs (ja, auch Matthias Lust spielte mal beim VfL) an,
darüber die "Ärzte-statt-Böller"-Jacke. Bin dann doch spät
dran, fahre mit dem Smart zum Bahnhof, finde einen Parkplatz - glücklicherweise
- und springe um 10.56 Uhr in die schon am Bahnsteig stehende S-Bahn Richtung
Duisburg. Die BOZ-Fanexpress-Leute sind schon seit anderthalb Stunden auf
der Strecke, es gab keine spätere Verbindung. Auch die Wochenendticket-Fans
dürften schon um Köln herum rumschweben. Umsteigen in Duisburg,
rein in den ICE Richtung München. Der Schock, als die Schaffnerin
kommt: Habe vergessen, meine alte mit der neuen Bahncard zu tauschen. "Tja,
dann müssen sie 35,50 Euro nachzahlen." Ja scheiße. Sie hinterlässt
die Notiz "Andreas Ernst hatte seine neue BC nicht dabei". Damit solle
ich am Montag in den DB-Shop gehen. Super. Der Tag fängt ja spitze
an. In Düsseldorf ertönt die Durchsage: "Aufgrund von polizeilichen
Ermittlungen auf der Strecke wird sich die Weiterfahrt um wenige Minuten
verzögern." Nach knapp 15 geht es weiter, von richtigen Zeitpunkten
darf hier gar keine Rede sein.
Es ist etwas völlig
Neues, Musik nicht aus der Anlage im Smart zu hören, sondern mit Kopfhörern
aus dem Discman. Die CD, die drinliegt, ist unbeschriftet, ich wage einen
Blindflug. Hintereinander laufen "Breakfast" von K's Choice, "Take a look
around" von Limp Bizkit (die "Mission-Impossible-II"-Musik) und "Okay"
von Farin Urlaub. "Absolut nichts ist in Ordnung. Absolut nichts ist Okay.
Verkneif dir jegliches Mitleid. Und spar dir jedes Klischee. Ja, es geht
mir beschissen. Ja, es ist wegen dir." VfL-Gefühle. Hoffentlich nicht
heute. Draußen scheint die Sonne, oh ja, der Klimawandel. Um die
Verspätung aufzuholen, brettert der ICE laut Anzeige mit 292 km/h
an der A3 entlang. Sieben Minuten zu spät, um kurz vor 13 Uhr landet
der ICE am Frankfurter Flughafen. Das letzte Mal, als ich hier ausstieg,
flog ich nach Bangkok, war voll bepackt. Eine Reise ins Ungewisse. Eine
Reise in eine weit, weit entfernte Welt.
Ich werfe einen Blick auf
den Abflug-Monitor, bekomme unglaubliches Fernweh, höre noch einmal
"Take a look around", unmögliche Mission, blinzle in die Sonne, folge
den Schildern zum "Terminal 1" (die auch zum Regionalbahnhof führen).
Hundert Meter, zweihundert, dreihundert. Im Keller fahren die S-Bahnen
ein, um 13.05 Uhr stehen schon ein paar Eintracht-Fans am Bahnhof. Mit
dem Spiel beschäftigt habe ich mich heute noch gar nicht. Eintracht
hat sich unter der Woche standesgemäß mit 0:4 aus dem DFB-Pokal-Halbfinale
scheppern lassen, ist fleißig rund gegangen hier. Eine Minute gewartet,
schon kommt die S irgendwas Richtung "Offenbach-Ost". "Frankfurt-Stadion"
ist gleich die nächste Haltestelle, vier Minuten weiter, das ging
ja wahnsinnig schnell. Noch 2:15 Stunden bis zum Anpfiff und ich bin schon
so gut wie da. Unglaublich.
In der Frankfurter City
verbrachte ich einst (1997, vor zehn Jahren) die Abschlussfahrt meines
Biologie-Grundkurses. Im Abi-Buch formulierten mein Kumpel Eike und ich
das wie folgt: "Und wenn wir uns nachmittags im Senckenberg-Museum längst
nicht alle über den Weg liefen, abends im Sachsenhausener Kneipenviertel
waren wir wieder komplett." Am 15.
Mai 2004 gingen Bruder Thommy und ich durch die Stadt, fuhren mit dem
Wochenend-Ticket via Siegen und Köln-Deutz zurück. Jetzt gehe
ich die Straße vom S-Bahnhof zum Stadion am Rand des Frankfurter
Stadtwalds entlang und schenke mir das bisschen Tourismus. In Sichtweite
des Stadions gehts rechts in die Otto-Fleck-Schneise, dort hat der DFB
seinen Hauptsitz. Ich pinkel nicht gegen den Zaun. Die Eingangstore der
Arena (deren Name mir in diesem Haupttext nicht über die Lippen kommen
mag) sind noch nicht einmal offen, als ich ankomme. Ich bin einer der ersten
in der Arena, suche die Gästekurve. "Block 20", gefunden. Ich mache
es mir ab 13.45 Uhr auf einer Treppe gemütlich, schaue in den blauen
Himmel und in die pralle Sonne und verfolge den Weg der Flugzeuge, die
alle paar Minuten zu großen Reisen aufbrechen. Es wird von Minute
zu Minute voller, ab 14 Uhr stellt sich unser Fanbeauftragter Moppel zu
ein paar Fans, die neben mir auf der Treppe sitzen. Ein wenig Smalltalk.
Hunger. Durst. Wie auf Schalke und in München gibt es auch in Frankfurt
WM-Stadion-like nur ein Kartensystem. Barzahlung unmöglich. Kaufe
mir für einen Zehner die "Pay & Clever-Card", eine Cola kostet
3,70 Euro! Das sind 7,20 MARK!!! Unglaubliche Preise. Dazu noch eine Wurst
- und wieder ab auf die Treppe. Genau eine Stunde vor dem Anpfiff bewege
ich meinen Arsch - Ritual - Richtung Fankurve, und ich bin doch schwer
beeindruckt. Was haben die bloß aus dem alten Waldstadion gemacht...
ich weiß noch, als ich Ende der 90er in dem alten, weitläufigen
Kasten mein Fernglas vermisste, weil zwischen meinem Stehplatz und dem
Rasen eine Laufbahn und deshalb geschätzte 35 Meter Luftlinie lagen!
Und jetzt? Das Ding ist komplett überdacht, hat einen Videowürfel
- klingt also sehr nach Schalke. Dass es mir trotzdem einen Tick besser
gefällt, hat mit der Lage (nah am S-Bahnhof, nicht wie in Gelsenkirchen
20 Minuten mit einer Straßenbahn), der Umgebung (Wald statt Industrie)
und der Behandlung der Gästefans (kein separater Käfig-Eingang,
ein Gang rund ums halbe Stadion ist selbst mit Gäste-Fanschal möglich
- wobei, bei einem Derby gegen Offenbach oder Mainz gelten bestimmt andere
Regeln) zu tun.
Aus Bochum haben sich knapp
2.000 Leute angesagt, wir Blau-Weißen werden so allmählich wirklich
eine reiselustiges Völkchen. Eine Viertelstunde vor dem Anpfiff treffe
ich VfL-Fan Tobias aus Mülheim - erstmals in dieser Saison, also erstmals
nach knapp einem Jahr. Unterhaltungen über die Saison, Auswärtsfahrten.
Butscher spielt bei uns für den gesperrten Bönig, keine Überraschung.
Sonst ist alles unverändert. Jetzt gilts. Beim Einlaufen spielt die
Stadionregie "Hilfe, die Hesse komme". "Hilfe" ist genau das richtige Wort.
20 Minuten lang passiert nichts. Eintracht hat mehr Ballbesitz, bekommt
aber nur ein paar harmlose Fernschüsse hin. "Wir machen ein ordentliches
Auswärtsspiel", analysiere ich gemeinsam mit meinen Steh-Nachbarn.
Ab der 21. Minute werden die Eintracht-Fans sehr, sehr ungeduldig und pfeifen
- vor allem gegen Rechtsverteidiger Rehmer. Hihi. So weitermachen!! Dann
muss in der 25. auch noch der beste Frankfurter Stürmer Amanatidis
verletzt raus. Es läuft. Jetzt das 1:0... das wäre sooooo richtig
und wichtig!!! Gesagt, getan, gekas'st! Langer Abstoß von Drobny,
Epalle gewinnt das Kopfballduell gegen Rehmer (der ist einen Kopf größer!!!),
Frankfurts Vasoski erhält die Kugel, spielt zu Nikolov zurüüück.
VIEL ZU KURZ!!! GEKAS, GEKAS, GEKAS, WIE BEIM DREINULL IN LEVERKUSEN, TOOOOOOOORRRRR!!!
Der ist so GEIL der Mann, UNGLAUBLICH, der nutzt ALLES aus, so geil, so
geil, so wichtig, so unfassbar!!! "Tooor in Frankfurt", schreit der Arena-Kommentator,
"Tooor in Frankfurt" schallts im Radio. Jawoll, wir Bochumer FÜHREN!
"Jetzt", sage ich in einer Vorahnung, "können wir uns nur noch selber
schlagen." Eintracht ist komplett von der Rolle. Wir haben die Frankfurter
komplett im Sack. Grote vergibt noch ein Riesending eine Minute vor der
Pause. 1:0, dabei bleibts. Erst abwarten, dann eiskalt zuschlagen, dann
verteidigen: Taktik sensationell umgesetzt.
Frankfurt wechselt aus,
kommt stürmisch aus der Kabine. Koller hat unseren Jungs das Wort
"Zeitspiel" mit auf den Weg gegeben - mindestens für 15 Minuten. Bloß
das einsnull halten. Oh, es wird eng. Oooh, es wird hart. Ooooh, Frankfurt
drückt. Abstiegskampf, nervös, Schweiß, zittern, Sonne
knallt, halten, Jungs, halten. "VFL! VFL! VFL! VFL!"-Rufe. Ist was drin
hier. Frankfurts Kyrgiakos nach einer Ecke - Drobny. In der 49. Rehmer
flankt, Takahara köpft vom Fünfmeterraum, Drobny hält SUUUUPER!
In der 55. "Super-Torwart! Super-Torwart! Super-Torwart!", brüllt
Tobias aus Mülheim, der ein paar Meter weiter steht, nahezu pausenlos.
Laute "Drobny"-Rufe. Es ist noch nicht vorbei. Weißenberger dringt
rechts in den Strafraum ein, passt in den Fünfer - aber alle verpassen.
In der 56. Drei Riesenchancen in sieben Minuten. Ausgleich liegt in der
Luft. Leider. Entlastung über die linke Seite. Grote luchst Rehmer
den Ball ab, passt auf Butscher. Unser Aushilfs-Linksverteidiger macht
ein sehr gutes Spiel und lenkt den Ball weiter zu Epalle. Ein paar Schritte,
ein trockener Schuss rechts ins Eck, der ist DRIIIIINNN, DRIIIIIN, Epalle
jubelt mit einem Salto rückwärts, kommt in die Kurve gerannt,
feiert mit uns Fans, HÜPFEN, HÜPFEN, "Auswärtssieg! Auswärtssieg!"
Es darf nicht wahr sein. Diese Mannschaft ist so brutal abgezockt. Sie
nutzt jede Schwäche aus. GENIAL! Pfiffe der Eintracht-Fans, jetzt
haben wirs im Sack. Funkel wechselt Rehmer aus, wurde auch Zeit. In der
68. Minute der nächste Konter. Gekas hat den Ball, Epalle kreuzt,
Gekas passt, ein kurzes Dribbling, schon steht Epalle frei vor Nikolov
und schiiiiebt die Kugel gaaaanz lässig rein, TOOOOOOOOOOOORRRRR,
3:0. Ey 3:0!!! Hintereinander auswärts 4:1 und 3:0!!! Das ist für
einen VfL Bochum eigentlich unmöglich. Take a look around. Yeah. Die
meisten der 45.000 Frankfurter verlassen fluchtartig das schöne Stadion
- 20 Minuten (!) vor (!!) dem Abpfiff. "Auf Wiederseeeehn! Auf Wiederseeeehn!"
geben wir laut zu Gehör und veranstalten nach Bielefeld und Leverkusen
die beste Auswärtsparty der Saison. Unsere Jungs spielen den Sieg
mehr als locker nach Hause. Misimovic und Gekas vergeben weitere Chancen.
Gefeierter Mann ist Joel Epalle, der mit einem melodiösen "Epallé,
Epallé, Epallééééééé,
Epalléé, Epalléé, Epalléééééé"
gefeiert wird. Wechselgesänge ("Wen lieben wir? VFL!") und Fußballaden
("Sooo ein Taaag, so wunderschööön...", "V-F-L, mein Heerz
schlägt nuuur für Diiich!") wechseln sich ab, um 17.17 Uhr ists
vollbracht. 3:0 gewonnen. Der höchste Auswärtssieg meines VfL-Lebens
- gemeinsam mit dem Sieg in Leverkusen vor zwei Wochen. Es ist nicht zu
glauben. Was in dieser Saison passiert, begreife ich wohl erst in ein paar
Jahren. Diese Videokassette lösche ich nie und niemals. Erst die Leverkusen-Aufzeichnung,
direkt dahinter Frankfurt. Die Spieler kommen in die Kurve, setzen sich
von allein brav hin. Diesmal gibt es keine Humba (das soll schön bei
den Mainzern bleiben), sondern "Epallééééé,
Epallééééé" - die Jungs begreifen schnell
und tanzen um unseren zweifachen Torschützen.
Endet so der Ausflug nach
Frankfurt? Vor der Kurve, also in den Katakomben, geht es weiter. Enttäuschte
Eintracht-Fans laufen vorbei und blicken neidisch auf unsere Riesenfeier.
Hundert VfLer stehen auf engstem Raum beisammen, saufen ihre Pay &
Clever-Card leer und brüllen laut. Hier hallts so schön. Gemeinsam
singen wir "Mein VfL", proben die ECHTE "Humba". Wieder so ein unvergessliches,
post-jubitales
Ereignis. Um kurz nach halbsechs breche ich auf Richtung S-Bahnhof, sortiere
meine Gedanken. Es fällt schwer. Kleinere Hiobsbotschaften per Handy
verarbeite ich schnell. Bielefeld hat in Wolfsburg gewonnen. Das heißt:
Obwohl wir vier der letzten sechs Spiele gewonnen haben, beträgt unser
Vorsprung magere DREI Punkte. Darfs denn wahr sein? Außerdem hat
Völler wohl bekannt gegeben, dass Gekas einen Vier-Jahres-Vertrag
in Leverkusen unterschrieben hat. Geht er eben weg. Mit seinem Bleiben
hat sowieso niemand mehr gerechnet. Mit VfL-Trikot und -Schal komme ich
problemlos durch die Menge aller Eintracht-Fans, steige in die prall gefüllte
S7 ein - und vier Minuten am Flughafen wieder aus.
Knapp 45 Minuten nach dem
Abpfiff ist das hier wieder eine ganz andere Welt. Ganz anders. Betont
nüchtern gehalten, Reisende kommen mit Gepäck vorbei, Anzugtragende
mit Aktentasche, ich bin der einzige erkennbare Fußballfan, die anderen
benutzen eben doch das Wochenend-Ticket oder bleiben den ganzen Abend in
Sachsenhausen. Die Flüge gehen nach Kalifornien, Asien oder in die
Karibik, ich überlege kurz, ob ich ganz spontan einen Last-Minute-Trip
buchen soll, und lass es doch sein. Dieses Euphoriedoping ist einfach viel
zu schön. Bitte verschwinde nicht.
Um 18.09 Uhr fährt
der ICE Richtung Köln ab, er braucht genau 55 Minuten. Auf dem Weg
zum Gleis fragt mich jemand nach dem Ergebnis. "Dreinull gewonnen", sage
ich stolz und präsentiere kitschigerweise mein VfL-Trikot, indem ich
meine Brust nach vorn drücke. "Glückwunsch! Aber nächste
Woche verliert ihr gegen uns Schalker!" Nanana, ich glaube, die Schalker
haben mehr Angst vor uns als umgekehrt! Freue mich wie irre auf das Derby.
Bin wieder hier. In meinem Bahn-, in meinem ICE-Revier. Mario Adorf ist
auf dem aktuellen Titel der DB-Zeitung, des "mobil-magazins". Ach wie habe
ich meine Hauspostille vermisst. Der Schaffner auf der Rückfahrt ist
um Längen freundlicher. Ich trage ihm mein Bahncard-Problem vor, will
freiwillig nachzahlen. Er antwortet trocken: "Wenn ich nichts mache, ists
auch in Ordnung, oder?" In Köln kurz umsteigen in den Regionalexpress,
wieder dreimal das Ergebnis nennen und die Brust rausdrücken. Schon
um viertelvorneun treffe ich in Mülheim ein, ein kurzer Tagesausflug.
Ein schöner. Wunderschööner.
Schaue mir dreimal den Sportschau-Bericht
an, ziehe mich schnell um, in Fußballsachen bin ich nur einmal zu
einer Party gegangen, nämlich am Abend des UEFA-Cup-Einzugs. So weit
sind wir noch ganz lang nicht. Fahre los um kurz vor zehn, schüttele
noch mehrfach den Kopf. Die Party strebt gerade auf den Höhepunkt
zu. Bin pünktlich da.
Zum richtigen Zeitpunkt.
Info: Commerzbank-Arena
Info: Die Commerzbank-Arena
(bis 1. Juli 2005 Waldstadion) liegt südlich des Mains im Frankfurter
Stadtwald zwischen Flughafen, Frankfurt-Niederrad und Neu-Isenburg. Seit
Sommer 2002 wurde es für die WM 2006 zu einem reinen Fußballstadion
mit einem Fassungsvermögen von 52.300 Zuschauern umgebaut (das Spiel
gegen den VfL verfolgten knapp 48.000). Der Umbau dauerte 40 Monate und
kostete 126 Millionen Euro. Hauptnutzer sind Eintracht Frankfurt und das
American-Football-Team von Frankfurt Galaxy in der NFL Europa. Die Sportanlage
umfasst weitere Sportstätten, darunter ein Schwimmbad, das (ehemalige)
Radstadion,
eine Tennisanlage und eine Wintersporthalle.
Daten: 52.300 Plätze
- davon 43.000 Sitz- und 9.300 Stehplätze. Unter den 2.000 Sitz- sind
2.000 Business-, 1.000 Logen- und 108 Rollstuhlplätze.
Historie: Das ursprüngliche
Waldstadion wurde am 21. Mai 1925 eröffnet. Erstes Großereignis
war das Endspiel um die Deutsche Meisterschaft am 7. Juni 1925 vor 25.000
Zuschauern zwischen dem 1. FC Nürnberg und dem FSV Frankfurt (1:0).
Die anvisierte Bewerbung für die Austragung der Olympischen Spiele
1936 musste zugunsten der Hauptstadt Berlin zurückgezogen werden.
1937 wurde die Kapazität durch Ausbau der Gegengeraden auf 55.000
erhöht. Unter den Nazis wurde das Waldstadion auch für politische
Veranstaltungen - Aufmärsche und Versammlungen - mit bis zu 150.000
Teilnehmern genutzt. Einer der letzten sportlichen Höhepunkte vor
dem 2. Weltkrieg war der Weltrekord durch Rudolf Harbig über 400 Meter
am 12. August 1939. Nach dem Krieg wurde das Stadion zunächst durch
US-Soldaten beschlagnahmt, jedoch im Juli 1946 wieder für deutsche
Veranstaltungen freigegeben. Sportliche Höhepunkte waren die Deutschen
Leichtathletik-Meisterschaften, Lokalderbys der Eintracht, des FSV und
der Offenbacher Kickers sowie das Comeback von Max Schmeling am 28. September
1947.
Erster Umbau: Im
Mai 1953 beschloss die Stadt eine erste umfassende Modernisierung, nachdem
es im Spiel der Eintracht gegen Kaiserslautern zu Ausschreitungen gekommen
war (es wurden 70.000 Karten für das 55.000 Zuschauer fassende Stadion
verkauft). Nach 19-monatiger Bauzeit wurde das Waldstadion am 14. Mai 1955
neu eröffnet - mit der damals modernsten Flutlichtanlage Deutschlands
Im Spiel gegen Pirmasens am 23. Mai 1959 wurde ein bis heute gültiger
Zuschauerrekord aufgestellt: 81.000! Später wurde die Eintracht in
Berlin zum bisher einzigen Mal Deutscher Meister. Weitere Höhepunkte:
Europapokal-Begegnungen der Eintracht wie das Spiel gegen die Glasgow Rangers
(6:1 vor 77.000 Fans) und der Boxkampf zwischen Muhammed Ali und Karl Mildenberger
am 10. September 1966.
Zweiter Umbau: Von
Mai 1972 bis Januar 1974 wurde das Stadion für die WM 1974 modernisiert.
Am 13. Juni 1974 fand in Frankfurt die Eröffnungsfeier statt. Legendär
ist die Wasserschlacht von Frankfurt am 3. Juli 1974, als Deutschland mit
1:0 gegen Polen gewann und ins Finale einzog. Die fehlende Drainage und
eine Rasenheizung wurden 1978 eingebaut. Im Waldstadion gewann die Eintracht
1980 den UEFA-Pokal. Höhepunkte außerhalb des Fußballs:
das Deutsche Turnfest 1983, der Evangelische Kirchentag 1987 sowie Open-Air-Konzerte
von Supertramp (1983), Bruce Springsteen (1985 und 1988), Madonna (1987),
Prince (1988), Rolling Stones (1990), Tina Turner (1990) sowie in den 90-ern
Westernhagen, Dire Straits, U2 und Michael Jackson.
Dritter Umbau: Etappenweise
wurden für die WM 2006 ab Oktober 2002 Tribüne um Tribüne
neu errichtet. Offiziell heißt es Umbau, tatsächlich handelt
es sich um einen Neubau an gleicher Stelle. Architektonisches Highlight
ist das verschließbare Dach (wie in Düsseldorf und Schalke),
das im zentral über dem Feld aufgehängten Videowürfel zusammengefaltet
werden kann. Dieser Vorgang dauert etwa zwanzig Minuten.
Andi sagt: Wie unten
in einer Bildunterschrift erwähnt, würde auch ich von einem Neubau
sprechen: Dieses Stadion ist nicht im geringsten wiederzuerkennen. Note:
gut (plus).
Erst ... dann !
Es ist wahr! Es ist wirklich wahr!
Dieses Derby werde ich nie, nie, niemals vergessen. Ausverkauftes Haus, die Seele brilliert, Schalke die Meisterschaft versaut, Gekas wird Torschützenkönig, ein Abend voller sensationeller Momente
Jubel NICHT nach dem Spiel, sondern - ACHTUNG - mitten in der Halbzeitpause
Eine glatte "10" für alle
oder:
Das Top-5-Spiel
Der Morgen danach: "Bochum schockt Schalke", "Gekas verhöhnt Schalke", "Bochum zu stark für Schalke"
Der Pflicht-Einstieg zu diesem Text - die zwei VfL-Tore: http://www.youtube.com/watch?v=OE1n_tDLyuA
Boah wie lange dauert das
denn noch? WARUM HAB ICH KEINE UHR??? WAS? VIER MINUTEN NACHSPIELZEIT!?!?!?!
Spinnst denn du, Schiri? Was soll das? Jahaaa, ihr weißen Schalker,
da guckt ihr blöd, was? PFEIF AB! Scheiße, warum haben die jetzt
nochmal den Ball. DAS IST DOCH VERBOTEN! Kein Ball für Schalker. Meine
Fresse, das sind doch jetzt inzwischen FÜNF Minuten drüber. Lupo
klopft von hinten auf die Schulter: "DAS WARS! DAS WARS! DAS WARS!" Lupo,
du Prophet!
Fünf Sekunden später...
.. trötet der Schiri,
der wun-der-ba-re Schiri in seine Flöte... AUS AUS AUS DAS SPIEL IST
AUS!!! GEWONNEN!!!!! 2:1 gegen Schalke!!! "Sowas hat man lang nicht mehr
geseeeehn." Unglaublich. Schweiß auf der Stirn, Zittern am ganzen
Körper, es ist vollbracht. "Das", sagt einer aus dem Fanklub hinter
mir, "ist der schönste Tag als VfL-Fan". Ich drehe mich zu MSV-Fan
Helmut, der recht neben mir steht: "Top 5. Top 5! TOP 5 in meinen 15 VfL-Jahren!"
Helmut entgegnet: "Das ist das mit Abstand beste Spiel, das ich gesehen
habe, an dem der MSV Duisburg nicht beteiligt war." Wenn er das schon sagt,
dann muss sich tatsächlich etwas Wahnsinniges abgespielt haben.
Die Tage davor
BochumschalkeBochumschalkeBochumschalkeBochumschalkeBochumschalkeBochumschalkeBochumschalkeBochumschalkeBochumschalkeBochumschalke, es ist in deinem hirn, es nimmt dich ein, es schwirrt in deinem kopf rum. noch ein paar tage. noch fünf. noch vier. noch drei. es ist viel, viel stärker als vor dem spiel gegen borussia dortmund. jeder spricht dich darauf an. JEDER! du gehst damit abends ins bett und stehst am nächsten morgen damit auf. freitagmittag. waz-dienst. um 18 uhr ist noch ein tennistermin angesagt. finde aber keinen ansprechpartner. mist. mache ich das eben telefonisch.
Der Abend
Scheißegal. Eben kein
Interview geführt. Zehn nach sechs. Höchste Zeit. Die Autobahn
ist bestimmt voll, das Parkhaus auch, kein Parkplatz, zu spät beim
Spiel, aaaaarrrgggggh, und das NUR wegen der Arbeit. Schnell fahren. Überholspur.
Für die rechte Spur zu schnell. Schnell anklingeln bei Helmut, seine
Frau ist heute Abend nicht zu Hause. Freibahn für FUSSBAAAALLL. Er
arbeitet an einer Berufsschule in Bottrop. Bottrop ist Schalke-Land. "Ab
morgen", hat Helmut getönt, "werdet ihr die Sirtaki verfluchen." Ich
merke: Sein Herz schlägt heute ein klitzekleines bisschen für
den VfL. Durch die richtigrichtig volle Mülheimer City düsen
(warum heute so VOLL?), in Mülheim-Heißen auf die A40, hey,
doch schön leer. Helmuts MSV spielt parallel in Jena. Er will das
Ergebnis nicht wissen. Nach fünf Minuten stand es noch 0:0. A40 ist
leer, bleibt leer, 200 Meter Stau kurz vor "Gelsenkirchen-Süd", thats
it. "Bochum-Ruhrstadion" raus, Helmut wie spät? Hab keine Uhr dabei.
Kurz nach halb sieben. Wahnsinn! So schnell... Parkhaus ist noch leer,
leerer, am leersten. Parken auf dem dritten Deck, direkt neben zwei Typen
aus Sachsen. SCHALKERN aus Sachsen. Bei ebay wurden Stehplatzkarten
zuletzt für 62 Euro gehandelt. Zweiundsechzig! Hab noch meine Arbeits-
und Weggehklamotten für nachher an, muss sie im Smart gegen das Fußballoutfit
tauschen. Zieht Euch mal in einem Smart um, mit 1,86 eine fast unlösbare
Aufgabe. Kriegs hin, hab ja Zeit. Helmut und ich schlendern am Eingang
zum "Starlight Express" vorbei (viele Leute hier), ankomme Freitag den
Siebenundzwanzigsten um 18.45 Uhr, V-F-L.
Reingehen. So früh
wie noch nie in dieser Saison. Treffen Gerd vor den Toiletten am Block
P. Er ist auch schon so früh hier. DÖÖÖÖRBY! Hören
die ersten Sprechchöre. Jetzt schon. Über anderthalb Stunden
vor dem Anpfiff. Eine Bratwurst bitte. Danke. Eine Cola bitte. Danke. Die
Treppe hoch, hinstellen. Die Schalker haben ihre Ankündigung umgesetzt,
weiße T-Shirt an und sich in 50-Mann-Grüppchen in der Ostkurve
zusammengestellt. "SCHALKER RAUS! SCHALKER RAUS!" ertönt es richtig
laut. Die Spieler sind noch nicht einmal im Stadion!! Es geht schon jetzt
rund. Polizei: nicht in Sicht. Erste kleinere Boxereien. "AUF DIE FRESSE!
AUF DIE FRESSE!" Helmut schaut etwas entgeistert: "Ich bin froh, wenn ich
heute lebend nach Hause komme." Wie geht das erst hier ab, wenns eng wird
im Spiel? Eine Gruppe steht direkt neben unseren heißblütigen
Fans im Sitzplatzblock A. Wenn die erst kommen... Polizisten bemerken die
Gefahr und stellen sich zwischen die Fangruppen. "All cops are bastard",
schallts aus der Ultra-Ecke. Die Sonne verstaubt hinter dem Haupttribünendach,
die Flutlichtfunzeln springen an. Drobny kommt zum Warmlaufen, wird stürmisch
begrüßt, so stürmisch wie noch nie. Schalkes Spieler kommen.
"100 Jahre, 100 Jahre, 100 Jaaahre S04, arbeitslose Hurensöhne, 100
Jahre S04". Jetzt wird es richtig niveaulos. Unter der Gürtellinie
bleibt wahrscheinlich alles, was heute passiert. Wetter ist genial, knapp
über 20 Grad um kurz nach acht, Sonne geht grad unter, Fotomotive
en masse. Und gleich das Derby. Kurz vor den Aufstellungen kommen Toto
& Harry, Bochums berühmteste Polizisten und werben für ein
Derby ohne Randale. "All cops are bastards", brüllen die Ultras, natürlich.
Nicht mal Toto & Harry sind hier heilig. Aufstellungen: Wir spielen
wie in Frankfurt, warum auch ändern!? Schalke fast in Top-Besetzung,
nur Krstajic fehlt. Die Bank: prominent besetzt mit Larsen, Kobiashvili
und Halil Altintop. Diesmal läuft Grönemeyers "Bochum" so perfekt
wie noch NIE. Pünktlich kurz vor dem Anpfiff hört es jeder: "Machst
mit nem Doppelpass JEEEEEEDEN Gegner nass! Du und Dein VFL!"
Ich gestehe: Heute haben
die Schalker ein Heimspiel. "Auswärtssieg! Auswärtssieg!" ist
der einzig wahre Sprechchor. Wir geben trotzdem (oder wahrscheinlich gerade
deshalb) alles - ab der ersten Spielsekunde fighten wir um die stimmliche
Übermacht; genauso wie unsere Mannschaft um die Punkte kämpft.
Es ist Derby, es ist geil, es kribbelt, die Körper aller 31.400 Zuschauer
zittern, Schweißtropfen auf der Stirn, heiß, spannend, genial.
Owei, oje, oh scheiße.
Die Schalker beeindrucken als ballsichere, technisch starke Einheit. Epalle
schießt zwar nach 120 Sekunden knapp vorbei - aber das wars aus Bochumer
Sicht. Danach sind die Schalker für 25 Minuten die beste Mannschaft,
die in dieser Saison im Ruhrstadion gespielt hat. Lincoln führt glänzend
Regie, unser Butscher hat mit Asamoah große Probleme, Kuranyi bekommt
jeden Kopfball, in der Abwehr begeistert Bordon mit grandiosem Stellungsspiel.
Wir holen uns in den ersten 25 Minuten schon vier Gelbe Karten ab. Kuranyi
köpft nach neun Minuten das 1:0 für Schalke, Asamoah scheitert
kurz darauf freistehend an Drobny. 0:1 zurück, vermutlich bald mit
10 gegen 11 (unsere sind IMMER einen Schritt zu langsam, das zieht bestimmt
weitere Karten nach sich), es sieht nicht gut aus.
Erstaunliches nach 25 Minuten.
Schalke schaltet zurück,
hat das Spiel in Gedanken schon gewonnen, was weiß ich. Wir kommen
zurück, die Ostkurve "rockt", wie das in den Fanforen heißt.
Und wer uns ins Spiel kommen lässt, ist selbst schuld. Denn wir sind
ja mal richtig eiskalt zurzeit. Gesagt, gegrotet. Grote bekommt links kurz
hinter der Mittellinie in der gegnerischen Hälfte den Ball, flankt
SEN-SA-TIO-NELL an den Elfmeterpunkt, da steht Zwetschge Misimovic und
köpft den Ball souverän ins rechte Eck. Zwetschge! Mit dem Kopf!
Das ist eigentlich eine Mission impossible!!! Der Torjubel ist - ja - fast
sogar ein wenig verhalten. Keiner kann glauben, dass es nach dieser Anfangsphase
in Minute 30 plötzlich 1:1 steht. Als es auf der Anzeigetafel aufleuchtet,
weiß es jeder. Kribbeln steigt. Schweiß. Barcar... äh
... Derby-Feeling. MUTIGER! MUUUTIGER! LAUTER! LAUUUUUUTER!
Freistoß für
Schalke, zwei Minuten später. Pander: Pfosten. Gegenzug. Schröder
schaltet sich über rechts ein, vier Minuten nach dem Ausgleich. Pass
auf den aufgerückten Maltritz. Noch ein paar Meter bis zur Eckfahne.
Da ist kein Schalker. Maltritz ist durch, fast an der Eckfahne, es flllaaaaaaaaankt,
schaarf an den langen Pfosten, da ist GEKAS, GEKAS, GEKAS, eine Grätsche,
die längsten Sekunden der Saison, TOOOOOOOOOOOOOOOOOOOORRRRR!!!! TOOOOOOOOOOOOOORRRRR!!!
Die Mutter aller Torjubel. Der Vater des Torpogo. Sirtaki aus dem Lautsprecher,
der Gekas ist UNGLAUBLICH. Er ist UNFASSBAR. Er haut jedes Ding rein, das
war gar nicht leicht, aus spitzem Winkel. Die weißen Schalker schweigen!
Alle Bochumer winken den kleinen Grüppchen in der Ostkurve zu und
brüllen so laut es geht: "IHR WERDET NIE DEUTSCHER MEISTER! NIIIIIIIIE
DEUTSCHER MEIIIIIIISTER!" Halbzeit, 2:1 für uns. Wahnsinnsszenen:
Fünf Minuten singen wir weiter, als sei der Pausenpfiff nicht erfolgt.
Seit Neururer-UEFA-Cup-Zeiten ging es hier nicht mehr so ausgelassen zur
Sache. Noch 45 Minuten trennen uns vom fast sicheren Klassenerhalt.
Aber das zweieins zu halten:
ausgeschlossen. Alle um mich herum (ALLE!) rechnen mit einem schnellen
Ausgleich. Anpfiff. Gebt alles. Holt alles aus Euch heraus. Fix. Rockt.
Scheiße, fast alles spielt sich auf dem gegenüberliegenden Tor
ab. Özil steht nach 53 Minuten frei, puuuuuuhhhh, vorbei, der MUSS
drin sein. Schalke drückt, baut aber zu sehr auf ungefährliche
Fernschüsse und Schwalben von Lincoln an der Strafraumkante. Entlastung
von uns ist selten, dafür schmeißen sich selbst Misimovic und
Gekas in jeden Ball. JAAAA, das ist Abstiegskampf. Die Lautstärke
ist phänomenal, das Niveau des Spiels zwar überschaubar, aber
es ist so wahnsinnig spannend! Das ist mehr als das kleine Derby. Hier
geht keiner nach Hause, bei arena schaltet niemand ab. Im "Schrägen
Eck" ists pickepackevoll. Schalke, immer wieder Schalke. Kuranyi köpft
irgendwann rund um die 60. an den Pfosten. Danach steht Drobny im Mittelpunkt.
Jede, wirklich JEDE Flanke pickt er aus allen Ecken des Strafraums. "Drobny!"-Rufe
alle paar Minuten. Irgendwann eine Viertelstunde vor Schluss brüllen
alle Weißen (oder "Zahnlosen", das ist der Schalker Name in den Fanforen)
zweimal "Heeeey!" (fußballerisch für "Elfmeter"). Einmal nach
einem vermeintlichen Handspiel von Imhof (keiner in der Ostkurve hatte
einen klaren Blick), einmal nach einem Foul an Lincoln. Selbst wenn Lincoln
gelegt wurde: Er ist's selbst schuld. Vorher hat er einfach zu oft geschwalbt.
Zweimal GLÜCK gehabt... Noch zehn Minuten. Neun. Acht. "So langsam
glaube ich dran", sagt Helmut. "Sowas hat man lang nicht mehr gesehn",
lautet die Botschaft der Kurve. Alle Fans glauben dran. "NIE MEEEEHR ZWEITE
LIGAAAAAAA!" Das wäre der Klassenerhalt. So gut wie. Mit 39 Punkten
ist noch nie eine Mannschaft abgestiegen. Konterchance. Misimovic ist durch
- PFOSTEN! Das wäre fast das dreieins gewesen. "IHR WERDET NIE DEUTSCHER
MEISTER!" In zwei Wochen spielt Schalke in Dortmund. Die verspielen die
deutsche Meisterschaft an der A40. Jede Wette. Epalle wird ausgewechselt
und enthusiastisch verabschiedet. "Epalléé, Epallééé,
Epalléééééééééé!"
Den Rest ist Vorspann. Vier
Minuten Nachspielzeit. Sechs werden es. Dann pfeift Kircher, diese uns
wohl gesonnene Schiri ab. Die Jubelszenen auf dem Rasen sind der Wahnsinn.
Die Spieler bilden einen Kreis, inklusive Trainer (heute im Anzug, Kompliment),
Diver vor unserer Kurve, "La Ola" und "Humba", bestens. Epallé und
Gekas bleiben am längsten, Drobny ist für die Stadionregie (zurecht)
der "Knaller des Tages". Eine herrlich große Schnauze werden Helmut
und ich während der nächsten Tage haben. Helmut applaudiert auch
unseren Spielern. Die sms treffen reihenweise ein, rhetorisch bewegen sich
Dortmunder und Bochumer ausnahmsweise auf einer Wellenlänge. BVB-Fan
Jens schreibt: "Tanze Sirtaki & trinke Ouzo auf euch... Theofanis Gekas
:-) Ein geiler Freitag dank Dir und dem VfL...!" BVB-Fan Björn ergänzt:
"Glückwunsch! Jetzt muss Werder gewinnen!" Irgendwer (kenne die Nummer
nicht) funkt: "ihr seid die besten schalke darf niemals meister werden
danke" VfL-Anhänger Dirk aus München belässt es bei einem
"Geil", mein Bruder Thommy, der äußerst selten sms durch die
Luft funkt, formuliert: "ganz ganz ganz großer sport! war dir virtuell
sehr nahe, hab mich unerlaubt von trier-tagung zu arena-kneipe entfernt.
glück auf!!!"
Die "Stunde des Zweifels"
aus Bremen, dieses miese 0:3, ist etwa zwei Monate her. Ich zweifelte an
allem. An mir. Am Klassenerhalt. An meinem VfL-Leben. Heute ist alles gut.
In der Zwischenzeit habe ich die höchsten Auswärtssiege gesehen
und ein Derby erlebt, das zu den "Top 5" aller 331 Spiele, die ich bisher
gesehen habe, zählt. Schnellebig. Fußball. VfL.
Die Nacht
Langsam zum Auto trotten. Die Sachsen sind längst verschwunden, wie auch die meisten anderen Wagen. Die weißen Schalker haben sich so schnell wie möglich aus dem Staub gemacht, Helmut und ich sind noch 'ne Viertelstunde in der Ostkurve geblieben, auch die letzten Sekunden auskosten. 15 Minuten dauert es, bis es im Parkhaus voran geht. Schnell nach Mülheim düsen, Helmut wegbringen, er schaut sich jetzt den MSV auf Video an und hofft, dass auch seine Jungs etwas mitgespielt haben (gelang nicht, der MSV spielte in Jena nach 0:3-Rückstand 3:3). Seine Laune ist (deshalb: noch) sehr gut, er hat aus neutraler Sicht einen prächtigen Fußball-Abend verlebt. Ich bin euphorisch, aufgedreht, in Champagner-Meisterlaune. Fahre schnell nach Hause, verpasse in der Online-Spielerbewertung auf der VfL-Homepage ALLEN eine glatte "10" (wer das nicht tut, ist kein wahrer VfLer...). Umziehen, die Ausgeh-Klamotten wieder an, kurz ein bisschen waschen (Deo ganz wichtig), ab ins "Schräge Eck". Fehlt nur der Triumphmarsch, als ich mit erhobenen Armen den Saal betrete. Leider keine Schalker mehr da. Eine Partie Billard, dann gehts weiter in die House-Disco "Freeland". Verbrüderungsszenen mit BVB-Fans, laute Gesänge "IHR WERDET NIIIE DEUTSCHER MEISTER!" Schalke-Fans schlendern missmutig vorbei. Auch das: Szenen, die nie wiederkehren. Nie. Um drei kehre ich zurück, will gegen vier ins Bett. Meine Augen stehen weit auf. Weitweitweit. Bei YOUTUBE finde ich einen Videoausschnitt, irgendein britischer Sender hat das Spiel wohl live gezeigt. "It's that man again", sagte der Reporter beim Gekas-Tor. Jawoll. Schaue den Ausschnitt immer wieder. Treffe im "studivz" (Studenten-Internetplattform) Kirsten aus Bochum. Die hat eine "Stimmung wie bei der WM" im Bermuda-Dreieck ausgemacht. Halbfünf inzwischen.
Der Morgen danach
Bin dann doch noch eingeschlafen. Irgendwann gegen fünf, halbsechs, keine Ahnung, weißnichtmehr, lag auch im Bett zunächst hellwach. Irgendwas geträumt, wovon, egal. Wollte zuerst mit Schal einschlafen, aber das wäre des Kitsches doch zu viel gewesen. Und bei den Temperaturen... Suche als Erstes die WAZ. Die Nachbarn haben die Zeitung schon auf meine Fußmatte gelegt, und jaaaaa, die linke Spalte auf dem Titel zeigt mir: ES IST WAHR! WIR HABENS GESCHAFFT! "2:1! Bochum zu stark für Schalke!" Im Hauptsport geht es weiter: "Bochum schockt Schalke". Werde es ausschneiden, aufhängen, an die Tür kleben, an ALLE Türen kleben. Wahnsinnwahnsinnwahnsinn. Computer anschmeißen. E-Mails. "Geil! Wir haben die Schalker weggeputzt!" steht in einer. Wo ist mein Handy? Drei neue Nachrichten seit fünf Uhr. "Das war doch gestern der Hammer, oder?" ist die erste. "Danke! Schalke darf nicht Meister werden" ist die zweite. Und "Andi! Wir sind Siebter!" steht in der dritten. Dieses Spiel hat das Ruhrgebiet, hat alle bewegt.
Ich werde es nie, niiiiiiiemals
vergessen.
Ich glaub... ich träume... hintereinander... auswärts... 4:1, 3:0, 3:0...
"Nie mehr zweite Liga", "So gehn die Bochumer", wieder: Traum-Wetter, dieses Spiel toppt noch einmal alles andere, 30 Minuten nach dem Abpfiff noch Riesenparty.
Erst verachtet (auch auf dieser Seite), jetzt geachtet (zurecht): Unser gefeierter Trainer Marcel Koller
Bochum, meine Perle
Der Klassenerhalt: Misimovic verwandelt einen Elfmeter zehn Minuten vor Schluss
Kneif mich jemand. Schlag
mich jemand. Tritt mich jemand. Es ist wahr, es ist wirklich wahr. Wir
haben den Klassenerhalt in der Bundesliga geschafft. Wir haben es geschafft,
geschafft, geschafft, geschafft. Eine Rekordsaison bleibt,
in der ich 31 von 34
Spielen gesehen haben werde. Momente speichere ich ab auf der Festplatte,
die ich Gehirn nenne, die Sicherungskopie ist diese Homepage. Aus Hamburg
kamen viele Augenblicke hinzu, viele Erinnerungssplitter.
Lotto-King Karl singt
auf seiner Bühne "Hamburg meine Perle", noch dreißig Minuten
nach dem Abpfiff brüllen wir VfLer im schon leeren Stadion "So gehn
die Bochumer - so gehn die Hamburger", es gibt die große Versöhnung
mit
unserem Trainer. Das
alles nach dem dritten Auswärtssieg hintereinander.
Ich finde es so cool, in
Hamburg Kettcar zu hören.
Das habe ich Euch schon
bei meinen letzten Reisen an die Elbe erzählt.
Der kleine Mann geht: Tschüss Dariusz Wosz!
Seltsame Verbrüderungsszenen *** Schalkes Titel ist verhindert *** Ein hochklassiges Heimspiel *** Vermutlich sogar das beste in dieser Saison *** Ausverkauft *** Tschüss Dariusz Wosz
Da laufen aber ein paar Leute Amok...
Ein bisschen Abschied
Gekas hautnah: Nicht gerade überschwänglich, aber immerhin. Fanis unter Tausenden
Es war ein Superspiel. Es war ein seltsames Spiel.
Es ist nicht dasselbe, an diesem Vormittag aufzustehen. Nicht dasselbe wie in den letzten Wochen. Monaten. Wir sind gerettet. Hey, man, GERETTET!!! Hätte mir das jemand nach dem dritten Spieltag gesagt, als wir nach Niederlagen gegen Mainz, Bayern und Cottbus schon Letzter waren - niemals hätte ich das für möglich gehalten. Niemals. Jetzt sind wir drin geblieben, drei Spieltage vor Schluss und ich kann - kommt mir irgendwie bekannt vor - damit nicht so recht umgehen. Immer, wenn es an den letzten beiden Spieltagen um nichts mehr geht für den VfL, dann verzweifle ich mehr als in den wahren Abstiegs (oder Aufstiegs-) knallern selbst. Möchte ich meinen. Du stehst morgens auf, bist total froh, dass du ein Jahr länger 1. Bundesliga sehen kannst - Emotionen, die Bayern-Fans völlig fremd sind, aber für mich ist 1. Liga ein Geschenk - und auf der anderen Seite denkst du: Scheiße. Schon gerettet. Stadion heute ausverkauft. Und für uns geht es um gaaaaaar nichts mehr. Schön. Und seltsam.
Es war ein Superspiel. Es war ein seltsames Spiel.
Letztes Heimspiel. Noch einmal ein Wiedersehen mit allen Bekannten der Saison!? Es ist das letzte Heimspiel für drei Monate, zwölf Wochen Ruhrstadion-Pause werden folgen. Wenn ich das nächste Mal die Stehstufen beehre, bin ich nicht mehr freier Journalist, sondern Volontär. Eine schöne, seltsame Zäsur findet heute statt. Wer waren außer den Spielern die Hauptdarsteller in meiner persönlichen Saison 2006/2007!? Mein Bruder Thommy selbstverständlich, Begleiter nicht nur bei den unvergesslichen Auswärtsspielen in München und Leverkusen. In Heimspielen natürlich - wie in all den Jahren zuvor - Gerd, Lupo und sein Fanklub und in leider diesmal sehr seltenen Fällen Sam und seine Frau Nicole. Schöne Auswärtserlebnisse gab es in Aachen beim Treffen mit Nadine und Björn; in Berlin mit einer alten Kirchenfreizeits-Jugendtage-Bekannten, in München mit Manuela und Dirk sowie in Cottbus im Hotel mit der gesamten Mannschaft des FC Energie. Tausend Sprüche. Tausendmal gelacht, tausendmal geschimpft. Heute ist außer Lupos Fanklub aber niemand dabei. Gerd hat sich pünktlich zum Es-geht-für-uns-um-nichts-mehr-Spiel in den Urlaub verabschiedet, Sam teilt per sms mit, dass er auf einer Fortbildung versackt ist. Mein Bruder schreibt in Brüssel an seiner Promotion. Seltsam alles. Und doch ist heute auch da nichts normal. Meine liebreizende Arbeitskollegin Nancy begleitet mich. "Da muss ich mich benehmen", habe ich gestern und vorgestern zu allen Leuten gesagt, die mich aufs Spiel angesprochen haben. Treffpunkt 14.15 Uhr vor der 308-Haltestelle. Nancy steigt pünktlich aus, zum zweiten Mal in ihrem Leben betritt sie das Ruhrstadion. Schön.
Es war ein Superspiel. Es war ein seltsames Spiel.
14.15 Uhr, es regnet. Nieselt. In Strömen. Ach was weiß denn ich. Der schöne April ist schon lange vorbei, gefühlte Ewigkeiten. Sonne tanken in Frankfurt. Bräunen in Hamburg. Das war einmal. Es regnet erst seit ein paar Tagen, und doch geht es mir schon so unglaublich auf den Keks. "Ich dachte, du kommst ganz in blau", sagt Nancy um 14.15 Uhr. Nee, Trikot ist zwar drunter, Schal ist um, aber die Kapuze meiner "Ärzte-statt-Böller"-Jacke verdeckt einen Teil meines Schädels. Muss das regnen? Uääähh! Rein ins Stadion, bloß nicht nass werden. Kaum angekommen: Die dunklen Wolken verziehen sich, ist das etwa... etwa... etwa... die SONNE? Ja, es gibt sie noch. Warum hat die Stadionregie die Flutlichtmasten eingeschaltet? Ist doch hell genug! Spiel beginnt, wieder dunkler wirds. Regen. Der Wind peitscht die Tropfen in die Gesichter der Ostkurve, passend zum Spielstand. Pünktlich zu den Spielerverabschiedungen wirds wieder freundlicher in Bochum. Ja was denn nun? Schön. Seltsam.
Es war ein Superspiel. Es war ein seltsames Spiel.
Okay, geht für uns um
nix mehr. Und doch sind wir, hoppla, bundesweit Gesprächsthema Nummer
zwei nach dem Revierderby ein paar Meter weiter in Dortmund. Denn sensationellerweise
kann unser heutiger Gegner noch Meister werden. Es ist überhaupt das
Sensationsspiel. Der schon jetzt überraschend gerettete Absteiger
Nummer eins (wir) trifft auf den Titelkandidaten, dem vorher allenfalls
ein UI-Cup-Platz zugetraut worden wäre (die). Das teile ich Nancy
auch glatt mit, als Basis-Information, ob sie es hören wollte oder
nicht... Sie hat sich wirklich genau das richtige Spiel ausgesucht. Die
Atmosphäre in der großen VfL-Familie ist entspannt, trotz Platz
acht träumt niemand wirklich vom internationalen Geschäft, "Europapokal"-Rufe
bleiben die Seltenheit. Zwei offensive Mannschaften treffen aufeinander,
Gehässigkeiten sind nicht zu erwarten. Voila, Fußballfest, olé,
Anpfiff.
Das Spiel wird sen-sa-tio-nell.
Schüttelfaktor: fünf Sterne, Emotionsfaktor: vier Sterne, Niveau:
fünf Sterne, Lautstärke: vier Sterne. Egal, wie das Spiel ausgeht:
Bochum gewinnt. Wenn wir den "Dreier" machen logischerweise sowieso, wenn
wir nicht siegen, wirds Schalke schwer haben mit dem Titel. Gab es schon
einmal solche Voraussetzungen? Koller setzt zum vierten Mal in Folge auf
die gleiche Startelf, wann gab es das zuletzt beim VfL? "Darf ich dich
denn zwischendurch stören oder bist du nicht ansprechbar?", fragt
Nancy. Dochdoch, stören erlaubt... wer weiß, wie's im Schalke-Spiel
gewesen wäre!? Spiel fängt an, langer Pass auf Gekas, der steht
im Strafraum mit dem Rücken zum Tor, legt per Hacke ab und SCHRÖDER:
TOOOOOOOOOOOOORRRR!!!!! EINSNULL!!! 1:0!!! Der Traum geht weiter, immer
weiter, weitermachen, macht mich irre, irrer Beginn, beginnt mit der Party,
TOOOOORRR! Halte mich mit dem Jubel diesmal etwas zurück, es ist alles
so unwirklich. Beide Mannschaften spielen mit offenem Visier. Gekas vergibt
vier Minuten später eine zehntausendprozentige Chance. Er versemmelt
freistehend völlig, so Dinger macht der sonst doch BLIND!! Stuttgart
antwortet mit Hitzlsperger: 1:1 nach 18 Minuten. Jetzt trällert die
andere Seite. Die Stuttgarter sind so geladen, dass Torwart Hildebrand
zur eigenen Trainerbank läuft und jeden umarmt. Jetzt aufpassen, Jungs.
Bloß nicht übermütig werden. Entlastung: Epalle passt auf
Höhe der Mittellinie zu Maltritz. Der rückt auf, wird nicht angegriffen,
drischt aus 25 Metern drauf, JA WIE GEHT DER DENN AB? EIN STRIIIIIIIICH,
TOOOOOOOOORRR! LINKS UNTEN! LINKS UNTEN!!! 2:1!!! Ich sehe schon die hochgerissenen
Arme der Schalke-Fans, die Radio hören. Wir spielen hier gut, wir
führen. TORJUBEL noch einmal in der 44. Minute: Das 1:0 der Dortmunder
im Derby gegen Schalke wird vermeldet. Kaum einer im ausverkauften Stadion
freut sich darüber nicht. Halbzeit. Die Hupfdohlen kommen. Nancy fand
es - natürlich - erstaunlich kurzweilig, sie steht sonst eher auf
Handball. Ich beschimpfe Sam per sms, der aufgrund seiner dusseligen Fortbildung
ein über-ra-gen-des Spiel verpasst. Das bleibt übrigens sen-sa-tio-nell.
Epalle kurz nach Wiederanpfiff knallt maltritzlike drauf: Zentimeter vorbei.
Zentimeter!! Stuttgart wankt. Trainer Veh zieht das letzte As, bringt Gomez
nach zweimonatiger Verletzungspause. Stuttgart muss aufmachen, das eröffnet
Platz für Konter. Winkt der UI-Cup etwa doch? "Soooo gehn die Bochumer,
die Bochumer gehn so" - der Top-Hit des Monats Mai wird in einer Endlosschleife
besungen, aber nicht auf die Stuttgarter Fans, sondern auf die Schalker.
2:1, so langsam glaub ich dran. Minute 56: Eine lange Flanke, unsere Viererkette
leistet sich einen kollektiven Tiefschlaf, Gomez nickt ein, 2:2. Jaja,
ich höre sie schon, meine Journalistenkollegen, ich höre sie
schon "Solche Geschichten gibt es nur im Fußball" sagen. Der VfL
verliert für ein paar Minuten komplett die Orientierung und lässt
Cacau auch noch das 3:2 in der 67. Minute schießen. 30 Sekunden atmet
niemand in der Ostkurve. Zweimal vorn, jetzt auf einmal zurück. Aber
in der 31. Sekunde nach dem Gegentor folgen die "Schade Schalke - alles
ist vorbei"-Rufe. Heute ist eben alles ganz, ganz anders. Das Spiel ist
so spannend, dass unser Denkmal Dariusz Wosz leider nicht zu seinem letzten
Einsatz kommt. Koller will noch den Ausgleich. Und bekommt ihn auch. Moralisch.
Denn Dabrowski steht drei Minuten vor Schluss ganz frei und macht eigentlich
auch alles richtig, indem er den Ball zum richtigen Zeitpunkt aufs Tor
bugsiert. Doch VfB-Torwart Hildebrand wirft sich dazwischen. Weltklasse.
Noch nie hat ein Torwart nach einer Parade so triumphiert. "Die Meister-Parade"
wird es morgen und in den nächsten Wochen in den Zeitungen wohl heißen.
Ohne auch nur eine Sekunde Nachspielzeit pfeift Schiri Meyer das stets
sehr faire Spiel ab. Spielnote 1 - glatt und ohne jeden Zweifel. Superspiel.
Nancy hat alles richtig gemacht. Bravissimo. Und doch seltsam: Verloren,
und keinen hats gestört. Denn kurz vor Schluss hat Schalke noch das
0:2 kassiert. "Schade Schalke - alles ist vorbei", "Ihr werdet nie Deutscher
Meister" undsoweiter. Diese Sprechchor-Schallplatte ist noch nicht verkratzt.
Es war ein Superspiel. Es war ein seltsames Spiel.
Es ist einfach alles anders. "Nancy", habe ich sie vorgewarnt, "nach dem Abpfiff darfst du mich erst einmal nicht angucken." Denn um 17.18 Uhr ist das Spiel verloren, die Stuttgarter bejubeln die 85-Prozent-Meisterschaft (das Heimspiel gegen Cottbus in einer Woche wird der VfB wohl packen) - aber die härteste emotionale Prüfung für die VfL-Fans folgt erst noch. Acht Spieler werden unmittelbar vor der Ostkurve mit Blumenstrauß und Händedruck von Manager Kuntz und Trainer Koller verabschiedet. Die Laune ist so gut, dass Manager Kuntz und jeder einzelne Spieler vom Publikum namentlich gefeiert werden. David Pallas, Fabio Junior, Alexander Bade, sogar Peter Skov-Jensen, Filip Trojan, Zvjezdan Misimovic, Theofanis Gekas: siebenmal ADIOS. Sieben? Nein, acht! Denn zum Schluss kommt Dariusz Wosz. Noch einmal brüllt das ganze Stadion "DARIUSZ! DARIUSZ! DARIUSZ!" Nach 13 Jahren und unendlich vielen Spielen geht er. In dieser Saison war er einfach zu alt, zu schlecht, da reichte es einfach nicht mehr, nicht einmal zu einem Kurzeinsatz. Jetzt darf er sich in der Popularität sonnen, er ist eben eine Bochumer Legende geworden. Doch dann geht der kleine Mann. Ins Mikro darf er noch den Termin seines Abschiedsspiels flüstern. Muss mich kurz sammeln, zu mir kommen, Tränen kullern bei mir nicht, bin aber trotzdem froh, dass die Arbeitskollegin nicht geschaut hat. Schon nach wenigen Sekunden Abstand: Zeit für Analysen. Bönig, Butscher, Drobny und Imhof erhielten keinen Strauß. Hier laufen die Verhandlungen noch. Acht Abgänge stehen fest, mindestens zwei kommen wohl noch hinzu. Da gibt es für Kuntz einiges zu tun in den kommenden Tagen. 17.50 Uhr, das Ruhrstadion leert sich ganz langsam. Superspiel, emotionale Verabschiedung. Doch es ist ein seltsames Kribbeln: Die Saison im Ruhrstadion ist zu Ende. Die Wosz-Karriere ist zu Ende. Ich werde den kleinen Dariusz nach 207 Spielen nie, nie, nie wieder im VfL-Trikot spielen lassen. NIE wieder. Das begreife ich wohl erst irgendwann.
Es war ein Superspiel. Es war ein seltsames Spiel.
Gehe mit Nancy noch auf 'ne Currywurst ins Bermuda-Dreieck. Treffen einen WAZ-Volontär, der sich aus Schwäbisch Gmünd ins Ruhrgebiet gewagt hat und nun als VfB-Fan selbstverständlich jubiliert. Schließlich trennen sich unsere Wege. Ich steige in die 308 und fahre zurück Richtung "Ruhrstadion", denn im Parkhaus steht mein Auto. Hab völlig vergessen, dass vor der Ostkurve und dem Stadion-Center die "After-Show-Party" noch läuft. Pils und Cola im 0,3-Liter-Becher gibts für einen Euro. Eine Superidee, denn ab 18.30 Uhr wollten sich alle Spieler unter die Fans mischen. Schaue auf die Uhr, es ist 19.15 Uhr, die Spieler müssten längst da sein. Doch alles, was ich erblicke, sind ganz seltsame Verbrüderungsszenen. Bochumer und Stuttgarter schunkeln Seite an Seite das Lieblings-Lied "So gehn die Bochumer, so gehn die Schalker", sie tauschen Schals, saufen gemeinsam. Und - halt - was ist das denn? Auch ein paar neongelbe BVB-Fans sind zu sehen. Eine versaute Meisterschaft des FC Schalke 04 ist ein Pflaster auf offene Wunden. So viel zum Thema "Das Ruhrgebiet hält zusammen". Nix. Die Spieler sind längst da. Bei Dabrowski stehen zwei, drei Zuschauer und scheinen sogar ein ernsthaftes fußballtaktisches Gespräch zu führen. Um Gekas stehen alle. Der arme Kerl ist ohne Leibwächter unterwegs. Irgendwo am anderen Ende singen die Fans immerzu "Epallé Epallé Epalléééé". Wer wird da wohl stehen?? Es ist DER Saisonabschluss, und kaum einer wird emotional in der Lage sein, in einer Woche das Gladbach-Spiel da noch draufzupacken. Stimmt, Gekas läuft ja noch einmal für uns auf. Stimmt, einmal müssen wir ja noch. Stimmt, fast 4000 Bochumer fahren mit auf die andere Rheinseite. Ich hole mir keine Autogramme. Aus dem Alter bin ich wirklich seit 15 Jahren raus. Nach einer Cola, schnell runtergeschüttet, begebe ich mich ins Parkhaus. Kaum ein Auto steht noch dort. "Read my mind" von den Killers liegt im CD-Player, ich schlage das Ultra-Blättchen auf, dass ich vor ein paar Sekunden auf dem Parkhausboden fand.
Einige Zeilen kann ich sogar ohne zu zögern unterschreiben, als meine persönliche Versöhnung mit den Ultras:
"Es gab böse Nackenschläge wie die Niederlagen gegen Bremen und Mainz, Wolfsburg und Aachen, aber auch einige geile Momente, die wir nie vergessen werden, weil sie einem heute noch eine Gänsehaut bescheren wie die Derbysiege gegen DO & GE, die Aufholjagd gegen Frankfurt, die Siege in Bielefeld oder Leverkusen. Also eine Saison mit Höhen und Tiefen, wie wir sie von unserem VfL gewohnt sind, wofür wir ihn lieben. Wofür es sich lohnt, Bochumer zu sein."
Eine Supersaison.
Eine seltsame Saison.
Und nächste Woche gibts
die letzte Zugabe.
Er lebe hoch, er lebe hoch...! Was für ein Saisonende!!
Was ich noch zu sagen hätte, dauert eine Schachtel Zigaretten. Wosz kriegt sein Tor zum Abschied, Gekas die Kanone, Stuttgart wird Meister. Vier Auswärtssiege in Folge. Kneift mich.
Vier Auswärtssiege in Folge - mit 13:1 Toren!
Die Pointe
Großer Dank: Theofanis Gekas präsentiert in der Bildmitte die Torjägerkanone
Drei Silben. Es sind nur drei verflucht-verdammt-geile Silben. Einfach für jeden. Einfach zu brüllen. Einfach klasse. "DA-RI-USZ, DA-RI-USZ, DA-RI-USZ!"-Rufe werden mir tagelang nicht aus dem Schädel gehen. Werde ich bis zur Rente nicht vergessen. Werde ich nicht vergessen, bis sich mein Erinnerungsvermögen aus meinem Gehirn trennt. Was habe ich vor einer Woche noch interaktiv geflennt, geheult, einen Tränenozean vergossen!? Niiiiie mehr werde ich Dariusz Wosz spielen sehen. Niiiiie wieder. Ich beweinte irgendwie die Verabschiedung. Und jetzt? Jetzt, um kurz nach fünf am Samstagmittag ist das alles vorbei, eine Woche vergangen, was interessiert mich meine Emotionslage nach dem Stuttgart-Spiel? DARIUSZ HAT GESPIELT! DARIUSZ HAT WIRKLICH GESPIELT! UND DARIUSZ HAT GETROFFEN! ZUM ZWEINULL! VOR EIN PAAR SEKUNDEN!!!
Gute Nacht Freunde
es ist Zeit für
mich zu gehn
was ich noch zu sagen
hätte
dauert...
... eine Schachtel Zigaretten
(r. mey, modifiziert:
a. ernst)
Ist die Saison vorbei? Zu
Ende? Schon, irgendwie. Es fällt heute einen Tick schwerer, die Beine
aus dem Bett zu bewegen. Die Nervosität am Frühstückstisch
ist äußerst überschaubar, und all die Rituale, von denen
ich Euch im Lauf der Saison erzählte, wollen heute nicht greifen.
Während ich meine Socken überstreife, fühle ich mich nicht
wie in einer Umkleidekabine; während ich meine Schuhe zuschnüre,
entführt mich meine Phantasie diesmal nicht zur Ansprache von Marcel
Koller. Und während ich die Taschen meiner Fußballhose mit den
diversen Utensilien von Handy über Block bis zu Eintrittskarte und
Digitalkamera fülle, denke ich nicht an das Wort "bewaffnen". Ich
ziehe mich heute einfach nur ganz normal an. Um zu einem Freundschaftsspiel
zu fahren.
Ein letztes Mal steige ich
in den Smart. Den Rekord habe ich schon aufgestellt, heute baue ich ihn
auf 31 Spiele aus. 31 von 34 VfL-Spielen in einer Saison! 31! Und doch
freue ich mich nicht wirklich. Es ist alles so normal an diesem Tag. Lasse
den Wagen an, lege die "Best of U2 1980-1990" in den Player und brause
where the streets have no name am Breitscheider Kreuz um kurz nach halbeins
auf die A40. Denke an den gestrigen Abend, ans Schräge Eck. Das Eck
ist normalerweise Borussen-Land, es gibt sogar einen Fanklub, die "Schräges-Eck-Borussen",
die an jedem Spieltag mit mindestens zehn Mann erscheinen. Was haben wir
uns die Spitzen hin- und hergeschleudert an den ersten 25 Spieltagen, was
haben wir auf dieses "Endspiel" hingefiebert. Jetzt ist alles vorbei. Alles.
Gestern Nacht redeten wir nur kurz darüber, kurz bevor der Wirt Zarko
die letzten Gäste hinausbat, weit nach Mitternacht. "Ihr gewinnt bestimmt",
war so ziemlich das einzige, was die unglaublich desillusionierten Gladbacher
zu sagen in der Lage waren. Die wenigen weiteren Sätze: "Hoffentlich
bleiben wir noch zwei Jahre in der 2. Bundesliga, damit wir die Mannschaft
und den Unterbau komplett sanieren können", "Das sind doch alles nur
Söldner. Ihr Bochumer habt alles richtig gemacht. Alles. Habt gekämpft.
Und bei uns?" Ich verspürte sogar etwas Mitleid und meinte: "Wir haben
gar keine Lust und schenken Euch bestimmt noch Selbstvertrauen und Punkte."
Sie glaubten es nicht und schauten nur traurig. Extrem traurig.
Fahre auf die A52, mit Kalla-Trikot
auf dem Oberkörper und dem "Almauftrieb"-Schal um den Hals, hinter
dem Düsseldorfer Flughafen auf die A44, ach ja, Flughafen, ich würde
so gern mal wieder dort losfliegen, in die weite Welt, wohin auch immer.
So gern. So gern. So gern. Neersen oder wo auch immer zurück auf die
A52, die U2-CD ist inzwischen fertig gehört, die Bahn immer noch leer.
"Fahr früh los", haben mir die Jungs gestern noch geraten. Doch ich
komme fast noch zu früh. Am Kreuz Mönchengladbach ein allerletztes
Mal "umsteigen". S' geht auf die A61 und dort bis zur Abfahrt "Mönchengladbach-Nordpark".
Seit drei Jahren steht im Westen Mönchengladbachs dieses neue Zentrum
mit dem topmodernen Stadion, das die Borussia zwar reich, aber nicht erfolgreich
gemacht hat. Nebenan, im Hockeystadion, wurde Deutschland im Herbst 2006
Weltmeister. Fast 10.000 Parkplätze sind vor den großen Arenen
entstanden, irgendwo platziere ich meine Karre, das kostet fünf Euro!
FÜNF! Eindeutig der teuerste Parkplatz der Saison. Was nehmen die
allein an Parkgebühren ein hier??
Gestern, denke ich, während
ich zahle, waren bei "ebay" noch auf drei Seiten Tickets für die VfL-Kurve
erhältlich. Auf drei Seiten! Wir Bochumer brauchen eben - ich wiederhole
mich - Nervenkitzel. Brauchen es!! Es ist schon beeindruckend, dass sich
trotz des deutlichen Abstiegs so viele Gladbacher auf dem Weg zum Nordpark
befinden. Sie lachen sogar, scherzen; Galgenhumor, wir Bochumer verstehen
das. Dieser Verein hat ein Riesenpotenzial, aber ein großes Problem:
das Anspruchsdenken. Bei der Borussia hat niemand begriffen, dass die glorreichen
70er Jahre vorbei sind. Zu Ende! Danach hat die Borussia nur noch einen
Titel geholt, 1994 den DFB-Pokal. Trotzdem verplant jeder in diesem Verein
nach einem Sieg schon die Champions-League-Millionen. Scheint eine Rhein-Krankheit
zu sein, beim 1. FC Köln ist das genauso. Jetzt zeigt das Straßenschild
auf dem Weg des Borussia-Zuges zum zweiten Mal in der Vereinsgeschichte
"2. Bundesliga". Vielleicht kommt der Verein jetzt zur Ruhe.
Die letzten drei Spiele
des VfL in Gladbach endeten 2:2. Da steht der Tipp wohl fest. Wäre
nicht schlecht, vier Tore zum Abschluss, eins von Gekas, zum Abschied.
Könnt' ich mit leben. Großes Programm gibt es rund ums Stadion
nicht, warum auch. Spaziere schon um kurz nach zwei rein ins Stadion, auch
die Ordner sind sehr unmotiviert, kontrollieren nur lasch. Einer schleckt
gerade ein Eis. Trinke eine Cola, stecke den bedruckten Becher (Sammler!)
in eine meiner Fußballhosen-Taschen. Die VfL-Kurve ist noch leer,
obwohl fast 5000 VfLer ihr Kommen angekündigt haben. Auf dem Rasen
läuft ein Vorspiel, eine Borussia-Mannschaft schlägt eine aus
Venlo mit mindestens 25:0. Freundschaftsspiel-Stimmung. Immer noch. Der
Stadionsprecher der Borussia brüllt unfassbar in sein Mikro, will
ein letztes Mal die Zuschauer auf seine Seite ziehen. Indes: Es mag nicht
gelingen. Einige Borussen werden verabschiedet, darunter zwei beliebte
Spieler: Kasey Keller und Peer Kluge, die sich sogar noch Sprechchöre
anhören dürfen. Wir empfangen unsere Mannschaft eher gemäßigt,
was nichts mit der Saisonleistung zu tun hat, sondern eher damit, dass
wir alle schon pappsatt sind, pappsatt von einer Sensations-Rückrunde.
Die Zeit vergeht langsam.
Sehr langsam. Heute ist keiner da, den ich kenne. Nix zum Quatschen. Nix
passiert. Unsere Aufstellung: Bönig für Butscher, schon etwas
auffällig. Bönig hat während der Woche seinen Vertrag verlängert,
Butscher nicht. Dariusz Wosz sitzt auf der Bank, überraschend, naaaaaaaaaaa,
vielleicht darf er doch noch ein paar Sekunden ran. Hoffentlich! Endlich
Anpfiff, noch 90 Minuten Fußballsaison 2006/2007, wenn die anderen
mitspielen, können wir uns vielleicht noch auf einen einstelligen
Platz retten. Wie erwartet, wird das Fußballspiel ganz, ganz schwach.
Lustlos stolpern beide Mannschaften über den Rasen, klar, denn von
den elf Gladbachern, die von Beginn an auf dem Platz stehen, sind zwei
Amateure, einer ein A-Jugendlicher. Von den acht übrigen gehen sechs.
Zum Beispiel Jansen, der Nationalspieler, der nach 100 Sekunden knapp vorbei
schießt. Bei uns ist Gekas anzumerken, dass er dringend nochmal knipsen
will, er macht fast alles alleine und genauso alleine falsch. In Minute
27 ist Gekas nicht beteiligt. Grote flankt von rechts mit dem linken Fuß,
Dabrowski steht völlig frei zehn Meter vor der Kiste und versenkt
souverän per Dropkick. Dabrowski hebt kurz den linken Arm, wir Fans
applaudieren höflichst. 1:0 beim Absteiger. Ist ja nichts Besonderes
mehr, nachdem wir zuletzt dreimal in Folge auswärts gewannen. Die
Anzeigetafel verrät, dass auf den anderen Plätzen auch alles
nach Plan läuft. Stuttgart lag gegen Cottbus kurz hinten, hat aber
nun das 1:1 erzielt. Schalke packts nicht!
Halbzeit eines miesen Spiels.
Irgendein dämliches Pausenspiel. Bitte, pfeif schnell wieder an. Dr.
Merk, heute der Schiri, pustet um 16.31 Uhr in seine Pfeife. Noch 45 Minuten,
44, 43, 42, 41, 40. Macht: 50. Minute, Kluge und Jansen sind sich nicht
einig in unserem Strafraum, Glück gehabt. Danach haben wir den Laden
völlig im Griff, Gekas versiebt insgesamt vier sehr gute Chancen,
dazu noch Epalle eine. Nach 60 Minuten ist alles so eindeutig trotz des
knappen Spielstands, dass wir VfLer endlich aufwachen und ganz laut "DARIUSZ!
DARIUSZ! DARIUSZ" breüllen. Das Stuttgarter 2:1 gegen Cottbus passt
furchtbar gut, als Koller den Darek endlich zu sich holt. Jetzt wird es
ein RICHTIGES Fußballspiel, jetzt fragen wir uns gegenseitig, wie
es überhaupt steht, wir haben es in aller Langeweile schon längst
vergessen und abgehakt. "Jetzt gehts lo-hoooos, jetzt gehts lo-hooooos".
Maltritz haut den Ball in der 70. Minute sogar extra ins Seitenaus, damit
Wosz eingewechselt werden kann. Ganz groß, der Maltritz. Zwetschge
Misimovic geht raus, nie mehr wird er das VfL-Trikot anziehen. Nie mehr.
"DARIUSZ! DARIUSZ! DARIUSZ!" Wosz bekommt nach einer Minute den Ball, hält
drauf, abgeblockt. Wie geil wäre das denn gewesen... Selbst die Gladbacher
Fans applaudieren, Wosz winkt freundlich auch in die Gladbacher Kurve.
"1:0" verrät die Anzeigetafel noch immer, schon jetzt ist absehbar,
dass wir sogar Achter werden. Achter! Zehn Minuten noch. Drsek, inzwischen
im defensiven Mittelfeld für Dabrowski dabei, lässt einen Gladbacher
aussteigen. Pass auf Wosz, Wosz auf Drsek, machst mit 'nem Doppelpass jeeeeeeeeden
Gegner nass, Drsek wieder auf Wosz, die Gladbacher stehen Spalier, stehen
nur rum,
DER DAREK IST FREI
DER DAREK IST FREI AM SECHZEHNER
SCHIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIEEEEEEEEESSSSSSSSSSSSSSSS
*er schießt, Mund
offen, staunen*
TOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOORRRRR!
DARIUSZ! DARIUSZ! DARIUSZ! DARIUSZ!
Bis auf Drobny sprintet
die ganze Mannschaft in Richtung Fankurve, auch die ausgewechselten Dabrowski
und Grote kommen. Sie lassen Darek schon jetzt hochleben. Schon jetzt.
Und wieder Applaus von den Gladbachern. Für alle 50.000 im Nordpark
ist es das Dessert der Saison. Die Pointe. Die Gladbacher lassen sich sogar
von einem fast 38-Jährigen, der kaum noch laufen kann, ein Ding reinhauen
- und wir denken: Sogar der Darek trifft noch. Der Rest ist Jubel, 2:0
gewinnen wir, souverän, in einem beschissenen Spiel. Achter.
"Bitte bleiben Sie noch.
Es findet eine Ehrung statt", sagt der Stadionsprecher betont sachlich
direkt nach dem Abpfiff. Und tatsächlich hält es noch so einige
Gladbacher im Stadion. Wenige weinen, bestimmt. Wieder einmal desaströs
gespielt, wieder einmal verloren. Wir dagegen erhalten unsere persönliche
Krönung, wir erhalten unseren Pokal, der so viel wert ist wie die
Meisterschale, wie der DFB-Pokal. Kicker-Chef Holzschuh ist höchstpersönlich
da, um die Torjägerkanone zu überreichen. Es hat etwas von Schalen-Übergabe
(die parallel in Stuttgart stattfindet), nur ohne Konfetti (ist meiner
Meinung nach sowieso überflüssig). Die VfL-Mannschaft versammelt
sich komplett um Gekas, verspritzt viel, viel Sekt. Gekas kriegt das Ding,
reckt es in die Höhe und jeder darf die Kanone mindestens einmal berühren.
Mit der Trophäe in der Hand sprinten die Jungs Richtung Fankurve.
Doch schon nach wenigen Sekunden steht wieder ein anderer im Mittelpunkt:
Dariusz Wosz. Die Spieler tragen unseren langjährigen Kapitän,
der als erster beim VfL Bochum ein Abschiedsspiel erhält, auf ihren
Schultern. Der Wosz kann sein Glück kaum fassen. "So gehn die Bochumer",
"Humba" - mit alles bitte.
Ein letztes Mal große
Emotionen. Gefühle, die ich um 16.29 Uhr niemals vermutet hätte.
Jetzt - 70 Minuten später - frage ich mich wie schon bei den drei
Auswärtsspielen vor Gladbach: Ist das wirklich passiert? Auf dem Weg
zum Parkplatz treffe ich einen Teil der "Schräges-Eck-Borussen", sie
schauen auf den Boden und meinen nur: "Ist das mit dem Wosz nicht nett
von uns gewesen?", fragt einer. Ist es. Nach zehn Minuten Fußmarsch
falle ich um punkt 18 Uhr in den Smart. So langsam begreife ich es. Die
Saison 2006/2007 ist zu Ende. Aus. Schluss. Finito de la musica. Finale
oho. U2. Where the streets have no name. With or without you. In the name
of love. 15 Minuten Stau auf dem Weg zur Autobahn. Heute Abend: Saisonende
feiern im Schrägen Eck (ganz ohne Häme, wirklich) und im Ringlokschuppen.
Zwischendurch: Sportschau gucken. Immer wieder. Meine VfL-0607-Videokassette
mit Ausschnitten aus Frankfurt, Leverkusen und jetzt Gladbach. Eine Kassette,
die ich in Gold gießen sollte.
Gute Nacht Freunde...
... was ich noch zu sagen
hätte
dauert einen allerletzten
Schluck
im Stehn.
(r. mey, modifiziert:
a. ernst)
Mit einem Wort will ich diese
Saison beenden, will ich dieses sechste Tagebuch dieser Homepage beenden.
Sechstes Buch Andi, Kapitel 31, letzter Vers. Ich bedanke mich ganz herzlich
für Eure Begleitung durch einige schwarze (Hinrunde) und sehr, sehr
viele unvergessliche Tage und Erlebnisse (Rückrunde), für Eure
Begleitung durch meine Rekordsaison, in der ich 31 von 34 Spielen sah,
für Eure Aufmerksamkeit bei meinen großen Geschichten und Mini-Geschichtchen
rund um diesen kleinen Fußballverein. Es heißt, dass am Ende
nuuuuuuur das zählt, was auf der Tabelle steht (Achter!!!!) - nein,
für mich war diese Saison mehr als eine Tabelle.
Fehlt nur noch eben dieses
letzte Wort.
Dariusz.