6. Tag – Mit dem „Coast Starlight“ nach Seattle – 14. November 2018

Als ich aufwache geht gerade die Sonne auf in Oregon.

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Der Upper Klamath Lake in Oregon.

Der Upper Klamath Lake in Oregon.

Ich könnte ganze Seiten vollschreiben oder auch nicht. Ich könnte Euch vorschwärmen, wie schön das hier ist, oder einfach nur schweigen. Es passiert eigentlich nichts, da ich nur im Zug sitze, und doch sehr viel, weil ich die Faszination der ganzen Pazifikküste aufsaugen kann.

*

Geschlafen habe ich angesichts der schwierigen Bedingungen ganz ordentlich, nicht mehr, aber auch nicht weniger, danke der Nachfrage. Meine Film-Wahl fiel auf „Interstellar“, siehe Blog-Eintrag zum zweiten Tag, ich wollte nicht bis zum Rückflug warten.

Da bin ich aufgewacht.

Da bin ich aufgewacht.

Doch schon nach 25 Minuten war klar: Das wird nichts mehr – so wie mit dem 49ers/Giants-Spiel in Santa Barbara. Sofort rumdrehen, schlafen, um drei Uhr wachwerden, anziehen, Treppe runter, auf Toilette gehen, zurück, ausziehen, Schlafklamotten an, weiterratzen. Sehr kompliziert. Um kurz vor sechs war dann aber Schluss mit Schlaf – passend zum Sonnenaufgang um 6.15 Uhr.

Oregon Coast Range

Oregon Coast Range

Wir haben gerade Dunsmuir hinter uns gelassen, unseren letzte Haltepunkt in Kalifornien, und die Bundesgrenze zu Oregon überschritten. Es geht in die Trinity Mountains auf eine Höhe von 1000 bis 1500 Meter, einige Berggipfel am Horizont sind von Schnee überdeckt und mir wird bewusst: Ich fahre vom Sommer in den Spätherbst. Schnell krame ich aus dem Koffer meinen Hoodie hervor.

Beim Frühstück entscheide ich mich für das „Continental Breakfast“ mit Special-K-Cornflakes, einem großen Croissant, Kaffee, griechischem Joghurt und eine Schale mit frischem Obst. Ich muss aber regelmäßig aus dem Fenster sehen. Auf die Wälder, die Kühe am Wegesrand, auch mal einen bei einem früheren Waldbrand zerstörten Abhang.

Der Bahnhof von Portland, der Hauptstadt des Bundesstaates Oregon.

Der Bahnhof von Portland, Oregon.

In Klamath Falls, beim nächsten Halt, will ich mir kurz die Füße vertreten. Ganz theatralisch, um den Boden Oregons zu betreten und einen Bundesstaat-Punkt zu sammeln, aber auch, um endlich frische Luft zu schnappen. Frische, amerikanische Bergluft nach der Lungenzerstörung in Santa Monica. Ich steige aus und … und … kippe fast um. Alter! Kalt! Gerade einmal ein Grad sind’s hier, nach zwei Minuten steige ich wieder ein.

*

Wie gestern bereits angedeutet, ist diese Fahrt herrlich geeignet, um mit Amerikanern ins Gespräch zu kommen. Vor allem beim Essen.

Beim Abendessen saß ich mit einem Familienvater und seinen beiden Kids an einem Tisch, die Legoland in San Diego besucht haben und nun nach Hause Richtung Portland, Oregon, düsen. Vorgestellt haben sie sich, die Namen habe ich mir aber nicht gemerkt. Shit. Auch er kam schnell aufs Thema Politik – europäische Armee, Merkel, Macron, Trump. Auch er: ein strammer Trump-Gegner. Hätte mich gern länger mit ihm unterhalten, doch nachdem die Kids ihren Teller mit Pasta beiseite geschoben hatten und anfangen wollten, den Tisch zu bemalen, zog er von dannen.

Zug Nr. 14!

Zug Nr. 14!

Wo sind denn hier die Trump-Wähler? Einen finde ich am Tag darauf beim Frühstück. Ich sitze einem Pärchen gegenüber, beide 79 Jahre alt. Schnell erfahre ich die Lebensgeschichte, sie wohnen fünf Stunden Autofahrt westlich von Eugene, Oregon, entfernt, im Bundesstaat Idaho. Fünf Stunden, das ist einmal Mülheim/Augsburg, nur hier völlig normal. In ihrem Kleinstädtchen, sagen sie, liegen zehn Zentimeter Schnee, sie zeigen mir Bilder.

Beide finden meine Geschichte ganz wunderbar, ein junger Mann, ein Deutscher, und dann noch im Zug! Gibt‘s ja gar nicht. Aber auch sie interessieren sich sehr für Politik – sage noch einer, die Amerikaner wollen nichts darüber hören oder wären nur oberflächlich.

Der Fahrplan!

Der Fahrplan!

„Wir sind da unterschiedlicher Meinung“, sagt Mary und zeigt auf ihren Mann Bob, der nicht mehr so gut hören kann. „Gut, er müsste häufiger seinen Mund halten und sich bei Twitter abmelden – aber er ist ein Macher! Er packt die Dinge an!“, sagt Bob und nickt zufrieden, während Mary den Kopf schüttelt. Bob hinterfragt nichts von dem, was Trump tut, getan hat – und ich fange damit auch nicht an.

Am Ende schenkt er mir eine sehr seltene Zwei-Dollar-Banknote. „Hüte die gut“, sagt Bob und verabschiedet sich. Ich stehe ebenfalls auf und treffe auf dem Rückweg zu meinem „Roomette“ das Pärchen von gestern, die ich nach dem Namen fragen wollte. Sie fragen mich, ob ich mit Ihnen frühstücken möchte.

*

Was sind eigentlich die Highlights dieser Tour? Drei will ich nennen.

Da ist die Fahrt an der Pazifikküste entlang – etwa von Los Angeles drei Stunden bis San Luis Obispo. Und selbst, wer auf der „falschen“ Seite des Zuges sitzt – es gibt Panoramawagen, die Lounge oder das „Dining Car“, da ist immer was frei.

Da ist der Upper Klamath Lake, kurz hinter Klamath Falls in Oregon, der zum ersten Mal mit der kalifornischen Küste und später der Ödnis bricht.

Und da sind die Oregon Coast Range, eine Gebirgskette – nahezu ohne Straße, nur mit Schienen.

*

Doch jetzt, 300 Kilometer vor Seattle, wird es zäh, öde, langweilig, bäh – bei den Mahlzeiten habe ich auch keine Lust mehr, irgendwen kennenzulernen. Allen geht das so. Ich will mich bewegen, laut iPhone waren es bisher 600 Schritte heute statt sonst 5.000 bis 7.000 am Tag – oder 25.000 wie in L.A.. Stattdessen schließe ich die Tür zu meinem Mini-Abteil, schließe die Vorhänge, nee, will jetzt keinen sehen.

Der erste Blick in Seattle!

Der erste Blick in Seattle!

31 Stunden auf vier Quadratmetern, kein TV-Gerät, extrem wackeliges Internet (im Oregon Coast Range mal drei Stunden gar keins, nicht einmal Netz), gleiches Essen, Buch schon gelesen – ich hab mir sogar doch noch „Interstellar“ angeschaut, der dauert ja knapp drei Stunden. Doch danach waren immer noch fünf Stunden zu fahren – einmal Mülheim / München bitte.

Ich will jetzt einfach nur noch raus.

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Jetzt sitze ich schon in meinem Hotelzimmer im „Belltown Inn“, benannt nach dem Stadtteil, in dem ich mich untergebracht habe. Um 19.25 Uhr erreichten wir den Hauptbahnhof Seattles, die „King Street Station“ – und das 31 Minuten ZU FRÜH! ZU FRÜH! Stellt Euch das mal vor; undenkbar in Deutschland…

Vom Bahnsteig konnte ich einen Blick auf das Stadion der Seahawks erhaschen, das „CenturyLink Field“, das ich morgen endlich von innen sehen werde. Entschädigt für die Langeweile der letzten Stunden im Zug!

Für 9,20 Dollar ging’s mit dem Taxi ins Hotel, ja, mit einem richtigen Taxi, sonst fährt hier jeder Uber. Aber Uber wäre nur zwei Dollar günstiger gewesen; und das gelbe Taxi stand schon da. Heute mache ich nichts mehr. Trinke einen Kaffee, schalte das TV-Gerät an.

Eine Mütze Schlaf, ganz ohne Geschaukel, ist bestimmt nicht die schlechteste Idee.

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5. Tag – In Santa Barbara in den „Coast Starlight“ – 13. November 2018

Das war‘s dann also auch für mich mit dem Sommer. Diesmal endgültig, also endgültig endgültig – schon im September und Oktober hörte ich mich das oft sagen, bevor dann das nächste 25-Grad-Wochenende kam.

Deshalb stehe ich gerade um kurz nach 12 Uhr am kleinen Bahnhof von Santa Barbara und blinzle ein letztes Mal in unseren hellen Freund, setze die Sonnenbrille auf und ab und auf und ab, weil ich‘s kann und mich gerade keiner beobachtet (muss bescheuert aussehen).

Der Bahnhof von Santa Barbara!

Der Bahnhof von Santa Barbara!

Und ich warte auf den „Coast Starlight“, der mich 31 Stunden lang 1.800 Kilometer in den Nordwesten der USA nach Seattle bringen wird. Die Strecke soll zu den spektakulärsten weltweit gehören, wie fantastisch sie ist, habe ich gestern schon erahnen können – mal sehen.

*

Geschlafen habe ich übrigens wie ein Baby. Vom 49ers/Giants-Spiel habe ich nicht besonders viel mitbekommen; mein schöner Gedanke, dass ich‘s mir auf dem Zimmer gemütlich mache und in Ruhe schaue, funktionierte nicht lang. Um kurz nach acht, Mitte des letzten Quarters, schlummerte ich beim Stand von 23:23 ein und wachte in voller Montur gegen 23 Uhr im Sessel auf. Zähne putzen, rüber ins Bett, sofort. Erst nach zehn Stunden Schlaf wachte ich auf, die Tage in Los Angeles waren offenbar doch anstrengender als ich vermutet hatte.

Aber das wollte ich eigentlich gar nicht schreiben: Den Vormittag nutzte ich zu ausgiebiger Kommunikation mit meiner großartigen Familie, einem sensationellen Buffet-Frühstück mit Blick auf den Hafen von Santa Barbara und ein bisschen, kleines bisschen Arbeitskram: Ich fragte bei den Kollegen die neuesten Infos ab (mein Los-Angeles-Text wurde groß in der Print-Ausgabe abgedruckt, siehe Bild gestern) und die Dienstplan-Wünsche für die kommende Woche (jetzt schon daran denken; bäh!) musste ich abgeben.

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Mist, ich hätte sie nach ihrem Namen fragen sollen.

Hab ich einen Hunger. Der Zug hatte knapp 40 Minuten Verspätung, warum soll es in den USA anders laufen als in Deutschland – aber das ist schon der einzige negative Punkt. Gebucht (besser: Mir gegönnt) habe ich eine „Roomette all inclusive“; ohne genau zu wissen, was sich dahinter verbirgt. Nun gut, „all inclusive“, das weiß ich schon.

„Morton Bay Fig Tree“ - seit 1867 in Santa Barbara.

„Moreton Bay Fig Tree“ – seit 1867 in Santa Barbara.

Ein Schaffner begrüßt mich mit Vornamen, ich bin offenbar der einzige Roomette-Buchende, der in Santa Barbara den Zug betritt, und führt mich im doppelstöckigen Waggon in die obere Etage. „Room seven, on the left“, gibt er mir mit auf den Weg – und DAS ist also meine Behausung für knapp 31 Stunden.

Kurz zusammengefasst: Es ist ein abschließbares Zwei-Mann-Abteil, vier Quadratmeter vielleicht, mit zwei gemütlichen Sitzen, ordentlich vielen elektrischen Anschlüssen und ausklappbarem Stockbett. Zwei Flaschen Wasser stehen bereit. Schon nach einer Minute werde ich zum Lunch, also zum Mittagessen, gebeten.

Als Alleinreisender ist es üblich, zu einem Pärchen, und die reisen hier meist, gesetzt zu werden. Schnell beginnt das Gespräch, so weit, so gewöhnlich. Die Beiden sind zwischen 60 und 70 und das Eis bricht schnell, da der Mann sich als Seahawks-Fan outet. Großgeworden sind sie auf Hawaii, haben sich dort kennengelernt. Nun haben sie Kinder, eine Tochter studiert in Seattle, und Enkelkinder, wohnen sechs Monate im Jahr in einem Haus in Mexiko und sechs Monate daheim in einem kleinen Kaff viereinhalb Autostunden westlich von Seattle. Deshalb nutzen sie den Zug oft, sehr oft. Kreuzfahrten lieben sie auch, haben halb Europa umrundet und sind sich sicher, dass Hamburg im Westen Deutschlands liegt. Nun ja.

Auch über Politik reden wir ausführlich, während wir einen Burger mit Cheddarkäse und einem Gartensalat mit Balsamico-Dressing verputzen – und es stellt sich heraus: Im Gepäck haben sie, wie sie verraten, Anti-Trump-Shirts für Weihnachten, alle in der Familie würden diesen Präsidenten verabscheuen. Gekauft in Mexiko. Nach den „Midterms“, so hoffen sie, beginnen die Demokraten ein Amtsenthebungs-Verfahren („Impeachment“). Für die Präsidentschaftswahl 2020 wünschen sie sich Joe Biden als Kandidat, das ist der ehemalige Vizepräsident unter Barack Obama. Wir bleiben noch lange sitzen, auch als die Speisen längst abgeräumt sind.

Santa Barbara - wie ein Nordsee-Badeort.

Santa Barbara – wie ein Nordsee-Badeort.

Mist, ich hätte nach ihrem Namen fragen sollen.

*

Kurz hinter Salinas in Kalifornien verabschiedet sich die Sonne für heute, nach einigen wundervollen Kilometern am Pazifik entlang; wow, was für eine Strecke! Mittlerweile ist es halb neun, ich liege schon auf dem Stockbett und zugegeben, eine Luxusunterkunft ist das nicht gerade, im Liegen merke ich, dass es schaukelt wie ein Kreuzfahrtschiff auf dem Hochatlantik bei Windstärke sieben. Mit ein paar Beulen werde ich schon in Seattle aussteigen. Die Gemeinschaftsbäder für alle haben zudem Hostel-Charakter. Aber sind das Beschwerden? Come on, oh nein. Es bleibt ein wundervoller Trip mit dem Zug!

Noch höre ich nun Musik, alles von den Chili Peppers bis Kettcar – gleich knipse ich das Licht aus und schaue mir einen Film an. Mal sehen, was ich auf meinem iPad so finde. Fünf Tage sind nun rum, die Hälfte also.

An der Pazifikküste entlang!

An der Pazifikküste entlang!

Ich freue mich schon jetzt auf meine Familie. Morgen ist im Kindergarten der St. Martin-Umzug. Ohne mich. Es ist zum Heulen.

*

Die Zugabe für alle Interessierten – diese 30 Haltepunkte gibt es auf der 2.200 Kilometer langen und 35 Stunden dauernden Tour von Los Angeles nach Seattle:

Meine Behausung für 31 Stunden.

Meine Behausung für 31 Stunden.

1. Los Angeles, Kalifornien – Abfahrt am 10.10 Uhr
2. Burbank / Bob Hope Airport, Kalifornien
3. Van Nuys, Kalifornien
4. Simi Valley, Kalifornien
5. Oxnard, Kalifornien
6. Santa Barbara, Kalifornien
7. San Luis Obispo, Kalifornien
8. Paso Robles, Kalifornien
9. Salinas, Kalifornien
10. San José, Kalifornien
11. Oakland, Kalifornien
12. Emeryville, Kalifornien – 30 Bus-Minuten von San Francisco entfernt
13. Martinez, Kalifornien
14. Davis, Kalifornien
15. Sacramento, Kalifornien
16. Chico, Kalifornien
17. Redding, Kalifornien
18. Dunsmuir, Kalifornien
19. Klamath Falls, Oregon
20. Chemult, Oregon
21. Eugene-Springfield, Oregon
22. Albany, Oregon
23. Salem, Oregon
24. Portland, Oregon
25. Vancouver, Washington – nicht das in Kanada!
26. Kelso-Longview, Washington
27. Centralia, Washington
28. Olympia-Lacey, Washington
29. Tacoma, Washington
30. Seattle, Washington – Ankunft um 19.56 Uhr des Folgetages

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4. Tag – Von Los Angeles nach Santa Barbara – 12. November 2018

Das muss also das sein, was in der Alltagssprache „runterkommen“ heißt. Soso.

Abfahrt!

Abfahrt!

Ich sitze am Strand von Santa Barbara und kann gar nicht fassen, wie gut es mir geht. Jetzt, im Leben sowieso, mit meiner tollen Familie, überhaupt. Dieser Ort ist so schön wie ein niederländisches Nordseebad im Frühsommer, transferiert an die Westküste der USA in Kalifornien. Und wieder bade ich meine Füße im Pazifik, finde das nach wie vor sehr unwirklich, danach kicke ich aus dem weichen Sand ein paar kleine Steine und zerbrochene Muscheln in den Ozean. Die Sonne geht hinter den Palmen um 16.50 Uhr unter, ich knipse was das Zeug hält, und mein iPhone hält die schönste Musik bereit, die ich mir vorstellen. „Everlong“ von den Foo Fighters, das höre ich immer nur bei ganz besonderen Anlässen, „So far away“ von Staind ebenso. Und, und, und. Neverending wow.

In diesen Momenten fehlt mir meine kleine, wunderbare Familie ganz besonders.

*

WAZ-Printausgabe von Dienstag!

WAZ-Printausgabe von Dienstag!

Viele aus Deutschland bombardieren mich mit Fragen, inwieweit mich die Höllenfeuer von Kalifornien beschäftigen. Die Schlagzeilen in der Heimat bestimmt Thomas Gottschalk, dessen riesengroßes Anwesen in Malibu ja komplett abgebrannt ist (siehe vorgestern).

Ja, es beschäftigt mich schon deshalb, da es in Los Angeles Gesprächsthema Nummer eins war. Auf der Tribüne im Coliseum, in den Bahnen, bei Starbucks, in der Hotel-Lobby – wo auch immer. Auf allen Nachrichtensendern (und hier gibt es davon viele) geht es rund um die Uhr ums Feuer, die Zeitungen drucken auf den Titelseiten bedrückende Bilder.

Und in Santa Monica bekam ich es am Samstag ja hautnah mit. Viele Menschen mit Mundschutz, Rauchwolken wie bei 9/11 in New York, der Geruch von brennendem Holz – so schnell vergesse ich das nicht.

Und jetzt sitze ich nach einem ereignislosen Check-out-Vormittag in L.A.-Downtown seit 9.45 Uhr im Zug „Coast Starlight“, der mich 168 Kilometer Richtung Norden nach Santa Barbara bringen soll und halte auf unbestimmte Zeit bei Chatsworth. Die Durchsagen sind spärlich, und mein iPhone hat nur Horror-News für mich.

Am Strand von Santa Barbara.

Am Strand von Santa Barbara.

Chatsworth liegt knapp außerhalb von Los Angeles, neun Kilometer vor dem nächsten planmäßigen Zug-Halt „Simi Valley“. Und Twitter verrät, dass sich genau dort, in Simi Valley, am Highway 101 (und damit an den Gleisen) ein neues Feuer entzündet hat. Soeben.

Uff.

Ich gestehe, dass mir vor ein paar Minuten das Herz ganz schön in die Hose gerutscht ist. Und da ist es jetzt immer noch. Mir gehen so viele Gedanken durch den Kopf, während ich diesen Beitrag und noch mit meiner Frau schreibe: Neun Kilometer sind nicht weit und hier direkt an den Gleisen ist es auch verdammt bewaldet und trocken – was mache ich, wenn sich das Feuer ausbreitet? Schnell rennen in die kalifornische Prärie? Koffer und alles andere zurücklassen? Wie komme ich hier von Chatsworth im größten Notfall weg? Welche Telefonnummer hat der ADAC? Organisiert Amtrak (die amerikanische DB) Ersatzbusse? Aber über welche Straßen sollen die fahren, ist ja alles gesperrt!!? Hier gibt es keine Hotels, wer weiß, ob hier jemand schon einmal Airbnb gehört hat. In L.A. habe ich ebenfalls kein Zimmer mehr – und ich muss doch Mittwochabend in Seattle sein. Da geht am Samstag mein Rückflug! Wie komme ich dorthin, wenn die Zugstrecke gesperrt sein sollte? Mietwagen? Sind alle weg, wenn Chatsworth evakuiert werden muss! Zug auch nicht; ich checke eilig den Flugplan – Einzelflug nach Seattle 300 Dollar. Bravo. Ich müsste aber erst zurück nach L.A. kommen. Was passiert bei einer Massenpanik im Zug? Ich mustere die Mitreisenden in meinem Waggon! Ach fuck, alles scheiße.

Sonnenuntergang in Santa Barbara!

Sonnenuntergang in Santa Barbara!

Ruhig bleiben und hoffen. Die übrigen Fahrgäste stellen die Lehne des Sitzes nach hinten und ratzen ne Runde. Die haben alle etwas mehr die Ruhe weg als ich.

*

Nach zwei Stunden und 15 Minuten Stillstand kam gerade die wichtigste Nachricht des Tages: Es geht weiter. Langsam, aber es geht weiter. Der Brand ist unter Kontrolle, der Highway wieder freigegeben. Wir tuckern im Schritttempo durch den Santa Susana Tunnel, als wir diesen verlassen, sehen wir die Rauchschwaden, die Hubschrauber, die Feuerwehr-Autos. Eine Katastrophe direkt vor unseren Augen.

Die restliche Fahrt bis Santa Barbara entschädigt dann für diesen Schock, macht ihn fast vergessen. Es ist atemberaubend. Warum kennt diesen Zug in Deutschland niemand??? Weite Teile der Strecke führen direkt am Strand entlang. Ozean, Strand, Gleis. Herrlich. Die Sonne steht am blauen Himmel, überraschend wenig Badegäste tummeln sich im Sand – hier kann ich nichts lesen, schreiben, hören; ich muss hinaus schauen. Immer und immer und immer.

*

26 Grad, schrieb ich das schon?

26 Grad, schrieb ich das schon?

Es ist Abend geworden, 18.45, 19 Uhr, irgendwas um den Dreh. Nach meinem Aufenthalt am Strand sitze ich in einem dänischen (!) Café-Restaurant auf der „State Street“, das ist die Haupt-Einkaufsstraße in diesem 90.000-Einwohner-Strandbad, habe iPad und Reiseführer aufgeklappt. Es sind noch angenehm spätsommerliche 21 Grad, und das am 12. November. Ich blättere ein wenig in dem Buch, das ich mitgenommen habe, und erfahre, dass Santa Barbara die teuersten Immobilienpreise der USA hat; Durchschnittspreis 1,13 Millionen Dollar. Kein Wunder. Die Touristen, die vorbeischlendern, sehen ebenfalls deutlich betuchter aus als die in Hollywood und Venice, sind eher mittelaltrig. Niemand will hier CDs an den Touristen bringen. Die Preise in den Restaurants können sich sehen lassen. Punk ist hier wenig, naja, Lagwagon kommen immerhin hierher.

Aber im Stadtkern ist es ebenfalls einfach nur niedlich. Nach einem Brand im 19. Jahrhundert wurde die Stadt im spanischen Missionsstil neu aufgebaut, Ufer und Straßen prägen Palmen – und selbst die Straßenschilder wirken künstlerisch wertvoll.

Ham & Cheese Strudel. Nun ja.

Ham & Cheese Strudel. Nun ja.

Ich bestelle „Ham & Cheese Strudel“ für 8,95 Dollar – und bin äußerst gespannt, was sich dahinter verbirgt. „Ist sehr süß“, sagt eine von oben bis unten tätowierte Bedienung, die so gar nicht in dieses Stadtbild passen mag. Und, liebe Freunde, DAS war wirklich seltsam, aber doch lecker. Normaler Strudelteig mit Marzipan-Note, aber dann Cheddar-Käse und Schinken eingebacken. Wow.

Jetzt werde ich mich ganz langsam auf den Weg zurück zum Hotel machen, um dann das Monday Night Game der NFL zwischen den San Francisco 49ers und den New York Giants zu schauen – sportlich so wertvoll wie VfB Stuttgart gegen Hannover 96 in der Bundesliga. Egal, gucken werde ich es trotzdem, ist ja ein NFL-Trip. In Deutschland beginnen die Montagsspiele immer um 2.15 Uhr, „unschaubar“ quasi. Hier in Kalifornien ist das 17.15 Uhr.

Gute Nacht!

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3. Tag – Los Angeles – 11. November 2018

Langsam humpelt Russell Wilson im Los Memorial Coliseum, dieser beeindruckenden, fast schon etwas Angst machenden Riesenschüssel voller Sportgeschichte und Emotionen, von der Kabine der Seattle Seahawks Richtung Presse-Zelt. Er trägt eine Jacke mit der Aufschrift „Malibu“ und nachdem er ein, zwei Sätze zu diesem großartigen American-Football-Spiel, das die Seahawks soeben mit 31:36 bei den LA Rams verloren haben, gesagt hat, begründet er die Wahl seiner Jacke: „Tough times for the area of Los Angeles.“ Er redet vom Amoklauf im Vorort Thousand Oaks vor einer Woche, von den verheerenden Waldbränden, die hier täglich allgegenwärtiger erscheinen, da nahezu jeder schwerreiche NFL-Profi Freunde in Malibu hat, jenem Promi-Strandparadies, das nahezu komplett abgebrannt ist.

*

Ein Traum wird wahr, Teil 1

Ein Traum wird wahr, Teil 1

Um 7 Uhr stehe ich auf, reiße meine Vorhänge auf und sehe: Der nächste supersonnige Sommertag im November erwartet mich. Heute ist DER Tag hier in L.A. – ich werde ein NFL-Spiel meiner Seahawks bei den schier übermächtigen Los Angeles Rams sehen. Noch nie in der Ära von Quarterback Russell Wilson waren die Hawks so krasser Außenseiter.

Seit gestern weiß ich, wo es langgeht. Hotelausgang „Figueroa Street“, links, 400 Meter geradeaus, drei Straßen überqueren, links zur Metro, sechs Haltestellen und dann beim Halt „USC / Expo Park“ raus.

Arbeitsplatz in der „Press Box“.

Mein Sitzplatz – mit Dach überm Kopp.

Ich erreiche Gate 1, den berühmten Haupteingang dieses 93.000-Zuschauer-Runds (Drehort der zweiten „24“-Staffel), schon gegen 10.30 Uhr, bleibt noch genug Zeit, um auf die gegenüberliegende Seite zu „meinem“ Eingang an Gate 14 zu kommen, da liegt eine Karte zum Abholen. „Will Call“ nennt sich dieser Prozess. Ich spaziere an Campingwagen vorbei, an Parkplätzen – und ja, es ist kein Vorurteil, viele NFL-Fans grillen wirklich direkt neben ihrem Auto. Das ist eine ganz eigene, individuelle Kultur – aber keine, die ich als bekennender Grillfleisch-Fan, ablehnen würde. An Gate 8 geht es plötzlich nicht mehr weiter. „Nur mit Pressekarte!“, sagt ein Security-Mann.

Der Security-Mann bringt mich persönlich zu Gate 14. Wir kommen ins Gespräch, er ist Fan der Oakland Raiders (die sind so schlecht!) und ich merke schnell, dass der Satz „I‘m from Germany and its my first time at the LA Coliseum“ ein Türöffner für viele geographische Probleme ist.

Was für eine Schüssel, das LA Coliseum.

Was für eine Schüssel, das LA Coliseum.

Der „Will-Call“-Prozess ist eine Sache von Sekunden und als einer der ersten betrete ich dieses monströse Stadion – Superlative kann‘s nicht genug geben. Einige Bereiche sind gerade „Under Construction“, unter anderem die Tribüne für Journalisten. Deshalb werde ich („My first time…“) in einige Container unterm Dach geführt, das ist die sogenannte „Press Box“. Anders als in der Bundesliga sitze ich hier nicht auf der Tribüne, mitten im Stadion, sondern eingepfercht in einem Raum mit Fenster. Und Dach überm Kopp. Dabei, aber nicht mittendrin.

Und doch genieße ich fortan jeden Augenblick. Alter, things to do before I die! Ein Spiel im Coliseum sehen!

Mit Bob Condotta von der Seattle Times.

Mit Bob Condotta von der Seattle Times.

Wie schon beim Super Bowl sind Spiele wie diese unfassbar gut geeinigt, sich mit Kollegen aus anderen Ländern anzufreunden. Ich treffe Bob Condotta, einen legendären Seahawks-Reporter der „Seattle Times“ – meine favorisierte Quelle für die neuesten Hawks-News. Neben mir sitzt Cam Buford vom Los Angeles Observer, der während der drei Stunden mein persönlicher Football-Coach wird. Ich weiß nicht wenig über das Spiel, aber nur ein Prozent von dem, was Cam über Football weiß. Er erklärt mir fast jeden Spielzug, wir reden über die Bundesliga („Schalke? Dortmund? Kenn ich nicht!“), über deutsche NFL-Profis (er kann mit Björn Werner, Markus Kuhn, Sebastian Vollmer und EQ St. Brown nichts anfangen), über Taktiken, verschiedene Strafen für verschiedene Vergehen, Football in Los Angeles allgemein – und genießen das Spiel, Nuggets in der Halbzeit und das Ballyhoo drumherum. Heute ist zum Beispiel „Veterans Day“, der Spieltag steht unter dem Motto „Salute to Service“. Ehemalige und aktuelle Soldaten werden geehrt, immerzu auf den riesigen Leinwänden gezeigt.

Mit Cam Buford vom LA Observer.

Mit Cam Buford vom LA Observer.

Das Spiel kurz zusammenzufassen ist kaum möglich; Seahawks-Headcoach Pete Carroll sollte es nach dem Spiel am besten machen. „Guys, I love that football game“, sagte er zu uns Reportern. Dieses Spiel hatte alles. Spektakuläre Touchdowns, Führungswechsel, atemberaubende Tackles, Spannung bis zum letzten Playcall, ein unerwartet nervöses Heim-Publikum bis zum Ende.

Die Seahawks führen nach dem ersten Drive mit 7:0, später noch mit 14:7 und im dritten Quarter nach der Halbzeitpause sogar mit 21:20. Quarterback Russell Wilson ist bis dahin in Topform, Rookie-Runningback Rashaad Penny zeigt seine beste Leistung (mit einem Touchdown) und Tyler Lockett überreicht seinen Ball nach seinem Touchdown Box-Legende Floyd Mayweather.

Seahawks-Headcoach Pete Carroll.

Seahawks-Headcoach Pete Carroll.

Doch die Rams sind nun eben die Rams – und die drei wichtigen Plays entscheiden sie für sich. Der erste: Beim Stand von 20:21 aus ihrer Sicht gelingt Robert Woods ein wichtiger Catch im dritten Down bei noch 15 zu überwindenden Yards. Bitter für die Hawks! Der zweite: Nachdem Kicker Sebastian Janikowski per Field Goal für die Hawks auf 24:26 verkürzt, versucht er einen Onside Kick, um in Ballbesitz zu bleiben. Ein riskanter Spielzug, der ohnehin nur in einem von zehn Versuchen klappt. Auch diesmal nicht. Ob ein Onside Kick neun Minuten vor Schluss nötig ist? Die Rams punkten, erhöhen auf 29:24. Der dritte: Wilson schenkt nur kurze Zeit später den Ball leichtfertig ab. Fumble. Touchdown Rams zum 36:24. Game Over. Cam verabschiedet sich schon Richtung Kabinengang.

Game Over? 116 Sekunden vor Schluss verkürzen die Seahawks plötzlich auf 31:36 und kommen durch starke Defensivarbeit und geschickt genommene Auszeiten schnell wieder in Ballbesitz. Ein Touchdown – und es gibt den überraschenden Auswärtssieg! Doch der entscheidende letzte Pass von Wilson Sekunden vor dem Ende ist unvollständig – „incomplete“. Schluss, verloren. „Whose house?“ dröhnt durch die Lautsprecher. „RAMS HOUSE“, antworten die verbliebenen Fans.

Seahawks-Quarterback Russell Wilson

Seahawks-Quarterback Russell Wilson

Ich packe zusammen, schaue auf meine Karte, Kabinenzugang. Soll über Gate 11 funktionieren. Tja, aber – wie überraschend – ich verlaufe mich natürlich und als ich schließlich den Innenraum erreiche („My first time…“), ist fast alles gelaufen. Ich bekomme noch die Pressekonferenzen von Carroll und Wilson mit, einige Spieler wie Linebacker Bobby Wagner sagen noch etwas.

In der Dunkelheit verlasse ich das Coliseum, schwebe ein wenig über den Ventura Boulevard und steige beschwingt in die Metro zurück Richtung Downtown. Wow, das hat sich ja mal gelohnt. Tolles Spiel, tolles Stadion, tolle Leute kennengelernt, Football-Nachhilfestunden bekommen.

Mit einem Sandwich und Apfelkuchen klingt der Abend aus, ich schaue das späte Spiel Dallas Cowboys gegen Philadelphia Eagles. „Sunday Night Football“ beginnt in Deutschland immer um 2.15 Uhr, ha, diesmal kann ich sogar wachbleiben.

Als ich feststelle, dass mir die sensationelle Leistung von Dallas-Runningback Zeke Elliott einen Sieg im Fantasy-Football-Match gegen meinen Trauzeugen Felix beschert, rundet das diesen wunderbaren Tag ab.

Seahawks-Linebacker Bobby Wagner

Seahawks-Linebacker Bobby Wagner

Morgen ist meine Zeit in L.A. vorbei. Leavin‘ Los Angeles never easy? Naja, ich weiß nicht; ich freue mich sehr auf das, was noch kommt.
*

Und jetzt gibt‘s noch eine Zugabe – und zwar den Text, den ich für die Online-Portale der Funke-Gruppe verfasste – mit der Zeile „Warum es die NFL in Los Angeles schwer hat“.

Als die Sonne hinter dem Los Angeles Memorial Coliseum verschwand, dröhnte ein letztes Mal am Sonntagabend durch die Boxen: „Whose house?“ Und die noch verbliebenen Football-Fans der Los Angeles Rams antworteten: „Rams house!“ Wer spielt zu Hause? Die Rams spielen zu Hause! Die Rams sind der größte Super-Bowl-Anwärter der aktuellen Saison in der Profiliga NFL, haben neun von zehn Spielen gewonnen – und doch spielt American Football in der 13-Millionen-Einwohner-Stadt keine große Rolle.

Und das in Los Angeles, der Stadt der ewigen Sonne, bekannt für Hollywood und Disneyworld, lässiges Strandleben am Pazifik, Dauerstau auf den Highways, Glamour in Beverly Hills, Gang-Kriege im Süden, eine einzige große Kulisse. Ausgerechnet um diese Hauptstadt des 24-Stunden-Entertainments machte das größte Unterhaltungs-Business des Weltsports von 1995 bis 2015 einen großen Bogen.

Die Akkreditierung - wird aufbewahrt!

Die Akkreditierung – wird aufbewahrt!

Bis die Teambesitzer und die Chefs der NFL-Dachorganisation beschlossen, zwei Teams umzusiedeln – als würde Schalke auf einmal in Flensburg spielen und der FC Bayern nach Mülheim an der Ruhr umziehen. In Amerika geht so etwas, da zählen Tradition und Fan-Liebe im Profisport nichts.

Zunächst kamen 2016 die Rams. „20 Jahre kein Football – und dann sollen sofort die Leute kommen? So schnell geht das nicht“, sagt Cam Buford, Football-Experte vom „Los Angeles Observer“. Die Rams kehrten aus St. Louis im Bundesstaat Missouri zurück. Das ist 2800 Kilometer entfernt, weiter als Essen von Moskau. Meist sind es die Fans der Gegner, die das Coliseum füllen, so wie am Sonntag die der Seattle Seahawks. „Durch den Erfolg wird es etwas besser“, sagt Buford. 72.000 Zuschauer kamen am Sonntag und sahen ein 36:31-Feuerwerk – doch 21.000 Plätze blieben leer. Die Universitäts-Mannschaft der USC Trojans lockt nicht viel weniger Football-Fans an. „Das ist einfach eine Basketball-Stadt“, sagte Rams-Runningback Todd Gurley, momentan der beste Offensivspieler der NFL, einmal.

Bei den Chargers ist die Situation noch dramatischer. Die zweite Mannschaft aus Los Angeles kam ein Jahr nach den Rams aus San Diego. Das ist „nur“ 200 Kilometer entfernt an der mexikanischen Grenze. Die Chargers sind fast so erfolgreich wie die Rams, gewannen von neun Spielen sieben. Doch sie stehen mal wieder mit großem Abstand am Tabellenende der NFL-Zuschauertabelle. „Die Chargers interessieren niemanden. „Da ist American Football in Deutschland populärer als die Chargers in L.A.“, sagt Buford. Als die Rams auf die Chargers trafen, zum Derby ohne Tradition, kamen 68.000 Zuschauer – der zweitschlechteste Rams-Besuch in dieser Saison.

Was für ein berühmtes Stadion!

Was für ein berühmtes Stadion!

Gerüchte über eine erneute Umsiedlung der Chargers verneinte NFL-Boss Roger Goodell. „Die Rams und die Chargers haben spannende junge Mannschaften. Das wird helfen in den kommenden zwei Jahren“, sagt Goodell.

Denn das Projekt ist bei allen Start-Schwierigkeiten langfristig angelegt. Die große Hoffnung beider Teams ist das Inglewood Stadium, das gerade in der Nähe des Flughafens für 2,6 Milliarden Dollar entsteht und nach der Eröffnung im Jahr 2020 das modernste Stadion der Welt sein wird. Dort sollen dann die Rams und die Chargers spielen – vor bis zu 100.000 Zuschauern.

Momentan spielen die Chargers im StubHubCenter, Fassungsvermögen 27.000. Ausverkauft ist es nur selten.

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2. Tag – Los Angeles – 10. November 2018

Los Angeles an einem Tag.

Was für eine Aufgabe.

Am Santa Monica Pier bei 26 Grad.

Am Santa Monica Pier bei 26 Grad.

Geschlafen habe ich nicht besonders gut, was nicht außergewöhnlich ist nach so einer heftigen Reise und mit einer Neun-Stunden-Zeitverschiebung. Zum ersten Mal wach war ich um 23 Uhr (8 Uhr MEZ), dann noch um 1 Uhr, 3 Uhr und 5 Uhr. Um 7.30 Uhr stehe ich schließlich auf, befinde meine körperliche Konstitution für „ausreichend fit“, und bin geflasht. Als ich die Vorhänge meines Zimmers in der 23. Etage aufreiße, geht steht die Sonne schon über der Skyline von Downtown L.A. – ein Tag mit 26, 27 Grad erwartet mich. Im November.

Los Angeles an einem Tag.

Was für eine Aufgabe.

Was soll ich nur tun? Die Sonne hier geht – wie in Deutschland – äußerst früh unter, heute gegen 16.50 Uhr; etwa 30 Minuten später ist es stockfinster. Viel Zeit wird nicht bleiben. Ich entscheide mich, wenn ich schon einmal hier bin, für eine Strandtour bis zum berühmten Santa Monica Pier und dann einen Spaziergang bis nach Venice, wo eine meiner Lieblings-TV-Serien („Californication“ mit David Duchovny) gedreht wurde. Wenn etwas Zeit bleibt, werde ich mich noch „Wo bitte geht‘s nach Hollywood?“ fragen. Es werden am Ende des Tages 25.800 Schritte, so viel sei vorweggenommen.

... ist übrigens das Ende der legendären „Route 66“.

… ist übrigens das Ende der „Route 66“.

Ich verlasse mein Hotel in Shorts und T-Shirt, die Sonnenbrille auf der Nase, fühle mich dabei nicht so schlecht wie ich sollte, und steige in der Metro-Station „7th Street / Metro Center“, 300 Meter von meinem Hotel entfernt, in die „Expo Line“, die den ganzen Exposition Boulevard entlangfährt und Downtown direkt mit Santa Monica verbindet. Diese Bahnlinie wurde erst vor ein wenigen Jahren eröffnet, ich finde sie sehr schnell echt praktisch.

55 Minuten dauert die Fahrt und sie führt am berühmten „Staples Center“ entlang, wo die die LA Lakers mit LeBron James Basketball und die LA Kings Eishockey spielen – und wo so ziemlich jede große US-Sportveranstaltung der vergangenen Jahre stattgefunden hat. Dann passieren wir schnell den „Exposition Park“. Gut zu wissen, denn dort liegt das Los Angeles Memorial Coliseum, das ich morgen besuchen werde. Doch nicht nur das: Das „Bank of California Stadium“ ist dort zu finden (Fußball!), das nationale Haupt-Schwimmbad, einfach alles, was 2028 bei den Olympischen Sommerspielen benötigt wird. Vorbei geht‘s an der University of Southern California (USC). Das College-Football-Team USC Trojans lockt im Schnitt 50.000 Fans an.

Californication.

Den Californication-Soundtrack im Ohr.

Weiter geht es durch den Süden der Stadt – und hier ist „Gangland“. Hier regieren offenbar die Clans weitgehend ohne Zugriff der Polizei; auch das ist, war, wird in vielen Filmen und Serien dargestellt. Der West-Coast-Rap um Dr. Dre und Snoop Dogg ist wohl hier entstanden. Alle innerstädtischen Bereiche unterhalb des Highways Interstate-10 (kurz: I-10) Stadtbezirke wie Watts, Crompton, Inglewood und noch viele mehr, solle man vor allem nach Einbruch der Dunkelheit meiden, heißt es; und 30 Prozent des Stadtgebiets sind damit eine No-Go-Area. Sehenswürdigkeiten gebe es dort aber sowieso nicht, heißt es.

Ich steige in einer der gefährlichsten Gegenden der USA nicht aus, ab Culver City in Ozean-Nähe wird es laut Büchern, Internet usw. wieder sicherer – und schließlich erreichen wir Santa Monica Downtown. Dass es eine heikle Aufgabe wird, ist schon auf dem Fußweg von der Bahn zum Strand zu spüren, besser: zu riechen. Das Höllenfeuer, das sich gerade durch die Wälder bei Malibu frisst, stört meine Nase. Der Geruch erinnert mich an eine finnische Sauna mit Holzofen – aber das sind ja durchweg positive Assoziationen. Ich erreiche den berühmten Santa Monica Pier, anders: die Santa Monica Kirmes mit Achterbahn, Riesenrad, Fress und Nippesständen. Viele tragen hier aber einen Mundschutz; ich nicht, habe keinen dabei. Kein Wunder, denn dieser Strandabschnitt befindet sich mitten in einer Rauchwolke, die Sicht ist nicht gut. Was tun? Sofort wieder fahren, um meine Lungenflügel zu schonen?

Wo bitte geht‘s nach ...

Wo bitte geht‘s nach …

Nee, bin ja nur einmal in zehn Jahren hier. Ich wähle den Strandweg. Theatralisch bin ich selbst, wenn ich allein bin, deshalb schiebe ich die AirPods in meine Ohren und schalte den Californication-Soundtrack an. „You can‘t always get what you want“ von den Rolling Stones zum Beispiel, „Check my Brain“ von Alice in Chains – und natürlich das großartige „Nothingman“ von Pearl Jam. Ich bade meine Hände und Füße im Pazifik, das klingt immer abenteuerlich, da der Pazifik für Europäer eine andere Welt bedeutet, und passiere dann „Muscle Beach“. Dort begann einst Arnold Schwarzeneggers Bodybuilding-Karriere, da hier Muskelpakete ihre aufgeputschten Muckis zeigen. Zuweilen heißt es, die gesamte Bodybuilding-Industrie hatte hier ihren Ursprung. Jogger drehen ihre Runden – und auf dem Radweg Fahrradfahrer. Dutzende, rücksichtslose Fahrradfahrer. Nach zwei Kilometern, vielleicht auch zweieinhalb, wechsle ich den kalifornischen Sand mit dem harten Bürgersteig auf dem „Venice Boardwalk“, einer etwas anderen Strandpromenade. Musiker bauen um 12 Uhr gerade ihre Instrumente auf – wie Becca Moody mit Gitarre in „Californication“. Vorher steht hier niemand auf. Der Duft von Marihuana liegt in der Luft, auch das kommt mir aus der TV-Serie mächtig bekannt vor – Gras ist ja in Kalifornien nicht mehr illegal. Die Zahl der Obdachlosen nimmt stetig zu, und überhaupt sind diese „homeless people“ im Stadtgebiet allgegenwärtig. So sehr, dass sie mir kaum noch auffallen; was ich bedauere, als ich es bemerke. Mein Fußweg endet schließlich ein paar Querstraßen weiter an den „Venice Canals“, die dem Stadtteil ihren Namen gaben – Venice bedeutet übersetzt Venedig. Die künstlich angelegten Kanäle sind wirklich schick. Hier kotzte David Duchovny fürs Fernsehen ins Wasser.

Hollywood Boulevard

Hollywood Boulevard

Am Venice Boardwalk geht‘s dann schnell zurück – der Rauch in der Nase stört mich enorm; da ist selbst Gras angenehmer. Zurück am Santa Monica Pier hat sich die Wolke etwas verzogen, am Horizont sind die Schwaden über den Wäldern sogar zu erahnen. In diesen Minuten, werde ich am nächsten Tag erfahren, brennt Thomas Gottschalks Anwesen ab. Tschüss Santa Monica, tschüss Malibu, mit der „Expo Line“ fahre ich zurück nach Downtown.

Um 14.30 Uhr erreiche ich „7th Street / Metro Center“, eindeutig zu früh, um den Tag zu beenden. Ich steige um in die Red Line Richtung „North Hollywood“. An der Haltestelle „Hollywood / Highland“ verlasse ich die Bahn und nach zwei Endlos-Rolltreppen befinde ich mich hollydiewaldfee auf dem berühmten Hollywood Boulevard.

Es ist eine Freakshow; immer noch. Nur in Las Vegas blinkt es schlimmer, hier darf innerhalb eines Quadratkilometers jeder sagen, was er will, hat was von Londons „Speakers Corner“. Eine #MeToo-Aktivistin brüllt Parolen, an zwei Ständen predigen Christen, über den Bürgersteig flanieren Satanisten. Zwischendurch buhlen Mickey Mouse, Spiderman, Superman um ein paar Dollar für Selfies. Überall riecht es nach Hotdogs. Alle trampeln über Donald Trumps Stern auf dem Boulevard. Niemand bemerkt es. Und das Beste: All das ist keine Übertreibung.

Der hat auch nen Stern.

Der hat auch nen Stern.

Die berühmten Fuß- und Handabdrücke von Filmstars vor dem Chinese Theatre sind nicht zu sehen – ein roter Teppich liegt darüber. Irgendein Filmfestival ist da am Abend, ach was weiß ich. Ich betrete das „La La Land“, einen riesenriesengroßen Souvenirladen – größer fast als jedes Museum, das ich jemals betreten habe. Ich kaufe für meine Familie ein, spaziere dann noch am „Selfie Museum“ vorbei (das gibt es hier wirklich!), an Madame Tussauds und dem „Wax Museum“ (ja, es gibt zwei davon innerhalb von wenigen Metern), vielen Anbietern von „Movie Stars Homes“-Touren, die auch Rundfahrten durch die Promi-Stadtviertel bedeuten (keine Zeit dafür heute, ist dazu noch extrem beschämend). Zum Abschluss, bei einbrechender Dämmerung, flaniere ich durchs Einkaufszentrum „Hollywood / Highland“, das eine perfekte Sicht auf das (auch durch Rauch eingenebelte) „HOLLYWOOD“-Sign in den Bergen bietet. Ich fotografiere pflichtbewusst, knipsknips, und sehe dann im Innenhof der Mall vier aufgebaute Buchstaben, die „IDOL“ ergeben. Hier wird offenbar heute, morgen, whatever, eine Folge der US-Variante von „Deutschland sucht den Superstar“ übertragen. Schöne, bunte Hollywood-Welt.

Ich spaziere zurück zur Metro-Haltstelle, mittlerweile ist es dunkel. All das hier ist Los Angeles – und doch nichts davon. Jeder fühlt sich zu seinem Stadtviertel zugehörig. Das ist für Großstädte gewiss nicht ungewöhnlich, in Deutschland gibt‘s auch die Kieze, aber hier ist das besonders extrem.

Mein Hotel von draußen.

Mein Hotel von draußen.

Die Reichen, Schönen oder die, die es irgendwann werden wollen, reden von Bel Air, Beverly Hills, Hollywood Hills; dort stehen die Villen, dort steigen die tausendfach dargestellten Black-Jack-Koks-und-Nutten-Partys. Die Touristen reden meist (nur) von Hollywood, Disneyland, den Universal Studios, wo auch immer sie sich gerade aufhalten. Die Gangs im Süden der Stadt kommen, sagen sie (bestimmt, gefragt habe ich sie nicht, bin ja nicht ausgestiegen), kommen aus Watts, Crompton, Inglewood, South Central. Die Studenten identifizieren sich sehr mit der USC oder der University of California (UCLA). Selbst der Flughafen wird hier nicht mit vollem Namen genannt, sondern nur „LAX“. Und, und, und. Nur von Downtown redet hier niemand. Hier gibt es viele Banken, noch mehr Hotels, ein paar Bahnhöfe und Einkaufszentren. Am Wochenende ist hier abends kaum jemand unterwegs, wenn in den Banken niemand arbeitet und die Geschäfte um 19 Uhr schließen. Um 19 Uhr!

Alles hier ist Kulisse, Fassade. Vieles ist cool, hip oder möchtegernhip. In jeder U-Bahn ist jeder zweite so gestylt, das er im Ruhrgebiet sofort auffallen würde. Hier fällt niemand auf. Aber genauso ist auch vieles arm, obdachlos, völlig fertig.

Am Ende des Tages, als ich in der 23. Etage in Zimmer 2371 erschöpft ins Bett sinke, bleiben vier Erkenntnisse:

1. Ja, es riecht wirklich an jeder fünften Straßenecke nach Marihuana. In manchen Stadtvierteln **husthust** Venice **räusper** sogar an jeder zweiten. Und ich habe wirklich versucht, unvoreingenommen an die Sache heranzugehen.

2. Immer noch, genau wie vor knapp zehn Jahren, ist die Metro unglaublich billig – und keine Sau nutzt sie. Als würde ein Fluch über U-Bahnen allgemein liegen oder die katastrophalen Staus auf den High- und Freeways einen Katharsis-Effekt für die promiske und verdorbene Gesellschaft von L.A. hätte. Ach ja, wer sich fragt, wie günstig die Bahn hier ist: 1,75 Dollar für eine Strecke (egal wie weit), 7 Dollar für den Tag. Und wir reden von L.A., fast so groß wie das Ruhrgebiet.

3. Wer sich einigermaßen mit Film und Fernsehen beschäftigt hat (und glaubt mir, es gibt eine Menge Menschen, die das ausführlicher als ich gemacht haben), entdeckt alle zehn Minuten einen Drehort. Mein Hotel zum Beispiel war im Chris-Nolan-Film „Interstellar“ die Nasa der Zukunft. Hach, „Interstellar“, ein toller Film. Schaue ich auf dem Rückflug, vielleicht. Das ist so ein Beispiel von Tausenden.

4. Der Versuch, ahnungslose Touristen zu verarschen, egal wo, besteht in Los Angeles darin, scheinbar aus purer Nächstenliebe gebrannte CDs zu überreichen, als wären es Flyer für die nächste Disco. Wenn man sie annimmt und sich dafür artig bedankt, tauchen aber wie aus dem Nichts fünf Personen auf und verlangen ein „Tip“ dafür, also ein Trinkgeld. Die Forderungen beginnen bei 20 Dollar. Selbst den Fehler gemacht.

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