2. Tag – Los Angeles – 10. November 2018

Los Angeles an einem Tag.

Was für eine Aufgabe.

Am Santa Monica Pier bei 26 Grad.

Am Santa Monica Pier bei 26 Grad.

Geschlafen habe ich nicht besonders gut, was nicht außergewöhnlich ist nach so einer heftigen Reise und mit einer Neun-Stunden-Zeitverschiebung. Zum ersten Mal wach war ich um 23 Uhr (8 Uhr MEZ), dann noch um 1 Uhr, 3 Uhr und 5 Uhr. Um 7.30 Uhr stehe ich schließlich auf, befinde meine körperliche Konstitution für „ausreichend fit“, und bin geflasht. Als ich die Vorhänge meines Zimmers in der 23. Etage aufreiße, geht steht die Sonne schon über der Skyline von Downtown L.A. – ein Tag mit 26, 27 Grad erwartet mich. Im November.

Los Angeles an einem Tag.

Was für eine Aufgabe.

Was soll ich nur tun? Die Sonne hier geht – wie in Deutschland – äußerst früh unter, heute gegen 16.50 Uhr; etwa 30 Minuten später ist es stockfinster. Viel Zeit wird nicht bleiben. Ich entscheide mich, wenn ich schon einmal hier bin, für eine Strandtour bis zum berühmten Santa Monica Pier und dann einen Spaziergang bis nach Venice, wo eine meiner Lieblings-TV-Serien („Californication“ mit David Duchovny) gedreht wurde. Wenn etwas Zeit bleibt, werde ich mich noch „Wo bitte geht‘s nach Hollywood?“ fragen. Es werden am Ende des Tages 25.800 Schritte, so viel sei vorweggenommen.

... ist übrigens das Ende der legendären „Route 66“.

… ist übrigens das Ende der „Route 66“.

Ich verlasse mein Hotel in Shorts und T-Shirt, die Sonnenbrille auf der Nase, fühle mich dabei nicht so schlecht wie ich sollte, und steige in der Metro-Station „7th Street / Metro Center“, 300 Meter von meinem Hotel entfernt, in die „Expo Line“, die den ganzen Exposition Boulevard entlangfährt und Downtown direkt mit Santa Monica verbindet. Diese Bahnlinie wurde erst vor ein wenigen Jahren eröffnet, ich finde sie sehr schnell echt praktisch.

55 Minuten dauert die Fahrt und sie führt am berühmten „Staples Center“ entlang, wo die die LA Lakers mit LeBron James Basketball und die LA Kings Eishockey spielen – und wo so ziemlich jede große US-Sportveranstaltung der vergangenen Jahre stattgefunden hat. Dann passieren wir schnell den „Exposition Park“. Gut zu wissen, denn dort liegt das Los Angeles Memorial Coliseum, das ich morgen besuchen werde. Doch nicht nur das: Das „Bank of California Stadium“ ist dort zu finden (Fußball!), das nationale Haupt-Schwimmbad, einfach alles, was 2028 bei den Olympischen Sommerspielen benötigt wird. Vorbei geht‘s an der University of Southern California (USC). Das College-Football-Team USC Trojans lockt im Schnitt 50.000 Fans an.

Californication.

Den Californication-Soundtrack im Ohr.

Weiter geht es durch den Süden der Stadt – und hier ist „Gangland“. Hier regieren offenbar die Clans weitgehend ohne Zugriff der Polizei; auch das ist, war, wird in vielen Filmen und Serien dargestellt. Der West-Coast-Rap um Dr. Dre und Snoop Dogg ist wohl hier entstanden. Alle innerstädtischen Bereiche unterhalb des Highways Interstate-10 (kurz: I-10) Stadtbezirke wie Watts, Crompton, Inglewood und noch viele mehr, solle man vor allem nach Einbruch der Dunkelheit meiden, heißt es; und 30 Prozent des Stadtgebiets sind damit eine No-Go-Area. Sehenswürdigkeiten gebe es dort aber sowieso nicht, heißt es.

Ich steige in einer der gefährlichsten Gegenden der USA nicht aus, ab Culver City in Ozean-Nähe wird es laut Büchern, Internet usw. wieder sicherer – und schließlich erreichen wir Santa Monica Downtown. Dass es eine heikle Aufgabe wird, ist schon auf dem Fußweg von der Bahn zum Strand zu spüren, besser: zu riechen. Das Höllenfeuer, das sich gerade durch die Wälder bei Malibu frisst, stört meine Nase. Der Geruch erinnert mich an eine finnische Sauna mit Holzofen – aber das sind ja durchweg positive Assoziationen. Ich erreiche den berühmten Santa Monica Pier, anders: die Santa Monica Kirmes mit Achterbahn, Riesenrad, Fress und Nippesständen. Viele tragen hier aber einen Mundschutz; ich nicht, habe keinen dabei. Kein Wunder, denn dieser Strandabschnitt befindet sich mitten in einer Rauchwolke, die Sicht ist nicht gut. Was tun? Sofort wieder fahren, um meine Lungenflügel zu schonen?

Wo bitte geht‘s nach ...

Wo bitte geht‘s nach …

Nee, bin ja nur einmal in zehn Jahren hier. Ich wähle den Strandweg. Theatralisch bin ich selbst, wenn ich allein bin, deshalb schiebe ich die AirPods in meine Ohren und schalte den Californication-Soundtrack an. „You can‘t always get what you want“ von den Rolling Stones zum Beispiel, „Check my Brain“ von Alice in Chains – und natürlich das großartige „Nothingman“ von Pearl Jam. Ich bade meine Hände und Füße im Pazifik, das klingt immer abenteuerlich, da der Pazifik für Europäer eine andere Welt bedeutet, und passiere dann „Muscle Beach“. Dort begann einst Arnold Schwarzeneggers Bodybuilding-Karriere, da hier Muskelpakete ihre aufgeputschten Muckis zeigen. Zuweilen heißt es, die gesamte Bodybuilding-Industrie hatte hier ihren Ursprung. Jogger drehen ihre Runden – und auf dem Radweg Fahrradfahrer. Dutzende, rücksichtslose Fahrradfahrer. Nach zwei Kilometern, vielleicht auch zweieinhalb, wechsle ich den kalifornischen Sand mit dem harten Bürgersteig auf dem „Venice Boardwalk“, einer etwas anderen Strandpromenade. Musiker bauen um 12 Uhr gerade ihre Instrumente auf – wie Becca Moody mit Gitarre in „Californication“. Vorher steht hier niemand auf. Der Duft von Marihuana liegt in der Luft, auch das kommt mir aus der TV-Serie mächtig bekannt vor – Gras ist ja in Kalifornien nicht mehr illegal. Die Zahl der Obdachlosen nimmt stetig zu, und überhaupt sind diese „homeless people“ im Stadtgebiet allgegenwärtig. So sehr, dass sie mir kaum noch auffallen; was ich bedauere, als ich es bemerke. Mein Fußweg endet schließlich ein paar Querstraßen weiter an den „Venice Canals“, die dem Stadtteil ihren Namen gaben – Venice bedeutet übersetzt Venedig. Die künstlich angelegten Kanäle sind wirklich schick. Hier kotzte David Duchovny fürs Fernsehen ins Wasser.

Hollywood Boulevard

Hollywood Boulevard

Am Venice Boardwalk geht‘s dann schnell zurück – der Rauch in der Nase stört mich enorm; da ist selbst Gras angenehmer. Zurück am Santa Monica Pier hat sich die Wolke etwas verzogen, am Horizont sind die Schwaden über den Wäldern sogar zu erahnen. In diesen Minuten, werde ich am nächsten Tag erfahren, brennt Thomas Gottschalks Anwesen ab. Tschüss Santa Monica, tschüss Malibu, mit der „Expo Line“ fahre ich zurück nach Downtown.

Um 14.30 Uhr erreiche ich „7th Street / Metro Center“, eindeutig zu früh, um den Tag zu beenden. Ich steige um in die Red Line Richtung „North Hollywood“. An der Haltestelle „Hollywood / Highland“ verlasse ich die Bahn und nach zwei Endlos-Rolltreppen befinde ich mich hollydiewaldfee auf dem berühmten Hollywood Boulevard.

Es ist eine Freakshow; immer noch. Nur in Las Vegas blinkt es schlimmer, hier darf innerhalb eines Quadratkilometers jeder sagen, was er will, hat was von Londons „Speakers Corner“. Eine #MeToo-Aktivistin brüllt Parolen, an zwei Ständen predigen Christen, über den Bürgersteig flanieren Satanisten. Zwischendurch buhlen Mickey Mouse, Spiderman, Superman um ein paar Dollar für Selfies. Überall riecht es nach Hotdogs. Alle trampeln über Donald Trumps Stern auf dem Boulevard. Niemand bemerkt es. Und das Beste: All das ist keine Übertreibung.

Der hat auch nen Stern.

Der hat auch nen Stern.

Die berühmten Fuß- und Handabdrücke von Filmstars vor dem Chinese Theatre sind nicht zu sehen – ein roter Teppich liegt darüber. Irgendein Filmfestival ist da am Abend, ach was weiß ich. Ich betrete das „La La Land“, einen riesenriesengroßen Souvenirladen – größer fast als jedes Museum, das ich jemals betreten habe. Ich kaufe für meine Familie ein, spaziere dann noch am „Selfie Museum“ vorbei (das gibt es hier wirklich!), an Madame Tussauds und dem „Wax Museum“ (ja, es gibt zwei davon innerhalb von wenigen Metern), vielen Anbietern von „Movie Stars Homes“-Touren, die auch Rundfahrten durch die Promi-Stadtviertel bedeuten (keine Zeit dafür heute, ist dazu noch extrem beschämend). Zum Abschluss, bei einbrechender Dämmerung, flaniere ich durchs Einkaufszentrum „Hollywood / Highland“, das eine perfekte Sicht auf das (auch durch Rauch eingenebelte) „HOLLYWOOD“-Sign in den Bergen bietet. Ich fotografiere pflichtbewusst, knipsknips, und sehe dann im Innenhof der Mall vier aufgebaute Buchstaben, die „IDOL“ ergeben. Hier wird offenbar heute, morgen, whatever, eine Folge der US-Variante von „Deutschland sucht den Superstar“ übertragen. Schöne, bunte Hollywood-Welt.

Ich spaziere zurück zur Metro-Haltstelle, mittlerweile ist es dunkel. All das hier ist Los Angeles – und doch nichts davon. Jeder fühlt sich zu seinem Stadtviertel zugehörig. Das ist für Großstädte gewiss nicht ungewöhnlich, in Deutschland gibt‘s auch die Kieze, aber hier ist das besonders extrem.

Mein Hotel von draußen.

Mein Hotel von draußen.

Die Reichen, Schönen oder die, die es irgendwann werden wollen, reden von Bel Air, Beverly Hills, Hollywood Hills; dort stehen die Villen, dort steigen die tausendfach dargestellten Black-Jack-Koks-und-Nutten-Partys. Die Touristen reden meist (nur) von Hollywood, Disneyland, den Universal Studios, wo auch immer sie sich gerade aufhalten. Die Gangs im Süden der Stadt kommen, sagen sie (bestimmt, gefragt habe ich sie nicht, bin ja nicht ausgestiegen), kommen aus Watts, Crompton, Inglewood, South Central. Die Studenten identifizieren sich sehr mit der USC oder der University of California (UCLA). Selbst der Flughafen wird hier nicht mit vollem Namen genannt, sondern nur „LAX“. Und, und, und. Nur von Downtown redet hier niemand. Hier gibt es viele Banken, noch mehr Hotels, ein paar Bahnhöfe und Einkaufszentren. Am Wochenende ist hier abends kaum jemand unterwegs, wenn in den Banken niemand arbeitet und die Geschäfte um 19 Uhr schließen. Um 19 Uhr!

Alles hier ist Kulisse, Fassade. Vieles ist cool, hip oder möchtegernhip. In jeder U-Bahn ist jeder zweite so gestylt, das er im Ruhrgebiet sofort auffallen würde. Hier fällt niemand auf. Aber genauso ist auch vieles arm, obdachlos, völlig fertig.

Am Ende des Tages, als ich in der 23. Etage in Zimmer 2371 erschöpft ins Bett sinke, bleiben vier Erkenntnisse:

1. Ja, es riecht wirklich an jeder fünften Straßenecke nach Marihuana. In manchen Stadtvierteln **husthust** Venice **räusper** sogar an jeder zweiten. Und ich habe wirklich versucht, unvoreingenommen an die Sache heranzugehen.

2. Immer noch, genau wie vor knapp zehn Jahren, ist die Metro unglaublich billig – und keine Sau nutzt sie. Als würde ein Fluch über U-Bahnen allgemein liegen oder die katastrophalen Staus auf den High- und Freeways einen Katharsis-Effekt für die promiske und verdorbene Gesellschaft von L.A. hätte. Ach ja, wer sich fragt, wie günstig die Bahn hier ist: 1,75 Dollar für eine Strecke (egal wie weit), 7 Dollar für den Tag. Und wir reden von L.A., fast so groß wie das Ruhrgebiet.

3. Wer sich einigermaßen mit Film und Fernsehen beschäftigt hat (und glaubt mir, es gibt eine Menge Menschen, die das ausführlicher als ich gemacht haben), entdeckt alle zehn Minuten einen Drehort. Mein Hotel zum Beispiel war im Chris-Nolan-Film „Interstellar“ die Nasa der Zukunft. Hach, „Interstellar“, ein toller Film. Schaue ich auf dem Rückflug, vielleicht. Das ist so ein Beispiel von Tausenden.

4. Der Versuch, ahnungslose Touristen zu verarschen, egal wo, besteht in Los Angeles darin, scheinbar aus purer Nächstenliebe gebrannte CDs zu überreichen, als wären es Flyer für die nächste Disco. Wenn man sie annimmt und sich dafür artig bedankt, tauchen aber wie aus dem Nichts fünf Personen auf und verlangen ein „Tip“ dafür, also ein Trinkgeld. Die Forderungen beginnen bei 20 Dollar. Selbst den Fehler gemacht.

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