Ratz fatz schrammel schrammel Applaus

Drei Tage vor Weihnachten 2004 besuchte ich in der Düsseldorfer Philipshalle ein Doppelkonzert der Bands Ash aus Großbritannien und Sportfreunde Stiller aus München.

Rein in den Blog-Eintrag:

„Noch drei Tage bis Weihnachten. Andi, versetz dich in die Lage zurück. Ein ganzes Jahr ist vorbei, ein Jahr voller Uni, voller Arbeit, voller Urlaub. Voller USA, voller Finnland. Heute ist der letzte anstrengende Tag. Nur noch dieses Konzert, dann nach Hause, und dann erst einmal entspannen. Ruhig zurücklehnen und nichts tun.
72 Tage nach Weihnachten. Anfang März 2005. Der VfL Bochum steht, genauso wie anno dazumal, auf dem 16. Platz der Fußball-Bundesliga. Ach was wünschte ich damals noch… mehr Punkte, bessere Zeiten, bessere Leistungen. In der Uni bin ich immer noch keinen entscheidenden Schritt vorwärts gekommen. Nehme es mir jeden Tag vor, und doch. Flugtickets für den Sommerurlaub sind mittlerweile gebucht. Die Lücken auf meiner Konzertseite sind immer noch da. Die Fantastischen Vier, Helge Schneider und die Sportfreunde Stiller. Werd sie füllen. Ganz langsam füllen.
Seit 72 Tagen habe ich drei ganz lange Mega-sms eingespeichert. Enthalten sind die originale Playlist und verschiedene Notizen. Anmerkungen zum Konzert, zu den Sportfreunden. Lasst sie mich durchgehen.

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Kollege Brandhoff war da, aufgrund seiner Hattinger Herkunft auch der „Hügelländer“ genannt. Er arbeitet genauso wie ich für die WAZ. Gesehen habe ich ihn nicht. Geschrieben hat er Folgendes:
„Die Sportfreunde Stiller haben die Spielzeit 2004 erfolgreich beendet. Ihre Platte „Burli“ kletterte in diesem Jahr zeitweise bis auf Platz zwei der deutschen Album-Tabelle, und beim Saisonfinale in der Philipshalle wurden sie von 6000 Fans frenetisch gefeiert.
Das Vorspiel bestreiten Ash. Die Briten gehen mit ihrem grandiosen Gitarren-Gepläster gleich in die Vollen. Und das Aufwärmprogramm wirkt: Die Menge ist heiß, sie verlangt nach ihren „Sportis“.
Anpfiff 21.16 Uhr. Die Sportfreunde setzen sofort alles auf eine Karte. Sie wollen ein frühes Tor, und sie treffen im Dreierpack: „Ein kleiner Schritt“, „Lauth anhören“ (inspiriert vom ehemaligen 1860-Stürmer Benjamin Lauth) und „Auf der guten Seite“ – 3:0!
Die Mannen aus München halten sich aber auch in der Folgezeit nicht mit kontrollierter Offensive auf, sie stürmen mit Mann und Maus. Sänger und Gitarrist Peter Brugger (ein Bayern-Fan) über Links-, Bassist Rüdiger Linhof (ein 1860-Fan) über Rechtsaußen- und Schlagzeuger Florian Weber (ebenfalls Löwen-Fan) macht als hängende Spitze Druck durch die Mitte. Mannschaftlich geschlossen spielen sie ihren Stiefel herunter, lassen sich auch von zwischenzeitlichen „Zieht den Bayern die Lederhosen aus“-Gesängen nicht irritieren. „Siehst du das genauso?“ – 4:0; „Dirk, wie ist die Luft dort oben?“ (inspiriert von Basketball-Superstar Dirk Nowitzki) – 5:0; „Komm schon“ – 6:0!

Es läuft rund. Und als dann auch noch Ash-Frontmann Tim Wheeler eingewechselt wird, drehen sie so richtig auf. „Ich, Roque“ (inspiriert von Bayern-Stürmer Roque Santa Cruz) wird zum Abräumer des Abends. Sie bündeln die Kräfte und erzielen innerhalb von fünf Minuten so viele Treffer, dass man sie gar nicht mehr zählen kann – die Fans sind aus dem Häuschen.

Selbst als die „Sportis“ in der Nachspielzeit ein bisschen bei Oasis klauen und „Wonderwall“ zum Besten geben, treffen sie ins Schwarze. Die La-Ola-Welle schwappt durch die Halle, die Begeisterung findet keine Grenzen mehr.

Auch „Ein Kompliment“, eigentlich nur eine Standardsituation für die Bayern, wird zum Volltreffer. Es läuft und läuft und läuft. Und die 6000 hüpfen, singen und klatschen.

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Draußen ist es kalt. So kalt, dass ich meine Jacke anziehen muss, was ich vor Konzerten eigentlich nur recht ungern mache, da das entweder mit mehr Aufwand – Jacke wegbringen, Geld bezahlen und hinterher im Gewühl wieder abholen – verbunden ist, oder aber verdammt lästig ist. Ich bin genau pünktlich und erwische einen Stehplatz in der Mitte der Mitte. Ganz kurz überlege ich – immerhin steht „freie Platzwahl“ auf der Eintrittskarte – ob ich mich zur Feier des Tages, quasi als vorweggenommenes Weihnachtsgeschenk von mir an mich selbst, sogar setzen soll, doch ich verwerfe den Gedanken. Gesessen habe ich schon bei den Fantas. Ich schnalle mir meine Jacke um und warte auf Ash. Warte nicht mehr lange. „Ash“ aus Irland sind gemeinsam mit „Franz Ferdinand“ aus Schottland und dem Iren David Gray die bekannteste und beste Vorband, die ich in meiner Konzert-Statistik notieren darf. Sie betreten die Bühne, und lassen 40 Minuten lang einen Kracher dem nächsten folgen. Es geht ratz fatz ratz fatz, schrammel schrammel, Kopf nach oben Kopf nach unten, Arme in die Luft, klatschen klatschen ratz fatz ratz fatz, Applaus, Applaus, und vorbei. Super! Genial! Vor allem bei „Girl from mars“ und „Shining light“!

Nach Ash will ich nach Hause gehen. Besser geht´s kaum.

* * *

Aber ich bleibe. Allein, um meine Popkultur-Serie für diese Homepage zu vervollständigen und zu beenden? Nein… denn die ersten beiden CDs der Sportfreunde habe ich bei mir im Schrank liegen, und solche Klassiker wie „Wellenreiten“ oder „Tage wie dieser“ höre ich mir immer mal wieder gerne an. Die neueste CD „Burli“ fehlt in meinem Besitz. Und das mit Grund. Die Sportfreunde sind eine Konsensband geworden. Eine Band, die als linksalternative Alternative in den Hinterhöfen und Kellern des Südens begann, sich unter anderem mit „Wellenreiten“ in der Beliebtheitsskala der Insider nach oben katapultierte, und da auch zu bleiben schien. Und besser auch geblieben wäre. Denn gegen den Ansturm des Mainstreams kamen die Sportfreunde nicht an, und ließen sich von allerlei Marketingstrategen überrollen. Das ganze Band-Konzept, die meisten Texte, die Songtitel, all das wirkt seitdem so verdammt durchkonstruiert. Es ist so durchschaubar, dass „Burli“ sogar das „Pro 7-Album des Monats“ war (oder war es SAT 1? Oder sogar beide?). Und wer diesen zweifelhaften Fernsehpreis einmal gewonnen hat und wessen CD deshalb in Werbepausen zwischen „Galileo“ und „Taff“ angepriesen wird, der sollte seine Berufsauffassung schleunigst hinterfragen. Die Sportis haben das scheinbar nicht getan.
Sie kommen aus München. Okay, kann jedem passieren. Sänger Peter ist Bayern-Fan. Unverzeihlich. „Zieht den Bayern die Lederhosen aus“, heißt es direkt nach dem ersten Lied. Die Sportis sind ein bisschen cleverer als zum Beispiel Virginia Jetzt! Deshalb spielen die einen vor 500 im KKC und die anderen vor 6000 in der Philipshalle. Musikalisch ist der Unterschied nicht so groß – nur stehen die einen auf Fußball. Ein großer Vorteil. Für den Kommerz.

All das macht die Sportis unbeliebt. Vermutlich bei der „Hamburger Schule“ um Tocotronic, Die Sterne, Blumfeld, Tomte und Kettcar – die irgendwo auch mal „Hamburger Musik-Mafia“ genannt wurde. Nicht nur der geographische Unterschied ist auffällig. Auch der Anspruch ist ein anderer, natürlich. Die Worte „Bayern-Fan“, „München“ und „Kommerz“ passen nun einmal und sind eine sehr ungünstige Konstellation.

Die Sportfreunde verstehen es perfekt, auf der Klaviatur der Medien und der alternativen Kultur zu spielen. Marketingkonzept eins a, wie ich schon einmal sagte. Die Konzerte sind optimal durchorganisiert. Mit fester Textreihenfolge (okay, die hat jeder Musik-Künstler, aber die meisten sind doch spontan und variabel, das scheint mir hier schwierig; einmal verliest sich Peter sogar; peinlich peinlich), mit einer einstudierten Coverversion von Oasis‘  „Wonderwall“, die wohl in jeder Halle läuft, dem Anhängsel „Ich war noch niemals in New York“ an den witzigen Song über Dirk Nowitzki. Nowitzki, oh ja, das ist noch so einer dieser Marketingtricks. Schreibe einen Song über Deutschlands berühmtesten Basketballspieler, nenne einen Titel mit einem völlig anderen Inhalt „Ich, Roque“ und lasse den gleichnamigen Bayern-Spieler im Video auftreten, und füge an den Titel „Laut anhören“ noch ein „(h)“ für den gleichnamigen 1860-Spieler an – und schon sind Dir Schlagzeilen, das Interesse von Millionen Fußballfans und neue Käufer garantiert. Da waren findige Manager am Werk, die das Alternative dieser Band komplett im Konsum haben verschwinden lassen. Die Klamotten sind nicht mehr passend, sondern trendy. Der eigentlich recht süffisante Text von „Ich, Roque“ („Doch nur einem gebühren diese Worte, ein Privileg der ganz besonderen Sorte, kein Wort zu niemandem, wie ich zocke, ich sag´s nur meinem Fanblock: Ich Roque“) geht ein wenig hinter dem Lächeln des Nationalspielers aus Paraguay unter. Ist süffisant das richtige Wort? Oder wäre Selbstironie angebrachter?

Es passiert nichts Spektakuläres, zwei Stunden lang. Aber es funktioniert. Es funktioniert so sehr, dass die zu Beginn von der langen Tour schlapp wirkenden Jungs, die nicht müde werden zu betonen, dies sei „ihr letztes Konzert für eine längere Zeit“ sukzessive aufblühen und kurz vor Schluss genauso wie die Halle richtig abgehen. Beim finalen „Spitze“ (auch das: prima konzipiert, eignet sich für alle Presse-Überschriften, jedes Fazit und ist ein ähnlich gutes Abschlusslied wie „Schönen Gruß und auf Wiedersehen“ bei den Toten Hosen) hüpfen und springen sie genauso mit wie alle Zuschauer. Dann ists vorbei. Getreu dem Motto „Aufhören, wenn’s am schönsten ist“. Mitgewippt, ja sogar mitgesungen bei manchen Songs habe ich auch. Schließlich spielen die Sportis, trotz aller Kritik, immer noch grob die Musik, die ich ganz gerne mag. Aber aus Punk ist Pop geworden. Popkultur. Deutschsprachige. „Wir sind Helden“, „Die Ärzte“, „Die Toten Hosen“, „Die Fantastischen Vier“, „Mia“, „Virginia Jetzt!“ und die ganzen nachäffenden Newcomer („Juli“, „Silbermond“) lassen grüßen.

Wenn das doch nicht alles vom Konsum geprägt wäre, ach wenn die Band nicht regelmäßig in der Bravo oder wo auch immer auftauchen würde. Dann wäre das Konzert vermutlich im KKC und nicht in der Philipshalle gewesen. Die Sportis sind gar nicht dumm, der Song „1. Wahl“ ist zum Beispiel eine tolle Selbstironie (hier passt das Wort ganz bestimmt) und im Gegensatz zu Virginia Jetzt! kriegen sie sogar (wenn auch platte) politische Statements hin (Peter: „Bush? Sehr traurig!“).

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Vielleicht bin ich auch nur ein wenig überempfindlich, was Bands angeht, die den Sprung in die große breite Masse geschafft haben. Vielleicht schon. Denn immerhin gibt es einige Zeilen, die untrennbar mit den Sportis verbunden sind, etwa aus „Ein Kompliment“ („Ich wollte Dir nur mal eben sagen, dass Du das Größte für mich bist!“), Geld hin oder her. Bei mir bleibt ein fader Beigeschmack, aber ich scheine der einzige der 6000 zu sein.

Es war ein etwas anderer Vor-Vor-Vor-Weihnachtsabend. Mit einem sensationell krachenden Auftritt von Ash, und einem nicht minder energiegeladenen der Sportfreunde. Doch die sind in den meisten Plattenläden eben nicht mehr bei „Indie“ oder „Alternative“ einsortiert, sondern ganz normal unter „Rock und Pop“. Kettcar oder Tocotronic würde das nicht passieren.

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Auftrag ausgefüllt. Die sms sind abgearbeitet.

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