Ne Rock-Show

Wie in alten Oberstufen-Zeiten weilte ich auch im neuen Jahrtausend noch einmal im legendären Soundgarden in Dortmund – diesmal am 28. Februar 2005 bei einem Konzert der Band „Jimmy Eat World“.

Ich bloggte darüber so:

„Ja, es gibt ihn, den Ort meiner verhinderten Jugend. Der Ort, an dem ich mich sehr oft aufgehalten hätte, wenn ich nicht jeden Sonntagmorgen hätte Fußball spielen müssen. Wenn ich nicht jeden Sonntagmittag hätte arbeiten müssen. Wenn ich mich in meiner Oberstufenzeit mehr auf Party als auf Freundin konzentriert hätte. Wenn all das nicht gewesen wäre, meine lieben Leser dieser Seite, ich schwöre Euch, dann wäre der Soundgarden in Dortmund in den Jahren 1996 und 1997 mein zweites zu Hause gewesen.

Und so schlendere ich die Bremer Straße in Dortmund entlang, an diesen letzten Minuten im Februar 2005, auf der Kante zum 1. März. So manche Pfütze auf dem Boden ist gefroren, und ich trage Handschuhe und Mütze, damit mir meine Finger und Zehen nicht vor Kälte absterben. Ich sehe die Rücklichter der Straßenbahnlinie 403, die mich vom Dortmunder Hauptbahnhof bis zur Haltestelle Lippestraße gebracht hat, und ich folge ein paar Leuten, die genauso wie ich einen Tick zu spät kommen. Ein beruflicher Termin bei einem neuen Boxklub hat mich bis 19 Uhr beschäftigt, aber wow, von Mülheim bis zum Soundgarden nur ne knappe Stunde… ist doch okay.

Ich wandere über den großen, verschotterten, total dunklen Parkplatz, wate durch ein paar Schlaglöcher und muss aufpassen, dass ich mir nicht das Sprunggelenk breche, als mir beim Stichwort „Sprunggelenk“ eine Geschichte aus dem Deutsch-Leistungskurs in der Jahrgangsstufe 12 einfällt. Mein Sitznachbar kam mit Gips und Krücken am Montagmorgen um acht Uhr zum Unterricht. Ein Bruch. Zugezogen beim Pogo im Soundgarden. Der Eingang liegt schon vor mir, als ich ein letztes Mal vor dem Konzert phantasiere. Wie wäre es wohl gewesen, jeden Samstag nach Dortmund zu fahren? Jeden Samstag in der Oberstufenzeit? Habe ich etwas verpasst? Genug Läden ausprobiert habe ich, vom unvergesslichen Remix in Ratingen, regelmäßig am Donnerstag dem T-Club bis hin zu Delta, Ringlokschuppen undsoweiter. Aber immer in den Soundgarden, das hätte alles getoppt. Hätte. Die Zeit ist vorbei. Vier Wochen vor dem 27. Geburtstag will ich einfach nur ne Rock-Show sehen.

Einfach nur ne verdammte, kurze, kleine Rock-Show, mit krachenden, aber melodischen Gitarren, mit Trommelwirbel, Bass, mit mähneschüttelnden Menschen, mehr als hübschen, alternativen Mädels und nem Glas Cola am Hals. Ich habe es so vermisst. Etwas mehr als zwei Monate ist das Sportfreunde-Stiller-Konzert erst her, aber dieses Konzert-Feeling mit vielen ähnlich bekloppten Leuten auf einem Haufen zu sein, alle wollen nur abrocken, mitsingen, ein bisschen tanzen. Ich genieße das. Um zwanzig nach acht betrete ich den großen Saal, und er ist pickepackevoll. Ich bleibe auf der Empore und blicke auf die große Menge. Noch spielt die Vorband, keine Ahnung, wie sie heißt, was sie sonst für Musik spielt, was auch immer sie gerade macht. Ich bin erst einmal damit beschäftigt, all die Leute zu beobachten, die genau dieselbe Musik gut finden wie ich. Es sind genauso viele junge dabei wie ältere. Ich gehöre mittlerweile wohl leider zur zweiten Sorte. Mir fallen wie überall im Moment etliche hübsche junge Frauen auf. Ich lasse meine Blicke schweifen, und versuche weiterhin, mir vorzustellen, wie mein Leben wohl mit mehr Soundgarden ausgesehen hätte. Ich finds heute nicht mehr raus.

Um irgendwann nach neun geht das Licht aus, und „Jimmy Eat World“ stürmen die Bühne, die Band mit dem ungewöhnlichen Namen. Der Bruder von Jimmy-Mitglied Tom Linton kritzelte einst die Worte „Jimmy Eat World“ unter ein selbst gemaltes Bild – geboren war der Bandname, lausche ich im Gespräch einer Kleingruppe direkt vor mir. Seit wenigen Jahren erobern die Vier den nach dem amerikanischen auch den europäischen Kontinent und reißen einen guten Gig nach dem anderen ab. Der Ruf als „geniale Live-Band“ eilt der Gruppe voraus. Ich kenne nur zwei Stücke richtig gut. „Lucky denver mint“ und „The middle“. Mir ist bekannt, dass die Band versucht hat, sich im Wahlkampf gegen Bush zu engagieren. Aber mehr weiß ich nicht, und mehr will ich auch nicht wissen. ‚Ne Rockshow reicht.

Und die kriege ich. Meine beiden Favoriten kommen mittendrin, hintereinander, und egal wie die anderen Songs auch immer heißen: Sie sind gut. Die Jungs wissen, wie sie mit ihren Instrumenten umgehen muss. In der Masse wütet der Pogo, schwingen beim Headbanging die Köpfe, hüpfen viele wie beim entscheidenden Tor im Pokalfinale. Wie viele mögen das wohl sein? 1000? 1500? Nach 60 Minuten verschwinden die Jungs zum ersten Mal von der Bühne. Bands aus England oder den USA sind eben keine Dauerläufer. In der Pause klopft mir jemand auf die Schulter. Thommy, mein WAZ-Kollege, der für unseren Arbeitgeber einen Artikel schreibt, fragt nach meinem Befinden und meinem Konzerteindruck. Welch ein Zufall! Thommy weiß Bescheid, dass noch zwei Zugaben kommen. Er bewegt sich Richtung Ausgang. Und das ist wohl durchdacht. Das Soundgarden-Management hat clevererweise nur zwei Kassen geöffnet, zudem wird die Verkehrslage nach dem Gig chaotisch. Wir lassen die Zugaben an uns vorbeiziehen, applaudieren artig lautstark und verschwinden. Thommy nimmt mich mit. Um 1 Uhr wollte ich zu Hause, um halb zwölf bin ich´s.

‚Ne Rockshow ohne Vorbereitung und ohne Nachdenken wollte ich sehen.

Und meine Erwartungen wurden mehr als erfüllt.“

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