Inside-Report: Wie die Arbeit während eines Spiels aussieht

Es wird mal wieder Zeit für einen Inside-Report – viele von Euch fragen mich auf allen möglichen Wegen, wie meine Arbeit während eines Spiels laufen würde. Meist enthalten diese Fragen einen ironischen Unterton, und dazu Begriffe wie „Füße hochlegen“ und  „locker quatschen“. Meist werden auch Kaltgetränke erwähnt. Doch ganz so einfach ist das – natürlich – nicht. Was ich Euch hier schildere, ist ein Bruchteil meiner Arbeit – und natürlich nur mein Ansatz. Jeder Reporter hat seine eigene Strategie, je nach Medium und Auftrag. Da ich Transparenz mag und mich nicht verkriechen will: So läuft ein Spiel grob ab – auch wenn sich je nach Wochentag, Anstoßzeit oder heim/auswärts Nuancen verschieben.

1. Die Spielvorbereitung

a) Bevor ich zu Hause losfahre, sind natürlich einige Sachen zu tun und zu klären. Da wäre zum einen die Spielvorbereitung (für Auswärtsspiele zusätzlich die Reisevorbereitung…), die natürlich in der Vorberichterstattung während der Woche begonnen hat, die ich aber am Vormittag vor einem Spiel intensiviere – das heißt natürlich: lesen, lesen, lesen. Spielberichte, Interviews, Reportagen, Analysen, taktische Details des Gegners etc. Findet das Spiel auswärts statt, bereite ich mich im Zug vor.

"Der" Zettel nach dem Derby zwischen Schalke und Borussia Dortmund am 20. Februar 2021.

„Der“ Zettel nach dem Derby zwischen Schalke und Borussia Dortmund am 20. Februar 2021.

b) Dann gibt es mit der Redaktion einige Dinge abzusprechen – zum Beispiel: Welche Texte werden zu welcher Uhrzeit in welcher Länge verlangt? Von Medium zu Medium ist dies höchst unterschiedlich – manche benötigen z. B. für die Arbeit im Stadion nur einen Notizblock und ihr Handy. Mindestens drei Texte von mir – vielleicht habt Ihr das online an Spieltagen schon verfolgt – entstehen in einem Zeitraum zwischen eine Stunde vor dem Spielbeginn und Schlusspfiff. Zum einen ein „Warm up“ mit den wichtigsten Informationen zur Aufstellung – und mit dem Abpfiff ein Spielbericht und die Einzelkritik. Doch damit endet die Arbeit nicht. Die Online-Berichterstattung wird um Analysen und Stimmen ergänzt – und je nach Uhrzeit und Wochentag sind zusätzliche Texte für die Print-Produkte vorgesehen. Social Media (Twitter / Facebook / Instagram) bediene ich automatisch nebenher. Dazu aber später mehr.

c) Die wichtigste Frage, die ich kläre: Wer ist mein Kontakt im Innendienst? Ohne den geht es nicht. Mit dieser Person spreche ich bei besonderen Ereignissen (z. B. schwere Verletzung, Fan-Plakate / -Proteste) ab, wer den aktuellen Online-Text während des Spiels schreibt – auch die Einzelkritik entsteht in Kooperation. Zudem bekomme ich vom Innendienst die wichtigsten TV-Stimmen mitgeteilt. In einigen Stadien gibt es Fernseher auf der Pressetribüne (z. B. Wolfsburg, Hoffenheim, Leverkusen), in anderen (z. B. Schalke) nicht.

2. Meine Arbeitstasche

Ja, es haben einige nach dem Inhalt meiner Tasche gefragt 🙂 🙂 Die Details sind wirklich uninteressant – ich habe immer mein an vielen Ecken kaputtes iPad (runtergefallen, oft) und mein Laptop (plus Ladekabel) dabei. Falls eins von beiden ausfällt (vor allem bei Kälte streikt das iPad oft), habe ich noch Ersatz… Dazu (für den Winter) Handschuhe, ein Block, ein paar Stifte, ein bisschen Verpflegung und sämtliche Unterlagen fürs Spiel (aktuell z. B. der Covid-19-Fragebogen).

3. Arbeitsablauf auf der Pressetribüne

a) Ich bemühe mich, etwa 75 Minuten vor dem Anpfiff auf meinem Platz zu sitzen. In Corona-Zeiten ist das nicht einfach. Union Berlin lässt Journalisten erst 60 Minuten vor dem Anstoß ins Stadion. Ich beginne dann den Warm-up-Text, finalisiere ihn, nachdem die Aufstellungen gekommen sind (die sind ja aktuell recht simpel vorherzusehen), schicke ihn in die Redaktion. Ein bisschen Social Media, die erste telefonische Absprache – und dann: Konzentration aufs Spiel. Beispiele: Beobachtungen während des Aufwärmprogramms, kurzer Smalltalk mit den Kollegen (wir verstehen uns ja gut) und – meine Strategie – „den“ Zettel vorbereiten, der am Spieltag für meine Berichterstattung maßgeblich ist. Ich vermerke dann die von mir erwartete taktische Struktur mit ein paar Notizen zum jeweiligen Spieler. Das erleichtert Formulierungen. Viele Zusatzinfos muss ich nicht mehr vermerken – die Biographien der S04-Spieler habe ich weitgehend im Kopf.

b) Während des Spiels habe ich beide Rechner (so sie funktionieren und aufgeladen sind) aufgeklappt: Laptop zum Schreiben und Chatten mit der Redaktion, auf dem iPad schaue ich bei Twitter nach und rufe regelmäßig die wichtigsten Statistiken ab. Früher hatte ich dort regelmäßig SkyGo laufen, inzwischen habe ich aber festgestellt, dass irgendwo in unmittelbarer Nähe ein Bildschirm zu finden ist. Gibt es eine strittige Szene, muss ich mich dann einfach nur strecken 🙂 SkyGo auf meinem eigenen iPad hat mich immer nur abgelenkt. Auch mein Handy liegt dort und wird rege bedient…

c) In der ersten Halbzeit schaue ich, so simpel das klingt, Fußball. Ich telefoniere dann nur im Notfall mit der Redaktion, twittere selten. Die Text-Dateien „Spielbericht“ und „Einzelkritik“ bleiben komplett leer – mögliche Formulierungen, rhetorischen Kniffe etc. habe ich maximal schon im Kopf. Dafür sammeln sich die Striche auf meinem Zettel. Ich sortiere z. B. die Spieler um, so wie sie taktisch „wirklich“ auf dem Platz stehen. Notiere mir Details zur Strategie, Torchancen (für den Bericht), einzelne Aktionen (für die Einzelkritik).

d) Die Pause fällt für mich dann aus. Ich telefoniere erst fünf bis zehn Minuten bzgl. der Einzelkritik, schildere meine Eindrücke, die dann der Innendienst zusammenschreibt. Dann schreibe ich für den Spielbericht bis zum Wiederanpfiff durch – Details zur Aufstellung, zur Taktik, Zusammenfassung der ersten Halbzeit. Häufig kommen noch WhatsApps von verschiedensten Personen, die ich schnell beantworte.

e) Zwischen der 45. und 65. Minute schaue ich dann wieder Fußball – den Kontakt zum Innendienst halte ich ab dann nur noch schriftlich, wenn es z. B. um wichtige Aktionen für die Einzelkritik geht. „Der“ Zettel ist dann so gut gefüllt, dass nur noch ich durchblicke, was wo steht.

f) Ab etwa der 65. Minute wird es stressig. In 25 Minuten plus Nachspielzeit muss der Spielbericht finalisiert werden, der stets grob 4000 Zeichen umfassen soll. Mit einem Auge zu schreiben und auf Daten zu schauen und dem anderen weiter auf den Platz zu sehen ist schwierig, aber Übungssache. Ein Spielverlauf // 0:0 bis zur 65. Minute, Endstand 2:2 (alles schon vorgekommen) mit vielen taktischen Änderungen // ist deshalb der Horror für mich.

Das Weserstadion in Bremen - Blick von der Pressetribüne.

Das Weserstadion in Bremen – Blick von der Pressetribüne.

Es gibt auch die sogenannten „Laptop-Spiele“, den Begriff habe ich häufiger schon getwittert. Agentur-Kollegen nennen sie „Agentur-Spiele“. Das sind Partien wie die meisten von Schalke in dieser Saison: sehr früh entschieden, der Spielbericht steht schon weit vor dem Abpfiff. Etwas spöttisch benutzen wir den Begriff „Laptop-Spiel“, wenn z. B. in der 94. Minute das 1:1 fällt und man den soeben in die Redaktion geschickten Text noch an vielen Stellen umbauen muss. In ganz kurzer Zeit. Verlängerungen und Elfmeterschießen sind für aktuelle Schreiber auch ganz besonders kacke. Da ich schon über knapp 1200 Spiele berichtet habe, dann fast 450 aus der Bundesliga, bedeutet diese aktuelle Arbeitsweise für mich immer noch eine Menge Stress, aber ich habe mich daran gewöhnt. Mein Geschwindigkeitsrekord war übrigens das Champions-League-Spiel von Schalke bei Manchester City. Da habe ich unmittelbar nach dem 5:0 (71. Minute) den Text geschickt – und die Mail mit dem Hinweis versehen: „Weitere Tore einfach ergänzen“.

g) Die auch nach meinen telefonischen und schriftlichen Hinweisen fertig geschriebene Einzelkritik bekomme ich vom Innendienst zwischen der 85. und 90. Minute zugeschickt, mache ganz kurz Korrekturen und meine Noten-Vorschläge. Passiert danach nichts Entscheidendes mehr, ist dieser Text fertig und kann schnell online gestellt werden.

h) In der aktuellen Saison konnte ich den Bericht fast immer kurz vor dem Abpfiff schicken, aber spätestens zwei, drei Minuten nach dem Schlusspfiff. Dazu noch ein wenig Social Media – und durchatmen.

4. Nach dem Spiel

Erst einmal trinke ich meist etwas und verstaue dann „den“ Zettel in meiner Arbeitstasche… Wenn Bericht und Noten online stehen und die aktuellsten TV-Stimmen gesammelt sind, telefoniere ich mit unserem Innendienst. Fragen: Wie hast Du das Spiel gesehen? Wer hat bei den Stimmen was gesagt? Gab es umstrittene Szenen? Welche „Nachdreher“ brauchen wir? Hast Du Ergänzungen ggf. zu meinen Fragen in der Pressekonferenz?

In Vor- (und hoffentlich bald Nach-) Corona-Zeiten gibt es nach dem Spiel die Mixed Zone. Das heißt: Auf Spieler warten, Fragen stellen, Stimmen sammeln. Aktuell sind Reporter im Stadion auf TV-Spielerstimmen angewiesen. Die Pressekonferenz ist virtuell, oft über Zoom oder Microsoft Teams. Meist schreibe ich aus dem Stadion noch einen Online-Text – und der kann wirklich alles sein: Kommentar (meistens), Trainer-Stimme (oft), ausführliche Taktik-Analyse (wenn etwas besonders gut oder schlecht war), Personal-Update nach einer Verletzung, Kommentare zu strittigen VAR- oder Schiedsrichter-Entscheidungen oder, oder, oder. Dann sind nach Abpfiff anderthalb Stunden vergangen und ich fliege meist aus dem Stadion.

5. Wieder in der Redaktion / im Homeoffice

Auf der Rückfahrt telefoniere ich meistens durch. Es gibt unterschiedliche Gesprächspartner. Auf jeden Fall ist zum letzten Mal der Innendienst dabei, zwecks Absprache für den Rest-Abend und/oder den folgenden Tag. In der Redaktion (oder aktuell: im Homeoffice) angekommen, lese ich erst einmal quer, wie und was die Kollegen berichten, welche Akzente sie gesetzt haben. In Ruhe scrolle ich durch alle wichtigen Foren und sozialen Netzwerke, neuerdings höre ich natürlich auch bei Clubhouse rein. Das Sportstudio und die TV-Fußballtalkshows sind auch Pflichtprogramm.

Und dann klappe ich den Rechner meistens noch einmal hoch, hole „den“ Zettel aus der Tasche und bearbeite das mit dem Innendienst abgesprochene. Je nach Anstoßzeit ist (selten) kein Text mehr nötig, manchmal einer, manchmal zwei.

Und dann endet so ein Tag. Die Füße habe ich dann kein einziges Mal hochgelegt 😉

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