Michaela tropft aus allen Poren – VfL-HSV 1:1, 9. August 2003

Okay, in diesem Jahr, 2012, war es beim Pokalspiel des FC Schalke 04 in Saarbrücken womöglich noch heißer – 39 Grad im Schatten. Aber an das Bundesliga-Spiel zwischen dem VfL Bochum und dem Hamburger SV am 9. August 2003 kann ich mich ebenfalls sehr, sehr gut erinnern, weil alle am liebsten nackt ins Stadion gegangen wären und der VfL  Wasser für einsfünfzig spendierte.

Ich berichtete für Blog über das Spiel und verpasste dem Text die Überschrift „Der Glutofen-Schnipsel“. An das Spiel erinnere ich mich nicht mehr so richtig…

Der Text geht so:

*tropf*
*tropf*
*tropf*

Wenn Ihr alle doch nur sehen könntet, wie ich gerade vor meinem Computer abhänge… lediglich eine Boxer-Short ziert meinen Körper (aber Momentchen mal: warum habe ich die eigentlich noch an? Mich sieht doch keiner!), um meinen Hals baumelt ein mit Eiswasser getränktes Handtuch, jeweils griffbereit für beide Hände stehen Gerolsteiner-Sprudel-Flaschen (mit Kohlensäure) auf dem Schreibtisch. Quasi wie Revolver. Wenn der Durst kommt, kann ich schneller ziehen als mein Schatten. Und doch hilft alles nichts. Der Rekordsommer hält meine Schweißdrüsen im „Schwitz“kasten (hihi, welch Wortspiel) und jagt eine Perle nach der anderen an allen Körperstellen aus mir heraus!

*tropf*
*tropf*
*tropf*

Rekordsommer? Ist Euch eigentlich auch aufgefallen, dass es in den letzten Monaten „hip“ geworden ist, irgendwelche Rekorde zu brechen? Die Guinness-Show der Rekorde wurde zwar wieder eingestellt, aber kaum eine Woche vergeht, ohne dass irgendeine völlig sinnlose Bestmarke aufgestellt wird. Und auch vor der Natur macht die Sensationslust nicht mehr halt. Ein weiblicher Vorname, der da „Michaela“ lautet und von irgendeinem meteorologischen Institut einem stinknormalen Hochdruckgebiet zugeordnet wurde, ist auch dran beteiligt. Seit geschätzten 14 Tagen ist das Thermometer so sehr von Michaela beeindruckt, dass es nicht mehr unter die 32-Grad-Marke sinken will. Ganz Deutschland beansprucht DIE Rekord-Temperatur für sich, das Rennen hat bisher irgendein blödes kleines Dörfchen in Baden-Württemberg gewonnen: 40,8 Grad.

Was will der Chronist damit sagen?

Meine Fresse ist das heiß im Moment!!!!!

Schlafen kann bei dem Wetter jedenfalls niemand. Auch ich habe meine Decken in den Sommerurlaub geschickt und im Schrank und zum verstauben verstaut. Pro Nacht könnte ich einen kompletten Sprudelkasten killen. Es ist kein Spaß, zweimal wachzuwerden, nur weil Dir die Suppe bis in die Augen tropft. Aber wem erzähle ich das?

Guten Morgen, Leute! Das Wolfsburg-Spiel ist eine Woche her…

… und diese sieben Tage verbrachte ich nicht damit, über die verheerend falsche Abseitsentscheidung zu lamentieren. Viel interessanter war da schon die Diskussion darüber, ob der komplette Bundesliga-Spieltag um zwei Stunden nach hinten verlegt werden solle. Die Gesundheit der Spieler sei gefährdet, meinten einige Trainer, natürlich auch unserer. Naja, aber leider hat das Fernsehen das Sagen, und so schüttelte die DFL ihren Kopf und sagte: „Es wird gespielt.“…
… darüber sinniere ich beim Zähne putzen und beobachte die WAZ-Schlagzeile des heutigen Tages, die da lautet: „Der heißeste Spieltag der Bundesliga-Geschichte!“ Und da wären wir wieder bei den Rekorden. Auch ein paar Zeilen über den VfL stehen drin: Gestern um 15.30 Uhr wurden unter dem Dach der Ostkurve 45 Grad gemessen. Das wird wohl das heißeste Spiel in meiner VfL-Geschichte… Oh Mist, ich wollte doch gar nicht mitmachen bei dieser Rekord-Hysterie… letztes Jahr, jaaa, letztes Jahr, beim ersten Heimspiel gegen Energie Cottbus, da war es auch warm, und da gab´s ein 5:0 für unsere Jungs. Aber diesmal ist alles anders. Erstens haben wir unser erstes Spiel verloren, zweitens spielen wir nicht mit der Aufstiegseuphorie im Nacken und drittens wird der HSV nicht sang- und klanglos absteigen, sondern unter den ersten sechs Mannschaften kommen. Und so bin ich der prekären Konstellation (Niederlage in Wolfsburg, nächste Woche geht´s zu den Bayern) äußerst dankbar: Sie sorgt nämlich für abkühlenden Angstschweiß…

Für Überraschungen gut ist immer wieder die deutsche Bahn. Sie schafft es trotz des Wetters, uns pünktlich zum Bochumer Ruhrstadion zu transportieren. Uns? Ja, zwei weitere Personen begleiten mich. Da sich mein Bruder Thommy immer noch in Vietnam aufhält, müssen diesmal Tina und Helmut meine Babysitter spielen. Tina ist zum zweiten Mal dabei, wobei das erste Spiel (1:4 gegen Bayern) nicht wirklich zählt. Gegen 14.20 Uhr erreichen wir das Stadion – und der VfL ist bestens präpariert! Zum ersten Mal ist es den Fans erlaubt, Plastikflaschen mit einem Volumen bis zu einem Liter sowie Tetra-Paks mit ins Stadion zu nehmen. Das Wasser kostet nicht 2,50 Euro, sondern nur 1,50 Euro für einen halben Liter. Zudem ist das Rote Kreuz mit einem Zelt vor Ort, und die Feuerwehr erfreut jeden, der möchte, mit einem kühlen Wasserstrahl.

Nein, der Gerd möchte kein kaltes Wasser ins Gesicht kriegen, aber er ist tatsächlich schon da… und – kaum zu glauben – die Temperatur enttäuscht mich ein wenig. Noch steht die Sonne über der Tribüne und es sind grad mal 30 Grad. „Gut, dass ich meinen Schal mit hab… ganz schön frisch geworden!“, rufe ich (entschuldigt diesen misslungenen Kalauer, aber Ihr wisst ja: die Hitze!). Wow, das erste Heimspiel… und ein Programmpunkt jagt den nächsten… als ob das Zuschauen nicht schon anstrengend genug wäre. Slawo Freier nimmt vom KICKER das „goldene K“ in der Rubrik „Außenbahn offensiv“ entgegen. „Weißt Du, wie die Schalke-Fans den Freier nennen?“, frage ich Gerd. „Nee.“ „Na ganz einfach: Das SAMS!“ Hurra. Das Sams. Hätt ich den Spruch auch mal untergebracht. Dann taucht ein fürchterlich schlechter Schlagersänger mit einem saublöden Lied auf. Es wirkt wie das DWS-Werkslied (DWS ist der Bochumer Hauptsponsor) auf der „Footballs coming home“-Melodie… die Worte „VfL“ und „Ruhrstadion“ tauchen auch auf, aber pfuiiiii, aus damit. Dann kommen unsere seltsamen Hupfdohlen und versuchen, zum äußerst langsamen „V – F – L – mein Herz schlägt nuuuur für dich“ einen Tanz auf den Rasen zu legen. Geht total schief! Als dann noch der Megafon-Man und seine „Ultra“-Freunde eine neue Technik präsentieren, ist alles zu spät. Das Megafon haben die doch tatsächlich durch ein Mikro ersetzt, das mit Lautsprechern auf dem Zaun verbunden ist. So clever hätten wir die Ultras gar nicht erwartet, aber leider bleiben die Sprechchöre wohl dieselben. „Mit der Nummer eeeeeiiiinnnssssss….? REEEEINNNN“ „VAN DUIJNHOVEN!!!“ Und unser Torwart ist auch noch derselbe. Hurra, das war ja mal ein kurzweiliges „Vorspiel“… Hätte nur noch der Sam gefehlt. Yoooo, der Sam. Wo ist der überhaupt? „Nicht da! Keine Ahnung“, meint Gerd, der einen unanständigen Spruch nach dem nächsten bringt. Aber – ehrlich – ich hab sie alle vergessen. Die zugehörigen Gehirnzellen sind vermutlich verbrannt. Einmal gings um ein Kinoposter für den „Tomb Raider 2“-Film, und einmal wollte Gerd, dass sich eine wohl geformte Zuschauerin auch noch ihres Bikinis entledigt – aber sonst? „Mit der Nummer viiiiiiiiiieeeeeeeeeeeeeerrrrrrr….. MONDAY SUNDAY“ „OLISEHHHHHHHHHHHHHHH!“ Es ist wieder Fußball-Zeit, und das Bochum-Lied von Herbert betört meine Sinne immer noch wie beim ersten Mal. Das MSV-Zebra Helmut dreht sich zwar mit Grausen weg, aber ganz ehrlich: Die Fans aller anderen Profiklubs wären stolz, wenn sie eine solche Stadionhymne hätten. „Machst mit nem Doppelpass JEEEEEEEDEN Gegner nass: Du und Dein VFL !!!!“ Jede Wette, Tina hat´s auch diesmal wieder beeindruckt.
Anpfiff… endlich… und auch unsere Jungs sind mal wieder beeindruckt. Hurra, die Sonne scheint, da werd ich ja schön braun. Hurra, das Stadion ist voll, und die Fans feuern uns an, na wunderbar. Hurra, unser Konto ist voll, und überhaupt das Wetter, warum soll ich mich denn da bewegen? Alles lauter Gründe, um 30 Minuten lang nur hinterherzutraben. Die Hamburger sind idunahochhaushoch überlegen, lassen das Bällchen flott laufen. In der vierten Minute lupft Mahdavikia den Ball an den Innenpfosten, doch wachen unsere Jungs auf? Nö. Weiter rollen die Angriffe, meist über Mahdavikia, und unser Zebra-Neuzugang Bönig links hinten in der Viererkette ist ganz schön überfordert. Flanke Mahdavikia, Kopfball Romeo, Colding auf der Linie. Das ganze in der 10. Minute. Mahdavikia selbst aus 20 Metern… knapp vorbei. Keine drei Minuten später. „Die betteln aber um ein Gegentor“, stellt Helmut grinsend fest. Und Gerd und ich stimmen zu. Kaum zugestimmt, schlägt’s ein. Pass auf Takahara, halbrechte Position, reingeschlenzt, drin. 0:1! Wieder Rückstand, wieder in der Anfangsphase. Das werden wir wohl nie kapieren.

Das vermiest einem doch die beste Sommerlaune, wenn die da so einen Scheiß fabrizieren. Nur einer, der brüllt fleißig weiter: Der Megafon- äh Mikrofon-Man. Er ruft, schreit, bittet… alle sollen mal ihre Arme heben, irgendeinen Quatsch rufen… bis ein Fanklub unter dem Dach die Schnauze voll hat und ganz laut „HALT DIE FRESSE!!! HALT DIE FRESSE!!! HALT DIE FRESSE!!!“ brüllt. Außer den „Ultras“ stimmen alle singend ein oder klatschen begeistert Beifall. Da fällt dem Brüllaffen direkt die Kinnlade runter. Was nun? „Wenn ich das meinem Bruder erzähle, der macht sich nass!“, frohlocke ich. Doch direkt darauf werden meine Augen aufs Spielfeld gelenkt. Irgendjemand schickt Takahara mit einem langen Pass auf die Reise, und unser Abwehr-Kalla nimmt Anlauf… beide sind noch 20 Meter vom Ball weg… nur noch Takahara und Kalla unterwegs… Kalla nimmt Anlauf… grääääääääätscht…. beeeide Beine…. erwischt…. den Ball! Allgemeines Raunen auf den Rängen, laute „Kalla! Kalla! Kalla!“-Rufe. Diesmal kippt mir die Kinnlade runter. „Entweder Rot oder Einwurf“, merkt Helmut richtigerweise an. Wenn der den Takahara getroffen hätte, dann wären beide drei Monate ausgefallen. Nur wär das für den Takahara schmerzhafter gewesen.

Steht’s noch 0:1? Irgendwie schon, und irgendwie spielen wir immer noch mies. Ach, wenigstens eine Ecke. Oliseh wird schießen, hoffentlich nicht wieder kurz. Läuft an, kurz… boooaaah bringt doch nichts… und doch… JUBEL, TOOOORRR! Hä, wie ist der denn reingegangen? Reingekrümelt? Einer jubelt am lautesten. Peter Madsen hat ihn wohl reingestolpert. 1:1 in der 31. Minute. „Wie die Jungfrau zum Kind“, sagt Helmut und hat Recht. Mir ist´s egal. Ja, nun wachen wir auf. Madsen volley fünf Minuten später, Pieckenhagen wehrt ab. Ein ganz possierliches, schönes, unterhaltsames Spielchen. Ne Menge Spaß auf der Tribüne, na gut, nicht wirklich viel sehenswertes vom VfL auf dem Platz, aber wenigstens ein 1:1 zur Pause.
Halbzeitpause. Das von Helmut mitgebrachte 0,5-er-Bonaqa verschwindet in Rekordzeit (musste mein „Haupt“wort mal wieder erwähnen) in meinem Schlund. Wieder tanzen die Hupfdohlen, aber viel mehr stört ein Blick an den Himmel. Treppchen für Treppchen arbeitet sich die Sonne in der Ostkurve nach oben… bis, ja bis wir alle vier uns in der prallen Sonne befinden. Auch den Jungs auf dem Rasen geht der goldgelbe Freund am Himmel zunehmend an die Substanz, und so ist´s den 22 aktiven Fußballspielern nicht zu verübeln, dass sie in der zweiten Hälfte nur noch ein trostloses Sommer-Rumgekicke abliefern. Es ist einfach nur unerträglich-superduperheiß. Eine Chance vergibt der HSV noch, durch Mahdavikia natürlich. Zudem schießt Meier ein Abseitstor, aber das möchte ich mir gern nochmal in der Glotze angucken. Und wir? Momo Diabang – aus Bielefeld geholt (Zitat Fankurve: „Was haben wir denn da wieder für einen eingekauft?“) – steht frei vor Pieckenhagen und schießt den an. Dazu noch ein elfmeterreifes Foul an Kalla und ganz ganz viele Freistöße aus der Halbposition für uns. Doch die bringen nix. Das isses. Da hält sich der Mikro-Man immer noch merklich zurück. 1:1 steht’s zum Schluss, aufgrund der ersten halben Stunde ein wenig glücklich für uns. Fehlen noch 39 Punkte bis zum Ziel. Der Abend klingt aus in einem kühlen Eckchen im „Three-Sixty“ im Bermuda-Dreieck (das leider nicht so kühl war wie eigentlich gewünscht, aber immerhin schattig). Die Burger können mit denen aus dem Mülheimer „Diner´s“ locker mithalten, dazu noch ein bisschen die Premiere-Zusammenfassung gucken; was für ein gelungener Fußballtag-Abschluss. Gerd hat sich derweil ruckzuck nach dem Abpfiff verabschiedet. Zu einer Grillparty nach Essen oder so.

Es war ein besonderes Spiel, weil´s in einer Sauna stattgefunden hat. Den Redakteuren des Sport-Studios ist’s aber vermutlich lediglich einen Schnipsel in der Ergebniszusammenfassung am Schluss wert. Ich könnt diesen Unterschied zwischen gefühlter Spannung im Stadion und der realistischen Bewertung hinterher in den TV-Sendungen gar nicht oft genug erwähnen. Ich nehme neben der Hitze zwei weitere Ereignisse mit. Erstens die unfassbare Kalla-Grätsche, zweitens den „Halt-die-Fresse“-Sprechchor. Einfach großartig.
Ich hoffe, Ihr entlasst mich jetzt in ein eiskaltes Bad… denn in den 30 Minuten, die ich eintippend vor dem Computer verbrachte, erfrischte ein ganzer Liter Sprudel meinen Körper… was für ein Stundenschnitt, oder?

Noch so ein Rekord.

*tropf*
*tropf*
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