Ihr werdet es schon sehen

Am 20. März 2002 fuhr ich nach der Arbeit zum Zweitligaspiel zwischen dem VfL Bochum und dem SSV Reutlingen (3:1) – und danach bloggte/berichtete ich das hier:

Nicht zum ersten Mal behaupte ich an dieser Stelle, dass die „Liebe“ zu einem Fußballverein absolut vergleichbar mit einer Beziehung ist. Und wie in jeder Beziehung auch, stellt sich auch nach ein paar Jahren „Ehe“ mit einem Klub eine gewisse Routine ein. 20.3.2002, heute wartet das 196. Spiel meiner VfL-Karriere auf mich. Ich möchte Euch an meiner Routine teilhaben lassen!

Und nun ist es also mal wieder soweit – der Hebel in meinem Kopf liegt noch auf Arbeit, VfB Speldorf, Stadionzeitung, einem Interview mit Trainer Axel Benzinger. Die Uhr zeigt 17.25 Uhr, „Mensch ich muss los. Tschüss Marcus, ich hau ab; Laptop musst Du zusammenbauen“. Scheiße, Schal vergessen, schnell zurück und zum Bahnsteig spurten. 500 Meter habe ich Zeit, um den Hebel umzulegen. Dazu bedarf es nur einer einzigen Tat: Den Schal um den Hals legen. Getan. Erledigt. Was habe ich grad noch getan? Stadionzeitung? Hä? Hat funktioniert. Das Lampenfieber steigt.

Wie vor jedem Heimspiel der Gang zur Bahnsteigkante. „In wenigen Minuten fährt ein… Regionalexpress von Düsseldorf nach Bielefeld über Essen, Wattenscheid, Bochum, Dortmund“… Halthalthalt, so weit will ich doch gar nicht. Bochum reicht mir. Voll ist der Zug immer, ob abends oder mittags, ob wochentags oder am Wochenende. Hatte ich jemals einen Sitzplatz vor Essen Hauptbahnhof? Ich weiß nicht. Bevor ich anfange, die Eindrücke aus dem Zug zu schildern, schaue ich lieber auf die Uhr. 17.54 Uhr, der Zug fährt in Bochum ein. Die Gedanken kreisen beim letzten Spiel, beim folgenden Spiel. Wen werde ich wohl in der Kurve treffen? Spielt Colding wieder? Wer muss dafür weichen?

Mit verbundenen Augen könnte ich mittlerweile vom fünften Gleis bis zur U-Bahn-Haltestelle im Bochumer Hauptbahnhof finden. Treppe runter, links, 200 Meter geradeaus, dann ne Treppe runter, dann um die Kurve, dann Treppe runter, dann noch ne Kurve und auf die 308 Richtung Gerthe warten. So einfach ist das. Die kommt meist sofort. Die U-Bahn-Anbindung ist in Bochum so perfekt wie nirgends sonst in der Bundesliga. Das Ruhrstadion liegt perfekt. Haltestelle Planetarium. Dann das Ruhrstadion. RAUS!

18.05 Uhr – Rein in die Kurve. Halt, noch ein Zwischenstopp beim Würstchenstand. Immer wieder. Ich könnte pleite sein, für diese Bratwurst würde ich betteln. Nun aber hinauf. Seit zwei Jahren schon stehe ich etwa an der gleichen Stelle, Block P rechts, direkt hinter dem Tor, halbhoch. Da ist Gerd, der Typ, der so ausschaut wie Mirko Dickhaut, der Afro-Amerikaner Sam, der mich einmal zum schmunzeln brachte, als er mit ein paar VfL-Fans einstimmte, die den Afrikaner Bachirou Salou mit den „uh-uh-uh“-Rufen zu beleidigen versuchten. Die schauten blöd – und schwiegen. Man grüßt sich mittlerweile, schlägt ein bei Toren. Und weiß doch nichts über Beruf und Biographie des anderen.

18.45 Uhr – der Stadionsprecher kommt raus. „Mein VfL“ – „VfL, mein Herz schlägt nur für Dich. Wir werden immer zu Dir stehen, VfL – mein VfL!“ Schals hoch. Die Aufstellung: „Mit der Nummer 1 – Reeeeeeein…“ „VAN DUIJNHOVEN !!!“

18.55 Uhr – „Bochum“ von Herbert. „Tief im Westen, wo die Sonne verstaubt“. Immer wieder ein ganz großer Moment… Die Mannschaften laufen ein, während die Zeile „Machst mit nem Doppelpass jeeeden Gegner nass, Du und Dein VfL“ läuft. Passt!

Das Spiel läuft…. zwar ziemlich fade an, der VfL braucht 20 Minuten, aber danach wird ziemlich schnell klar, dass das ein souveräner Dreier wird. 1:0 Freier, 2:0 Buckley. Die üblichen SMS Richtung München zu Kumpel Dirk, sowie zu diversen Duisburg-Fans, um diesen das Maul zu stopfen (solange Bochum führt!) Nochmal das übliche Gezittere nach dem 1:2 in der 73. Minute, aber dann Hashemian, 3:1, und um 20.47 Uhr steht’s fest. Bochum ist wieder dran am dritten Platz! Es war eins von den sportlich durchschnittlichen Heimspielen. Ein biederer Gegner, Reutlingen, eine von den Mannschaften, die nie Bundesliga spielen werden und in zwei/drei Jahren wieder in der Regional- bzw. Oberliga verschwinden. Sportlich nix wildes, KICKER-Spielnote drei. Apropos drei: soviel Punkte gibts für den VfL; und jeder Sieg löst im Kopf eine beruhigende Befreiung aus. Wow, wir alle haben es geschafft. Ein Gemeinschaftsgefühl, obwohl ich den Ball nicht berührt habe. Ein lauter Sprechchor: „2010 – ihr werdet es schon sehen: wir holen den U-U-EFA-Cup und wir werden deutscher Meister!!!“

20.55 Uhr – La Ola mit der Mannschaft, dann rein in die volle Bahn und zurück zum Hauptbahnhof. Um 21.27 Uhr kommt der Regionalexpress, da bleibt immer noch genug Zeit für den guten alten „City Grill“ gegenüber vom Bochumer Hauptbahnhof. Der Inhaber – vermutlich Grieche – kennt mich schon gut, und macht die „PommesCurrywurstMajo“ (Phosphatstange Pommes Schranke) von ganz allein. Schmeckt immer wieder. Ne Cola dabei, ach geben se gleich zwei. Rein in die Bahn, das Spiel Revue passieren lassen, Tabellen ausrechnen. Und zurück gen Mülheim.

So sieht mein ganz normaler VfL-Alltag aus, der von der ersten bis zur letzten Sekunde etwa 4 1/2 Stunden dauert. Langweilig, wird mancher von Euch sagen. Das hätte der auch in drei Zeilen machen können, nach dem Motto: 1) Regionalexpress von Mülheim bis Bochum nehmen, 2) Straßenbahn 308, 3) Bratwurst im Stadion, Grönemeyers „Bochum“, „Mein VfL“, 4) Spiel gucken, 5) Mit der 308 bis Hauptbahnhof, 6) City-Grill, 7) Mit dem Regionalexpress von Bochum bis Mülheim.

Aber jetzt schaut mal auf Eure Beziehung: Auch ihr könntet Sachen finden, die immer wieder passieren. Und wird Euch dabei jemals langweilig?

Nee. So ist das, wenn man von einer Art „Liebe“ spricht…

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