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ZUM TAGEBUCH DER SAISON 2001 / 2002
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folgt
Angst
Schlusspfiff, Teil 1:
Die Mannschaft kommt sehr halbherzig in die Kurve!
Als Beton-VfL fahren wir hin, als Sparringspartner zurück. Über einen sportlich sinnlos verplemperten, aber dennoch hübschen Tag
Schlusspfiff, Teil 2:
Imhof, Bönig und Azaouagh trauen sich ganz nah ran!
Jetzt mal Tacheles
Schlusspfiff, Teil 3:
Auf Befehl von wem auch immer kommen dann doch noch alle
Es sind Film-Bilder, die
entstehen, wenn ich in einem ICE im Gang zwischen zwei Wagen sitze. Die
"Neon" in der Hand haltend, einen Wuppi von Kamps auf dem Schoß,
die 0,5-l-Fanta auf dem Zugboden, die Stecker in den Ohren, "Everlong"
hörend. Es sind die Momente, die in Tausenden von Musikvideos auftauchen
könnten. Videos jeder Musikrichtung. Irgendwas von Prodigy, Roxette
oder irgendwas Metallica-until-it-sleepsiges. Okay, AC/DC passt vielleicht
grad nicht. Hab mir sogar eine Reservierung beschafft für diese Hinfahrt
von Dortmund nach Berlin, aber der Wagen ist voll und ich will mich in
einen Sitz zwingen. Will lieber hier sein, im Gang, allein, die Einsamkeit
eines Auswärtsspiels genießen, eines Spiels in Berlin. Wieder
so eine Stadt, in der ich noch nie einen Sieg des VfL erleben durfte.
Bin schon zum sieben Mal
hier, also nur zum Fußball. Letztmals weilte ich im Oktober an der
Spree, zwei Wochen zur Arbeit im WAZ-Büro,
seither hat Kaiserbase "Berlin, du bist so wunderbar" in die Charts gebracht,
während Peter Fox mit "Guten Morgen Berlin, du kannst so hässlich
sein" dagegen hielt. Ich lehne meinen Kopf gegen die Wand und lasse bei
220 km/h die Landschaft an mir vorbeiziehen. Die Landschaft und die Bahnhöfe
Hamm, Bielefeld und Hannover. Da finde ich dann doch noch einen Sitzplatz,
lege meinen Kopf ins sanfte ICE-Kissen und denke ein bisschen an das, was
heute kommt. Ich treffe in Berlin einen Mit-Volo, den wir den "Doc" nennen,
und der jetzt gerade im Korrespondentenbüro arbeitet, so wie ich im
Oktober. Und ich werde, ja doch, ein Fußballspiel sehen, von dem
ich mir ganz und gar nichts erhoffe. Es ist so ein VfL-Bochum-Gefühl.
Ich weiß, dass ich aus sportlichen Gründen sinnlos einen Tag
meines Lebens verplempere und will es doch als Bereicherung empfinden.
Muss nur noch feststellen, was für eine Bereicherung das sein soll.
Erst einmal wird's auf jeden
Fall ein verzögerter Ausflug. 13.08 Uhr sollte der ICE ankommen, es
wird 13.14 Uhr, sechs Minuten, okay, suche den "Doc", vergeblich. Der Treffpunkt
ist schon länger vereinbart, okay, rufe ich ihn eben an. "Hatte gestern
in Kreuzberg ein paar Biere zu viel", sagt er. "Ich fahre jetzt los, brauche
aber noch eine halbe Stunde. Mindestens." Er ist eben auch als Doktor der
Unpünktlichkeits-Wissenschaft bekannt. Ich nutze die Zeit, alte Gebäude
zu sehen. Naja, ich fahre erst meinen Kalorienhaushalt in ungeahnte Höhen,
indem ich irgendeinen Snack bei McDonalds beschaffe. Ich benutze die Rolltreppe
Richtung Hauptein/-ausgang, wäre was für eine fünfte Staffel
von "Berlin Berlin", stelle mich in die Sonne, hätte gern eine Sonnenbrille
wie Morpheus in der Matrix-Trilogie, die ich mir simpel auf die Augen hefte,
und blicke mich um. Sehe geradeaus das Kanzleramt, links den Turm am Alexanderplatz
und rechts eine Kleingruppe, die "Berlin by bike" erkunden will. Von zwei
Touristen werde ich gefragt, wo das Brandenburger Tor ist, schön,
dass man mich für einen Berliner hält. Gibt Schlimmeres. Von
Minute zu Minute ziehen mehr Hertha-Fans an mir vorbei. So viele wie noch
nie.
Denn die Vorverkaufszahlen
sind gigantisch. Über 70.000 Zuschauer erwarten die Berliner - und
das zu einem Spiel gegen Bochum. Irgendwelche Berliner haben ein komisches
Lied gedichtet: "Hey das geht ab! Wir holen die Meisterschaft!" Das läuft
schon jetzt in einer Tour - und wird wohl den ganzen Tag auf und ab dröhnen,
wenn wir das Ding in den Sand setzen. Gegen zwei taucht der Doc auf, wir
nehmen direkt eine S75-Sonder-S-Bahn, die über "Bellevue", "Tiergarten",
"Charlottenburg" und "Westkreuz" Richtung Olympiastadion fährt und
dabei die Haltepunkte "Messe" und "Heerstraße" auslässt. Dabei
schildert der Doc, dass er noch nie im Olympiastadion war (erstaunlich).
Ich kann ihn mit dem nutzlosen Fakt beeindrucken, dass Teile von "Equilibrium"
am Olympiastadion gedreht wurden, weil's immer noch so schön nach
Diktatur aussieht. Also von außen, innen ist's ja ganz schmuck, zugegeben.
Wir betreten's pünktlich
eine Stunde vor Spielbeginn, wie vermutet, läuft das Meisterschafts-Liedteil
nahezu nonstop, ein halber Liter Spezi kostet 3,50 Euro. Am Eingang wurde
ich auf Aufkleber abgetastet, noch so eine Premiere. Koller setzt, das
ist weder eine Premiere noch eine Überraschung, auf den Schafstall-Beton.
Vor Fernandes stehen - von rechts - Pfertzel, Maltritz, Mavraj, Yahia und
Bönig fast in einer Art Fünferkette nebeneinander, die Herthas
Offensive mit Ebert, Raffael, Pantelic und Voronin möglichst zweikampfstark
begegnen sollen. Und dann wären da noch Imhof und Dabrowski, unsere
defensiven Feldspieler Nummer sechs und sieben, die sich auch zumeist in
unserer eigenen Hälfte aufhalten. Unsere Offensive besteht aus dem
angeschlagenen Azauoagh, der es meist mit drei, vier Spielern aufnimmt
und das gar nicht mal so schlecht macht sowie aus Freier und Hashemian,
die beide zusammen null Saisontore erzielt haben und das nun gegen Simunic
versuchen sollen, den zurzeit formstärksten Innenverteidiger der Liga.
Glückwunsch.
Und doch, ja, Glückwunsch
trifft's. Denn Kollers Taktik geht sogar einigermaßen auf. Wir stehen
ziemlich solide, in der ersten halben Stunde muss Maltritz einmal auf der
Linie retten, das isses an Berliner Torgefährlichkeit. Wir gehen sogar
in der Torschussstatistik in Führung und das ist ein ziemlich großes
Wunder. Und ja, wir holen sogar einen Freistoß am 16er heraus, könnten
in Führung gehen. Könnten. Denn Hertha fängt den Ball ab,
kontert, Voronin steht frei von Fernandes, der wehrt ab, Ebert flankt auf
Pantelic, der köpft rein. 1:0 für Hertha, Jubel im mit 71.500
Zuschauern gefüllten Rund. Wir spielen eine Beton-Taktik und werden
ausgekontert. Da muss man schon der VfL Bochum sein, um das hinzukriegen.
Und weil wir der VfL sind, kriegen wir das sogar ein zweites Mal
hin. 48. Minute: Ecke für uns durch Freier, schwach geschossen und
deshalb schnell abgefangen. Piszcek läuft auf der rechten Seite dem
bereits gelb-vorbelasteten Bönig davon, spielt auf Raffael, der versenkt
souverän zum 2:0. Das Spiel ist gelaufen, jeder merkt das in diesem
Moment, und das 42 Minuten vor Schluss. Der Rest des Spiels besteht aus
fünf Dingen. Erstens: Wundern darüber, dass Mario Gomez beim
Stuttgarter 4:1 gegen Wolfsburg alle vier Tore schießt, zweitens:
Der Meinung des Doktors lauschen, dass er sich von einer Mannschaft, die
so in Abstiegsgefahr ist, wesentlich mehr Gegenwehr erwartet hätte
(ich auch, by the way), drittens: Der La-Ola-Welle zuschauen, die die Hertha-Fans
selbst bei einem so unterdurchschnittlichen Spiel starten, viertens: Den
restlichen Text von "Hey das geht ab" zu verstehen (vergeblich) und fünftens:
Union Berlin zum Aufstieg gratulieren. Die Jungs aus dem weit entfernten
Köpenick - nahezu 45 Minuten mit der S-Bahn - haben's heute geschafft,
was im Olympiastadion aber ignoriert wird. Die feiern lieber "Vo-ro-nin",
obwohl der ziemlich schlecht aussah gegen Mavraj. Ja, am Ende gewinnen
wir sogar die Torschuss-Statistik, aber wen juckt das schon!? Als der Schiri
das traurige Schauspiel zum Glück beendet, habe ich den Tag in der
Tat sportlich verplempert, wenigstens sagt der Doc: "Danke! Hat Bock gemacht!"
Ich schließe meine Augen, öffne sie ein paar Sekunden später,
beobachte meine Mit-Fans und habe große Sorge. Das Wort "gemeinsam"
trifft im Abstiegskampf auf den VfL nicht zu. Die Mannschaft wagt sich
nach Schlusspfiff nur bis auf 25 Meter an die Fans heran und geht wieder.
Dann kommen nur Imhof, Bönig und Azauoagh und werden beschimpft. Als
die gehen, schickt irgendeiner - Koller, Gustl, wer auch immer - alle Spieler
noch einmal in die Kurve. Gezwungen. Nur Maltritz kommt nicht. Die Atmosphäre
zwischen Fans und Spielern ist im Arsch, ganz klar. Die Mannschaft selbst
ist ersatzgeschwächt. Alles legen wir in das Frankfurt-Spiel nächste
Woche. Nur dann sind Klimowicz und Sestak wieder fit, dann wird Epalle
nicht mehr geschont. Leider fehlt Fuchs dann immer noch, wohl die schlimmste
Verletzung für uns. Als der Doc und ich das Stadion verlassen, müssen
wir das ernüchternde Fazit ziehen, dass wir nur ein ordentlicher Sparringspartner
für eine kaum geforderte Hertha waren. Bitter.
Wir wollen es uns dafür
etwas weniger bitter machen, sondern süß, herzhaft und lecker.
Wir steigen in die S75 Richtung Lichtenberg, nehmen den gleichen Weg zurück,
steigen eine Station hinter Hbf an der "Friedrichstraße" aus. In
der Kneipe "Aufsturz" gibt es 100 Biersorten, da wird für den Doc
was dabei sein, und für mich ne große Spezi für 2,80 Euro.
Und ein Wiener Schnitzel auf Kartoffel-Gemüsepfanne. Es geht um die
WAZ, den Job, Fußball, Privates (alles wunderbar!). Und wir setzen
die Gespräche im "Tacheles" fort, einem Kulturhaus an der Oranienburger
Straße. Dort, wo auch die Synagoge steht, dort, wo auch nachts die
Nutten stehen. 1998, als ich schon einmal im "Tacheles" war, war es besetzt
und sollte geräumt werden. Da wohnte mein Bruder noch in einer Altbauwohnung
im Prenzlauer Berg. Jetzt steht es in sämtlichen Berlin-Reiseführern
aller Sprachen als alternatives Vorzeigeprojekt und so wirken die alternativen
Piercing-Schlabberhosenträger wie extra hingesetzte Staffage. Aber
das klingt jetzt zu negativ. Das "Tacheles" ist trotz der mit teuren Nikon-Kameras
ausgestatteten Touristenbesucher ein wunderschöner, kaputter Ort,
in dem sich so mancher Abend verbringen lässt. "Hey was geht ab, wir
holen die Meisterschaft", singen zwei betrunkene Hertha-Fans, als ich mich
- die Sonne scheint immer noch, wie schon den ganzen Tag - um 20.30 Uhr
wieder auf den Weg machen muss. Sage dem Doc "Tschüss", in zwei Wochen
ist er wieder in Essen am Start.
Am Bahnhof Friedrichstraße
fährt er Richtung Osten, ich Richtung Hauptbahnhof. Im ICE sitzt mir
der Prototyp eines unsympathischen Menschen gegenüber. Er telefoniert
pausenlos mit seinem "Putzelhäschen", nimmt zwischendurch sein gekauftes
belegtes Brötchen aus einer Tüte, nimmt es aber auseinander und
studiert Gurke für Gurke und die Putenscheibe, schmatzt so unangenehm,
dass es auffällt und sagt so laut, dass es jeder im Wagen hört:
"Ich muss mich dringend duschen. Ich rieche nur nach Bier." Als der Schaffner
kommt, zückt er noch 'ne Bahncard 100. Vielleicht bin ich auch nur
genervt, dass mich wieder so eine lange, einsame Rückfahrt von einem
Auswärtsspiel erwartet, aber mir geht der Typ auf den Keks. Gut, dass
er schon in Stendal wieder aussteigt, dem ersten Haltepunkt. Dem ersten
von elf. Diesmal bleiben wir auch in Wolfsburg stehen, in Herford, ja sogar
Gütersloh. Das verschlafe ich aber, schon kurz vor Herford falle ich
in den typisch unruhigen, Rückenschmerzen verursachenden ICE-Schlaf.
Gut, dass ich kurz vor Essen mehr zufällig wach werde.
Leider ist da das 0:2 immer
noch das passierte Ergebnis. Reden wir Tacheles: Nur noch einen Punkt werden
wir morgen Abend vor Platz 17 stehen und spielen nun in Hamburg, nicht
sehr beruhigend, vor allem, weil die Konkurrenz einfache Aufgaben hat oder
direkt aufeinander trifft. Doch um 1.35 Uhr, als ich meine Haustür
aufschließe, will ich nur noch in mein Bett fallen. Good night world.
Weitere Berlin-Texte auf dieser Seite
Blick vom Hauptbahnhof
Richtung Alexanderplatz
12. April 2003: Hertha
BSC Berlin - VfL Bochum 1:0 (Spielbericht bitte HIER
klicken)
14. bis 18. Juni 2003:
Ein kurzer Familien-Trip mit drei Generationen (Fotos und Eindrücke
bitte HIER klicken)
6. März 2004: Hertha
BSC Berlin - VfL Bochum 1:1 (Spielbericht bitte HIER
klicken)
7. August 2004: Hertha
BSC Berlin - VfL Bochum 2:2 (Spielbericht bitte HIERklicken)
11. November 2006:
Hertha BSC Berlin - VfL Bochum 3:3 (Spielbericht bitte HIER
klicken)
27. Oktober 2007:
Hertha BSC Berlin - VfL Bochum 2:0 (Spielbericht bitte HIER
klicken)
5. bis 17. Oktober 2008:
Zwei Wochen Praktikum im WAZ-Korrespondentenbüro Berlin (bitte HIER
klicken)
Olli Schröder und
Philipp "Standing Ovations" Bönig zeigen, was passiert ist!
Der Tag, an dem wir eine beschissene Saison retteten. Und die Symbolfigur des Tages ist ein Linksverteidiger!
Nie mehr zweite Liga 3.0
Im dritten Jahr hintereinander
singe ich das jetzt. Und ich verspreche, ich werde nicht damit aufhören
bis... bis... bis... irgendwann. "Nie meeeeeeeeehr zweite Liiiiiigaaaa,
nie meeeehr, nie meeeehr, nie meeeeeeeehr zweite Ligaaaa!!" Auf diese Minuten
arbeitet jeder Fan des VfL Bochum ein ganzes Jahr lang hin. Auf diese Minuten,
die so erleichternd sind wie Pinkeln nach zehn Apfelschorlen im Schrägen
Eck. Die so beglückend sind wie xxx *zu kitschig für diese Seite*
xxx. Die so euphorisierend sind wie die ersten Takte von "Everlong" bei
einem Foo-Fighters-Konzert oder wie die ersten Bruchstücke von "Read
my mind" beim Killers-Konzert
im März. Hey, wir haben's GESCHAFFT!!! GESCHAFFT!!! Wir haben diese
verschissene, abtörnende, katastrophale, miese Saison glücklich
beendet. Aber lasst mich diese Schreckens-Vokabeln für ein paar Zeilen
vergessen. Lasst mich "Nie meeeeeeeeeehr zweite Ligaaaaaaaaaaaaaa" singen.
Rufen. Brüllen. Schreien! JAAAA!
***
Heute kann es gut gehen.
Und es kann schief gehen. Es wird heute so intensiv wie noch nie in den
vergangenen zwei Jahren. Es ist ein Endspiel, ein Finale, das gegenseitige
Assessment-Center. Mannschaft prüft Fans, Fans prüfen Mannschaft
- und das gegenseitig auf Erstliga-Tauglichkeit. Das 33. Spiel flasht mich
wie noch keins vorher in dieser Saison. Wache neben der Liebsten auf, mag
die Augen nicht so richtig aufklappen. Gehe in Downtown Witten ein bisschen
durch die Gassen und Straßen, mal in diesen Laden, mal in jenen,
gehe gedanklich alle Varianten einer möglichen Aufstellung durch,
erinnere mich an Mittwoch. Nach der Arbeit bin ich mit dem Regionalexpress
ins Bermuda-Dreieck geeilt, habe mich in der kleinen Kneipe "Jedermann's"
- gegenüber vom "Freibeuter" - in die erste Reihe geflazt und mir
das deprimierende 1:3 in Hamburg reingezogen. Und hab mir den Kopp rot,
wild, schmerzend und wund geredet, diskutiert. Ich war - oh Wunder - der
Positive in unserer Runde, hab davon geredet, dass wir Frankfurt problemlos
putzen, während Bielefeld und Cottbus nullen. Hieße: gerettet.
Doch die anderen? Resigniert nach fünf saft- und kraftlos verlorenen
Spiele in Folge. Ohne Vertrauen ins eigene Team. Wild um sich schlagend
"Koller raus" rufend. Ja, ich spaziere an der Hand meiner Liebsten durch
Witten, trage den blau-weißen VfL-Schal fest verknotet um den Hals,
die Kamera in der Tasche des Kapuzenpullovers. Ruhig ist es, noch.
Bis 13.10 Uhr. Da fährt
am Wittener Hauptbahnhof der Regionalexpress Richtung Essen ein, mit acht
Minuten Verspätung. Warum, wird schnell klar. "Arbeitslos und die
Alte im Bordell - das ist der VfL!", schallt's aus allen Ecken des Zuges,
als wir VfLer den Zug betreten. Der Zug kommt leider aus Siegen - und ist
eine der Möglichkeiten für Frankfurter Fans, mit dem Wochenend-Ticket
in den Pott zu gelangen. Oh je. Dauert zum Glück nur zehn Minuten
bis Bochum.
Und von dort nur fünf
bis zum Ruhrstadion. Bin viel zu früh dran (viel zu früh!), als
ich um kurz nach halbzwei hinter der Ostkurve entlanglaufe, ist das Stadion
noch nicht mal geöffnet. Das ist der Saison-kurz-vor-dem-Ende-Moment,
den alle Fußballfans um diese Uhrzeit empfinden. Zu aufgeregt, um
still auf der Couch zu sitzen - und zu still, um jetzt schon aufgeregt
genug zu sein. Ich gehe in den Fanshop, kaufe für zweimal 31 Euro
Karten für das Spiel in Köln nächste Woche - da wird's ja
allem Anschein nach um die Frage "Relegation ja oder nein?" gehen. Mein
Bruder hat sein Kommen zugesagt. Er meldet sich passenderweise im gleichen
Moment per sms und fordert Infos an, weil er gerade im IC von Linz Richtung
Magdeburg sitzt. Mache mir keine Gedanken, was er sowohl in der einen als
auch in der anderen Stadt macht. Egal. Da sind's immer noch 110 Minuten
bis zum Anpfiff. Zum Glück gibt's keinen Arzt am Einlass, der jeden
Fan untersucht und alle, die nicht 120:80 Blutdruck und einen gleichmäßigen
Puls nachweisen können, nicht einlässt. Mich müsste er sofort
einliefern. Wie vertreibe ich mir bloß die Zeit? Ich gehe ins 1848,
Fankneipe im Stadioncenter, spaziere direkt durch auf die Terrasse. Wenn
gegen zwei die Mannschaftsbusse kommen, sind Spieler und Trainer von hier
zu sehen, auch Schweißperlen und Gelassenheit. Bei den Fans, die
beobachten (so wie ich) und auch bei den Spielern. Kurz nach zwei kommen
die Frankfurter, ich gucke kaum drauf, registriere nur die "Funkel-raus"-Rufe,
als der Trainer kommt. Fünf Minuten später fährt der VfL-Bus
vor. Weiß gar nicht, wer zuerst kommt, glaub Dabrowski. Es gibt Beifall,
ja sogar Sprechchöre, als Epalle zu sehen ist. Doch als Koller kommt,
brüllen ein paar Leute "Koller raus". Der registriert's mit extrem
bösen Blicken Richtung Terrasse. Oh wei, ist das verkribbelt. Sekunden
zwischen Buh und Beifall.
Wie wird's wohl, wenn ich
in der Kurve steh? Buh? Beifall? Bin heute fast auf mich allein gestellt,
weil Gerd schon urlaubt. Wenigstens ist ein Volo-Kumpel von seinem Praktikum
beim DSF heimgekehrt, gestern Abend mit dem Auto. Er erzählt von MAZ,
Bundesliga Aktuell und Thomas Herrmann, noch mehr Ablenkungskram. Die anderen
sind vertreten, ich erfahre von Lupo, dem Prof und den anderen sogar mehr
Privates als in meinen bisherigen 22 Kurvenjahren (nämlich die Vornamen!).
Die Sekunden vergehen nur saumäßig langsam, aber ab drei glüht
der Funk. Unser Trainer hat entschieden, Philipp Heerwagen anstelle von
Fernandes in den Kasten zu stellen - so wie ich, so wie wir es seit Monaten
fordern. Jetzt! Endlich! Mutig! So wie die ganze Aufstellung! Fernandes
raus, dazu noch Yahia und Dabrowski - das aber weniger überraschend.
Koller lässt so offensiv spielen wie lange nicht. Mit den zwei Stürmern
Hashemian und Klimowicz und drei offensiv orientierten Mittelfeldspielern:
Pfertzel, Azaouagh und Epalle. Schon um zehn nach drei brüllen wir
alle "V-F-L! V-F-L!" und ich merke jetzt: Wenn es drauf ankommt, ist auf
uns Bochumer Verlass! Dann vergessen wir Maltritz raus und Koller raus
und alles andere! Aber kritisch bleiben wir: "Leitbild oder Leidbild?",
fragt Block A und präsentiert die Stichworte des offiziellen Vereins-Leitbildes,
zum Beispiel "professionell", "regionale Identität" und "unbeugsam".
Clever! Die Ultras fordern und drohen zeitgleich: "Zerreißt Euch
- sonst tun wir es!" Die Aufstellung: laut! Herbies "Bochum": lauter. Einlaufen:
ganz, ganz laut. "AUF GEHT'S BOCHUM SCHIESST EIN TOOOOOOOOR!"
Zu Beginn läuft es
ziemlich scheiße. Frankfurts Alex Meier schießt aufs kurze
Eck, Maltritz klärt auf der Torlinie, in Minute fünf etwa. Die
Frankfurter sind so laut, wie sie immer laut sind. Und wir? Wir pfeifen
nicht mal! Wir sind alle körperlich so unendlich angespannt, dass
beide Knie durchgedrückt sind, die Augen weit aufgerissen und dass
Lupo anfängt zu rauchen. Mein Kumpel aus Wernigerode trägt seinen
kleinen Sohn auf dem Arm - nur das hält ihn davon ab, auch übermäßig
nervös zu gucken. Wir können gar nicht anders als laut "V-F-L",
"V-F-L" zu brüllen. Bei einem kommt das ganz besonders an.
Philipp
Pippo
Bönig
Linksverteidiger.
Der ist genauso Bochumer
wie Rüdiger Kauf Bielefelder ist. Der grätscht, kämpft,
beißt, tritt und flankt, als würde seine Karriere an diesem
Tag um 17.15 Uhr enden. Schon in Minute 20 bittet Koller Anthar Yahia zu
sich, weil Bönig nicht mehr kann. Aber er kann doch noch. Weiter und
weiter und weiter. Und wir greifen auch an, weiter und weiter und weiter.
Über Bönig natürlich, der in bester Fuchs-Manier offensiv
punktet. Bönig flankt auf Pfertzel, der hämmert die Kugel ins
kurze Eck: Pröll ist da. Jawoll, 20 Minuten sind um, V-F-L, V-F-L.
Kein Superspiel - aber wer hat schon damit gerechnet. Ich nicht. AUF GEHT'S
BOCHUM! Yeah! Heerwagen steht gut hinten und glänzt durch superweite
Abwürfe. Einen davon nimmt in Minute 27 Epalle an, er sprintet über
rechts Richtung Eintracht-Tor. Spielt einen Doppelpass mit Bönig,
dringt fast bis zur Grundlinie vor, FLAAAAAAANKEEEE, Hashemian - TOOOOOOOOOOOOOOOORRRRR!!!!
Der Hubschraubeeeeeeer!!! TOOOOOORRRRR! Wu-huuuuu - Song2, Torpogo, der
beste Torjubel der Saison bisher, eindeutig, hundertprozentig, TOOOOOOOOOORRRR!!!
Jaaaaaaaaaaaa!!! Gerade noch gelästert, dass der vermutlich ausgerechnet
heute trifft, und JAAAA, macht er. "Der Torschütze: Vahid?" "HASHEMIAN!"
1:0! Jawollja! Natürlich wissen wir auch, wie es auf anderen Plätzen
steht. Nicht - wie früher - via Radio, sondern via iphone und sonstiger
Internet-Handys, aber das "Stuttgart führt!" wirkt auf egal welche
Weise. Smse meinem Bruder zur Pause: "Stand jetzt sind wir gerettet!" Bielefeld
liegt in Dortmund 0:1 zurück, Cottbus in Stuttgart auch. "ABPFEIFEN!",
brüllt Lupo. Genau.
Zweite Halbzeit, 45 Minuten
vor der Rettung. 45 Minuten noch! Die Frankfurter spielen nach ordentlicher
Anfangsphase inzwischen sehr schwach. Bönig macht nach wie vor ein
Sensationsspiel, und das zweinull ist greifbar nahe. Bönig flankt
auf Klimowicz in Minute 55, der köpft einmal, zweimal - Pröll
hält super. Zweimal. Gibt's nicht. Gibt es GAR NICHT!!!! Das musses
sein. Weiter zittern. Ist nichts normal in dieser Scheiß-Saison???
Vorn klappt es nicht und hinten? Meier steht völlig blank nach 'ner
Stunde und schießt drüber. Hui, hui, hui, hui, hui, das war
das zweite Riesending für die Eintracht. Wäre unverdient gewesen
- aber doch das 1:1. Andere Seite, inzwischen 65., die entscheidende Phase.
Atmen verboten. Freistoßflanke Epalle, Maltritz ganz frei, Pröll
hält wieder riesig. Immer noch 1:0. Immer noch!!! MAAAAAAANNN!!! Wir
greifen weiter an, wollen es mehr als die Eintracht. Bielefeld liegt inzwischen
0:5 zurück in Dortmund, Cottbus 0:2 in Stuttgart. Heißt: Die
Frankfurter sind sicher durch, wir nur, wenn's beim Dreier bleibt. Wir
Fans spüren das, es ist mit großer Sicherheit das emotionalste,
lauteste Heimspiel der Saison.
73. Minute, 16.58 Uhr, wichtig,
wichtig. Ein 60-Meter-Pass in den Eintracht-Strafraum, Hashemian steigt
zum Kopfball hoch, köpft Richtung "Fünfer", dort steht Frankfurts
Jung und will die Kugel weghauen, er schießt aber Hashemian an. Der
Ball kullert Epalle vor die Füße, SCHIESS, SCHIESS, SCHIESS
EIN TOOOOOORRRR, neeein, er schießt Pröll an, Abpraller, Klimowicz
köpft aus sieben Metern
rein
TOOOOOOOOOOOOORRRRRRR
TOOOOOOOOOOOOORRRRRRR
wuhuuuwuhuuuu
Song2
Poooogooooooooo
JAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAA
JAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAA
"Torschütze die 14:
Diego?" "KLIMOWICZ!" Jetzt wissen wir's. Jetzt singen wir's. "Nie meeeeeeeeehr
zweite Ligaaaaa, nie meeeeeehr nie meeeeehr nie meeeeeeeehr zweite Ligaaaaaa!"
Einer der leiseren von uns nimmt allen Mut zusammen und schreit's raus:
"JAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAA" Wir schauen ihn an, er schaut uns
an, lacht und sagt dann: "Tschuldigung, musste raus." So geht's allen.
Wir knicken unsere Beine wieder ein, strecken uns wieder und überstehen
sogar noch einen Tränen-Moment. In Minute 75 wechselt Koller den komplett
ausgelaugten Bönig aus, welch Wunder, dass der noch selbst gehen kann.
"Phiiiiiiiilipp Bööönig", brüllt die Ostkurve, brüllt
Block A, und ja, selbst die faule Haupttribüne steht gesammelt auf.
Für einen Linksverteidiger! Unfassbar! Da schießt mir die Suppe
fast in die Augen, die gesamte verschissene Saison sehe ich in den Sekunden
vor mir, die Bönig braucht, um den Rasen zu verlassen. Viel passiert
nicht mehr. "Marcel Maltritz"-Rufe, als Versöhnungsangebot gedacht,
Verabredungen fürs Bermuda-Dreieck heute Abend, die Durchsage, dass
Bier und Cola nach dem Abpfiff vor dem Stadion nur einen Euro kosten, viele
Glückwunsch-sms, viele Steine, die von allen möglichen Herzen
plumpsen. Abpfiff, hey, geschafft. Klassenerhalt, zum Dritten unter Koller.
Nie mehr zweite Liga 3.0. Wir spielen ein viertes Jahr in Folge in der
Bundesliga. Kaum zu glauben. Wirklich kaum zu glauben!
***
Und so begießen wir
dieses sportlich sicher nur durchschnittliche, aber doch ungemein emotionale
Spiel mit Applaus und 'ner "Humba", die der solide Heerwagen via Megaphon
anstimmt. Und doch bleibt der Eindruck: Über geschaffte Klassenerhalte
haben wir schon ausgiebiger und ausgelassener gefeiert. Die Mauer zwischen
Mannschaft, Vereinsführung und Fans ist gebröckelt, aber noch
nicht gefallen. Niemand darf vergessen, dass wir nur fürchterlich
magere 31 Punkte geholt haben. Niemand sollte die Saison mit einem mageren
"Ziel erreicht" abhaken. Ziel waren einmal 45 Punkte.
So bleibt am Tag danach,
während ich diesen Text schreibe, nur das Gefühl, dass wir diese
beschissene Saison voller Anfeindungen, Contras und miesen Spielen mit
dem Minimalziel abschließen. Nicht weniger. Aber weißgott auch
nicht mehr. Und an diesen zweifelsohne wunderbaren gestrigen Tag erinnern
heute nur noch ein youtube-Schnipsel - und eine leise Melodie in meinem
Hinterkopf.
Die geht so:
"Nie mehr nie meeeeeeeeeeeeeeeeehr
zweite Ligaaaaaaaaaaa..."
Das Vorgeplänkel
Das Spiel und der Jubel
Der allerletzte Akt,
bevor der Vorhang fällt...
Mit einem komplett lustlosen Aufritt endet diese miese Saison. Im Gedächtnis verbleiben fast ausschließlich negative Ereignisse
... und alle Fragen offen
Wisst Ihr, eigentlich ist
es nie leicht, eine Saison zu beenden. Abzuschließen, den Deckel
draufzumachen, einen Strich drunter zu ziehen, vielleicht fallen Euch noch
weitere Sprichwörter, Metaphern, Phrasen etc. ein, die im meist unerträglichen
DSF-"Doppelpass" drei Euro kosten würden. Doch diesmal klatsche ich
um 17.18 Uhr an diesem wundervollen Samstagmittag in die Hände, applaudiere
meiner Mannschaft, die auf zweifelhafte Weise in Köln einen Punkt
ergaunert hat, schaue meinen Bruder an, die neben mir steht, und sage einfach
nur: "Endlich!" Jetzt beginnt die eigentlich schrecklichste Zeit für
jeden Fußballfan, jetzt regiert das Wort, das jeder Anhänger
so unerträglich findet wie Jürgen Klinsmann Lothar Matthäus.
SOMMERPAUSE!
Doch diesmal fühle
ich mich gar nicht schlecht. Ist mir überhaupt nicht schwindelig,
ist mir überhaupt nicht nach Heulen zumute. Ich brauche die kommenden
drei Monate. Um zu vergessen. Um die Schublade mit dem Etikett "Saison
2008/2009" in meinem Gehirn leerzuräumen und das Etikett erst mit
einem schwarzen Edding durchzustreichen und dann abzureißen. Wir
haben uns mit 32 Punkten gerettet. Mit 32! Vor einer Woche habe ich Euch
mit den beiden Wörtern "Magere Punktzahl" eigentlich schon genug gequält.
Eigentlich.
Denn bleibt von dieser Saison
irgendetwas Positives? Lasst mich zurückblicken, in verschiedenen
Punkten.
Das beste Spiel: Und
lasst mich mit einem kleinen positiven Lichtblick beginnen, vielleicht
auch im Vorgriff auf die kommende Saison. Denn was vor einer Woche beim
2:0 gegen Eintracht Frankfurt abging, das macht
wirklich Mut. Eine solche Zusammenarbeit zwischen Mannschaft und Fans:
So würden sich das alle Beteiligten immer wünschen - und es hat
gezeigt, dass alle funktionieren können, wenn es drauf ankommt.
Das schlechteste Spiel:
Da fällt die Auswahl schwer. Richtig schwer. Das 0:2
gegen Hannover war richtig schlimm, eine klassische Apocalypse-Bochum-Situation.
Sportlich grauenhaft ging's zu Hause gegen die Bayern
(0:3) und gegen Borussia Dortmund
(0:2) zu. Glücklos, risikolos, wehrlos, chancenlos. Die erste
Halbzeit beim 2:3 im Heimspiel
gegen Hertha BSC - unendlich schmerzhafte Minuten mit drei Gegentoren.
Und bleiben wir bei Hertha: Das Rückspiel im Olympiastadion
(0:2) habe ich nur noch deshalb in positiver Erinnerung, weil ich in
Berlin einen schönen Kneipenabend mit einem Mit-Volontär verbringen
konnte.
Das schönste Auswärtsspiel:
Wobei in dieser Saison wirklich alle Auswärtsspiele echt schön
waren - vor allem das bei Werder Bremen, trotz der unglücklichen 2:3-Niederlage.
Schließlich konnte ich meine Liebste dazu gewinnen, mich in den Norden
zu begleiten. Wir verlebten einen herrlichen Samstagabend.
Das größte
Zitterspiel: Wieder auswärts. 1:0
in Mönchengladbach. Jubelpogo beim Abpfiff. Selten so erlebt.
Beste Spieler:
Mein Spieler der Saison ist Philipp Heerwagen, obwohl er nur dreimal spielen
durfte. Völlig unverständlich, dass unser Trainer erst nach dem
32. Spieltag gemerkt hat, dass Heerwagen viel besser ist als der womöglich
nette, aber doch schusselige Fernandes. Okay, Christian Fuchs darf ich
auch nicht vergessen. Wirklich ein toller Linksverteidiger. Und was für
ein sensationelles Spiel Philipp Bönig gegen Frankfurt gemacht hat,
werde ich wohl in Jahrzehnten noch nicht begreifen. Von meinen persönlich
"schlechtesten Spielern" mag ich hier nicht reden. Zu große Auswahl.
Von Fernandes über Maltritz und Yahia bis zu Freier und Hashemian.
Der schwierigste Homepage-Moment:
Nach dem 2:2 gegen Mönchengladbach
und meiner Kritik gegen die Ultras auf dieser Seite ging es flugs in die
andere Richtung. Aber überhaupt nicht konstruktiv, sondern eigentlich
ausschließlich auf unsachlicher Beschimpfungsebene. Da fehlte mir
wochenlang der Antrieb, mich weiter hier zu äußern, hier weiter
meine Geschichten zu erzählen. Ich konnte viel über Macht, Folgen
und Bedeutung des Internets nachdenken.
Der schwierigste Fan-Moment:
Der Rausschmiss von Thomas Zdebel in der Winterpause ist immer noch nicht
vollständig aufgeklärt und uns allen ein Rätsel. Kaum auszudenken,
wenn wir das erste Prä-Rausschmiss-Spiel gegen
Karlsruhe verloren hätten.
Der beeindruckendste
Fan-Moment: Die Pro-Zdebel-Demo in eben diesem Spiel gegen den KSC
war sensationell. Gänsehaut.
Fans gegen Fans gegen
Fans gegen Trainer gegen Spieler gegen Mannschaft: Dass wir Bochumer
keine Ja-Sager-Fans sind, die alles immer toll finden, weiß in Deutschland
spätestens seit dieser Saison jeder. Finde ich gut, denn jene Fangruppen,
die alles immer unkritisch hinnehmen, sind vielleicht vom Boulevard gewollt
und werden stets als "hingebungsvoll" bezeichnet, sind nichts für
mich. Aber übertrieben haben wir es in dieser Saison schon ein wenig.
Zuerst traf es - meint die Öffentlichkeit - Oliver Schröder beim
Heimspiel gegen Hertha. Ich meine immer noch: Damit war der Trainer gemeint,
der beim Rückstand für einen Defensiven einen Defensiven brachte.
Dann war's immer "Koller raus", bis zum letzten Moment. Was auch - trotz
des dritten Klassenerhalts in Folge - nach wie vor meine Meinung ist, weil
ich diesen Fußball nicht mehr sehen kann. Und was ich diese Saison
im Oktober 2008 auch öffentlich bei DerWesten geäußert
habe. Dann lieber einen - wie Calmund sagen würde - "positiv Bekloppten"
wie Pele Wollitz. Das gäbe zwar nur zehn Punkte, aber wenigstens Spaß
inne Backen. Und dann noch "Maltritz raus" beim Hannover-Spiel und die
Weigerung der Mannschaft, in die Kurve zu kommen. Es wären noch die
Fans-gegen-Fans-Momente aus der Hinrunde zu erwähnen, wenn's um "Koller
raus" ging. Potenzial nach oben, auf allen Seiten. Diese Saison darf sich
auf allen Seite niemals wiederholen. NIEMALS, NIEMALS, NIEMALS. Doch wie
das anstellen? Den Trainer will der Vorstand nicht tauschen, die Mannschaft
auszutauschen geht aus finanziellen Gründen nicht und wir Fans bleiben
auch. Sprich: fast in der gleichen Besetzung auf allen Seiten geht's in
drei Monaten in die Saison 2009/2010. Der Vorhang zu, und alle Fragen offen.
Natürlich ist diese
Liste unvollständig.
So wie dieser Text unvollständig
wäre, wenn ich nicht noch in einem kurzen Absatz auf dieses bedeutungs-
und lustlose Spiel eingehen müsste. Was bleibt ist, dass ich selten
so viel Geld für eine einzelne Eintrittskarte ausgegeben habe - nämlich
31 Euro. Machte aber nichts, denn mein Bruder (sein erst zweites Saisonspiel)
und ich konnten uns prächtig unterhalten. Das Spiel war ganz, ganz
furchtbar, ohne Leidenschaft, ohne Zweikämpfe, ohne alles, was zu
einem vernünftigen Fußballspiel gehört. Okay, die Kölner
Fans sind ziemlich wahnsinnig, und wenn 46.000 Personen "Mer stonn zo der,
FC Kölle" brüllen, vermag das auch Auswärtsfans durchaus
zu beeindrucken, aber das hat ja nichts mit dem zu tun, was auf dem Rasen
passiert. Zwei Tore gab's, auf jeder Seite eins, und beide erzielten Bochumer
Spieler. Das erste Klimowicz per Kopf nach schöner Flanke von Concha
in der 22. Minute, das zweite kurze Zeit später Yahia. Nach einer
Kölner Ecke brachte es der gute Anthar fertig, die Kugel unter die
eigene Latte zu köpfen. Der Höhepunkt in diesem armen
Spiel, in dem sich nur ein Spieler auszeichnen konnte: Philipp Heerwagen,
unser Schnapper, der so manches Loch in unserer Abwehr zu stopfen verstand.
1:1, fertig, aus. Am Schluss applaudieren wir noch Matthias Scherz, der
nach zehn Jahren in Köln seine Karriere beendet, weshalb ich nun von
mir behaupten darf, nicht nur Frankfurts Kult-Verteidiger
Uwe Bindewald mit in die Rente geschickt zu haben.
Ich sage "Endlich!" zu meinem Bruder, spaziere gemeinsam mit ihm zur Straßenbahn. Wir fahren zum S-Bahnhof "Weiden West", irgendwo am äußersten Rand von Köln. Köln-Weiden scheint nur aus eben diesem Bahnhof und dem nebenan liegenden Park+Ride-Parkplatz zu bestehen. Wir fahren bis zum "Hansaring", ziehen am Süßigkeiten-Automat eine gekühlte Zehner-Packung Yoghurette, die wir in fünf Minuten vertilgen (schönes Wetter!). Bei meinem Onkel in Köln-Mülheim gibt's Spargel-Quiche.
Es ist Minute 75 nach der Saison 2008/2009.
Rund um das Spiel