URLAUB: USA IM SEPTEMBER 2004
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Montag, 6. September (zum Foto-Tagebuch Boston geht es HIER )

Tag 1: Düsseldorf -> Amsterdam -> Boston

RUECKEN GEGEN WIND

Also hau ich ab mit Sack und pack meine sieben Sachen, die ich hab und dann wird mir klar, es fehlt immer ein Stueck, doch ich mir nichts draus, setz den Wagen zurueck und bin raus. Thomas D.

Bis zuletzt habe ich gezweifelt, jetzt kann ichs ja sagen. Schaffst du's wirklich, Andi? Ziehst du das wirklich durch? Uebern grossen Teich? Transatlantikflug? Und noch hocke ich im Boston Milner Hotel im Schneidersitz auf dem Bett, habe eine Nacht hinter mich gebracht, blicke mit einem Auge auf den Wetterbericht auf dem "Weather Channel" (der leider nichts Gutes zu berichten hat... Regen am Dienstag, Regen am Mittwoch, Regen am Donnerstag), schnueffel immer noch den Rauch meines Zimmervorgaengers, oeffne das Fenster, die Tuer - Durchzug, puuuh. Ein paar Wolken stehen am ansonsten blauen Himmel (gut, der "Weather Channel"), und der Wecker, den ich eigens fuer diesen Urlaub erwarb, zeigt 10.19 Uhr an. In Deutschland ist's sechs Stunden spaeter. 16.19 Uhr. Gestern um diese Zeit hockte ich im Flieger. Ueberm Atlantik. Mit Sack und Pack. Sieben Sachen. Und raus.

***

Max kommt in den Kindergarten. Ist es schon soweit? Wie war ich nur als Kindergartenkind? Am Anfang fand ich's bloed. Ich hab meine Mum am ersten Tag sogar getreten, weil ich wieder nach Hause wollte, ich weiss es noch. Nach einer Woche aber wollte ich sie fast schon schubsen, damit sie schnell wieder geht und ich spielen kann. Jaja, so war das. Max hat also seinen ersten Tag und sein Papa Marcus bringt mich trotzdem zum Duesseldorfer Flughafen. Ein grosses Opfer, ganz ehrlich. Smalltalk ueber den Muelheimer Fussball von gestern. Ueber die Autobahnen 52 und 44. Rucksack auf, Check-In. Schalter 186. Zwei Intellektuelle vor mir, Physiker mutmasslich. Sie aergern sich ueber die lange Schlange. "Also privat", traellert der eine, "also privat fliege ich nicht mehr KLM". Uebertreibung eines Gel-Haars. Angeber. Ich hoere Discman. Rueckenwind.

Mein letzter Flug ist fast genau vier Jahre her. Mallorca. Ballermann. Mit Zander, Marc, Bjoern. Was waren wir fuer eine Chaostruppe. Und nun also rein in diesen KLM-Cityhopper von Duesseldorf nach Amsterdam. Wow, ist der Sitz eng. So eng, dass ich meine Fuesse nicht nach links und rechts bewegen kann. Gluecklicherweise lagert die heutige WAZ schon auf meinem Schoss. Aber soll ich wirklich meine Texte nochmal lesen? Nachlesen? Ueber Tippfehler aergern? Och noeoeoeoeoe (hihi, sieht witzig aus). Die Fokker 50 rollt an. Jetzt ists zu spaet, Andi. Jetzt gehts los. Jetzt. Jetzt. Jetzt. Jetzt. Der Motor. Laut. Laaut. Laaaut. Laaaaauter, jaaaaa, Augen schliessen, festkrallen im Sitz, angestrengt gucken wie beim Hanteltraining, uuuuuund... das Herz rutscht in die Hose, die Gehirnzellen wackeln, abheben!!!! Flug. Duesseldorf von oben, Andi am Fenster, Himmel blau. Ein schoener Tag. Flug ueber Muelheim. Sehe die Iduna-Hochhaeuser, die Ruhr. Ja sogar die Engelbertuskirche. Und mein Haus. Nach zehn Minuten ist abschnallen erlaubt. Und 15 Minuten spaeter ist anschnallen wieder Pflicht. Hoppen. Citys. 12.30 Uhr Amsterdam. Schalte mein Handy wieder an, sehe erst jetzt Tinas sms von gestern Abend. Einen schoenen Urlaub wuenscht sie mir nochmal. Danke. "Der erste Flug", sms-e ich zurueck, "war schonmal komplikationslos."

Die Flughafenbrabbelei beginnt. Gemurmel links, rechts, geradeaus. Viele Sprachen, kaum zu identifizieren. Hektische Leute mit Koffern, Rucksaecken, Kinderwagen brezeln die vor die Staebe. "Sorry" heisst es ab sofort. Nicht mehr "'tschuldigung". Labyrinth "Amsterdam Schiphol". Gate E. D. C. Falsch. Zuerueck zu E. E 19. 12.45 Uhr. Check-In laueft schon. Reisepass zuecken. Flugtickets. Kontrolle. Ich werde zum persoenlichen Gespraech gebeten. Eine sensationell huebsche "Interviewerin" steht mir gegenueber, schaut tief in meine Augen und fragt. Fragt und fragt und fragt. Ein erster Englisch-Auffrischungstest fuer mich. Was machst du in den USA? Warum? Wie lange? Was willst du beruflich machen? "Journalist!" "Interesting!" Interessant. Zehn Minuten spaeter schwitze ich vor lauter Antworterei, als sie Ruecksprache mit ihrem Chef haelt. Ich muss nur noch die Hotelbestaetigung von Boston zuecken - und darf durch. "Have a nice trip." Scheinbar gibt es noch eine besonders scharfe Kontrolle. Keine Ahnung, wie die noch aussehen soll.

Mein Handgepaeck wird zum dritten Mal kontrolliert, durchleuchtet, untersucht. Hut ab. Wenig spaeter gehts weiter. In die Maschine. Einen Gangplatz soll ich haben. Gespannt schreite ich die Gangway entlang... der erste Blick... boaaaah was fuer ein Teil. Unzaehlige Reihen - und neun Sitze in jeder davon. Jeweils zwei aussen, fuenf in der Mitte. Ich sitz in der Mitte, und dort aussen. Es geht alles verdammt fix. Schwimmwestenpraesentation. Stewardessen gucken (ach waeren die doch nur so huebsch wie die Interviewerin), Leute gucken. Jemand links hinter mir bekreuzigt sich dauernd. Aha. Reisende, Geschaeftsleute, Familien, Babys, sogar ein Hund. Der Flieger rollt wieder. Noch kannst du aussteigen. Bruellen. Anhalten. Noch. Noch 10, 9, 8 ... Augen bleiben diesmal auf - uuuund?? Zu spaet. Urlaub. USA 2004. Los gehts. 7:50 Stunden im Flugzeug. Wie soll das gehen? Es geht. Sehr gut sogar. Die Ablenkung von KLM und mir selbst ist optimal. Wenn alles so gut klappt wie meine Vorbereitung auf den Hinflug, wirds ein perfekter Trip. Zuerst eine warme Mahlzeit. Haehnchen suess-sauer oder Pasta? Das erste bitte. Dann der SPIEGEL, die taz, die WAZ. Immer wieder die Frage "Water?" Yes, please. Und noch dreimal Pepsi, einmal Kuchen. Nach zwei Stunden muss ich mal. Aufstehen, deeeehnen.
Krickskracksknacks, strecken wie nach dem Aufstehen. Ein Blick aus dem Fenster. Wasser. NUR Wasser.

Mein erster Blick auf den Atlantischen Ozean. Die Anzeige im Flieger verraet, dass wir uns 9000 Meer ueber dem Meer befinden, bei -43 Grad Aussentemperatur. Noch 3200 Kilometer bis Boston. Auf der grossen Videoleinwand laueft "Shrek 2". Mal nicke ich ein, mal trinke ich Wasser, mal verfolge ich den Film, mal schalte ich auf den flugzeuginternen Audiokanal. Dort naeselt Axl Rose "Knockin´ on heaven´s door". Selten war das so passend.

Sieben Stunden sind rum. Jetzt nur noch ein Fragebogen bis zur Ankunft. "Waren sie zwischen 1933 und 1945 in Nazi-Verbrechen verwickelt?" Nee. Aber was waere eigentlich wenn? Schnell raus. Meinen Rucksack erspaehe ich schon nach wenigen Sekunden. Dann folgt das dritte Frage- und Antwort-Spiel (hilfe, wie nervig), und am Horizont leuchtet es auf: "Welcome to Boston!"

Und bin raus.

Und da sage noch einer, in den USA gaebe es keine Taxistaende. Ein ganzer Taxipark baut sich bei meinen ersten Blicken auf Boston vor mir auf. In eins steige ich ein. Hinten. Es ist warm, die Sonne scheint, nein zuendelt sogar. Als sei ich ein Streichholz. Der Taximann heizt ueber Strassen, durch Tunnel, ueber etwas autobahnaehnliches, er hupt staendig. Mein Mund steht offen. Boston, die britischste, europaeischste Stadt der USA. Die Stadt mit dem "Cheers", und der Harvard Universitaet. Und dann diese Hochhaueser. Die Skyline - dieses Wort faellt waehrend dieses Urlaubs wohl noch oefter - baut sich ueber meinem Schaedel auf wie ein Dach. Europaeisch? Der Taxityp benutzt einen Umweg, bestimmt. Koennt ich schwoeren. 30 Dollar kostet die Route. Egal. Ich schalte mein Handy an. Meini fragt, "ob ich vorbeikommen soll. Ich bin in der Naehe." Das glaube ich nicht.

Das Milner Hotel, schon im Februar gebucht, hat den roten Teppich fuer mich ausgerollt. Auch das soll britische Qualitaet besitzen. Um punkt 17 Uhr Ortszeit betrete ich Zimmer 506. Ein Nichtraucherzimmer, das nach Rauch riecht. Super. Es gibt ein Klo, eine Dusche, aber keine Zwischentuer. Also muss ich in meinem eigenen Scheiss-Duft schlafen? Wenigstens ist das Bett gemuetlich. Und das TV-Geraet hat 30 Kanaele. Mindestens. Auf einem laueft "Seinfeld", meine liebste New-York-Soap. Haaalt, New York kommt noch. Das ist Boston. Und DIE Boston-Serie heisst "Cheers". Ohne die waere ich vielleicht gar nicht hier. Die Serie, die in einer Bar spielt, traegt einen kleinen Anteil an meinem Abi. Jeden Tag, von 0.30 Uhr bis 1 Uhr, schaute ich mir auf RTL die Folgen an, die Geschichten rund um die Barbesucher. Das Original-"Cheers" soll fuenf Fuss-Minuten entfernt sein. Ich schnappe mir meine Tasche, den Fotoapparat und ziehe los. Schritt fuer Schritt ankommen in Amerika. Und doch nicht. Andi, die Luft ist DIESELBE wie in Deutschland. Und doch atme ich schwer, ringe ich nach Luft, japse. Und das hat nichts mit dem Traumwetter zu tun. Andere Ampeln, anderer Verkehr. Heute ist hier ein Feiertag. "Labor day". Tag der Arbeit. Anderthalb Stunden dauert mein Spaziergang, und ich sehe alles. Wie ein Obdachloser umkippt und von der Ambulany abtransportiert wird. Wie jemand laut schimpfend hinter einem Dieb herlaueft. Aber auch Massen an Joggern, Rollerblades-Fahrern, Eichhoernchen. Ein herrlicher Tag, sagte ich das schon? Ich spaziere ueber den Boston Common, den grossen zentralen Bostoner Park, der direkt vor dem Hotel beginnt. Ich setze mich und die Sonnenbrille auf, schaue auf die Stadt und verdraenge die Enttaeuschung darueber, dass das "Cheers" vollkommerzialisiert ist. Bei Mc Donalds gibts hier den klassischen Quarterpounder. Viertelpfuender. Ich nehm einen.

Bei Einbruch der Dunkelheit verschlaegt es mich zurueck ins Hotel. Erstens bin ich muede. Mein Koerper hat um 19.45 Uhr schon 1.45 Uhr. Zweitens, weils eben dunkel wird. Egal, welchen Reisefuehrer ich gelesen habe, jeder hat mir das Gefuehl vermittelt, schon halbtot zu sein, falls ich mich solo nachts auf die Strasse begebe. Uuuuuh, nur Verbrecher?

Der Wetterkanal hat miese Aussichten parat. Regen ueber Regen. Ich gehe absolut aufgewuehlt und erschrocken ins Bett. Diese Dimension, obwohl seit sieben Monaten bekannt, hat mich auf dem falschen Fuss erwischt. So weit war ich noch nie von Muelheim weg. Boston wird wohl eine einsame Angelegenheit. Ich wohne zentral, aber eben tourizentral, und nicht uni- oder jugendzentral. Mein Hotel ist eher eins fuer Familien. Und das Mittelalter. Und nach 21/22 Uhr verlasse ich wohl nicht mehr das Hotel. Siehe oben, zu gefaehrlich. Mein Englisch - auch das noch - ist ziemlich beschissen geworden. Wie gerne haette ich heute mit meinen Freunden im grossen Boston Common Fussball gespielt. Und mit der Frisbeescheibe. So bin ich nur Zuschauer.
Draussen hinterm Fenster geht die Sonne hinter dem 241 Meter hohen Hancock Tower unter.. Schoen sieht das aus. Wenn Boston schon die europaeischste Stadt ist, dann moechte ich nicht die anderen sehen... Highways, Skyline, Mc Donald´s, Burger King, laut, Verkehr. Vielleicht bin ich nur zu geschockt. Vielleicht habe ich nur nach Bestaetigung der ureigensten Vorurteile gesucht. Vielleicht zu ueberfallen. Oder nur zu muede. Allein die heutigen Gefuehle und Eindruecke reichen eigentlich fuer vier Wochen.
Um 22 Uhr kann ich nicht mehr. Ich sinke unter Sirenengeheul in einen tiefen Schlaf. Nur eine Frage erinnert mich noch an Muelheim: Wie ist es Max wohl im Kindergarten ergangen?

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Dienstag, 7. September (zum Foto-Tagebuch Boston geht es HIER )

Tag 2: Boston

Im Boston Common... im "Boston Common", abends!

DER BERGSTEIGER

Heute waren die ersten versprochenen Postkarten faellig. An meinen langlanglanglangjaehrigen Kumpel Bjoern zum Beispiel, damit er seine finnische Wand in Turku verschoenern kann. "So richtig angekommen", notierte ich um 16.15 Uhr, "bin ich noch nicht." Sieben Stunden spaeter bemerke ich nun, welch Irrtum das war.

Als sich mein rechtes Auge zum ersten Mal von allein, aber mit allergroesster Muehe oeffnet, blinkt der hoteleigene Radiowecker und zeigt in roten Zahlen 7 12. Minus sechs Minuten (soviel Vorsprung hat die Uhr), macht 7 06. Jet-lag-Folgen? Traeume Andi traeume. Schlaf weiter. Klappt nicht. Aufstehen um 8 Uhr. Man, das hatte ich lange nicht mehr.

Ein Staedte-Tourist hat etwas von einem Bergsteiger, finde ich. Genauso wie der Bergsteiger topfit und konzentriert sein muss, um sein hohes Ziel zu erklimmen, muss einer wie ich in diesem Urlaub seine ganze Kraft aufbringen, um die einzelnen Gipfel jeweils von neuem zu erobern. Um im Bild zu bleiben: New York ist der hoechste Touriberg der Welt, ein 9000er quasi. Und Boston dagegen "nur" ein 5000er. Und gestern waren mir selbst die ersten 50 Meter zu steil.

Also back to the roots; zurueck zum alten Nordkapp-Urlaub-System von 2001. Das beinhaltet erst aufstehen, dann duschen, dann Reisefuehrer waelzen (zum 1000. Mal), und das Ziel strukturieren, aufteilen. Dann noch aufs Wetter achten (Na bitte! Das Regengebiet kommt doch erst morgen, sagt der Wetterkanal) - und gemaess Plan losmarschieren. Doch erstmal das Fruehstueck. Im Hotel. Oh manoman, daran werde ich mich nie gewoehnen. Nur so suesses Labberzeug. Ein Waffeleisen steht auf dem Mini-Bueffet - und der Teig daneben. Zwei Saefte, Kaffee, drei Teesorten, daneben Gebaeck zuckerhaltigster Art, zwei Paletten Toast, verschiedene Marmeladen sowie Milch und Cornflakes. Der Fernseher fehlt nicht - CNN laeuft. Immerhin gibts ueberhaupt Fruehstueck. Das ist in US-Hotels wohl eher untypisch.

Was sagt mein "Darauf-musst-du-achten"-Kalender? Erst mal das Bahnticket fuer die Freitagtour nach New York besorgen. Ich wandere zum ortsansaessigen Hauptbahnhof, der "South Station". Das dauert zu Fuss 20 Minuten. Danach habe ich mir - nach 2001er-Manier (nicht wahr, Bjoern?) eine Aussichtsplattform ausgesucht, um einen Ueberblick ueber Boston zu bekommen. Und U-Bahn fahren ist Pflicht. Ob ich in dieser Reihenfolge mehr von der Stadt mitkriege?
Die Sonne muss kaempfen. Mal knallt sie, mal pfeift der Wind und Wolken schieben sich davor. Das ist um 10, 13, 17 und 20 Uhr so. Und auch, als ich ohne jedes Problem die Tickets fuer Freitag und die U-Bahn besorge. Aber noch immer faellt mir das amerikanische Leben schwer. Fahrenheit statt Celsius, Eastern Time statt MESZ, Dollar statt Euro. In der South Station drueckt mir jemand einen Zettel in die Hand. Boston/New York fuer 15 Dollar mit dem Bus. Ich bezahle mehr. Nun denn. Dann merk ich mir mal die Alternative. Fuer das naechste Mal?

Ich schreite die Treppen zur U-Bahn- (der Subway-Station) hinunter und erschrecke: Kabel haengen von der voellig zerkratzten und zerfurchten Decke, ueberall wird gebaut, die Bahnwaggons sind aus den 70ern. In Muelheim waeren die laengst aussortiert worden. Und U-Bahnlinien gibt es nur fuenf, huebsch nach Farben geordnet. Das alles macht die Stadt... irgendwie ... menschlicher. Boston hatte die erste U-Bahn Amerikas. Viel dran gemacht wurde nicht in den 300 Jahren seitdem. Mein Weg fuehrt zum Hancock-Tower, siehe gestern, 241 Meter hoch. Dort ist die Aussichtsplattform zu. Na gut, aber da ich im Hightower-Viertel bin, gibts noch Alternativen. Ich besteige das "Prudential Center", das Boston am meisten verunstaltet. Warum bauen die hier ueberhaupt solche Buerotuerme? Um eine unverwechselbare Architektur zu haben? Wie auch immer. Ein Aufzug katapultiert mich in Etage 52 - und ich halte inne. So gross ist die Stadt doch nicht. Eben doch "nur" 575.000 Einwohner. Eben doch nur so gross wie Essen. Sie verliert in meinem Gehirn langsam die Groesse, aber weissgott nicht ihren Glanz. Ich beginne sie zu packen. Aber ich hab sie noch nicht.

Es geht zurueck zur U-Bahn. Als naechstes habe ich mir den "Freedom Trail" notiert. Ihr muesst Euch Boston so vorstellen: Mitten in der Stadt, ganz zentral liegt der schon erwaehnte "Boston Common". Der war schon da, als fast noch kein Haus stand, also im 17. Jahrhundert. Drumherum entstand - so sagen es die Reisefuehrer - der Wille zur Unabhaengigkeit von England. Die wichtigsten Gebauede dieser Zeit sind mit dem 4,8 Kilometer langen "Freedom Trail" verbunden. Der ist mit einer huebschen roten Linie auf dem Buergersteig gekennzeichnet, damit sich auch ja keiner verlaeuft. Also wandere ich vom Massachusetts State House zum Old State House und zur Fanuil Hall (die Bedeutung der Haeuser erspare ich Euch). Zwischendurch halte ich an, fotografiere, lese im Baedeker nach. Es ist das Touri-Standard-Sightseeing-Programm. Entlang des Trails haben sich zahlreiche Restaurants und Souvenirshops angesiedelt, ist ja Amerika hier. Verfaelscht das nicht das Bild von Boston? Ich grueble und laufe. Durch den Wind. Und mal durch die Hitze. Ich grueble so sehr, dass ich gar nicht ueber mein eigenes Leben nachdenke, was ich doch im Urlaub tun wollte. Ist das ein Selbsterfahrungstrip? Gruebel. In dieser Stimmung verfasse ich vor der Fanuil Hall die Postkarten. Ich winke der Stadt zu und bruelle: HIIIIIIERRR BIN ICH!!! HOL MICH AAAAB!!! Aber die Stadt versteht mich nicht. Ich werfe die Karten an der naechsten Trail-Station, dem Quincy Market, ein. Das ist ein Platz mit irre vielen Kneipen, Bars, Pubs, Restaurants, Cafes und Geschaeften. Es geht so sympathisch kreuz und quer, dass ich Querkopf nicht auffalle.

Es ist, als naehme ich 500 Meter auf einmal.

Es gibt ein zweites "Cheers" hier. "Where everybody knows your name", lautet die Titelmelodie. Hier kennt zwar keiner meinen Namen, aber vom einen auf den anderen Moment fuehle ich mich angenommen, akzeptiert. Unerklaerlich. Wars das Cheers? Der auf Postkarten abgeladene Frust? In schoenster Sonne traegt mich die Subway zurueck zum in helles Licht getauchten Boston Common. Am Frog Pond (einem Froschteich ohne Froesche in diesem Park) und auf den Wiesen sitze ich mit Sonnenbrille, hoere "The passenger", "Ueber den Wolken" und "99 Luftballons", lache darueber, dass ich im Cheers-Praesentshop eine Hotel-Mitbewohnerin (vom Fruehstueck erkannt) wiedergetroffen habe. Und denke darueber nach, wie es wohl waere, wenn meine Familie, meine Freunde und ich hier wohnen wuerden. Ich glaube, grosser Treffpunkt zum Joggen waere der Boston Common. Moeglichkeiten zum Weggehen gibts genug, zum Beispiel die Pubs am Quincy Market, bestimmt Kneipen und Diskos an den Unis in Cambridge, die ich noch besuchen werde, und Karaokebars habe ich im "North End" des Freedom Trails, also auch der Innenstadt, entdeckt.

Sportveranstaltungen - leider keine in diesen vier Tagen - und das Theaterdistrikt sind auch noch da. Ich wuerde meinetwegen beim "Boston Globe" arbeiten. Sport gibts hier genug, ob Basketball (Celtics), Baseball (Redsox), Eishockey (Bruins) oder Football (Patriots). Ich glaube, in den USA ist der Lokalpatriotismus deutlich ausgepraegter selbst als im Ruhrpott. Na klar, fast jede Grossstadt hat eine eigene Zeitzone, eine eigene Geschichte, eine eigene Bedeutung. Jeder Einwohner zittert mit allen lokalen Sportteams - ein "Fan-tum" wie in Deutschland ist nicht vorhanden. Beruehmstester Bostoner war John F. Kennedy. Beruehmte Musiker sind Tracy Chapman und Aerosmith. Klingt doch gut.

Meine Gedanken sind es, die mir zeigen, dass ich Zugang zum Berg "Boston" gefunden habe. Wenn ich versuche, mich in die Gedanken der Einheimischen zu versetzen, ist das ein verdammt gutes Zeichen. Im Boston Common wird der Blick auf die Skyline immer schnuckeliger. Ehrlich. Auf der Wiese gegenueber hat das Fussballtraining begonnen. Ich sehe interessiert den Kindern zu, wie sie die einfachsten Uebungen machen. Es ist die besondere Note des Tages. Der hat eine ueberraschende Wendung bekommen.

Gegen 16.20 Uhr.

Voellig erledigt erreiche ich um 20 Uhr die Bar "Bennigan" direkt neben dem Hotel. Der "American Burger" begeistert mich (nix hier mit dem billigen Burger bei uns im "American Way" in Muelheim), die Cola dazu ist umsonst. Sogar der zweite halbe Liter auch. Meine Fuesse qualmen. Eins ist klar: Erholung ist das nicht. Nee, zwei ist klar: Bei aller anfaenglichen Abwehrreaktion habe ich Boston nun lieb gewonnen, mit den kleinen Haeuschen, den roten Backsteinstrassen, und der fuer Ostkuestenstaedte doch vorhandenen Ueberschaubarkeit. Organisation ist halt alles, auch oder gerade beim Staedtereisenden. Ich haette Reisebuero-Inhaber werden sollen.

"Walking on sunshine" laeuft im "Bennigan" gegen 22 Uhr. Ich schlurfe danach die paar Meter bis zum roten Hotelteppich und nehme mir vor, in diesem Tagebuch die (WIRKLICH) auffaellig vielen Klimaanlagen zu kritisieren. Im Fernsehen laufen parallel Baseball, Tennis und "Sex and the city". Im North End koennte ich jetzt Karaoke singen. Mit einer grossen Gruppe waere das ein grosser Spass. Gibt es diese Art der gemuetlichen Kneipenkultur auch in New York? Es heisst NEIN.

Das Alleinreisen ist immer noch schwer. "Hier wuerdest du gern mit deinen Freunden hin", denke ich ganz ganz oft. Bislang hats nur zum Smalltalk vorm "Cheers" gereicht, damit mich ein Paerchen fotografiert. Vorsichtig bin ich noch immer, und meine Kontaktfreudigkeitsstufe ist aufgrund dieser Vorsicht gaaaanz unten.

Voellig satt - gespart und gefastet wird ab morgen, vielleicht - drehe ich mich gleich um und penne. Vom politischen Amerika traueme ich nicht. Waffennarren, der Wahlkampf, Verbrechen oder Krieg sind mir heute nicht begegnet. Halt, ein Opa hatte ein "Vote Bush"-Schild dabei. Nur einer.

Heute, das war mein "Relax-Day". Mein "Jet-lag-Day". Der wohl letzte Sonnentag. Der Cheers-Tag, der strukturierte Tag. Ein erlebnisreicher Tag. Mit der Erkenntnis eines Irrtums.

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Mittwoch, 8. September (zum Foto-Tagebuch Boston geht es HIER )

Tag 3: Boston

Das CheersDa stehe ich endlich vor meinem geliebten "Cheers"!

LACH- UND SACHGESCHICHTEN

Und heute in der "Sendung mit dem Andi".... wie ein Foto vor dem Aquarium entsteht, der Aerger ueber eine verpatzte Stunde, Gedanken ueber Boston und ein Chili im Cheers.

Meine Eintraege muessen kuerzer werden. Sie MUESSEN einfach. Ansonsten sitze ich in New York einen ganzen Tag lang nur am Rechner. ... zum ersten Mal erwache ich um 6.10 Uhr, und unvermeidlich schleicht das Geraeusch Millimeter fuer Millimeter bis zum Trommelfell... Plitschplatschmitschmatsch. Regen. Neeeein. Mir bleibt nichts anderes uebrig, als das Kissen vor meinen Kopf, meine Ohren zu druecken, und zu hoffen, dass das Regengebiet dadurch verschwindet. Aber es bleibt. Die Auslaeufer des Tornados "Frances", der in den letzten Tagen den Suedzipfel Floridas im Sueden der Ostkueste verwuestet hat (und im amerikanischen Fernsehen das grosse Thema ist, Dschordsch dabbelju hat grad zwei Milliarden oder sogar Billionen bewilligt), sind jetzt hier. Na bravo.

Aus Trotz verschlafe ich. Erst um 9.10 Uhr bewegen sich meine beiden Laufstangen aus dem Bett. Gelangweilt schlinge ich das Fruehstueck runter, reize die Zeit bis 10.30 Uhr komplett aus. Wow, um 11.10 Uhr ists mal kurz trocken. Den Moment nutze ich, und schmeisse mich in die Stadt wie vom 10-Meter-Turm des Ruhrstadions ins kuehle Nass. Als Arschbombe.

Heute ist der Museumstag. Gleich davon habe ich mir in meinem Notizblock vermerkt. Doch zuerst muss ich zur Touristeninfo im Boston Common. 10 Minuten lang bewege ich meinen Koerper durch den Park. Und diese 600 Sekunden verlangen alles. Ich suppe wie sonst nur in einer 120-Grad-Sauna. Es ist bewoelkt, scheisseschwuel. Absolut nicht mein Wetter.

Geschenkt. Mit dem frisch kaueflich erworbenen 3-Tages-Subwayticket im Gepaeck stehen das hochgelobte "New England Aquarium" und das "Science Museum" auf meiner Liste. Das Gebaeude des Aquariums ist haesslich. Und nicht mal gross. Es liegt mitten im Hafen. Bevor ich eintrete, schlendere ich ueber den "Long Wharf", einen 200 Meter langen Steg, der frueher dreimal so lang war. Ein Hauch, ein klitzeklitzekleineskleines bisschen des alten Boston schwebt als Mini-Lueftchen durch die Luft. Moewen kreischen, betteln, nervensaegen. Seeluft. Stinkende Seeluft. Hafenrundfahrten beginnen, Segelschiffe liegen und schwimmen leer im Wind herum. Ich halte inne - und kehre nach einer Minute zum Aquarium zurueck.

Insgesamt viereinhalb Stunden halte ich mich in den Museen auf. Laufe mir die Hacken wund, die Zehen blutig (WIRKLICH!), die Lunge leer. Eigentlich ist das nichts, was es in Deutschland nicht auch gaebe. Viele Fische im einen, viel Wissenschaft im anderen Museum. Und doch ist es besonders, anders, amerikanisch eben. Naemlich groesser. Zu gross? Bilde ich mir das ein? Es ist behindertenfreundlicher (PLUSPUNKT!), und laedt Gross und Klein ueberall zum Mitmachen ein, in Spielecken, an Mini-Computern, an anschaulichen Tafeln (leider missachtet Klein den paedagogischen Willen und kloppt heute und wahrscheinlich immer meist nur unmotiviert auf Tafeln und Computern herum) . Dafuer haben beide Museen auch doppelt so grosse Geschenkelaeden mit doppelt so kitschigem Kitsch. Vor dem Aquarium bin auch ich drauf reingefallen, und hab mir fuer 10 Dollar ein Bild von mir vor der Aussenfassade gekauft... tsetse ...

Als ich mich nach dem Besuch im "Science Museum" schon auf dem Weg Richtung "downtown" (fuer alle Nicht-Englischsprecher "City"...) befinde, faellt mein Blick auf eine Zusatzausstellung eben dort: Die "Lord-of-the-rings-exhibition"! Sofort denke ich an Tina und Helmut, mein erster Muelheimer Gedanke fuer heute. Die beiden haben mich vor drei Jahren, vor dem ersten Film, auf den Herr-der-Ringe-Trichter gebracht. Und diese Ausstellung toppt den Tag. Sie ist nicht gross, aber ein Traum fuer alle Fans. Originale ueber Originale. Kleidungsstuecke, Ausruestungen, Vorlagemodelle fuer Gebaeude (Isengard, Baraddur) und Figuren (Hoehlentroll). Dazu ganz viele Fernsehgeraete mit Hintergrundinfos ueber den Entstehensvorgang der Filme. Ein "Making-of-Museum". Spitze!

***

Wenn ich erstmal Subway fahren entdeckt habe und das System der jeweiligen Stadt beherrsche, dann ist es vorbei mit meiner Fusslaeufigkeit. Die Subway in Boston zu benutzen, finde ich total ungefaehrlich. Die Leute sehen alle normal aus. Aber was ist schon unnormal? Na da haben die Reisefuehrer was angerichtet... Fahrplaene und Zeitanzeigen gibt es hier nicht. Ist das etwa typisch fuer die ordnungsliebenden Deutschen?

Es ist schon fast 16 Uhr. Ich fahre zum und spaziere am "Fenway Park" vorbei, dem Stadion der Baseballmannschaft der Boston Red Sox. Rein darf ich nicht. Mensch, ich wuerde gern noch soviel mehr machen. Eine Fahrt an den Strand von Rockport beispielsweise. Den hatte ich mir fest vorgenommen, musste ihn aber aus Wettergruenden canceln. Auch Cape Cod, eine weitere Strandgegend von Boston, die mein Onkel Uwe kennt, muss ich knicken. Und eine Sportveranstaltung...? Siehe oben... gibt es leider nicht. Schwuel ist es eine dreiviertel Stunde spaeter und ich stelle fest, dass eine Woche Neu-England mit der Basis Boston nicht das geringste Problem sind. Ich hab nicht mal ne Stadtrundfahrt mit den witzig aussehenden "Ducks" (Enten) oder "Trolleys" mitgemacht; nicht mal ne Hafenrundfahrt oder ein typisches Neu-England-Dorf gesehen. Fuer die Abendgestaltung fehlen leider die Insider-Tipps. Wenigstens den Baedeker konnte ich abarbeiten. Wenigstens das. Als Tourist - alleine dazu - ist es schwierig bis unmoeglich, von Vourteils-Amerika etwas mitzukriegen (Politik, Wahlkampf, Rassenfrage, Waffen, ihr kennt das...). Zu sehr wirst du an gefuehrten Wegen entlang geschleust, mit Krimskrams abgespeist. Zudem fuehle ich mich kontrolliert. Nicht nur durch die Erlebnisse beim Hinflug. Die Polizei und Security-Typen sind ueberall. Ist das vielleicht gut fuer mich, weil sicher? Null Ahnung. Von einem tiefen Einblick in die Gesellschaft scheinen die meisten Reisefuehrer leider abzuraten.

Dabei ist das fuer Boston doch schade. Diese Stadt ist nett. Einfach bloss nett? Okay, ich finde nicht, dass die Geschichte der USA besonders greifbar ist oder dass die Mischung stimmt. Gut, ein paar verdammt wichtige Gebaeude stehen noch, aber die darum zusammengepuzzelte Innenstadt ueberdeckt den historischen Geruch um Laengen. Das "Old State House" wirkt nur noch wie eine winzige Boje im Hochhausozean. Also nett? Mein Beispiel ist wieder "Cheers". Ich beginne zu verstehen, warum die Serie in Boston spielt. Diese Kneipen- und Pubkultur, das einzige, was aus britischer Zeit wohl noch verblieben ist, ist wohl wirklich einmalig (das sage ich, ohne andere Staedte zu kennen). Dass ein Psychiater (Frasier), ein Ex-Baseballspieler (Sam), eine Harvard-Studentin (Diane), ein Postbote (Cliff) und ein Arbeitsloser (Norm) Tag fuer Tag in ein- und derselben gemuetlichen Bar abhaengen, das geht wohl nur hier.

Heute ist meine erste Tagebuchmail an Thomy faellig. 20 Minuten suche ich mitten in der Grossstadt, an der Hauptkreuzung ("Downtown Crossing") ein Internet-Cafe. Mein Kamm schwillt an. Dann finde ich "Kinkos", einen Copyshop. 40 Cent PRO MINUTE!!! DER HORROR! Ich bleibe fuer 18 Euro, tippetippetippe 1000 Anschlaege die Minute... und dann... CRASH!!! :-( Aerger! Ich verdruecke mich, Mail weg. Neeeeeee, nicht wirklich!?!?!? Doch... Mies drauf. Ganz mies drauf!! Tag im Eimer? Ich stapfe raus, meckere erstmals ueber die an jeder Aschentonne vorhandene USA-Fahne. Warum nur? Warum so oft? Ich verstehe es nicht. Worauf sind die stolz?

Zur Beruhigung goenne ich mir ein "Chili con carne" im "Cheers" am Quincy Market. Die Kellnerin lobt mein "very good English", was mich auf einen Schlag mit der Welt versoehnt.

Um 20.10 Uhr endet mein Weg im Hotel. Meine Fuesse schmerzen und verlangen, dass ich sie auf meinem Bett gemuetlich schone. Wieder war es ein vielschichtiger Tag, diesmal mit ueberfrachtend vielen Informationen - aber wieder ohne grosse Kontakte. Wird das noch was hier in Boston?

Morgen ist schon mein letzter Tag hier.

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Donnerstag, 9. September 2004 (zum Foto-Tagebuch Boston geht es HIER )

Tag 4: Boston

EIN ERSTES FAZIT

Megan hiess das junge Maedel, das mich heute Abend im "Bennigan" bediente. Echt huebsch, echt nett. "Have a lot of fun in New York", verabschiedete sie sich nach einem kurzen Plausch von mir. Aber nicht ohne etwas ueber Boston nachzuschieben: "Boston is smaller. Boston is nice. Not so many people." Stimmt.

Hilfe! Ein leichtes Uebelkeitsgefuehl hat meinen Magen heimgesucht. Der Chicken-Kentucky-Salat im "Bennigan" war wohl doch etwas zu umfangreich, zu falsch zusammengestellt, zu fad, was weiss ich. Mit einem mittelschweren Darmgewitter verfolge ich nun auf Zimmer 506 den "Kick Off" der NFL-Football-Saison 2004/2005 zwischen den Indianapolis Colts und den in Boston und Umgebung heimischen New England Patriots. Das ist hier uebrigens noch so ein grosses Thema. Die Nachrichtensendungen - egal auf welchem Sender - haben seit vier Tagen nur einen Aufbau: Zuerst die jeweiligen Kampagnen von Bush und Kerry mit den neuesten Umfragewerten (immer liegt Bush vorn, liegt das an der Politik der Sender oder haben die Amis den Verstand ausgeschaltet? Hmm... vermutlich an den Sendern), dann die Hurrikan-Infos ueber "Frances" und den wohl demnaechst anmarschierenden "Ivan". Schliesslich noch die aktuellsten Football-News. Nur zwischendurch ist Platz fuer die Boerse, Wetter und sonstigen Sport (und da auch nur Baseball und vielleicht noch Tennis). Und viiiiel Werbung natuerlich. Fuer die uebrigen Welt-Infos ist ja am unteren TV-Rand im amerikatypischen Laufband Platz. Ob du willst oder nicht: Du wirst einfach zum Zapper und dabei ganz zwangslauefig kirre.

Heute, und das bemerke ich nur ungern, ist es schon Zeit fuer das erste Fazit. Das weiss ich morgens beim Augenaufklappen, danach beim Fruehstueck, mittags im Bostoner Wind; und jetzt, jetzt muss ich das zu Papier bringen. Jetzt, da die Patriots mit 27:17 in Fuehrung gehen.

... ein Rueckblick auf heute Morgen...

... zwei Sachen fehlen mir noch in "Downtown Boston". Die Harvard Universitaet, die weltberuehmte, die zum Beispiel Kennedy und noch Tausende von anderen Beruehmtheiten hervorbrachte. Dort studieren wohl wirklich nur die Besten (und die Reichsten). Und Beacon Hill fehlt noch, der vornehme Stadtbezirk unweit von meinem Hotel. Also soll es so sein...

...Zuerst muss ich jedoch durchs Bostoner Theater-Viertel, da ich diesmaleine andere Subway-Station als Ausgangspunkt waehlen muss. Auch das Theater-Viertel liegt in unmittelbarer Hotelnaehe - ich sag ja,tourizentraler kann man in Boston nicht wohnen. "The lion king" lauefthier in Boston, und auch "Menopause - the musical". Haeaeae?? Und schonum 11.20 Uhr treffe ich das erste Fazit: Vertraue NIE dem Wetterkanal!!! Drei Tage schlimmsten Regen prophezeite der am Montagabend. Und wie wurde das Wetter? Schuwel, weil warm und bewoelkt, und vor allem WINDIG!!! Da waer mir ein richtiger Schauer manchmal wirklich lieber gewesen. So auch eben um 11.20 Uhr, als ich das naechste Shirt durchgeschwitzt habe. Auf nach Cambridge, dem Uni-Stadtteil von Boston. Die Uni, die fast vorder Stadt selbst existierte. Die - so erzaehlt es mir der Herr Baedeker- von den kolonisierenden englischen Puritanern unter der Fuehrung von John Harvard als Priesterseminar eingerichtet wurde. Heute studieren18.000 Menschen dort. Ueberwiegend junge. JUNGE, Hurrraaaa, ich sehe Menschen in meinem Alter!!! Yeah! Wer die Subwaystation "Harvard" verlaesst, landet - egal welchen Ausgang derjenige nimmt - auf dem "Harvard Square", dem zentralen Punkt. Vondort gehen viele kleinere und wenige groessere Strassen und Gassen ab.Ich haette es voller erwartet, aber vielleicht ist es die Schwuele, vielleicht sind noch Ferien, keine Ahnung. Ich kaufe mir eine Gatoradeflasche, leere sie in nullkommaeins und schleiche umher. An den Cafes in den Seitenstrassen vorbei, an den vielen Kneipen, ich werfeeinen Blick in die Kellerbars (in denen bestimmt die besten Partys abgehen), und die die zahlreichen bis unzaehligen Buchlaeden. Meine Gedanken gelten meinem Bruder Thommy, der alleine in den ganzen Buchlaeden einen Tag verbringen und ein Vermoegen ausgeben wuerde. In einem Laden entdecke ich MEIN KAMPF. In allen die Reisefuehrer ueber "Germany". Ich mache mir einen Spass draus und blaettere in einem herum. Ueber Berlin und Bayern steht genauso viel drin wie ueber denRest des Landes. Mein Discman bietet meinen Ohren derweil "Landungsbruecken raus" von Kettcar an, und ich schmunzle, dass der deutsche Sport auf Helmut Rahn, Franz "the emperor" Beckenbauer, JanUllrich, Boris Becker, Michael Schumacher und Georg Hackl (JAAA! GEORGHACKL! DER SCHORSCH!) reduziert wird. Upps, schon 13.30 Uhr, jaja, hier laesst sich prima die Zeit vertreiben. Ich stuerme aus der x-ten klimatisierten Buchhandlung (heute liebe ich die Klimaanlagenausnahmsweise) und spaziere ueber das/den Campus. An den ganz in rotem Backstein gehaltenen Gebaueden vorbei. Rein darf kein Tourist. Ein Harvard-Ausweis oder Vitamin B ist noetig. Ich hab beides nicht. Auf dem Gelaende sind auch Schlafraum-Haeuser ("dorms"). Sieht spartanisch-normal aus, ist aber hundertpro nicht zu bezahlen. Ein Urteil ueber Harvard zu faellen, ohne tieferen Einblick, ist ziemlich schwer. Die Vorurteile ueber Elite-Uni kann ich nicht bestaetigen. Aberauch nicht widerlegen. Ist es eine Studentenstadt, wie der Baedeker meint? Naja, ich weiss nicht. Aber klar, es verjuengt das Stadtbild Bostons enorm. 18.000 Studenten von 575.000 Einwohnern fallen nun einmal enorm auf. Die kleine und grosse Kulturszene profitiert ungemein davon.

Es ist und bleibt die Stadt der megakurzen Wege. Von Cambridge bis nach Beacon Hill sinds nur 25 Minuten, inklusive Wartezeit auf die U-Bahn. Beacon Hill, der Abschluss fuer heute. Fuer Boston. In meinen verwehten Haaren sind inzwischen so viele Knoten, dass ich
mich gar nicht aufs Kaemmen freue. Beacon Hill, direkt hinter dem Boston Common gelegen, gilt als nobel, abgeschieden vom urbanen Grossstadt-Skyline-Schrott. In der Tat sind die ganzen Stadtbildverunstalter - obwohl Beacon Hill fast mittendrin liegt - nicht zu sehen. Die ganz in rotem Backstein (ist hier alles in rot?) gehaltenen Haeuser und Strassen werden von schoenen Baeumen flankiert, in deren Kronen sich der bald folgende Indian Summer schon erahnen laesst. Galerie schiebt sich zwischen Galerie, zwischendurch folgt ein Immbolienheini, der fuer ein Ein-Zimmer-Appartment 175.000 Dollar sehen will. Hoelle. Ein Starbucks nach dem anderen gibt es hier und Pubs. Urige Pubs, ohne Glanz und Gloria. Ganz normal, nicht schrill. So wie in der "Quelle" bei Uli in Muelheim.

Den Abschluss von Beacon Hill bildet der "Charles River", Bostons Fluss. Die Sonne lugt zum einzigen Mal kurz hervor, als ich um 17.05 Uhr auf einer Bank Platz nehme - und meinen Frieden mit Boston schliesse. Ich merke, dass die groesste Herausforderung dieses Urlaubs und eine der groessten in meinem bisherigen Leben ueberhaupt naeher rueckt. Ich spuere, dass ich bisher ein einzelgaengerischer Einzelgaenger bin (erstens, weil ich ueberhaupt alleine hier bin, und zweitens, weil ich das hier bleibe). Und ich frage mich, was gut war, und was ich haette anders machen koennen.

Das Hotel, das war eine okaz-gut-befriedigende Wahl (wenngleich nicht fuer diesen uebertriebenen Preis; den ich hier besser verschweige). Wenigstens war die Reservierung per Internet deutlich billiger als der Preis vor Ort (etwa 30 Prozent). "Ich bin ein Baedeker-Touri", denke ich laut, als ich wieder einmal in dem roten Buechlein "USA Nordosten" blaettere und waehrend ein Surfer in der sich auf dem Wasser spiegelnden Sonne verschwindet. Muehsam und diszipliniert habe ich alle Stationen abgearbeitet, die der Reisefuehrer mir vorgegeben hat. Fuehrer befiehl, Andi folgt? Nananaaaaaa, Andi, sowas schreibt man doch nicht... Auf der gewiss nicht kleinen Downtown-Strassenkarte im Baedeker habe ich nahezu alle Strassen rot markiert (als Zeichen, dass ich sie abgegangen bin), war auch in den Vororten Cambridge, Beacon Hill, Back Bay (das Hochhausviertel) und Waterfront. Ich kenne die Stadtgeschichte, die Freizeitmoeglichkeiten, ich habe die Stadt gefuehlt, gerochen. Aber nicht inhaliert - ohne Insiderwissen. Beim naechsten Mal (falls es das gibt) wuerde ich etwas in Cambridge suchen und buchen; weils vermutlich billiger ist und weil der Kontakt zu Gleichaltrigen leichter faellt. Ich wuerde eine Hafenrundfahrt und sogar eine Trolleyrundfahrt unternehmen. Ins Theater gehen und zu den Sox. Wuerde ans Meer fahren, in den Vorvorvorort Rockport. Wuerde auf dem Charles River mit einem Motorboot umherschaukeln. Und ich wuerde nicht mehr allein hierhin fahren. Keine Frage, das macht Spass, ich fuehle mich nicht einsam oder so. Aber ich mache es nur dieses eine Mal, diese drei Wochen. Glaube ich.

Der Surfer faellt gerade ins Wasser, "Money for nothing" singen die Dire Straits, und ich blicke nach vorn. Ja, doch, Boston wird mir fehlen. Die Stadt ist bei weitem nicht so schlimm, wie ich am Montagabend befuerchtete. Ja, ich kenn mich "downtown" sogar aus. Der Charme dieses - um es zu personalisieren - jung und fit gebliebenen, gemuetlich-intellektuellen Grossstadt-Rentners ist bei mir haengen geblieben. Und Boston ist wirklich nur so gross wie Essen. Zuerst waren der Boston Common, die Uni, der River und die Gebaeude des Freedom Trail da - erst danach kam der ganze Mist. Diese zeitliche Reihenfolge hat Prioritaeten gesetzt. Nicht zum Nachteil dieser ueberschaubaren Mini-Metropole, die ich Fleissbiene abgearbeitet habe. Jeden Tag mindestens acht Stunden auf den Beinen - manman, und in New York wirds noch schlimmer.

Oft habe ich mich hingesetzt und Leute beobachtet, so wie jetzt am River. Beschaeftigungstherapie? Wie sehen die mich, zum Beispiel, wenn ich Notizen in meinem Block verewige? Wie kommen ueberhaupt meine Eintraege an? Lesen die welche - oder dienen die nur dazu, dass ich meinen Urlaub besser reflektiere? Komme ich als Selbstdarsteller rueber? Zuletzt habe ich geschrieben geschrieben geschrieben. Meine Homepage umfasst inzwischen 452 DINA4-Seiten, im Schritt stehen 3000 Zeilen von mir in diversen Zeitungen, dazu der Uni-Kram. Und nun, im Urlaub? Schreibe ich weiter. Roste ich ein?

Zwei Stunden verkruemme ich mir zum Tagesabschluss im doch noch gefundenen, einzigen Internet-Cafe der Innenstadt den Ruecken und tippe die Tage eins bis drei ab. Waehrend des Abendessens bei "Bennigan" laueft Football. Wie ueberall sonst auch. Ich speise, schaue auch zu und bewundere die Herzlichkeit der Leute. Zum Beispiel von Megan. Im grossen New York erwarte ich keine persoenlichen Worte.

Morgen geht es los. Morgen sehe ich die Brooklyn Bridge. New York hat fuenf Stadtteile ("boroughs"), und vier davon sind mindestens doppelt so gross als Boston. Ob mich die Dimensionen noch einmal ueberfallen? Oder war Boston die perfekte Vorbereitung?
Das Footballspiel ist vorbei. Die Patriots haben 27:24 gewonnen, im "Bennigan" und in Rest-Boston beginnt eine Partynacht. Boston hat gewonnen, auch bei mir. Naemlich einen Platz auf der "Da willst du nochmal hin"-Gehirnpinnwand. Ich hab mich nicht in Boston verliebt. Nicht auf den ersten Blick. Aber ich hab Boston und Neu-England lieb gewonnen.

Nun muss ich das Kapitel "Boston" schliesen. Noch elf Stunden. Dann geht mein Zug. Gute Nacht!

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Freitag, 10. September 2004 (zum Foto-Tagebuch New York geht es HIER )

Tag 5: Boston -> New York City

EXPERIENCE

Zwischendurch, da war es so ruhig. Kaum einer im Zug, der Ozean hinter dem Fenster nickte zwischendurch in einen leichten Schlaf, nicht ohne ein paar leichte Wellen an den Strand zu pusten, und keiner lag an den weiten Sandstraenden Neu-Englands. Und nun bin ich in New York. Der Stadt, die fast schon keine Stadt mehr ist. Die mich auch nach sechs Stunden noch im Kreis dreht und nicht loslassen will.

Der juengste Sohn von Rudi Dutschke wohnt uebringens in Boston, erwaehnte ich das schon? Im Telefonbuch steht er aber nicht. Wie in Trance raeume ich meine schon am Abend zuvor muehsam zusammengerollten Klamotten in den Rucksack, und beim Fruehstueck lerne ich doch tatsaechlich einen urlaubenden Deutsch-Australier kennen. Na toll, jetzt, da ich gehen muss. Dann gehe ich. Checke aus. Zu Fuss zum Bahnhof. Die letzten Schritte ueber Bostoner Boden. Durchs klein und ein bisschen putzig anmutende Bostoner Chinatown. An der "South Station" erblickt jemand mein Kamerun-Shirt. "Hey, thats my country", sagt er und lacht laut. Wir unterhalten uns, lachen, scherzen, er kennt sogar Raymond Kalla. "It was nice to talk to you", sagt er abschliessend. Das Kompliment gebe ich zurueck und steige in den Zug. Es gibt ein weiteres Geheimnis aufzuklaeren, und dafuer bleibt mir von 11.35 Uhr bis 15.50 Uhr Zeit. Wie ist Zug fahren in den USA? Der Zug ruckelt an, holpert ein bisschen, liegt in der Zeit; der Schaffner befindet meine Tickets fuer gut, und ich schaue mich um. Hallooooo? Ist da weeeer? Ausser mir sitzen noch sieben Personen in meinem Riesenwaggon, dabei ist das eine Art Regionalexpress, und deshalb wohl relativ billig. Die Beinfreiheit ist gigantisch, na gut, der Komfort der Sitzpolster eher nicht, aber that doesn't matter. Viereinhalb Stunden blinzle ich mitten in die Sonne, den blauen Himmel drumherum, und ich bekomme doch noch meine Neu-England-Doerfer. Zwar nur im Vorbeirauschen, aber immerhin. Es geht durch Massechussets, Richmond, Connecticut und am Ozean entlang. Kilometer ueber Kilometer nichts, mal ein paar Haeuser, dann ein Segelhafen, und Ruhe. An den Straenden niemand. Moechte aussteigen, schwimmen, sonnen, braun werden, wieder einsteigen, weiterfahren. Der psychische Druck weicht ein paar Sekunden von mir, ein paar Minuten sogar. Vor fuenf Tagen wusste ich nicht, wie das das schaffen soll. Fuer geuebte Traveller kein Problem, aber bin ich geuebt? Vier Fluege, drei Zugfahrten, vier zwar reservierte Hotels, aber alles nur ueber das Internet. Alles vage, viel Orgakram und dazu noch alleine. Bisher, egal in welchem Urlaub, ob durch Skandinavien oder durch Israel und Aegypten; bislang war immer jemand dabei, der mir was abnehmen konnte. Ich bemuehe mich um Gelassenheit. Dachte, Boston haette sie gebracht. Falsch.
Je naeher New York rueckt, Hoehepunkt der Reise, der Tage hier, Hauptstadt der Welt, undsoweiteretceterajajajaja, desto staerker kribbelt die Bauchbrause. Mein Puls rast so sehr, dass nur eine Medizin hilft. Rave. Techno. Nur eine einzige CD dieser Musikrichtung besitze ich. Von RMB. Ich tanze gedanklich beim Stueck, das sich "Experience" nennt. Achte kaum noch auf die zahlreichen US-Fahnen, die mich zu Beginn der Zugfahrt an der Strecke enorm gestoert haben (mal wieder). Nehme mir so einen Mist vor, ausgerechnet in New York sparen zu wollen (tolle Idee, Andi), aber irgendwie habe ich in Boston 180 Dollar verballert. Die Schoenheit der Segelhaefen geht mir durch die Lappen, je naeher New York rueckt.

NYC, Penn Station, 16 Uhr. Manhattan blitzt wie ein Poster schon am Horizont, bevor es in den Tunnel Richtung Bahnhof geht.

Aussteigen - und meine Fresse - IST DAS VOLL HIER!!! Ich halte meine Taschen so fest ich kann (die Angst vor einem Ueberfall ist groesser denn je, nachdem ich sie in Boston fast vollstaendig verloren hatte). Die Penn Station liegt direkt unter dem Madison Square Garden, in dem bis vor einer Woche der Republikaner-Parteitag stattfand, auf dem Bush zum Praesidentschafts-Kandidaten erkoren wurde. Die Plakate haengen noch. Ich hebe irgendwo Geld ab, klappt sogar mit der EC-Karte, hurra, und erwische ein Taxi. "340 bowery", sage ich und verspreche mich scheinbar total... der Fahrer fragt achtmal nach.

Ja und sowas hab ich noch nie erlebt. Autos, 75 Prozent davon Taxis/Taxen - im Stop and Go, wieder mal Hupen, Ampeln sind egal, es gehen sowieso alle bei "Don't walk". Mein Erschreckensblick sagt nur: "Ich will Boston wiederhaben!" Wie soll ich das alles erkunden? Irgendwie schaffe ich es zum "Whitehouse of New York", im Manhattener Teil "Greenwich Village", dem Kuenstlerviertel mit der New York Universitaet. Das alles mitzukriegen, allein die erste halbe Stunde im Taxi, ist ein Mega-Erlebnis. Doch New York wirkt auf den ersten Blick nicht wie eine Stadt. Nicht wie ein Staat. Als wuerde das riesengrosse Gebiet ueber allem anderen schweben.

Ich checke ein - und da folgt der naechste Schock. Mein Zimmer 232 gleicht einer Gefaengniszelle. Ein Bett steht drin, das ist es. Kein Waschbecken, keine Steckdose, nicht einmal eine Zimmerdecke ist da (die bildet ein Gitter). Eigentlich wollte ich keine gesammelten Schlafraeume, aber das hier ist wie ein 40-Personen-Schlafraum mit drei Klos, drei Waschbecken, zwei Duschen fuer alle. Na das werden bestimmt Naechte...

17.10 Uhr, ich moechte mich einreihen ins Tempo. Schwer. Es ist schwer mitzuhalten. Schwer, sich daran zu gewoehnen, dass es die meisten eilig haben, nur so ueber die Buergersteige fegen, das alles jeden Tag mitkriegen. Auf dem Union Square tritt eine private Breakdancegruppe auf, auf dem Washington Square haben sich Hunderte versammelt. Ich moechte die Brooklyn Bridge sehen. Heute. Dazu muss ich die ganze Bowery (eine der laengsten Strassen New Yorks) entlang laufen. Auf dem Stadtplan vier bis fuenf Zentimeter. Doch es zieht sich und ziiiiieht sich, durch Little Italy und Chinatown - bis die Dunkelheit kommt. Ich kehre um. So fusslaeufig ist Manhattan dann wohl doch nicht. Zu allererst geht es morgen zu einer Subwaystation. Auf den Plaenen sieht alles so leicht aus. Du tippst mit dem Finger darauf herum, ziehst Linien fuer moegliche Touren, aber bist du erstmal da, hast dich in diese kein-haus-unter-40-etagen-Stadt gestueryt, ist doch alles anders. Man, New York, ich bin da. Et is jot jejange. ICH BIN DA!!! Jetzt weiss ich, warum mich viele fuer mutig gehalten haben. Andi alleine in New York. Alle sechs geplanten Naechte im Gefaengnis habe ich auf einmal bezahlt. Ja, das ist wohl wirklich mutig.

Muede von der Konzentration des Tages und verschnupft vom Wind der letzten Tage sitze ich nun in der "Lounge" des Hostels, ein kleiner Raum mit grossem Mega-Fernsehgeraet. Im Internet-Cafe und auch hier vernehme ich deutsche Stimmen. Klappt es noch mit Kontakten? Nicht mehr heute, nicht mehr ab 23.20 Uhr. Jetzt verschwinde ich in meiner Zelle. Morgen wartet schliesslich der naechste anstrengende Tag auf mich. Und Bochum gegen Dortmund.

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Samstag, 11. September 2004 (zum Foto-Tagebuch New York geht es HIER )

Tag 6: New York City

ELFMETER

Das Schlimmste war der Elfmeter. Spielstand 1:1, 10.42 Uhr in New York. Im VfL-Trikot und mit VfL-Pudelmuetze auf dem Schaedel hocke ich in einem Internet-Cafe. Elfmeter. Peter Madsen. Und der VfL-Online-Ticker ruehrt sich nicht. Sekuendliches Aktualisieren. Maaaaaan, ich werd noch waaaaaaahnsinnig. Drei Minuten spaeter die Nachricht. Verschossen.

Ich habs gesagt! Ich habs GLEICH gesagt! Diese SCHEISS KLIMANLAGEN!!!! Eine ganze Armee davon bombardiert die ganze Schlafetage im "Whitehouse" mit so kuehler Luft, dass ich mich manchmal in einem Metzgerei-Kuehlhaus waehne, und das ganze ist so aetzend, dass ich mir einen richtig dicken Schnupfen eingefangen habe. SCHEISSE!!! Meine Nase ist so voller Schleim, dass es nicht einmal zum fiesen Hochziehen reicht.

Aber das ist noch nicht alles. Wie ebenfalls erwartet, war die Nacht die Hoelle. Mehr als das. Eine Gefaengniszelle ist sogar Luxus gegen meine Kammer. Von Durchschlafen kann keine Rede sein. Mal 30 Minuten Tiefschlaf, dann muss jemand kacken (in einer Toilette, die fuenf Meter Luftlinie von meinem Bett entfernt steht). Tolle Geraeusche. Lecker. Ausserdem ist hier New York, da kommt bis 3/4 Uhr alle 20 Minuten einer ins Hostel zurueck - und das nicht eben leise. Dazu noch ein paar Schnarcher und ein Bett, das nur 1,80 Meter lang ist (und ich, das sei erwaehnt, bin 1,86 Meter gross)... Bitter, und noch fuenf volle Naechte stehen mir bevor.

Verschnupft, muede, veraergert (scheiss Hotelwahl; ich wusste zwar ungefaehr, was mich erwartet, aber so schlimm haette ich es mir nicht vorgestellt) und hungrig (Fruehstueck ist selbstredend auch nicht inbegriffen) gehe ich um 9.20 Uhr raus; siehe oben - mit Trikot und Pudelmuetze. Ich schleppe mich angstschwitzend im Internet-Cafe von Tor zu Tor, manchmal verzweifelt auf der Tastatur haemmernd, manchmal in die Muetze beissend. Das Ruhrstadion ist so weit weg wie nie zuvor. Ich waer so gern da. Als Gegenmedizin hilft nicht einmal der Discman, die "Repeat"-Taste und Groenemeyers Bochum.

New York wirds richten?

Hmm... mehr gibt es von heute eigentlich nicht zu berichten. Angesichts meines wieder umfangreichen Plans ist das sicherlich ueberraschend, aber bisher, also fuer heute, ist New York fuer mich eine grosse Show, eine Illusion, eine Luftblase.
Erklaerungen?

Die Staten Island Ferry schifft mich 30 Minuten nach dem gesicherten Punkt gegen die Borussen ueber die See, an der Freiheitsstatue (Statue of Liberty) vorbei. Sie bietet einen Blick auf die Skyline (da ist das Wort wieder) Manhattans. Aber ehrlich: Schon das haette ich mir spektakulaerer, intensiver, bedrueckender, begeisternder vorgestellt.

*hatschi*
- tschuldigung -

Beim staendigen Blick in meine drei Reisefuehrer von New York wird mir bewusst, dass diese Stadt nicht zu strukturieren ist. Nicht wie Boston, oder all die anderen Staedte, in denen ich bisher war. Also stelle ich eine ganz private Prioritaetenliste zusammen, und arbeite die in Ruhe ab. Zuerst gehts von der Staten Island Ferry in Richtung "Ground Zero", dem Gelaende des ehemaligen World Trade Center. Ich hoffe auf eine richtig dramatische Gedenkfeier angesichts des heute dreijaehrigen Terrorjubilaeums. Doch? Irgendwie interessiert das nur Touristen, Journalisten und Millionen von Bullen. Ein paar Blumenstraeusschen liegen herum, viele US-Fahnen schmuecken die Umgebung. Schon auf der Staten Island Ferry oder sonst auf den Strassen hab ich die Betroffenheit nicht gespuert. Beeindruckend ist nur die Wand mit den Namen aller Opfer, die seit geraumer Zeit am Ground Zero steht und die Ueberschrift "We honor and remember the brave and the innocent lives lost at the World Trade Center on September 11/2001 forever in our heart". Unterlegt ist das mit den beiden Woertern "Never forget", in Stars-and-Stripes-Buchstaben (die duerfen natuerlich nicht fehlen). Mir wird just in diesem Moment bewusst, dass (*hatschi* - tschuldigung -) der Nordkapp-Urlaub schon so lange zurueckliegt. Manchmal fuehle mich in dieser Stadt ohnehin wie im Trollfjord (Bjoern weiss Bescheid, an dieser Stelle Gruss nach Turku!). Auch dort ging es links und rechts ueber 100 Meter in die Hoehe. Allerdings war mir die Natur in Norwegen doch deutlich lieber...

Schwamm drueber. Ich schleppe mich in die Subway, nachdem ich mir eine MetroCard besorgt habe, mit der ich sieben Tage lang so oft ich will U-Bahn fahren kann (nur 21 Dollar, kann ich jedem Touristen waermstens ans Herz legen, denn ohne U-Bahn hat keiner in New York eine Chance). Die Subway koennte mal modernisiert werden und ist tatsaechlich kaum durchschaubar. Die Stationen sind kaum zu erkennen, und nicht wie in Deutschland (mit einem "U" oder "H" oder in Boston mit einem "T") gekennzeichnet. Aber das ist nicht so schlimm, weil sich alle drei/vier Strassen sowieso eine neue Haltestelle befindet. Schnell stelle ich fest, dass es auch kein Problem ist, jede Station zu benutzen. Irgendwie fahren alle Bahnen "uptown" oder "downtown" und grob faehrt jede in die gewuenschte Ecke der Stadt.

Mein Weg fuehrt zur sagenumwobenen Haltestelle "42nd street - Times Square". Und dessen Lebhaftigkeit und Neonhaftigkeit haut mich ein wenig um. Aber ein wenig und nur kurz, so dass ich sofort wieder aufstehe, mich zu "Starbucks" bewege, eine "tall hot chocolate" (sprich: Taaaaall haaaaaaat tschaaaklittt) schluerfe und dem Treiben vergnuegt und interessiert zusehe. Ich bummle hier und da, an den ganzen bekannten Musicals vorbei ("Phantom der Oper", "Mamma Mia", "Lion King"), bewundere die vielen Anzeigetafeln (keine zeigt die Bundesliga-Ergebnisse, komisch), gehe hier und da rein (zum Beispiel in den Virgin-Mega-Musicstore, hurraaaa!) und sehe eine potenzielle Traumfrau nach der naechsten. Macht Spass, aber noch eins steht auf meinem Tageskalender.

Die Subway transportiert mich an die Kante der Brooklyn Bridge. Den 1,5 Kilometer langen Weg darueber lege ich zu Fuss zurueck (*hatschi* - tschuldigung -), und auch der ringt mir ein anerkenndes Nicken ab. Der Nachteil ist wohl, dass ich das Beeindruckende dieser Sehenswuerdigkeiten schon lange vorher erwartet habe. Ueberraschen sie mich daher nicht? Nach dem heute absolvierten Standard-Basis-Touriprogramm finde ich New York gut, interessant, aber ausser der Groesse erschliesst sich mir das besonders Andere nicht. Nicht heute.

Heute Abend gehe ich nicht aus. Erstens verlangen meine Fuesse nach abermals acht Stunden Laufen (den sechsten Tag in Folge) nach einer Pause, zweitens waere mein Schnupfen draussen sicher nicht gut aufgehoben. Drittens faellt es mir sowieso schwer, mich einer der Mini-Cliquen des Hostels anzuschliessen, einfach nur des Anschliessens wegen. Denn keine macht den Eindruck, dass ich sie mit meiner Anwesenheit bereichern koennte und dass ich mich wohl fuehlen wuerde. Und ganz alleine losziehen? Also dafuer bin ich in Manhattan ganz und gar ungeeignet.

Im Fernsehen verfolge ich nun das wirklich grossartige Eishockeyspiel zwischen Tschechien und Kanada. Danach kommt College-Football. Ich aber vermisse Fussball. Schon nach sechs Tagen. Wie gern wuerde ich jetzt live ein schoenes Fussballspiel sehen. Zum ersten Mal waehrend dieses Urlaubs bin ich ein wenig traurig. Weil ich meine aktuelle Liebe im allgemeinen (Fussball) und im besonderen (VfL) nicht bei mir habe, und weil ich das 2:2-Spektakel gegen Dortmund nicht im Stadion miterleben durfte. Ich bin ein wenig traurig, dazu noch krank, und das in New York. Hier wollte ich eigentlich die Party meines Lebens veranstalten. Aber ich bin Andi und denke positiv: Hier kann es nur noch aufwaerts gehen!!

Jetzt bewege ich meinen Schnupfen und den mueden Rest ins Gefaengnis. Wir haben 23.25 Uhr und Kanada hat gerade das Golden Goal erzielt. Wartet eine weitere schlaflose Nacht? Hoffentlich nicht. Morgen sind wieder acht Stunden Laufen angesagt. Mindestens.

*hatschi*
- tschuldigung -

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Sonntag, 12. September 2004 (zum Foto-Tagebuch New York geht es HIER )

Tag 7: New York City

Im Central ParkAn einem Sonntagmittag im Central Park!

PEOPLE WATCHING

Gestern, ja gestern haette ich das noch fuer aeusserst unwahrscheinlich gehalten. Aber heute gab es doch tatsaechlich einen 20-minuetigen Moment, in dem ich einfach nur "Ich liebe New York" dachte. Sonne, strahlend blauer Himmel, viele gut gelaunte Menschen, und das in freier Natur. Ich muss zugeben: Der "Central Park" hat mich sehr beeindruckt. Gespraechsfetzen.

Ein Vorteil, einer der ganz furchtbar wenigen wohlgemerkt, meines Hostels ist es, manchen Saetzen meiner "Mitbewohner" lauschen zu koennen (nein, falsch, zu muessen!). Morgens um 7 Uhr zum Beispiel kommen heute die letzten zurueck. Leute, die nur zum Shoppen und Feiern in Manhattan sind (wohlgemerkt in Manhattan und nicht in New York). Das geht aber. Das geht in keiner anderen Stadt der Welt. Aber hier. Pennen bis 15 Uhr, dann ausgiebig einkaufen, um von 19 bis 5 Uhr um die Haeuser zu ziehen. Das zu verurteilen, waere grob fahrlaessig. Denn auch - oder gerade? - so laesst sich New York bestens erkunden. Gespart wird dann eben an der Unterkunft...

Na bitte, der heutige Tag laesst sich doch besser an. Die ersten fuenf Stunden hab ich sogar durchgeschlafen, scheinbar hat sich mein Gehirn an die Klospuelung gewoehnt. Das gestern war wohl mein Reisetiefpunkt, grueble ich unter der entweder viel zu kalten oder massiv zu heissen Dusche. Ganz schoen frueh, dieser Tiefpunkt, schon am sechsten Tag, aber naja, leichte Klimaanlagen-Erkaeltung und Enttaeuschung sind nunmal ein gefaehrlicher Mischmasch.

Heute lasse ich mir extra Zeit. Gestern wollte ich aufgrund des VfL-Spiels ja schon unbedingt um 9.20 Uhr im Internet-Cafe sitzen und musste dementsprechend sehr frueh raus. Aber heute tropft um 9.20 Uhr grad einmal der erste Wasserfaden in meine Haare. Sonntags, das hat mein Onkel Uwe mir gesagt, und auch der "Know-How"-Reisefuehrer schildert das aehnlich, ist der beste Tag, um den "Central Park" zu erkunden. Also habe ich mir den Pflichtbesuch in New Yorks gruenem Abschaltzentrum fuer heute dick notiert. Der blaue Himmel begleitet mich zu meiner Subwaystation (eigentlich habe ich gleich drei zur Auswahl, die jeweils drei bis vier Fussminuten von meinem Hostel entfernt liegen, naemlich - fuer NY-Kenner sei dies erwaehnt - "Astor Place", "8th street" und "Bleecker Street". "W 4 street, Washington Square" ist etwa sieben Minuten weg) und er ist immer noch da, als ich den Zielpunkt "59th street" verlasse, um den Park durch die Suedostecke zu betreten. Und mit jedem Schritt verfliegt der letzte Rest meiner schlechten Laune von gestern. Der Central Park wurde einst am Nordende New Yorks angelegt. Das war zwischen 1859 und 1870. Inzwischen, da New York aus allen Naehten platzt, liegt dieses grosse Rechteck mit etwa 500.000 Bauemen und Straeuchern fast genau in der Mitte der fuenf Boroughs (Stadtteile). Auch ein paar Strassen fuehren durch, doch - oh Wunder - am Wochenende sind die scheinbar alle gesperrt. Und wofuer? Meine Fresse, sind da viiiele Menschen auf den Beinen!! Sportler, die joggen, Inlinern oder Rad fahren, Familien mit Kinderwagen, Paare, Singles, Junge, Alte. Alles! Sie wandern ueber die Wege, lauschen den Toenen der zahlreichen Hobbymusiker, die sich an den Ecken der Wege platziert haben, gehen in den Central-Park-Zoo, zu einem der beiden Seen. Es ist so frisch, so geloest, so gruen hier. "Imagine all the people livin life in peace". Dieser John-Lennon-Satz trifft heute ein bisschen auf dieses Fleckchen zu. Finde ich. Na gut, ich habe auch einen gigantischen Tag erwischt, gestehe ich mir selbst, als ich auf der groessten Rasenflaeche "Sheep Meadow" zu Boden sinke. Bei 25 Grad im Schatten (oder 80 Grad Fahrenheit). Sonne. Pur. Sonnen pur. Ich hoere die "Strokes", den neuesten Schrei der New Yorker Alternative-Kultur, und versuche, mich in die Inspiration der Jungs reinzuversetzen. In Deutschland ists grad 18.15 Uhr, kurz vor Einbruch der Dunkelheit. Man, so ganz ohne Fussball gehts echt nicht, ich scharre mit den Fuessen. Ungeduldig besorge ich mir dann doch von den verschiedensten Personen die aktuellsten Ergebnisse. Zum Beispiel haben meine tuerkischen Freunde von
Galatasaray 5:1 gewonnen. Das freut mich! Ist es aber nicht ein wenig dekadent von mir, einfach so aus dem sonnigen Central Park anzurufen? Haaaaaach, watt mir datt ejal iss!

Ist New Yorks Central Park tatsaechlich eine "Oase der RUHE" (Betonung auf RUHE), wie es immer wieder heisst? Nein! Ich geniesse die Zeit, diese Stunde auf der Wiese sehr, aber... ich bin nun einmal einer, der ab und zu seine Zeit GANZ (Betonung auf GANZ) fuer sich allein beansprucht. Und das ist in New York voellig unmoeglich. Du kannst hier soviel machen, hast soviel Auswahl, da ist jeder Tag ein Aergernis. Ein Aergernis, weil man zu viele Angebote ausschlagen musste. Und wenn jemand hier doch Zeit nur fuer sich hat, dann muss er eigentlich wegziehen oder wohnt schon zehn Jahre hier. Wer es hier schaffen will, der muss dieses New-York-Grossstadt-Urban-immer-was-los-Gen in sich tragen. Hier ist es eindeutig dreimal so krass wie in Berlin. Und Berlin ist schon krass.
"Imagine" steht auch auf dem Erinnerungsstein an John Lennon im eigensfuer ihn angelegten Parkteil "Strawberry Fields". 100 Meter davon entfernt vor dem heute streng bewachten "Dakota Building" wurde er erschossen. Ich fotografiere beide Stellen - und trauere ein bisschen. Der John war schon ein Guter.

Waehrend ich ziellos nach einer Stunde puren Sonnens durch den Park schlendere, ueberlege ich mir, wie simpel New York doch strukturiert ist. Fuer alle, die noch nie hier waren, ein kurzer Einfuehrungskurs(die Insider koennen diesen Absatz ueberspringen): Es gibt fuenf Boroughs, naemlich Manhattan, Queens, Brooklyn, Bronx und StatenIsland. In Manhattan halte ich mich zu 95 Prozent auf, und mitManhattan wird New York faelschlicherweise und aufgrund der zahlreichenFilme und Fernsehserien, die hier spielen, gleichgesetzt. Dabei leben in Manhattan nur 1,5 der 7,3 Millionen Einwohner. Im langgezogenen Manhattan jedenfalls gibt es einen oberen (upper) und einen unteren(lower) Teil, und natuerlich einen westlichen (West Side) und einen oestlichen (East Side). Zwoelf lange Avenues durchkreuzen das schachbrettartig angelegte New York laengs, und ganz unten faengt dann die erste Strasse (1st street) an. Das geht dann bis in die Hundert.Die bekannte fuenfte Avenue (Fifth Avenue, die mit den teuren Laeden)teilt die Strassen in Ost und West. Wenn also jemand sagt, er wohnt "99., Ecke 8.", dann weiss jeder sofort Bescheid. Taxifahrer zu sein, ist verdammt leicht hier. Nur eine Strasse faellt total aus dem Rahmen, der "Broadway". Der ist 22 Kilometer lang und fuehrt quer durch Manhattan. Um das mal auf Muelheim zu uebertragen: Styrum wuerde zur "Upper West Side" gehoeren. Klingt doch ein wenig offizieller als Styrum, oder? Genug erklaert.

Die Sonne scheint immer noch, ich habe mit dem Park undSonnen fast schon zu viel Zeit vertroedelt, als ich mich in die "echte" Upper West Side, 112., Ecke Broadway und Richtung Columbia University (116. Strasse) begebe. 112. Strasse? Genau, denn dort steht "Tom's Restaurant", und das muss ich unbedingt fotografieren. Achtung, Exkurs Teil zwei: "Tom's Restaurant" war in fast allen Folgen der schon erwaehnten New Yorker Sitcom "Seinfeld" ein wichtiger Drehort. Die Geschichten mit Komiker Jerry, sowie Kramer, George und Elaine sind einfach herrlich, und ich schaue sie mir auch beim dritten Mal noch mit einem Schmunzeln an. Also knips und weiter.

Columbia University. Meine zweite US-Eliteschmiede in vier Tagen. Ich begebe mich auf das Uni-Gelaende, muss dabei an der bedeutendsten Journalistenschule der Welt vorbei (dort wird jaehrlich der Pulitzer-Preis verliehen), setze mich auf die grosse Treppe vor dem Denkmal der "Alma Mater", hoere die Toten Hosen und das "Wort zum Sonntag" (der Titelname passt!!), und beobachte Leute. People watching. Vier Jungs spielen Beach Volleyball auf einer grossen Wiese. Ueberall sonnen sich Studis, Touristen ziehen vorbei. Die Zeit verrinnt. Verrinnt. Verrinnt und verrinnt. Und ich merks nicht. Noch ein wenig bewege ich mich im angrenzenden Studentenviertel in der West Side. Nett. Sehr nett. Auf der anderen Seite der Uni (folglich der East Side) liegt der bekannte Stadtteil "Harlem".

So langsam, gaaanz allmaehlich, erschliessen sich mir die wahnsinnigen Moeglichkeiten dieser Stadt. Erst wer ein halbes Jahr wirklich hier gewohnt und gelebt hat, kann ein wahres Urteil faellen ueber die Stadt, diese Vielfalt, die die Einwohnerzahl in 200 Jahren von 60.000 (1800)auf 7,3 Millionen (heute) ansteigen liess. Nicht ich, mit meinen sechs Popeltagen. Wie ausgefallen das Shopping- und Nachtleben ist, dass hier die Modetrends der Welt (scheinbar) gesetzt werden, das werde ich in den verbleibenden Tagen nicht herausfinden. Aber von Minute zu Minute kann ichs mir mehr vorstellen. Das gilt aber auch fuer die These, New Yorker seien arrogant. Stimmt bestimmt. Wer wirklich sein Herz an diese Stadt verloren hat, will wahrscheinlich nicht einmal im Urlaub raus und qualifiziert alles andere automatisch ab. Gut, dass ich diese Stadt nicht liebe.

Eine Woche meines Urlaubs ist schon rum. Ich spaziere erneut auf dem Times Square, warte darauf, dass mein erster voller Memorystick auf CD gebrannt wird (ich musste mit dem Fotoladen-Typen feilschen, der wollte erst 30 !!! Dollar dafuer sehen). Eine nachdenkliche, aber sehr kurzweilige Woche, in der ich so viel gesehen habe, was ich noch vor ein paar Jahren niemals zu sehen glaubte. Eine Woche alleine. Woanders. Ein Selbsterfahrungstrip. Doch, das ist er.

"Talk to me", stand auf einem Schild, neben dem jemand an der Upper WestSide hockte. Ganz viele talken per Internet zu mir. Ich sehe abends zum ersten Mal, wie gut mein grossartiger Bruder meine Homepage aktualisiert hat (DANKE!). Ich lese noch einmal selbst nach, und erschrecke: Boston, stimmt, da war ich ja auch. Da musste ich mir noch ueberlegen, wie es waere, dort zu leben. Hier nicht. Ich weiss, mit ein paar Tagen Anlaufzeit koennte ich das. Wenn ich muesste. Aber ich wuerd nicht fuer immer bleiben wollen. Boston, das ist - gefuehlt - schon ein paar Monate her, dort ist einfach alles zwei bis vier Nummern kleiner. Allein der "Times Square"-Subway-Bahnhof mit all seinen verquerten labyrinthartigen Zuegen scheint mir groesser zu sein als ganz Bostondowntown. Boston schaetze ich mit der New-York-Erfahrung im Ruecken nun noch ein bisschen mehr.

Heute wage ich sogar einen kleinen Trip durch das Hostelviertel, das "Greenwich Village" heisst. Das soll eines der angesagtesten sein; ist halb Kuenstler- und halb Univiertel (New York University, nicht zu verwechseln mit Columbia, das ist eine ganz andere). Zur Staerkung goenne ich mir bei "Cozys" eine grossartige Zwiebelsuppe. In Sachen Ernaehrung war ich schon vor diesem Urlaub New Yorker. Hauptsache schnell, ist das Motto. Und so ziehe ich das auch hier durch. Mal ein amerikanischer Hotdog, dann ne Suppe, dann ein Burger bei Mc Donalds, zwischendurch zu Starbucks... Ich schnuppere ein wenig Barluft, allerdings scheint da heute nicht so viel los zu sein. Ist ja auch Sonntag, und quasi nicht mehr Wochenende. Um 22.40 Uhr lande ich wieder im Hostel.
Beim Schlafen gehen werde ich wie schon am ganzen Tag das "Peace"-T-Shirt tragen. Was ein einfacher blauer Stofffetzen mit fuenf weissen Buchstaben drauf ausloesen kann. "I like that shirt", haben fuenf Leute zu mir gesagt.

Ich gab immer dieselbe Antwort.
"That´s my message".

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Montag, 13. September 2004 (zum Foto-Tagebuch New York geht es HIER )

Tag 8: New York City

TREIBEN LASSEN

Mit dem Strom zu schwimmen, ist eigentlich nie gut. Aber sich treiben zu lassen, widerstandslos, einem angenehmen Gefuehl folgend; dagegen ist ab und zu nichts einzuwenden. Und HALLO, KUCKUCK, WILLKOMMEN, damit sind wir schon mitten in meinem heutigen Tag.

Mensch, mit dem Schlafen klappt das ja immer besser hier. Neun Stunden brutto, davon achteinhalb netto, und davon sieben am Stueck - Rekord! Noch so etwas, was ich am ersten Tag nie vermutet haette. Der Mensch ist manchmal doch ganz anpassungsfaehig.
Ausgeschlafen und fit macht die Morgendusche auch glatt doppelt Spass, und so stage-dive ich mit voller Wucht und grossem Sprinttempo in meinen NY-mittleren Tag. Zweieinhalb Tage hab ich hinter mir, zweieinhalb kommen noch. Drei Naechte hab ich schon hinter mir, drei kommen noch. Meine Vorhaben werden immer doller, mein Kalender immer voller. So ist das in New York. Auch am dritten Tag gibt es nicht das geringste Problem, 24 Stunden mit Sightseeing vollzukleistern. Und mein vierter, fuenfter und sechster Tag steht eigentlich auch schon. Gaaaanz tief, so wie der Eisbaer in der frueheren Wick Blau-Werbung atme ich ein, denn das Wetter verwoehnt mich und 7.299.999 andere Menschen in diesem Fleckchen zwischen Hudson und East River. Ja, so stelle ich mir doch nen Urlaub vor!!! Pack die Badehose ein (hab leider keine mit), nimm die Sonnencreme mit (scheisse, auch vergessen) - ach egaaaaal, tiiiiief einatmen - UND LOS!!

Zunaechst muss ich Euch wieder mit dem travellertypischen Orga-Kram langweilen. Mein Weg fuehrt mich zu allererst in den "K-Mart", einem Rieseneinkaufsladen, groesser als Real. Denn frei nach dem Motto "irgendwas vergisst man IMMER" hab ich Dussel nicht dran gedacht, mir nen Adapter zuzulegen; die US-Steckdosen und die europaeischen sind naemlich grundverschieden. Tja, und wenn ich den Adapter nicht finde, dann wars das mit Handy und Digitalkamera... Scheisse, der K-Mart kann ihn schonmal nicht bieten. Also weiter. Zur "Penn Station", die letzten beiden Zugtickets holen... hmm... Schlange... waaaarten, dann dran kommen. Und? Scheisse, Reisepass im Hostel vergessen; dass man den hier aber auch UEBERALL braucht! Grad mal 11.30 Uhr und schon gibt es zwei Ueberschrifts-Varianten: "Der Tag der verpassten Chancen", oder auch: "Der Tag des Dussels"!

Aaach, das wird schon. Punkt eins auf der heutigen Liste ist das "Empire State Building", nach dem "Missgeschick" mit dem World Trade Center wieder das groesste Gebaeude New Yorks. Im Keller des Buildings stelle ich fest, dass jeder New Yorker und vor allem jeder New-York-Tourist eine Eigenschaft DRINGEND benoetigt: Geduld! Ob teilweise in Bars, im Taxi, bei der Beobachtung des Strassenverkehrs oder ob bei der Staten Island Ferry, da fiel es mir schon auf. Aber der Amtrak-Schalter und das Building toppen alles. Es daaaaaaauert... Eine ganze Stunde geht es durch nicht enden wollende Sicherheitskontrollen (fast schlimmer als am Flughafen), bis zur Kasse - und dann zu den Aufzuegen. Wenigstens der Blick aus der 86. Etage entschaedigt. Diese Stadt scheint nicht aufzuhoeren. Die Sonne taucht die fuenf Boroughs und das angrenzende New Jersey in Hochglanz. Verweilen. Der Augenblick. Und ich.

Was nun tun, um 13.20 Uhr? Mein eigentlicher Zeitplan liegt schon lange in meinem gehirninternen Papierkorb. Ich ueberlege, denke nach, laufe, schaue, und ploetzlich ist es 15.50 Uhr. Die Ueberschrift aendere ich sofort in "Treiben lassen". Ich bummle ueber die Fifth Avenue und den Broadway. Es ist nicht moeglich, diese beiden bekannten Strassen in einem durch zu erkunden, als Punkt auf der Prioritaetenliste. Du lauefst ihnen immer ueber den Weg, oder besser: sie dir. Es ist, als wuerden sie dich verfolgen. Die Gedanken sind dann immer gleich: Ach - schon wieder der Broadway...? oder: Ach - schon wieder die Fifth Avenue...?

Hier in New York fuehren die Leute nicht mehr ihre Hunde, sondern ihre Sonnenbrille spazieren. Nun gut, heute ist das ausnahmsweise ja auch sinnvoll, aber auch morgens, abends, nachts - ueberall Sonnenbrillen, die Modeerscheinung der letzten zwei Jahre. In fast JEDEM Laden werden die Dinger angeboten. Okay, das ist in Muelheim auch so - aber bei uns werden die Billigen getragen. Hier die Teuren.

Muss jeder, der was auf sich haelt, der up-to-date sein will, wirklich hier gewesen sein? Es ist wohl die Trendstadt der Kunst, Kultur, des Kommerzes, des Konsums, des Theaters, der Musik. Wie gern wuerde ich jetzt einen Satz mit "aber" formulieren. Aber es geht nicht.
Mein Weg fuehrt wie von selbst zum Central Park. An der gleichen Stelle wie gestern werfe ich mich auf den Rasen im "Sheep meadow", und nicke in der warmen Mittagssonne weg, schlafe sogar ein wenig. "Ich lasse den Tag an mir vorbeiziehen", wuerde in Postkarten
stehen, wenn ich heute welche schreiben wuerde.

Der Tag zieht so sehr an mir vorbei, dass ich mich im Park ein wenig verfranse, und ich nicht weiss, wie ich das angestellt haben koennte. Eigentlich wollte ich zum Guggenheim-Museum an der 88. Strasse an der Park-Ostseite. Und ich lande bei den "Strawberry Fields" in der 72. Strasse an der Westseite. Teufel auch. Na macht nuescht, bin ja noch zwei Tage hier. Dann ziehe ich eben das "Rockefeller Center" vor, diese 19-hochhausrige Passage, welche hauptsaechlich fuer die Skyline Manhattans verantwortlich ist. Hier sitzen die Mediengiganten NBC und CBS, hier steht das Konzertgebaeude "Radio Music Hall", hier laesst sich ganz furchtbar teuer einkaufen, hier stehen die Fahnen aller von der UN anerkannten Staaten und hier sitzen noch so viele andere Firmen. Hier, an der 49. Strasse. Hier ist Manhattan. Aber nicht New York. In welchem Licht wuerde NY wohl erscheinen, wenn Manhattan eine eigenstaendige Stadt waere. NY waere dann eine 5,1-Millionen-Einwohner-Stadt mit massiven sozialen Problemen - und Manhattan ein zweites Monaco? Mich wuerde interessieren, wie die fuenf Boroughs zueinander stehen. Staten Island wird in Reisefuehrern als der "vergessene Stadtteil" bezeichnet; Queens als das "Schlafzimmer Manhattans". Und in die Bronx sollte man gar nicht fahren - Verbrecher!! Uuuuuh!?! Ja was stimmt denn nun? Wissens die New Yorker selbst? Die in "Sex and the city" transportierte Welt ist nur ein Schein. Ob es die Zuschauer wissen? Am Haupteingang des Centers setze ich mich, und blaettere in einem Buch mit theoretischen Schriften von Rudi Dutschke. "Ihr begriffsloser Objektivismus erschlaegt das zu emanzipierende Subjekt", ruft er Juergen Habermas zu. Na ja. Ich leg das Buch weg. Ist mir im Urlaub zu kompliziert. Aber: Sauber der Rudi!

Ich schone meine Digitalkamera. Irgendwann wirst du automatisch muede, immer irgendwelche hohen Haeuser zu fotografieren, obwohl jedes eine besondere Bedeutung hat. Nach drei Reisetagen hier in Manhattan gehoeren sie schon fast dazu; nicht, dass ich sie als toll akzeptiert haette, sie sind einfach da, ich bewege mich im Schatten des Empire State Buildings und des Rockefeller Centers. Na und? Und - mal ganz nebenbei - an diese Art der Staedte-Architektur (wenn auch nur im Kleinen) konnte ich mich in Boston schon gewoehnen. "Die Dimension dieser Reise", hat mein weiser Bruder mir gesagt, "wirst du erst in Wochen, Monaten oder gar erst Jahren begreifen." So ist es wohl.

Um 18.10 Uhr fahre ich zum unzaehligsten Mal heute mit der Subway und lasse mich zum Hostel treiben, ohne Adapter - aber mit viel Sonne in meinem Herzen. So langsam muss ich auf mein Budget achten, ich hebe hier taeglich mindestens 20 Dollar ab. So hoch sind naemlich alleine meine laufenden Kosten mit Fruehstueck, Abendessen (soll ja nicht McDoof sein, obwohl McDoof nun einmal mit Abstand am billigsten ist), Getraenken zwischendurch, und dem Internet-Cafe am Abend. Museen und der ganze Kram kommen noch dazu. Einen Theaterbesuch muss ich mir wohl knicken - will ja noch ne Woche nach Finnland Anfang Oktober.

So mancher NY-Liebhaber mag mir vorwerfen, die Stadt nicht genug zu wuerdigen. Moeglich. Eine Wuerdigung oder gar Huldigung kann und will ich aber auch nicht loslassen. Es ist zweifellos fuer die westliche Welt, den westlichen Kapitalismus, die Hauptstadt, die wichtigste Attraktion, das Vorzeigeobjekt, aber ein armer Arbeiter in Afrika - was ist fuer den schon New York? Die Stadt ist beeindruckend hoch, es laufen so viele Menschen in ihr rum, wie ich es nicht vermutet haette. Klar hast du unendlich Moeglichkeiten in allen Lebensbereichen. In der Addition gibt das bei mir aber keine 1+. Den besonderen Kick habe ich hier nicht gespuert. Dass so viele bedeutende Kuenstler hier wohnen oder gewohnt haben, dass so viele Liebeserklaerungen an NY im TV und Kino laufen - davon lass ich mich nicht anstecken.

Jetzt geh ich schlafen. Oben in meinem Kaefig steht noch der letzte Rest von Cozys Kaesekuchen. Nachdem ich seine Zwiebelsuppe heute ein zweites Mal genoss, liess ich mir ein Stueckchen dieser koestlichen Leckerei als Dessert einpacken. Und es ist so toll wie ein gutes VfL-Spiel. Ein Rock-Festival im Gaumen.

Na klar, auf mein Budget muss ich achten. Aber zu Zwiebelsuppen-Cozy, 739 Broadway, treibt mich die Stadt bestimmt auch morgen.

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Dienstag, 14. September 2004 (zum Foto-Tagebuch New York geht es HIER )

Tag 9: New York City

RUCK ZUCK

Andi ist ein Kunstbanause, schalalalalalalala... Das ist die eine Erkenntnis des 14. September. Und die andere: Je laenger der Urlaub dauert, je weniger die Tage werden, desto schneller verfliegt die Zeit. New York, der vorletzte Tag. Es ist nicht meine Stadt. Aber wir beide haben uns wenigstens bisher interessiert, angeregt und praechtig miteinander unterhalten.

So langsam muss ich wohl wieder einen Wecker stellen, sonst erreichen meine Schlafgewohnheiten Muelheimer Qualitaet. Stehst du schon auf, Andi? Jetzt, obwohl du grad so schoen von Lissabon im Mai 2005 getraeumt hast? Jetzt, wo's so schoen warm ist? Noeoeoeoeoe... Komm, Andi, schau wenigstens auf den Wecker... WAAAAAS? Schon 9.50 Uhr??? Hui, sofort springe ich auf, verpasse mir selbst zwei Wachwerde-Ohrfeigen.: ANDI, MUSEUMSTAG! Oh, im Zimmer 234, direkt neben mir, da roechelt und huestelt jemand ganz fuerchterlich. Bin wohl nicht das einzige Klimaanlagen-Opfer geblieben.

Mein Freund, der Wettermann, goennt seinem Schuetzling Sonne heute eine Auszeit auf der Ersatzbank. Dafuer werden gleich ganz viele Spieler namens "Wolken" eingewechselt. Ganz schoen unfair. Schatten. Schattig. Es geht wieder los mit Orgakram. Selbe Stellen wie gestern. Amtrak-Schalter, diesmal MIT Reisepass. Und wieder nichts. "Sie muessen ihren Railpass in der 38. Strasse abholen." Na toll, haetten die mir auch gestern sagen koennen. Also ab in die 38. Strasse, durch die New Yorker Mittagspause. 38. Strasse, Haus 262, 10. Etage, Suite 1002. Eine Hinterhof-Reisefirma. Fuer einen Teppich hat es nicht gereicht, fuer Tapeten erst recht nicht. Dafuer aber fuer Tapeziertische. Ich erhalte den Railpass relativ flugs. "Die Karten selbst muessen Sie aber bei Amtrak besorgen!" Gaaanz langsam auf Zehenspitzen schleiche ich mich raus. Es ist wie bei "Asterix erobert Rom", als Asterix und Obelix den Passierschein A38 holen muessen. Wieder zurueck zu Amtrak, ein drittes Mal 20 Minuten warten. Jetzt klappts endlich, die letzten beiden Zugtickets sind mein. Zur Feier des Tages finde ich in einem dubiosen Technikladen neben der Penn Station noch den richtigen Adapter. Also doch kein digitaler k.o.!

Tag neun kann richtig beginnen. Die Belastungen spuere ich ganz deutlich in Fuessen, Beinen und Ruecken. Schon gestern und vorgestern waren meine Pausen ausgiebiger als in Boston. In allen meinen bisherigen Trips gab es spaetestens am achten Tag einen Relaxtag, entweder mit Abhaengen oder mit Auto fahren. Dieser Urlaub ist einer mit Vollgas. 20 Tage lang.

Heute mache ich mal wieder einen auf Kultur. Alle wichtigen Museen an einem Tag - das hat schon in Boston gut funktioniert (naja, da warens nur zwei, aehem...). Eigentlich bin ich ja eher der Sportler (klar) oder der Historiker. Kommen Kunstsammlungen ueberhaupt an in meinem Schaedel? Na klar, die Schnittmenge zwischen Kunst und Geschichte ist mir sehr wohl bewusst, aber fand ich die bisher interessant? Nachdem ich die Enttaeuschung ueberwunden habe, dass der grosse Madison Square Garden (die beruehmte 20.000-Zuschauer-Arena wurde direkt ueber der unterirdischen Penn Station errichtet) heute keine Fuehrungen anbietet, wende ich mich dem "Metropolitan Museum of Art" zu, dem zweitgroessten seiner "Art" auf der Welt. 86. Strasse.

Ich bin motiviert. Wirklich motiviert!! Lass die Kunst zu, begreife sie! Alle fuenf Minuten luenker ich in den Baedeker, und dazu auch in das Faltblaettchen des Museums. Doch nichts will wirklich haengenbleiben. Ja, doch, der aegyptische Teil ist klasse, mit einigen Original-Exponanten und einem Klasse-Tempel. Knipsknips. Ach, und direkt vor dem amerikanischen Fluegel gibt es die "Waffen und Ruestungen"-Ecke (komisch...). Und sonst? Sonst ist da noch ein Clown, der auf der Eingangstreppe Leute nachaefft. Bis 15.30 Uhr laufe ich durch die Hallen, s' ist auch echt kurzweilig, ruckzuck, aber ich bin ein echter Kunstbanause.

Zweieinhalb Stunden bleiben noch fuer zwei weitere Museen. Bei meiner heutigen Banausenhaftigkeit ist das doch locker zu schaffen. Das Museum of Modern Art (MoMA) muss ich heute dazwischenschieben, da morgen Ruhetag ist (zum Glueck fiel mir das noch rechtzeitig auf). 50. Strasse. Doch die Enttaeuschung ist wieder gross. Denn die MoMA-Hauptstelle in Manhattan wird umgebaut und erst im November wiedereroeffnet. Haette ich mir auch denken koennen, sonst waeren die besten Stuecke nicht gerade in Berlin. Und zur Zweigstelle in Queens will ich auch nicht. Zu weit. Hab ich aber noch was fuer den naechsten NY-Besuch. Also wieder zurueck zur Subway. Und Richtung 88. Strasse. Upps, schon 17.05 Uhr. Durch das "Guggenheim Museum" in 55 Minuten durchjagen? Wo doch die Architektur des Gebaeudes (wirklich) genauso interessant ist wie die Ausstellung selbst? Okaaaay, da reicht ja wohl ein Bild von der Aussenfassade und die Inhaltsangabe aus dem Baedeker...

Was, und das wars jetzt? Das war der neunte Tag? Der ist so schnell rum? Ich fahre mit der Subway noch kreuz und quer durch Manhattan, presse meine Stirn gegen die Scheibe, starre gegen die schwarze Tunnelwand oder auf die belebten Bahnhoefe. Doch, New York ist eine brillante Erfahrung fuer mich. Hier zu sein, nach ein paar Jahren Pause mal wieder sechs Tage waschechtes Hostelleben mitzumachen, das ist alles so alt und doch so neu. Mal ganz ohne den Komfort Muelheims zu sein, ist nicht schlimm. Nur ohne Fussball, aber das hatten wir ja schon. Okay, morgen ist eigentlich erst der Fazit-Tag, aber schon heute faellt mir auf, was ich haette anderes machen muessen. Naemlich vor allem die Sport- und Abendgestaltung. Unguenstigerweise bin ich ausserhalb fast jeglicher Sportsaison gekommen (nur Baseball laeuft, aber leider kein Heimspiel in dieser besagten Zeit; American Football hat gerade erst frisch angefangen); wenigstens weiss ich jetzt ungefaehr, welches New Yorker Team fuer welchen Stadtteil steht (da gibt es grosse Unterschiede, zum Beispiel stehen die Yankees fuer die Bronx, und die Mets fuer Queens; es gibt eine Eishockey- und eine Basketballmannschaft im Madison Square Garden - und jeweils eine in New Jersey, gegenueber. Da soll eine Riesenrivalitaet herrschen).
Und Musical- und Theaterkarten sollte jeder Tourist schon vorher gebucht haben - oder er sollte genau wissen, was er will. Ich hatte beides nicht. Musicalkarten vor Ort zu bekommen, ist nahezu unmoeglich. Du bist zu sehr mit der Stadt, mit dir selbst, den Erfahrungen
beschaeftigt. Und Theaterauffuehrungen gibt es so viele, dass du dir schon Gedanken gemacht haben solltest.

Auf dem Weg zurueck zum Hostel ist mir, als waere 11 Uhr und ich haette noch nicht gefruehstueckt. Ruckzuck. Mir faellt auf, wie gelb die Strassen hier sind. Gelb vor Taximassen. Unfassbar. Kommt her, und staunt. Taxistaende gibt es wirklich nur an den drei Flughaefen und den zwei Haupt-Bahnhoefen. Ein Taxi telefonisch zu bestellen, ist nicht moeglich. Einfach an die Strasse stellen, winken und laut "TAXIII!" bruellen, dann haelt schon eins. Die Schulbusse hier sind auch gelb, und tatsaechlich so baufaellig wie Otto's in meiner Lieblings-Zeichentrickserie "Die Simpsons".

Mit einem Spaziergang in Greenwich Village, mit dem einen oder anderen Luenkerer in die vielfaeltige Bar-, Rock- und Kneipenkultur, mit einem Abstecher zu Mc Donalds (sparen...) und dem Internet-Cafe geht die Tageskurve genau wie die Sonne unter. Ein Tag im Eiltempo. Im Hostel laeuft "Sex and the city". Ich gebe zu, zur NY-Vorbereitung zu Hause auch mal die eine oder andere Folge gesehen zu haben. Aber in Manhattan zu sitzen, und zu wissen, wo was spielt und wie was gemeint sein koennte - das ist was ganz anderes.
Wie es im Hostel laueft? Hostelleben eben. Zwangsgemeinschaft auf engstem Raum. Begegnungen ueberwiegend im Waschraum, beim Zaehne putzen. Aber auch schonmal abends in der Lounge. Smalltalk. "Where are you from?" "France", ist eine haeufige Antwort, "England", auch "Deutschland!". Mehr ist nicht.

Und noch etwas stelle ich am vorletzten Tag fest. Bisher finde ich New York total ungefaehrlich. Aber gut, bisher bin ich ja auch vor allen potenziell gefaehrlichen Orten und allen gefaehrlichen Zeiten geflohen! 23.50 Uhr. Ich geh pennen.

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Mittwoch, 15. September (zum Foto-Tagebuch New York geht es HIER )

Tag 10: New York City

Galatasaray und New York!Wie versprochen: Mit Galatasaray-T-Shirt vor der Freiheitsstatue!

EIN SCHOENES BERGFEST

Du stehst fuenf, na gut zwanzig Meter von ihr entfernt. Gross, groooooss erhebt sie sich so ueber dir, dass du den Kopf knacken hoerst, um sie ganz zu sehen. Ganz in Gruen, die Fackel an der Spitze in Gold. Doch, es beruehrt mich. Ich befinde mich in der Mitte meines Urlaubs und blicke auf das Symbol New Yorks, der USA, vielleicht sogar der westlichen Demokratien. Weit beeindrucker, als ich dachte.

Und da ist es wieder, das Bergbild. Bergfest. Der zehnte Tag, von zwanzig. Was, manche von Euch kennen den Begriff "Bergfest" nicht? Stellt Euch den Urlaub wie einen Berg vor, den es zu erklimmen gilt. Du brauchst einige Tage hin, bis du dann auf dem Gipfel bist, und dort ein Bergfest feiern kannst. Dann geht es wieder einige Tage hinuter. Kapiert?

Bergfest. Na toll, und meins beginnt direkt mit einem Stromschlag. Aus dem Bett bin ich ohnehin nur sehr schwer gekommen; und dann das. Als ich meine Kamerabatterien aufladen will (mit Hilfe des erworbenen Adapters...), erwische ich die falsche Steckdose. WUUUUUUUUSCH!! AUAAAA!! Naja, Hand noch dran, kribbbbbelt aber...

Es ist tatsaechlich mein letzter New-York-Tag heute. Mein letzter. Und dabei bin ich doch grad erst warm geworden. Gestern war der museale Teil dran; heute sowas wie der offizielle. Offiziell? Naja.
Ich betrete an meiner Heimat-Subwaystation die Linie 4, Richtung Brooklyn, und steige an der vorletzten Haltestelle auf Manhattaner Gebiet aus. Erklimme die steilen Treppen und erblicke eine duenne Schlucht. Hochhaeuser bin ich - siehe gestern - gewoehnt, aber das??? Es ist dunkel, boese irgendwie; aber auch vermutlich nur fuer mein subjektives Auge. Weil ich weiss, was fuer schwarze Seelen und graue Maenner hinter den dicken Steinen hocken. "Wall Street" steht auf dem Schild an der Strassenecke, "New York Stock Exchange" am ersten Haus. Die Boerse. Das wichtigste Gebaeude fuer den Welt-Kapitalismus. Hier wird die wahre (Ware?) Politik gemacht. Buuuuuuh...!!! es schuetttttelt mich. In einer Nebenstrasse laeuft eine Demo, keine Ahnung, fuer oder gegen wen und was. Ein Securitytyp will mir verbieten, die Skyline zu fotografieren. "Eeee-Eeee", schuettelt er den Kopf. "NOT ALLOWED!"

Ganz schnell verschwinde ich wieder von diesem Ort der Distanz, der Kaelte (naja, ist aber auch wirklich ein bisschen windig und bewoelkt heute). Jetzt brauche ich gefuehlte Waerme. Freiheit! Freiheit? Wenn ich schon hier in NY bin, habe ich mir geschworen, dann will ich die Freiheitsstatue (Statue of Liberty) nicht von weitem, sondern von ganz nah sehen. Ich schleppe meine mueden Knochen in den "Battery Park", aus dem die meisten Touri-Faehren ablegen, und beschliesse den Satz "Es wird Zeit fuer Philadelphia" in dieses Tagebuch aufzunehmen. Nicht, weil ich mich besonders auf Philadelphia freuen wuerde, sondern nur, weil ich mich aufs Relaxen, das ich mir dort goennen will, freue. Ein eigenes Zimmer! Eine eigene Dusche! Ein Fruehstueck am Morgen!
Andi, Du hast doch Musik dabei!! Stimmt, ich hole den Discman hervor, lausche "Ueber den Wolken", in der Version von Dieter Thomas Kuhn. Das bringts. Bis zum Ticketbuero schwebe ich quasi. Doch was dann passiert, ist der pure Wahnsinn. DAS ist die wirklich HEFTIGSTE Kontrolle, bei der ich sogar meinen Guertel abschnallen muss!! Ich murre nicht, und dann legt die Faehre auch ab, nach insgesamt 30 Minuten Kontrolle und Warten. Mit jedem Meter, den sich das Schiff von Manhattan entfernt, wirkt die Skyline mehr und mehr wie eine Faller-Stadt auf der Modelleisenbahnanlage meines Dads. So zerbrechlich. Ich drehe mich um, und sie rueckt naeher. 1000-mal gesehen. Im Fernsehen. Auf Fotos. Im Kino. In Zeitungen. Symbol. Siehe im Vorspann. Fuer Millionen von Einwanderern war sie der erste Anblick der "schoenen neuen Welt", bevor es auf der benachbarten Ellis Island durchs Amt und den Behoerdenkram ging. "Bring mir Deine Mueden, Deine Armen / Deine geduckten Massen, die sich nach Freiheit sehnen / Schick Deine Heimatlosen,
Sturmgebeugten zu mir / ich erhebe meine Fackel neben dem Goldenen Tor", ist auf ihr eingraviert.

Die Faehre schippert und schippert. Wind. Rueckenwind. Nee, wirklich. Meine Haare wehen mir uebel ins Gesicht. New Yorker sind nicht dabei, denke ich. NUR Touristen. Ich glaube, das ist wie mit den Berlinern und ihrem Brandenburger Tor (hier ist mal ein Vergleich erlaubt). Die gehen auch nicht jeden Tag dort vorbei. Alle alle - New Yorker und Berliner - spueren die Bedeutung des Bauwerks. Respekt vor Stein, vor Bronze. Ein Selbstbewusstsein, das jeder Bewohner eingepflanzt bekommt?

Weitere 20 Minuten spaeter spaziere ich ganz langsam um die Statue. In die Krone darf niemand mehr seit dem 11. September 2001. Das haette ich aber auch nicht angestrebt. Dieser Anblick reicht. Dieses Gefuehl, diese Beobachtung. Zwischendurch spiele ich Fotograf. Haette ich Geld von jedem genommen, den ich in der Ich-halte-die-Fackel-Pose im Bild festgehalten habe - ich warre ein reicher Mann geworden. Mein Blick auf die zahlreichen Schautafeln. Warum ist die Statue gruen? Die Antwort koennte keiner besser formulieren als Meister Roehrich: "Tut das Not, dass das hier so rumoxidiert?" Auf der anderen Seite faellt mir erstmals auf, dass die Skyline Manhattans in der Mitte ein wenig abflacht. "Das hat", erklaert der Baedeker, "mit der Bodenbeschaffenheit zu tun. Je felsiger der Untergrund, desto hoeher die Gebaeude." In Sachen Stadtgeschichte werde ich zum As. 12 Uhr am 10. Tag ist schon seit zwei Stunden vorbei. Ab sofort geht es auf das Ende des Urlaubs zu.

An meinem letzten NY-Tag will ich mir noch einen Herzenswunsch erfuellen, und einen anderen Stadtteil sehen. Die Subwaylinie 7 gilt als Geheimtipp, um etwas von Queens zu sehen. Also steige ich am "Times Square" in die "7" um und sitze drin. Ist das nicht ein verklaerender Blick auf New York? Da hat dieser Stadtteil 2 Millionen Einwohner (also 500.000 mehr als Manhattan), ist flaechenmaessig sogar der groesste - und taucht in den Reisefuehrern auf zwei, hoechstens mal drei oder vier Seiten auf.
Kurz hinter der Stadtteilgrenze, hinter dem East River, steigt die "7" aus dem Boden in die Luefte, wird zur Hochbahn, fast so wie eine Berliner S-Bahn. Mensch, ist doch nett hier. Einige sehr schoene Wohnstrassen deuten sich an, unter den Daechern, unter den Bahnbruecken. "Das Schlafzimmer Manhattans" wird Queens genannt. Mein Bauch sagt mir, dass ichs hier mag. Einfache Leute steigen ein und aus, der Yuppie-Anteil liegt unter 5 Prozent - zur Rush hour in Manhattan selten unter 25. Ich fahre bis zur vorletzten Haltestelle "Shea Stadium", am Park Flushing Meadow. Hier hab ich meine Ruhe. Zum ersten Mal in New York. Die Touris werden eben gnadenlos an Queens vorbeigeschleust. Nur Flugzeuge zerstoeren die Idylle ein wenig. Zwei der drei Flughaefen New Yorks liegen in Queens. Das veranlasst Reisefuehrer zu Spoetteleien wie: "Die New York-Besucher sind zuerst immer relativ enttaeuscht, weil sie keine Skyline sehen, sondern nur Queens."

Ganz alleine schlendere ich ueber die gruenen Wiesen, lasse das 55.000-Mann-Baseballstadion der New York Mets hinter mir, und auch das Arthur-Ashe-Tennisstadion, in dem bis letzten Sonntag die US Open stattfanden. Zweimal fand in Queens, in diesem Park, eine Weltausstellung statt. Und jetzt sind dort - JUCHEEEE! - zwei astreine Kunstrasen-Fussballplaetze. Auf einem wird sogar geplaeckt, bordauxrot gegen weiss, mutmasslich Alte Herren. Als einziger Zuschauer hocke ich auf der einzigen Stehstufe, beobachte das 0:0. Obwohl das Niveau so weit unten ist, dass ich das ganze Spiel nach vielen Jahren Fussballpause alleine entscheiden wuerde, geniesse ich die 25 Minuten hier. Ich habe meinen Fussball, und das auch noch multikulturell. 22 Spieler aus 22 Nationen - in diesem vielfaeltigen Stadtteil waere das moeglich.

Auf dem Rueckweg baut sich Manhattan bedrohlich am Horizont auf, wirkt wie ein strenger, diktatorischer Vater, ueber dem dunkle Wolken stehen. Waehrend der Rueckfahrt beginnt es zu regnen. Es komplettiert den Eindruck. In Queens zu wohnen, hat den Vorteil des wieder-auf-den-Boden-Kommens. Das geht in Manhattan nicht. Zum offiziellen Abschluss schaue ich mir noch die Grand Central Station, den zweiten Hauptbahnhof, und das UN-Hauptquartier an der First Avenue an.
Eigentlich will ich dann ins Hostel zurueck, doch diesmal waehle ich einen Umweg ueber East Village, den oestlichen Teil von Greenwich Village. Und schon bereue ich, dieses abgefahrene Fleckchen nicht eher entdeckt zu haben. Geile Laeden, viel Schmoekerkram. Super Plattenlaeden, alternative Leute; ich versinke, versinke, versinke. Es ist ein schoenes Bergfest. Vielleicht sogar der schoenste Tag des Urlaubs bisher. Trotz Stromschlags.

Abschied zu nehmen, ist nicht ganz leicht. Sechs Tage war New York meine Heimat, war das Whitehouse Hostel mein Hostel. Naja, guuuut, ganz so schlimm war es im Endeffekt doch nicht, ich bin nun einmal ein Waschlappen geworden. Bei etwas Glueck bei der Zimmerwahl und etwas mehr Widerstandsfaehigkeit gibt es kaum eine preisliche Alternative in dieser exklusiven Lage. Ich fuehle mich nun exzellent auf einen zweiten New-York-Urlaub vorbereitet. In Zeiten der Billigflieger kommt der bestimmt.
Es faellt schwer, zu gehen, die Tage wurden zuletzt immer schoener, angenehmer, vielfaeltiger; mein Eindruck steigerte sich, wurde ausfuehrlicher, aenderte sich fast stuendlich. Ich habe ganz ganz viel von New York gesehen, bin durch fast alle Fleckchen Manhattans gelaufen. Vergessen werde ich diese sechs Tage nie.

Und das ist doch ein gutes Zeichen dafuer, dass die kurzweilige Zeit in New York 2004 keine verschwendete war.

Nein. Das war sie ganz bestimmt nicht.

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Donnerstag, 16. September (zum Foto-Tagebuch New York geht es HIER )

Tag 11: New York City -> Philadelphia

STREETS OF PHILADELPHIA

Das einzige, was ueber Philadelphia bisher in meinem Kopf lagerte, war der nahezu gleichnamige Song von Bruce Springsteen ueber die Strassen dieser Stadt. Und gebt zu: Auch Ihr habt die Nase geruempft, als ich Euch erzaehlt habe, dass ich hier Station mache. Haeaeaeae, was will'n der da???, sagte mir so mancher Blick. Erklaerungen und Antworten sind mir heute einige eingefallen. Beim Spaziergang. Ueber die "Streets of Philadelphia".

Das nenn ich Punktlandung. Check-Out-Zeit am "Whitehouse" ist 11 Uhr, um 10.55 Uhr uebergebe ich an der Theke den Zimmerschluessel. Im Hostel ist es nahezu menschenleer, bei der morgendlichen Dusche schien ich der einzige auf der Etage gewesen zu sein. Ich bin bereits der 15. auf der Check-Out-Liste fuer heute. Reisen etwa alle donnerstags ab und an? Draussen winke ich einmal kurz, ohne auf die Strasse zu schauen, und sofort haelt ein Taxi: Das ist New York. Der Fahrer vergisst auch gleich, das Taxameter (hier "Metrometer") einzuschalten, und wir einigen uns nach zwei Minuten Fahrt (als ihm das auffaellt) auf 10 Dollar (weil ich so guetig bin; eigentlich kostet die Strecke so etwa 14 Dollar - wie auf dem Hinweg; haette ich den Metrometer laufen lassen, waeren es nur sechs oder sieben geworden). Mein zweiter Ortswechsel steht bevor, und diesmal bin ich kalt wie ein Calippo. "If you can make it there, you can make it anywhere", hat Sinatra mal ueber sein New York gesagt. Das triffts. Ich hab NY geschafft, dann duerfte mich das viermal kleinere Philadelpia doch nicht allzu sehr schocken.

Im Zug schlafen ist diesmal nicht drin. Der braucht naemlich nur 1:25 Stunden, also weniger als von Muelheim bis Ostwestfalen. Direkt vor mir schnarcht jemand laut, ich finds witzig. Einmal Luft geholt, schon ist der Tag halbrum. 13.35 Uhr, now entering Philadelphia. Ooooooch, ist das putzig, ist mein erster Gedanke, als ich die im NY-Vergleich laecherliche 10-Hochhaeuser-Skyline (HALLO an mein Lieblingwort!) erblicke. Mensch, ueberall steht nur "Phila" oder "Philly". Na gut, dann bleibe ich fuer zwei Tage bei "Philly". Philly ist die einzige Stadt, mit der ich mich im Vorlauf des Urlaubs weniger als vier Wochen auseinandergesetzt habe. Naemlich nur 15 Minuten. Ich weiss eigentlicher ausser dem Song nur, dass Philly 1,5 Millionen Einwohner hat (und immerhin nach Los Angeles, New York, Chicago und Houston die fuenftgroesste der USA ist), und dass dort die Unabhaengigkeitserklaerung unterschrieben wurde. Der Sinn und Zweck des Aufenthalts hier braucht nur ein Wort: ERHOLEN! Daher hab ich mir ein extrateures Hotel gebucht. Heute Morgen noch der Abschied von meinem Gefaengnis - und jetzt?

Meine ersten Eindruecke betreffen aber nicht das Hotel. Staunend betrete ich den Hauptbahnhof "30th street". Es ist... es ist... es ist... so wenig los hier. Es gibt nur eine "downtown", eine Geschaeftsstrasse. Taxen sind die Ausnahme im Strassenbild. Und schon die Muffinverkaeuferin im Bahnhof hat ein persoenliches Wort parat. Das hab ich in New York City sechs Tage lang nicht bekommen.

Fuer nur acht Dollar kutschiert mich ein Taxifahrer zum "Comfort Inn Hotel" am "Christoph Columbus Boulevard", hilft mir sogar beim Gepaeck (haha, wenn ich das in New York erzaehle), und dann breche ich fast zusammen. Leute, ich SCHWIMME im Luxus. Mein Zimmer ist so gross wie mein Schlaf- und Wohnzimmer in Muelheim ZUSAMMEN. Ein Doppelbett nur fuer mich, ein Riesen-TV-Geraet, ein eigenes, abgetrenntes Bad sogar mit Wanne! Dazu die Aussicht auf die Benjamin Franklin Bridge (die groesste der Stadt - welche
die Staaten Pennsylvania und New Jersey verbindet) - und den Delaware River. Also neee... dieses Zimmer verlasse ich zweieinhalb Tage nicht!

Und doch mache ich sofort das, was ich in Philly eigentlich nicht wollte: Laufen, laufen, laufen. Um 14.30 Uhr Ortszeit wurde 4000 Kilometer oestlich das UEFA-Cup-Spiel Standard Luettich gegen VfL Bochum angepfiffen, eins der wichtigsten der Vereinsgeschichte... das ist jetzt 30 Minuten her, und ich finde mich erstaunlich ruhig. Den Stadtplan von Philly habe ich nur ueberflogen, mir nur rausgeschrieben, wo drei Internet-Cafes liegen sollen... okay, los... mensch, ich wohn hier ja echt in der Altstadt. Schoene kleine Gaesschen, tolle Wohnhaeuser, viele Kneipen und Restaurants, aber schhhhhh... Cafe suchen. Es wird spaeter. An der ersten Adresse befindet sich ein teures Hotel, kein Internet. Toll. Thommy feiert in Luettich die Party des Jahrhunderts, und ich weiss nicht mal, wie es STEHT! Schweiss. Streets of Philadelphia. Ich bemerke nicht einmal, dass ich an den groessten Sehenswuerdigkeiten der Stadt vorbeisprinte. Die zweite Halbzeit laeuft. Ich rufe Gerd in Bochum an. Und der Hammerwerfer weiss auch nicht, wie's laeuft. Fuenf Minuten spaeter ne sms. Gerd. 0:0 noch. Am Horizont Kinko's. Hmm... wie in Boston... aber besser als nichts.

Super, hier kostet es 30 Cent pro Minute. Zumindest nicht 40, wie in Boston, aber immer noch ne schoene Stange. Voellig fertig schalte ich den VfL-Online-Ticker an; 16.13 Uhr Ortszeit, 88. Minute. 0:0. Sechs Minuten spaeter Abpfiff. Das siebte UEFA-Cup-Spiel der
Vereinsgeschichte werde ich garantiert nicht vergessen. Und ich dachte, Philadelphia ist Weltstadt.

Ich tippe noch schnell den Tagebucheintrag zehn ab, und habe auf dem Rueckweg endlich die Gelegenheit, erstmals mit Sinn und Verstand ueber Philly nachzudenken. Warum ist das die "vergessene" Stadt der Ostkueste? Hmm... wer Gemuetlichkeit und Ruhe sucht, der faehrt nach Boston und die Umgebung in Neu-England. Wer das pralle Leben finden moechte, den zieht es selbstverstaendlich nach New York City. Und Politik wird in Washington gemacht. Wo bleibt da Philadelphia? Diese Stadt hat von all dem wohl nur ein bisschen. Der Baedeker-Verlag widmet New York und Washington jeweils einen eigenen Band. Im Buch "USA Nordosten" umfasst das Kapitel Boston 27 Seiten - Philadelphia aber nur 16 1/2. Ich schlendere ueber die Market Street, eben jene Haupt-Einkaufsstrasse. Es ist entspannt hier, durchschnittliches, aber trockenes Wetter. ICH bin entspannt. Aufgrund des VfL-Resultats, aufgrund des Zimmers, aufgrund des Urlaubs. Ich spuere aber dennoch deutlich, dass das Ende des USA-Urlaubs naht. Von den noch bleibenden neun Tagen gehen immerhin zwei komplett fuer den Rueckflug drauf. Macht also nur noch sieben. Wenig.

Von Schritt zu Schritt macht es mir mehr Spass. Ein bisschen liegt das am Bevoelkerungs-Mischmasch. Allein 50 Prozent sind African Amerikans. Zum ersten Mal erlebe ich Jugendgruppen, die gegen Bush und fuer Kerry diskutieren und demonstrieren. Sympathisch. Ein "Hard Rock Cafe" gibt es mitten an der belebten Market Street - und ueberall begegnet mir eine scheinbar lokale Delikatesse, das "Philly Cheesesteak". Was das wohl ist? Ich setze mich auf eine Bank, verputze einen Muffin (ich liebe diese Dinger) und beschliesse meine Routen fuer die naechsten zwei Tage. Das koennte doch interessanter und besser werden, als ich dachte.

Zurueck im Hotel um 18.10 Uhr waelze ich mich erstmal in meinem "King Size Bed" und schaeme mich fast schon fuer diesen Luxus. Auf der Fernstrasse direkt am Hotel stoeren zwar ein paar laute Motorraeder - aber sollen sie doch, in der vierten Etage auf Zimmer 405 kriege ich das nicht richtig mit. Es ist scheinbar ein Hotel fuer Durchreisende (im Prinzip bin ich ja auch einer). Viele packen nicht einmal ihre Autos aus, bemerke ich, als ich aus einem meiner zwei Fenster schaue. Durch eine ziemlich dunkle Gasse (da muss ich in den naechsten zwei Tagen aufpassen), stolziere ich zurueck in die Altstadt - entledigt vom schweissnassen Shirt. In einer Bar verschlinge ich den "phillyschen Doener", eben das Cheesesteak. Das ist - um das Raetsel aufzuklaeren - ein weiches, aufgeschnittenes Baguettebrot mit geschmolzenem Kaese, gebratenen Zwiebeln und einem gegrillten, kleingeschnittenen Steak. Leeeecker!!

Philadelphia, die vergessene Stadt? Also bisher kann ich nichts Negatives sagen. Die Hotelbar (die es natuerlich gibt) lasse ich links (aeh, rechts) liegen, und verschwinde um 20.15 Uhr im Aufzug. Ich entscheide mich fuer einen typisch-amerikanischen TV-Zapp-Abend. Auf einem Sender laeuft die Poker-Weltmeisterschaft (so etwas gibt es wirklich) um fuenf Millionen Dollar Siegpraemie (!), und auf zwei anderen spielen die Baseballteams New York Mets (einen Tag zu spaet) und Boston Red Sox (eine Woche zu spaet) zu Hause. Leise, ganz leise, ohne nur ein Geraeusch aus dem Hotel zu vernehmen, geht der Tag zu Ende.

0:0 in Luettich, gut an meiner dritten Station angekommen, ein Superhotel ausgesucht, einen toll-schnellen Tag verlebt, heute kann ich bestimmt gut schlafen.

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Freitag, 17. September 2004 (zum Foto-Tagebuch Philadelphia geht es HIER )

Tag 12: Philadelphia

INDEPENDENCE DAY

Jede Stunde rast an mir vorbei wie ein ICE mit Tempo 200. In einer Sekunde. Es ist mein erster Tag in Philly und gleich schon mein vorletzter. Es ist mein Gammeltag mit vorgeplantem Filmabend auf dem Zimmer - und ein Tag mit den bedeutendsten amerikanischen Sehenswuerdigkeiten, die es gibt. Heute ist Independence Day.

Das sind also die Zwickmuehlen des Luxus. Unter der Decke ist es sowaaaaarm, waehrend der Wind an meiner Fensterscheibe abprallt und so eine herbstliche Kaeltestimmung ausbreitet. Ich recke alles weit von mir, was sechs Naechte lang eingepfercht war. Ich will heute nicht raus in die US-Welt, will liegenbleiben bis mindestens 9.45 Uhr, wie in New York. Aber es lockt ein Fruehstueck. Ein Fruehstuecksbuffet. Das aber nur bis 10 Uhr. Was tun? Um 9.15 Uhr quaele ich mich hoechst widerwillig aus den Federn, suche ein Fernrohr, um die andere Seite des Zimmers zu sehen, und starte den Marathon Richtung Badezimmer. Schnell geduscht, ab zum Fruehstueck. Drei Glaeser O-Saft, zwei Muffins Schoko, ein Croissant und eine grosse Schuessel mit undefinierbar farbigen Cornflakes-Kringeln schlinge ich runter. Hmjamjamjam... Das bringts.

Wieder auf dem Zimmer ziehe ich mich um, mein langaermliges Rock-am-Ring-2001-Shirt an (nach ausgiebiger Analyse des Wetterberichts) und nehme mir den "Historic Independence Park" vor. Gestern lief ich schon dran vorbei, ist nicht weit. Der Wetterkanal deprimiert mich. Bei der 7-Tages-Vorhersage ist ab sofort mein Abreisetag zu sehen. Nun aber los.

Ich spaziere durch die Altstadt (Old Town), und stelle fest, dass Phillys Stadtgeschichte doch recht einfach ist. Jeder braucht sich nur zwei Namen und zwei Daten zu merken: Benjamin Franklin, William Penn, 1776, 1787. Franklin und Penn begegnen jedem - ob Touri oder Einwohner - fast ueberall. Penn gruendete die Stadt und den Staat Pennsylvania, irgendwann im 17. Jahrhundert; und Franklin, Dichter, Politiker und Erfinder, war der bekannteste Einwohner, 100 Jahre spaeter. Ob Statuen, Schilder, Strassennamen - diese beiden sind omnipraesent. Die Daten, sagt mir der Baedeker, den ich unterwegs beim Gehen lese, markieren die Unterzeichnung der Unabhaengigkeitserklaerung (1776) und der Verfassung(1787). Und darum gehts in dem Park. Na das wird ja ein vor Patriotismus triefender Tag.
Zunaechst erblicke ich eine grosse Rasenflaeche, die "Independence Mall". Zwei/drei Fussballfelder, wuerde ich schaetzen. Darauf stehen zwei Haeuser, das "Visitor Center" (klar) und das "Liberty Bell Center". Eintritt frei. Ich durchlaufe die unzaehligste Kontrolle des Urlaubs (und wundere mich, dass die Amis das mitmachen, immerhin wird ihnen ueberall im eigenen Land erhebliches Misstrauen entgegengebracht) und stehe in einem eiligst zusammengeschusterten Museum.
Viele Besucher sind fein gekleidet, ist halt ein national heiliger Ort. Die beiden einzigen Multimedia-Angebote sind "out of order" (komisch...), an der Wand haengen Bilder von beruehmten Personen neben der Unabhaengigkeitsglocke (Martin Luther King, Mandela, Dalai Lama) - und jetzt komme ich! Hurra! Erstmals schlug die Glocke am Tag der Unabhaengigkeitserklaerung, deshalb soll sie - steht daneben - das "Symbol der Welt fuer die Freiheit" sein. Hae, das war doch schon die Freiheitsstatue!?! Ja was denn nun? Etwas befremdet nehme ich auf der "Mall" Platz, entspanne, wandere zu Benjamin Franklins Grab um die Ecke. Auch das regt nicht sehr zum traurigen Nachdenken an, denn zehn (!) Meter hinter dem Grab ist ein Geschenkeshop (!!). Dann fuehrt mich mein Weg zur beruehmten "Independence Hall", dem wohl noch weitgehend original erhaltenen Raum, in dem alles Wichtige unterschrieben wurde. Im "Visitor Center" erfahre ich, dass auch die "Hall" fuer lau ist (Hut ab!), man aber doch ein Ticket braucht und durch die Securitykontrolle der Glocke muss. Na suuuuper. Es ist 12.20 Uhr, und mein Einlassticket gilt erst fuer 13.45 Uhr. Eigentlich habe ich Leerlauf. Klassischen Leerlauf. Doch die Zeit rast. Dabei mache ich nichts ausser Rumsitzen. Ich gehe eine Viertelstunde zu frueh zum Treffpunkt vor der "Hall". Und treffe ein Paerchen aus Oregon an der Westkueste. "You have an accent. Where are you from?". Oh, sie haben es nicht gleich erkannt. Sie sind auch das erste Mal an der Ostkueste und stellen fest, dass sie fast dieselbe Anreiseentfernung haben wie ich. Haha. Dann beginnt die Fuehrung. Durch zwei Raeume. Einer davon ist DER Raum, erhalten sind unter anderem der Originalstuhl von George Washington (dessen Statue hier auch ueberall rumsteht). Alle knipsen wie verrueckt. Ich will nur ein Pflichtfoto.
Heute vor genau 217 Jahren wurde die Verfassung unterzeichnet, sagt der Erzaehlmensch. Oh nein, das ist auch noch ein besonderer Tag. In der Beilagebroschuere stehen Vorschlaege fuer eine Halbtagstour durch den Park, sogar fuer eine 1- oder 2-Tages-Tour. Keine Ahnung, wie das gehen soll. Mir reichen 45-Netto-Minuten, und ein Spaziergang danach an ein paar anderen netten Haeuslein im geogianischen Stil vorbei. Nur die Warterei und die Kontrollen sind verantwortlich dafuer, dass ich erst gegen 15 Uhr zur relaxten Mittagspause im Comfort Inn eintreffe. Bin schon wieder ueber einen Tag hier. Unbelievable. Unglaublich.

Im Hotel blaettere ich im Stadtplan von Philly. Ich bin im aeussersten Westen der Innenstadt, die vom Delavare River (Westen) und dem Schuykill River (Osten) begrenzt wird. Mein Stadtteil heisst wirklich "Old Town", koennte aber auch "Touri Town" heissen. Alle wichtigen grossen Hotels stehen hier; die Infrastruktur ist dementsprechend. Am Fluss liegt die "Waterfront" mit dem Hafen, der laut Baedeker 100.000 Menschen Arbeit bietet. Philly hat einen eigenen TV-Promokanal. Ich schalte ihn ein. Eine einigermassen huebsche Moderatorin preist Philly als interessante, vielfaeltige Stadt, die alles zu bieten hat. Einen bedeutenden historischen Kern, um den sich die Stadt entwickelte, eine grosse Uni- und Kulturszene, hochklassigen Sport in allen Variationen und eine grosse Shoppingmeile. Ich bekomme nur die Stadtgeschichte und den Tourismus mit. Und zum Teil die einzige, dafuer aber wirklich lebhafte Hauptstrasse Market Street. Die "University City" (heisst wirklich so) ist am anderen Ende der Stadt, die wichtigsten Arenen (sollen in einem Riesenpark liegen) fuer Football (Eagles), Baseball (Phillies), 76ers (Basketball) und Flyers (Eishockey) sind ebenfalls am anderen Ende. Die Phillys bleiben in ihren Vororten wohl eher unter sich, was einen Vor- und einen Nachteil hat. Der Nachteil, klar, ist, dass ich zwar was ueber die Stadt erzaehlen kann, aber kaum ueber das richtige Leben hier (schade, Philly waere in Deutschland immerhin die zweitgroesste Stadt). Der Vorteil ist, dass Philly fuer Neu-Touri-Amerikaner die ideale Einstiegsstadt ist, wie sie fuer mich Boston erst am dritten Tag war. Weil's eben von allem nur ein bisschen gibt. Sie uebertrifft Boston also in diesem Punkt. Aber nur in diesem. Die Cheers-Town bleibt bisher - muss ich zugeben - auf meiner Spitzenposition. Ich bin schon laenger hier, und mir faellt die Umstellung von der vollen, lauten, WIRKLICHEN Weltstadt New York auf Philly immer noch schwer. Langweilig ist mir aber nicht - warum? Zaehlt drei und drei zusammen: Aufgrund des Hotels und weil die Zeit so verfliegt.

Zwischen 16.25 Uhr und 20 Uhr latsche ich ein zweites Mal fuer heute ueber die Market Street, suche ein Internet-Cafe. Wieder vergeblich. Im Mittelpunkt der Center City (so heisst das hier) ist das Rathaus (die "City Hall"), mit einer (natuerlich) Penn-Statue auf der Turmspitze. Lange Zeit, sagt der Baedeker, durfte kein Haus hoeher sein als diese Turmspitze. Daher mutet die Philly-Skyline eher bescheiden an. Ich finde wieder nur Kinko's, beeile mich mit dem teuren Eintippen, laufe ein wenig durch das am Center-City-Rand liegende Chinatown, verdruecke aber nicht dort, sondern in derselben Lokalitaet wie gestern ein Philly Cheesesteak. Am Fenster beobachte ich vorbeiziehende Touris. Erstmals faellt mir auf, dass die African Amerikans ueberwiegend immer noch fuer die Sklavenjobs zustaendig sind: Strassensaeuberer, Putzfrauen, Fruehstueckservierer, McDonalds-Burgerbraeter. Ob in NY, Boston oder hier. Subjektiver Eindruck?

Die Nachtluft ist warm, ein wenig stickig sogar. Um 20 Uhr biege ich auf den Boulevard ein, ziehe mir am Automaten eine Pepsi. Heute habe ich viel gelernt. Ueber die USA, die Einwohner, die Geschichte - und Philly. Meine anfaengliche Euphorie hat sich ein wenig relativiert. Das wahre Leben der Phillys spielt sich einfach nicht hier ab, nicht in Old Town. Schlecht finde ich die Stadt nicht, keineswegs, aber irgendwie fordert sie das Durchreisen gerade heraus. Der "Historic Park" liegt verdaechtig nah am Highway (der Autobahn), der ueber die Franklin Bridge (wie koennte sie auch sonst heissen?) fuehrt. Rausfahren, zwei Stunden lebhafte Geschichte, und weiter. Nach New York, vermutlich. Oder Washington.

Fuer mich war der Tag billig. Erstmals seit Boston musste ich kein Geld abheben. Hochkonzentriert bin ich immer noch jede Sekunde. Allein fuer sich verantwortlich sein in einem ganz fremden Land schlaucht. Im TV nervt die viele Werbung alle zehn Minuten, dafuer kommen parallel meine Lieblingsserien ("Seinfeld", "Cheers"), zwei Filme ("Austin Powers 1","Kevin allein in New York"), Wahlkampfsendungen (im persoenlichen Vergleich, beurteilt nach Kompetenz, Fuehrungskraft usw., liegt Bush gegen Kerry mit 57:33 vorn; haben die keine Ahnung, oder was?) und ein Baseballspiel (New York Yankees gegen Boston Red Sox 2:3). Ich freue mich, einige Orte in den Sendungen wiederzuerkennen, aergere mich aber, dass jetzt die New Yorker Baseballteams scheinbar jeden Tag ein Heimspiel austragen.Der Wind peitscht auch um 1 Uhr noch gegen das Fenster. Tag 12? Rum. And time flies. Ich kann sie nicht stoppen, sie drueckt und drueckt mich unaufhoerlich gegen das "Ausgang"-Schild meines Trips. Nur noch sechs Nettotage.

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Samstag, 18. September 2004 (zum Foto-Tagebuch Philadelphia geht es HIER )

Tag 13: Philadelphia

PhiladelphiaDie beschauliche Skyline von Philadelphia...

WHEN THE RAIN BEGINS TO FALL

Die Ueberschriftensuche fuer den heutigen Text begann schon sehr sehr frueh. Grad hatte ich naemlich erst meine Lauscher auf Empfang gestallt. "It's raining men" vielleicht? Nee, dann doch besser "When the rain begins to fall." Es regnete. Und regnete. Und regnete. An meinem zweiten und letzten Tag in meiner Durchgangsstation.

Ach Andi, das hatten wir doch schon gestern. Ich wiiiiiiiiiiiiiill nicht raus... buhuhuuuuuu... aber es muss doch was rein in den Magen!! Also wieder hervorkriechen aus der gemuetlich-warmen Hoehle, drunter unter die Dusche und fruehstuecken. Es ist 9.50 Uhr, und am Tisch faellt mir auf, dass ich auch bis 11 Uhr Zeit gehabt haette. Ist ja Samstag. Ich beisse nicht nur in den Muffin, sondern auch in den Tisch. Reeeeeeeeeeegen.
Ich sitze am Fenster. Aber das nur aeusserst ungern. Es regnet aus Kuebeln. Aus Eimern. Its raining cats and dogs. Katzen und Hunde. Es regnet in einem durch. So ein Mist. Zum ersten Mal behaelt der Wetterkanal bei einer Regenprognose Recht. Und jetzt dampft die Kacke. Ein Regen-Notfallplan existiert bei mir nicht. Ich grueble, mittlerweile wieder in meinem Anwesen in Etage vier, zappe durch die neuesten Horrornews, die der Hurrikan "Ivan" irgendwo in Florida angerichtet hat (Hurrikan-Infos kommen bei Regen besonders gut...). Ach scheiss auf die dampfende Kacke. Dann zieh ich mein geplantes Programm halt trotzdem durch. Bin ja nicht aus Zucker.

Punkt eins hake ich schon um 11.22 Uhr ab, drei Minuten, nachdem ich mir die Kapuze des Rock-am-Ring-2003-Shirts erst uebergezogen habe. "Penns Landing" ist total unspektakulaer. An der Stelle, an der Herr Penn (der nu wieder) Philly betrat, gibt es nun Hotels (ist ja auch nicht weit von der Old City entfernt), Restaurants und ein Seefahrt-Museum. Aber am Samstagmorgen, auch noch bei Reeeeeeegen, ist hier kein Mensch. Punkt zwei, eigentlich muesstet Ihr es Euch denken koennen... naaaaa? Richtig, ich fahr doch so gern U-Bahn. Ich lande also wieder im "Visitor Center" des "Historical Park" und erwerbe dort einen "Day Pass" fuer 5,50 Dollar. Schnell faellt mir Blitzmerker auf, dass "University City" gar nicht so weit ausserhalb liegt. Na prima, dann habe ich einen neuen Punkt drei. Aber erstmal rufe ich Helmut an, am 13. Tag ist ja mal ein Anruf in Muelheim erlaubt; zudem ist der Bundesligaspieltag seit ein paar Minuten vorbei - und sein MSV Duisburg hat gestern verloren. Wenn das kein Grund fuer ein paar haemische Kommentare ist... Helmut ist nicht da, aber Tina. Haaaaach, eine vertraute Stimme, ein echtes Gespraech. Eine echte Wohltat, nach soviel Englisch. Ganz weggekommen, auf einen anderen Planeten, bin ich wohl nicht. Aber wenigstens sehr sehr weit weg.

Und es reeeeeeeeeegnet.

Also die Subway zu benutzen, das muessen die Phillys noch ueben. Ich betrete den erstaunlich gepflegten (im US-Vergleich) Bahnhof "5th street" und stelle fest, dass es nur zwei "echte" Subwaylinien gibt (Orange Line und Blue Line), dafuer aber mehrere saukomisch aussehende "Trolleys", die auf Kurzstrecken "downtown" verkehren. Ausserdem scheint es hier "S-Bahn-Verschnitte" zu geben, die in die Vororte duesen. Wie auch immer. Mir reicht heute die Blue Line. Mein Ziel ist die Station "34th street / University City". Und ich muss das, was ich gestern voreilig aussprach, tatsaechlich revidieren. Die Uni liegt doch sehr zentral. Ich durchschaue das Stadtbild Phillys immer mehr. Penn landete und gruendete die Stadt an der Stelle der heutigen "Old City" (oder auch "Old Town", geht beides). Drumherum entstand die Hafenindustrie am Delaware River mit allem Schnickschnack.

Dann wucherte Philly immer weiter ins Inland aus. Zunaechst mit einem Geschaeftszentrum (die heutige Market Street), dann ein "Chinatown" mit vielen asiatischen Einwanderern. Im 18. Jahrhundert gruendete Benjamin Franklin (wer sonst?) die "University of Pennsylvania", als wohl erste waschechte Uni der USA. Je mehr Leute einwanderten, desto weiter wuchs Philly. So war das wohl. Der Aufbau der Stadt aehnelt dem von Manhattan. Die Hauptstrassen heissen aber nicht "Avenue", und sind keine Nord-Sued-, sondern Ost-West-Achsen (eine davon ist die Market Street, es gibt noch sieben andere). 69 Querstrassen komplettieren das Schachbrett von "downtown". Also von der 1. bis zur 40. Strasse werde ich mich heute Abend gut auskennen; gar nicht schlecht fuer zwei Tage, oder? Also wenn ich da an Muelheim denke - zwei Hauptstrassen (Schloss- und Leineweberstrasse), und die paar Querdinger (wie viele sinds? Sieben? Acht?)... let it be.

Es reeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeegnet.

Am Horizont erblicke ich das Schild "University of Pennsylvania". Auf der Strasse ist fast niemand unterwegs. So kann ich mein eigenes Tempo gehen; was habe ich das vermisst in New York... dort musst Du die 120 km/h, die auf den Buergersteigen mindestens vorgelegt werden, einfach einhalten. Ich schlendere ueber den wirklich netten Campus und werfe den Blick auf die Karte des ganzen Stadtteils "University City". Vier weitere Unis oder Colleges und zahlreiche Kulturangebote (Museen, Theater) befinden sich auf dem Gebiet. Eine Studentin fuehrt in Regenjacke eine kleine Tourigruppe herum - und so langsam kriechen lauter junge, verschlafene Gesichter aus den Haeusern hervor. Stimmt, heut ist ja Samstagmorgen. Ueberall stehen Schilder "Welcome to the new students". Oh je, Nachwirkungen der Einstiegspartys...? Bei einem Starbucks-Kakao entspanne ich und ziehe erst um 12.45 Uhr weiter. "Its still raining", seufzt jemand beim Rausgehen ins Handy. Ich fuehle mich himmlisch, trotz des Sauwetters und des nun aufkommenden starken Windes. Dieser Stadtteil verdient seinen Namen wirklich. In kurzen Boxershorts schlurfen die meisten zum Fruehstueck in einer der zahlreichen Bars. Copyshop reiht sich an Copyshop, und auch die Bettenbunker zerstoeren das Bild der Studentenstadt nicht; sie gehoeren einfach zum Flair dazu. Zwischen den Haeusern liegen Beachvolleyballfelder und Riesen-Rasenflaechen. Auf einer suhlen sich ganz Verrueckte mit 1-2-3-Oberkoerperfrei und einem Football im Schlamm. Direkt hinter den Haeusern folgt ein Viertel mit lauter Reihenhaeuschenstrassen. Die beinhalten wahrscheinlich WG's. Die "40th street" ist die studentische Einkaufs- und Fressmeile. Das alles hat was von einer Strandpromenade hier. Ein Penny von mir fuer diese tolle Atmosphaere, aber dennoch auch ein paar Traenen, weil ich nie den Mut hatte, in einer solchen "University City" zu wohnen. Auf dem Weg zurueck zur Subwaystation fallen mir auch in Philly massig Eichhoernchen auf (die haben hier echt ein Problem mit den suessen Dingern). Und dann bemerke ich, dass ich bisher nur Kleinstaedte in der Grossstadt kennengelernt habe; damit meine ich, dass die jeweiligen Bewohner ihren Bezirk wohl nur selten verlassen, und mit dem anderen wenig zu tun haben. Da waeren die "Old City", "Chinatown" und jetzt "University City". "Center City" ist ohnehin nur eine Geschaeftsmeile - wohl eher fuer die Bewohner der Vororte. Zumindest die "Old City" und "University City" haben einen urgemuetlichen Charme. Die 1,5 Millionen Einwohner sind Philly bei weitem nicht anzumerken. Das Protzigste sind noch die breiten Ausfahrtsschilder am Highway, der brachial-wuchtig mitten durch das Stadtgebiet fuehrt.

Maaaaaaaaaaaaan, es reeeeeegnet IMMER NOCH!!!!!!

In der Mittagspause buerste und schrubbe ich mir die Haare trocken (die Kapuze hat versagt). Fuer die naechsten drei Tage verspricht der Wetterkanal (was mache ich nur ohne den in Deutschland? Oder halt, gibts nicht so einen von Kachelmann?) "Sonne pur" in Washington. Hoffentlich.

Mensch, warum schleicht immer diese Sanduhr in meinem Hirn herum? Sie laeuft ab und ab. Ich wuerde sie am liebsten rausbuddeln und in den Delaware River schmeissen. Noch siebeneinhalb Tage. Und nur noch fuenfeinhalb netto. Hab die Lust am Alleinreisen entdeckt. Aber bald ists schon vorbei. Gut, fuenf Tage in Finnland Anfang Oktober kommen noch dazu. Da ist aber mein Laptop dabei - und damit Arbeit (verflixt, da ist es, das Wort, das ich in diesem Tagebuch vermeiden wollte. Na gut, hat aber bis Tag 13 gehalten). Auf den zahlreichen Newssendern zeigen sie immer wieder Kerry und Bush; raetseln, warum Kerry in allen Umfragen derzeit Punkte einbuesst. Weil er die Wahrheit sagt? Bei dieser Berichterstattung koennte ich an die Decke gehen. "Leadership matters" ist die neue Bush-Kampagnen-Parole. Kompetenz egal, Krieg egal, Korruption egal, Dummheit egal - hauptsache, der Mann strahlt Fuehrungskraft aus. Ja ham se die Amis nicht mehr alle? Bush darf auf alle Kerry-Vorwuerfe und Saetze reagieren - umgekehrt, so ist mein Eindruck, geschieht das nicht. In den klaren Voten (auf verschiedenste Fragemoeglichkeiten) gibt es Abweichungen von bis zu sieben (!!!) Prozent. So werden Wahlen entschieden und Meinungen gemacht. Europa ist hier uebrigens nicht das geringste Thema. Das Wort "Germany" habe ich immer gesagt, wenn ich einchecken musste. Ansonsten ist es mir hier noch nirgendwo untergekommen.

Eine winzige Ecke der "Center City" fehlt mir noch. Scheisse, es regnet weiter, aber ich hab ja den Day Pass. Der traegt mich zum "Logan Square", einem Platz mit Brunnen am Beginn des Franklin (der Name kommt mir bekannt vor) Parkway. Diese sechsspurige Strasse wuerde den Namen "Boulevard" verdienen. Sie wurde der Pariser Champs Elysees nachempfunden, ist mit Baeumen garniert und deshalb so huebsch, weil sie geradewegs auf ein Gebauede zulaueft, das wie ein altes Koenigsschloss wirkt. Das "Philadelphia Museum of Art" hat zwei Baedeker-Sternchen bekommen (steht fuer: besonders sehenswert!) und gilt als eins der besten im Land. Waere ich einen Tag laenger hier, haette ich Banause mir das bestimmt angeguckt. Ehrlich! Auf der breiten, eindrucksvollen Treppe vor dem Museum steht eine Hochzeitsgesellschaft und verteilt sich langsam in luxurioese Autos. Ich laufe drauf zu, steige die Treppen hinauf und setze mich. Es bietet sich mir und meinen wehenden Fahnen (stellt Euch im Hintergrund Bruce Springsteens Song vor) ein toller Blick ueber Phillys Skyline, den Franklin Parkway, den Logan Square, die City Hall mit Penns Statue obendrauf. Auf der Treppe sehnsuechtle ich vor mich hin und beschliesse, gegen 19 Uhr in der Daemmerung meinen Ausflug nach Philadelphia gedanklich abzuschliessen. Hinter dem Museum wuerde noch der groesste Park der Stadt beginnen; und die plattenbauaehnlichen Haeusersiedlungen. Das muss ich mir nicht geben. Nicht heute.

Ich beschliesse meinen interessanten Trip in diese Stadt. Meinen unerwartet sehr, sehr angenehmen Aufenthalt. Der Tag hat es eigentlich nicht gut gemeint (erwaehnte ich schon, dass es regnet?), aber der Spaziergang ueber den Campus (weitaus sympathischer als Elite-Harvard) und das letzte Nachdenken auf der Treppe - tolle Momente. So langsam daemmert mir doch, dass Philly dreimal groesser ist als Boston. Doch: Philly finde ich richtig sympathisch. Aber noch zwei Tage laenger hier, und mir waere langweilig geworden. Glaube ich. Zum Abschluss tischt mir Campo's ein drittes Mal ein Philly Cheesesteak auf. Mein letztes fuer laengere Zeit. Es mundet doppelt so gut. In der "Old City" sind an diesem Samstagabend viele Junge unterwegs. Der Baedeker spricht von einer abgefahrenen Kneipenszene mit Designerlaeden hier. Hab ich nicht genau genug hingesehen? Fast scheint es, als gaebe es hier in Philly fast wie in Duesseldorf ein gefluegeltes Wort wie "durch die Altstadt ziehen". 20.25 Uhr, ich finds nicht mehr raus.

Im Hotel krame ich zum ersten Mal - am Ende des 13. Tages - den Washington-Baedeker raus. Die uebliche Organisation, die uebliche Vorbereitung. Wo liegt das Hostel? Wo ist der Bahnhof? Habe ich meine Tickets noch?... pipapo... blablabla. Im Fernsehen ist College-Football heute die grosse Nummer. Drei Spiele dieser 2. Football-Liga zur Prime Time! Man stelle sich vor, am Samstagabend liefen auf ARD, ZDF und RTL drei Zweitligaspiele am Samstag um 20.15 Uhr... Und Baseball laeuft. Was?? Die Philadelphia Phillies spielen gegen Montreal? Scheisse, nicht aufgepasst; das war DIE Chance. Ich haette ein Baseballspiel live sehen koennen. Doch je laenger ich es verfolge, desto weniger bereue ich, es verpasst zu haben. Jetzt ist es 23.17 Uhr, und das Spiel laeuft immer noch. Seit mittlerweile vier Stunden. Es ist mucksmaeuschenstill im Stadion, und schon in den letzten Jahren fand ich Baseball immer grottenlangweilig. Es passiert einfach NICHTS! Zum Glueck muss ich kleiner Angsthase mich nun nicht um Mitternacht alleine im Regen durch ganz Philly bewegen (die Arena ist wirklich am anderen Ende der Stadt). Im Regen?

Hey, es hat aufgehoert! Nichts mehr klatscht an die beiden Fenster meines Palasts. Und windig ists auch nicht mehr. Gleich mache ich einen Strich unter diesen Tag, unter Philadelphia, lege das Schema fuer morgen an und verzieh mich ins Warme. Dann ist die dritte

Stadt meines USA-2004-Urlaubs abgehakt. Drei Staedte, drei verschiedene Eindruecke. Die zweieinhalb Philly-Tage waren die mit Abstand kurzweiligsten und luxurioesesten.
Aber nicht ganz die intensivsten. Dafuer hat es nicht gereicht.

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Sonntag, 19. September 2004 (zum Foto-Tagebuch Philadelphia geht es HIER )

Tag 14: Philadelphia -> Washington D.C.

ICH GLAUB, ICH HAB DEN DSCHORDSCH GESEHEN

Eigentlich wollte ich mich doch nur zum Sonnen auf eine Bank vor das Weisse Haus legen. "Nooooo", wies mich und viele andere ein schwer bewaffneter Polizist an. Kein Auto da, die Ampel gruen. Verfolgungswahn oder was? Ploetzlich erschienen doch Autos; eins, zwei, drei, ganz viele. Insgesamt vier Polizeiwagen, ein Krankenwagen und sechs schwarze Limousinen mit dunklen Fensterscheiben brausten an mir vorbei. Ich glaub, ich hab den Dschordsch gesehen.

Man, was habe ich gestern noch aufs Wetter geschimpft. Und nun bruelle ich zum 14. Mal "Jaaaaaaa! Ein neuer Urlaubstag beginnt!!", reisse die Vorhaenge auf (auch zum 14. Mal selbstverstaendlich) und tatatataaaaa, blauer Himmel und Sonnenschein. Give me five! Ich packe meinen Rucksack, fruehstuecke schnell und goenn mir zum Philly-Abschluss ein paar Zappminuten. "Wie wuerde die Welt waehlen?", fragt CNN und vergleicht internationale Umfragewerte. Nur Afrika fehlt. Und nur in Polen und auf den Phillipinen haette Bush eine Chance. Vor allem in Westeuropa haette er miserabelste Werte. Aber aus der "USA Today", die jemand beim Fruehstueck las, blieb mir die Ueberschrift "Bush leads clear in polls" in Erinnerung. Europa interessiert hier keine Sau. Was genau in der heimischen Politik abging, werde ich komplett nachlesen muessen. Wenn nicht grad irgendwo ein Massaker passiert, wird nichts berichtet.

Im strahlendsten Sonnenschein verabschiede ich mich fast unter Traenen von meinem Zimmer und japse "Tschuess" in die Luft. Ein Taxifahrer kutschiert mich via Highway zur "30th station" - und die Fahrt bestaetigt meine Vermutung. Die Autobahn, die sich wie eine Schlange durch "Center City" zieht, macht Philly viel gefaehrlicher als es ist. Jede groessere Strasse hat eine eigene Abfahrt (zum Beispiel auch der nur 800 Meter lange "Franklin Parkway") - und die Abfahrtsschilder sind groesser als in Deutschland die fuer Autobahnkreuze!

Das erste, was ich in der Bahnhofshalle am Sonntagmorgen um 11.25 Uhr erblicke, ist die Anzeige "25 Minutes late" hinter meiner Zugnummer. In Freiburg beginnt gerade das VfL-Spiel, die Amateurspiele in NRW sind gerade rum - und ich haeng dumm rum. Ohne Internet. So kann ich in Ruhe ueber meinen aeusserst dubiosen Traum nachdenken. Er handelte von einem Volontariat beim Axel-Springer-Verlag, und fuer "bild.de" musste ich eine knackige Reportage ueber eine Ueberfallserie auf Taxifahrer recherchieren und formulieren. Glaubt mir, ein Wunschtraum war das nicht.

Helmut beglueckt mich mit Fussballergebnissen, und der Zug faehrt ein - hui, maechtig voll. Ich krieg grad noch einen Sitzplatz. Zum ersten Mal seit langer Zeit klappe ich den Baedeker "Washington" auf. Gibt es noch etwas in dieser Stadt ausser dem Weissen Haus, dem Kapitol und den verschiedenen Memorials? Ich durchquere die Staaten Delaware und Maryland (meine US-Staaten sieben und acht), und erfahre, dass DC 572.000 Einwohner hat. "DC" heisst "District of Columbia" und bedeutet, dass Washington als Hauptstadt von keinem Staat abhaengig ist.

Stadtbestimmt ist nicht der Buergermeister (Mayor), sondern direkt der US-Kongress. "Dumm", meint der Baedeker indirekt dazu, da der Kongress zu oft ueber die Koepfe der Einwohner hinweg entscheide. Daher hat ausgerechnet Washington DC seit Jahren die hoechste Verbrechensrate aller US-Staedte. Die Unruhen zwischen den Bevoelkerungsgruppen sind hier noch taeglich existent. Selbst offizielle Broschueren raten von Besuchen in zwei Stadtteilen (Anacostia, Southeast) dringend ab. "Nur wer in Gruppen und eigenem Fahrzeug reist, sollte diese Stadtteile durchqueren", raet der Baedeker. Noch Fragen?

Ich schlafe im Zug ein bisschen, spiele in Gedanken mit mir selbst Skat (18? Ja! 20? Weg! Laaaangweilig!), hoere Musik wie zum Beispiel Clowns und Helden und die Sportis. Und ich freue mich ueber das zufriedenstellende 1:1 des VfL in Freiburg. Zum letzten Mal steigt die Anspannung, der Blutdruck, der Puls, kommen die Schweissperlen... aber sie kommen! Hat mit dem Hostel alles geklappt? Was, wenn nicht? Wie ist das Zimmer? Wie kommst Du dahin? 14.57 Uhr, "Union Station". Wetter super, Haare sitzen. Ich laufe. Laufe tatsaechlich mit geschaetzten 22 Kilo Gepaeck auf der Schulter (Aua! Beim Schreiben schmerzt es noch!) von der 1. bis zur 11. Strasse. Fast ne Stunde lang, inklusive einiger Pausen. Washington, notiere ich mir im Geiste, ist eine Retortenstadt. Da landete keiner, da segelte keiner hin, da WOLLTE keiner hin. Das war Brachland. So brach, dass die US-Gruendervaeter es fuer oede genug hielten und eine neutrale Hauptstadt fuer den Regierungsapparat - und unabhaengig von allen anderen Staedten - konzipierten. Es ist nicht wie Wolfsburg oder Leverkusen - diese Staedte sind auf Firmen zurueckzufuehren, und hier sitzt immerhin der maechtigste Mann der Welt - aber bleibt Retorte eine Torte?
Beim Spaziergang bis zum Hostel wirkt die Stadt beim besten Willen nicht wie eine, die zu den bedeutendsten der Welt gehoert. Ich sehe ein tuerkisches Fest von weitem, aber sonst ist die Stadt wie ausgestorben. Und der amerikanische Gigantismus ist auch an DC vorbeigezogen, mit Absicht vermutlich. Es dominieren entweder fast schon verstoererische neoklassizistische Megabauten (so ist zum Beispiel der Baustil des Kapitols und des Weissen Hauses) oder potthaessliche Betonbeamtenbunker. Keine Ahnung, was ich davon halten soll.

Mein Zimmer, diesmal Nummer 663 in Etage sechs, ist gut. Eins von nur vier Einzelzimmern in dieser ganz klassischen Jugendherberge. Klo und Dusche sind auf dem Flur, aber damit kann ich leben. Hier werde ich die letzten fuenf Naechte in Ruhe verbringen koennen. Ich habe sogar - Premiere - Mikrowelle und Kuehlschrank auf dem Zimmer.

Das verlasse ich um 16.40 Uhr wieder, aber ich finde nichts, um den Kuehlschrank zu fuellen. Die Geschaefte sind ZU! Washington macht Pause!! Dieses Wort ist in New York gaenzlich unbekannt. In New York pausiert nicht mal der, der gerade schlaeft.
Washington. In Boston kam der Unabhaengigkeitsgedanke von Grossbritannien ins Rollen, in Philadelphia wurde er festgezurrt, und hier ist er umgesetzt. Andi auf US-historischer Tour. Ich setze mich vor die weniger fotografierte Vorderseite des "Weissen Hauses", beobachte, wie sich Scharfschuetzen auf dem Dach postieren, und rede mit Thommy eine halbe Stunde ueber dies und das. Aua, das wird teuer!

Ich winke kurz dem echten Dschordsch (und verkneife mir den Stinkefinger, waren einfach zu viele Personen mit Gewehr in der Naehe) und sonne mich dann doch; voll - ich muss es so sagen - Selbstzufriedenheit.

Geschafft. Drei Zugfahrten, vier Hotels gefunden, Reservierungen waren wirklich da (ein Lob ans Internet!), meine Kleidung reicht noch, ich bin noch nicht ueberfallen worden. 14 schoene und hochinteressante Tage, an denen wenig schiefging. Konzentriert werde ich aber auch in der letzten Woche bleiben muessen. Ist einer hinter mir? Habe ich mein Portmonee noch? undsoweiter. So ist das als Alleinreisender.

Auf der Suche nach einem Internet-Cafe sehe ich von weitem das Kapitol und den Obelisken des Washington Monument. Da gehts morgen hin. Vom Weissen Haus fuehrt die "Pennsylvania Avenue" naemlich direkt aufs Kapitol zu. Ich latsche und latsche, esse bei "Harrys" kalte Spaghetti mit einer schlechten Sosse und das bei mieser Bedienung (gab erstmals kein Trinkgeld), aber zwecklos. Nichts hat auf... auuuuuuuuusser "Kinko's". Ich segne diesen Schreibwarenladen mit Internet-Abteilung, der scheinbar in jeder Stadt rund um die Uhr geoeffnet ist - und der im Sueden immer billiger wird. Nach 40 Cent pro Minute in Boston und 30 in Philly kostets hier nur noch 20. In Miami am Suedostzipfel der USA ists vermutlich umsonst... Hoch lebe Kinko's, bruelle ich (natuerlich nur koerperintern); tippe meinen Tagebucheintrag 13 ab, und versinke auf der VfL-Homepage.

In der Dunkelheit laufe ich gegen halb zehn durch das verlassene Regierungsviertel. "Ist Washington das Bonn der USA?", hat Thommy am Telefon gefragt. "Ja!", muss ich heute Abend nach dem ersten Eindruck antworten. Aus einer kleinen, laendlichen, sogar zuweilen beschaulichen Umgebung heraus werden Kriege gefuehrt.

Rund einen Kilometer Luftlinie von mir entfernt naechtigt der zurzeit wohl einflussreichste Mann der globalen Politik. Daher befinde ich mich wohl im am besten abgesichertsten Viertel der Welt. Ich weiss es, begreife es aber nicht ganz. Das ist Washington DC. Ich werde mich morgen schuetteln muessen, dass dieses Langweilernest wirklich die US-Hauptstadt sein soll. Die Stadt, die in so vielen Filmen auftaucht, ob in "Forrest Gump" oder in Horrorszenarien wie "Independence Day" oder "Air Force One".

Leute, um 0.45 Uhr hat mich der Sandmann endgueltig zu Boden gerungen. In einer sternenklaren Nacht beende ich die zweite Reisewoche. Morgen werde ich wieder Geschichten aufschreiben. Von Orten, die Geschichte schrieben.

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Montag, 20. September 2004 (zum Foto-Tagebuch Washington geht es HIER )

Tag 15: Washington D.C.

Andi am KapitolDer Selbstauslöser geht auch am Kapitol!

METER MACHEN

Es war ein exzellenter Tag. Ein Tag, an den ich mich bestimmt mein Leben lang zurueckerinnern werde. Was nicht heisst, dass ich DC zu meiner Lieblingsstadt erkoren haette, das wohl kaum... nein; das Wetter, die Emotionen, die Gedanken, die Eindruecke, mein durchgezogenes Programm: Das Puzzle des 20. September passte einfach perfekt.

Keine Ahnung, wie es Euch geht, aber bei mir hatte sich vor diesem Urlaub ein irgendwie unnahbares USA-Bild aufgebaut. Wie viele Filme, wie viele Serien, die in diesem Land spielen, habe ich mir Tag fuer Tag angesehen, und Sammelsurien von Bildern in mich aufgenommen. Eine ganz andere Welt. Ganz anders? Als ich meine Aeuglein frueh am Morgen aufkneife, faellt mir sofort - warum auch immer - das Wort "entmystifiziert" ein. In diesem Zusammenhang trifft es voll zu.

Ja, das nenn ich doch mal einen Sommertag. Vorgestern, ach wer denkt schon noch an vorgestern!?! Minutenlang stehe ich am Fenster, vor dem Duschen, nach dem Duschen, und ich finde nicht die fisseligste Wolke.

Am Fruehstueckstisch entwickle ich meinen Tagesplan neu. Nix mit U-Bahn fahren, bei dem Wetter wird alles zu Fuss erkundet, so lange das auch dauern mag. Wer weiss, wie lange ich in Europa wieder auf einen solchen Traumtag warten muss? Doch Fruehstueck... wo is'n hier das Fruehstueck? Jemand deutet auf einen einzigen Tisch. Darauf stehen zwei Kannen Kaffee, mehrere O-Saft-Paeckchen und zwei Pappkisten mit Muffins drin. Das ist alles. Mager, aber es ist eben eine Jugendherberge.

Auf, Andi, auf zu einem nochmal ganz neuen und anderen Tag. Let's go!

Auch Washington ist schachbrettartig angelegt, so ist das nun einmal in den USA. Das faellt mir als erstes auf, als ich von der 11. Strasse - also der Jugendherberge - in die 10., 9., 8. usw. laufe. Die Ost-West-Achsen tragen Buchstaben, die Nord-Sued-Strassen Zahlen. Aber halt! Als ich noch eine Querstrasse ueberquere, Richtung Kapitol spazierend, meinem ersten Tagesziel, stosse ich auf die Pennsylvania Avenue. Stimmt, die gibt es ja auch noch. Ich lasse mich aufklaeren, vom Baedeker, von Schautafeln, von Eindruecken. Als der erste Praesident George Washington gemeinsam mit dem Architekten L'Enfant die Hauptstadt entwarf, ging es nicht nur um Standorte fuer das Weisse Haus und das Kapitol. Die Stadt sollte das Land auch moeglichst gut und pompoes repraesentieren. Also durchschneiden nach L'Enfants Plan nun mehrere Avenues das Schachbrett, und muenden in grosse Plaetze. Auch den Baustil legten L'Enfant und Washington fest. Angelehnt ans antike Athen und ans antike Rom entstanden prachtvolle Palaeste. Je mehr ich auf der Pennsylvania Avenue voranschreite, mit dem weissen Haus im Ruecken, desto mehr... schwitze ich ... nee, das auch, aber desto mehr schuettele ich den Kopf. Links und rechts masslos uebertriebene Regierungsgebaeude und vor mir das Kapitol (ja richtig, dieses und das weisse Haus liegen an derselben Strasse; geplant natuerlich). Kapitol, Sitz des US-Kongresses, mit der weltberuehmten Riesenkuppel. Gewaltig, riiiiesig, aber schoen? "Was massen die sich hier an?", ist mein erster Gedanke. Das alles ist eine Spur zu gross, zu gewagt, unpassend fuer diese Stadt, sprich: groessenwahnsinnig. Hey, wir sind Menschen, wollen alle friedlich zusammenleben, in einer klassenlosen Gesellschaft; sind da solche Angebergebaeude noetig?

Die Bibliothek "Library of Congress" (Anmerkung an Thommy: 100 Millionen Buecher!) und das oberste Gericht "Supreme Court", ebenfalls auf dem "Capitol Hill" genannten Huegel, sehen genauso aus. Breite, lange Treppen, viele Saeulen, Marmor, Prunk. Spontan kommt mir in den Sinn, womit ich Kapitol und Supreme Court bisher immer verband; naemlich mit einer Folge der Serie "Eine schrecklich nette Familie", in der Al Bundy mit seiner Gruppe "No Ma'am" nach Washington zieht, um gegen die Absetzung seiner Lieblingsserie "Psycho Dad" zu demonstrieren. Ueberall rennen aalglatte, dauertelefonierende Anzugtraeger rum. Ach, die koennen mich alle mal. Ich leg mich auf eine Bank auf dem "Capitol Hill", schliesse die Augen und...!?! Sonne, herrlich!

Vor mir liegt ein langer Marsch, der die ganze zweite Tageshaelfte beanspruchen wird. Egal, das Wetter ist geil genug. Als Naechstes kommt der "West Potomac Park" am anderen Ende der Innenstadt Washingtons. Der Schweiss prickelt auf meiner Haut, so dass ein kleiner Film entsteht, und ich muss dauernd husten. Die Luft in DC ist heute schlecht. Ueberall wird gebaut. Gebaut. Gebaut. Gebaut. Fast an jeder zweiten Strassenecke scheint ein Kran zu stehen, der unendlich viel Staub in die Gemaeuer und Luft pustet. Husthust. Der Tag ist einfach sensationell schoen. Nach 20 Brutto-Fussminuten erreiche ich das "Washington Monument", das weithin sichtbar ist. Logisch, bei 183 Metern Hoehe ist es das groesste "Ding" der Stadt. Besteigbar ist es aber erst wieder 2005. Ist ne Baustelle gerade... vor dem Weissen Haus schiesse ich die Pflichtfotos (das liegt auf der Strecke) und beschliesse, mich gar nicht erst auf die Suche nach einer moeglichen Besichtigungstour zu machen. Diesen geilen Tag (Sonneeee!) will ich nicht mit Warteschlangen und Klimaanlagen verbringen!! Ich lege mich laengs auf die Wiese vor dem Weissen Haus, benutze meine Tasche als Kopfkissen, schalte "Believe" von K's Choice ein und lasse die Welt eine Scheibe sein. Momente, die ich liebe.

Kurz vor Sonnenbrandgefahr wandere ich weiter. Heute "mache ich Meter", so heisst das im Fussballjargon. Mache Meter wie der Sesi Schindzielorz in seinen besten VfL-Zeiten. Im "West Potomac Park" am gleichnamigen Fluss stehen ich und Massen an Eichhoernchen vor dem "Reflecting Pool". Irgendwie habe ich mich darauf am meisten gefreut. Ich schreite gemaechlich die 600 Meter entlang, in Richtung "Lincoln Memorial"; denke an den Film "Forrest Gump", wie Tom Hanks alias Forrest durch den Pool seiner grossen Liebe (verflixt, wie heisst sie noch gleich?) entgegensprintete. Hab Tausende von Menschen vor Augen, die im Wasser und daneben stehen in der 60-ern gegen Rassismus demonstrieren. Und hab Martin Luther King im Ohr, der hier seine "I have a dream"-Rede hielt.

Ich schreite die Stufen zum Memorial hinauf (nicht fuer den Schalke-Mittelfeldspieler, sondern fuer den US-Praesidenten Abraham Lincoln, in dessen Amtszeit die Abschaffung der Sklaverei fiel), erblicke das Schild "Quiet! Respect please!"... und Respekt floesst der sechs Meter hohe Lincoln schon ein. Aber hallo. Im totalen Schatten hockt er in einer Art Tempel (uebertrieben natuerlich) und schaut streng in Richtung Reflection Pool und Washington Monument. Nach ein paar Minuten mache ich kehrt, fotografiere noch kurz ein Paerchen aus Frankfurt. Unterhaltung. Klingt schon geil, wenn ich sage "Aehem, ich war schon in Boston, New York und Philadelphia..." Die beiden haben nur zwei Wochen Florida zu bieten und beantworten meinen Hurrikan-Entsetzensblick mit einem "War nicht so lustig!" Endlich darf ich mich in meinem Urlaub mal an einen Pool legen. Ich tu's!

Auch die grossen Parkanlagen mit viel Gruen, viel Wasser (angelegte Seen, Wasserfaelle und Brunnen en masse) waren geplant. Die Memorials - eins nach dem anderen - kamen sukzessive hinzu. Beim "Vietnam Memorial" erschrecke ich. An zwei Staenden wird "US Army"-Zeugs in allen Varianten verkauft; es stehen Geldsammelbehaelter mit der Aufschrift "Save the troops" davor; und die werden fleissig gefuellt. Von den vielen Tafeln mit den Namen aller US-Gefallenen in diesem sinnlosen Krieg spielt sich haesslichster Patriotismus ab. Salutierende Veteranen, trauernde Menschen in USA-Shirts. "Respect please!" Was waere passiert, haette ich mein Vietnam-Trikot getragen? Also darauf kann ich gar nicht!

Unter dem Geleitschutz des gigantisch blauen Himmels klappere ich auch das Koreakrieg-, das Roosevelt- und das Jefferson-Memorial (zwei weitere Ex-Praesidenten) ab; mal am Potomac River entlang, mal am angelegten Ableger "Tibal Basin". Es ist so gruen, dass ichs hier schoen finde und viele Joggstrecken entdecke (und Jogger natuerlich). Ich lasse mich zum Sonnen nieder, vor dem Jefferson-Memorial. Die Minuten verrinnen, es schlaegt schon 17.10 Uhr, und trotz der vielen Kilometer bin ich keine Spur kaputt. Nur etwas durstig.

Hier zu leben ist bestimmt seltsam. In einer Stadt mit so einer exorbitant hohen Verbrechensrate, voellig uebertriebenem Prunk (ich muss es nochmal sagen), miesem Lobbyismus (Stichwort "Watergate", moechte nicht wissen, was hier sonst noch passiert), keinem Flair und viel Security - aber auch in der politisch bedeutendsten Stadt der Welt, mit vielen schoenen Gruenflaechen, historisch wichtigen Hausern und bestimmt intellektuellem Kulturangebot.

Immer wieder setze ich mich auf dem Rueckweg hin, lese, entspanne, wechsle die CD. Einem Halt bei "Kinko's" folgt noch ein geldsparender bei Maeckes und schon in der Dunkelheit der Nacht erreiche ich gegen neun die Herberge. Zehn Stunden nonstop unterwegs. So langsam spuer ichs doch.

Aber das war es wert. Es wirkt, als wuerde ich in diesen Tagen den Lohn bekommen fuer all die Muehe, all die Vorarbeit in den letzten sieben Monaten. Mit einem zufriedenen, mueden Grinsen im Gesicht gehe ich schlafen. Viel sehen, kritisch reflektieren, entspannen, das alles gewuerzt mit Superwetter - das nenne ich einen exzellenten Urlaubstag. Siehe Beginn.

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Dienstag, 21. September 2004 (zum Foto-Tagebuch Washington geht es HIER )

Tag 16: Washington D.C.

Kaugummis RAUS!Kaugummi kauen? Verboten!

GLUECKSKEKS

Am Ende, ganz am Ende ueberreichte mir der chinesische Kellner einen Glueckskeks und damit eine Ueberschrift. Denn heute habe ich mich die ganze Zeit gefuehlt wie ein solcher: locker, leicht, suess und immer mit nem dummen Spruch dabei. Es war der dritte
fuehl-dich-wie-auf-Hawaii-Tag hintereinander.

Heeeee, was ist das denn? Die Glocken des juengsten Gerichts? Muehsam raffe ich mich auf, meine Rueckenknochen knacken (koennte gemuetlicher sein), nee, doch nicht juengstes Gericht, bin in der Herberge. Um Punkt 9 Uhr dingelingt irgendeine Kirchenglocke mit der seltsamsten Melodie. Komisch, ist mir gestern gar nicht aufgefallen. War das gestern ueberhaupt? Kratzkratz... egal, als Wecker wars jedenfalls nicht schlecht, auch wenn der Kopf brummt.

Beim Blick aus dem Fenster auf die K-Strasse kommt die Motivation von ganz allein. Keine Chance fuer die der-Urlaub-ist-bald-vorbei-Depression. Fuer ein trauriges Gesicht. Ich schlinge das wieder aeusserst umfangreiche Fruehstuecksangebot (diesmal fehlte sogar der O-Saft) ruckizucki runter, aergere mich, dass ich keine kurze Hose dabei habe, ziehe das Peter-Madsen-Daenemark-Trikot an und los. 11.05 Uhr, naechster Haltepunkt "Arlington", im Bundesstaat Virginia direkt nebenan (Nummer neun). Ich laufe, natuerlich. Im Ohr habe ich die CD 1 des "Reich und Sexy"-Doppelpacks der Toten Hosen. Und ich laufe. An Touristengruppen, Baustellen, Schlipsen vorbei. Wer mich kennt, weiss, dass ich sehr flott unterwegs bin zu Fuss, und doch betrete ich den "Arlington Cemetry" (Friedhof) erst, als das letzte CD-Lied "Bis zum bitteren Ende" (passt gleich doppelt und dreifach) laeuft. Ueber ne Stunde. Das ist von der Engelbertusstrasse bis zum Bloetter Weg. Der Friedhof ist einer der beruehmtesten der Welt. Er schaffte den Sprung in die Beletage der Ruhestaetten aber erst mit der Beerdigung John F. Kennedys 1963. Millionen haben die ewige Flamme auf dem schlichten Familiengrab der Kennedys seitdem gesehen. Millionen. Zeit fuer Gedanken bleibt hier nicht. Nicht hier, in dem Getuemmel.

Nicht jeder kennt den Namen "Arlington", aber jeder kennt seine Bilder. Hunderte, Tausende von einsamen weissen Grabsteinen in Reih und Glied. Bilder, die keine leise Klaviermusik im Hintergrund benoetigen. 245.000 Soldaten bezeugen, wie sinnlos alle Kriege sind. "Respect please", heisst es. Und das Kaugummi kauen ist verboten! Von Kennedys Grab und dem des Stadtplaners L'Enfants aus ist ganz Washington gut zu ueberblicken (der Friedhof liegt auf einem Huegel), in einer Gerade das Lincoln Memorial und das Washington Monument. Einen Sinn fuers Pathetische haben die Stadtplaner Washingtons ohne Frage. Hinter einem der Soldatengraeber-Huegel lugen dagegen die Ecken des US-Verteidigungsministeriums "Pentagon" hervor. Hier wird der Zuwachs des Friedhofs geplant. Am Denkmal fuer den unbekannten Soldaten bekomme ich um 13 Uhr den Dienstwechsel mit, ein laecherlicher Militaerzirkus. Auf so einen in-Reih-und-Glied-und-keeeeeeeehrt-UM!-Quatsch kann ich gar nicht. In der Gesamtheit gefaellt mir Arlington. Der Friedhof ist schoen. Schoen? Darf man zu einem Ort schoen sagen, auf dem 245.000 tote Menschen liegen?

Ich mache mich auf den Rueckweg, wieder mit den Toten (diesmal passt der Bandname) Hosen als Begleitung. "Alles wird gut", "Wuensch Dir was", "1000 gute Gruende". Bei 26 Grad im Schatten latsche, nein, jogge ich fast (in der Sonne) den Weg zurueck nach DC. Das hat einen guten Grund. Heute muss ich zum vierten und letzten Mal ein VfL-Spiel aus der Ferne beobachten. DFB-Pokal in Freiburg. Da es Verlaengerung gibt (bestimmt), reicht es, wenn ich so um 14.20 Uhr, zehn Minuten vor Spielschluss online gehe. Ich betrete leicht ausser Puste und mit einem Liter Mineralwasser in der Hand "Kinko's" und watt is datt denn? Ne Schlange!! Ich kippe die Flasche fast auf Ex weg, kratze an meinen drei Mueckenstichen (aaaaah, juckt!), komme dran. 2:2, 90. Minute. Na bitte, Verlaengerung, ich kenne meine Jungs doch. Der VfL verliert das Spiel noch 2:3, waehrend ich Tagebucheintrag 15 abtippe. Ohne mich hat der VfL kein Spiel gewonnen. Aber streng genommen nach 90 Minuten auch keins verloren. Vier Unentschieden. Ich diskutiere mit Helmut telefonisch kurz die Fussball-Resultate (sein MSV ist auch raus) - und berichte, dass ich mich von 15.45 Uhr bis 16.15 Uhr in die Sonne legen werde. Da verschwindet er mit Tina im herbstlichen Ruhrpott grad ins Bett. Hihi.

Nach diesem Arlington-Ausflug kriege ich heute nix mehr gepeilt. Gestern war ja schon hart genug. Ich wandere noch in Ruhe zum "Watergate"-Komplex, einem haesslichen Appartmentgebaeude, das wie kein zweites als Synonym fuer politische Korruption (Stichwort "Nixon") steht. Direkt um die Ecke liegt die "George-Washington-University".

Auch in meiner vierten Reisestadt begebe ich mich unter Meinesgleiche und setze mich mitten im Studirumgewusel auf eine Bank. Alle tragen Miniroecke, kurze Hosen, Sonnenbrillen dazu; lesen, telefonieren, essen, trinken... der Semestertag geht grad zu Ende. Die GW-Universitaet ueberzeugt nicht als Campus-Uni. Watergate und das Regierungsviertel liegen zu nah. Nur zwei kleine Querstrassen zwischen den Gebaeuden scheinen den Studis zu gehoeren. Ich sitz an einer davon. Washington hat mehrere Unis, da waere zum Beispiel noch die "Howard-University" und die "Georgetown-University". Die letzte steht Donnerstag auf meinem Plan. Genauso wie die Stadtviertel "Adams-Morgan" und "Dupont Circle", in denen sich die alternative Studikultur abends wohl vergnuegt, wie es heisst. Eine "University City" ist Washington nicht. Zu klein ist die Stadt dafuer, zu praesent sind die Alltagsprobleme, zu nah die pompoes-abgehobene Stadtarchitektur. Abschalten, weggucken oder nix mitkriegen, ohne dass es langweilig wird - wie in Philly - geht hier nicht. Washington hat ja auch nur ein Drittel der Philly-Einwohner.

Tierisch gern beobachte ich meine jungen US-"Kollegen". In Washington kann sich niemand verlaufen. Neben der simplen Strassenkennzeichnung dienen das Washington Monument und auch das Kapitol als Fixpunkte. Ich stehe auf, mittlerweile wieder mit trockenen Haenden und trockener Fresse, und stelle eine hohe Fluktuation in DC fest. Regierungsbeamte wechseln staendig (gehen zurueck in ihre Wahlkreise), die vielen Studenten der Stadt sind nur voruebergehend hier, der Praesident sowieso - eine richtige "Washingtoner Gemeinde" gibt es nicht. Die haette bestimmt auch vehementer fuer eine Losloesung vom Kongress mit eigener, selbststaendiger Stadtfuehrung gekaempft. Eine Sitcom ueber das Washingtoner Leben existiert nicht. Kein Wunder. Diejenigen, die fest und laenger hier
arbeiten, sind laengst in die Vororte in die Bundesstaaten Virginia und Maryland geflohen. Dort leben inzwischen so um die drei Millionen Menschen.

Ich lasse mich wieder nieder, auf einer Bank gegenueber vom "Visitor Center" der GWU. Jede Uni hier hat ein solches, und bietet Rundfuehrungen und T-Shirts an. Naja, bei uns in Essen waeren diese Angebote wohl Ladenhueter... Laptops sind hier gang und gaebe, nicht nur um mich herum. Ob bei Starbucks, McDonalds, im Zug oder auf einer Bank mitten in der Stadt. Ueberall sind die Dinger gern gesehen. Ich stelle mir vor, ich wuerde in Muelheim, Essen, Duisburg oder Oberhausen auf der Haupteinkaufsstrasse an meinem Laptop arbeiten; ich wuerde als Protzer gelten und waere ein Ausstellungsstueck.

Washington ist eine sehr komische Stadt. Bei diesem Urteil bleibe ich auch heute, waehrend ich dem wunderschoenen Sonnenuntergang entgegenlaufe. Schon gestern fielen mir viele PROs und CONTRAs auf. Heute sind weitere dazu gekommen. Wahrscheinlich tun diejenigen gut daran, die hier nur einen Teil ihres Lebens verbringen. In DC sein ganzes Leben zu wohnen, waere Vergeudung. Aber eine Supererfahrung ists allemal. Und zu sehen gibt es immerhin einiges.
Bleibt nur noch die Frage, was abends im chinesischen Restaurant passiert ist. Das Essen bei "Tai Shan" am Rand von Chinatown war sehr gut. Auf der Tischunterlage habe ich herausgefunden, dass ich nach chinesischem Tierkreiszeichen ein Pferd bin. Ich kann gut mit Hunden und Tigern, aber gar nicht mit Ratten... "Popular and attractive to the opposite sex. Often impatient. You need people", steht noch dabei. Und den Glueckskeks, den habe ich gerade eben erst geoffnet, nach ein paar typischen Minuten Herbergstrubels im Foyer und nachdem ich schon ein paar Mal eingenickt bin. "Deine Prinzipien bedeuten dir mehr als Geld und Erfolg."

Morgen ist mein Museumstag.

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Mittwoch, 22. September 2004 (zum Foto-Tagebuch Washington geht es HIER )

Tag 17: Washington D.C.

Forreeeest... laaaauf!Vor dem Lincoln Memorial mit Blick auf das Washington Monument und den Reflecting Pool!

STICH DER SONNE

Am Ende des 17. Tages kann ich das Ende des 20. Tages am Horizont erblicken. Und nichtmal mehr mit Fernrohr. Dann werde ich in Muelheim in meinem Bett liegen und voll Wehmut mein Tagebuechlein durchblaettern. Dann liegt der Urlaub 2004 im langen Regal der Vergangenheit. Genau wie der erste Tag hier wird der erste Tag in Deutschland ein harter Aufprall. Von Amerika auf Europa, von Dollar auf Euro, von 30 auf 14 Grad, von alleine auf viele.

Ja, die Glocken laeuten jeden Morgen um neun. Aber hmm... die Melodie, nee, die kenne ich wirklich nicht. Zum drittletzten Mal - seufz - bewege ich meinen Koerper aus dem Bett der Jugendherberge, dusche, fruehstuecke und aergere mich. Washington bietet genug Sehenswuerdigkeiten fuer sieben Tage! Blitzschnell streife ich mir das "Peace"-Shirt ueber (sollte man hier einmal getragen haben) und pflanze mich vor der Herberge auf eine Bank - in die pralle Sonne natuerlich.

Mensch, das ist ja eine Bullenhitze heute. Sofort spucken meine Schweissdruesen alles aus, was sie haben. Bestimmt 30 Grad... puuuh! Ausnahmsweise bin ich froh, mir fuer heute den Klimaanlagen-Museen-Tag aufgehoben zu haben. Museen, sehenswerte dazu, gibt es in DC en masse. Sie nehmen so viel Platz ein, dass sie sogar als eigenes Stadtviertel gelten koennten. Der Grossteil beruht auf James Smithson, entnehme ich dem Baedeker. Der hinterliess der verdutzten US-Regierung vor Urzeiten vier Millionen Pfund, damit diese in dem noch jungen Staat eine Bildungseinrichtung schaffen kann. Seit 1848 (nur damit es jeder weiss) sind 16 Museen entstanden, die pro Jahr 30 Millionen Besucher anlocken. Sie sind zusammengefasst unter dem Namen "Smithsonian Museen".

Heute werde ich einer davon. Hocherfreut nehme ich zur Kenntnis, dass die ganze Bildung, die auf mich einstuerzen wird, fuer lau ist. Einzige Einlassvoraussetzung ist - natuerlich - eine Securitykontrolle a la Flughafen. Vor jedem einzelnen Museum. 11.20 Uhr, ich stehe an der "National Mall", so heisst der breite Weg an der Museumsmeile. Drei von den 16 habe ich mir herausgepickt, und auch in diesen dreien muss ich mich beschraenken. Anderthalb, maximal zwei Stunden duerfens sein. Ich beginne im "Museum of American History". Auf drei Etagen sind alle moeglichen wichtigen und unwichtigen Teile aus der 228-jaehrigen Geschichte der USA ausgestellt. Hey, was ist das denn?? Hier gibt es wirklich Eltern, die ihre Kleinkinder wie Hunde an der Leine herumfuehren. UNGLAUBLICH!!! Aeh, zurueck... ich beschaeftige mich mit den "Rassenunruhen" des fruehen 20. Jahrhunderts, den Weltkriegen 1 und 2 sowie mit den "First Ladies" (natuerlich mit Massen an Kleidern) und den Prasidenten. Im zuletzt genannten Trakt verweile ich am laengsten.

Von den 43 Praesidenten ist ziemlich viel Krimskrams ausgestellt, zum Beispiel der Hut, den Lincoln trug, als er ermordert wurde. Oder Bill Clintons Saxophon. Aufgelockert sind alle Flure mit reichlich Schautafeln (zum Beispiel ueber die Rolle der First Lady oder die Aufgaben des Praesidenten) und Fernsehern mit Mini-Einspielfilmchen und beruehmten Reden. So eine Art des Museums ist eher was fuer mich. Was Echtes, Politisches, zum Anfassen. Zwei Stunden bleibe ich in der amerikanischen Vergangenheit, nicht ohne das eine oder andere Mal mit dem Kopf zu schuetteln ueber den teilweise verklaerenden oder ausgelassenen Teil (Vietnam). Ich wechsle schnell ins "National Museum of Natural History". Hier jage ich fast durch; durchs Eiszeitalter, Dinosaurierknochen und einen Insektenzoo. Mittagspause auf der Mall. Ab in den Schatten. Ist heute besser so.

Schon wieder 14.30 Uhr. Will noch ins "Air and Space Museum", eins der bestbesuchtesten des ganzen Planeten. Ausgestellt sind zum Beispiel die "Spirit of St. Louis", in der Charles Lindbergh als erster den Atlantik ueberquerte sowie diverse andere Flugzeuge aus aller Herren Laender und Zeitalter. Massen an Utensilien aus den Weltraum- und Mondausfluegen der USA ist ein eigener Trakt gewidmet. Spannend ist das wirklich, keine Frage. Ein grosser Raum beschaeftigt sich mit Flugzeugen in "World War I" und mich laesst das Gefuehl der leisen Bewunderung fuer die Technik der "Germans" nicht los. Auch Kriegsgeraet wie Bomben aller Groesse und Art sind vorhanden. Aber so praesentiert, dass alle nur anerkennend "Wow" rufen und "WIR! DIE SUPERMACHT!" denken - und nicht etwa so, dass die Sinnlosigkeit aller Kriege im Vordergrund steht. Auf mein "Peace"-Shirt werde ich hier natuerlich auch nicht angesprochen.

"Zuerst kommt der Blitz, dann kommt der Donner, und am Ende kommt die Sonne", zwitschern "Virginia Jetzt!" per Discman in mein heiss gelaufenes Gehirn. Man, heute ist die Sonne total matt machend. Meinen vierten Museumstag waehrend des Urlaubs lasse ich um 16.15 Uhr hinter mir. Um die Ecke liegt das "Old Post Office", das alte Post-Gebaeude, in dem sich nun so eine Art Centro-Oase mit Fressbuden aller Couleur befindet, und das fuer Regierungsbeamte in der Mittagspause wohl die erste Anlaufstation ist. Prima, da wollte ich eh rein, und Hunger hab ich auch. Oje, selbst das Post-Office ist mit einer Flughafen-Security geschuetzt. So langsam reichts wirklich!!! Zum Glueck sind wir in Europa (noch?) nicht so weit. Das ist wohl die andere Seite der USA. Staendig betonen die Einwohner (wirklich ueberall!), dass sie sich fuer die einzig wahre Nation halten, und dennoch leben alle in einer wahnsinnigen Angst, wie ich sie nicht einmal in Israel erlebt habe. In Washington ist das ganz besonders extrem. Also wieder ein dickes CONTRA. Aber ein dickes PRO hatte ich heute auch schon: Siehe oben, die zahlreichen Museen, das ist schon klasse. Vor allem bei dem Eintrittspreis... In manchen lohnt sicherlich ein zweiter oder sogar dritter Besuch. Im Post Office ist mein Lasagne-Menue nur unterer Durchschnitt (nichts gegen Nudelland in Muelheim). Beim anschliessenden Spaziergang Richtung 11. Strasse trifft mich die Sonne mit einem Nagel mitten in den Kopf... mein Koerper zueckt unweigerlich die Rote Karte. Ich gehe zur Herberge und lege mich anderthalb Stunden tief schlafen. Die letzten drei anstrengenden Tage in diesem Hochsommer habe ich doch nicht so locker weggesteckt.

Als ich gegen 18.45 Uhr wach werde, weiss ich sofort: Der Urlaub ist jetzt zu Ende. Diese kurze Schlafphase ist der Wendepunkt. Sofort weicht meine Euphorie, meine Freude, meine Muedigkeit, mein Durst einer immer groesser werdenden Trauerphase. Ich ziehe mich lustlos an. An der Theke der Herberge beginnts. Ich erkundige mich nach dem Weg zum "Dulles International Airport" - Pflicht. Zu Kinko's trotte ich zum drittletzten Mal. Mail von Herrn Smukal vom Reisebuero. "Ihr Flieger nach Amsterdam geht 15 Minuten frueher. Nichts Dramatisches." Ich scrolle in meinem Tagebuch rauf und runter, lege meine verschwitzten Haare hinter die Ohren zurueck; man, doch ganz schoen viel erlebt in den letzten 16 Tagen. Es sind schon jetzt Erinnerungen. Donnerstag wird gepackt, Freitag im Flieger geschlafen (hoffentlich), Samstag spielt der VfL und ich werd viel erzaehlen; und Sonntag muss ich schon Geld verdienen gehen. Hmm... bleibt vorher keine Zeit zur Vorbereitung, also erledige ich das jetzt. Am Abend des 17. Tags beruehrt mich erstmals wieder die Arbeit. Sie klopft mir auf die Schulter, grinst mich an. Ganz mies. "Drei Tage noch", bruellt sie dann und sieht dabei aus wie ein Hoehlentroll. Ich blaettere auf Websites diverser Muelheimer Sportvereine. Mache Notizen.

Um kurz vor neun habe ich genug. Wenigstens habe ich diese Aufbruchstimmung bis zum vorletzten Abend zurueckhalten koennen. Auf dem Rueckweg werden zwei Strassen komplett abgesperrt. Niemand mault, hier in Washington ist das wohl normal. Und was passiert? Wieder kommt die ganze Wagenkolonne vorbeigesaust, diesmal sogar mit vier Motorraedern vorneweg. Wieder der Dschordsch? Zweimal in vier Tagen, kein schlechter Schnitt. Nach ein bisschen Herbergs-Smalltalk blaettere ich im Foyer im Reisefuehrer. Man, ich war in so vielen Ecken Washingtons und kenne doch so wenig. Ich meine, die Stadt und ihre Einwohner einschaetzen zu koennen; und doch nicht. Morgen kommen noch zwei Viertel dazu, sofern mein Koerper mich laesst. "Wetter online" hat 30 Grad prognostiziert.
DC hat sich an den drei Tagen von seiner schoensten Seite gezeigt, und ich weiss das zu schaetzen. Trotzdem geniesse ich die Abendstunden heute nicht mehr und gehe anderthalb Stunden frueher schlafen als sonst. Langsame Vorbereitung auf die europaeische Zeit, auf den Flug. Das Urlaubsende, es ist so nah. Wie gerne haette ich den Stich der Sonne noch eine weitere Woche.

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Donnerstag, 23. September 2004 (zum Foto-Tagebuch Washington geht es HIER )

Tag 18: Washington D.C.

Andi vor dem Weißen Haus!Das bekannte Bild: Ein Reporter vor dem weißen Haus!

THE FINAL COUNTDOWN

Es faellt mir schwer, unter eine meiner Lieblingsueberschriften etwas in dieses Buch zu schreiben. Verdammt schwer. Morgen um diese Zeit habe ich schon uebermorgen. Das wars also. Ciao. Finito. Die grosse Herausforderung ist vorbei. Kein Zwischenfazit mehr. Ein Endfazit wirds nun sein. Der letzte Tag jedenfalls, um den es hier eigentlich geht, war die Jaegersosse auf dem Schnitzel, der Punkt auf dem i, die Sosse auf die Lasagne von Nudelland, wie Madsens Siegtor gegen Bayern. Die Kroenung des Urlaubs.

Anderthalb Stunden frueher als sonst gings gestern in die Heia, anderthalb Stunden frueher wache ich auf. 7.30 Uhr, yeah, geklappt. Und doch bleibe ich genauso lange liegen wie sonst. Mit mal geschlossenen, mal geoffneten Augen starre ich gegen die weisse Zimmerdecke, gegen die gruenen, noch zugezogenen Vorhaenge, durch die ein paar Sonnenstraehlchen luenkern, gegen die von mir unbenutzte Mikrowelle. Gedankensplitter fliegen fliegen durch meinen Kopf, versuche sie zusammenzusetzen. Mal habe ich ein passendes Paar, und verliere es dann doch wieder.

Ich sinniere ueber ein moegliches Reisefazit, am Morgen des 18. Tages, im Gaehnen konzentrierend. Was ich nie vermutet haette, so ist mein erster Ansatz, ist eingetroffen. Die zweite Reisehaelfte, und im Besonderen Washington war und ist der Hoehepunkt. Die Tage hier habe ich genossen und den heutigen - meine Haende ballen sie zu zwei Faeusten - den geniesse ich erst recht. Hat mit dem Wetter zu tun, keine Frage, aber auch mit Philly - mit dem anderen Extremwetter. Und natuerlich auch mit der Unterkunft, im Vergleich zu Boston und New York hatte ich die bessere Herberge und das bessere Hotel. Das war Urlaub! Auf der anderen Seite, grueble ich, war die erste Haelfte eindeutig die eindrucksvollere, imposantere Erfahrung. Dort war der Lernprozess, ueber mich, ueber die USA, in allen Bereichen groesser. Intensiver wars in Boston, in New York. Konzentrierter. Anstrengender.

Ich stehe auf, dusche, und werde den Washington-Reisefuehrer zu Ende abarbeiten. Zumindest die Gebiete, vor denen kein reisefuehreruebergreifendes Stopp-Schild steht. Ein erster Temparatur-Fuehlcheck vor der Herberge ergibt: HOSSA! Auch heute, zum Abschluss, will ichs nochmal zu Fuss versuchen. Solch ein Tag will aber gut eingeteilt sein. Ich durchstoebere den Stadtplan, die Wege in die Viertel "Adams-Morgan" und "Georgetown", markiere die Plaetze fuer eine Pause, schnappe zwei Wasserflaschen und marschiere los. 10.55 Uhr. Letzte Klappe.

Langsamer als in den Vortagen setze ich einen Fuss vor den anderen. Bloss nicht hetzen. Ob sie in Duesseldorf, Bochum und Muelheim wohl kommen, diese "hat-er-sich-veraendert"-Blicke? Hoffentlich nicht. Und wenn schon... mir egal; ich finde, ich bin immer noch der gute, alte Andi. Etwas selbstbewusster vielleicht, weil ich das Ding hier wirklich gut durchgezogen habe. Nach kurzer Zeit erreiche ich meinen ersten Zwischenstopp. "Dupont Circle", das ist einer von vielen Kreisverkehren in DC, die durch die ganzen Avenues entstanden sind. Mit Statue in der Mitte und Baenken und Baeumen drumherum. Auf dem Weg hierher ist mir nochmal aufgefallen, dass viele aus den Vororten kommen. Auf den Autokennzeichen in den USA steht der Staat, in dem der Wagen angemeldet ist, drauf. Und "Washington D.C." steht dort nur im Ausnahmefall. Die Regel ist "Maryland" und "Virginia". Ich begebe mich unter die Mittagspausierenden - ein paar spielen Schach - und trinke den ersten wohl rationierten Schluck Wasser. Die "Connecticut Avenue" fuehrt mich nach "Adams-Morgan". Es ist huegelig hier, aber wowwww... Ich biege ab in die "Columbia Road", weitere Querstrassen, in Ruhe spaziere ich zwischen Einfamilienhaeusern umher, hier erblicke ich "Dogkeeper", professionelle Hundeausfuehrer, die gleich mehrere an der Leine halten. Und: Hier erblicke ich ueberhaupt Hunde! Fernab vom Hinterstuebchen-Washington wohnen in dieser Superwohngegend scheinbar die Business-Typen, die sich das leisten koennen. Hier sind sogar die Vorgaerten schoen.

Eine Strassenecke weiter kippe ich vollends aus den Latschen. Also das meinen die Reisefuehrer mit pulsierendem Nachtleben. Auf der 18. Strasse, Ecke Columbia Road, beginnt eine 600 Meter lange Meile mit Laeden aller Couleur. Restaurants, Bars, Cafes, Nachtclubs aus allen Kontinenten. Selbst jetzt, zur Mittagszeit ist die Versuchung gross, angesichts des vielfaeltigen, verfuehrerischen Dufts zum Beispiel von indischen, chinesischen und italienischen Spezialitaeten, irgendwo was zu bestellen. Obwohl ich keinen Hunger hab. Ich belasse es bei einem Eis (drei Kugeln fuer stolze fuenf Dollar!!). Jeder Washingtoner unter 30 kommt an dieser 18. Strasse definitiv nicht vorbei. Den oeden Mief der Politik abzuschuetteln ist zwar schwierig, aber hier wohl noch am besten moeglich.
Meine Prinzipien liegen laengst ueber Bord. Die erste Flasche Wasser habe ich viel frueher als geplant geleert. Ein Thermometer ueber irgendeinem Geschaeft zeigt umgerechnet 31 Grad an. Ich druecke auf meinem Discman die "Play"-Taste und hoere die neue "Virginia Jetzt!"-CD durch. Zum zweiten Mal. Jetzt ist mir so melancholisch zumute, dass nur diese Band passt. Ich brauch das. Gemaechlich trotte ich den aeussersten Westen Washingtons, nach Georgetown. Schnell noch ueber eine Bruecke ueber das Fluessken "Rock Creek", und - HALLO?!?! - jetzt bin ich in einer ganz anderen Welt. Rot gepflasterte Buergersteige, schoene alte Haeuserreihen. Also diese Strassen koennten original auch im Sauerland stehen, und keiner wuerds merken. Die "M Street" ist in Georgetown die Hauptstrasse, und die wirkt wie eine Strandpromenade. Nur ohne Tourismus, denn hier bin ich der einzige Fremde. Ich nehme alles zurueck. Es gibt doch einen Ort in DC, an dem es moeglich ist, dem Rest der Stadt GANZ den Mittelfinger zu zweigen. Mir kommt es vor, als waere der Charme von Essen-Werden in die USA transferiert worden. Gemuetliche Strassencafes und teure Boutiquen runden das Bild ab. Meine zweite Wasserflasche ist laengst leer. Ich bereue diesen Ausflug keinen Meter. Hinter der 37. Strasse beginnt die "Georgetown-University", eine Campus-Uni wie im Nichts. Ein grosses Schloss, ein Mittelpunkt, ein so Respekt einfloessendes, dass hier Szenen fuer "Der Exorzist" (wirklich!) gedreht wurden. Aber eine fantastische Studiatmosphaere. Ich lege mich mitten in die Sonnenhungrigen auf eine Wiese, als gehoerte ich dazu. Diese Momente sauge ich nicht auf. Ich injiziere sie. Es ist der Wahnsinn.

Doch um 15.30 Uhr ist die Zeit gekommen, mich auf den Heimweg zu begeben. Endgueltig. Die 26 Querstrassen zurueck gehe ich in einem schnelleren Tempo - eine Zwiebelsuppe von einem Stand am Strassenrand hat mir die noetige Popeye-Power verpasst. Noch einmal Gedanken ueber DC. Es gibt Washington downtown, mit Regierungsgebaeuden, den Museen, dem grossen Potomac Park. Und dann gibt es jeweils zwei Stadtteile, die rausfallen. Adams-Morgan und Georgetown positiv; Anascostia und Southeast negativ. Ist das so simpel? Da waere noch Shaw, eine Gebiet zwischen der 14. und 15. Strasse (also gar nicht so weit von der Herberge weg, ich war dort aber nicht). Dort gab es in den 60-ern, vor allem nach der Ermordung Martin Luther Kings, die groessten Rassenunruhen. Heute ist dieser Teil tagsueber wohl einigermassen begehbar, abends aber ein Rotlichtviertel. Ein Zwischending? Washington ist eine seltsame Stadt. Ich bleibe dabei.

Das Wetter geniesse ich sehr, meine Stimmung erst recht, sie weicht langsam der letzten, finalen Trauerphase. Die "Virginia-Jetzt!"-CD hoere ich ein drittes Mal. Das ist fast schon traenenruehrend. Der Rest ist mittlerweile Routine. Eine Urlaubsroutine, die ich ab sofort abstellen muss. Kinko's, Tagebuch, Planung fuer morgen. Und dann Rucksack packen. Es war mein interaktivster Urlaub, eine in allen Bereichen (wirklich in allen!) voellig neue Form des Reisens fuer mich. Mit Euren Mails, den Reaktionen, den Gaestebuch-Eintraegen habt auch Ihr einen grossen Anteil daran, dass die 18 Tage einen grossen Platz in meinem Andi-Herzen gefunden haben. Der groesste Dank gilt meinem Bruder Thommy, der mir am meisten geholfen hat - in allem. Seid mir nicht boese, das liegt nicht an Euch; aber wenn ich koennte, wuerde ich gern noch drei Wochen weiterreisen, und nicht meinen letzten Eintrag aus dem Flugzeug heraus formulieren muessen.
Der fast schon zu schoene letzte Tag klingt bei "Tai-Shan" mit "Sweet Sour Chicken" aus. Als ich das Restaurant verlasse, beginnt instrumentale Musik. Aber nicht "The final countdown". Sondern "Time to say goodbye".

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Freitag, 24. September 2004 (zum Foto-Tagebuch Washington geht es HIER )

Tag 19: Washington D.C. -> Amsterdam

Am Flughafen...Naaaabend! Andi und John Lennon am Flughafen!

DAS GANZ NORMALE LEBEN

"10.000 Meter über dem Meer", zeigt der kleine Bildschirm direkt über mir an. 10.100 sogar. 888 km/h ist die Boeing 737-300 schnell, eigentlich ein Grund, einen Schnaps zu trinken, aber nee... Außentemperatur -40 Grad. Gleich kommt "Jersey girl". Mit Liv Tyler. Kenn ich gar nicht. Ich will pennen. Tag 19. Im Flugzeug.

Nö, ich steh nicht auf. Ich lass den Wecker klingeln, von heute 7.15 Uhr bis morgen 7.15 Uhr, und dann weiter, bis die Batterien leer sind. Nö, ich will nicht raus, weg, bäääh. Ich steh nicht auf. Ich bleibe hier, wandere aus. Bauchgrummeln habe ich sowieso schon. Was passiert, wenn du gar nicht erst in Dulles ankommst? Wenn du den Flieger verpasst? Was mache ich dann? Und wenn der Flieger abstürzt!?! Aaaaaaaaaah! Na gut, stehe ich halt doch auf. Aber meinen Muffin würge ich nur unter größter Mühe meinen Rachenschlund hinunter. Der O-Saft will auch nicht wirklich munden.

Noch anderthalb Stunden bis 11 Uhr, anderthalb Stunden bis Check-Out-Ultimo. Vorher renne ich noch zu "Kinko's", von der 11. bis in die 16. Straße, nehme Abschied von allem dazwischen (kurz), tippe in Rekordzeit Eintrag Nummer 18 ab, denke sehnsüchtig an Georgetown zurück, all die anderen schönen Orte der letzten 18 Tage (alles im Schnelldurchgang), jogge zurück. Zähne putzen, den ganzen Rest in den Rucksack rein. Raus. 10.55 Uhr. 6:55 Stunden bis zum Abheben.

Man, noch so lange Zeit, was machst du dir Sorgen, Andi? Nun ja, meinen Weg nach Dulles halte ich für nicht ganz unkompliziert (hui, mittlerweile - Anmerkung der Andi-Redaktion - ists draußen dunkel, und Ellen - die hübsche Stewardess, serviert das Abendessen; das aber nur zwischendurch). Es gibt zwei Möglichkeiten, von DC downtown zum 42 Kilometer, im Staat Virginia liegenden Flughafen Dulles International Airport zu gelangen. Mit dem Taxi oder einem ähnlichen Shuttle ist es leicht, aber sehr teuer (ab 22 Dollar aufwärts). Mit dem ÖPNV, teilte man mir vorgestern in der Herberge mit, sinds nur unschlagbare fünf Dollar. Bis zum Schluss lasse ich mir Zeit, überlege, ob ich nicht auf dem Weg zur Metrostation "Metro Center" ein Taxi anhalten soll. "Some of my friends", sagt jemand vor dem Hotel, "rent in New York on the last day a limousine, to feel like kings." Nee, bin auch noch nicht U-Bahn gefahren in DC; also trau ich mich. Nur 1,35 Dollar kostet das Ticket von "Metro Center" bis zur Umsteigestation "Rosslyn". Ich ziehe es am Automaten, geschenkt. Auch in DC sind die Bahnen silbermetallic (echt überall hier!), und wie in Philly sind die Bahnhöfe hier sehr neu, modern, gepflegt - wie es sich für eine repräsentierende Hauptstadt gehört. In "Rosslyn" gehts raus. Die Bushaltestellen sind direkt am Metro-Ausgang. 5A, 5A, 5A... aaaaah ja, da! Noch 20 Minuten warten. Ein netter Herr neben mir verrät den Fahrpreis. 3 Dollar! Macht zusammen 4,35 statt mindestens 22... und das für eine halbe Stunde mehr Zeit. Das ist ja mal wirklich klasse und ein vortreffliches Beispiel dafür, was Insider-Tipps alles ausmachen.

Der Bus kommt verspätet. Als er um die Ecke biegt, weiß ich warum. Er ist voll. Voll mit Menschen, die in Dulles arbeiten, mit Reisenden, Koffern. Ein stinknormaler Linienbus, ohne Extragepäckklappen. Ich quetsche mich dazwischen, und die 45 Minuten sind unschlagbar anstrengend. In jeder Kurve fürchte ich um mein Leben. 12.50 Uhr, in Dulles, spüre ich meinen Puls kaum noch. Aber okay, der Preis war eben sensationell. Prima, bei KLM kann ich sofort einchecken. Gesagt, getan, und so stehe ich um 13.22 Uhr vor meinem gewünschten Gate B19. Fast vier Stunden zu früh. "Manchmal frag ich mich: Wer bin ich hier? Was mache ich hier? Und wofür?", fragen "Virginia Jetzt!". Wieder die. Irgendwie habe ich diese CD noch nicht satt gehört. Und irgendwie frage ich mich...

Es geht ans Kleingeld verbraten. Ich hole fünf Quarterdollarstücke (25 Cent) und zwölf Dimes (10 Cent) heraus. Das reicht für einen Doppelcheeseburger bei Burger King. "Es ist das ganz normale Leben", geht es in dem gleichnamigen Song weiter. Ich vertreibe mir mit Spazieren gehen die Zeit. Es ist familiär, ja fast still im ganzen B-Gate. Keine Spur von einem der größten Luftdrehkreuze der USA. Um 15.30 Uhr schnappe ich mir meine Uhren und stelle sie vor. Ab sofort habe ich abends. 21.30 Uhr. Ging aber schnell.

Und nun hocke ich im Flieger, habe gerade eben die eher durchschnittlichen Pasta verspiesen - man, war ich hungrig - und bin eben auf dem Weg zurück ins ganz normale Leben. In 4:20 Stunden landen wir in Amsterdam. Ich bemühe mich, bis dahin ein klein wenig zu schlafen, damit ich den morgigen Tag überstehe. Jetzt schnappe ich mir die Decke von KLM und drehe mich in aller Enge um.

Gute Nacht!

Anmerkung: Dieser Text entstand tatsächlich im Flugzeug, wurde aber (unschwer zu erkennen) auf einer deutschen Tastatur abgetippt.

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Samstag, 25. September 2004 (zum Foto-Tagebuch Washington geht es HIER )

Tag 20: Amsterdam -> Düsseldorf

TIEF IM WESTEN...

... wo die Sonne verstaubt, ist es besser-her... Guten Morgen vom Flughafen Schiphol im Amsterdam. Dieser Tag wird einer der größten Herausforderungen meines Lebens.

Für sechs Euro und fünf Euro-Cent habe ich hier grad gefrühstückt. "Have you five cent?", hat mich die Bedienung gefragt, als ich mit einem Zehner bezahlte. "Only US", musste ich antworten. Aber die zählen ja nicht mehr.

Wie der Flug hierhin zu Ende gegangen ist? Schlecht. Zweieinhalb Stunden habe ich im Wachkoma alias Dreiviertelschlaf verbracht. Das hatte vor allem damit zu tun, dass der Flug 45 Minuten schneller als geplant eintraf. Nicht 7:55 Stunden, sondern 7:15 Stunden brauchte der Pilot nur, um uns an die europäische Küste zu lenken. Die ersten drei Stunden im Flieger konnte ich ohnehin nicht schlafen, weil mein Körper zwischen 17 und 20 Uhr hatte. Und wenn ich den Tag über nicht bei 30 Grad Massen an Kilometern zurückgelegt habe, dann rührt sich mein Schlafometer nicht im Geringsten. Dann folgte die Wachkomaphase... und anschließend waren wir schon über Irland. Die Sitze waren wirklich sehr, sehr eng. Da mein Nebenmann auch noch meine Maße hatte, hinderten wir uns gegenseitig am Schlafen. Mit einem freundlichen Händedruck verabschiedeten wir uns trotzdem. Selbstverständlich. "Have a good day, buddy", hat er zu mir gesagt. Arrival Amsterdam 6.15 Uhr. Next departure 9.50 Uhr. Wieder dreieinhalb Stunden an einem Flughafen abhängen. Zwei Möglichkeiten boten sich mir: Entweder ein ruhiges Plätzchen suchen und zwei Stunden knacken, oder Zeit vertreiben. Na, wenn ich jetzt pennen gehe, dann ist der Tag im Arsch. Zudem: zu gefährlich. Also sitze ich hier nun im Flughafen-Cafe, und ärgere mich über die bezahlte Summe für das Mini-Frühstück (ein Kakao, ein großes Baguette).

Ich denke über "Shrek 2" nach, den ich auf Englisch (Hinflug) und nun auch auf Niederländisch (Rückflug) gesehen habe - und bloß nicht darüber, wie spät es gerade für meinen Körper ist. Ich glaub, auf Deutsch guck ich mir "Shrek 2" auch noch an. Eine Viertelstunde im World-Wide-Web sind mir drei Euro wert, während es draußen ganz langsam hell wird. Ich schlendere durch die Gates von Schiphol, spritze mir Tonnen an Wasser ins Gesicht, immer wieder, schreibe in dieses Tagebuch, lese die Schlagzeilen von deutschen Zeitungen - BILD befasst sich mit Roberto Blancos Ehe (hab also doch nix verpasst in den letzten drei Wochen) - und höre Musik. Was man eben so macht, um nicht schlafen zu müssen. Noch sieben Stunden, dann werde ich "Tief im Westen" im Stadion hören! Ich glaub, für die Ablenkung an diesem Nachmittag werde ich dem VfL ewig dankbar sein.

Eins stelle ich jetzt schon fest: Ich vermisse die USA, weil dort so wenig geraucht werden darf!! Und natürlich aufgrund des Wetters. Meine Bräune, die ich glaube, in den Washingtoner Tagen gesammelt zu haben, ist mit dem Wiedereintritt nach Europa wie weggeblasen. Hier ist Herbst. Alle tragen Jacken. Und ich nur ein T-Shirt. 8.05 Uhr, eyyyyyy, immer noch fast zwei Stunden. Ich glaub, ich schlendere jetzt ein bisschen weiter. Und melde mich aus dem letzten Flieger nochmal.

Yööö, und da bin ich jetzt, nachdem ich mein drittes Frühstück hinter mich gebracht habe, eins im ersten Flieger, eins am Flughafen und nun dieses im KLM-Cityhopper. Dieser letzte Flug nach Düsseldorf ist der routinierteste. Jetzt will ich einfach nur noch ankommen. Meinen toten Punkt habe ich überwunden, dank Discman ging die Zeit in Schiphol recht schnell zu Ende. Leider hat der Flug 20 Minuten Verspätung, weil die Maschine um eine Person überbucht war. Nachdem KLM dem einen, der freiwillig abspringt, 50 Euro Cash versprach, nur damit er anderthalb Stunden später fliegt, gab es einen wahren Ansturm... Ich war nicht dabei. Der VfL spielt ja. Außerdem warten ja in Düsseldorf meine Abholer.

Jetzt verabschiede ich mich endgültig. Mit dem längsten und doch kürzesten Tag. Mit der letzten Neuerung in diesem Urlaub der Neuerungen. Jetzt packe ich dieses Büchlein zurück in meine Umhängetasche, dorthin, wo es drei Wochen lag, und mich immer begleitete. In Mülheim werde ich keinen Buchstaben mehr verewigen.

Sondern mich nur noch an diese 20 schönen Tage erinnern.

Anmerkung: Dieser Text entstand tatsächlich am Flughafen Schiphol und im Flugzeug, wurde aber (unschwer zu erkennen) auf einer deutschen Tastatur abgetippt.

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Diese Seite wurde zuletzt geändert am 13.10.2004
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