KONZERTE - Fortsetzung - Juni 2003 bis März 2004
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Fackeln im Hallenlicht!

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Musik:
In meinem Israel-Tagebuch vom September 1999 vermerkte ich es erstmals: „Ich habe nach vier noten-, rhythmus- und bass-freien Tagen erst einmal gemerkt, wie sehr ich die Musik brauche.“ Dem ist nichts hinzuzufügen. 350 (selbst gekaufte! Ja, ich bin trotz Brenner so bescheuert) CD´s im Schrank können nicht lügen. Ich bin MUSIKSÜCHTIG! Irgendwas dudelt immer im Hintergrund, ob CD, Radio, Kassette oder VIVA (eigentlich VIVA 2, aber das wurde abgeschafft. DIE SCHWEINE!)
Meine Vorlieben erstrecken auf sich auf alle Formen der „alternativen“ Musik, vom guten alten Rock über Punk bis Independent-Zeug.
Was aktuell bei mir angesagt ist, könnt ihr meinen „Top Five“ unter „Aktuelles“ entnehmen.
Meine CD des Jahres 2001 war eindeutig „JJ 72“ von der gleichnamigen Band. Ansonsten verfolge ich den Weg von „World Party“ und „K´s Choice“ ganz besonders. Aber das hat eigentlich nichts zu sagen – ich bin kein „Fan“ von irgendeiner Band. Ich mag Bands mit hinter- und tiefgründigen Texten, die mehr zu bieten haben als nur bass-lastige Scheiße oder „Komm hol Dein Lasso raus“-Gekreische. Ich mag Gitarren-Songs, die von guten Stimmen untermalt sind. Techno-Stücke krame ich nur in ausgewählten Momenten hervor, wenn sowieso schon alles zu spät ist und mein Gehirn schon weich genug ist... Also ich würd zum Beispiel nie auf die Love Parade gehen. Wenn Ihr Wiglaf Droste und Co. gut zugehört habt und 1 und 1 zusammenzählen könnt, dann wisst Ihr warum!

Meine letzten Konzerte (ab 1997) waren folgende:

1997:
Wolfgang Petry - Januar 1997, Grugahalle Essen (ja, wirklich! Direkt in der 1. Reihe! Kultig!)
Element of Crime - März 1997, Zeche Bochum
Fury in the Slaughterhouse – Mai 1997, Arena Oberhausen
Herbert Grönemeyer – Juni 1997, Ruhrstadion Bochum
1998:
Fury in the Slaughterhouse – November 1998, T-Club Turbinenhalle Oberhausen
1999:
Element of Crime - Mai 1999, Kulturfabrik Krefeld
2000:
The Smashing Pumpkins – September 2000, Arena Oberhausen
Britney Spears – Oktober 2000, Westfalenhalle Dortmund
K´s Choice (Vorband: Novastar) – Oktober 2000, Live Music Hall Köln
The Corrs, David Gray – 9. November 2000, Philipshalle Düsseldorf
Olaf Henning ich lege Wert auf die Ergänzung: FÜR DIE WAZ!!! - 15. Dezember 2000, Ruhr-Sporthalle Mülheim
Fury in the Slaughterhouse – 17. Dezember 2000, Turbinenhalle Oberhausen
2001:
Seeed - Mai 2001, Sommerfest, Universität Essen
ROCK AM RING – Pfingsten (Juni) 2001 (u.a. mit Limp Bizkit, JJ 72, K´s Choice, HIM, Manic Street Preachers, A-ha, Alanis Morissette, Die Söhne Mannheims, Reamonn, Kid Rock u.v.a.)
AC/DC, Die Toten Hosen – August 2001, Müngersdorfer Stadion Köln
Travis (Vorband: Turin Brakes) – November 2001, Philipshalle Düsseldorf
2002:
Element of Crime (Vorband: Tomte) - 19. März 2002, Zeche Bochum
Die Toten Hosen (Vorband: Dover) - 26. April 2002, Westfalenhalle Dortmund
Fury in the Slaughterhouse (Vorband: Sonnit) - 5. Mai 2002, Westfalenhalle 2, Dortmund
Heather Nova - 4. Juni 2002, Amphitheater Gelsenkirchen
Heather Nova, Joy Denalane, Donots - 14. Juni 2002, MTV-Campus-Invasion, Universität Essen
Liquido, Overproof Soundsystem - 21. Juni 2002, Uni-Sommerfest, Universität Essen
Fury in the Slaughterhouse (Vorband: Gallop) - 22. November 2002, Grugahalle Essen
Die Toten Hosen (Vorband: The Briefs) - 22. Dezember 2002, Arena Oberhausen
2003:
Kettcar (Vorband: Sometree) - 13. Januar 2003, Zakk Düsseldorf
Die Ärzte - 4. März 2003, Kulturfabrik Krefeld
Tom Liwa - 13. März 2003, Ringlokschuppen Mülheim
Coldplay (Vorband: Feeder) - 3. April 2003, Philipshalle Düsseldorf
Herbert Grönemeyer - 10. Mai 2003, Ruhrstadion Bochum
Rock am Ring - Pfingsten (8./9.6.) 2003 (mit Metallica, Marilyn Manson, Moby, Deftones, Queens of the Stone Age, Disturbed)
Wiglaf Droste und das Spardosenterzett - 17. Juni 2003, Bar jeder Vernunft, Berlin
Mia, Kettcar, Blackmail, Mambo Kurt - 20. Juni 2003, Uni-Sommerfest, Universität Essen
Die Happy, Sincere - 11. Juli 2003, Essen.Original, Kennedyplatz Essen
Castle Rock 4 - 12. Juli 2003, Schloss Broich, Mülheim (mit Subway to Sally, The Crüxshadows, Secret Discovery)
Red Hot Chili Peppers (Vorband: The Distillers) - 21. August 2003, Landschaftspark Nord, Duisburg
Die Ärzte (Vorband: Fettes Brot) - 14. Dezember 2003, Arena Oberhausen
Helge Schneider - 20. Dezember 2003, Stadthalle Mülheim
2004:
Wir sind Helden (Vorband: Franz Ferdinand) - 11. März 2004, Philipshalle Düsseldorf
Virginia Jetzt! (Vorband: Subterfuge) - 19. Oktober 2004, KKC, Uni Essen
Die Fantastischen Vier (Vorband: Clueso) - 8. Dezember 2004, Arena Oberhausen
Helge Schneider - 18. Dezember 2004, Stadthalle Mülheim
Sportfreunde Stiller (Vorband: Ash) - 21. Dezember 2004, Philipshalle Düsseldorf
2005:
Jimmy Eat World - 28. Februar 2005, Soundgarden Dortmund
The Dresden Dolls - 5. März 2005, Gebäude 9 Köln
Kettcar (Vorband: Miss Antarctica) - 30. März 2005, JZE Essen
Tocotronic (Vorband: La Grand Illusion)  - 2. April 2005, Zakk Düsseldorf
Farin Urlaub Racing Team - 21. Mai 2005, Philipshalle Düsseldorf
Rock am Ring - 3. bis 5. Juni 2005, Nürburgring
--- mit REM, Green Day, Adam Green, Kettcar, Tomte, Tocotronic, Mando Diao, Die Toten Hosen, The Hives, Wir sind Helden, Iron Maiden, Velvet Revolver, Maroon 5, Billy Idol, Incubus, Madsen, Feeder, Mardo, World Leader Pretend ---
New Model Army - 1. Oktober 2005, Mercury Lounge (New York)
Mambo Kurt - 29. Oktober 2005, Schifferhaus Mülheim
Helge Schneider - 17. Dezember 2005, Stadthalle Mülheim
2006:
Element of Crime (Vorband: Home of the Lame) - 19. März 2006, Palladium Köln
Rock am Ring - 2. bis 4. Juni 2006, Nürburgring
--- mit Metallica, Guns N'Roses, Depeche Mode, Placebo, Kaiser Chiefs, Franz Ferdinand, Sportfreunde Stiller, Reamonn, The Darkness, The Dresden Dolls, Kaizers Orchestra, Corinne Bailey Rae, Tomte, Paul Weller, David Gray, Morrissey, Nelly Furtado, Jamiroquai, Bela B. ---
The Strokes (Vorband: Eagles of Death Metal) - 26. Juni 2006, Palladium Köln
Die Ärzte - 31. Dezember 2006, Rhein-Energie-Stadion Köln
2007:
Jan Plewka - 27. Januar 2007, Ringlokschuppen Mülheim
Foo Fighters (Vorband: Sportfreunde Stiller) - 28. Oktober 2007, Arena Oberhausen
Die Ärzte - 16. November 2007, Westfalenhalle Dortmund
Sarah Bettens - 8. Dezember 2007, Pulp Duisburg
2008:
Jan Plewka - 28. Februar 2008, Grillo-Theater Essen
Bruce Springsteen - 16. Juni 2008, LTU-Arena Düsseldorf
Farin Urlaub - 20. November 2008, Philipshalle Düsseldorf
Die Toten Hosen (Vorband: Madsen) - 8. Dezember 2008, Westfalenhalle Dortmund
2009:
Franz Ferdinand - 4. Februar 2009, Kulturkirche Köln
Bloc Party - 17. Februar 2009, Palladium Köln
The Killers (Vorband: Louis XIV.) - 13. März 2009, Philipshalle Düsseldorf

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Rock am Ring (u.a. Metallica, Marilyn Manson, Moby) - 8./9. Juni 2003 - Nürburgring

Ring-Romantik Ring-Romantik...

Stars of the dope show
 
Marilyn Manson Metallica Moby
Marilyn Manson (20.10-21.35 Uhr): sehr gut Metallica (22.15-0.35 Uhr): Mutter aller Konzerte Moby (0.40-1.45 Uhr): unglaubliche Spitzenklasse
Disturbed Queens of the Stone Age Deftones
ZUVOR: Disturbed (15.55-16.35 Uhr) ZUVOR: Queens of the Stone Age (17.05-17.50 Uhr) ZUVOR: Deftones (18.25-19.30 Uhr)

ZUM 1. TEIL: DAS DRUMHERUM, mit Festival-ABC und weiteren Fotos !!!

Puck, die StubenfliegePuck, die Stubenfliege

- Der Bericht
- Der Tag
- Die Playlist

Schau an, der Zander!!! Ein geileres Foto von Zander gibt´s auf der "Drumherum"-Seite!!!

DER BERICHT:

"Helgaaaaaaaaaaa!!!", dröhnts noch in meinem Ohr. Verzweifelt ringen meine Gehirnzellen miteinander, um noch ein paar Songnamen rauszupressen, die sie vernahmen, an diesem schwül-warmen Sommerabend. Und immer wieder diese Stimmen. "Helgaaaa!!!!" "Das ist so bei Festivals", beruhigt mich Zander, und ZACK melden sich meine Gehirnzellen zu Wort. Mist. Kein Songtitel. Aber 2001 war das auch schon so mit Helgaaaaa!
Aber wer ist Helga?
Stopp. Halt. Rotes Schild mit weißen Buchstaben. Weißer Kreidestrich davor. Wenn da nicht alle vier Räder stehen, biste durch die Fahrprüfung gerauscht. Euer privat-persönliches "Stopp"-Zeichen ist jetzt mein Bildschirm, denn lasst mich das loswerden, was mir seit meiner Rückkehr von "Rock am Ring 2003" auf der Seele liegt. Eine kleine Geschichte, eine kleine Reportage, ein kleiner Bericht. Schenkt mir ein paar Minuten Eurer Aufmerksamkeit.

Und nun sitze ich also im Bus, stütze mein Kinn wie so oft in die Innenseite meiner rechten Hand und starre wie paralysiert aus dem Fenster. Oh man ist das hell. Das wird wohl ein Dauergeblinzel. Nee, Sonnenbrille auf, dann wirds doch gleich angenehmer. "Tut mir leid, die Klimaanlage ist kaputt", frohlockt der Busfahrer, und mein Kinn rutscht auf die Kante der Fensterbank. Ganz schön schweißsiffig, meine Hand. Mensch, das sind mindestens 58 Grad in diesem verdammten Bus. Und im Radio zupft Suzanne Vega ganz sanft an ihren Gitarrensaiten und haucht "My name is Luca, I live on the second floor. I live upstairs from you. Yes I think you´ve seen me before!" durch die Lautsprecher mitten in die Hitze. Das T-Shirt versinkt im Schweiß, mein Kopf lehnt am Fenster, die Augen (Hitze macht müde) schließen sich langsam.
Auf der A61 fliegen die blauen Autobahnschilder an mir vorbei. Richtung Bad Neuenahr-Ahrweiler geht´s, dann noch ein Autobahnkreuz für den Weg Richtung Trier. Oder war´s Saarbrücken. Noch ein paar Kilometer, dann wartet der Nürburgring. Ansonsten fahren Schumi eins und zwei dort um die Formel-1-Weltmeisterschaft, doch über die Pfingsttage trifft sich die Jugend der Welt, um Rockbands zuzuhören. Zwei Jahre ist es her, als ich schon einmal die Wiesen der riesengroßen Zeltanlagen mit meiner Anwesenheit beehrte. Jetzt noch einmal die Augen schließen? Und dran denken? Nein. Vergangenheit ist Vergangenheit, Gegenwart ist Gegenwart, und in Gedanken habe ich schon soviel Geld ins Phrasenschwein eingezahlt, dass ich davon einen Vier-Wochen-Urlaub in der Karibik bezahlen könnte. Die 2001-Stimmung behalte ich für mich. Für melancholische Momente in der Einsamkeit.
Meistens im Herbst. Im Winter. Warmer Kakao. Kerzenschein. Verdammte Scheiße ist das HEISS in diesem Bus. Ach so, kein Winter, auf gar keinen Fall, Sommer ist´s. Nürburgring noch neun Kilometer, verrät das Schild, und die ersten Zelte tauchen am Straßenrand auf. Es kommt wieder, dieses Festival-Gefühl. Und auch die Schmerzen sind da, die ich fühlte, als ich an vergangenen beiden Tagen zwischen 0 und 3 Uhr vor dem Fernsehgerät saß und in West 3 den grandiosen Auftritten von Iron Maiden, The Hives, Dave Gahan, Zwan und natürlich Placebo zusah. Ich will auch hin, dachte ich, blickte auf meine Eintrittskarte und wusste: Noch 15 Stunden!
Nein, es ist richtig, dass Du nur einen Tag fährst. Es ist das Körpergefühl, das nicht zu beschreibende, das mir sagt: Diesmal nur anderthalb Tage im Zeichen des Rings. Nicht schon wieder vier Tage voller Strapazen. Tribüne D10. "Hallo Zander! Bin da! Wo muss ich hin?" "Da, wo wir vor zwei Jahren auch waren!" Zander, Mit-Abiturient 1997, guter Freund, Urlaubskumpel der unvergesslichen Mallorca- und Zell-am-Gerät-Trips und derjenige mit dem besten Musikgeschmack in meiner näheren Umgebung (mein Bruder mal ausgenommen, aber der gehört ja zur Familie). Zander ist also da. Hat mich per sms an den letzten Tagen über den Stand der Dinge informiert. Über das heiße Wetter, den laufenden Alkohol, die Reisegruppe. Kurz vorgestellt... "Hallo, ich bin Andi!" Die Namen fliegen mir um die Ohren. Ich kenn nur Jenny, auch von 2001. "Wenn Du Dir die anderen Namen alle gemerkt hast, dann Hut ab!" Nee, keine Chance. Schlafsack ins Zelt, auf die Straße klettern und schauen.
Nach links. Nach rechts. Zelt neben Zelt. Und HOPPLA, Leiche neben Leiche. Das ist sehr krass. Es gibt drei Arten von Leichen. 1. Die Alkohol-Leichen, 2. Die Sommerwetter-Leichen, 3. Die beides-Leichen, die wirklich halbtot sind und in ein Krankenhaus gehören. Es ist ein erschreckendes Bild. Und doch werden alle zu Hause von einem tollen Wochenende berichten. Und die Worte "heavy" und "krass" fallen vermehrt. 75.000 Menschen, oder sogar 100.000 auf einem Fleck. Vier Tage lang. Ich fühle mich, als geriete ich in eine fremde Stadt, ins Ausland. Obwohl sich Zelt an Zelt reiht, und keiner den anderen kennt, entsteht ein Gemeinschaftsgefühl. Ein nur schwer in Worte zu fassendes. Wer zu spät kommt, den bestraft undsoweiter undsoweiter. Das Publikum ist jünger geworden. Ich glaub einige von den Leuten sind noch nicht einmal in der Oberstufe - und doch schon völlig zu. Der Musikfestival-Geruch liegt in der Luft. Eine schon viel zitierte Mischung aus Amsterdamer Coffee-Shops (Joints), Alkohol (die volle Palette, von Bier bis Strohrum), Urin und Kotze. Dazu noch die zahlreichen Lagerfeuer. Im Hintergrund Musik aus Tausenden von Kasi-Toastern. Erinnert Ihr Euch an den Typen aus "TV Total", der gleichzeitig pisst und kotzt? So einen hab ich gesehen, fast direkt auf der Straße. Das ist so schäbig, dass ich schmunzeln muss. Oh ja, Du hast mir gefehlt, Du Festival. Ich bin wieder der einzige, der sich nicht berauscht. Ich könnte es SCHWÖREN!!! Es scheint ein Ritual für 98 Prozent aller Besucher zu sein. Ein Ritual für die Jugendlichen, ein Ritual für die jungen Erwachsenen. Na klar, ihre Lieblingsmusik wird gespielt, aber einmal aus der Rolle, für vier Tage lang keinen Aufpasser spüren, ob es Lehrer, Eltern oder die Bosse im Betrieb oder Büro sind. Vier Tage lang berauschen, daneben benehmen, alles tun, was sonst verboten ist. Soziologen wie ich haben einen Riesenspaß daran. An den Ursachen und Gründen, warum ein Musikfestival bestens dazu geeignet ist, sich "die Hörner abzustoßen".
Es ist 14 Uhr. Zehn Minuten gönne ich mir den Ausblick, bis ein Wagen vorfährt, mit einem Typen mit Megaphon. "Zelte absichern, weil Unwetterwarnung", sind die Worte, die meine Ohren erreichen. Na prima. Kaum da, direkt Unwetter. Nee, noch sind die schwarzen Wolken weit entfernt. Ein Platz im Campingstuhl ist frei. Schnell hingesetzt, neben John und "Jazzman" (Jessica), die scheinbar ein Teil unserer Gruppe sind. Und total fertig. Jazzman ist heiser, John hört deutschen HipHop. Dann setzt sich irgendein Typ zu uns. Einer, der so zu ist, dass er seinen Namen nicht mehr weiß. Er kommt scheinbar aus Schleswig-Holstein, der Dialekt verrät ihn. Spielt Didgeridoo, und nervt. "Zander, lass uns gehen."
Ein holpriger Start. Der noch holpriger wird, als ich meine Eintrittskarte in ein festivalobligatorisches Armbändchen umtauschen möchte. 99 Euro hat die Karte gekostet, doch kurzfristig wurden Tagestickets für 60 Euro angeboten. Doch kriege ich die 39 Euro erstattet? Nee. Was für ein Beschiss! Drauf aufs Gelände, auf den Schock erstmal was für die Gesundheit tun, ne gefüllte Festivalpizza und ein Crepe mit Vanillepudding bestellen. Dann noch den Geldbeutel leeren, einen Kapuzenpulli holen, und sich ärgern: Boaaah, bei 35 Grad mit Pulli rumlaufen? Aber Petrus hilft. Der Himmel verdunkelt, und ZACK, ein Gewitterschauer jagt den nächsten. Soviel zum Thema holprig. Die ersten drei Bands "Disturbed", "Queens of the Stone Age" und "Deftones" von 16 bis 19.30 Uhr bekommen wir nur am Rande mit. Mal stört das Gewitter, mal fallen die Mikrofone aus, der Sound ist sowieso ziemlich mies. Was hängen bleibt? Drei Bands, von denen ich nicht viel mehr bemerkt habe als sinnloses auf den Musikinstrumenten Herumgekloppe. Nicht mein Ding.
Es wird voller. "Das ist wohl der Zoo-Effekt!", ulkt Zander. Das erste Highlight steht an. Oh Mist, es wird wieder heller. Das bedeutet zwar wieder einen Temperaturanstieg und doch schockt Marilyn Manson wohl nur im Dunklen. Erwarte nicht viel von der knapp anderthalbstündigen Show. Einfach mal angucken. Und doch stelle ich nach kurzer Zeit schon fest: Es ist gut. Marilyn Manson. Der Mann, der schocken will, der provozieren will. Der auf einem seiner CD-Cover als Jesus am Kreuz hängt. Er läuft weiß geschminkt über die Bühne. Tritt als Micky Maus vor die Kanzel. Lässt seine Tänzerinnen mit gewagten Kleidern räkeln. Der Mann, dem das Schul-Massaker von Littleton angekreidet wurde, weil die Täter nur seine Musik hörten. Der Mann, der deshalb bei "Bowling for Columbine" auftrat. Sein Name? Eine Mischung aus Marilyn Monroe und Charles Manson, den gegensätzlichen Symbolen für die USA. Viel habe ich über Manson gelesen, und doch trifft ihn nichts wirklich. Mal ist er ein "leicht depressiver junger Mann", dann sind seine Platten durchzogen von einem "futuristischen und nihilistischen Trend", dann sind sie "doch von Leidenschaft dominiert, intelligent, dynamisch und doch mit vielen Facetten." Dann ist die Band auch mal wieder eine "Kabarett-Attraktion der Hölle, deren optische Splatter-Maskerade zur Karikatur dient" und die "Industrial-Metal-Apocalypse" bietet mit "diabolischer Düsternis und trotzdem viel Musikalität." Die einen halten Manson für einen "Clown", die anderen sehen den "künstlerischen Anspruch". Einmal Marilyn Manson sehen. Es überzeugt. Es schockt nicht. Und ich bin mir doch nicht sicher, wie es bei einem Großteil seiner jungen Fans ankommt. Provokation?
"We´re all stars now in the dope show",
singt er und charakterisiert damit die ganze große Menge, die sich vor ihm erhebt und die Hände zum Applaus in die Höhe reckt. Dann noch "Rock is dead".
"Rock is deader than dead, shock is all in your head, your sex and your dope is all that we fed, so fuck all your protests and put them to bed. God is in the tv."
Und das bei "Rock am Ring".
Es ist eine nette Vorspeise, aber nicht mehr. Die Menge wird unruhig. Drückt von hinten nach. Die Sekunden vergehen langsamer und langsamer. 22 Uhr und eine Sekunde... zwei... drei... noch ne Viertelstunde warten, kein Regen mehr, kein Durst mehr, kein Hunger, ich will nur noch die Jungs sehen. Die Ikonen des Heavy Metal. Die WAHREN Ikonen des Heavy Metal. Alice Cooper, Iron Maiden, Manowar, Megadeath, Iron Maiden oder Motorhead waren zwar eher da, sind aber doch nicht mit Metallica zu vergleichen, den Jungs aus San Francisco. Mit der 1983er-Scheibe "Kill 'em all" schockten die Vier die harte Gitarrenwelt. Die erste brutal harte Metal-CD der Geschichte, mit "hyperschnellen Maschinengewehr-Riffs, kreischende Highspeed-Soli, filigranen Monsterbaßläufe, Drum-Gepolter, das jeder Großbaustelle lärmtechnisch den Rang abläuft." So heißt es in einer Rezension. Es folgten weitere Alben, Klassiker wie "Master of puppets" und "... and justice for all" und zu einer 60-minütigen Hymne wurde das schwarze Album, das schlicht "Metallica" heißt. Es verlieh einer ganzen Generation, nämlich der meinigen, einen Schimmer Hoffnung und bereicherte das Leben. Keine Kinder-Musik mehr wie von den Ärzten oder den Hosen, die zwar auch wichtig ist und mich immer begleiten wird, nein, wer einmal "Nothing else matters" oder "The Unforgiven" hört, der weiß, wie toll Musik sein kann.
Metallica fehlen mir noch in der Liste. Der einzig wahre Headliner, den ein Musikfestival haben kann. Als Kirk Hemmett, Lars Ulrich, der neue Gitarrist Rob (heißt er so?) und der unvergleichliche Sänger James Hetfield die Bühne entern, gibt es kein Halten mehr. Zwei Stunden lang fegen die Jungs über die Bühne, rocken, was das Zeug, bieten eine Wahnsinns-Show. Massen an Leuten bewegen 120 Minuten ihre Köpfe headbangend mit 200 km/h auf und ab. Die haben bestimmt in zwei Jahren noch Kopfschmerzen und Schwindelanfälle. Mir wird schon nach 10 Sekunden übel. Egal. Das ist kein Vergleich zu allem, was ich bisher gesehen habe. Obwohl die vier Jungs nur ganz alte und ganz neue Songs spielen. Die Mainstream-Phase in den 90ern, mit den hitparadentauglichen Songs "Until it sleeps", "Mama said", "Whiskey in the jar", "No leaf clover" und "Fuel" sparen sie völlig aus. Verzeiht uns, scheinen sie zu rufen, und trommeln stattdessen "Sad but true" und "Seek and destroy". Zwei Songs rühren zu Tränen. Natürlich "Nothing else matters" ("Never cared for what they do, never cared for what they know, but I know... so close, no matter how far, couldn´t be much more from the heart, forever trusting who we are, no nothing else matters!"), der einzigen Ballade, die gespielt wird, und das unvergleichliche "One" von der "... and justice for all"-CD. Eingeläutet mit einem kurzen Feuerwerk wird es eine Bombe. Das ist kein Krach. Das ist Metallica. Hart und doch Waahnsinn. Das ist die Mutter aller Konzerte. Danke, dass ich das miterleben durfte. Dafür allein haben sich die 99 Euro gelohnt. Dankedankedanke.
Als Dessert Moby. Da geht nichts mehr drüber. Oder doch?
Moby bei einem Rock-Festival. Ist das nicht der Techno-Fuzzi? Nein. Eine Stunde sprintet der kleine Mann auf der Bühne hin und her. Und es ist ein unvergleichliches Spektakel, das alle in seinen Bann zieht. Moby, der bekennende Veganer. Der Anti-Alkoholiker. Der sich dafür entschuldigt, dass George Bush US-Präsident ist ("Fuck this stupid man!"), der sich über all die Sänger kaputt lacht, die nur "motherfucking..." und "fuck" rufen. Der in jedem Stück ein anderes Instrument spielt, mal Keyboard, mal Bongo-Trommel, mal Gitarre, mal gar nichts. Und der verdammt gute Musik macht. Musik zum Nachdenken, Musik zum Tanzen. Ganz toll "Bodyrock", der "Natural blues". Zu "We are all made of stars" wird die Bühne in ein Meer aus kleinen bunten Lichtlein getaucht, die sich mit dem realen Sternenhimmel wunderbar ergänzen. Und zum Ende des Abends und damit des kompletten Festivals begeistert Moby mit einem der fantastischsten Techno-Songs, die jemals geschrieben wurden. "Feeling so real"... Ekstase pur. Superklasse.
Der Tag begann holprig.
Und endete im Traum.

Der Rest ist Geschichte. Von 2.30 Uhr bis 8.45 Uhr pennen. Sehr unruhig. Sehr kalt. Sehr ungemütlich. Aufstehen. Von der Bahn um 13,50 Euro bescheißen lassen (das neue System ist nicht nur blöd, sondern auch noch unlogisch), um 13 Uhr die Haustür in Mülheim aufschließen. War nur 27 Stunden weg. Und fühle mich wie nach einem dreiwöchigen Urlaub.

So. Fertig erzählt.
Jetzt winkt der Polizist Euch durch und Ihr könnt den weißen Kreidestrich passieren.
Und wer Helga ist, das erklär ich Euch auch noch. Aber nicht hier, sondern HIER!

DER TAG:

Konzertbeginn: War eigentlich schon am Freitag, 6. Juni. Wie jedes Jahr finden zeitgleich die Festivals "Rock am Ring" und "Rock im Park" statt. Dort treten dieselben Bands, allerdings zu unterschiedlichen Zeitpunkten (na klar), auf. Im Jahr 2001 war ich schon einmal am Nürburgring, dann allerdings "volles Ballett" von Donnerstag (einen Tag eher kommen) bis Montag (einen Tag später wieder fahren). Hardcore!!! Diesmal entschloss ich mich aus vielerlei Gründen dazu, erst am Sonntag mit Bus und Bahn anzureisen (Freitag und Samstag verfolgte ich "live" in West3 im "Rockpalast"). Gesagt, getan... Via Koblenz und Bus (genauer Reiseplan siehe "Drumherum") ging es zum Ring, dort warteten "Zander" (alias Alexander Kebben, siehe oben) und noch ein paar andere Gestalten, die ich bis auf Jenny (siehe 2001) nicht kannte (und nicht kennenlernte). Um 14 Uhr schmiss ich meinen Schlaf- und den dazu gehörenden Rucksack ins Zelt, von 16 bis 2 Uhr weilte ich auf dem großen Festival-Gelände, genauso wie knapp 100.000 andere Vollidioten. Die Bands, die ich an diesem Tag sah, waren folgende: 1) Disturbed (15.55-16.35 Uhr), 2) Queens of the Stone Age (17.05-17.50 Uhr), 3) Deftones (18.25-19.30 Uhr), 4) Marilyn Manson (20.10-21.35 Uhr), 5) Metallica (22.15-0.35 Uhr), 6) Moby (0.40-1.45 Uhr). Von 2.45 Uhr bis 8.45 Uhr lag ich in meiner Koje und schlief, so gut es ging. Von 9.30 Uhr bis 13 Uhr dauerte schließlich die Rückfahrt nach Mülheim.
Ort: Nürburgring; in der Eifel. Einmal im Jahr fährt dort Schumi um die Formel-1-WM - und auch sonst ist der Automobilsport am Ring zu Hause. Die Bäume sind bestimmt schon fast abgestorben, aber dafür gibt's in einem eigentlich stinklangweiligen Ort Massen an Pkw-Händlern (bei der Teststrecke kein Wunder). Voll wird´s dreimal im Jahr: "Rock am Ring", "Formel 1" und "24-Stunden-Rennen"! Dann bebt aber stets die ganze Eifel. Die Zeltstadt war auch in diesem Jahr einige Quadratkilometer groß (hat Zander von der Nürburg aus entdeckt), und auch das Festivalgelände mit den drei Bühnen "Centerstage", "Alternastage" und "Talent Forum" war nicht in ein paar Minuten zu erkunden. Zuschauer? In der Zeitung stand knapp 80.000! Gezeltet haben werden einige mehr, dazu noch die Abermillionen Hilfskräfte und Arbeiter. Ich würd schätzen: zwischen 75.000 und 100.000 Menschen.
Eintrittskarte?: Da wurde ich voll beschissen... am Donnerstag vor dem Festival erwarb ich eine für 99 Euro (Musik inkl. Camping), um dann am Samstag zu erfahren, dass kurzfristig für Sonntag Tagestickets für 60 Euro angeboten werden. Hallo???? Umtauschen konnte ich nix mehr ("Das ist ihr Problem!"). Da wird ne ganz dicke Beschwerde-Mail fällig. Das sind immerhin 39 (!!!) Euro! Egal, aber auch die 99 Euro war´s definitiv wert.
Die Mitreisenden: Da wäre Zander (siehe oben) zu nennen, der auch 2001 mein Begleiter war und (siehe ebenfalls oben) der Rest der Gruppe, den ich nicht kennenlernte. Und da wäre fast noch Jan Weiner gewesen, ein Bekannter aus ganz alten Jugendfreizeit-Zeiten, der bei den Hauptkonzerten aber viiiel zu weit vorn im Geschehen stand. Daher wurds nix mit einem Treffen!

DIE PLAYLISTS:

... an dieser Stelle nenne ich nur von drei Bands die Lieder - und von denen auch nur diejenigen, die ich mir spontan merken konnte... dafür aber mit den dazugehörigen Alben und den Jahreszahlen!

Marilyn Manson (20.10 Uhr - 21.35 Uhr):

u.a.
1) "The dope show" (vom Album "Mechanical Animals" / 1998)
2) "Disposable teens" (vom Album "Holy Wood" / 2000)
3) "Beautiful people" (vom Album "Antichrist Superstar" / 1996)
4) "MOBSCENE" (vom Album "Golden Age of Grotesque" / 2003)
5) "Rock is dead" (vom Album "Mechanical Animals" / 1998)
6) "Tainted love" (vom Album "Golden Age of Grotesque" / 2003)
7) "Sweet dreams" (Single zwischendurch)
8) "The fight song" (vom Album "Holy Wood" / 2000)

WAS NICHT KAM:
"I don´t like the drugs (but the drugs like me)" (vom Album "Mechanical Animals" / 1998)
"The Nobodies" (vom Album "Holy Wood" / 2000)

ZUSAMMENFASSUNG:
"Antichrist Superstar" (1996) = 1
"Mechanical Animals" (1998) = 2
"Holy Wood" (2000) = 2
"Golden Age of Grotesque" (2003) = 2
Single = 1

Metallica (22.15 - 0.35 Uhr):

u.a.
1) "Blackened" (vom Album "... and justice for all" / 1988) war laut Zander der Opener... ich glaub ihm da mal!
2) "Master of puppets" (vom Album "Master of puppets" / 1986)
3) "Seek and destroy" (vom Album "Kill 'em all" / 1983)
4) "Fight fire with fire" (vom Album "Ride the lightning" / 1984)
5) "Battery" (vom Album "Master of puppets" / 1986)
6) "... and justice for all" (vom Album "... and justice for all" / 1988)
7) "Sad but true" (vom Album "Metallica" / 1991)
8) "St. Anger" (vom Album "St. Anger" / 2003)
9) "Enter sandman" (vom Album "Metallica" / 1991)
10) "One" (vom Album "... and justice for all" / 1988)
11) "Frantic" (vom Album "St. Anger" / 2003)
12) "Nothing else matters" (vom Album "Metallica" / 1991)
13) "For whom the bell talls" (vom Album "Ride the lightning" / 1984)
14) "Harvester of sorrow" (vom Album "... and justice for all" / 1988)
... plus weitere, mir (noch) unbekannte Songs von "St. Anger" (die einen Tag vor "Rock am Ring" erschien!)

WAS NICHTKAM:
"The Unforgiven 1+2" (von den Alben "Metallica" / 1991 und "Reload" / 1997)
"Wherever I may roam" (vom Album "Metallica" / 1991)
"Until it sleeps" (vom Album "Load" / 1996)
"Mama said" (vom Album "Load" / 1996)
"Hero of the day" (vom Album "Load" / 1996)

ZUSAMMENFASSUNG:
"Kill 'em all" (1983) = 1
"Ride the lightning" (1984) = 2
"Master of puppets" (1986) = 2
"... and justice for all" (1988) = 4
"Metallica" (1991) = 3
"St. Anger" (2003) = mehrere, mind. 2
BEMERKENSWERT:
Die großen Hits der Alben
"Load" (1996; "Until it sleeps", "Hero of the day", "Mama said")
"Reload" (1997, "The Unforgiven II", "Fuel", "The memory remains")
"Garage Inc." (1998, "Whiskey in the jar") und
"S&M" (2000, "No leaf clover")
wurden ignoriert. Vermutlich - aber ohne Gewähr, das vermag mein Gedächtnis nicht genau zu sagen - wurden diese Alben sogar komplett ausgelassen.

Moby (0.40 Uhr - 1.45 Uhr):

u.a.
1) "Natural blues" (vom Album "Play" / 2000)
2) "Porcelain" (vom Album "Play" / 2000)
3) "Bodyrock" (vom Album "Play" / 2000)
4) "Honey" (vom Album "Play" / 2000)
5) "Why does my heart feel so bad?" (vom Album "Play" / 2000)
6) "We are all made of stars" (vom Album "18" / 2003)
und zum Schluss:
7) "Feeling so real" (vom Album "Everything is wrong" / 1994)
und dazu ein "Rock-Special" mit jeweils 15-sekündigen Einlagen bekannter Hits wie "Smells like teen spirit"

WAS NICHT KAM:
"Into the blue" (vom Album "Everything is wrong" / 1994)
"That´s when I reach for my revolver" (vom Album "Animal rights" / 1996)

ZUSAMMENFASSUNG:
"Everything is wrong" (1994) = 1
"Play" (2000) = 5
"18" (2003) = 1

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Wiglaf Droste & das Spardosenterzett - 17. Juni 2003 - Bar jeder Vernunft, Berlin

Diäten und Knödel

Es wird ein etwas untypischer Konzertbericht. Keine Playlist. Keine Abendzusammenfassung.
Und... eigentlich war es ja gar kein Konzert. Sondern ein Konzert-Leseabend.
Droste, mein Lieblings-Journalist und -Autor (der mit dem satirischen Boxhandschuh, der stilistisch brillante, der aber auch das Widerwärtige widerwärtig beschreiben kann), tritt in Berlin auf. Am 17. Juni. Mir fiel der - Achtung, schlechte Metapher - Kitt aus der Brille, als ich in der "taz" diesen Termin erblickte. Noch nie kam ich in den Genuss eines Droste-Abends. Einmal war er in Mülheim, im Schuppen, doch parallel spielte der VfL gegen den BVB... Pech gehabt! Und nun die "Bar jeder Vernunft". Karten vorbestellt. Hingehen.
Ein Mann, Anfang 40, ganz leichter Bauchansatz, Ohrring rechts. Freitags-Kolumne in der "taz", vereinzelt Gedichts- und Buchveröffentlichungen. Und Musik mit dem Essener "Spardosenterzett". Kurzweilige drei Stunden. Erst zwei Stücke der Spardosen, dann vier gemeinsam mit Droste (zum Beispiel auch "Aspirin-Tablette" - ein Liebeslied für dieselbe). Dann ein Leseteil mit Droste am Schreibtisch. Beginnend mit seiner aktuellsten "taz"-Veröffentlichung "Skandalwurst mit Pinkel", fortgesetzt mit Stücken wie dem fantastischen "Ich schulde einem Lokführer eine Geburt". Aus einem seiner Bücher, die zum Beispiel "Begrabt mein Hirn an der Biegung des Flusses" heißen. Dann noch zwei Stücke der Spardosen, eins mit allen, Pause. Ein Hin und Her auf der Bühne, und doch ein ganz stiller, sanfter Abend, mit harten Schubsern in Richtung Gesellschaft. Droste, einer, der sich manchmal auf dem Thron sieht, keinen außer sich zu dulden scheint und für alles eine Antwort weiß. Das kann manchmal nerven und das kritisiere ich auch. Aber einer, der toll plaudern kann. Zum Beispiel über eine Begegnung mit René Weller bei einer NDR-Talkshow ("Dann hat er zu mir gesagt: Verkaufen sie erstmal so viele Bücher wie Dieter Bohlen, bevor sie mitreden!")...
Pause vorbei. Wieder Hin und Her. Lieder von allen, Droste-Leseteil, nur die Spardosen. Undsoweiter. Siehe oben. Hoffentlich kommt er bald ins Ruhrgebiet. Ich glaub ich werd hingehen.
Droste hat´s geschafft.
Einer, der vermutlich nie zu Ende studiert hat. Der bestimmt die Theorien Adornos und all der anderen schlauen Denker grob anreißen, aber nicht über sie stundenlang diskutieren kann (und es auch gar nicht will). Der eine eher durchschnittliche Stimme hat (und bestimmt oft seinen Einsatz verpasst am Anfang einer Tour und dafür von Musikkritikern bestimmt verrissen wurde - aber auch das wird ihm sehr egal sein). Aber der aufgrund seines wahrlich außergewöhnlichen schriftstellerischen Talents viele wenige Leute begeistert. Einer, der aus seinem Leben kein großes Geheimnis macht. Der Großteil seiner Texte, ob in seiner wöchentlichen Kolumne in der "taz" oder anderswo, handeln von seinen alltäglichen Erlebnissen, eine Koch-Zeitung, die er mit Vincent Klink herausgibt, beschäftigt sich mit seinem liebsten Hobby (neben der Singerei), und dass er in Berlin-Kreuzberg nahe einer Kirche wohnt (auch den Namen hat er verraten), verschweigt er ebenfalls nicht. Den Großteil seiner Reisen vollbringt er im Zug (auch das hat er erzählt), die Frauen scheinen ihn anzuhimmeln (Sybille Berg sagte glaub ich mal über ihn: "Er sieht verteufelt gut aus" - trotz Bierbauch!!!), zu seinen Freunden zählen Franz Josef Degenhardt, eben jene Sybille Berg und Fritz Eckenga - und damit wär das Droste´sche Leben auch perfekt zusammengefasst. Wohnen in Berlin, ein paar Texte schreiben, viel rumreisen und auftreten, und somit sein Geld verdienen. Ein tolles Leben, findet ihr nicht?
Das alles ist mir eine Liga zu hoch.
Nein, nicht Droste. Das alles kommt schon bei mir an. Die Texte sind einfach brillant (da wiederhole ich mich), wenngleich nicht immer so fein wie ein Pinselstrich von Dali. Sie haben sensationelle Titel wie "Diät ist Mord am ungegessenen Knödel", sind hintergründig, auffallend oft korrekt, und komisch zugleich. Die Musik rundet den Abend nur ab, macht ihn nicht komplizierter. Und was ist mir nun zu hoch? Die Situation ist es, die mich wurmt. Am Tisch sitzen die Autoren Gerd Dembowski und Thomas Ernst, beide verflucht nett und gut. Dembowski, einer der bekanntesten Fußball-Fans Deutschlands, der die Ausstellung "TATORT Stadion" mitorganisiert hat, der Wiglaf Droste persönlich kennt (und daher auf der Gästeliste steht), der am nächsten Tag einen Termin im Innenministerium hat und Thommy, der Autor. Erzählen von ihrem Leben als "Freie", von Berlin, von Touren durch Friedrichshain, dem Prenzlauer Berg, von neuen Projekten, neuen Leuten, Ideen... und ich muss weiter in Mülheim bleiben. Von der Millionenstadt Berlin und einem Ausflug in die große weite Autoren-Welt wieder ab an die Ruhr. Ein Aufprall, der schmerzt.
Das macht den Abschluss bitter.

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Das Konzert...

... im Rahmen des Uni-Sommerfestes in Essen u.a. mit Kettcar vom 20. Juni 2003 steht an anderer Stelle!!!

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Das Musik-Wochenende...

Die Happy, Sincere - 11. Juli 2003 - Kennedyplatz, Essen (im Rahmen von Essen.Original)

Die den Zaubertrank intus hat

Stadtfeste sind eine tolle Sache. Um jetzt mal wieder einen der berühmten "Ich weiß noch..."-Sätze anzubringen: Ich weiß noch in Leuven (Belgien), als mein Bruder da gewohnt hat. An einem Wochenende im Jahr steht Leuven unter dem Motto "Markt Rock" und dann spielen auf den schönsten Plätzen dieser netten beschaulichen 80.000-Einwohner-und-davon-30.000-Studenten-Stadt klasse Bands für gar kein oder wenig Geld. Heather Nova zum Beispiel war mal da. Oder natürlich die hervorragenden Belgier von K´s Choice. Wen ich damals gesehen habe, dass weiß ich gar nicht mehr. Noch mehr Beispiele für Stadtfeste gefällig? Wie wär´s mit "BOCHUM TOTAL", immer Ende Juli/Anfang August rund um das Bermuda-Dreieck!? Die alternative Jugend der Städte, der umliegenden Regionen trifft sich, besäuft sich zum großen Teil und erfreut sich an der Musik.
Und ja tatsächlich, Essen hat jetzt auch so eine tolle Party. Sie heißt "Essen.Original" (keine Ahnung, ob der Punkt wirklich dazwischen steht und wenn ja, was der zu bedeuten hat) und spielt sich rund um den Kennedyplatz ab. Meine Assoziationen zu Essen liegen sehr nahe: Ich studiere in dieser komischen Stadt, die in unmittelbarster Nähe zu Mülheim liegt, zudem wohnen Björn und Zander inzwischen dort; zwei Personen, die ich geübten Lesern dieser Seite nicht mehr vorstellen muss. "Hi Andi! Die Happy spielen am nächsten Freitag umsonst. Kommst Du auch? Gruß Zander"! Per SMS erfuhr ich von diesem Großereignis. Den (scheinbar) selbst in Mülheim verteilten unansehnlichen Essen.Original-Flyer hatte ich schnell weggeschmissen.
Freitagmorgen.
"Klar Zander ich komme", tippe ich in mein Handy. Rufe eben noch schnell Björn an, erfahre, dass er selbst nicht weiß, was heute mit ihm passiert, ob er seine Freundin Nadine sieht oder nicht und überhaupt. "Aber nimm mal Dein Handy mit!" "Hab ich sowieso immer dabei". Hach ist das Leben heute mal wieder chaotisch. Vorher noch einen Zeitungstermin abwickeln; aber scheiße, der ist ja erst um 20.45 Uhr zu Ende. Verabredung mit Zander? 20.30 Uhr. Kann ich denn nie pünktlich kommen? S-Bahnlinie 1 Richtung Dortmund, schnell rein, die Arbeitstasche noch in der Hand, zehn Minuten später Essen Hauptbahnhof, raus. Die Haupteinkaufsmeile an der Kettwiger Straße ist total ausverkauft, überall liegen Scherben auf den Boden, und - TACH - da kommt Zander auch schon entgegen gelaufen. Was für eine Gedankenübertragung. Er hat den "2001-Rock-am-Ring"-Pulli ebenso um seine Hüfte gebunden wie ich. Für den eventuell kalten Abend.
Gespräche über die letzten vier Wochen, was ist denn so passiert seit "Rock am Ring 2003" ("Also Zander ich vermisse tierisch die Bundesliga!"), weitere Diskussionen ("Kommt der Björn?" "Keine Ahnung! Der wollte sich melden!"), und dann rauf auf den Kennedyplatz. Einer von den wenigen Plätzen in Mülheim, Essen oder Oberhausen, auf denen ich öfter als zehnmal war - aber noch nie betrunken. Tja, und das wird sich auch nie mehr ergeben! Einige andere von den paar Tausend Leuten haben ihr Ziel aber eindeutig erreicht und bewegen sich mehr taumelnd als top-fit durch die Gegend. Keine gute Idee, das Bier in Gläsern auszuschenken. Da war ein Amateur am Werk. Millionen von Scherben sind das Ergebnis. Hab Durst. Hol mir ne Cola. In nem Glas. Aber schnell zurückbringen, gibt schließlich Pfand. Bin zwar nicht der geschickteste, aber hab keins zerbrochen! "Sag mal Zander, wann kommen Die Happy eigentlich?" "22.30 Uhr, die spielen bis zwölf!" "Ist doch erst viertelnachneun!"
Schwupps, und da kommt noch ne andere Combo. SINCERE aus Belgien, angekündigt als eine Mischung aus Nirvana und den Foo Fighters. Hui, gefährlich viel versprochen (natürlich ZU viel), aber ein gewisses Talent muss ich den Jungs doch bescheinigen. Gut abgerockt. Anruf von Björn. Kann nix verstehen. "Wir kommen auch!" scheint er zu sagen, und um punkt 22.25 Uhr stehen Nadine und er vor Zander und mir. Die beiden sind so ein süßes Pärchen! JUNGE, ICH GÖNN DIR DEIN GLÜCK!!! Zander murmelt im nächsten Moment, dass er um kurz nach zwölf Nicky von ner Party abholen muss, und so steh ich da, ich einsamer Single.... *schnüff*
Keine Zeit zum Jammern, mit extrem viel Power sprinten DIE HAPPY auf die Bühne. Drei Männer und die Frontfrau Marta, die zwar nur geschätzte 1,15 Meter groß ist, aber trotzdem wie der weibliche Obelix wirkt. Nicht aufgrund der Körperfülle, sondern weil sie als Kleinkind in einen Topf voll Zaubertrank gefallen zu sein scheint. Ein Zaubertrank, der aufdreht. Anderthalb Stunden fegt sie über die Bühne wie eine Flipperkugel im Spielautomat, auf und ab, rauf und runter und dabei immer laut sprechend oder singend. Es macht ihr unglaublich viel Spaß, genauso wie der Menge, und selbst Björn, der "gitarrenlastige Scheiße" (Zitat er selbst) gar nicht gerne mag, wippt mit - mehr als ich, aber ich muss ja auch auf meine Arbeitstasche acht geben. Zander und Nadine gefällt´s auch, so lautet mein Eindruck, und ein lauer Sommerabend mit vielen lieben Menschen, die ich sehr gern mag und lang nicht gesehen habe, findet sein Ende. Selbstverständlich dürfen die DIE HAPPY-Klassiker "Not that kind of girl", "Goodbye" und "Supersonic speed" nicht fehlen.
Um zwölf gehen die Lichter aus. Keine Frage: Jeder einzelne Cent hat sich gelohnt... nee, war wirklich schön.

u.a. Subway to Sally, Secret Discovery - 12. Juli 2003 - Schloss Broich, Mülheim (im Rahmen von Castle Rock 4)

Von der dunklen Welle erfasst

"Treffpunkt 14 Uhr, wir wollen runter latschen", verkündet Tina die frohe Botschaft per sms. Es ist Freitagabend, und soeben betreten "Die Happy" die Bühne. Jetzt eben schnell noch glücklich sterben, und dann morgen? Castle Rock! Rockmusik im Schloss, heißt das frei übersetzt, und das ist eine der wenigen Veranstaltungen, mit denen sich die Stadt Mülheim als Nährboden für Jugendkultur rühmt. Jetzt eben noch Alternative-Rock, und morgen Gothic-Metal. Alles so nah beieinander, und doch so weit weg. Alles irgendwie artverwandt - Gitarren, Schlagzeug und zuweilen lauter Gesang - und doch so unterschiedlich. "Treffpunkt 14 Uhr", verkündet Tina als Stellvertreterin für die vier anderen Personen, mit denen ich Castle Rock besuchen werde.
Und doch wird es 16 Uhr, bis ich die ersten Schritte auf Schlossgelände unternehme. Schloss Broich, knapp 1200 Jahre alt. Einen Kirschkernweitspuck-Versuch entfernt bin ich aufgewachsen, hab 25 Jahre lang im Stadtteil Broich gewohnt. Ich weiß noch, als ich neun Jahre alt war, und wir für die Grundschule ein Video über Mülheim gedreht haben, musste ich ganz ganz viel Text auswendig lernen und war der "Fremdenführer" durch das Schloss. Unter anderem durften wir auch in den Raum, in dem die Kugel lag, mit der Moritz von Styrum irgendwann im Mittelalter erschossen wurde. Das Video existiert nicht mehr.
Zuweilen bestelle ich mir immer noch Bücherpakete bei amazon.de. Meist sind die zu einem bestimmten Themengebiet. Neulich zum Beispiel, da kam eins mit zwei Werken zur Geschichte der Pop-Kultur. Und das davor? Da beschäftigten sich gleich drei Werke mit dem Thema "Ästhetische Mobilmachung". Mit den Untertiteln "Dark Wave, Neofolk und Industrial im Spannungsfeld der Ideologien", "Wie klingt die neue Mitte? Rechte und reaktionäre Tendenzen in der Popmusik" sowie "RechtsRock - Bestandsaufnahme und Gegenstrategien". Moment mal... "Dark Wave"? Und ich gehe zum "Castle Rock"? Schlau beobachtet, da gibt es doch eine klitzekleine Schnittmenge. "Wie - Du gehst zu Castle Rock?", fragte mich mein Bruder Thommy unlängst, um dann sachte zu ergänzen: "Also ich weiß nicht. Ich hab da doch meine großen Probleme mit." Prima, Junge, aber Du redest nur drüber und gehst selbst nicht hin. Also muss ich das mal wieder tun, um Dir auf dieser Seite davon zu berichten.
Es wird 16 Uhr, bis ich die ersten Schritte auf das Schlossgelände unternehme. Zwei Stunden blieben zuvor, um ein bisschen nachzublättern in den Büchern. 120 Minuten. Und nun stehen sie am Eingang; Helmut, Tina, Ulrike, André und Frank. Ich bin genau wie sie sehr gespannt auf die Leute, auf die Musik.
RECHTS-ROCK (Christian Dornbusch, Jan Raabe, UNRAST-Verlag... Seite 287): "Berichte über rechte Musik beschränken sich meist auf rassistische oder Gewalt verherrlichende Botschaften rechter Skinhead-Bands. Dabei wird übersehen, dass Neonazis bzw. extrem Rechte versuchen, verschiedene Musikstile zu adaptieren. Während es im Bereich des Techno und HipHop bisher bei vereinzelten Versuchen blieb, haben sich extrem rechte Einflüsse sowohl in der Dark-Wave- als auch in der Black-Metal-Szene fest etabliert.
Während sich die organisierten rechten Skinheads als die treibende Kraft des "Nationalen Widerstands" verstehen, liegt diese realpolitische Komponente dem Selbstverständnis des Darkwavers und dem Black Metaller fern. Hier überwiegt elitärer Anspruch "wider die Masse" (...) Auch unter dem Aspekt der Gewaltakzeptanz unterscheiden sich die Szenen eklatant. Gewalt und männliche Körperlichkeit ist bei Skinheads integraler Bestandteil der Selbstdarstellung. Die Anhänger des Black Metal hingegen reproduzieren das überlieferte Bild des martialischen, nordischen Kriegers, des Wikingers oder wehrhaften Germanen, das der Lektüre von Heldensagen und Fantasyromanen zu entspringen scheint. Im Dark Wave wird physische Gewalt dagegen komplett abgelehnt. Sie existiert nur als ästhetische Inszenierung eines vertonten Jüngerschen "Stahlgewitters" oder spiegelt sich in Marschrhytmen wider, die unter Melodien voller Melancholie und Romantik gesamplet werden."
Hui, die Masse ist doch heterogener als gedacht. Äußerlich bin ich nicht wirklich von den dunklen Gestalten zu unterscheiden. Mein schwarzes "Smashing-Pumpkins"-T-Shirt von der 2000-er-Tour hab ich in der hintersten Ecke meines Kleiderschranks gefunden, und meine Hose ist grau. Irgendwie fand ich das selber ganz sympathisch, dass ich kaum schwarze Klamotten in meinem Schrank habe. Ich bin lieber der bunte Hund, der das Leben in Regenbogen-Farben sieht. Der Phantasie liebt, aber mit Fantasy nicht wirklich viel anfangen kann. Es geht rein ins Schloss. "Mach mal soziale Studien", hat Zander mir gestern noch mit auf den Weg gegeben. Gut möglich.
IRGENDWO IM INTERNET ÜBER "HEAVY METAL" GEFUNDEN: "Ähnlich schreiben Graves und Schmidt-Joos in der 3. Auflage ihres Rock-Lexikons fußend auf einer musiksoziologischen Studie von Robert L. Gross (Heavy Metal Music: A new subculture in American Society), dass Heavy Metal eine Musikrichtung ist, die „vor allen Dingen weiße junge Männer aus niederen Bildungsschichten mit Sexualängsten“ hören. Auch andere Forscher vertreten eine ähnliche Ansicht, so schreibt etwa Werner Helsper: "Die Heavy-Kultur ist – wenn sie auch andere soziale Orte umfasst – doch im Kontext des sich auflösenden proletarischen und subproletarischen Milieus angesiedelt, in den subkulturellen Stilbildungen der Arbeiterjugendlichen, den `maskulin orientierten´ Subkulturen, die in der Tradition von Halbstarken, Rockern, Fußballfans und Straßencliquen stehen, in denen Rock´n´Roll und Rock immer schon die militante Melodie des Aufbegehrens gegen eine soziale Ordnung darstellten. Hier stehen die Heavy Metal-Attribute mit ihrer Symbolik von Tod, Gewalt und männlicher Kraft in einer Kontinuität subkultureller Stile, etwa in der Todes- und Teufelssymbolik der Rockerkultur der 60er Jahre.“ Dies führt Bettina Roccor weiter aus: [Die Ursachen] „für die weltweit zu beobachtende Anfälligkeit gegenüber Heavy Metal sind eine industrialisierte Umgebung, das Ausgeliefertsein an die Bedingungen einer durchrationalisierten Produktion und die strikte Trennung zwischen Arbeit und Freizeit. Daraus resultiert das Bedürfnis nach einer ausdrucksstarken Musik, die es ermöglicht, den angestauten Frust und die Hilflosigkeit angesichts vorgezeichneter, meist langweiliger Lebensverhältnisse abzureagieren.“
Es ist schwierig, einen die Menge charakterisierenden Satz auf den Bildschirm zu bannen, ohne in Vorurteile zu verfallen. All die schlauen Leute, die das zuvor versucht haben, die ich (siehe vorhin) im Internet gefunden habe, treffen es wahrlich nicht und treffen nicht auf meine Zustimmung. Ab auf die große Wiese auf dem Mülheimer Gartenschaugelände (Müga). Das gäbe ein herrliches Bild. Auf der einen Seite spielen kleine Kinder im Bayern-München-Trikot Fußball und ich kann Geschichten aus meiner Zeit als Fußballtrainer erzählen. Auf der anderen Seite lungern schwarze Gestalten herum, zupfen ihre auf den ersten Blick seltsamen Klamotten zurecht und schütten Alkohol in sich rein.
RECHTS-ROCK, Seite 288: "Die Grufties bündeln mehrere Bedeutungsstränge des Schwarz, wobei sie mit der kulturellen Besetzung der Farbe vertraut sind. Sie setzen die nekrophile Komponente der Farbe bewusst ein. Schwarz ist für sie ein Ausdruck eines Gefühls von Leere, eines ausgebrannten Inneren und ein Symbol für Verzweiflung und Resignation. Sie setzen die Farbe außerdem als ein Zeichen ihrer selbstgewählten Weltabgeschiedenheit und zur Betonung ihres Gefühls der Fremdheit der Welt gegenüber ein."
Auf der einen Seite das blühende Leben. Auf der anderen? Mist, hätte ich doch mein knallgelbes Hemd angezogen. Und ich Depp war nicht mutig genug.
"Ich bin sehr skeptisch dieser Musik gegenüber", erzähle ich Tina und Helmut und eine fruchtbare Unterhaltung entsteht. Hunger. Eine Bratwurst verdrücken und die erste Band bewusst verfolgen. SECRET DISCOVERY heißen die, und meine Skepsis verschwindet ein klitzekleines bisschen, als ich erfahre, dass die Ende Juli auch bei "Bochum Total", einem Open-Air-Fest für lau a la "Essen.Original", auftreten. Es stößt mich nicht ab, schon gar nicht, als am Schluss "With or without you" von U2 gecovert wird. 40 Minuten lang mal nicht wirklich fühlen wie bei "Castle Rock". Naja, zu Hause würd ich diese Band aber trotzdem niiiiemals hören und ich vermeide für kurze Zeit negative Hintergedanken.
RECHTS-ROCK, Seite 295: "Der Kreis der rechten Protagonisten ist innerhalb der Schwarzen Szene relativ klein, sodass keinesfalls die Schwarze Szene an sich als politisch rechts eingeordnet werden darf. Jedoch gibt es Musiker, Labels, Fanzines und Konzertveranstalter, die eine Entwicklung nach rechts vorantreiben (...) Was die "Neue Rechte" jahrelang erfolglos versuchte, entwickelte sich weit gehend unbeachtet innerhalb der Schwarzen Szene: Eine Kultur, die in ihren Werten und ihrem Ausdruck ein rechtes Weltbild spiegelt und in der Jugendliche und junge Erwachsene ihre politischen Ideen unter ästhetischen Vorzeichen ausleben können. Und das, ohne sich den neonazistischen Skinheads, einer extrem rechten Partie oder einer "Kameradschaft" anschließen zu müssen."
Die meisten von den bestimmt 1000 Leuten, die anwesend sind, wissen hundertprozentig nichts von diesem theoretischen Hintergrund, aber die wissen auch sonst nicht viel von Politik, könnt ich vermuten. Offene politische Äußerungen gibt es nicht. Es sind viele dabei, die nicht einmal dunkle Kleidung tragen. Möglicherweise Mülheimer, die "das Ganze mal interessiert" oder die gerne "Gitarrenmusik" hören. Dann sehr viele Jugendliche, die mit den Texten nicht das Geringste anfangen können. Diejenigen, die sich wirklich mit der Schwarzen Szene solidarisieren und sie ausleben - bestimmt nicht mal fünf Prozent. Ist gerade das die große Gefahr? Eine Akzentsetzung, eine mögliche? Ein Werbeplakat des Magazins "Sonic Seducer" hängt aus dem Schloss - eins, dass im Buch "Ästhetische Mobilmachung" von Andreas Speit erwähnt ist.
NEIN, ICH WILL CASTLE ROCK UND SEINE BESUCHER NICHT ZU EINER RECHTEN VERANSTALTUNG ERKLÄREN, DAMIT DAS EINDEUTIG GEKLÄRT IST!!!!!!!
Aber ich will zum Nachdenken anregen...
Es geht in Richtung Headliner. "The Crüxshadows" - nicht der Rede wert. Wirklich schlecht, sogar musikalisch - wie wir alle vereint finden. Fehlen nur noch SUBWAY TO SALLY. Im Vorjahr waren es noch IN EXTREMO, die inzwischen mit "Küss mich" ihren ersten Top-50-Hit landeten. Auch die sind im "Ästhetische Mobilmachung" erwähnt, aber im "Überblick über die schwarze Szene".
ÄSTHETISCHE MOBILMACHUNG, "Die schwarze Szene und ihre Musik im Überblick" - Seite 44: "Die Mystik des Mittelalters mit Dudelsack und Schalmei in die heutige Zeit zu tragen, ist auch das Anliegen der 1995 gegründeten Berliner Mittelalter-Rock-Band IN EXTREMO. Durch ihre Live-Auftritte in mittelalterlich anmutenden Kostümen erlangten sie einen hohen Bekanntheitsgrad. Begleitet von Schlagzeug, Gitarre und Bass gewinnt die Musik an Härte und Ausdruckskraft. Da einige Mitglieder eine Ausbildung auf einer Akrobatikschule absolvierten, sind die Konzerte auch immer etwas fürs Auge (...) Der seit Anfang der 90er boomende Trend, mittelalterliche Musik mit Rock und Metal zu mixen, findet in der Schwarzen Szene viele Anhänger. Das Thema "Mittelalter" - allerdings in einer stark romantisierten Form - beschäftigt viele Gothics. "Wir wären alle tot, ermordet, lebten wir in jener Zeit - sogar jene Goths, die Christus folgen", kritisiert Gitane Demone diese Verklärtheit.
Der erste Klang ertönt, und es spricht mich gar nicht an. Es geht um "Krieger", um irgendwelche "Schlachten", "Blut", "Henkersbraut". "Hallo schwarze Gemeinde" brüllt der Sänger, der so aussieht wie DJ Ötzi, in Richtung Publikum. Über meinem Kopf bleibt 70 Minuten lang ein einziges großes Fragezeichen. Es weicht lediglich für einen kurzen Augenblick einem Ausrufezeichen, als ein vor mir stehendes Mädel die Augen verdreht und mit einem Kreislaufkollaps zusammenbricht. Dann wieder das Fragezeichen. Nein, all die Begriffe sind mir gänzlich unbekannt. Habe nie in irgendwelchen Rollenspielen mitgemacht, selbst der HERR DER RINGE war stark an meiner Fantasygrenze. Je länger das Konzert dauert, desto mehr springen ein paar Zeilen aus einem dritten Buch in meinen Kopf:
WIE KLINGT DIE NEUE MITTE - Martin Büsser, Seite 55: "Die neben Rammstein unter anderem von Bands und Musikern wie Joachim Witt, Lacrimosa, In Extremo oder SUBWAY TO SALLY gepflegte "Neue deutsche Härte" zeichnet sich nicht durch eine extreme Randständigkeit aus, sondern ist bereits stilistisch und also materialästhetisch die Suche nach der bestmöglichen und bestverkäuflichen Mitte, ein Crossover aus martialischen EBM-Rhythmen, Gothic-Elementen und Heavy Metal, gerne auch mit mittelalterlicher Spielmannsleute-Melodik gepaart und einer Spur (äußerst ungroovy eingesetzem) Rap. Hinter keiner dieser Bands verbirgt sich etwas Rechtes im Sinne rassistischer oder völkischer Ideologie, alle jedoch sorgten für eine Neubewertung des Nationalen, also Deutschen im Pop, indem sie diesem ein ganz besonderes Image gaben. Nicht das Deutsche ist dabei das Problematische, sondern die ganz spezifischen Werte, die dem Deutschen damit gegeben werden."
Der Tag geht vorbei, und ich bleibe nach dem Essen bei POMMES ERIKA ein wenig verstörter zurück als meine Mitstreiter, mit denen die Stunden äußerst kurzweilig waren (ich hoffe nicht, dass meine Nachdenklichkeit Eure Laune verdorben hat!). Im nächsten Jahr werde ich mir CASTLE ROCK wahrscheinlich nicht noch einmal anschauen. Und doch war ich sehr froh, dass ich das Eintrittsgeld bezahlt habe.
Nach Hause bin ich übrigens nicht komplett gelaufen. Nur von POMMES ERIKA aus.
Aber das sind ja nur noch 200 Meter.

Leserbrief von (der im Text erwähnten) Tina Konrad zu diesem Artikel:

So, Andreas, ich glaube, ich muss mal was zum Thema CASTLE ROCK sagen:

1) Du hast völlig recht, der Sänger von SUBWAY TO SALLY erinnerte stark an DJ Ötzi. Ich habe mit diese Bemerkung am Samstag verkniffen, um keinen Helmut-Entsetzensblick zu provozieren. *g* Aber ich sehe schon, wir verstehen uns.
2) Ich hab viele schwarze Klamotten in meinem Schrank und ich glaube nicht, dass das an einer in mir brodelnden Todessehnsucht liegt. Schonmal aufgefallen? Schwarz macht schlank und sieht zudem noch gut aus! J Und das BEVOR man tot ist. Kleine Randbemerkung zum Thema Todessehnsucht: Wie war noch gleich der Name der Band am Freitagabend in Essen, die du so toll fandest? Ach ja, DIE HAPPY! Keine weiteren Fragen! Der Zeuge ist entlassen.
3) „... und schütten Alkohol in sich rein.“ Hier verfälscht du meiner Meinung nach völlig das Bild. Bei jedem durchschnittlichen Disco-Besuch findest du mehr alkoholisierte Menschen als am Samstag im Schloss Broich. Das war zumindest mein Eindruck. Ehrlich gesagt, bei einem Besuch im Fußballstadion fühle ich mich durch Leute, die „Alkohol in sich reinschütten“ wesentlich mehr gestört. Und wie das bei ROCK AM RING war, frag ich gar nicht ....
4) Zum Thema Inhalt der Lieder leih ich mir einfach mal dein eigenes Zitat: Die Anhänger des Black Metal hingegen reproduzieren das überlieferte Bild des martialischen, nordischen Kriegers, des Wikingers oder wehrhaften Germanen, das der Lektüre von Heldensagen und Fantasyromanen zu entspringen scheint. Wer so was immer gleich rechts einordnet .... man hat auch versucht Tolkiens „Herr der Ringe“ da hinzuschieben, wusstest du das? Und, was sagst du, hast du es kritisch gelesen?
5) Schwarz ist für sie ein Ausdruck eines Gefühls von Leere, eines ausgebrannten Inneren und ein Symbol für Verzweiflung und Resignation. Sie setzen die Farbe außerdem als ein Zeichen ihrer selbstgewählten Weltabgeschiedenheit und zur Betonung ihres Gefühls der Fremdheit der Welt gegenüber ein." Nun, wenn wir von innerer Leere, Verzweiflung und Resignation reden, kommt mir ein anderes Bild vor Augen: Millionen von Teenies, die händeringend in immer bescheuerteren Shows verzweifelt nach einem neuen Idol suchen, zu dem sie aufsehen können. Da frag ich mich doch, wer ist mir lieber, jemand der eine innere Leere spürt und der Welt seine Frustration offen zeigt, oder jemand, der mir erzählt, der Kübelböck Daniel sei ein anbetungswürdiges Idol ... das nenne ICH Frustration! Und sag mir bitte, du, der immer nach versteckten Botschaften sucht, welche Botschaft ist hier versteckt? Was wollen uns Bohlen, Kübelbock und Co. anderes sagen als „Wir finden es toll, dass ihr jeden Scheiß, den wir produzieren gleich eimerweise kauft. Und das bei jeder Show aufs neue!“. Ich weiß, du bist kein Fan davon, aber das viel mir nur so ein ....
6) Du zitierst und zitierst die Hälfte deines Artikels aus Büchern und jeder Leser deines Beitrags denkt schon: „Mein Gott, auf was für ner Veranstaltung war der denn???“ Und dann sagst du, dass das ja eigentlich auf Castle Rock nicht zutrifft. Zu dem Zeitpunkt denkt aber jeder, der nicht da war, schon so schlecht drüber, dass der Veranstaltung damit echt Unrecht getan wird.
7) Schön ,dass dir SECRET DISCOVERY ein bisschen gefallen hat. Ich fand sie super und habe Helmut schon die CD raussuchen lassen. Dabei nannte ich sie fälschlicher Weise einmal SWEET DISCOVERY (wie konnte DAS nur passieren???), was mir dann doch noch einen Helmut-Entsetzensblick bescherte! J
8) Nochmal 100% Übereinstimmung: Crüxshadows war echt schlecht, schlechter, am schlechtesten!!!
9) „Hallo schwarze Gemeinde“: Okay, ich meine, was soll er denn sagen? „Hallo Freunde, die ihr heute mal nicht so bunt angezogen seid“? Man kann’s auch übertreiben ... J
10) Das Fragezeichen bei SUBWAY TO SALLY und die Begriffe, die dir nichts sagen:
a) siehe das Zitat bei Punkt 4)
b) gerade bei Liedern wie „Henkersbraut“ lässt sich eine literarische Tradition des Mittelalters erkennen: der Bänkelsang. Durch die Darstellung von Verbrechen und Greueltaten (je grausiger, je besser!) will der BS das Publikum unterhalten und schockieren. Unmoralisches Verhalten wird dem Zuhörer vor Augen geführt und in den meisten Fällen am Ende bestraft. Frei nach dem Motto: Je mehr Blut fließt, desto besser! Durch die klare Darlegung von Gut und Böse wird Betroffenheit und Nachdenken ausgelöst. Und das war es doch, was du auch wolltest, zum Nachdenken anregen, oder? J Außerdem wollte der BS UNTERHALTEN. Die übertriebene Darstellung der Greueltaten war ein stilistisches Mittel, welches auch heute noch benutzt wird. Übrigens nicht nur bei der „schwarzen Gemeinde“, schalt mal RTL ein oder schlag die BILD auf.
11) Du hast uns nicht den Nachmittag verdorben, denn du hast ja nicht genörgelt. *g*

ANMERKUNG VON MIR:
Eigentlich wollte ich das unkommentiert hier stehen lassen... aber eins muss ich klar stellen: Das Wort "Todessehnsucht" (siehe Punkt 2) taucht in dem Text weder direkt noch indirekt auf!

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Red Hot Chili Peppers - 21. August 2003 - Landschaftspark Nord, Duisburg

Sometimes life is wonderful

Der Lapa Nord

- Der Bericht
- Der Abend
- Die Playlist

DER BERICHT:

In meiner Badewanne sitze ich immer beim Duschen. Irrwitzig muss das manchmal aussehen, naja, beobachtet mich ja keiner. Und so hocke ich auch an diesem Morgen in der Wanne, versuche zu vermeiden, dass mein Bad überflutet wird, mangels Duschvorhang eine große Gefahr. Das Wasser zerklatscht auf den Fliesen, am Fenster, auf meinem Gesicht. Stelle mir eine Kameraeinstellung vor. Ja, wie wäre es wohl, wenn mein Leben mal verfilmt würde? In Zeitlupe würde diese Szene laufen, jeder einzelne Tropfen flöge so groß daher wie ein Heißluftballon, um dann an meinen Augenbrauen zu zerschellen wie am Mount Everest. Ich singe nicht beim Duschen. Ich denke. Ich schließe die Augen, lege den Kopf nach hinten, in den Nacken, so sehr, dass es beinahe knackt. Mein Bruder Thommy stapft grad durch Hanoi. Nord-Vietnam. Der Stadt, in der das Ho-Thi-Minh-Mausoleum steht. Läuft grad dort vorbei. Vielleicht. Noch ein paar Stunden bis zum Peppers-Konzert. Dann schwebt Thommy in der Lüfte, träumt irgendwovon. Und ich werd "Under the bridge" mitsingen. Die Tropfen fließen, fließen und fließen. Warmes Wasser. Kaltes Wasser. Durchblutung anregen.
Zeitsprung.
Konzert vorbei. Lange vorbei. Ein paar Stunden. Es kribbelt im Bauch. Immer noch, immer noch, immer noch. Kann es nicht vergessen. Will es nicht vergessen. Dieser Ort, himmlisch, wenig gesehen, egal, geschenkt, die Musik, diese Lieder. Kribbeln.
Uhr zurück.
Haaallloooooo und herzlich Willkommen zu meinem Konzertbericht vom Red-Hot-Chili-Peppers-Gig im Landschaftspark Nord! Was erwartet Ihr an dieser Stelle? Möglichst originelle Schilderungen von den witzigsten Erlebnissen, eine gefühlsbetonte Erzählung der emotionalsten Momente oder eine Playlist? Ich werde versuchen, all Euren Erwartungen gerecht zu werden. Denn schon seit ner halben Stunde hock ich vor dem Bildschirm, blicke auf die gelbe Seite und bin doch nur in der Lage ein paar "aaaaaaaaaaaaaa"'s hintereinander einzutippen. Will einen Text schreiben, der diesem Konzert, der diesem Tag gerecht wird; und doch zaubert niemand eine goldene Idee in mein Hirn!
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa.
17.50 Uhr. Das Telefon klingelt. "Andreas Ernst?" "Hallo Andreas, hier ist Turan. Wollte nur sagen: Wir haben mit Vatan Spor doch am Samstag ein Testspiel. Heiligenhaus Türkgücü, 17 Uhr, Ruhrstadion." "Du, Turan, ich habs aufgeschrieben, würd auch gern mit Dir plaudern, aber ich muss dringend weg!" "Alles klar, tschüss!" Aufgelegt. Telefon. "Andreas Ernst?" "Hi, hier ist Nadine. Ich komm jetzt vorbei!" Ein letzter Blick ins Portmonee. Yepp, die Eintrittskarte habe ich eingepackt. Es kann losgehen. Seit einer so langen Zeit warte ich auf diesen Tag. In einsamen, dunklen Stunden nahm ich dies braune Eintrittskarte zur Hand, blickte auf die schwarze Druckschrift mit den vier englischen Wörtern "Red Hot Chili Peppers" und sinnierte über diesen Abend. Welche Lieder sie spielen, ob das Wetter gut ist, ob die Hochöfen im Landschaftspark angestrahlt sind oder nicht. Und nun fährt Nadine mir fast mit ihrem roten fahrbaren PS-Untersatz auf der Engelbertusstraße über den Fuß. Es ist ein so herrlicher Tag. Nicht mehr so warm wie in den Vorwochen, aber auch nicht wirklich kalt. Und dann kann ich noch Nadine näher kennenlernen. Sie ist zwar schon seit einem halben Jahr mit Björn zusammen, aber die Zeit für ein längeres Gespräch haben wir noch nie gefunden. Björn schwitzt in irgendeinem Hörsaal und schreibt an seinem zweiten Medizin-Staatsexamen, mein Bruder steigt grad in Hanoi in den Flieger, und ich? Stau auf der A3, kurz vor der Abfahrt "Oberhausen-Lirich/Duisburg-Meiderich". Beginn 18 Uhr steht auf der Eintrittskarte, aber Vorbands sind angekündigt und vor halb neun kommen die wohl eh nicht. Nadine erzählt von ihrem Praktikum beim Kinderarzt (unter den Medizinern heißt das "Famulatur"), ich von meinem Journalisten-Alltag. Zwischendurch Telefonat mit Björn. "Viel Spaß!" Was kommt da auf uns zu? "Also ein Kollege hat mir vorgestern gesagt, da würden über 20.000 Leute kommen", verrate ich Nadine mit einem triumphierenden Unterton diese brandheiße Info, um dann gleich zweifelnd hinterherzufragen: "20.000? Wo sollen die denn da hin?" Das Radio läuft. WDR 2. "Higher Ground" von UB 40, "Don´t you" von den Simple Minds. Umschalten auf Radio Duisburg. "Verkehrschaos am Landschaftspark Nord blieb aus, obwohl 25.000 Zuschauer beim Konzert sind!" Zwei Menschen blicken sich fragend an. 25.000? Wir stehen im Stau. Chaos. Nichts geht mehr. Parkplatz am Arsch am Welt.
Wolkenlos ist es nicht gerade. Und doch grinsen die ehemaligen Thyssen-Hochöfen majestätisch, als ich sie aus der Entfernung anblicke. Sie kommen näher, näher und näher, werden größer. Das ist es. Das ist das Lokalpatriotismus-Gefühl, das ich für mich eigentlich nie gern in Anspruch nehmen möchte, das mich aber immer überfällt, wenn ich unter den Türmen der Industrie-Ruinen stehe. Wenn ich über das weitläufige Gelände spaziere, wenn die Lampen ein unglaubliches Farbenspektakel veranstalten. Gleich erst, gleich erst, gleich erst. Warum bin ich nochmal hier? Man sind die Hochöfen schön. "Ich find das ziemlich geil hier", sage ich Nadine. Nicht zum letzten Mal. Und die Bühne ist noch weit entfernt.
19.20 Uhr. Beginn schon lange vorbei, erste Vorband auch, die zweite beginnt grad. "Sag mal, Nadine, wo ist eigentlich die Bühne?" Oha, was für ein großes Gelände... Schon seit dem Parkplatz haben Nadine und ich das Wort "Festival-Atmosphäre" für uns exklusiv gemietet. Aus allen Nebenstraßen ziehen meist Jugendliche in eine Richtung. Aus der Luft, aus einem Helikopter sieht es bestimmt wie ein großer Regenwurm aus, der sich durch den Park schiebt. Fliegende Händler verscherbeln Bier und Cola, ein Fressstand folgt dem nächsten, Bratwurst, Krakauer, Hot-Dogs, Pizza, noch mehr. Karte abreißen lassen, Fernglas vermissen. Die Bühne ist ein winziger Punkt am Horizont. Aber es ist so geil hier. "Ich find das ziemlich geil hier. Ich weiß, dass ich Dich mit dem Satz nerven werde, Nadine!" "Ach macht nichts!" Dieser Park ist das Symbol für das Ruhrgebiet. Für die arbeitende Vergangenheit, hart schuften und so. Und in der Gegenwart wird nicht mehr gearbeitet. Hier wird romantisiert, hier wird geliebt, gelebt, gedacht. Mein Lieblingsort im Pott. Und nun spielt hier meine derzeitige Lieblingsband. "Geht gar nicht", brumme ich vor mich hin (meine aktuelle Lieblingsphrase) und grinse wie bei meinem ersten Tor in der F-Jugend. Yeahyeahyeah.
20.20 Uhr. Die heiße Phase beginnt. Es dämmert am Himmel, und einige der 25.000 haben es sehr unbequem. Ein paar wuchten ihr Körpergewicht auf einen Becks-Bierwagen, die nächsten haben einen Hügel auf der anderen Seite der alten Emscher entdeckt und beobachten das Geschehen für lau aus der Ferne. Auf den Hochöfen steht niemand, vermutlich sind die abgeriegelt. Und Nadine und ich quetschen uns nach vorn. "Dürfen wir mal? Danke, danke, danke!" "Sollen wir hier stehen bleiben?" "Ach nöö, ein bisschen geht noch!" Das Gelände ist uneben, und nicht wirklich perfekt für Konzerte geeignet. Egal, es ist eine Super-Location und es sind DIE PEPPERS! Meine innere Sanduhr tickt und tickt und tickt - und wenn sie abgelaufen ist, wird sie einem Musikrausch weichen. Wo Thommy grad wohl ist? Ist er schon in der Luft? Wird grad das Essen serviert? In Gedanken steht er neben mir. Er hätte am Peppers-Konzert auch ne Menge Spaß. Bruder, ich gröl mit für Dich!!! "Nadine, es geht erst los, wenn die großen Flutlicher ausgehen. Macht die Konzert-Erfahrung!" "Weiß ich doch!"
21.10 Uhr. Die Flutlichter gehen aus.
Gemurmel. Gemurmel. Gemurmel.... ein großer Jubelschrei schweift von vorn nach hinten. Kommen sie? Kommen sie? Kommen sie? Jaaaaaaaaaa, sie sind da. Drücken, schieben, heben. "Siehst Du was?", brüll ich Nadine ins Ohr. Kopfschütteln. Verzweifelte Kerle stemmen ihre Freundinnen auf ihren Schultern in die Höhe, die Metapher mit dem "übereinander stehen" bekommt realistische Züge, und die ersten Töne werden angespielt...
"Standing in line
to see the show tonight
and there´s a light on
heavy glow
BY THE WAY
I tried to say
I´d be there..."
Mitsingen ist Pflicht. Die Peppers, die derzeitige Konsensband, auf die sich irgendwie alle einigen können. "Funkrock" soll das sein, weiß ich nach diversen Internet-Sessions, und die Möchtegern-Nostalgiker faseln etwas von "ach heute sind die doch auch nur noch auf Kommerz aus und früher war alles besser!" Was sind Rockfans manchmal nur für konservative Spinner... Ich bin keiner. Bei mir laufen gerade die letzten CD´s rauf und runter, auch wenn sie millionenfach verkauft wurden. Ist mir bewusst, aber schnurz.
Kaum noch in der Lage, klare Gedanken zu fassen.
Was? BY THE WAY ist schon vorbei? Hat doch grad erst angefangen. Klatschen. Die Hände prallen aneinander, so sehr, dass es schmerzt. Und das nächste sanft gezupfte Gitarrensolo kündigt einen weiteren Kracher an. SCAR TISSUE. Geht gar nicht.
Die Zuschauermenge ist sehr unruhig. Sonst haben die Kerle nach zehn Minuten genug davon, ihre Frauen in die Luft zu heben. Diesmal nicht. Hin- und her wippen, immer wieder, nicht mal ich kann übermäßig oft ganz klar und deutlich die Bühne sehen. Der armen Nadine gehts ähnlich, sie ist noch etwas kleiner als ich. Aber der Klang zählt. Und der Blick auf die Leinwand entschädigt.
Und der Blick auf den Hochofen.
Es dämmert.
Und die Lichter gehen an.
Grün. Gelb. Rot.
Hochofen in Farben getunkt.
Weißes Flackerlicht von der Bühne.
"Fly away on my Zephyr
I feel it more than ever
and in this perfect weather
we´ll find a place together
fly on... my wind!"
THE ZEPHYR SONG!
John Frusciante behandelt die Gitarre wie ich meine Dauerkarte vom VfL Bochum. Anthony Kiedis sagt zwischen den Liedern irgendwas. Ich versteh es nicht.
"It´s the edge of the world
And all of western civilization
The sun may rise in the east
At least it settles in the final location
It´s understood that Hollywood
sells CALIFORNICATION!"
Und auch noch OTHERSIDE, ein unglaublich gutes Live-Lied!
"HOW LONG HOW LOOOOOONG WILL I SLIDE - SEPERATE MY SIDE I DON`T I DON`T BELIEVE IT`S BAAAAAAD - SLIT MY THROAT IT`S ALL I EVEEER!"
Wow, Schluss, aus, vorbei, nach 80 Minuten. Nach Balladen, und nach astreinen Rocksongs wie "Give it away" und "Can´t stop". Klatschen, klatschen, klatschen, schlecht gesehen, egal. Ein Mädel beim Kreislauf-Kollaps gesehen und lange auf den Sanitätsdienst gewartet, egal. Peppers im Landschaftspark.
"Ich find das ziemlich geil hier!"
Und eins fehlt doch noch.
Sie müssen es spielen. Müssen es. Und kommen wieder. Und tun´s.
Eins von den Songs, die seit 1991 auf keiner meiner "Best-Of"-CD´s fehlt. Eins von den wenigen neben "Everlong" von den Foo Fighters, welches mich durch dunkle Stunden begleiten darf. Fängt seicht an... Thommy hat´s mir damals nahe gebracht. Wo der wohl grad ist? Überfliegt grad Thailand, halb Asien, irgendwie. Quer durch die Zeitzonen.
Und ich sing:
"Sometimes I feel
like I don´t have a partner
Sometimes I feel
like my only friend
is the city I live in
the city of angels
lonely as I am
together we cry"
und am Ende brüll ich fast:
"UNDER THE BRIDGE downtown
is where I drew some blood
UNDER THE BRIDGE downtown
I could not get enough
UNDER THE BRIDGE downtown
Forgot about my love
UNDER THE BRIDGE downtown
I gave my life away."
Das war´s.
Fantastisch. Metallica als die Mutter aller Konzerte? Nein! Keine unberechtigte Abstufung zwischen den Peppers und Metallica. Bin allein für mich unter 25.000...
22.50 Uhr. Ach Du je, und jetzt noch zurück zum Parkplatz. "Lass uns doch quer durch gehen", schlägt Nadine vor. Wir kennen uns beide im Lapa Nord aus. Aber irgendwelche Security-Schimpansen schirmen das Innere ab. Unverständlich im Augenblick, aber doch akzeptabel im Nachhinein. Von den 25.000 kennen sich 23.000 bestimmt nicht aus, und für die kanns sehr gefährlich sein in den kantigen Industrie-Ruinen. Und doch schaffens zwei an den Sicherheitsleuten vorbei. "Warum dürfen die durch?", fragt jemand. "War wahrscheinlich ein Gebildeter!", antwortet eine Frau in Security-Uniform, dreht sich um und fragt ihren Kollegen: "Warum haste den durchgelassen?" Sagt der: "Der hat gesagt: ,Lass mich durch. Deine Kollegin hat mich auch durchgelassen!' " Das nenne ich wirklich gebildet...! Auf der Hauptstraße steht ein Herbert-Knebel-Verschnitt im Schießer-Feinripp und wundert sich über den Stau. In unseren Hälsen verschwindet der letzte karge Rest der Mineralwasserflasche.
Bliebe mir nur noch ein paar Gedankengänge abzuschließen.
Der Tag klingt aus, wo er begonnen hat. Im Bad zerklatschen wieder die Tropfen in meinem Gesicht, der abgewaschene Staub des Park-Sandes verschwindet im Abfluss. Thommy schläft grad überm Mittelmeer, würd ich vermuten. Und ein Abend geht vorbei, den ich nie vergessen werde.

Die Eintrittskarte

DER ABEND:

Konzertbeginn: Auf der Eintrittskarte stand: Einlass 15.30 Uhr, Beginn 18 Uhr. Aus arbeits- (Andi) und praktikumstechnischen (Nadine) Gründen konnten wir erst gegen 17.50 Uhr losfahren. Aufgrund eines Staus auf der Autobahn und einer umständlichen Parkplatzsuche waren wir erst gegen 19.20 Uhr auf dem Gelände. Das war aber nicht weiter schlimm, sondern im Gegenteil nahezu optimal. Wir verpassten zwar die erste Vorband, bekamen die zweite (The Distillers) in voller Länge mit. Die Peppers kamen gegen 21.10 Uhr, wir standen mittendrin im Getümmel. Den letzten Takt spielten sie um 22.50 Uhr, nach "nur" einer Zugabenrunde. Zurück brach ein leichtes Chaos aus... allein der Weg vom großen Lapa-Nord-Gelände bis zum Parkplatz dauerte 45 Minuten... daher kamen wir erst um kurz nach Mitternacht wieder in Mülheim an!
Ort: Landschaftspark Duisburg-Nord! Wer diese Homepage ein wenig länger studiert und den Bericht aufmerksam gelesen hat, der weiß, welch große Bedeutung dieser Ort auch vor diesem Konzert für mich hatte. Der Inbegriff des alten und neuen Ruhrgebiets. Alte Hochöfen, die nun zu besteigen sind, große Wiesenflächen, auf denen Partys und Romantik sich nicht ausschließen, Neonröhren in grellbunten Farben, die die Industrieruine in ein Spektakel verwandeln. Aufdringlich, aber doch nicht nervend. Laut, und doch ruhig. Ich kann mich nur wiederholen: Wenn ich Gästen, die noch nie das Ruhrgebiet erlebt haben, im Pott herumführe, fahre ich mit ihnen zuerst zum Landschaftspark Duisburg-Nord. Und nun werde ich eine Erinnerung mehr an diesen Ort haben: Dieses fantastische Konzert! Wann immer ich nun die Hochöfen besteigen werde; wann immer ich einen Blick über Duisburg, Oberhausen, Essen, Bottrop und Mülheim wage, ich werde nicht nur in die Ferne schauen, sondern auch auf die nahen Wiesen. Ich werde meine "Mitkletterer" ansehen und ihnen sagen: "Da unten haben im August 2003 die Red Hot Chili Peppers gespielt. Vor 25.000 Menschen. Und ich war dabei!" Was schöneres gibt´s kaum... Da störts auch nicht wirklich, dass die große Wiesenfläche nicht optimal für ein Konzert geeignet ist, weil es oft rauf und runter geht. Selbst für mich (1,86 Meter!!!) war es schwierig, das Bühnengeschehen optimal zu verfolgen. Zweiter Negativpunkt: Die Fluchtwege waren viel zu schmal! Wenn es zu einem Chaos gekommen wäre, hätte es zu einer Katastrophe kommen können. Die Zuschauerzahl ist übrigens nicht gelogen: Es waren tatsächlich 25.000 Menschen da (und an der Tageskasse gab es sogar noch Karten...)!!!
Eintrittskarte?: Ich weiß es noch genau. Irgendwann im Februar stand in der WAZ, dess die Peppers im Landschaftspark Nord spielen. Draußen waren Minustemperaturen, es schneite und mir war kalt. Dennoch verbrannte ich mir in diesem Moment die Zunge am Pfefferminztee. In der nächsten Sekunde ging ich online, bestellte sofort die Karte und bekam sie Anfang März per Post geliefert. Seitdem lagerte sie wohl behütet in einer Schublade, wenngleich sie auch 48 Euro kostete. Aber: Das war´s wert. Eine Woche vor dem Konzert bekam ich sogar ein zufällig noch eine zweite Karte, nämlich von meiner Arbeitskollegin Nicoletta. Sie fuhr kurzfristig in den Urlaub und konnte daher nicht hin. Schon zwei Stunden, nachdem Nico mir die Karte gegeben hatte, war sie auch schon wieder weg...
Die Mitreisenden: ... sie ging nämlich an Nadine, Björns Freundin. Während Björn von "gitarrenlastiger Scheiße" nichts wissen will (und an diesem Tag an seinem zweiten Medizin-Staatsexamen bastelte), teilt Nadine meinen Musikgeschmack und sie war geradezu hingerissen von dem Angebot, die Peppers live zu sehen. Nadine und ich verbrachten sechs kurzweilige Stunden zusammen, lernten uns endlich mal näher kennen. Es war ein sehr schöner Abend, den ich in seiner Gesamtheit gewiss nicht vergessen werde!

25.000 Leute25.000 Zuschauer im Landschaftspark Nord!

DIE PLAYLIST:

ohne Gewähr... es fehlen sechs oder sieben Stücke, die ich nicht direkt zuordnen bzw. mir nicht merken konnte!
u.a.
1) "By the way" (vom Album "By the way" / 2002) wirklich als allererstes Lied...
2) "Scar tissue" (vom Album "Californication" / 1999) wirklich als zweites Lied... Knaller, oder?
- "Universally speaking" (vom Album "By the way" / 2002)
- "Around the world" (vom Album "Californication" / 1999)
- "Otherside" (vom Album "Californication" / 1999)
- "Californication" (vom Album "Californication" / 1999)
- "The Zephyr Song" (vom Album "By the way" / 2002)
- "Can´t stop" (vom Album "By the way" / 2002)
- "Give it away" (vom Album "Blood Sugar Sex Magik" / 1991) als letztes Lied vor den Zugaben!

1. und einzige Zugabenrunde:
- "Under the bridge" (vom Album "Blood Sugar Sex Magik" / 1991)
Rausschmeißer (über Lautsprecher; während die Lichter wieder angingen):
BOB MARLEY: "The Redemption Song"

Zusammenfassung:
"Blood Sugar Sex Magik" (1991) = 2
"Californication" (1999) = 4
"By the way" (2002) = 4

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Die Ärzte - 14. Dezember 2003 - Arena Oberhausen

... dass der Rock die Welt regiert !

- Der Bericht
- Der Abend
- Die Playlist

Die Presse-Karte

DER BERICHT:

Es ist ein Postkarten-Motiv. Tausende Menschen heben ihre Hände in die Luft, klatschen, applaudieren, was auch immer die Kraft nach drei Stunden noch hergibt. Immer schön im Takt bleiben, immer schön im Takt. Silke und ich haben den Innenraum verlassen, stehen schon im Treppenaufgang und blicken hinab. Staunend, schwitzend, ergriffen. Die Szene läuft vor mir in Zeitlupe ab. In Gedanken stehe ich in der ersten Reihe, bekleidet mit einer Jeans und einem völlig durchgeschwitzten T-Shirt, der Schweiß tropft mir von der Stirn, meine Haare kleben an der Wange fest. In Zeitlupe wippe ich auf und ab, hin und her. Dann wache ich auf, schaue auf die Bühne und sehe drei Männer. Farin, Bela und Rod, oder besser: Die Ärzte. Die beste Band der Welt, wie auch immer. Sie verabschieden sich schonmal, es ist grad Geisterstunde, kurz nach zwölf und dann stimmen sie leise an: "Warum hast Du mir das angetan? Ich habs von einem Bekannten erfahrn! Du hast jetzt einen neuen Freund, drei Wochen lang hab ich nur geweint, jetzt schaust Du weg, grüßt mich nicht mehr, und ich liiiieb Dich immer noch soooo sehr; ich weiß was Dir an ihm gefällt, ich bin arm und er hat Geld. Du liebst ihn nur weil er ein Auto hat und nicht wie ich ein klappriges Damenrad...... DOCH EINES TAGES WERD ICH MICH RÄCHEN, ICH WERD DIE HERZEN ALLER MÄÄÄÄDCHEN BRECHEN; DANN BIN ICH EIN STAR, DER IN DER ZEITUNG STEHT, UND DANN TUT ES DIR LEID, DOCH DANN IST ES ZU SPÄT!!!" Der Kracher. DER Fetenhit. Den alle mögen. So auch ich. Ob Matrix, Pulp, T-Club... irgendwo läuft der. Ein letzter Höhepunkt.
... "Sag mal Schri, wie heißt Du eigentlich?" "Zippel!" "Ganz schön anstrengendes Spiel, oder? Wie viele Gelbe waren das in der ersten Halbzeit" "Acht!" "Schönes Spiel noch!" 14. Dezember 2003, das Wetter ist - untertrieben ausgedrückt - beschissen. Blick auf die Uhr: Puuuh, 15 Uhr, noch eine Dreiviertelstunde überstehen, dann ist im Amateurfußball endlich Winterpause. Dann brauche ich vorerst nicht bei Sturm und Schnee vor die Tür, nicht mehr die Ascheplätze der Region bevölkern. 45 Minuten noch Rot-Weiß Mülheim gegen Hamborn 90, Spielstand 2:1 für Hamborn. Telefon zur Hand nehmen: "Sag mal Silke, bleibt es bei heute Abend?" "Vielleicht musst Du alleine gehen. Ich hab Migräne!"
Es ist mein viertes Konzert in der Arena Oberhausen. Ich finde, sie sieht ziemlich klein aus. Wie eine 5000-Mann-Klitsche. Jedesmal, wenn ich dann höre, dass sie über 12.000 Menschen fasst, kriege ich fast einen Kreislaufkollaps. 12.000 Menschen? So viele? Hmm... womöglich haben die ganzen großen Fußballstadien meinen Sinn für die Realität ein bisschen vernebelt. Das letzte Mal war ich vor in etwa genau einem Jahr hier, beim Weihnachtskonzert der "Toten Hosen", als Kuddel die sensationelle "Still Still Still"-Version anstimmte, und ich auf "The little drummer boy" abfeierte. Als ich in meinem Bekanntenkreis verbreitete, schon zum zweiten Mal nach dem Club-Konzert im März in Krefeld die "Ärzte" sehen zu wollen, bekam ich die Rückfrage: "Wie? Du findest die Ärzte UND die Hosen gut? Die können sich doch gar nicht riechen!" Na und? In meiner Kindheit, mit 10, 11 und 12, war mir das ziemlich egal. Und danach war´s zu spät.
Noch 150 Zeilen... mensch, geht denn das nie vorbei. Bloß jetzt keine Schreibblockade, bloß kleine Schreibblockade, 19 Uhr, in einer Stunde geht das Konzert los, und ich hock noch in Mülheim rum. Hoffentlich klappt das auch wirklich. "Ihr kennt doch alle die Silke von der Mülheimer Woche", erzähle ich jedem, die mir in die Quere kommt, "die hat sich akkreditieren lassen, für zwei Personen. Sie hat einen Fotopass, und ich bin die zweite Person. Die Silke ist soooooooo lieb, dafür hat sie einen gut bei mir. Ach, zwei, drei oder vier." Telefon. "Silke" steht im Display. "Hi Andi! Ich bin doch gefahren und schon drin" (natürlich ist sie das, ich habe nicht daran gezweifelt, denke ich für mich); "das ist alles ganz leicht. Du gehst zu Kasse 8, sagst: "Mülheimer Woche", dann guckt die in eine Liste und Du kriegst Deine Karte!° Ich glaube immer noch nicht daran, dass das klappt. Wenn nicht, ist es auch egal. Dann habe ich am Sonntag endlich mal um 20 Uhr Feierabend! Andi mach hinne, Andi mach hinne, Andi mach hinne; keine Zeit mehr, meine Texte Korrektur lesen zu lassen; "Tschuldigung, ich muss los!" Die 112 Richtung Oberhausen-Sterkrade fährt fast schon los, letzter Zwischensprint. Bahn bekommen; endlich. "Nächste Haltestelle: Neue Mitte", erklingt es eine halbe Stunde später. Aussteigen bitte. Kasse 8 suchen; Puls steigt. Das klappt niiiiiemals. Eine junge Dame hinterm Tresen. "Mülheimer Woche" brülle ich inmitten eines Riesentrubels durch die Scheibe, versuche dabei so professionell wie möglich auszusehen. "Dreist gewinnt", heißt es. Und das heißt es zurecht. Ohne meinen Ausweis sehen zu wollen, ohne auch nur einen Blick in eine Liste zu werfen, gibt mir die junge Dame die Eintrittskarte. Da hätte jeder Idiot hingehen können, so leicht ist das.
Als ich meinen ersten Fuß in den Innenraum bewege, sprinten "Fettes Brot" auf die Bühne, das Hip-Hop-Trio aus Hamburg. Hab mich von Anfang an gewundert, dass die Ärzte die Brote mitgenommen haben. "Ich hoffe", sagt das Brot Boris in einem freundlichen Ton, "dass wir Euch Punkrock-Publikum ein bisschen begeistern können!" Sie können es (hab ich übrigens schon Silke für die Eintrittskarte gedankt?). Fantastischer Höhepunkt ist "Jein", jene Ode an die Unentschlossenheit, die 1996 entstand und die ich auswendig mitrappen kann. "Es ist neunzehnsechsundneunzig meine Freundin ist weg und bräunt sich in der Südsee... ALLEIN? ja mein Budget war klein! NA FEIN, HEREIN, WILLKOMMEN IM VEREIN!" Da applaudiert die ganze Halle freundlich. Durch die Halle schwirren Kameras. Warum eigentlich?
SMS von Silke... 20.35 Uhr... "Wo stehst Du?" Antwort: "Direkt vor dem Mischpult! Ganz hinten im Innenraum."
Hui, meine Arbeitstasche ist ganz schön schwer. Alle meine WAZ-Unterlagen lagern da drin, dazu mein dicker fetter Uni-Block und ein Sport-Jahrbuch zum Angeben. Und das soll ich jetzt mindestens drei Stunden auf der Schulter tragen? Na das wird ja ne ganz tolle Nacht. Silke ist im Anmarsch. Nicht zum einzigen Mal flöte ich ihr hauchend ein "DANKE SILKE" ins Ohr. Mensch bin ich ihr dankbar. Wenn ich die Kohle, die ich im März bei Ebay gelatzt habe durch zwei Konzerte teile, dann erreiche ich in etwa einen guten Schnitt. Boah ist meine Tasche schwer. Der Arbeitstag ist abgehakt. Ich schaue mich in der Halle um, beobachte die Leute. "Ist doch nur was für Teenager", wurde mir oft entgegengespottet, aber nein, ist es nicht. Okay, einige Mütter sind mit ihren Kindern gekommen, aber der Großteil bewegt sich in meinem Alter. Alles Leute, die die Ärzte auch in ihrer Jugendzeit entdeckt haben und den Weg der Band mitverfolgten. Die neue CD "Geräusch" stieg von Null auf Eins ein im November, und seitdem sind die Ärzte in meinem Ansehen ein wenig gestiegen. Die Scheibe ist politischer als vorher. Zwar nicht anspruchsvoll politisch, sondern für-teenager-politisch, aber das ist sie. Im März sprachen sich die Ärzte gegen den Irak-Krieg aus, nach den Eindrücken von meinem ersten Konzert in diesem Jahr hätte ich das nicht erwartet. Jetzt wirds aber langsam Zeit. Die Spannung steigt, und dann geht das Licht aus...
Silke ist schon wieder verschwunden. Hat sich über die schlechte Sicht von ganz hinten beschwert und ist zur Fotokuhle gedackelt.
Jaaaaaa, da sind sie... lautes Gebrüll. In der Mitte der Bühne stehen Farin, Bela und Rod, links und rechts hängen zwei schwarze Bühnen-Vorhänge mit der weißen Aufschrift "ä" von der Decke herab. "Du bist nicht allein", lautet der erste Hit... und es kommt an. Riesenapplaus, und direkt danach johlt die Menge "Happy Birthday to youuuu, happy birthday lieber Beeeela, happy birthday to youuuu!" Tatsächlich, Bela wird heute 41 Jahre alt. Schon 41, der alte Sack. Farin komplettiert die gute Laune, indem er bekanntgibt, dass die ganze Show später auf DVD erscheinen wird. Prima, dann müssen sich die Drei richtig anstrengen, im März hatte ich manchmal den Eindruck, die Jungs hätten die Show mehr für sich abgezogen als für die Menge. "Ich ruf sie an.... 2000 Mädchen....", "Hipp-Hipp-Hurra-alles ist super alles ist wunderbaaaaaar"... keine Gedanken mehr an die Arbeit. Umschauen im Rund, dem Applaus zuhören, den Schmerz der Arbeitstasche verdrängen und Silke danken. Wo ist die eigentlich? Ach so, in der Fotokuhle. "Also gestern Abend, bei unserem ersten Konzert hier in Oberhausen, da brannten bei dem folgenden Lied viele Feuerzeuge", ruft Farin. Und er zupft leicht an seiner Gitarre und säuselt "Mach die Augen zu". Himmlisch.
SMS... "Hab einen viel besseren Platz. Rechts vorn, direkt vor der Bühne. Ist viel Platz". Schreibt Silke. Ich boxe mich durch, und habe dank der Aufschrift "Presse" auf meiner Eintrittskarte sofort Zugang zu allen Blöcken. Ich glaub, Pressefritzen sind die Privatpatienten unter den Konzertbesuchern. Keiner mag sie, und überall kommen sie zuerst dran.
Während "Grace Kelly" läuft, suche und finde ich Silke. Rufe ihr als erstes "Danke" zu (natürlich!), wippe bei den meisten Liedern leicht mit (was mir nachher den Spruch "Du feierst mehr so in Dich hinein" einbringt) und wundere mich über die Nähe zur Bühne. Erste Reihe quasi. Der Rest fliegt an mir vorüber. Das ständig wechselnde Bühnenbild, die Sprüche zwischendurch. Nette Witzkes von Farin. Wahlweise Bela oder auch Rod. Silke ärgert sich über die miesen Lichtverhältnisse beim Fotografieren. Ich darüber, dass ich bei den ganzen neuen Sachen nicht textsicher bin. Auf meinem Handy tippe ich fleißig rum, um mir die Playlist zu notieren. "Bitte geehh noch nicht, ich weiß es ist schon spät, ich will Dir noch was sagen, ich weiß nur nicht WIE ES GEHT!" DAS kann ich noch mitsingen. Genauso "Ist das alles?" Ist das alles? Schon nach 100 Minuten verlassen die Ärzte die Bühne. Und jeder weiß genau: Jetzt kommt noch einmal fast genauso langer Teil. Stimmung ist gut. Könnte aber besser sein. Wenn die Jungs nicht gerade animieren, wird es schnell still. Wenn die gestern auch für die DVD aufgezeichnet haben, wird wohl eher dieses Konzert genommen. Wie auch immer.
Ein Klavier wird auf die Bühne gerollt. Und Rod kommt. Spielt die neue Single, aus seiner Feder stammend. "Das sind Dinge von denen ich gar nichts wissen will!!!!" Ein Song zum Mitgröhlen und das klappt erstaunlich gut! Rod sieht nicht nur begeistert aus, er ist es auch. Jetzt kommen alle Klassiker. "Unrockbar" gehört auch dazu, obwohl es gerade frisch aus dem Ärzte-Ofen kommt. Mit der fantastischen Zeile: "Dann hast Du auch bald kapiert: DASS DER ROCK DIE WELT REGIERT!!!!" So ist es. Sie haben mir aus der Seele gesprochen. Eine unrockbare Freundin könnt ich mir schwer an meiner Seite vorstellen. Die Ärzte verschwinden, erscheinen zurück in der "Rock´n´Roll-Realschule"-Kluft, mit der sie für MTV aufgetreten sind. Verschwinden wieder, kommen normal zurück. Gemeinsam mit Fettes Brot, die "Nordisch by nature" zum Besten geben, während die Ärzte "Fafafa" mit dem Refrain "Fafafafafa - verpiss Dich" schreien. Eine Super-Idee, die rockt. Belas Solo folgt bei "Manchmal haben Frauen". "Manchmal aber nur manchmal haben Frauen ein kleines bisschen Haue gern!" Ich schaue Silke an, singe es ihr entgegen, und sie singt zurück bei der Abschlusszeile "Immer, ja wirklich immer, haben Typen wie Du was auf die Fresse verdient!!!" Das Lied ist aus, ich danke Silke und meine Tasche tut immer noch weh. Ich stelle sie ab, und klemme sie zwischen meine Beine. Scheiße auf die Idee hätt ich auch früher kommen können.
Drei Stunden sind um, es schlägt zwölf. Na das nenn ich Konzert. Nicht nur 90 Minuten, wie bei den Peppers oder Coldplay. Nur noch ein Lied fehlt. Und es kommt. "EINES TAGES WERD ICH MICH RÄCHEN, ICH WERD DIE HERZEN ALLER MÄDCHEN BRECHEN!!!". Genau mein Motto im Moment. Das Konzert ist aus.
Silke fährt mich noch nach Hause. Völlig aufgekratzt, völlig überdreht. 0.30 Uhr ist der Abend für mich vorbei. Keine Ahnung, wie ich den Bericht gliedern soll. Wie er aussehen soll. Hocke vor dem Bildschirm und beschließe, die Formulierungen auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Nur eins ist klar: Zwei Worte werden immer wieder auftauchen. Nämlich "DANKE SILKE!"
 

DER ABEND:

Konzertbeginn: Einlass 18.30 Uhr, Beginn 20 Uhr. Ich nahm - hinter mir lag schließlich ein stinknormaler Arbeitssonntag - die Straßenbahnlinie 112 ab "Kaiserplatz" um 19.33 Uhr, und fuhr bis "Oberhausen Neue Mitte". Heißt: Um Punkt 20.10 Uhr betrat ich den Innenraum, und genau in dieser Sekunde spielten die Fetten Brote den ersten Takt. Ja, richtig gelesen, die Band "Fettes Brot" aus Hamburg, ein deutsches Rap-Trio, durfte einheizen. Die Jungs machten das vor dem Punkrock-Publikum auch richtig gut und hatten zusätzlich bei der zweiten Zugabenrunde der Ärzte eine geile Einlage. Die Ärzte selbst kamen um 21.10 Uhr und blieben (mein persönlicher Rekord) fast auf die Sekunde genau DREI STUNDEN! "Normal" spielten sie bis 22.45 Uhr, also 1:35 Stunden. Die Zugaben dauerten fast genauso lang (1. Runde bis 23.15 Uhr, 2. Runde bis 23.40 Uhr, 3. Runde bis 0.05 Uhr)! Besonderheit: Die 2. Runde spielten die Jungs in der "Rock´n´-Roll-Realschulkluft", das heißt mit rotem Jacket... Unterm Strich? Sound klasse, Songs toll, Stimmung bestens, Licht gut, Sicht phantastisch - einfach ein gelungenes Konzert!
Ort: So richtig lange gibt es die Arena in Oberhausen noch nicht, aber dennoch bin ich geneigt, sie "die gute alte" zu nennen, da sie z.B. vor der Köln-Arena und der Arena AufSchalke entstand. Für mich ist sie inzwischen die Punkrock-zu-Weihnachten-Arena. Im letzten Jahr sah ich fast zur gleichen Zeit die Hosen, diesmal die Ärzte. Und das Ganze vor über 10.000 Zuschauern in einem ausverkauften Haus. Der Abend wird auch demnächst auf DVD im Handel erhältlich sein. Mit zahlreichen Kameras wurde das Konzert mitgeschnitten.
Eintrittskarte?:Also eigentlich wusste ich am Sonntag um 17.30 Uhr noch nicht, ob ich um 20 Uhr tatsächlich den Innenraum der Arena betreten würde. Seitdem der Termin feststand, brannte in mir auch das Vorhaben, dieses verdammte Konzert an Belas 41. Geburtstag auch tatsächlich zu besuchen. Doch das war dann ruckzuck ausverkauft, und wieder bei ebay, so wie im März? Nee, zweimal ist mir die Sache so viel Kohle nicht wert. Und wenn du glaubst, da ist nix mehr, kommt irgendwo ein Lichtlein her (so in der Art geht das doch, oder?) In dem Fall war meine gaaaanz liebe Arbeitskollegin Silke dieses Lichtlein. Sie hatte ein Herz für den kleinen Andi und überließ ihm ihre zweite Akkreditierungs-Eintrittskarte. Ich kam daher sogar tatsächlich für lau in den Innenraum (bis zum letzten Moment war das eigentlich zu schön, um wahr zu sein), und konnte mein Glück kaum fassen. Fettes Brot und die Ärzte, umsonst! Geht eigentlich gar nicht! Aber auch für den Andi ist ein bisschen Glück mal erlaubt, oder?
Die Mitreisende: ... eben jene Silke Brembt, ihres Zeichens Pauschalistin bei der "Mülheimer Woche". Ein großer Ärzte-Fan! Sie hatte sogar einen Fotopass, und wer weiß - wenn sie mir ein/zwei Bilder zur Verfügung stellt, kann ich diesen Bericht bald mit Silke-Bildern zieren. Da sie zu Beginn zwischen Bühne und Innenraum hin- und herpendelte, standen wir erst ab Lied 12 zusammen - das aber rechts vorne mit einem optimalen Blick. Wir hätten die drei Jungs problemlos anrotzen können, so nah war das. Und ein letztes Mal: Danke Silke!

DIE PLAYLIST: (aber ganz original !)

1) "Nicht allein" (vom Album "Geräusch" / 2003)
2) "2000 Mädchen" (vom Album "Ist das alles?" / 1987)
3) "Richtig schön evil" (vom Album "Geräusch" / 2003)
4) "Hurra" (vom Album "Planet Punk" / 1995)
5) "Geld" (vom Album "Runter mit den Spendierhosen, Unsichtbarer!" / 2000)
6) "Motherfucker 666" (vom Album "Le Frisur" / 1996)
7) "Der Optimist" (vom Album "Runter mit den Spendierhosen, Unsichtbarer!" / 2000)
8) "Deine Schuld" (vom Album "Geräusch" / 2003)
9) "T-Error" (vom Album "Geräusch" / 2003)
10) "Mach die Augen zu" (vom Album "Die Bestie in Menschengestalt" / 1993)
11) "Wie am ersten Tag" (vom Album "Für immer" / 1986)
12) "Grace Kelly" (aus der Anfangsphase, "Teenager Liebe - Die frühen Jahre" / 1982+1983)
13) "Nichts in der Welt" (vom Album "Geräusch" / 2003)
14) "Zombie" (vom Album "Geräusch" / 2003)
15) "Geisterhaus" (vom Album "Geräusch" / 2003)
16) "Alleine in der Nacht" (vom Album "Für immer" / 1986)
17) "Die klügsten Männer der Welt" (vom Album "Geräusch" / 2003)
18) "Opfer" (vom Album "Planet Punk" / 1995)
19) "WAMMW" (vom Album "Geräusch" / 2003)
20) "Yoko Ono" (vom Album "Runter mit den Spendierhosen, Unsichtbarer!" / 2000)
21) "Rock Rendezvous" (vom Album "Runter mit den Spendierhosen, Unsichtbarer!" / 2000)
22) "Ein Sommer nur für mich" (vom Album "Runter mit den Spendierhosen, Unsichtbarer!" / 2000)
23) "Die Nacht" (vom Album "Geräusch" / 2003)
24) "Kopfüber in die Hölle" (vom Album "Die Bestie in Menschengestalt" / 1993)
25) "Wie es geht" (vom Album "Runter mit den Spendierhosen, Unsichtbarer!" / 2000)
26) "Ist das alles?" (vom Album "Ist das alles?" / 1987)

1. Zugabenrunde:
27) "Dinge von denen" (vom Album "Geräusch" / 2003)
28) "Unrockbar" (vom Album "Geräusch" / 2003)
29) "Meine Ex (plodierte Freundin)" (vom Album "Planet Punk" / 1995)
30) "Schrei nach Liebe" (vom Album "Die Bestie in Menschengestalt" / 1993)

2. Zugabenrunde:
31) "Langweilig" (vom Album "Planet Punk" / 1995)
32) MEDLEY (u.a. "Paul", "Quark", "Meine Freunde", "Nie wieder Krieg, nie mehr Las Vegas", "Schunder-Song")
33) "Monsterparty" (vom Album "Rock´n´Roll-Realschule" / 2002)

3. Zugabenrunde
34) "Fafafa" (vom Album "Die Bestie in Menschengestalt" / 1993) + parallel mit Fettes Brot: "Nordisch by nature"
35) "Manchmal haben Frauen" (vom Album "Runter mit den Spendierhosen, Unsichtbarer!" / 2000)
36) "Westerland" (vom Album "Das ist nicht die ganze Wahrheit" / 1988)
37) "Zu spät" (vom Album "Debil" / 1984)

Zusammenfassung:
"Die Ärzte früher" (1982+1983) = 1
"Debil" (1984) = 1
"Für immer" (1986) = 2
"Ist das alles?" (1987) = 2
"Das ist nicht die ganze Wahrheit" (1988) = 1
"Die Bestie in Menschengestalt" (1993) = 4
"Planet Punk" (1995) = 4
"Le Frisur" (1996) = 1
"Runter mit den Spendierhosen, Unsichtbarer" (2000) = 7
"Rock´n´Roll-Realschule - Die Ärzte bei MTV-Unplugged" (2002) = 1
"Geräusch" (2003) = 12
plus
MEDLEY = 1

Was nicht kam?
Zum Beispiel "Bitte bitte", "Elke", "Radio brennt", "El Cattivo", "Du willst mich küssen" - viele von den ganz alten Sachen. 20 der 37 Stücke entstanden in den letzten drei Jahren!

UND FETTES BROT?
Die spielten in ihren 45 Minuten u.a.
1) "Jein"
2) "Da draußen"
3) "Welthit"
4) "The Grosser"
5) "Lichterloh"
u.a.

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Helge Schneider - 20. Dezember 2003 - Stadthalle, Mülheim

Helge

Helge und Mülheim

Gesehen habe ich Helge Schneider schon häufiger. Jeder Mülheimer hat das. Wenn Helge sich nicht gerade auf Tournee befindet, tourt er durch die Mülheimer Innenstadt. Mit Vorliebe hockt er im Eiscafé Agnoli in der Innenstadt, trifft sich dort mit seinen Freunden und lässt es sich gut gehen. Oder aber er schiebt seine Frau samt Kinderwagen über die Schlossstraße (für alle Nicht-Mülheimer: die Fußgängerzone). Neulich hat er den Großteil seines neuen Films, der in Mülheim spielt und im April 2004 in die Kinos kommt, in der City gedreht. Womöglich ist es sogar eine Hommage an Mülheim geworden. Würde mich nicht wundern. Irgendwann hat Helge sogar direkt um die Ecke meiner elterlichen Behausung in Mülheim-Broich gewohnt. Das war direkt neben der Kirchengemeinde, in der ich eine Jugendgruppe besuchte. Bei Freiluftspielen mit Sonderaufgaben war immer die große Frage, wer bei Helge anschellen darf. Aufgemacht hat nie jemand. Inzwischen soll Helge in Oberhausen wohnen. Aber das juckt uns Mülheimer nicht. Er ist und bleibt einer von uns, so etwas wie das Wahrzeichen der Stadt. Helge gehört zu Mülheim wie Willy Millowitsch zu Köln, obwohl - zugegeben - der Vergleich hinkt. Im ruhrpöttischen Vergleich ist Mülheim unbekannt. "Hä - wo ist dat denn?", fragen Auswärtige schon mal. "Zwischen Essen, Duisburg und Oberhausen." "Häää?" "Da kommt Helge Schneider her!" "Ach soooo."
Gesehen habe ich Helge auch auf der Mattscheibe schon häufiger. In regelmäßigen Abständen taucht er bei Harald Schmidt auf, bei Stefan Raab war er auch schon, sogar bei Wetten dass, wenn ich mich recht entsinne. Stets schafft er es perfekt, die jeweiligen Gastgeber zur Verzweiflung zu bringen, indem er irgendwas Dekonstruktivistisches anstellt (für meinen Bruder: Jetzt ist der Begriff doch richtig gebraucht, oder?). Seine drei Filme "Texas", "00 Schneider" und "Praxis Dr. Hasenbein" habe ich genossen. Ich war in allen drei Streifen bis zum Ende - und das ist nicht vielen Kinogängern gelungen. Denn Helge spaltet die Meinung der Musikfans, Kinokritiker und Humoristen. Ist das witzig, sogar gut oder einfach nur blöder Klamauk?
Live auf der Bühne habe ich Helge noch nie gesehen.
Bis heute.
Die Überlegung, auf welcher Seite ich diesen Konzert"bericht" einsortiere, dauerte lange. Vielleicht auf der Seite "Hometown", auf der dieser Artikel (als Kompromiss) nun auch steht? Auf der Seite "So lebe ich" (auf der der Artikel nicht steht) oder hier, bei den Konzerten? Nun gut, Wiglaf Drostes Auftritt steht auch hier, wird schon passen.
Punkt 20 Uhr, Helge betritt die Bühne, und schon im ersten Moment ist klar: Es wird kein richtiges Konzert. Auf der Bühne verteilt stehen ein Schlagzeug, ein Kontrabass, ein Klavier, zwei Stühle. Eine Trompete und ein Saxophon liegen herum. Er trägt eine lila Hose, eine ziemlich abgefahrene Sonnenbrille sowie ein Baseball-Cap und sieht einfach nur richtig cool-scheiße aus. Er verzieht seine üblich-grinsende Miene und begrüßt die Zuschauer. 1000 Leute toben. Die Helge-Kritiker hätten spätestens an dieser Stelle, nach genau zehn Sekunden, schreiend den Saal verlassen.
Zahlreiche Konzertberichte stehen an dieser Stelle. Brav handle ich stets erst die Vorband ab, schildere Stimmung und Stimmungen, die Mitreisenden, Gefühle - bei Helge ist alles anders. Er sieht erst einmal so anders aus als der Privat-Helge. Im ersten Moment nehme ich ihm den musikalischen Komiker nicht ab. Hab ihn schon mit Kinderwagen gesehen, und jetzt macht er sich so zum Affen? Dieser Eindruck weicht schnell. Ein belgischer Pianist begleitet ihn, zudem seine Freunde Jimmy Woode am Kontrabass und Pete York am Schlagzeug. Die verstehen ihr Handwerk, bei den ersten Takten wird das klar. Das Programm beginnt mit "Fitzefitzefatze" und geht weiter mit "Pommes". "Von Pommes kriegt man Pickel, aber das ist mir egal", lautet der Refrain dieses Stückes, das seine Subtilität erstmals unterstreicht. Er zieht alles und jeden durch den Kakao. Musiker, die ernst gemeinte Konzerte spielen. Komiker, die ständig nur Witze reißen. Und sich selbst. Zu Hause würde ich mir das nie anhören. Live wird es richtig gut, auch bei "Pflaumenbaum" und "Texas", den nächsten Stücken. Das Besondere an den Schneiderschen Auftritten sind die Ansagen zwischendurch. Macht er wohl jeden Abend die gleichen Scherzkes? Wohl nicht. Wenn er selbst anfangen muss zu lachen - und er lacht ziemlich oft - dann ist das spontan. Eine Wortspiel-Session. Eingeübt sind die Kurz-Auftritte von Bodo, seinem Assistenten, der ihm eine Tasse Pfefferminztee reicht, unzählige Male. Oft formt Helge mit seinen Händen ein "T", und schon muss Bodo springen. Ein running-gag. Weitere Sprüche gefällig? "Ohne Musik wäre die Welt ein Jammertaaaaal, aber wir haben ja Dieter Bohlen." Helge lacht, der Saal applaudiert laut. Noch ein Beispiel? "Seine Sticks hat Pete York selbst geschnitzt........ nach einer Vorlage der Zeitschrift YPS!" Vor dem Song "Pflaumenbaum" spinnt er sich eine zum Schießen komische Geschichte auf einem Bauernhof zusammen. Kurz bevor er "100.000 Rosen schenk ich Dir" anstimmt, verrät er: "Das folgende Lied hat einen sozialkritischen Hintergrund!" Wirkt aufgeschrieben überhaupt nicht witzig. Situationskomik pur, wie der ganze Abend. Weil der Abend in seiner Heimatstadt stattfindet, spricht er über die Schlossstraße. "Da ist ja auch nix mehr los..... nur noch Optiker... Brillitis sozusagen!"
Mit Ovationen geht es in die Pause. Nach einer Stunde und fünf Minuten. Helge und Mülheim. Wenn das zusammenkommt, ist ganz Mülheim da. Lauter bekannte Gesichter. Die WAZ-Reporterin Nicoletta lacht, weil meine Begleiter - die fast komplette Familie Konrad - und ich Geld dafür ausgegeben haben. Ein Handballtrainer ist samt seiner kompletten Sippschaft ebenfalls dabei. 21.25 Uhr, es klingelt mehrfach, zweiter Teil.
Bodo reicht immer noch Tee. Die Zuschauer klatschen lauter und lauter. Nun steht die Musik im Mittelpunkt, und das Quartett auf der Bühne beweist, dass es mit den Instrumenten fabelhaft umzugehen weiß. Ein Jazzfan bin ich nicht, nicht eine CD aus dieser Musikrichtung habe ich zu Hause, aber zwischendurch ziehen die Jungs eine astreine Session durch. Sagenhaft das fünfminütige Drumsolo von Pete York, oder "Georgia in my mind" (oder so ähnlich), gesungen von Jimmy Woode. Helge Schneider schnappt sich immer ein anderes Instrument, und wenn es die Blockflöte ist. Witze werden seltener. "Ein Weihnachts-Spezialkonzert ist es. Das macht mich ganz durcheinander." O Tannenbaum stimmt er kurz an, und sinniert dann über Geschenke oder auch nicht. Zwischendurch wird es auch ein wenig versauter. "Mensch, ich muss damit aufhören. Sonst steht Montag irgendwas mit "Schneider pervers" in der Zeitung." Spricht´s aus und fordert Bodo samt Tee an. Und sein Akkordeon. Bodo hängt es ihm um. Von den bekannteren Stücken gibt er noch "Alleine in der Bar" zum Besten, ganz alleine am Klavier sitzend. "Moped-Tobias" und "Der Meisenmann" sind auch noch dabei. Von den Songs, mit denen Helge berühmt geworden ist, "Katzeklo", "Es gibt Reis" oder "Mörchen-Lied" spielt er kein einziges. Die Mülheimer verzeihen es ihm schnell. Oder seine Hörspiele oder zumindest Ausschnitte davon, sind nicht dabei. "Das alte Reinhold-Helge-Spiel" beispielsweise hätte ich gern mal live gehört. Aber das wäre ja nicht spontan gewesen. "Ich bin reich", philosophiert Helge. "So reich, dass ich Weihnachten ein Schinkenbrot essen kann." Schneider-Humor. Viele meiner Freunde würden nicht einmal eine Miene verziehen. Ich lache und klatsche begeistert.
Nach nur einer Zugabe ist Schluss, um Punkt 23 Uhr. 2:40 Stunden Helge pur sind vorbei, Pause ist von der Zeit abgezogen. Ich finds klasse, ihn auch mal live gesehen zu haben. Mit Helge in die Festtage verschwinden. Gibt es was schöneres? Helge verkündet, dass er jetzt erst einmal Urlaub macht und Ski fährt. Im nächsten Jahr werde ich mir wieder eine Eintrittskarte kaufen. Und sie wieder bezahlen.
Persönlich sage ich das Helge nicht, wenn er das nächste Mal bei Agnoli seinen Kaffee trinkt. Aber das macht kein Mülheimer. Wir lassen ihn in Ruhe. Und ich glaube, auch das gefällt ihm so an dieser Stadt.

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Wir sind Helden / Franz Ferdinand - 11. März 2004 - Philipshalle Düsseldorf

Momente mit Gefühl

- Der Bericht
- Der Abend
- Die Playlist

DER BERICHT:

Es gibt einen Moment bei Konzerten, den ich mehr als viele viele viele andere Momente mag.
Noch ist das Licht an. Mustere die anderen. Die direkt um mich rum stehen. Links neben mir, hilfe sieht die gut aus. Vor mir eine 1,45-Meter-Frau, die vermutlich gar nix sieht. Weil nämlich davor ein 1,95-Meter-Kerl steht. Der macht sogar mir schwer, die Bühne klar und deutlich zu erkennen. Noch ist das Licht an. Leichtes Grummeln. Konzert-Gebrabbel. Die Gutaussehende steckt sich eine Zigarette an. Sinkt in meinem Ansehen. Ich strecke meine Nase in die Luft, atme durch sie ein. Irgendjemand kifft. Ganz in der Nähe. Blicke mich um. Drehe mich um 180 Grad. Noch ist das Licht an. Die Tribünen sind voll. So voll habe ich sie glaube ich noch nie in der Philipshalle gesehen. Hätte ich mich auch setzen sollen? Platzwahl frei, steht auf der Eintrittskarte. Nun stehe ich mittig, aber halblinks vor der Bühne. Dann:
Licht aus.
Da ist er. Ein Schock fährt durch den Körper, weils plötzlich total dunkel ist. Die Menge jubelt, brüllt in tiefen, in höhen, in lauten, in leisen Tönen. Er dauert eine, vielleicht zwei Sekunden. Bis das Konzert beginnt.
Mein letzter großer Moment ist schon wieder drei Monate her. Im letzten Jahr hatte ich zu diesem Zeitpunkt schon fast drei Konzerte hinter mir, und diesmal? Keine besonders tolle Band ist bisher in diesem Jahr im "EinsLive-Sektor" aufgetreten. Naja, tolle Bands vielleicht, aber nicht toll genug für mich. Vor zwei Wochen fiel mir beim Durchblättern der Zeitung der Auftritt der "Helden" in der Philipshalle auf. Keine Ahnung, warum mir das nicht schon zuvor ins Auge sprang, aber einmal kurz im Internet auf getgo.de geklickt, die Karte bestellt, im Kalender den 11. März notiert - und da war es. Mein erstes Konzert 2004. Wir sind Helden. Im ersten Moment fand ich es ziemlich frech, eine neue Band so zu taufen. Aber dann... die erste Single, "Guten Tag", die selbstproduzierte - keiner wollte sie verlegen - stand bereits am 9. Januar 2003, also weeeeeeit vor dem Hype, in meinem Plattenschrank (ehrlich! hab grad nochmal in meinem amazon.de-Archiv nachgeblättert). "Meine Stimme gegen die der ganzen Talkshownation, Meine Fäuste für ein müdes Halleluja und Bohnen, Meine Zähne gegen Eure zahme Revolution, Visionen gegen die totale Television, Es war im Ausverkauf im Angebot die Sonderaktion - Guten guten Tag ich will mein Leben zurück, Ich tausch nicht mehr ich will mein Leben zurück, Guten Tag ich gebe zu ich war am Anfang entzückt, aber euer Leben zwickt und drückt nur dann nicht wenn man sich bückt, Guten Tag". Ein neuer Ton kehrte ein in meinen Plattenschrank, und ich sah es als gutes und logisches Zeichen, dass niemand bereit war, das Ganze groß zu vermarkten. Dazu passte, dass sich die Helden für Oktober einen Auftritt im KKC, unserem kleinen Café an der Uni Essen, angesagt hatten. Da passen 500 Leute rein. Maximal. Jetzt haben wir März 2004. Die Helden haben drei Echos bekommen, sind in der Mainstream-Familie angekommen und füllen eine Halle mit 7500 Leuten. Ob sie das wollten?
"Wir sind Helden" steht also auf meiner Eintrittskarte, die seit drei Tagen direkt vor meiner Haustür liegt, damit ich sie bloß nicht vergesse, wenn ich aufbreche. Passiert ist mir das nie, aber dazu soll es schließlich auch nicht kommen. Als ich sie vor zwei Tagen zugestellt bekam, da erblickte ich voller Erstaunen den Namen der Vorband darauf. "Franz Ferdinand". Spontan legte ich eine Luftgitarren-Session in meiner Wohnung hin, "sägte" dreimal auf meinem blauen Teppich im Wohnzimmer. Viel hätte nicht gefehlt, und ich hätte auch mit den Fäusten drauf gekloppt. Franz Ferdinand - wie geil ist das denn!?! Eine Band aus Schottland. Die den Namen des österreichischen Thronfolgers trägt, dessen Ermordung den ersten Weltkrieg auslöste. Die Band, die von allen Musikmagazinen quer über den Globus verteilt als die "neue Rock-Sensation" gepriesen und gefeiert wird. Im MusikExpress stand sinngemäß: "Dieses Album wird Euer Leben verändern." Garagen-Rock ganz im Stil der Strokes, den anderen Heroes der aktuellen alternativen Szene. Franz Ferdinand. Das Album? Ist schon klasse. Wenn ich mir neben den Helden eine zweite Band hätte aussuchen dürfen, die ich live sehen möchte: Auf meinem Wunschzettel hätte Franz Ferdinand weit oben gestanden. Zwei Bands also, die gerade frisch auf dem Markt sind. Für die jeder Live-Auftritt ein Erlebnis sein muss. Da fühle ich mich fast wie ein großer Kritiker, als ich in dem (natürlich falschen und übertriebenen) Bewusstsein losfahre, fast mehr Konzerte gesehen als die Bands gespielt zu haben.
Es geht schnell. Regionalexpress bis Düsseldorf. U-Bahnlinie 77 bis "Oberbilk/Philipshalle", warte fünf Minuten, deutlich kürzer als beim Coldplay-Konzert in dieser Halle, und bin drin. Noch ist die Halle halbleer. Wandere durchs Foyer. Trinke eine Cola, für einen völlig überteuerten Preis - aber bei Konzerten nehme ich sowas schonmal hin. 2,30 Euro, hilfe. Aber 2,50 Euro für ein albernes belegtes Brötchen sind mir doch zu teuer. An der Garderobe ist eine Riesenschlange, genauso wie vor dem Damenklo. Die Damen übersehen, dass es noch zehn andere Klos gibt. Vor diesen steht niemand. Suche mir einen Platz. Hierhin stellen? Nach hinten? Oder weiter vorn, vor die Bühne? Nee, halblinks, in etwa in der Mitte, das ist okay.
Der erste Moment rückt näher. Rückt näher. Rückt näher. Kommt.
Vier Jungs aus Schottland auf der Bühne, solide Lightshow. Versuche am 1,95-Meter-Kerl vorbeizulinsen, sehe sie. Es rockt. Sie entdecken die Kunst der Konzerte und den Reiz des Rocks sicherlich nicht neu, aber es sind einige erfrischende Ideen und die verdammt guten Songs, die den Auftritt, die die Debüt-CD, die viel gefeierte, ausmachen. Sie fegen uns allen einen Hit nach dem nächsten um die Ohren, nein, das ist keine Vorband, das ist der erste Hauptact. Der Beifall wird größer und größer, zum Beispiel bei "Auf Achse". Und der größte Schrei brandet auf, als der Sänger "So if you´re lonely, You know I´m here, Waiting for you, I´m just a cross-hair" anstimmt. "Take me out", die richtig gute erste Single. Zum Schluss gibts noch "Darts of pleasure", mit den grandiosen Abschlusszeilen "Ich heiße superfantastisch, Ich trinke Schampus mit Lachsfisch" Puh... die ersten Schweißperlen suchen sich ihren Weg über meine Wangen. Kein Hüpfalarm, aber sehr intensiv, das Ganze. Das Licht geht wieder an.
Warten auf den nächsten kleinen, geilen Moment. Eine Minute warten, jemand raucht wieder, jemand kifft. Und dann...
Licht aus.
Niemand zu sehen auf der Bühne. Grünes Licht. Blaues Licht. Ein Lied wird eingespielt: "Are you ready for the time of life, It´s time to stand up and fight, so alright, Hand in hand we take a caravan to marble land... Every woman every man join the caravan of love" Drei Minuten Spannung. Die letzten Zeilen... gehen aber unter im Gebrülle, Geschreie, Geklatsche, jemand betritt die Bühne, dann noch jemand, Schlagzeuger Pola, und Sängerin Judith. Licht geht an... wow, einen sauberen Einmarsch haben die Helden schonmal gelernt. "Caravan of love", in irgendeiner Version von irgendwem, geht direkt über in die ersten Liedzeilen von "Ist das so?", auch dem ersten Song auf der Debüt-CD. "Ist das so, dass dein Herz den Tag in Stunden schlägt - ist das so? Ich meine muss das so? Ist es so dass dein Blick die Welt in Scheiben sägt ist das so? Ich meine muss das so?" Judith trägt einen kurzen Rock, und, wirklich, ich bin beeindruckt. Diese Frau hat Ausstrahlung. Das zieht bis in den letzten Winkel der Halle. Drei Minuten später ist das erste Lied vorbei. Die Menge tobt. Und die vier Musiker schauen ungläubig. "Anti-Konsum-Rock mit viel Gefühl", haben Rezensenten die Musik getauft, und die Kritik ist allen scheißegal. "Ich mache lieber Musik bevor ich anfange zu heulen", sind Judiths erste Worte. Ehrliche Worte. Es wirkt, als hätte sie noch nie eine so große Menge gesehen. Eine Menge, die extra wegen ihr und ihren Mitstreitern gekommen ist. Es hat zwölf Monate gedauert. In zwölf Monaten vom KKC in die Philipshalle. In zwölf Monaten von einer selbstproduzierten Maxi bis hin zu einem mit einem Echo prämierten Album namens "Die Reklamation", das von null auf sechs in die Charts einstieg und seit vier Monaten unter den "Top 20" steht. "Heldenzeit" ist folgerichtig der zweite Song (bevor Judith anfängt zu heulen)... "Willkommen in der Zeit Helden sind bereit seid ihr soweit? Heldenzeit Heldenzeit seid ihr soweit. Hat irgendwer gesagt es wäre Zeit für Helden?" Riesenjubel, Beifall, Gebrülle, immer wieder. Und immer wieder lacht Judith der Menge entgegen. Am Anfang stammelnd. "Das ist so wunderwunderwunderschön", stottert sie zum Beispiel so betont gefühlvoll, dass sich zu den Schweißperlen fast noch Tränen gesellen. Später wird sie lockerer, lustiger, die anderen mischen sich ein. "Ich trag immer offene Haare, weil ich Segelohren hab", gesteht sie zwischendurch. Eine bezaubernde Frau. Eine bezaubernde Frau, die ihre ironischen, traurigen Stücke bis vor kurzem noch alleine in kleinen Berliner Clubs vor wenigen Leuten zum Besten gab, bevor sie den Rest der Band fand. Schon nach zwei Liedern hoffe ich, dass sich die Helden bald nicht zur Suppe der Gleichgesinnten gehören. Die in jeder zweiten "Wetten dass...?"-Sendung auftreten und von Gottschalk getätschelt werden. Ich glaube, für ihre Musikplanung hatten die Vier vorgesehen, weiterhin unbehelligt in Berlin zu wohnen, alternative Songs zu schreiben und in Hallen bis zu zwei-/dreitausend Mann zu spielen. Damit wären sie völlig zufrieden gewesen. Und nun?
Nun singen gleich Sieben-Tausend aus voller Kraft mit, wenn Judith "Du erkennst mich nicht wieder", "Die Zeit heilt alle Wunder" und "Monster" singt. Nun hüpft die ganze Halle, wenn "Denkmal" ertönt, die wirklich fantastische aktuellste Auskopplung. "Hol den Vorschlaghammer, Sie haben uns ein Denkmal gebaut, und jeder Vollidiot weiß, dass das die Liebe versaut, Ich werd die schlechtesten Sprayer dieser Stadt engagieren, Die sollen nachts noch die Trümmer mit Parolen beschmieren". Ist das geil. Das ist es egal, dass Judith es verpasst, der Menge klarzumachen, wann sie allein singen soll. Anfängerfehler passieren, mit Anlaufschwierigkeiten klappt es noch. "Hol den VORSCHLAGHAMMER!", aus 7500 Kehlen. Direkt hinter "Denkmal" folgt "Guten Tag", dann noch zwei niegalnagelneue Songs und zum Schluss nach knapp 70 Minuten "Müssen nur wollen". Mit Hüpf-Garantie. "Wir können alles schaffen genau wie die tollen dressierten Affen wir müssen nur wollen wir müssen nur wollen müssen nur wollen wir müssen nur". Ist es schon vorbei? Es ist so wunderwunderwunderschön.
Na klar, einmal kommen sie wieder, spielen einen Song, und dann kündigen sie ein gecovertes Stück an. Judith und Gitarrist Mark setzen sich Baseballcaps auf, Judith stopft sich ein Shirt unters T-Shirt. "Symbol für den US-amerikanischen Imperialismus" sagt sie und stimmt "51st state" von New Model Army an. Soviel Kritik hätte ich den Helden gar nicht mehr zugetraut, die bisher kritisch, aber auf mich eher michaelmoore-kritisch wirkten (schon gegen das System, aber im Zweifel zahm und erträglich und fast schon zu zufällig zur richtigen Zeit am richtigen Ort) wirkten. Ein zweites Mal werden sie auch noch herausgeklascht, spielen obligatorisch "Die Nacht" zum Schluss. "Die Nacht dreht sich um dich allein, Sie will am Tag noch bei dir sein, Die Nacht dreht sich um dich allein, und du schläfst einfach trotzdem ein." Werd noch lange dran denken.
Im T-Club in der Turbinenhalle Oberhausen klingt der Abend bis 2.30 Uhr in der Nacht aus. Mein arbeitsloser Kumpel Alex hat mich am Mülheimer Hauptbahnhof aufgegabelt. Wir ziehen uns bei McDoof einen Burger rein, trinken zwei Colas. Ich lausche der Musik. Und singe in Gedanken noch "Hol den Vorschlaghammer" mit.

DER ABEND:

Konzertbeginn: Einlass war 19 Uhr (glaube ich). Aufgrund meiner schlechten Erfahrungen beim "Coldplay"-Konzert im April 2003 war ich diesmal recht pünktlich gegen 19.05 Uhr anwesend - und siehe da: Die Crew der Philipshalle ist lernfähig. Aufgrund des großen Andrangs waren alle Türen geöffnet und innerhalb von fünf Minuten stand ich im Foyer - mit dem Nachteil, dass ich dann noch 45 Minuten bis zum Konzertbeginn überbrücken musste. Also schnell ab zum Getränkestand und einen 0,3-Becher Cola reinschütten - und das für satte 2,30 Euro. Konzertpreise halt... "Franz Ferdinand" kamen saumäßig pünktlich um 20 Uhr (selten erlebt, so eine Pünktlichkeit) und gingen - fast genauso pünktlich - um 20.40 Uhr. Nach der obligatorischen Auf- und Umräumpause kamen "Wir sind Helden" schließlich um 21.10 Uhr und bleiben - mit zwei Zugaben - bis 22.55 Uhr. Dafür, dass die Vier erst ein Album draußen haben, sind über anderthalb Stunden klasse. War wirklich ein saugeiler Abend mit zwei richtig richtig rockenden Bands!
Ort: Die gute alte Philipshalle in Düsseldorf, die ich mittlerweile auch fast auswendig kenne. Den Weg dorthin würde ich vermutlich mit verbundenen Augen finden... mit dem Regionalexpress von Mülheim bis Düsseldorf und von dort mit der S6 Richtung Köln-Hansaring bis Düsseldorf-Oberbilk/Philipshalle. Dauert keine halbe Stunde. Wie dem auch sei: So voll wie diesmal habe ich sie aber noch nie erlebt. Wie Sängerin Judith zwischendurch mitteilte, und ich vorher per Radio erfuhr, war die Halle mit 7500 Zuschauern komplett ausverkauft. Ich glaube, vor einem so großen Publikum haben die Helden noch nie gespielt, bzw. sehr selten. So kam es zumindest rüber. Die Stimmung war einfach nur erstklassig - bei Band und "Zuhörern".
Eintrittskarte?: Habe ich im Internet mit einer Schnellschussaktion bei "getgo.de" bestellt. Das kann ich übrigens nur weiterempfehlen - kostet zwar Versand und so´n Kram, ist aber sehr zuverlässig! Kostete - glaube ich - 20,50 Euro oder 22 Euro; war also ein sehr fairer Preis für zwei so gute Bands!
Mitreisende: Ich war allein unterwegs - hab auch sehr kurzfristig die Karte geordert.

DIE PLAYLISTS: (ich hab nicht mitgeschrieben, war aber auch nicht nötig, denn...

... beide Bands haben erst ein Album rausgebracht!)

WIR SIND HELDEN:

Ich glaube, dass die Vier alle zwölf Lieder von ihrem Debüt "Die Reklamation" gespielt haben, nur die Reihenfolge ist mir bis auf wenige Ausnahmen nicht mehr bewusst:

- als "Einmarschmelodie" lief "Caravan of love", keine Ahnung in welcher Version -
1) "Ist das so?" (DAS war tatsächlich das erste Lied)
2) "Heldenzeit" (DAS war tatsächlich das zweite Lied)
- "Rüssel an Schwanz"
- "Du erkennst mich wieder"
- "Die Zeit heilt alle Wunder"
- "Monster"
- "Denkmal"
- "Guten Tag" ("Denkmal" und "Guten Tag" kamen direkt hintereinander)
- "Außer dir"
- "Aurélie"
- "Müssen nur wollen" (DAS war das letzte Lied der "Normalrunde")
--- dazu kamen zwei brandneue Songs!

1. Zugabenrunde (mit zwei Songs):
u.a. mit dem Cover: "51st state" von New Model Army
2. Zugabenrunde:
nur noch "Die Nacht"

- macht insgesamt also 16 Stücke -

FRANZ FERDINAND:

Und wieder dasselbe... nur ein Album (heißt wie die Band: "Franz Ferdinand"), also werden sie wohl alle Stücke gespielt haben, die ich hier nochmal aufzähle:

- "Jacqueline"
- "Tell her tonight"
- "Take me out"
- "The dark of the matinee"
- "Auf Achse"
- "Cheating on you"
- "This fire"
- "Michael"
- "Come on home"
- "40 Ft"
- "Darts of pleasure" (DAS war tatsächlich das letzte Lied, leicht erkennbar an der sensationellen Schlusszeile "Ich heiße superfantastisch - ich trinke Schampus mit Lachsfisch!")

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Diese Seite wurde zuletzt geändert am 13.3.2009
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