Alter Punk

Für den Kulturteil der WAZ durfte ich am 10. Dezember 2008 über das Konzert der Toten Hosen in der Dortmunder Westfalenhalle berichten.

NRW-Tour-Auftakt in Dortmund – und die Toten Hosen zeigen, dass sie auch im 26. Bandjahr noch richtig rocken können. Noch im Dezember folgen Auftritte in Köln und Oberhausen.

Sein Dress ist zu Beginn noch sauber. Trocken. Wie im Sport. Campino hat sich für ein Hemd der 2005-Tour „Im Auftrag des Herrn“ entschieden, joggt in flotter Jeans auf die Bühne. Die Toten Hosen sind in der Westfalenhalle – und aus trocken wird verschwitzt, aus joggen wird springen, aus flott wird rockig – gleich mit dem ersten Takt des Openers „Strom“.

1000-Volt-Campino ist eine schillernde Figur der Branche. Einer, der durch Talkshows tingelt, der als massenkompatibler Alternativer durchgeht, der gerade in „Palermo Shooting“ sein Filmdebüt gab. Doch an diesen zwei Abenden vor je 11.500 Fans in der Westfalenhalle zählt das nicht. Hier ist „auffem Platz“, wie der Fußballfan Campino sagen würde.
Er verpasst den Fans die volle Rock-Dröhnung. „Du lebst nur einmal“, „All die ganzen Jahre“, „Auswärtsspiel“, „Liebeslied“ – schon in der ersten halben Stunde hauen die Hosen Songs aus 22 Jahren Bandgeschichte raus. Campino sprintet von rechts nach links, von links nach rechts. Nach 35 Minuten hat er genug vom Hemd – drunter trägt er nur noch ein Muscleshirt.
So würde Campino nie in Talkshows gehen. Doch an diesem Abend ist er im Herzen Punk, der eine Dose Bier öffnet, daran nippt, sie in die Menge wirft und „Einen Schluck nehmen und dann weiterreichen“ fordert. Campino braucht nur vier Worte, um eine ganze Halle zur Ekstase zu bringen. „Es kommt die Zeeeit“, brüllt er ins Mikro, die Menge antwortet „OHOOO“ und weiter geht’s mit „Wünsch dir was“. Das ist Bauchkribbeln, das ist hüpfen, hüpfen, hüpfen.
Und Springpausen gibt’s nur wenige. Balladiges Material haben die Hosen genug produziert. Diesmal beschränken sie sich auf ganz wenige langsame Stücke wie „Nur zu Besuch“. Campino mag ruhiger und melancholischer geworden sein. Auf der Bühne zeigt er’s nicht. Er mag draußen intellektuell sein, hier drinnen singt er Sauflieder wie „10 kleine Jägermeister“. Und die Klassiker aus dem alten Jahrtausend wie „Wort zum Sonntag“ und „Hier kommt Alex“. Experimentell wird’s selten, zu „Ertrinken“ gibt es Unterstützung von Cello und Keyboard – wie einst im Burgtheater-Livekonzert in Wien.

Gute Idee.
Genau so gut ist es, dass die Musik spricht und nur selten eine Hose. Die Werbung für „Pro Asyl“ ist nicht zu übersehen, „Nazis raus“ brüllen die Fans selbst nach dem Song „Madeleine“, erst in den Zugaben erwähnt Campino den Film „Palermo Shooting“ – ein verzeihlicher Ausrutscher, zumal danach „Eisgekühlter Bommerlunder“ folgt, wieder so ein Grölsong.
Auf einen der bekanntesten dieser Sorte müssen die Fans bis zur 140. Konzertminute warten. In einer der „schönsten Hallen Europas“ (sagt Campino) wollen die Hosen- und Fußballfans das Anti-FC-Bayern-Lied „Bayern“ hören. Die Hosen enttäuschen auch diesmal nicht. Wer jetzt noch nicht heiser ist: selbst schuld. Campino läuft längst oberkörperfrei herum..
Im Fußball gäb`s dafür Gelb. Doch nicht in der Westfalenhalle. 11.500 rufen „Hosen! Hosen! Hosen!“ Auch, als die Lichter wieder angehen.

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